Buch: Der Besucher | Jonathan Löffelbein www.visionbakery.com/besucher ............................................................................................................. Fundingtitel: Der Besucher Genre/Tags: Erzählung Manuskript: abgeschlossen Format: 11 x 18 Visuals: Zeichen: ± 240.900 ␣ Diese Leseprobe entspricht nicht der Gestaltung und dem Satz der Publikation.
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Der Besucher Prolog Es war ein friedlicher Morgen, als Thomas beschloss sich umzubringen. Die Sonnenstrahlen fielen sanft durch sein winziges und einziges Fenster der kleinen Wohnung, die ganz oben in einem Hochhaus gelegen war, während er draußen das kaum wahrnehmbare Singen der Vögel hörte. Doch nicht das hatte Thomas geweckt. Was hätte ihn denn wecken sollen, da er nicht einmal geschlafen hatte? Er hatte die ganze Nacht wachgelegen und hatte nachgedacht. Immer und immer wieder hatte er diesen einen Gedanken gewälzt. Tausend Mal hatte er sich dazu entschlossen und tausend Mal hatte er in seinem Kopf dazu „Nein“ gesagt. Es war sechs Uhr als Thomas sich zum Tausend und ersten Mal dafür entschied. Sein Wecker klingelte und mit diesem Zeichen eines neuen Tages, so dachte er, war seine Entscheidung besiegelt. Es störte ihn allerdings sehr, dass es draußen so ein guter und sanfter Tag war. Er hatte sich das alles etwas anders vorgestellt. Fast kam es ihm so vor, als wolle die Welt da draußen seinen dramatischen Plan verhöhnen. Thomas erhob sich aus seinem Bett, reckte, streckte sich und besah sich seine kleine Wohnung noch einmal, sicher ein letztes Mal, genau an. Eng quetschte sich sein Bett zwischen die aus
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irgendeinem Grund leicht schräg nach oben laufenden Wand, und dem Wandschrank, der eigentlich viel zu mächtig und groß für das Zimmer war. Sein winziges, oftmals knirschendes Bett, wirkte dagegen fast wie ein Puppenbettchen. Praktisch jede Nacht hingen Thomas´ Füße beim Schlafen über den Bettrand und auch jetzt streiften seine Füße die grau angelaufene, raue Wand, deren Farbe an vielen Stellen Risse aufwies. Ungefähr einmal im Monat blätterte ein großes Stück ab. Die darunter hervortretenden, noch graueren Stellen hatten inzwischen gemeinsam das Bild eines dunklen dürren Baumes gebildet, der sich langsam um Thomas Bett wand. Im selben Zimmer stand, ein paar Schritte vom Bett entfernt, ein kleiner Esstisch, der von seiner
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Größe genau für eine Person reichte, zum Essen daran aber nicht hoch genug war. Aus diesem
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Grund hatte Thomas, der nun wirklich alles andere als ein geschickter Mensch war, die einzigen
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Bücher unter die Tischbeine gestellt, die er gerade noch im Hause gehabt hatte: Irgendetwas von
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Nietzsche, was hatte er vergessen, die Bibel, Faust und, bis heute eines seiner Lieblingsbücher,
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die kleine Raupe Nimmersatt. Wie man sich denken konnte, stand der Tisch immer noch schief.
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Auf dem Esstisch befand sich eine Glasschale, in der ein Apfel und zwei Bananen ihrem
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traurigem Ende entgegenfaulten, während sechs Fruchtfliegen gerade einen erbitterten Krieg um sie führten.
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Langsam schritt Thomas durch sein Schlaf- und Esszimmer. „Noch ein letztes Mal die Küche ...“, dachte er sich und ging schwebenden Schrittes weiter.
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Seine Küche befand sich eigentlich im gleichen Raum wie sein Bett. Nur ein roter, fleckiger Vorhang, den er selbst mehr schlecht als recht aufgehängt hatte, trennte das schmale Schlaf- und Esszimmer von der mindestens genauso kleinen Küche. Doch auch die Küche schien für eine andere Person angefertigt worden zu sein, denn all die Ablagen, die Schränke und der Herd waren in geradezu lächerlichen Höhen angebracht worden, sodass Thomas einerseits auf einen Stuhl steigen musste, um an das Geschirr im Schrank zu kommen, sich aber andererseits leicht bücken musste, um den Herd richtig bedienen zu können. Die Küche sah dreckig aus. Unter der Spüle wartete eine einsame, langsam verschimmelnde Dose Ravioli darauf, gegessen zu werden. Ohne es zu bemerken, ging Thomas weiter, bog am Ende der Küche links ab und fand sich selbst im Bad wieder. Noch bevor er sich selbst im Spiegel erkennen konnte, zog er sein Schlafanzugoberteil aus und hängte es darüber. Langsam rieb sich Thomas seine Augen und
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gähnte. Er war doch noch ganz schön müde. Mit schleichender Geschwindigkeit formte Thomas mit seinen Händen einen Trichter, atmete sanft hinein und roch vorsichtig an seinem Atem. Und schreckte zurück. Igitt! So konnte er sich nicht umbringen! Was sollten denn die Leute, die ihn später ganz sicher von der Straße aufsammeln würden, von ihm denken, wenn er erst mal aus seinem winzigen Fenster gesprungen war? „Also, der Anblick seines zermatschten Körpers war schon schlimm. Aber das grausamste war eigentlich sein Mundgeruch.“ So würden sie über ihn reden, dachte er. Es war also besser, sich noch die Zähne zu putzen und zu duschen. Das Duschen in seiner Wohnung hatte Thomas schon immer als seltsam empfunden. Seine
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Duschkabine war um vieles zu groß für ihn, so dass er sich immer ein bisschen verloren darin
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vorkam. Zudem war der Duschkopf wohl irgendwie defekt, da er den Wasserstrahl so weit teilte,
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dass das Wasser Thomas kaum berührte. Hier war er noch nie richtig sauber geworden.
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Nach wenigen Minuten stieg er aus der Dusche, ging zu seinem übergroßen Schrank und
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überlegte eine Weile. Nach ein paar Minuten zog er seinen schwarzen und einzigen Anzug aus
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den Untiefen des Schranks hervor. Die Leute, die ihn später wahrscheinlich zerstückelt am Boden
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finden würden, sollten nicht sagen, dass er keinen Sinn für Mode gehabt hätte. Thomas quetschte sich in seinen Anzug und blieb danach stumm in seiner Wohnung stehen.
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Seine Gedanken waren verstummt. Er schloss die Augen, sog stickige Luft ein und seufzte tief.
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Sein Bauch presste sich gegen sein Hemd.
Er war jetzt bereit zu springen. Doch plötzlich bemerkte er, wie unordentlich seine gesamte Wohnung aussah. Dabei besaß er eigentlich nicht sehr viel, ein paar CDs und ein oder zwei Filme und doch wirkte alles so schmuddelig. So konnte er diese Wohnung doch nicht zurück lassen! Was würde wohl die Untersuchungskommission sagen? „Natürlich hat er sich umgebracht! So unordentlich wie er war!“, würde der Hauptkommissar schlussfolgern. Nein, so etwas, würde er nicht zulassen und so begann er seine gesamte Wohnung in seinem besten Anzug zu reinigen. Nach gut einer halben Stunde war Thomas mit dem Putzen fertig und stellte sich vor sein kleines Fenster. Er spürte wie sein Herz heftiger schlug und versuchte vergeblich sich durch sanftes Atmen zu beruhigen. Nein, es war noch nicht alles sauber, er hatte einen Fleck oder eine Ecke vergessen. Nochmals fing Thomas alles an zu putzten, schaute penibel in jeder kleinen Mulde, Vertiefung oder Ecke nach, beschaute die leicht schrägen Wände, suchte im Schrank, überprüfte die Dusche und schließlich, nach gut einer Stunde, war er auch damit fertig.
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Wieder stand Thomas vor seinem winzigen Fenster. War das der Ausweg? Er hatte sich sehr kurzfristig für diese radikale Lösung entschieden. War das wirklich richtig? Er öffnete das Fenster und frischere, angenehmere Luft wehte sanft herein. Das Zwitschern der Vögel hörte er nun lauter als jemals zuvor. Langsam, fast schleichend, ging Thomas auf das Fenster zu. Unter unendlicher Anstrengung zwang er seinen Körper Schritt für Schritt vorwärts. Kalter Schweiß brach auf seiner Stirn aus und tausend Gedanken schossen durch seinen Kopf. Wollte er das wirklich tun? Hatte er sich das
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alles gut genug überlegt? Was würde sein Bruder dazu sagen? Was, wenn er -
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»Wird das eigentlich noch etwas?«, fragte plötzlich eine Stimme hinter Thomas.
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Was, wenn er mit seinem Sprung Unschuldige in den Tod reißen würde, dachte er ganz bei sich.
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»Versprich nichts, was du nicht halten kannst«, flötete die Stimme. Erst jetzt drehte sich Thomas
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um.
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Hinter ihm stand ein Mann. Er hatte keine Ahnung, wie dieser Fremde in seine Wohnung
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gekommen war, geschweige denn, was er hier zu suchen hatte.
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Was für ein hässlicher Mensch! Er trug einen schicken schwarzen Anzug, doch sein Gesicht...
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Thomas musste erst einmal einen Schritt zurücktreten, so sehr ekelte er sich vor dem Anblick des Fremden.
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»Hast du das Reden verlernt, oder was?«, fragte der Mann in Schwarz mit einem derart überraschend charmanten Lächeln, dass es Thomas regelrecht ansteckte und dieser sich zwingen musste selbst nicht seine Mundwinkel zu verziehen. Er wollte etwas sagen, öffnete seinen Mund, doch es kam nur ein hässliches Krächzen hervor. Der Fremde lachte, während sich Thomas hektisch räusperte. Das Ganze war ihm schrecklich unangenehm. Was wollte dieser Kerl hier? Wer war er? Wie war er hierher gekommen? Und dann bekam er selbst nicht einmal ein Wort heraus. So ein hässlicher Mensch! Er konnte gar nicht beschreiben, was dieser Mann in Schwarz für Gefühle in ihm auslöste: Zum einen war da der Ekel. Thomas hatte beim Anblick des Mannes sofort Abscheu empfunden. Noch nie war er einem widerwärtigeren Menschen begegnet. Doch gleichzeitig ging von ihm eine seltsame Faszination aus und dieses geheimnisvolle Lächeln verlieh ihm etwas… Mystisches? War das das richtige Wort? Es war aber nicht die Art des Mannes, die Thomas Unbehagen verschaffte. Auf einem Schlag
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kam es Thomas so vor, als wäre es in seiner Wohnung unmenschlich heiß geworden. Dabei hatte er das Fenster doch geöffnet und ständig zog frische Morgenluft herein. Die Sonne musste wohl genau in sein Zimmer scheinen, denn die Luft wurde fest und stickig. Er spürte, wie sich Schweißtropfen auf seiner Stirn bildeten und nur darauf warteten in seine Augen zu rollen und ihn blind zu machen. Er spürte, wie es für ihn immer schwieriger wurde zu atmen, als würde die Luft sich weigern in seine Lungen zu gelangen, als wäre er zu schwach sogar diese einfachste Grundlage des Lebens zu erfüllen. Die Hitze quoll in sein Gehirn und machte seinen Verstand matt. Kurz flackerte das Bild des Fremden vor seinen Augen. Wer er sei, wollte Thomas fragen, doch alles, was er herausbekam, war ein »Wa - ha - mpr?« Er konnte gerade noch das charmante Lächeln des Mannes sehen, als plötzlich die Erde anfing zu beben. Er taumelte ohne Halt durch sein Zimmer, während der Eindringling vollkommen ruhig an Ort und stelle stand. Der Himmel draußen verfinsterte sich und Thomas, der vergeblich irgendwo Halt suchte, bekam seinen roten Vorhang zu fassen, griff danach und riss hin mitten entzwei. Danach wurde alles um hin herum schwarz. Nur das bezaubernde Lächeln des Hässlichen hatte sich auf seine Lippen gelegt.