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Interview mit Klaus Scherer, Journalist
Sagen Sie mal …
… Klaus Scherer, Journalist „Kugel ins Hirn“
Journalist, Autor und Grimmepreisträger Klaus Scherer blickt in seiner aktuellen Reportage und einem neuen Buch auf Hass, Hetze und Propaganda im Internet. Eine Grenzerfahrung.
„Kugel ins Hirn“. Das ist der Titel Ihres neuen Buches und zugleich ein Hasskommentar aus dem Internet.
Das war in der Tat ein Nutzerbeitrag auf Facebook unter einem erkennbar gefälschten Post über einen Politiker, der angeblich Kinder von der Polizei abholen lassen werde, um sie unter Zwang impfen zu lassen, gegen den Willen der Eltern. Der Beschuldigte forderte daraufhin „Dem ‘ne Kugel ins Hirn. Vielleicht hilft es ja.“
Der Fall ging vor Gericht. Aber Sie beschreiben, dass es kein einfacher Weg war.
Wir haben damals die Staatsanwältin begleitet, die den Rechtsstreit für wegweisend hielt. Das Amtsgericht in Bersenbrück hatte ihren Strafantrag abgelehnt, woraufhin sie sich beschwerte. Der Fall ging dann zurück ans gleiche Amtsgericht, das den Beschuldigten daraufhin erneut straffrei ließ. Mit dem Argument, er habe das nicht so gemeint, sondern den Politiker nur wachrütteln wollen. Das Landgericht in Osnabrück hat das Urteil dann kassiert. Der Richter dort sagte trocken: „Entschuldigung, mit einer Kugel im Kopf ist man meistens tot.
Hatte die Entscheidung Folgen für andere Fälle?
Nach meiner Wahrnehmung kommt tatsächlich Bewegung in die Justiz, weg von diesem „Na ja, das stand hier nur im Konjunktiv. Und der hat ja nur gesagt, wenn ich Reichskanzler wäre, dann würde ich ...“
Es geht ja um die Gefahr, dass Dritte das mitlesen und sich dann aufgefordert fühlen, solche Straftaten zu begehen. Der Richter machte sehr deutlich, dass es solche Kopfschüsse in diesem Land gab, in Hessen auf Walter Lübcke oder an der Tankstelle in Idar-Oberstein – mit ähnlichen Hintergründen, mit ähnlichen Rechtfertigungen, mit ähnlichen Tätern, die sich tatsächlich im Netz in Chatgruppen radikalisiert hatten.
In Ihrer Reportage treffen Sie auch auf einen in der rechten Szene sehr bekannten Anwalt in Chemnitz. Sein Argument: Eine Morddrohung gegen Frau Merkel könne auch als eine Art Wertschätzung gewertet werden.
Das war ein sehr schwieriges Interview. Ich wusste, er wird irgendwann Dinge sagen, mit denen ich nicht einverstanden sein würde, und dass ich das signalisieren muss, ohne ihn zu beleidigen. Meine Antwort war dann: „Das meinen Sie jetzt nicht ernst, oder?“ Darauf musste er nochmal antworten. Da fiel dann auch der Satz, dass sich Frau Merkel ja dadurch vielleicht gewertschätzt fühle. Das war natürlich erkennbar Unsinn. Hier ging es um Volksverhetzung. Der Beschuldigte, den der Anwalt vertrat, hatte gepostet, er „würde Merkel ins KZ stecken“. Das Amtsgericht in Chemnitz hat das trotz Konjunktiv als mögliche Verharmlosung des Holocaust gewertet und die Anklage zugelassen.
Klaus Scherer: „Uns fehlt eine Routine für die Hassreden. Diese Routine brauchen wir und zwar schnell.“ War der „Kugel ins Hirn“-Fall der Anlass für Sie, die Recherchereise zu beginnen? Oder hat das schon viel früher angefangen?
Ich hatte zuerst Fälle gesichtet, die mir die neue Schwerpunktstaatsanwaltschaft in Göttingen zugänglich machte. Damals war gerade das Gesetz gegen Hass im Netz in Kraft getreten. Ich wollte beobachten, wie es sich im Alltag auswirkt und nach einem Jahr Bilanz ziehen. Das war der Zeitraum.
Sie greifen in Ihrem Buch viele Fälle von Hass und Hetze auf. Bei aller Professionalität, sowas lässt einen doch nicht kalt. Was hat Sie am meisten mitgenommen?
Die Alltäglichkeit. Ich war zwar vorbereitet, durch das Lesen der Akten, die ganzen Zitate, die schrecklichen Aufrufe. Doch dann trifft man so einen Menschen aus den Akten am Gartenzaun. Ich gehe dahin. Kamera läuft. Ich weiß nicht, was ist das für ein Typ? Wie reagiert er? Und dann steht da ein eher netter Nachbartyp vor mir und sagt: Die Reise fand „Ja, habe ich da mal geschrieben: Aufhängen den Drecksack Lübcke. War nicht gut und würde ich nicht mehr machen.“ Er hat seinen auf einer Flughöhe zwischen „Tatort“ und „Komödienstadel“ statt. Strafbefehl bezahlt und danach noch einen zweiten bekommen, weil er die Grüne Claudia Roth beleidigt hat. Das hält er, glaube ich, immer noch für einen Kavaliersdelikt. Es gibt aber eben nicht nur die „netten Nachbarn“, mit denen man immerhin noch reden kann.
Sie spielten später Claudia Roth das Gartenzaun-Gespräch vor. Das fand ich sehr eindrücklich.
Ich selbst auch. Das hat mir noch mal die Augen geöffnet. Ich bin diesem Mann am Zaun recht dankbar gewesen, dass er so offen mit uns geredet hat. Als ich Frau Roth dann da sitzen sah, die sich das anhört, mit kleiner werdenden Pupillen, und sagt, „der hat ja gar nichts verstanden“, da wurde mir wieder klar, dass das nicht hinnehmbar ist.
Was hat Sie bei der Recherche am meisten beeindruckt?
Die ganze Reise fand sozusagen auf einer Flughöhe zwischen „Tatort“ und „Komödienstadel“ statt, denn manches, was sich gerade in Amtsgerichten abspielte, war auch ziemlich grotesk.
Kann man die Hassredner ins Rechts-LinksSchema einordnen?
Ich würde wie die Strafverfolger die
FOTO: DROEMER meisten rechts ansiedeln, weil es um Antisemitismus geht, um Frauenfeindlichkeit, um die Verherrlichung von Putins Krieg und um Ausländerfeindlichkeit. Es gibt aber auch Drohungen von links. Die Fahnder sorgen sich aber auch über immer mehr Ersttäter, die zu vor nie auffielen.
Manche Posts sind persönliche Äußerungen. Und dann gibt es Posts, die Propagandacharakter haben.
Es gibt immer wieder Vorlagen, die munter geteilt und beklatscht werden. Etwa eine Fotomontage, die heutige Parlamentarier als Angeklagte bei den Nürnberger Prozessen zeigt. So als würde die Regierung für ihre Corona-Politik als Kriegsverbrecher verurteilt. Die Urheber können Strafverfolger selten dingfest machen. Diejenigen, die das bejubeln, schon eher.
Das Motiv wurde bewusst angefertigt.
Genau. Der Beifall mag spontan und unKlaus Scherers Buch erscheint im Oktober überlegt sein. Aber die Montage ist planvoll. Viel Hetze kommt auch aus Trollfabriken, dann ist es Propaganda.
Es ist einfach, Hetze im Netz zu verbreiten. Ist das auch der Punkt, warum die Hetze zunimmt? Wie schwierig ist die Überführung von Hetzrednern?
Man kann es nicht auf eine Ursache reduzieren. Viele Leute glauben, es sei so, als würden sie im Verein, am Stammtisch oder beim Kegeln im Hinterzimmer solche Dinge loslassen. Sie verwechseln diese relative Privatheit mit der öffentlichen Privatheit im Netz, weil sie verkennen, dass das ein öffentlicher Raum ist, in dem viele mitlesen.
Es geht dann oft auch jede Gegenrede und Kontrolle verloren, etwa wenn im Verein noch einer sagte: „Nun mach halblang.“ Im Netz schaukelt sich das eher hoch, in dichten Blasen. Ein Täter in Dresden hat sich in einem Brief an die Staatsanwaltschaft dafür ausführlich entschuldigt. Er schrieb: „Wo bin ich da reingeraten?“
Wir haben im Raum Bautzen die Antwort einer Täterin gehört, das strafbare Zitat stamme von einem Familienhandy. Ihr Anwalt schrieb, es sei damit nicht nachweisbar, wer es letztlich verbreitet habe. Das ist eine beliebte Strategie. Die Staatsanwältin erwirkte dann eine Hausdurchsuchung, um das Handy auszulesen. Allerdings bestätigte mir der Generalstaatsanwalt in Koblenz, dass das oft ein Problem sei, Das Internet weil die Amtsgerichte nicht mitist kein rechts- ziehen. Nicht nur bei Durchsufreier Raum. chungen, auch in Urteilen. Dann gehe der Täter am Ende erhobenen Hauptes aus dem Saal und das Signal unter den Tätern sei: „Seht her, geht doch!“ Das sei dann wie ein Freibrief. Deshalb war er lange sehr vorsichtig mit Anklagen.
Warum lassen sich Menschen darauf ein?
Viele finden in solchen Gruppen im Netz offenbar eine Heimat, wo sie sich bestätigt fühlen. Bis in vermeintliche Nachrichtentexte, die dann in die gleiche Kerbe hauen.
Aber dabei blieb es nicht.
Dann passierte Idar-Oberstei, der Mord an der Tankstelle, und es passierte Kusel, die Polizistenmorde. Dann kam der Krieg mit seiner Propaganda, mit der alle Dämme aufgingen. Und heute sagen der gleiche Generalstaatsanwalt und der gleiche Innenminister: „Wir verfolgen den Judenstern mit der Inschrift ‚ungeimpft‘ als Verharmlosung des Holocaust. Wir verfolgen das ‚Z‘ als Unterstützung eines illegalen Angriffskriegs. Wir verfolgen auch die ‚Likes‘ darunter und bringen das konsequent zur Anklage.“ Sie tun das, um zu zeigen, dass das Internet ein öffentlicher Raum ist, in dem die Ge setze gelten und eben kein rechtsfreier Raum ist.
Ihr Fazit?
Die Netzwelt sortiert nicht. Nicht in falsch und richtig, in gut und böse, in Kommentar und Nachrichten, in Substanz und Müll. Jeder Rezipient kann dort alles finden und lesen. Man muss mehr selbst sortieren und entscheiden. Da fehlt noch Routine, es ist anstrengend und überfordert manche, aber es ist leider so.
Herr Scherer, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Fragen: michael.wendland@kloenschnack.de sophie.rhine@kloenschnack.de
ZUR PERSON: Klaus Scherer
Klaus Scherer ist ein vielfach ausgezeichneter NDR-Journalist und Autor. Er lebt in Hamburg. Sein aktuelles Buch „Kugel ins Hirn“ erscheint Anfang Oktober im Droemer Verlag. Es baut auf seinen Recherchen zur ARD-Doku „Hass im Netz“ auf, die 2021 lief. Das Gemeindehaus Rissen lädt am 1. November 2022 zur Lesung und Diskussion mit dem Autor ein.
Lesen Sie hier das ganze Interview: www.kloenschnack.de/interviews/ klaus-scherer-jun2022
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