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AMTSGERICHT/TIMS THESEN
Das Amtsgericht
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Aus dem Amtsgericht Im Großen wie im Kleinen
Die Gerichte in Deutschland sind nicht nur für die großen Probleme da. Jeder, der sich ungerecht behandelt fühlt, kann sein Anliegen vortragen. So auch im sommerlich-heißen Blankenese.
Während im Hauptsaal ein Angeklagter aus der Haft vorgeführt wird, geht es im Nebensaal eine Nummer kleiner. Wobei das natürlich Ansichtssache ist. Für die Betroffenen hatte der aktuelle Fall Auswirkungen auf ihr Leben. Das Ehepaar S. war unverschuldet in einen Auffahrunfall verwickelt worden. Die Schäden an ihrem Auto waren von der Versicherung übernommen worden. So weit, so gut. Aber die beiden hatten auch körperliche „Schäden“ davongetragen: Herr S. war eine knappe Woche arbeitsunfähig, seine Frau zwei Wochen mit einer längeren anschließenden Physiotherapie. Deshalb fordern sie nun zusätzlich 1.200 Euro Schmerzensgeld von der Versicherung, was diese ablehnt. Was nun folgt, gleicht einem Handel auf dem Basar. Wird es am Ende zu einer gütlichen Einigung kommen oder sehen sich die gegnerischen Parteien in einem Zivilprozess wieder?
Zunächst gestattet die Richterin bei laufenden Ventilatoren das Ablegen der Roben. Dies wird dankend angenommen, zumal die schwarzen Stöffchen auch hervorragend zum Schweiß abwischen ge-
eignet sind. 400 Euro für Herrn S. und 800 Euro für seine Frau, ist das „maßvoll“? Der Verteidiger der Versicherung sieht das ganz anders: „Zweihundert Euro sind der übliche Satz für eine Woche Arbeitsausfall.“ Er signalisiert jedoch, dass sein Auftraggeber zu einem Kompromiss bereit wäre. Die Richterin schlägt eine Summe von 500 Euro für beide Ehepartner vor. Bevor diese mit ihrem Anwalt zur Beratung vor die Tür gehen, gibt sie noch zu bedenken, was geschehen würde, wenn es nicht zu einer Einigung kommt: „Dann brauchen Sie ein interdisziplinäres Unfallgut„Das ist zu viel!“ achten, das sowohl die technischen Details zur Aufstoßgeschwindigkeit berücksichtigt als auch eine medizinische Untersuchung einschließt. Das ist teuer und der Ausgang ist ungewiss. Sie müssen entscheiden, ob Sie sich das antun wollen.“ Die Drei kommen zurück mit dem Gegenvorschlag: „600 Euro plus Auslagenerstattung von 133,80 Euro.“ „Das ist zu viel!“ Am Ende stehen 600 Euro ohne weitere Kosten als vermittelnde Lösung. „Schlag drauf.“ Sobald sich die angeklagte Versicherung mit dem Vergleich einverstanden zeigt, wird das Urteil rechtskräftig. Die Richterin weist noch einmal explizit darauf hin, dass spätere Ansprüche dann nicht mehr möglich sind. Jetzt sind aber alle nur noch froh, den Glutofen zu verlassen. AD
THEMA: Sprache ändert Denken. Wirklich?
Tim Holzhäuser schreibt hier seine monatliche Glosse
Kleine Vorbemerkung: Ich halte die Bemühungen einer Gesellschaft, sich verbal künftig eher tolerant zu benehmen als ignorant, für eine gute Sache. Es gibt keinerlei Notwendigkeit, grob mit anderen Menschen umzuspringen, nicht mal zum Spaß. In der Debatte um das Gendern ist mir jedoch eines aufgefallen.
Es wird stets gesagt: Sprache ändert das Denken und damit das Verhalten. Was, aber, wenn das so absolut nicht stimmt? Es gibt unzählige Beispiele, bei denen sich die Sichtweise der Gesellschaft gewandelt hat und anschließend sind ein paar Begriffe verschwunden. Prominentes Beispiel ist das „Fräulein“. Ehemals bezeichnete das Wort eine unverheiratete Frau. 50 Jahre später sind wir uns einig, dass der Verheirateten-Status nicht mehr furchtbar wichtig ist, und so benutzt niemand mehr unironisch „Fräulein“. Das Wort an sich wurde jedoch keineswegs erst durch eine Debatte geächtet und dann quasi abgeschafft. Der Wandel kam hier zuerst.
Ich erinnere mich auch deutlich, dass das Wort Neger zu meiner Schulzeit in den 90ern bereits als hochgradig daneben galt. Wir erinnern uns: Der Protest klang scharf, als der „Negerkönig“ in einem
Pippi-Langstrumpf-Buch im Jahr 2011 zum „Südseekönig“ wurde. Aber bereits 20 Jahre vor der Pippi-Debatte riskierte man bei Verwendung des N-Wortes als Rassist angesehen zu werden. Die Übersetzung alter Bücher ändert sich übrigens durch die Jahrzehnte geradezu standardmäßig. Häufig bleiben nicht einmal Satzmonumente wie „Nennt mich Ismael“ („Moby Dick“) unangetastet. Es gibt „Also nennt mich Ismael“, „Man nenne mich Ismael“ und auch „So nennt mich Ismael“ – während das Original in schöner Schlichtheit nach wie vor sagt: „Call me Ismael“. Erstaunlich, dass niemand all diese Änderungen bemerkt. Nur beim Negerkönig – da entdecken die Leute plötzlich den Sprachkritiker in sich. An solchen Impulsen zeigt sich meiner Meinung nach, dass es einigen Zeitgenossen eben doch darum geht, andere Menschen in Kasten einzuteilen und sie letztlich herabzuwürdigen. Weit vor 2011 versuchte es Die Übersetdie Bundesregie rung übrigens zung alter schon einmal anBücher änderte sich über die Jahrzehnte hinweg immer dersherum. Also erst der Begriff, dann das Denken. Aus dem stets männlichen „Lehrwieder. ling“ wude der Auszubildende und die Auszubildende. Hat’s geklappt? Nein. Heute heißt es „Das ist unser Azubi.“ Hin und wieder auch „Das ist unsere Azubine.“ („Unsere Auszubildende“ sagen die Leute, wenn der Bürgermeister zum Betriebsbesuch kommt.) „Sprache ändert das Denken“: Je länger man darüber nachdenkt, je mehr Beispiele sich finden lassen, desto schlichter wirkt der Terminus. Ist es plausibel, dass sich etwas so Komplexes und in ständiger Änderung Begriffenes wie Sprache derart reduzieren lässt? Sprache ändert Denken – das war’s schon? Ich bezweifle es. Vielleicht sehen wir da statt eines Gesetzes doch eher eine ... ... These.