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DIE KLIMAKRISE RÜCKT IN DEN FOKUS

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MEIN ARBEITSPLATZ

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UMWELT

Nach der Krise ist vor der Krise. Während die Covid-19Pandemie abflaut, rückt das Klima wieder mehr ins öffentliche Bewusstsein. In den letzten Monaten haben drastische Wettererscheinungen und ein weitreichendes Urteil des Bundesverfassungs- gerichts nicht die nötige Aufmerksamkeit bekommen. Das dürfte sich in den kommenden Wochen ändern.

FOTO: MATT PALMER ON UNSPLASH Die Zahl wurde im April öffentlicht und ging inmitten der Corona-Meldungen rasch unter. Dabei zeichnete sie ein drastisches Bild deutscher Ängste und demonstrierte, wie man mit Statistiken „lügen“ kann: Das Institut Insa hatte in einer Umfrage im Auftrag der „Bild“-Zeitung erhoben, was die Deutschen als größte Gefahr sehen und was ihnen am wichtigsten ist. Rund 60 Prozent gaben an, den Klimawandel nicht als größte Gefahr zu sehen, sondern sich eher Sorgen um Gesundheit und Familie zu machen. Das wirkt auf den ersten Blick wie kuriose Realitätsverweigerung.

Bemerkt werden muss hier aber, dass eine bestimmte Frage eine bestimmte Antwort er„Halten Sie den Klimawandel für zeugt. „Ist Ihnen der eine Gefährdung Klimawandel wichtiger als Ihre eigene Familie?“ Ihrer Enkel?“ muss breite Verneinung erzeugen. Hätte man gefragt: „Halten Sie den Klimawandel für eine Gefährdung ihrer Enkel in den nächsten 30 Jahren?“, wäre das Ergebnis anders ausgefallen.

Das Bundesverfassungsgericht (BVG) fegte derartige Umfrageergebnisse im April dann auch mit einem spektakulären Urteil von den Titelseiten: Das Klimaschutzgesetz der Großen Koalition, beschlossen 2019, ist in Teilen verfassungswidrig, da es die Interessen eben jener Enkel nicht berücksichtigt. Vorausgegangen war eine Verfassungsbeschwerde junger Menschen, die nicht weniger als ihre Freiheitsrechte gefährdet sahen. Zu Deutsch: „Wo und wie sollen wir in Zukunft leben?“ Das höchste Gericht schloss sich dieser Beschwerde an: „Von (...) künftigen Emissionsminderungspflichten ist praktisch jegliche Klönschnack 7 · 2021 17

Jugendliche und junge Erwachsene werden die Hauptleidtragenden kommender Klimakrisen sein. Und sie wissen es.

Freiheit potenziell betroffen, weil noch nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden und damit nach 2030 von drastischen Einschränkungen bedroht sind. Der Gesetzgeber hätte daher zur Wahrung grundrechtlich gesicherter Freiheit Vorkehrungen treffen müssen, um diese hohen Lasten abzumildern“.

Nun muss die Regierung nachbessern: Gegen die Interessen von Lobbyverbänden, gegen ausufernde Konsumgewohnheiten, aber vor allem gegen eine menschliche Konstitution: Die Insa-Umfrage sowie das Urteil des Verfassungsgerichts und auch die eher taktischen Maßnahmen während der Covid-19Krise haben ein weiteres Mal gezeigt, dass unsere Spezies langfristige Risiken intuitiv nicht erfassen kann. Und um sie rational erfassen zu können, müsste sich die Menschheit einer fundierten Auseinandersetzung stellen. Die kurzfristige Aktion wird jedoch stets höher bewertet, auch wenn wir uns langfristig buchstäblich das Wasser abgraben.

Eine weitere Nachricht, die demonstriert, dass es mit der Gelassenheit eher über kurz als lang vorbei sein wird, kommt aus den USA. Seit Mitte Juni herrscht in den südwestlichen Bundesstaaten eine Hitzewelle von bisher ungekanntem Ausmaß. Fast 50 Millionen Menschen leiden unter Temperaturen weit über 30 Grad. Im Death Valley stieg das Thermometer auf 53 Grad – all das zusammen mit der schwersten Dürre seit Beginn der Wetteraufzeichnung. Schon jetzt sind diese Hitzewellen laut US-Gesundheitsexperten für mehr Tote pro Jahr verantwortlich als alle anderen Naturkatastrophen zusammen. Neben den direkten Auswirkungen der Hitze droht eine indirekte: Lokale Stromnetze sind aufgrund exzessiver Nutzung von Klimaanlagen überlastet, es droht der Zusammenbruch dieses lebenswichtigen Teils der Infrastruktur.

Anzunehmen ist weiterhin, dass sich junger Ärger über eine kritische Grenze hinaus ballt. Jugendliche im „politikfähigen“ Alter haben während der CoronaKrise Entwicklungschancen eingebüßt. Sie haben erlebt, dass die Politik ihre Interessen größtenteils nicht vertritt, sondern sich auf die Seiten der Mehrheit schlägt und die ist in Deutschland relativ alt. Wenn zum Corona-Frust nun die Erkenntnis kommt, dass sich der politische Opportunismus in Bezug aufs Klima weiter verfestigt, dann wird das Folgen haben. Die Fridays-for-Future-Bewegung könnte bald als sanfter Vorgeschmack gesehen werden. Global gesehen heizte sich der Planet in den vergangenen 30 Jahren mehr auf als in den ersten zwei industriellen Revolutionen.

Angesichts dieser Phänomene und einer globalisierten Welt ist die deutsche Vorstellung, die Katastrophe werde sich mal wieder woanders abspielen, naiv.

Zwar ist es ein globales Thema und lokale Maßnahmen allein werden daran nicht viel ändern, doch es macht durchaus Sinn, die Probleme vor Ort anzupacken, aus zwei Gründen: Zum einen kann es so gelingen, den Temperaturanstieg lokal zu kompensieren, zum anderen entwickelt es eine Signalwirkung, wenn nicht sogar ein Beispiel, dass es funktionieren kann.

Hamburgs Klima

Städte haben lokale Eigenschaften, die für ein eigenes Klima sorgen. Für Hamburg bedeutet dies: Trotz milden Klimas, dem Wind aus Norden, der abkühlt und für Mit der Gelassenheit mehr Luftssauberkeit sorgt sowie vielen Grün- und Wasserflächen, gibt es auch in der Hansestadt die typischen städtischen könnte es bald Phänomene. Dazu zählen Aufheizung, Feinvorbei sein. partikel- und Stickoxidbelastung. Da Städte einen Großteil der Weltbevölkerung beherbergen, in Deutschland sind es rund drei Viertel der Bürger, sind urbane Effekte auf das Weltklima nicht zu unterschätzen. Die „langfristige Entwicklung“ lässt sich auch hier vor Ort belegen. Besonders gut geht das anhand der Temperatur: Zwischen 1948 und 2007 betrug die Temperaturerhöhung in Hamburg 0,19 Grad pro Jahrzehnt, von 1978 bis 2007 dagegen schon 0,6 Grad pro Jahrzehnt. Das hört sich nicht nach viel an, schließlich haben wir allein in diesem Februar Temperaturunterschiede von mehr als 20 Grad erlebt, doch weder das eine noch das andere ist eine gesunde oder natürlich Entwicklung.

E-Busse, die künftig in Hamburg fahren. Sukzessive wird die gesamte Flotte auf E-Motoren umgestellt.

Die Nachttemperaturen in der Hambur- peraturen zu senken, kompensiert das den ger Innenstadt liegen im Sommer um globalen Trend zumindest lokal. Das ist ein durchschnittlich 2,5 Grad höher als im Um- Fakt, den auch die Politik in weiten Teilen land. Das liegt daran, dass erkannt hat. Allein, die UmGebäude und Straßen die Wärme speichern. Man spricht auch vom Wärme- Das Stadtklima hat einen setzung geeigneter Maßnahmen ist schwer. insel-Effekt. Städte heizen großen Vorteil: Politische Ziele sich mehr auf als das grüne Umland. Bewohner können das leicht selbst feststellen, Es lässt sich manipulieren. 2019 hat Hamburg Ziele und Maßnahmen entsprechend des Bundes-Klimawenn sie im Sommer ins schutzgesetzes festgelegt. Umland flüchten. Bis 2030 sollte der CO2-Ausstoß um 55 Pro-

Hier liegt ein gewisses Potenzial. Alle Un- zent sinken. 2050 wollte man in Hamburg terschiede zwischen Stadt und Umland sind klimaneutral sein. Nun hat der Bund das von Menschen gemacht und damit theore- Klimaschutzgesetz verschärft. Danach soll tisch auch beeinflussbar. Wenn man zum Deutschland bereits 2045 klimaneutral Beispiel Bodenversiegelung vermeidet oder sein. Bis 2030 müsse eine CO2-Reduktion sogar umkehrt, um mehr Grünflächen zu von 65% erreicht werden, bis 2040 sollen schaffen, Dächer begrünt und auch im Ver- es 80% Reduktion sein. Auch die zulässigen kehrsbild an Straßen und Wegen für mehr Emissionswerte für Industrie, Gebäude und Bepflanzung sorgt, kann dies dem Klima- Verkehr wurden gesenkt – ein guter Schritt, trend entgegenwirken, weiß Klimaforscher denn hier handelt es sich um bedeutende Dr. David Grawe von der Universtät Ham- Stellschrauben für den Klimawandel. Nun burg. Er ist Experte für das Thema Stadtkli- muss Hamburg seinen Klimaplan anpassen. ma. Besonders im Bereich städtischer Gebäude

Laut Grawe bietet die Begrünung den könnte es knifflig werden, denn die sind Vorteil, dass mehr Regenwasser aufgenom- laut Abendblatt teils große CO2-Emittenten men wird und die Verdunstung zur Abküh- und mitunter denkmalgeschützt, was alles lung führt. Grawe führt weiter aus, dass bis erschwert. zum Ende des Jahrhunderts die Temperatur weltweit um rund 1,5 bis 2 Grad steigen Energieerzeugung und Industrie wird. Das ist, wie oben beschrieben wurde, Ein Schlüsselsektor ist die Energieproduktiauch etwa der Rahmen, in dem sich der on. Hamburg will den Kohleausstieg. Nun Temperatureinfluss der Stadt bewegt. ja, nicht ganz Hamburg. Dirk Nockemann Wenn es also gelingt, die städtischen Tem- von der AfD bestätigte im Interview, dass man für einen Erhalt des Kraftwerks Moorburg sei, um die Grundlast, vor allem für hochenergetische Betriebe wie die Kupferverhüttung, zu gewährleisten. Die Klimaziele der Regierungskoalition in Hamburg lassen das nicht zu.

Auch auf Bundesebene regt sich Widerstand. So will etwa die Linke den Kohleausstieg bis 2030. Dies ist nicht nur eine Frage des Klimas, sondern auch der Gesundheit. Bei der Kohleverbrennung werden trotz Rauchgasreinigung Stoffe wie Quecksilber und Arsen frei. Angesichts neuer Ernergiegewinnungsmethoden stellt sich die Frage, ob der wirtschaftliche Nutzen noch in einem tragbaren Verhältnis zur Umweltbelastung steht. Die Grundlastsicherung jedenfalls ist auch ohne Kohle möglich. Allerdings hängt sie stark vom Leitungsbau ab.

Melanie Leonhard (Landesvorsitzende der SPD und Sozialsenatorin Hamburgs) merkte in diesem Zusammenhang an, dass der Leitungsausbau ein zentrales Thema für die Bereiche Infrastruktur, Umwelt und Wirtschaft sei. Es nütze nichts, nachhaltige Energie in den Windparks zu produzieren, wenn diese Energie nicht in die Regionen käme, die sie benötigen. Das Statement ist ernüchternd, denn es zeigt, dass die Energiewende ohne schlüssige Strukturmaßnahmen nicht greifen kann. Immerhin ist man in Hamburg so weit, Branchen wie die Schifffahrt und auch die Luftfahrt klimafreundlicher zu gestalten, durch die Entwicklung effizienterer Antriebe, alternati-

Der bisherige Individualverkehr ist ein Energiefresser: zu viel Verbrauch pro Kopf, zu viel Blech auf den Straßen

ver Kraftstoffe und, im Bereich der Schifffahrt, der Nutzung von Landstrom.

Invididualverkehr

Verkehr in seiner aktuellen Form „emittiert nicht nur CO2, sondern auch gesundheitlich relevante Stoffe wie Stickstoffdioxid oder Feinstaub, sowohl in den Abgasen als auch als Reifen- und Bremsabrieb“, erläutert David Grawe. „Besonders kritisch ist hierbei, dass diese Stoffe in direkter Nähe zu den Bewohnern in die Atmosphäre eingebracht werden.“

Der Verkehr ist in Hamburg für rund 30 Prozent der CO2Emissionen verantwortlich. (Zum Vergleich: Industrie 27 Prozent, Haushalte und gewerbliche Kleinverbraucher 43 Prozent.). Die CO2-Vermeidung kann hier also besonders effektiv wirken. Aber wie?

Die Hamburger Strategie fordert die Mobilitätswende, hin zu alternativen Antrieben und – Stichwort Feinstaub – öffentlichen Verkehrsmitteln. Bei ersterem sind deutliche Erfolge zu verzeichnen.

So stieg die Anzahl der PKW mit Elektroantrieb von 2.233 im Jahr 2019 auf 7.553 im Januar 2021. Die Zahl der Autos mit Elektro-Hybridantrieb stieg im gleichen Zeitraum von 6.581 auf 16.119. Neben privaten Ladestationen gibt es 1.300 öffentliche Ladepunkte, die jedem zur Verfügung stehen. Weitere sind in Planung.

Auch die Industrie hat entsprechende Ankündigungen gemacht. Im Juni 2021 etwa veröffentlichte Audi die Strategie bis 2033. Das letzte neue Modell mit Verbrennungsmotor soll 2026 vorgestellt werden. Ab da endet die Entwicklung in diesem Bereich; die Produktion soll zurückgefahren werden. Ab 2033 will der Autobauer nur noch rein elektrisch angetriebene Fahrzeuge ausliefern. Audi ist das erste deutsche Unternehmen der Branche, das konkrete Jahreszahlen nennt. Dies geschieht nicht ohne Not. Auch hier wurde die Signalwirkung des Bundesverfassungsgerichtsurteils erkannt.

Öffentlicher Nahverkehr

Der Anteil des ÖPNV am Gesamtverkehr beträgt heute rund 22 Prozent. Er soll gesteigert werden auf 30 Prozent im Jahr 2030.

Der ÖPNV soll dazu auch in Gebieten ausgeweitet werden, die bis heute stiefmütterlich behandelt wurden (z. B. Lurup). Um die genannten Ziele zu erreichen, müssen die Fahrgastzahlen um die Hälfte steigen. Erreicht werden soll dies durch Anreize wie den geplanten Hamburg-Takt: Jeder Hamburger soll nicht länger brauchen als fünf Minuten bis zum nächsten Bus, zur nächsten S-Bahnstation oder bis zu einem On- Demand-Verkehrsmittel (z. B. ein Sammeltaxi). Konkrete Vorhaben sind der Neubau der U5 sowie zusätzliche Haltestellen,(z. B. Oldenfelde, Fuhlsbüttler Straße, Ottensen und Elbbrücken).

Ein weiterer Bestandteil der Mobilitätswende soll das Fahrrad sein. Schon heute sind per Ampel geregelte Fahrradrouten an den großen Kreuzungen der Stadt Alltag. Geplant sind weitere Radwege. Die Stadt ist hier jedoch nicht uneingeschränkt optimistisch. Die Förderung von Radwegen und entsprechenden Verkehrsleitsystemen geschieht unter Vorbehalt, wie sich amtlichen Veröffentlichungen entnehmen lässt: „Sofern sich abzeichnet, dass der positive Trend sich in den kommenden Jahren entsprechend verstärken lässt“, soll der Ausbau des Radwegnetzes fortschreiten (hamburg.de).

Die größten Hürden

Eine eloquente Schilderung von Plänen sollte über eines nicht hinwegtäuschen: Viele Schlüsseltechnologien stehen noch am Anfang. Ambitionierte Ziele können zwischen Nationen, Behörden und Wirtschaft zerrieben werden, Probleme da auftauchen, wo man sie nicht vermutet hätte.

Immer wieder wird auch angeführt, dass die Klimaziele die Konjunktur hemmen würden. Diese Aussage ist jedoch hochgradig umstritten, da Nachhaltigkeit gefragt ist. Sie kann daher gleichzeitig Verkaufsargument und Innovationsschub sein.

Es geht also, derzeit aber noch zu langsam und teils etwas mutlos.

Audi hat angekündigt, ab 2033 keine Verbrennungs- motoren mehr auszuliefern.

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