11-12 Interview.qxp_kloen 24.06.22 08:39 Seite 11
INTERVIEW DES MONATS
Sagen Sie mal …
Verharmlosung des Holocaust gewertet und die Anklage zugelassen.
… Klaus Scherer, Journalist
War der „Kugel ins Hirn“-Fall der Anlass für Sie, die Recherchereise zu beginnen? Oder hat das schon viel früher angefangen? Ich hatte zuerst Fälle gesichtet, die mir Journalist, Autor und Grimmepreisträger Klaus Scherer blickt in seiner die neue Schwerpunktstaatsanwaltschaft in Göttingen zugänglich machte. Damals war aktuellen Reportage und einem neuen Buch auf Hass, Hetze und gerade das Gesetz gegen Hass im Netz in Propaganda im Internet. Eine Grenzerfahrung. Kraft getreten. Ich wollte beobachten, wie „Kugel ins Hirn“. Das ist der Titel Ihres neuen dem Argument, er habe das nicht so ge- es sich im Alltag auswirkt und nach einem Buches und zugleich ein Hasskommentar aus meint, sondern den Politiker nur wachrüt- Jahr Bilanz ziehen. Das war der Zeitraum. teln wollen. Das Landgericht in Osnabrück dem Internet. Das war in der Tat ein Nutzerbeitrag auf hat das Urteil dann kassiert. Der Richter Sie greifen in Ihrem Buch viele Fälle von Facebook unter einem erkennbar gefälsch- dort sagte trocken: „Entschuldigung, mit ei- Hass und Hetze auf. Bei aller Professionalität, sowas lässt einen doch nicht kalt. Was hat ten Post über einen Politiker, der angeblich ner Kugel im Kopf ist man meistens tot. Sie am meisten mitgenommen? Kinder von der Polizei abholen lassen Die Alltäglichkeit. Ich war zwar vorbereiwerde, um sie unter Zwang impfen zu Hatte die Entscheidung Folgen für andere tet, durch das Lesen der Akten, die ganzen lassen, gegen den Willen der Eltern. Der Fälle? Nach meiner Wahrnehmung kommt tat- Zitate, die schrecklichen Aufrufe. Doch Beschuldigte forderte daraufhin „Dem ‘ne sächlich Bewegung in die Justiz, weg von dann trifft man so einen Menschen aus den Kugel ins Hirn. Vielleicht hilft es ja.“ diesem „Na ja, das stand hier nur im Kon- Akten am Gartenzaun. Ich gehe dahin. Kajunktiv. Und der hat ja nur gesagt, wenn ich mera läuft. Ich weiß nicht, was ist das für Der Fall ging vor Gericht. Aber Sie beschreiein Typ? Wie reagiert er? Und dann steht Reichskanzler wäre, dann würde ich ...“ ben, dass es kein einfacher Weg war. Es geht ja um die Gefahr, dass Dritte das da ein eher netter NachWir haben damals die Staatsanwältin begleitet, die den Rechtsstreit für wegweisend mitlesen und sich dann aufgefordert füh- bartyp vor mir und sagt: Die Reise fand hielt. Das Amtsgericht in Bersenbrück hatte len, solche Straftaten zu begehen. Der „Ja, habe ich da mal ge- auf einer Flugihren Strafantrag abgelehnt, woraufhin sie Richter machte sehr deutlich, dass es sol- schrieben: Aufhängen höhe zwischen sich beschwerte. Der Fall ging dann zurück che Kopfschüsse in diesem Land gab, in den Drecksack Lübcke. „Tatort“ und ans gleiche Amtsgericht, das den Beschul- Hessen auf Walter Lübcke oder an der War nicht gut und würdigten darauf- Tankstelle in Idar-Oberstein – mit ähnli- de ich nicht mehr ma- „Komödienhin erneut chen Hintergründen, mit ähnlichen Recht- chen.“ Er hat seinen stadel“ statt. s t r a f f r e i fertigungen, mit ähnlichen Tätern, die sich Strafbefehl bezahlt und ließ. Mit tatsächlich im Netz in Chatgruppen radika- danach noch einen zweiten bekommen, weil er die Grüne Claudia Roth beleidigt lisiert hatten. hat. Das hält er, glaube ich, immer noch für In Ihrer Reportage treffen Sie auch auf einen einen Kavaliersdelikt. Es gibt aber eben nicht nur die „netten Nachbarn“, mit denen in der rechten Szene sehr bekannten Anwalt man immerhin noch reden kann. in Chemnitz. Sein Argument: Eine Morddrohung gegen Frau Merkel könne auch als eine Sie spielten später Claudia Roth das Art Wertschätzung gewertet werden. Das war ein sehr schwieriges Inter- Gartenzaun-Gespräch vor. Das fand ich view. Ich wusste, er wird irgend- sehr eindrücklich. Ich selbst auch. Das hat mir noch mal die wann Dinge sagen, mit denen ich nicht einverstanden sein würde, Augen geöffnet. Ich bin diesem Mann am und dass ich das signalisieren Zaun recht dankbar gewesen, dass er so ofmuss, ohne ihn zu beleidigen. fen mit uns geredet hat. Als ich Frau Roth Meine Antwort war dann: „Das dann da sitzen sah, die sich das anhört, mit meinen Sie jetzt nicht ernst, kleiner werdenden Pupillen, und sagt, „der oder?“ Darauf musste er hat ja gar nichts verstanden“, da wurde mir nochmal antworten. Da fiel wieder klar, dass das nicht hinnehmbar ist. dann auch der Satz, dass sich Frau Merkel ja dadurch viel- Was hat Sie bei der Recherche am meisten leicht gewertschätzt fühle. beeindruckt? Klaus Scherer: „Uns fehlt eine Die ganze Reise fand sozusagen auf einer Das war natürlich erkennbar Routine für die Hassreden. Diese Unsinn. Hier ging es um Flughöhe zwischen „Tatort“ und „KomöRoutine brauchen wir und zwar schnell.“ Volksverhetzung. Der Be- dienstadel“ statt, denn manches, was sich schuldigte, den der Anwalt gerade in Amtsgerichten abspielte, war vertrat, hatte gepostet, er auch ziemlich grotesk. „würde Merkel ins KZ stecken“. Das Amtsgericht in Kann man die Hassredner ins Rechts-LinksChemnitz hat das trotz Schema einordnen? Ich würde wie die Strafverfolger die Konjunktiv als mögliche
Klönschnack 7 · 2022
FOTO: NDR/LÜDERS
„Kugel ins Hirn“
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