Weisser Dorfecho 180

Page 23

Gemeinschaftswohnen

„Nicht mehr zeitgemäß?“

I

n meinem Artikel zum Umgang mit der Coronapandemie in unseren Wohnhäusern im letzten Dorfecho habe ich den Satz formuliert, dass man unsere Einrichtungen als „nicht mehr zeitgemäß“ betrachtet. Bewusst in Anführungszeichen gesetzt, war die Aussage durchaus provokant gewählt, deckt sich aber mit der Meinung eines nicht unerheblichen Teils der progressiv denkenden Aktivisten und Vordenker der Umsetzung von Inklusion und Teilhabe für Menschen mit Beeinträchtigungen. Um die Problematik in dieser Aussage zu erkennen, muss man kurz die Veränderung in der Unterstützung von Menschen mit Beeinträchtigungen betrachten, die in den letzten Jahrzehnten stattgefunden hat. Paradigmenwechsel Die meisten Wohneinrichtungen sind in den letzten 50 Jahren ursprünglich als Wohnheime gestartet, wurden dann umbenannt und Wohnstätten und heißen derzeit Sonderwohnformen. Mit dem Wechsel der Benennung gingen auch immer wieder Wechsel in der grundsätzlichen Ausrichtung der Betreuung einher; neue personelle Anforderungen, Erweiterungen der Mitwirkungsrechte der dort lebenden Menschen und nicht zuletzt auch bauliche Veränderungen zur Verbesserung der Wohnqualität (Barrierefreiheit, energetische Maßnahmen). Seit 2020 sind im Zuge des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) weitreichende Änderungen der Finanzierung erfolgt, so dass mittlerweile alle in diesen Häusern lebenden Personen individuelle Mietvereinbarungen für die von ihnen bewohnten Räume haben. Leben in der Gruppe Was geblieben und im Auge vieler ein bleibendes Problem ist: die in den Häusern lebenden Menschen wohnen nach wie vor in Gruppen zusammen und werden umfänglich betreut. Obwohl bewusst neutral formuliert, führt diese Tatsache bei vielen Menschen zu einer Menge von negativen Assoziationen: Ghettoisierung, Gängelung, strukturelle Gewalt, fehlende persönliche Freiheiten,

WEISSER DORFECHO 180

schlechte Versorgung usw.…, die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Dies führt in der Folge zu einem höchst kritischen Blick auf diese Wohnform und vor allem auf das dort tätige Personal. Diesem wird gerne unterstellt, im Zuge seiner Arbeit suggestiv Einfl uss auf eben leicht zu beeinfl ussende Menschen zu nehmen und quasi „nach Gusto zu regieren.“ Aber auch Eltern von volljährigen Menschen mit Beeinträchtigungen müssen sich anhören, ihre erwachsenen Kinder „ins Heim“ abzuschieben. Den in den Häusern lebenden Menschen schließlich wird komplette Unwissenheit über die vielen tollen Angebote im Rahmen der neuen rechtlichen und gesellschaftlichen Verbesserungen unterstellt. Alte Bausubstanz Ein zentrales Problem ist natürlich das der Räumlichkeiten als solcher. Viele Häuser sind mehr als dreißig Jahre alt, die dort verbaute Infrastruktur ist anfällig und veraltet. In den letzten Jahrzehnten haben sich bauliche Voraussetzungen mehr als einmal geändert und – müsste man heute diese Häuser noch einmal bauen – wir würden diese natürlich völlig anders konstruieren. Allerdings ist dies ein reiner Gemein-

platz, denn vermutlich trifft dies auf über die Hälfte des derzeitigen Wohnbestands in Köln zu. Das Alter und die Mängel der Häuser pauschal zu kritisieren, ohne die Möglichkeit zu geben, Altes entsprechend anzupassen, ist somit eine wohlfeile Empörung. Mir zumindest erschließt sich nicht, wie entsprechend neuer moderner (Ersatz-)Wohnraum für die in unseren Häusern lebenden Menschen entstehen soll, wenn zum einen die Grundpreise im Kölner Süden exorbitant hoch sind und zum anderen die Stadt Köln sich schon vor Jahren aus dem sozialen Wohnungsbau verabschiedet hat. Individuelles oder gemeinschaftliches Wohnen? Die eigentlichen Kritikpunkte gegenüber den Wohnhäusern sind aber grundsätzlich menschlicher Natur. Beginnen wir mit dem Gegensatz individuelles vs. gemeinschaftliches Wohnen. Grundsätzlich kann jeder Mensch, ob beeinträchtigt oder nicht, in unserem Land natürlich wohnen, wo und wie er möchte. Es geht vielmehr darum, dass unterstellt und auch öffentlich kolportiert wird, dass Menschen mit Beeinträchtigung natürlich individuell mit persönlich abgestimmter Assistenz leben möchten und kein Interesse am Zusammenleben in größeren Gruppen haben.

ESSEN MIT FREU(N)DEN

So essen Glückspilze Tel: 0221-395749 Mittelstraße 20, 50996 Köln 23


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.