Kompass Gesundheit 1/2013

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Kompass Gesundheit DAS MAGAZIN FÜR BADEN-WÜRTTEMBERG

Nr. 1 2013

andkreise

TOP-THEMA

Ausgabe L

Betreuung Schwerstkranker

GEN ESSLIN & N GÖPPINGE

Kampf gegen Ängste Fibromyalgie Was ist eigentlich Präven on?

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editorial Liebe Leserin, lieber Leser,

Sehr verehrte Leserin, sehr geehrter Leser,

heute bieten wir Ihnen einen Beitrag über eine unheimliche Krankheit, die Fibromyalgie; hervorgehoben seien auch zwei Artikel über Angst an sich und speziell die Angst vor einer Operation – wenn Sie das Gespräch mit Dr. Klaus Kraft lesen, einem Virtuosen der minimalinvasiven Chirurgie, werden Sie einer möglichen Operation mit Sicherheit entspannter entgegensehen. Unsere Ärzte seien korrupt – so hört man ständig in der Presse. Korruption ist kein Privileg der Ärzteschaft. Korruption und Misswirtschaft gehören heute in Wirtschaft und Politik zum Alltag. Kostproben: Arcandor, Thyssen-Krupp, Deutsche Bank. Doch weshalb werden vornehmlich unsere Ärzte in Misskredit gebracht? Offenbar ist es einfacher, auf diesen Berufsstand einzuschlagen. Obwohl wir seiner dringender bedürfen als der Dienste der Finanzabzocker. Ich durfte kürzlich einen Tag lang bei einer Hausärztin hospitieren. Sie nimmt sich ihrer Patienten an, mit Empathie, mit Einfühlungsvermögen, mit Engelsgeduld. Dabei denkt sie nicht ans Geld. Anders als mancher Manager oder Banker. Ich kenne viele Ärzte – auch an Kliniken. Denen liegen ihre Patienten am Herzen. Doch sie leiden unter dem bürokratischen Diktat, oft auch unter dem subtilen Druck ihrer Geschäftsführer, „Umsatz“ zu machen und ganz allgemein unter dem vorgegebenen Spardiktat. Unsere Ärzte sind keine Ärzte mehr, sondern „Leistungserbringer“! Kein Wunder, dass junge Mediziner ins Ausland abwandern, wo sie als Ärzte wahrgenommen werden und Wertschätzung erfahren. Dennoch ein Trost: In Baden-Württemberg macht eine Krankenkasse von sich reden – die AOK. Ihr Chef, Christopher Hermann, geht eigensinnig neue Wege. Er versteht die Krankenkasse nicht mehr nur als Geldverteilungsmaschine. Er schafft neue Strukturen, von denen Ärzte und Patienten gleichermaßen profitieren. Wir Schwaben können kein Hochdeutsch, aber den Gesundheitsmarkt krempeln wir ganz schön um. Kompliment an die AOK – Stichwort Hausarztverträge – und die Ärzteschaften. Kranksein macht sicher keinen Spaß, doch wahrscheinlich wird man in Baden-Württemberg schneller, angenehmer und vertrauensvoller gesund.

die meisten Gesundheitsreformen der Vergangenheit hatten primär das Ziel, irgendwo und irgendwie Geld einzusparen. Dadurch wurden die Probleme nie gelöst. Eine Reform, die alle Herausforderungen bewältigt, lässt sich freilich nicht aus dem Hut zaubern. Doch die gegenwärtige Bundesregierung hat einen erstaunlichen Paradigmenwechsel zustande gebracht. Statt Kostendämpfung haben wir auf das Austarieren zwischen Kosten und Nutzen geachtet. Bezahlt wird, was dem Patienten tatsächlich etwas bringt. Wir haben genug Geld im System; es muss nur mit Verstand und Augenmaß verteilt werden. Uns war die Steigerung der Versorgungsqualität der Patienten und die Zufriedenheit der Ärzte ein grundsätzliches Anliegen. Ein Meilenstein ist das Patientenrechtegesetz, das die Rechte unserer Patienten zum ersten Mal deutlich stärkt. In der nächsten Ausgabe des „Kompass Gesundheit“ wird der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Wolfgang Zöller, ausführlich über die Einzelheiten dieses Gesetzes berichten. Übrigens ein großes Kompliment an die Initiatoren dieses Magazins, die mit dem „Kompass Gesundheit“ künftig Ihrer Gesundheit und Ihrem Wohlergehen den richtigen Weg zeigen wollen. Mit herzlichen Grüßen, Ihr Michael Hennrich, MdB

Viel Spaß bei der Lektüre und bleiben Sie gesund Ihr Werner Waldmann

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Unser Redaktions-Beirat

Prof. Dr. Walter Aulitzky (Vorsitzender Krebsverband Baden-Württemberg)

Andrea Barth (Diplom-Oecotrophologin)

Dr. Wolfgang Bosch (Lehrbeauftragter der Univ. Tübingen, Fachbereich Allgemeinmedizin)

Dr. Ernst Bühler (Esslinger Initiative, Kreiskliniken Esslingen)

Dr. Hans-Joachim Dietrich (Vorsitzender Ärzteschaft Göppingen)

Dr. Rainer Graneis (Vorsitzender Kreisärzteschaft Esslingen)

Dr. Rudolf Handschuh (Fortbildungsbeauftragter Ärzteschaft Nürtingen)

Prof. Dr. Dipl.-Psych. Thomas Heidenreich (Prodekan Hochschule Esslingen)

Dieter Kress (Geschäftsführer AOK Neckar-Fils)

Christoph Mühlschlegel (Beirat Landesapothekerverband BadenWürttemberg)

Dr. Constanze Nebe (Gesundheitsamt Esslingen)

Dr. Stefan Reinecke MBA (Ärztlicher Direktor Innere Medizin II, Marienhospital Stuttgart)

Isolde Stadtelberger (Leiterin Frauenselbsthilfe nach Krebs)

Dr. Bernd Voggenreiter (Medizinischer Geschäftsführer Filderklinik)

Dr. Sieglind Zehnle (Fachärztin für Allgemeinmedizin)

Impressum Kompass Gesundheit – Das Magazin für Baden-Württemberg, Herausgeber: Dr. Magda Antonic Redaktionsleitung: Werner Waldmann (V.i.S.d.P.) Redaktions-Beirat: Prof. Dr. med. Aulitzky, Dipl. oec. troph. Andrea Barth, Dr. med. Wolfgang Bosch, Dr. med. Ernst Bühler, Dr. med. Hans-Joachim Dietrich, Dr. med. Rainer Graneis, Dr. med. Rudolf Handschuh, Prof. Dr. phil. Dipl.-Psych. Thomas Heidenreich, Dieter Kress, Christof Mühlschlegel, Dr. med. Constanze Nebe, Dr. med. Stefan Reinecke MBA, Isolde Stadtelberger, Dr. med. Bernd Voggenreiter, Dr. med. Sieglind Zehnle Medizinisch-wissenschaftlicher Beirat: Dr. med. Alexander Baisch, Prof. Dr. med. Alexander Bosse, Prof. Dr. med. Claudio Denzlinger, Prof. Dr. med. Rainer Dierkesmann, Dipl.-Psych. Sabine Eller, Dr. med. Wilhelm Gienger, Dr. med. Joachim Glockner, Dr. med. Christian Hayd, Prof. Dr. med. Bernhard Hellmich, Prof. Dr. med. Doris Henne-Bruns, Prof. Dr. med. Christian Herdeg, Prof. Dr. med. Monika Kellerer, Prof. Dr. med. Alfred Königsrainer, Prof. Dr. med. Ulrich Liener, Prof. Dr. med. Alfred Lindner, Dr. med. Gerhard Müller-Schwefe, Dr. med. Martin Runge, Dr. med. Udo Schuss, Dr. med. Nobert Smetak, Prof. Dr. med. Arnulf Stenzl, Prof. Dr. med. Egon Weidle, Holger Woehrle

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Juristische Beratung: RA Mirja K. Trautmann Patientenrechte: Markus Grübel (MdB), Wolfgang Zöller, Patientenbeauftragter der Bundesregierung, Berlin) Redaktion: Dr. J. Roxanne Dossak, Andrew Leslie, Ursula Pieper, Marion Zerbst Art Direction: Dr. Magda Antonic Herstellung: Barbara Schüler Druck: Bechtle Druck & Service, Esslingen Fotos: Cover: © Vladimir Blinov/ScanStockPhoto.com; S. 6: © mitarart/imagedirekt.de; S. 12: © naumoid/ imagedirekt.de; S. 24: © Flexmedia/fotolia.com; S. 32: © lighthunter/fotolia.com; S. 33: © Vital-Zentrum Sanitätshaus Glotz; S. 44: © vip2807/fotolia.com; für die Autoren- und Ärzteporträts liegen die Rechte bei den abgebildeten Personen; alle anderen Fotos: MEDITEXT Dr. Antonic

Verlag: MEDITEXT Dr. Antonic Verlagleitung: Dr. Magda Antonic Hagäckerstraße 4; D-73760 Ostfildern Tel.: 0711 7656494; Fax: 0711 7656590 dr.antonic@meditext-online.de www.meditext-online.de Wichtiger Hinweis: Medizin als Wissenschaft ist ständig im Fluss. Soweit in dieser Zeitschrift eine Applikation oder Dosierung angegeben ist, darf der Leser zwar darauf vertrauen, dass Autoren, Redaktion und Verlag größte Mühe

darauf verwandt haben, dass diese Angaben genau dem Wissensstand bei Drucklegung der Zeitschrift entsprachen. Dennoch sollte jeder Benutzer die Beipackzettel der verwendeten Medikamente selbst prüfen, um in eigener Verantwortung festzustellen, ob die dort gegebene Empfehlung für Dosierungen oder die Beachtung von Kontraindikationen gegenüber der Angabe in dieser Zeitschrift abweicht. Leser außerhalb der Bundesrepublik Deutschland müssen sich nach den Vorschriften der für sie zuständigen Behörden richten. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) müssen nicht besonders kenntlich gemacht sein. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt. Das Magazin und alle in ihm enthaltenen Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung von MEDITEXT Dr. Antonic strafbar. Die Redaktion behält sich die Bearbeitung von Beiträgen vor. Für unverlangt eingesandte Manuskripte, Fotos und Abbildungen wird keine Haftung übernommen. Mit Namen gezeichnete Artikel geben die Meinung des Verfassers wieder. Erfüllungsort und Gerichtsstand ist Esslingen. Copyright © 2013 by MEDITEXT Dr. Antonic 73760 Ostfildern ISSN 2194-5438

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inhalt Angst als Krankheit Fibromyalgie – keine eingebildete Krankheit

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Was junge Eltern wissen sollten

Impfen rettet Leben

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Deutschlandweite Studie zur Tabakentwöhnung

„BisQuits“ startet letzte Einschlussphase

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Angst vor einer Operation?

Die hohe Kunst der minimalinvasiven Chirurgie

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Prävention – wie geht das eigentlich?

Was wir tun müssten, um ein bisschen gesünder zu leben

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Ökonomisierung in der Medizin

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Sorgenkind ärztliche Versorgung?

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Betreuung schwerstkranker Patienten in der Filderklinik

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Leichter Abschied nehmen: Die Dignity-Therapie

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Palliativ- und Hospizkultur

Es geht ums Zuhören, Dasein und Zeitschenken

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Wer für andere sorgt, muss auch für sich selbst sorgen!

Pflegende Angehörige: eine schwierige Situation

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Zur Bedeutung der Palliativmedizin

Das Sterben so würdevoll wie möglich gestalten

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Die Rolle des Hausarztes in der Palliativversorgung

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Breites Spektrum der Urologie

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Erfolgreiches Arzt-Patienten-Forum in Göppingen

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Klinik und niedergelassene Ärzte

Enge Kooperation zum Wohl des Patienten

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Rubriken | Impressum 4 | Apotheker-Kolumne 14 | Aboformular 39 |

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Angst als Krankheit Dr. Carl-Ludwig v. Ballestrem

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Jeder Mensch hat in manchen Situationen Angst. Angst ist eine der menschlichen Grundemotionen. Es ist ein sinnvolles Gefühl, Angst zu haben, wenn wir z. B. in Gefahr sind. Dann kann uns die Angst schützen, sie kann uns dazu veranlassen, eine gefährliche Situation zu vermeiden. Wenn wir auf einem Berg an einem steilen Abhang entlanggehen, dann haben wir berechtigterweise Angst zu stürzen. Wir werden es möglichst vermeiden, zu nah an den Abhang zu gehen, oder wir versuchen, einen anderen Weg zu finden. Und wenn wir mit einer Waffe bedroht werden, haben wir Angst um unser Leben. Auch diese Angst ist berechtigt.

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nders ist es, wenn jemand in Situationen des täglichen Lebens Angst hat, auch wenn, genau betrachtet, keine oder zumindest keine unmittelbar erkennbare Gefahr besteht. Wenn jemand zum Beispiel Angst davor hat, mit der Straßenbahn oder mit dem Aufzug zu fahren, dann ist das nicht mehr normal. Auch wenn jemand eine solche Furcht vor Spinnen entwickelt, dass er heftige Angstzustände erlebt und mit Schweißausbrüchen davonläuft, dann ist dies keine gesunde Angst mehr. In solchen Fällen spricht man von einer Angst als Krankheit, einer Phobie, wie sie im medizinischen Fachjargon genannt wird.

Symptome und Häufigkeit Eine Angststörung zeichnet sich durch typische Symptome aus, die jedoch nicht alle auftauchen müssen. Die Beschwerden gliedern sich auf in vegetative Symptome, Beschwerden in Brust und Bauch, psychische und allgemeine Symptome. Diese Symptome sind zusätzlich zu dem starken Angstgefühl vorhanden. Typische vegetative Beschwerden sind: Herzklopfen, Schweißausbrüche, Zittern oder Mundtrockenheit. Im Brust- und Bauchbereich können Atembeschwerden, Beklemmungsgefühl, Schmerzen und Übelkeit auftreten. Typische psychische Beschwerden sind Schwindel, Unwirklichkeitsempfindungen (Derealisation), Angst vor Kontrollverlust oder die Angst zu sterben. Zu den allgemeinen Beschwerden werden Hitzewallungen, Kälteschauer oder Kribbelgefühle gerechnet. Angsterkrankungen kommen bei Frauen häufiger vor als bei Männern. Es ist davon auszugehen, dass etwa 20 % der Weltbevölkerung einmal im Leben eine Angststörung entwickeln. Die Angsterkrankungen gehören damit zu den häufigsten psychischen Erkrankungen überhaupt. Die häufigsten Diagnosen sind: soziale Phobie, spezifische Phobie und Agoraphobie.

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Klinische Klassifikation Für den klinischen Sprachgebrauch werden bei Angstzuständen vor allem drei Bereiche unterschieden: Phobie, generalisierte Angststörung und Panikstörung. Von einer Phobie wird gesprochen, wenn es um Angst vor bestimmten Objekten oder Situationen geht. Ein typisches Beispiel für eine situationsbedingte Angst ist die Agoraphobie. Eine Agoraphobie bedeutet, dass jemand z. B. Angst vor größeren Menschenansammlungen hat oder auch beim Alleinreisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln wie UBahn oder Zügen. Eine solche Angststörung kann sich aber auch anders zeigen. Manche Menschen schildern z. B. starke Ängste beim Autofahren, insbesondere beim Durchfahren von Tunneln. Ein anderes Beispiel für eine situationsbedingte Angst ist die soziale Phobie. Personen, die an sozialer Phobie leiden, schildern oft Ängste, wenn sie vor einer Gruppe von Menschen sprechen sollen oder ein Restaurant betreten. Diese Menschen haben große Schwierigkeiten, wenn sie aus irgendeinem Grund im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen. Eine typische objektbezogene Phobie ist die Angst vor Tieren (beispielsweise Spinnen, Hunden). Menschen mit einer solchen Phobie versuchen, diesen Tieren nach Möglichkeit aus dem Weg zu gehen. Menschen, die an einer Phobie leiden, versuchen, die angstbesetzten Situationen oder Objekte möglichst ganz oder teilweise zu vermeiden. Das ist bis zu einem gewissen Grad möglich. Irgendwann bedeutet dieses Verhalten jedoch für die Betroffenen eine spürbare Einschränkung. Wenn beispielsweise ein Versicherungsvertreter, der oft mit dem Auto unterwegs sein muss, Angstattacken beim Autofahren bekommt, dann stellt das für ihn auf die Dauer eine erhebliche Beeinträchtigung dar.

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Eine generalisierte Angststörung ist gekennzeichnet durch übermäßige Sorgen in Bezug auf alltägliche Probleme. Personen, die an einer generalisierten Angststörung leiden, machen sich oft Sorgen über gesundheitliche Probleme oder finanzielle Belange. Für die Mitmenschen sind die Sorgen und vor allem deren Ausmaß nicht nachvollziehbar. Für die Betroffenen selbst stellen sie jedoch meist ein existenzielles Problem dar. Sie steigern sich so in ihre Sorgen hinein, dass sie Angstzustände erleben. Personen mit einer generalisierten Angststörung haben oft auch ein gesteigertes Grundanspannungsniveau. Das bedeutet, dass sie bei unerwarteten Ereignissen (beispielsweise Klingeln der Hausglocke) heftig erschrecken. Das Wort Panik wird in der Umgangssprache inflationär verwendet. Meist ist ein Angstzustand damit gemeint. Im klinischen Sprachgebrauch wird jedoch eine Angststörung von einer Panikstörung unterschieden. Von einer Panik wird dann gesprochen, wenn ein Zustand intensiver Angst vorliegt, der jedoch unabhängig von bestimmten Situationen oder Objekten auftaucht. Das heißt, ein Panikzustand kommt aus „heiterem Himmel“. Diese Panikzustände beginnen innerhalb von wenigen Minuten und erreichen einen Höhepunkt. Die Dauer wird ebenfalls meist mit einigen Minuten beschrieben. Es kann auch vorkommen, dass eine Angststörung mit einer Panikstörung kombiniert ist. Im Falle einer Agoraphobie wird dieses Krankheitsbild dann als Agoraphobie mit Panikstörung bezeichnet.

Hilfe bei Angststörungen Wenn jemand unter seiner Angstproblematik leidet, sollte er sich professionelle Hilfe holen. Die Ängste vergehen nicht alle und nicht immer von selbst. Viele Menschen mit Angststörungen versuchen, die „kritischen“ Situationen Dr. med. Carl-Ludwig v. Ballestrem in ihrem LeArzt, Psychotherapeut ben zu verMaybachstraße 3 73760 Ostfildern meiden oder Tel: 0711 345 56 83 den angstFax: 0711 345 57 36 besetzten www.dr-ballestrem.de Objekten aus dem Weg zu gehen. Dies führt jedoch

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irgendwann dazu, dass das Leben der Betroffenen sehr eingeschränkt ist. So kann es zum Beispiel bei einem Agoraphobiker dazu führen, dass er seine Wohnung kaum noch verlässt, in der Hoffnung, dadurch Angstzustände zu vermeiden. Die notwendigen Besorgungen müssen dann durch andere Personen erledigt werden. Aber irgendwann hat der Betroffene alle Möglichkeiten ausgeschöpft, Angehörige, Freunde oder Bekannte um Unterstützung zu bitten. Dann kommt er erst auf die Idee, dass es besser ist, sich therapeutische Hilfe zu holen. Angststörungen können durch eine psychotherapeutische Behandlung gut behandelt werden. Verschiedene psychotherapeutische Möglichkeiten stehen dafür zur Verfügung. Von den gesetzlichen Krankenkassen sind drei psychotherapeutische Verfahren anerkannt, deren Behandlungskosten in begründeten Fällen auch übernommen werden: Tiefenpsychologie, Psychoanalyse und kognitive Verhaltenstherapie. Aber auch andere Techniken, die von den gesetzlichen Kassen nicht bezahlt werden, können hilfreich sein. Oft ist es sinnvoll, die Angststörung zusätzlich mit Medikamenten zu behandeln. Manche ausgeprägten Angstprobleme müssen langfristig, eventuell sogar dauerhaft medikamentös therapiert werden. Eine kombinierte Therapie mit Medikamenten und Psychotherapie ist für viele Betroffene eine gute Lösung.

Ein Fall Herr M. ist 30 Jahre alt und sucht eine psychotherapeutische Praxis auf. Als Symptom beschreibt er ein seit mehreren Jahren andauerndes starkes Angstgefühl, wenn er mit dem Auto unterwegs ist. Oft habe er auch Angst beim Nutzen von öffentlichen Verkehrsmitteln wie U-Bahn oder Bus. Die Angst beim Autofahren sei jedoch stärker. Es sei besonders schlimm, wenn er zum Beispiel an der roten Ampel stehe und eine Menge Autos hinter ihm stünden. Auch auf der Autobahn habe er schon mehrere Male erlebt, dass er wegen Schweißausbrüchen und Herzrasen anhalten musste. Die schlimmsten Attacken erlebe er, wenn er als Beifahrer nicht am Steuer sitzt und deshalb die Situation nicht kontrollieren kann. Er berichtet, dass er bereits einige Fahrstunden auf eigene Initiative bei einem Fahrlehrer gemacht habe, obwohl er den Führerschein schon seit Jahren hat. Aber die

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Angst sei nicht abgeklungen. Jetzt habe er den Eindruck, dass er dringend professionelle Hilfe benötige. Bei Herrn M. wird eine Agoraphobie diagnostiziert. Er entscheidet sich für eine therapeutische Kombination aus Medikamenten und Verhaltenstherapie. Durch Entspannungsübungen lernt Herr M., sein allgemeines Anspannungsniveau zu reduzieren. Nach einigen Wochen regelmäßigem Üben spürt er eine leichte Verbesserung seines Allgemeinbefindens. Die vielen negativen Gedanken, die ihm bei den Angstattacken durch den Kopf gehen, werden aufgeschrieben und mit ihm gemeinsam verändert. So lernt Herr M. langsam, sich von den angstbesetzten Gedanken, die oft unrealistisch oder übertrieben sind, zu distanzieren. In den Therapiestunden werden Situationen mit dem Auto und mit öffentlichen Verkehrsmitteln nachgestellt, geübt und vorbereitet. Es dauert eine Weile, bis er sich darauf einlassen kann. Eines Tages packt er seinen ganzen Mut zusammen und lässt sich auf die ersten sogenannten Expositionsübungen ein. Abwechselnd werden Übungseinheiten mit dem Auto, mit dem Bus und anderen öffentlichen Verkehrsmitteln durchgeführt. Vor allem die Übungsstunden mit dem Auto machen ihm anfangs noch erhebliche Probleme. Immer wieder muss er stehen bleiben und

aus dem Auto steigen, um sich zu beruhigen. An manchen schwierigen Stellen biegt er vorher ab, weil er sich diese noch nicht zutraut. Trotzdem werden diese Stellen immer wieder in das Therapieprogramm einbezogen. Herr M. verspürt nach einigen Monaten Besserung. Die Angst wird von Mal zu Mal schwächer – ein Effekt, der im medizinischen Fachjargon „Habituation“ genannt wird. Über den Zeitraum der psychotherapeutischen Behandlung nimmt er die Beruhigungstabletten, die ihm zusätzlich eine Hilfe sind und ihn stabilisieren. Nach neun Monaten wird eine Zwischenauswertung durchgeführt. Der Therapeut bittet Herrn M., seine Ängste auf einer Skala von Null bis Zehn einzutragen, wobei Zehn den maximalen Angstzustand bedeutet. Die Angst beim Autofahren hatte er bei Beginn der Therapie beim Wert Neun eingetragen. Jetzt trägt er diese Angst bei dem Wert Vier ein. Die Angst beim Nutzen von öffentlichen Verkehrsmitteln lag anfangs beim Wert Acht, jetzt liegt dieser Wert bei Drei. Herr M. beschließt nun, selbst weiter zu üben, was ihm auch gelingt. Er kommt nur noch einmal im Monat zur therapeutischen Sitzung. Mittlerweile kommt er auch ohne Beruhigungstabletten aus. Nach etwa einem Jahr und einer weiteren Reduzierung seiner Ängste kommt Herr M. alleine zurecht und beendet die Behandlung.

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Fibromyalgie – keine eingebildete Krankheit Prof. Dr. Bernhard Hellmich Lange Zeit war sie als „Modekrankheit“ verschrien; wer darunter litt, hatte zusätzlich noch das Problem, nicht ernst genommen zu werden. Heute weiß man: Es gibt sie tatsächlich, die Fibromyalgie. Und sie macht den Menschen, die daran leiden, das Leben manchmal ganz schön schwer. Neben ständigen Schmerzen quälen sie auch noch Schlafstörungen und Müdigkeit.

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rauen erkranken etwa sechsmal häufiger an Fibromyalgie als Männer; warum, weiß man noch nicht genau. Am häufigsten tritt die Erkrankung zwischen dem 50. und 59. Lebensjahr auf. Und sie ist gar nicht so selten: In Deutschland sind über 5 % aller 35- bis 74-jährigen Frauen davon betroffen.

Eine Krankheit mit vielen Gesichtern Das Hauptsymptom dieser Erkrankung ist der Ganzkörperschmerz. Den Betroffenen tut im wahrsten Sinn des Wortes alles weh – Muskeln, Gelenke, Knochen. Hinzu kommen andere Beschwerden, die sehr vielfältig sein können: Ein- und Durchschlafstörungen, Tagesmüdigkeit, vermehrte Erschöpfbarkeit. Auch die Konzentration ist gestört. Morgens haben die Patienten das Gefühl, dass ihre Hände oder Füße oder ihr Gesicht geschwollen sind; schaut man sie sich aber daraufhin an, so ist keine Schwellung festzustellen. Manche Betroffene leiden unter Ohrgeräuschen, Reizüberempfindlichkeit und vermehrtem Frieren oder Schwitzen; andere haben Spannungskopfschmerzen und Verdauungsprobleme; wieder andere kla-

Prof. Dr. med. Bernhard Hellmich Chefarzt und Ärztlicher Direktor der Klinik für Innere Medizin, Klinik Plochingen Kreiskliniken Esslingen gGmbH Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Tübingen Allgemeine Innere Medizin, Rheumatologie und Klinische Immunologie, Intensivmedizin Am Aussichtsturm 5; 73207 Plochingen Tel.: 07153 604-61401; Fax: 07153 604-66409 b.hellmich@kk-es.de www.kk-es.de

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gen über Herzrasen oder ein Druckgefühl in der Brust, obwohl ihr Herz eigentlich ganz gesund ist. Manche Patienten leiden an einem Gefühl der Atemhemmung, Husten, chronischen Unterbauchschmerzen oder nächtlichem Zähneknirschen. Wieder andere haben Schmerzen beim Wasserlassen. So gut wie alle Organsysteme können betroffen sein. Wer nun glaubt, dass dieses Krankheitsbild verdächtig an die Beschwerden eines Hypochonders erinnert, der irrt: Inzwischen weiß man, dass die Fibromyalgie keine „eingebildete Krankheit“ ist. Auch bei der Suche nach den Ursachen ist man inzwischen schon ein bisschen weitergekommen und hat herausgefunden, dass hinter der Fibromyalgie eine zentrale Schmerzverarbeitungsstörung steckt. Deshalb empfinden die Patienten es als besonders schmerzhaft, wenn man auf bestimmte Punkte an ihrem Körper drückt: Sie nehmen einen leichten Schmerzreiz sehr viel stärker wahr als andere Menschen. Auch hormonelle Ursachen spielen eine Rolle; so ist beispielsweise das Wachstumshormonsystem gestört. Und die Krankheit kommt familiär gehäuft vor, sodass wohl auch genetische Faktoren daran beteiligt sind.

Auch die Psyche ist betroffen Und die Fibromyalgie hat auch eine ausgeprägte psychische Komponente. Überzufällig häufig waren Fibromyalgie-Patienten in ihrer Kindheit oder Jugend besonderen Belastungen ausgesetzt: Sie mussten emotionale Vernachlässigung oder körperliche und sexuelle Gewalt erdulden. Oft sind sie mit einem chronisch kranken Elternteil aufgewachsen. Und häufig haben sie auch Stress in Beruf, Partnerschaft oder Familie. Viele Fibromyalgie-Pa-

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tienten leiden unter übergroßer Ängstlichkeit oder sind depressiv. Die Behandlung dieser Krankheit ist schwierig, und oft lässt sie sich leider nicht heilen. Wenn es gelingt, den Tag für den Patienten erträglich zu gestalten und seine Beschwerden zu lindern, hat man schon viel erreicht. Ein völlig schmerzfreies Leben bleibt für die Betroffenen in der Regel ein Wunschtraum. Allerdings bessert sich das Krankheitsbild im Lauf der Jahre häufig: So erfüllen nach zehn Jahren nur noch rund 65 % aller Patienten die Krankheitskriterien einer Fibromyalgie; bei den anderen liegt keine Fibromyalgie mehr vor, sie leiden aber trotzdem nach wie vor unter Schmerzen.

Die Therapie: Bewegung und Medikamente Ähnlich vielfältig wie das Krankheitsbild muss auch die Behandlung sein. Sehr wichtig ist eine Patientenschulung, die in Form von Einzelberatungen oder Gruppenschulungen ablaufen kann und in bestimmten auf Fibromyalgie spezialisierten Zentren angeboten wird. Denn der Patient muss darüber aufgeklärt werden, was seine Erkrankung bedeutet und dass es sich dabei wirklich um eine Krankheit und keine Einbildung handelt. Man muss ihm auch klarmachen, dass die Therapie ihre Grenzen hat und seine Beschwerden sich vielleicht niemals völlig beheben lassen. Sonst ist die Gefahr groß, dass er in seiner Verzweiflung von einem Arzt zum anderen wandert. Die Betreuung des Fibromyalgie-Patienten übernimmt in der Regel der Hausarzt – in schwierigen Fällen kann ein Facharzt Weichenstellungen ermöglichen. Ferner muss der Patient sich bewegen – auch wenn ihm das am Anfang vielleicht weh tut. Besonders hilfreich ist Ausdauertraining, das durch Kraft- und/oder Flexibilitätstraining ergänzt werden sollte. Häufig wird die medizinische Trainingstherapie an Geräten anfangs als schmerzhaft und anstrengend empfunden; aber bereits nach ein paar Wochen zeigen sich die positiven Wirkungen – Durchhalten lohnt sich also. Auch Wärmetherapie und die Anwendung von Meer- oder Thermalwasser können sinnvoll sein; sogar eine Schocktherapie in der Kältekammer hilft manchmal. Für die Wirksamkeit von Massagen gibt es hingegen keinen Nachweis, obwohl die Patienten häu-

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fig danach fragen in der Hoffnung, dass ihre Schmerzen sich dadurch lindern lassen. Gegen die Schmerzen hilft Amitriptylin, ein Medikament, das normalerO Feste Ansprechpartnerin weise zur Behandlung O Beratung und Anprobe in von Depressionen eingeanspruchsvoller Atmosphäre setzt wird und die PatienO Unabhängigkeit in der ten gleichzeitig auch tieAuswahl der Lieferanten fer und besser schlafen O Wir kümmern uns um die lässt. Wer Amitriptylin Abwicklung mit Ihrer nicht verträgt, kann auf Krankenkasse ein Antidepressivum aus O Wir wollen Sie auf Ihrem Weg der Gruppe der Serotozu Ihrer eigenen Lebensqualität nin-Wiederaufnahmebegleiten hemmer (z. B. Fluoxetin Esslingen · Rossmarkt 29 · Tel. 7587 8765 6516 16 Tel 75 Nellingen Tel.3348 4823 2383 83 oder Duloxetin) umsteiNellingen ·· Hindenburgstr. Hindenburgstr. 6 6 ·· Tel gen. Von den Schmerzmitteln ist nach den Ergebnissen wissenschaftlicher Studien nur Tramadol wirksam, das allein oder in Kombination mit Paracetamol eingenommen werden kann. Das Antiepileptikum Pregabalin (Lyrica®) kann die Schmerzen und Schlafstörungen ebenfalls lindern; allerdings muss es in einer recht hohen Dosis von 450 mg eingenommen werden. Psychische Begleiterkrankungenen müssen natürlich ebenfalls behandelt werden. Bei Verdacht auf eine Depression kann es sinnvoll sein, den Patienten einem Psychiater vorzustellen.

MammaVersorgung

Krankheitsbewältigung: ein schwieriger Weg Nach Ergebnissen von Studien akzeptieren die Patienten die Erkrankung nach ungefähr zwei Jahren und kommen dann im Tagesverlauf besser damit zurecht – die Krankheitsbewältigung ist also ein langsamer Prozess. Das fängt schon bei der Diagnose an: Sie wird von den Patienten häufig nicht akzeptiert und erfordert ein ausführliches, einfühlsames Arzt-Patienten-Gespräch. Die Betreuung von Fibromyalgie-Patienten ist sehr zeitintensiv und aufgrund der begrenzten Therapieerfolge weder für den Behandler noch für den Betroffenen einfach.

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Was junge Eltern wissen sollten

Impfen rettet Leben Marion Zerbst Die AOK engagiert sich sehr für junge Familien. Vor allem das Thema Impfen liegt ihr am Herzen. Viele Eltern wissen gar nicht, wie wichtig es ist, ihren Kindern die empfohlenen Impfungen zukommen zu lassen, oder sie haben unbegründete Ängste vor Risiken und Nebenwirkungen. Die Impfmüdigkeit in Deutschland nimmt immer mehr zu – mit gefährlichen Folgen für die Gesundheit von Kindern und auch Erwachsenen, denn Infektionserkrankungen wie Kinderlähmung können, wenn sie sich wieder ausbreiten sollten, nicht nur unserem Nachwuchs gefährlich werden, sondern auch uns selbst. In einer Pressekonferenz mit dem Esslinger Kinderarzt Dr. Ralph Alexander Gaukler informierte die AOK über dieses wichtige Thema.

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ber das Impfen gibt es sehr viele Vorurteile und Halbwahrheiten, die Eltern verunsichern und manchmal dazu führen, dass sie ihren Kindern lebenswichtige Impfungen vorenthalten. Dabei sind die Impfungen, die für Kinder heutzutage empfohlen werden, wirklich sinnvoll und absolut ungefährlich. „In Deutschland gibt es eine Institution, die die aktuelle Krankheitslage medizinischwissenschaftlich überprüft und daraus eine jährlich aktualisierte Impfempfehlung erstellt: die ständige Impfkommission (STIKO) am Robert-Koch-Institut“, erklärt Dr. Ralph Alexander Gaukler, der in Esslingen zusammen mit zwei weiteren Kollegen eine große Kinderarztpraxis betreibt. „Diese Kommission hat einen Impfkalender herausgegeben, in dem die empfohlenen Impfungen dem Lebensalter

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zugeordnet sind. Um Familien das Prozedere zu erleichtern, sind viele dieser Impfungen an die Termine der Vorsorgeuntersuchungen gekoppelt.“ Dazu gehören zahlreiche klassische Impfungen, die bereits seit vielen Jahrzehnten durchgeführt werden (z. B. gegen Tetanus, Diphtherie oder Kinderlähmung), aber auch andere, von denen man erst in den letzten Jahren zunehmend gelernt hat, wie wichtig sie sind, z. B. die Keuchhustenimpfung.

Viele „harmlose“ Infektionen sind für Kinder gefährlich „Keuchhusten galt früher als relativ harmlose Kinderkrankheit – bis sich dann herausgestellt hat, dass die Immunität, die man durch eine Keuchhustenerkrankung erwirbt, leider nicht lange anhält“,

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erklärt Dr. Gaukler. „Wer als Kind oder Jugendlicher Keuchhusten hatte, verliert seinen Schutz nach zehn bis fünfzehn Jahren wieder und kann als Erwachsener erneut, in abgemilderter Form, an Keuchhusten erkranken.“ Um Klarheit darüber zu gewinnen, wie oft so etwas vorkommt, hat man in Hamburg einmal alle Bürger, die länger als drei oder vier Wochen husteten, systematisch untersucht; und bei vielen dieser „Dauerhuster“ wurde tatsächlich festgestellt, dass sie nicht an einer einfachen Bronchitis, sondern an einer Keuchhusteninfektion litten. „Diese Menschen, die wochenlang hustend durch die Gegend laufen, können unzählige Babys anstecken“, sagt Dr. Gaukler. Und für so kleine Kinder ist diese Infektion eine echte Gefahr. „Ein Säugling, der eine Keuchhustenerkrankung bekommt, hustet nicht nur drei Wochen, sondern drei Monate – und das zum Teil so heftig, dass viele Kinder im Krankenhaus landen.“ Deshalb ist es wichtig, Babys möglichst frühzeitig – schon ab dem Alter von acht Wochen – gegen Keuchhusten zu impfen. „Oft fragen mich Eltern: Warum denn so früh – kann man damit nicht warten, bis das Kind ein bisschen stärker und stabiler ist? Aber gerade für kleine Babys ist eine Keuchhusteninfektion eben besonders gefährlich.“ Eine ähnlich große Gefahr geht von Infektionen mit Haemophilus-influenzae-Keimen aus. „Die sind eigentlich etwas ganz Alltägliches – jeder von uns hat schon einmal eine Nasennebenhöhlenentzündung durch Haemophiluskeime gehabt“, sagt Dr. Gaukler. „Es gibt aber einen Untertyp B mit einer Schutzkapsel, die es dem Bakterium ermöglicht, sich bei den kleinen Säuglingen am Immunsystem vorbeizuschleichen und tiefer in den Körper einzudringen.“ Früher, bevor die Impfung eingeführt wurde, kam es durch diesen Keim nicht selten zu schweren Hirnhautentzündungen. „Auslöser war auch hier wieder das Umfeld: Opa kam zu Besuch, hatte eitrigen Schnupfen – und schon war’s passiert.“ Die Zahl der eitrigen Hirnhautentzündungen bei Säuglingen ist durch die Einführung dieser Impfung drastisch zurückgegangen und beträgt jetzt zum Glück nicht einmal mehr ein Zehntel der ursprünglichen Fälle. Die Krankheitskeime gibt es aber nach wie vor, und wenn die Impfmüdigkeit bei den Eltern wieder zunimmt und weniger Säuglinge frühzeitig gegen Haemophilus influenzae geimpft werden, könnte diese Infektion erneut zu einer ernsten Gefahr werden. Wichtig ist bei jungen Säuglingen ferner die Impfung gegen Pneumokokken. Dieses Bakterium besitzt eine ähnliche Schutzkapsel wie der Haemophilus-Keim: Wenn Erwachsene sich damit anstecken, erkranken sie eher an lokalen Infekten wie Lungen-, Nasennebenhöhlen- oder Mittelohrentzündung; doch wenn ein kleines Baby sich damit infiziert, kann sich der Keim leicht im gesamten Körper ausbreiten und eine gefährliche Sepsis verursachen.

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Nach diesen Impfungen, die im ersten Lebensjahr stattfinden, wird um den ersten Geburtstag herum mit den Lebendimpfungen gegen die klassischen Kinderkrankheiten begonnen. Dieser Vierfachimpfstoff schützt vor Masern, Mumps, Röteln und Windpocken. „Bei Lebendimpfungen handelt es sich gewissermaßen um eine geplante Ansteckung mit diesen Krankheitserregern, aber in stark abgemilderter Form“, erklärt Dr. Gaukler. „Man hat diese Viren durch spezielle Zuchtverfahren so abgemildert, dass sie kaum noch Symptome verursachen. In der Woche nach der Impfung kann es zu leichtem Fieber oder Hautausschlägen kommen; diese Beschwerden lassen sich jedoch gut beherrschen, und so hat man zu einem Zeitpunkt, den man selbst bestimmen kann, bei einem ganz gesunden Kind diese Erkrankung kontrolliert durchgemacht.“ Auch diese Impfung ist wichtig, denn vor allem Masern sind eine nicht zu unterschätzende Gefahr: Die Sterblichkeit an dieser Erkrankung liegt in Deutschland auch heute noch bei etwa 1 %. Dieser Impfschutz hält ein Leben lang an, während andere Impfungen (beispielsweise Tetanus) regelmäßig aufgefrischt werden müssen. Außerdem empfiehlt die ständige Impfkommission eine Impfung gegen eine weitere Hirnhautentzündung, die durch C-Meningokokken verursacht wird. Solche Infektionen kommen selten vor; es gibt aber immer wieder kleine Epidemien, bei denen es zu sehr heftigen Krankheitsverläufen und leider auch immer wieder zu Todesfällen kommt. Seit Einführung der C-Meningokokkenimpfung sind diese gefährlichen Hirnhautentzündungen deutlich zurückgegangen.

Zu Risiken und Nebenwirkungen ... Natürlich erkundigen sich besorgte Eltern immer wieder nach den Nebenwirkungen solcher Impfungen. „Viele Eltern fragen mich: Was tue ich meinem Baby da an? Kann mein Kind an so einer Impfung sterben? Doch zum Glück gibt es mittlerweile sehr gute Impfstoffe, die eine äußerst überschaubare Nebenwirkungsquote haben. Nach so einer Impfung kommt es höchstens zu Reaktionen, wie sie sicherlich auch jeder Erwachsene nach einer Auffrischungsimpfung schon mal am eigenen Leib erfahren hat – z. B. Entzündungsreaktionen am Impfmuskel.“ Das ist etwas ganz Natürliches, ja sogar Wünschenswertes: „Wir wollen ja, dass sich das Immunsystem mit dem Impfstoff auseinandersetzt. Diese Auseinandersetzung ist nichts anderes als eine Entzündung, und die kann halt je nach Individuum harmlos oder auch etwas heftiger verlaufen, ähnlich wie bei einem Mückenstich.“ Solche Nebenwirkungen äußern sich hauptsächlich in Schmerzen, die man mit einfachen Medikamenten wie beispielsweise einem Paracetamol-Zäpfchen gut in den Griff bekommt. Die zweite recht häufige Nebenwirkung besteht darin, dass das Kind am Tag der Impfung oder einen Tag später Fieber bekommt. Auch solche

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Dr. med. Ralph Alexander Gaukler Facharzt für Kinderheilkunde und Jugendmedizin Obertorstraße 29 73728 Esslingen Tel.: 0711 355887 Fax: 0711 35130740 hgo@kinderaerzteesslingen.de

Impfreaktionen lassen sich mit Paracetamol oder Ibuprofen problemlos bekämpfen. „Wenn man darauf achtet, dass das Kind am Tag der Impfung gesund ist (wir untersuchen Kinder vor einer Impfung grundsätzlich immer), und die Impfung so plant, dass die Familie am nächsten Tag nicht unbedingt gleich eine Urlaubsreise antreten muss, ist das Ganze auch für einen kleinen Säugling problemlos zu verkraften.“ Und wenn man mal einen Impftermin verpasst hat? Auch das ist kein Problem, denn die Impfungen lassen sich jederzeit nachholen: „Zu uns kommen auch Migrantenkinder aus Gegenden, in denen die medizinische Versorgung nicht so gut ist. Bei denen holen wir die Impfungen dann oft im Alter von acht oder zehn Jahren noch nach.“ Grundsätzlich gilt aber schon, dass man die empfohlenen Impftermine einhalten sollte,

damit das Kind möglichst frühzeitig vor gefährlichen Infektionserkrankungen geschützt ist. Dr. Gaukler rät, sich schon frühzeitig auf den ersten Besuch beim Kinderarzt vorzubereiten: „Wir empfehlen werdenden Eltern, die sich telefonisch bei uns melden und sagen, dass sie ihr erstes Kind erwarten, immer eine frühzeitige Kontaktaufnahme. Am besten ist es, vorab schon mal ein Informationsgespräch zu führen. Da gibt es ja meistens viele Fragen; außer dem Impfen geht es auch um Themen wie Ernährung und Vitaminprophylaxe und überhaupt um den richtigen Umgang mit dem Kind. In solchen ganz banalen Alltagsdingen, die früher noch in den Familien vermittelt wurden, fehlt jungen Eltern heute oft die Kompetenz und das Wissen. Da ist es schon wichtig, sich die fachkundigen Informationen möglichst frühzeitig zu holen.“

Die Apotheker-Kolumne

Nicht alle Medikamente eignen sich für ältere Patienten!

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ltere Menschen müssen oft mehrere Medikamente pro Tag einnehmen. Das kann Probleme mit sich bringen, denn je mehr Arzneimittel man schluckt, umso eher können Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Substanzen auftreten. Außerdem weiß man inzwischen, dass viele Medikamente für ältere Menschen nicht geeignet sind. Das liegt u. a. daran, dass Leber und Nieren im Alter an Funktionsfähigkeit einbüßen und Arzneimittelsubstanzen nicht mehr so gut abbauen können. Ferner reagieren alte Menschen empfindlicher auf Medikamente, die ihre Wirkung im Gehirn oder am Nervensystem entfalten. Die häufigsten unerwünschten Nebenwirkungen von Arzneimitteln im Alter sind Schwindel und Benommenheit, Stürze, Verwirrtheit, Verdauungsstörungen, Übelkeit, Schlafprobleme und Mundtrockenheit. Solche Probleme sollte man also nicht einfach aufs Alter schieben, sondern stets daran denken, dass sie durch ein Medikament hervorgerufen worden sein könnten. Dieser Verdacht liegt natürlich vor allem dann nahe, wenn man ein neues Arzneimittel erst seit kurzem einnimmt. Besonders problematisch sind bestimmte verschreibungspflichtige Schlaf- und Beruhigungsmittel (Benzodiazepine). Viele dieser Medikamente haben eine muskelentspannende Wirkung. Außerdem erzeugen sie ein Gefühl der Benommenheit, das oft auch am nächsten Morgen noch anhält. Das macht die Patienten müde und lethargisch. Und beides zusammen erhöht natürlich das Sturzrisiko – vor allem, wenn man nachts erwacht

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und zur Toilette gehen muss. Ferner verschlechtern solche Substanzen die Gedächtnisfunktion und beeinträchtigen Aufmerksamkeit, Konzentrationsvermögen und Bewegungskoordination. Auch bestimmte Antidepressiva, Neuroleptika (Medikamente gegen psychische Erkrankungen) und Schmerzmittel können problematisch sein. Natürlich sollte niemand ein vom Arzt verschriebenes Medikament eigenmächtig absetzen. Dies kann erst recht zu gefährlichen Reaktionen führen. Sprechen Sie mit Ihrem Arzt oder Apotheker, wenn Sie glauben, unter unerwünschten Nebenwirkungen eines Arzneimittels zu leiden! Oft lässt sich das Problem leicht lösen, indem der Arzt die Dosis verringert, das Mittel durch ein anderes ersetzt oder aber eine Kombinationstherapie aus zwei oder mehreren verschiedenen Medikamenten verschreibt. Solche Kombinationen haben den Vorteil, dass man die einzelnen Präparate dann niedriger dosieren kann. Dadurch treten weniger Nebenwirkungen auf. In Ihrer Apotheke können Sie auch jeChristof Mühlschlegel derzeit einen InterRosenau Apotheke aktions-Check über Plochinger Str. 81; 73730 Esslingen Ihre Medikamente Tel.: 0711 315477-0 Fax: 0711 315477-19 machen lassen, um muehlschlegel@rosenau-apotheke.de Wechselwirkungen www.rosenau-apotheke.de zu erkennen.

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Ich hör’ dann mal „kurz“ auf Deutschlandweite Studie zur Tabakentwöhnung „BisQuits“ startet letzte Einschlussphase An Silvester haben es wieder zahlreiche Raucher versucht: mal eben „kurz“ mit dem Rauchen aufzuhören. Mit dieser sogenannten Silvester-Methode schaffen es aber nur wenige, das Rauchen erfolgreich und langfristig sein zu lassen. Mit Unterstützung (z. B. durch einen Gruppenkurs) steigen die Aufhörquoten deutlich an. Wie lange ein solcher Kurs dauern muss, um effektiv und gleichzeitig effizient zu sein, wird im Rahmen der deutschlandweiten BisQuits-Studie von Wissenschaftlern in Heidelberg, Stuttgart, München, Chemnitz und Berlin untersucht. Zwei der Studienzentren befinden sich in Baden-Württemberg.

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ur 3–5 % der spontanen Aufhörversuche ohne Unterstützung gelingen langfristig. Raucher wissen zwar meist um die Schädlichkeit des Rauchens, und in Befragungen wird von vielen der Wunsch geäußert, aufhören zu wollen; dennoch fällt es vielen schwer, die jahre- oder jahrzehntelange Gewohnheit aufzugeben. Der Wille allein, auf den häufig gezählt wird, reicht bei den meisten nicht aus. Neben der Gewohnheit ist dafür bei über 60 % eine Abhängigkeit vom Tabak bzw. vom Nikotin verantwortlich. Wissenschaftlich fundierte Tabakentwöhnung fußt daher auf zwei Pfeilern: der Verhaltensänderung und gegebenenfalls einer medikamentösen Unterstützung. Nicht jeder Raucher muss dafür jedoch in einen mehrwöchigen Kurs gehen. Wie viel Tabakentwöhnung der einzelne Raucher benötigt, wird seit Ende 2011 in der deutschlandweiten EntwöhnungsStudie „BisQuits“ an den Standorten Heidelberg, Stuttgart, München, Chemnitz und Berlin unter der wissenschaftlichen Leitung der Thoraxklinik Heidelberg untersucht. Dabei wird in drei Studiengruppen ein Kompaktkurs über zwei Termine gegenüber etablierten mehrwöchigen Entwöhnungskursen und gegenüber einem kurzen Ratschlag zum Rauchstopp getestet. „Wir nähern uns mittlerweile 400 Teilnehmern und möchten die Einschlussphase im ersten Quartal 2013 beenden“, so der Studienleiter aus Stuttgart, Dr. Alexander Rupp. Die BisQuits-Studie ist eine der größten Entwöhnungsstudien in Deutschland. Der Name der Studie leitet sich aus dem englischen Wort „brief“ (= kurz) ab und kann übersetzt werden mit „Kurzinterventionsstudie zum Rauchstopp“ (BISQUITS = Brief intervention study for quitting smoking). Die bisherigen Ergebnisse der Zwischenauswertung seien sehr ermutigend, so Dr. Rupp. „Um belastbare Zahlen zu haben, brauchen wir jedoch noch weitere Studienteilnehmer und müssen die Auswertung am Ende der Studie abwarten.“ Ziel der Studie ist die Prüfung der Akzeptanz und der Effektivität des neuen Kompaktkurses. „Sind wir erfolgreich mit unserem Vorhaben, wird eine Kostenerstattung seitens der Krankenkassen beantragt werden, welche bislang meist nur mehr-

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wöchige Kurse bezuschussen. Gelingt uns dies, so haben wir eine wesentlich kürzere Maßnahme als bisher an der Hand, die sowohl für Rauchende als auch für Ärzte und Therapeuten deutlich attraktiver sein dürfte“, so Dr. Rupp. An der Studie teilnehmen können Raucher, die aufhören möchten und älter als 18 Jahre sind.

Ablauf der Studie Im Rahmen eines Erstgespräches werden die Studienteilnehmer per Zufallsverfahren einer der drei Studiengruppen zugeteilt (randomisiert). Drei Monate nach dem Ende der jeweiligen Intervention erfolgt ein kurzes Telefoninterview. Weitere Untersuchungen am Studienzentrum werden nach sechs und zum Studienende nach zwölf Monaten durchgeführt. Nach dem Ende der Studie erhalten Teilnehmer eine Aufwandsentschädigung. „Hervorgehoben werden muss, dass die Studie unter realen Bedingungen stattfindet“, so Dr. Rupp. Das bedeutet, dass Studienteilnehmer für Gruppenkurse bezahlen müssen. „Wir möchten damit eine Verzerrung der Ergebnisse durch künstliche Studienbedingungen vermeiden.“ Für mehrwöchige Kurse erhalten die Teilnehmer von den Krankenversicherungen einen Teil der Kursgebühren zurückerstattet. Dies soll mit der Studie auch für den Kompaktkurs erreicht werden.

Teilnahme an der Studie Interessierte können sich direkt mit dem entsprechenden Studienzentrum in ihrer Nähe in Verbindung setzen. Die jeweiligen Kontaktdaten finden sich im Internet unter: www.bisquits-studie.de oder können in der Studienzentrale Heidelberg angefragt werden (Tel. 06221 396-2888, Fax -2889).

Ansprechpartner in Stuttgart: Dr. med. Alexander Rupp Tel.: 0711 74039811 stuttgart@bisquits-studie.de

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Angst vor einer Operation?

Die hohe Kunst der minimalinvasiven Chirurgie Es gibt vermutlich nur wenige Menschen, die vor einem chirurgischen Eingriff keine Angst haben. Eine Operation ist eine Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit. Wahrscheinlich spielt auch die Vorstellung, durch die Narkose den Ärzten hilflos ausgeliefert zu sein, dabei eine wichtige Rolle. Vor einem Eingriff in lokaler Anästhesie mag der Patient eher eine ganz konkrete Angst vor möglichen Schmerzen haben, oder das Handeln der Ärzte, ihre Gespräche, die Geräusche durch das Instrumentarium ängstigen ihn. Doch eine Operation in Narkose – das bedeutet, dass man sein Leben fremden Menschen anvertraut. Das macht Angst.

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ei einer Brust- oder Bauchoperation muss in der Regel der Körper durch mehr oder weniger große Schnitte eröffnet werden. Die Wunde wird dann mit Wundhaken aufgespreizt, damit der Arzt freie Sicht auf die Organe hat. Diese Operationswunden müssen wieder vernäht werden, und sie müssen heilen. Das ist ein unangenehmer bis schmerzhafter Prozess. Nun hat sich in der Chirurgie seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts enorm viel verändert. Offene Operationen sind eher selten geworden. Standard sind minimalinvasive Eingriffe. Dabei wird der Bauch nicht mehr durch einen Schnitt eröffnet; der Operateur führt durch wenige Millimeter kleine Einschnitte hülsenförmige Instrumente, Trokare genannt, in die Bauchhöhle ein und bläst diese mit Gas auf, um gute Sicht zu haben. Über diese Trokare wird eine Miniaturvideokamera eingeführt, außerdem die Beleuchtung und Spezialinstrumente, mit denen

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Organe und Gefäße freipräpariert und genäht bzw. geklammert werden. Was im Körper geschieht, zeigt die Miniaturkamera auf einem großen, hochauflösenden Flachbildmonitor. Nach der Operation müssen lediglich diese kleinen Einschnitte vernäht oder verklebt werden, die sehr rasch und fast schmerzfrei verheilen und auch keine hässlichen großen Narben zurücklassen. Minimalinvasive OPs sind heutzutage unverzichtbar, und jede Klinik bietet sie an. Dennoch wird auch heute noch sehr viel offen operiert. Dafür nennen die Chirurgen gute Gründe. Offenes Operieren war, seit es die Chirurgie gibt, Standard; minimalinvasives (oder laparoskopisches) Operieren, zumindest bei großen Operationen, bei denen etwa bösartige Tumoren aus dem Darm entfernt werden, ist kompliziert und birgt für weniger erfahrene Chirurgen Risiken – es sei denn, der Operateur ist ein

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Meister seines Fachs. Dr. Klaus Kraft gilt als Meister der minimalinvasiven Methode. Werner Waldmann und Dr. Magda Antonic sprachen mit Dr. Kraft über die Kunst des minimalinvasiven Operierens, über den Nutzen für die Patienten und die Frage, welche Anforderungen der Chirurg dabei erfüllen muss. Welche Operationen führen Sie minimalinvasiv durch? Dr. Kraft: Alles, was geht – von kleinen, einfachen Eingriffen bis hin zu größeren, komplizierteren Operationen. Laparoskopische Gallenblasenentfernungen gehören beispielsweise bei Gallensteinleiden inzwischen bereits zum Standard. Solche Eingriffe führen wir grundsätzlich minimalinvasiv durch (mehr als 99 %). Nur in sehr schwierigen Fällen (etwa bei starken Vereiterungen oder Verwachsungen) ist noch eine offene OP notwendig (weniger als 1%). Ähnlich sieht es bei Leisten- und Narbenbrüchen aus: Bei der laparoskopischen Hernienchirurgie decken wir die Bruchlücken von innen mit eigens hierfür entwickelten Netzen ab, damit sich in der Bruchstelle keine Darmabschnitte einklemmen können. Und welches sind die schwierigeren Eingriffe? Dr. Kraft: Dazu gehören beispielsweise Darmkrebs- und Divertikeloperationen. Viele Menschen leiden – vor allem in höherem Alter – unter Divertikeln: gutartigen Ausstülpungen der Darmschleimhaut, die nicht immer Beschwerden verursachen, in schlimmen Fällen aber zu schmerzhaften Entzündungen oder gefährlichen Blutungen führen können. Dann muss das Darmteil mit den Divertikeln entfernt werden. In Abhängigkeit von der Erfahrung des Operateurs kann man das in fast allen Fällen (auch bei schwerster Entzündung und Darmdurchbruch) laparoskopisch machen. Auch bösartige Darmtumore können wir in den meisten Fällen minimalinvasiv entfernen. Das war aber nicht immer so, sondern hat sich erst in den letzten 20 Jahren allmählich entwickelt. Zunächst einmal hat ein Chirurg, der zuvor an offene OPs gewöhnt war, eine lange Lernkurve. Er muss lernen, mit den Instrumenten umzugehen, und sich auch eine neue Art des Sehens aneignen – nämlich, dass er nicht mehr dort hinschaut, wo er arbeitet, sondern auf den Bildschirm. Diese Hand-Augen-Entkoppelung ist für jemanden, der bisher nur offen operiert hat, eine große Umstellung. Hinzu kam noch die Lernkurve der Industrie, die immer wieder neue Instrumente und Optiken entwickelt und die Bildqualität laufend verbessert hat. Deshalb waren manche Eingriffe (z. B. Bauchspeicheldrüsen- und Dickdarmchirurgie) am Anfang minimalinvasiv nicht möglich, weil man weder die nötigen Instrumente noch die Erfahrung dazu hatte. Ich vergleiche das minimalinvasive Operieren gern mit dem Essen mit Stäbchen: Wer von klein auf daran gewöhnt ist, für den ist das nichts Besonderes. Wenn aber jemand, der mit

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Messer und Gabel aufgewachsen ist, nun plötzlich umlernen soll, wird es schwierig. Größere Bissen kann er vielleicht gerade noch mit dem Stäbchen in den Mund hineinbugsieren; aber spätestens bei Reis oder Suppe ist er aufgeschmissen. Das war bei uns am Anfang ganz ähnlich: Zunächst haben wir uns im Interesse der Patienten nur an ganz einfachen minimalinvasiven Operationen geübt und uns an kompliziertere Eingriffe erst später herangewagt. Viele Chirurgen wehrten sich in der Anfangszeit auch gegen das minimalinvasive Operieren, weil sie nicht umlernen wollten, und versuchten die neue Methode deshalb schlechtzureden. Doch inzwischen liegen die Vorteile der minimalinvasiven Vorgehensweise ganz klar auf der Hand. Welche Vorteile sind das? Dr. Kraft: Zunächst einmal sieht man beim laparoskopischen Operieren wesentlich mehr. Doch auch hier mussten wir erst mal eine Menge Vorurteile überwinden, die der Begriff „Schlüssellochchirurgie“ sehr gut veranschaulicht. Ich mag dieses Wort eigentlich nicht besonders, weil es beim Patienten den Eindruck erweckt, als sehe man bei dieser Operationsmethode nicht richtig. Dabei stimmt das gar nicht. Denn wir schauen beim laparoskopischen Operieren ja nicht durchs Schlüsselloch, sondern kommen durch ein Schlüsselloch – das heißt, ohne große Schnitte – in den Bauchraum hinein. Dort können wir mit unserer Optik alles ansehen, und das sogar besser als bei einer offenen OP: Man kann in jede Ecke und jeden Winkel hineinschauen und alles um das Drei- bis Vierfache vergrößern. Das ist vor allem bei Krebsoperationen von Vorteil, denn dabei ist genaues Sehen von entscheidender Wichtigkeit – zum Beispiel, damit man den richtigen Sicherheitsabstand einhält, in den richtigen Körperschichten operiert und dadurch den Tumor nicht verletzt, was zu einer Streuung von Krebszellen in den Bauchraum führen könnte. Für die Patienten ist sicherlich auch das kosmetische Ergebnis ein wichtiges Kriterium. Dr. Kraft: Ja. Davon sind viele unserer Patienten am meisten beeindruckt – weil man eben mit kleineren Schnitten auskommt und hinterher keine großen Narben zu sehen sind. Doch es gibt noch viel weitreichendere Vorteile, die der Patient gar nicht so richtig mitbekommt – zum Beispiel, dass nach einem minimalinvasiven Eingriff viel weniger Verwachsungen im Bauchraum entstehen. Auch das Risiko, dass die Narbe wieder aufbricht, ist geringer. Bei offenen OPs kommt es immerhin bei bis zu 15 % aller Bauchschnitte zu einem Narbenbruch. Hinzu kommt, dass die körpereigene Abwehr im Bauchraum sehr gut, in der Bauchdecke dagegen ziemlich schlecht ist, sodass in diesem Bereich schon eine sehr geringe Menge von Keimen genügt, um Eiter oder einen Abszess hervorzurufen.

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Auch deshalb ist es vor allem bei entzündlichen Erkrankungen ein Riesenvorteil, wenn die Bauchdecke nicht eröffnet werden muss: Man geht einfach mit dünnen Röhrchen (so genannten Trokaren) durch die Bauchdecke hindurch, und alle Instrumente werden durch diese Trokare ein- und wieder ausgeführt. So bleibt die Bauchdecke vor Keimen geschützt. Und nicht zuletzt heilen die kleinen Wunden nach einem laparoskopischen Eingriff natürlich auch viel schneller; der Patient ist eher wieder fit und kann aus dem Krankenhaus entlassen werden. Das ist gewissermaßen die Belohnung für die Mühe des Operateurs: wenn er hinterher sieht, wie schnell es seinem Patienten wieder gut geht. Für den Chirurgen selbst ist das minimalinvasive Operieren nämlich oft wesentlich unbequemer und anstrengender als das offene. Wenn ich meine Patienten nach einer schwierigen OP sehe und frage: „Na, wie haben Sie es überstanden?“, dann freuen sie sich: „Prima, mir tut kaum etwas weh“ – und ich sage dann manchmal: „Bei mir ist das anders. Mir tut alles weh – Rücken, Genick, Schultern ...“ Doch für das Wohlbefinden meiner Patienten nehme ich diese Unannehmlichkeiten gern in Kauf. Seit einiger Zeit macht auch das NOTES-Verfahren von sich reden, bei dem man Patienten durch natürliche Körperöffnungen operiert und auf diese Weise fast ganz ohne Narben auskommt. Bieten Sie so etwas an Ihrer Klinik auch an? Dr. Kraft: Ja, wobei die Nachfrage nach NOTES bei

uns interessanterweise nicht so groß ist, wie man eigentlich erwarten würde. Dieses Verfahren lässt sich bisher ja eigentlich auch nur bei Frauen durchführen, indem man bei einer laparoskopischen Gallenblasenentfernung einen Zugang durch die Scheidenhinterwand schafft und somit die Schnitte am Bauch vermeidet. Das bieten wir Patientinnen, für die eine solche Vorgehensweise in Frage kommt an, und einige machen auch Gebrauch davon. Allerdings ist der zusätzliche Vorteil, den man dadurch gewinnt, relativ klein: Bei einer „normalen“ minimalinvasiven Gallenblasen-OP braucht man einen Bauchschnitt, der normalerweise etwa 1 bis 2 cm groß ist, sodass die zu entfernende Gallenblase oder die Gallensteine hindurchpassen. Diesen Schnitt kann man sich bei NOTES sparen. Der Schritt von der offenen zur minimalinvasiven Operation war ein Quantensprung. Im Vergleich dazu ist der Schritt von der minimalinvasiven OP zu NOTES nur ein „Sprüngle“. Trotzdem ist es sinnvoll, immer wieder neue Horizonte anzustreben – auch wenn es auf den ersten Blick keinen großen Sinn zu haben scheint. Ich vergleiche das gern mit der Mondlandung: Im Prinzip hat auch niemand etwas davon gehabt, dass wir Menschen auf dem Mond landen konnten. Trotzdem hat sich eine ganze Menge an neuen Produkten und Instrumenten daraus entwickelt. Man muss innovativ sein und die Wissenschaft immer weiter vorantreiben. Dauert ein minimalinvasiver Eingriff denn nicht viel länger als ein offener? Dr. Kraft: Nein. Auch das ist so ein Vorurteil aus der Anfangszeit des minimalinvasiven Operierens. Die Zeit für das Aufschneiden und Wiederzunähen der Bauchdecke entfällt ja. Deshalb kann man viele Operationen mit dem Laparoskop schneller durchführen als bei einem offenen Eingriff. Nur früher dauerten minimalinvasive Operationen manchmal tatsächlich länger, weil es den Chirurgen noch an Übung fehlte. Und wie steht es mit den Kosten? Dr. Kraft: Die sind nach wie vor ein Problem, wobei wir es jetzt schon sehr viel einfacher haben als früher. Bis vor rund zehn Jahren wurden Krankenhäuser in Deutschland ja für die Anzahl der Tage bezahlt, die der Patient im Krankenhaus verweilte. Ein Gallenblasenpatient lag nach einer offenen OP bei-

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spielsweise zwei Wochen lang im Krankenhaus, das dadurch 14-mal eine bestimmte Tagespauschale bekam, mit der sich der Eingriff gut finanzieren ließ. Dann kam die neue Methode, die nicht nur teurer war, sondern auch dafür sorgte, dass die Patienten schon nach zwei bis drei Tagen wieder heimgehen konnten. Das war für die Kliniken, die damals anfingen, minimalinvasive OPs durchzuführen, in den ersten Jahren ein großer finanzieller Nachteil – sie haben sich mit dem neuen Verfahren gewissermaßen ins eigene Fleisch geschnitten. Doch jetzt haben wir ja die DRGs, also die diagnosebezogenen Fallpauschalen, bei denen Kliniken nicht mehr pro Krankenhaustag, sondern pro Fall bezahlt werden. Das heißt, jetzt freut sich der Patient, wenn er schneller nach Hause darf, und für das Krankenhaus lohnt es sich auch. Die minimalinvasiven Eingriffe sind zwar immer noch etwas teurer als die offenen OPs. Andererseits fordern die Patienten mittlerweile bei bestimmten Eingriffen eine minimalinvasive Operation ein, und wenn man das nicht macht, würden sie sich – zu Recht – eine andere Klinik suchen. Manchmal ist ja auch ein Umstieg von der minimalinvasiven auf eine offene OP notwendig. Kommt so etwas oft vor? Dr. Kraft: Auch das hängt von der Erfahrung des Operateurs ab. Die Sicherheit des Patienten hat immer oberste Priorität. Deshalb muss ein Chirurg in Situationen, in denen er es sich aus irgendeinem Grund nicht zutraut, weiter minimalinvasiv zu operieren, auf das offene Verfahren umsteigen – auch wenn das für den Patienten vielleicht nicht der komfortablere oder kosmetisch schönere Weg ist. Bei mir kommen solche Umstiege aber nur sehr selten vor; bei mehreren Tausend Operationen kann ich die Anzahl solcher Fälle pro Jahr an einer Hand abzählen. Die Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie der Kliniken Kirchheim und Nürtingen ist seit zwei Jahren Kompetenzzentrum für minimalinvasive Chirurgie. Wie erlangt man eine solche Zertifizierung? Dr. Kraft: Dazu muss man jedes Jahr eine gewisse, ziemlich hohe Zahl an minimalinvasiven Eingriffen bestimmter Kategorien durchführen. Dazu gehören sowohl leichte als auch schwierigere Eingriffe wie

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Vom Lehramtskandidaten zum Chirurgen Ursprünglich wollte Klaus Kraft Lehrer werden: „Ich stand schon kurz vor dem Staatsexamen für die Fächer Englisch, Französisch und Sport, brach mein Studium aber dann ab, weil ich mir nicht vorstellen konnte, 40 Jahre lang immer das Gleiche machen und immer Recht haben zu müssen.“ Anschließend begann er in den USA Medizin zu studieren. Im Rahmen seiner chirurgischen Tätigkeit pendelt Klaus Kraft zwischen den beiden Kliniken in Nürtingen und Kirchheim hin und her und behandelt nicht nur Privatpatienten, sondern unabhängig vom Versicherungsstatus alle schwierigen Fälle. An seinem Beruf fasziniert ihn am meisten, dass man das positive Ergebnis nach einem chirurgischen Eingriff sofort sieht: „Es gibt kaum eine Sparte in der Medizin, wo man so direkt vom Erfolg verwöhnt wird“, meint er. „Das macht geradezu süchtig. Deshalb können Chirurgen, wenn sie ins Pensionsalter kommen, auch nur schwer mit ihrem Beruf aufhören. Ihnen fehlt dieses Erfolgserlebnis, diese Dankbarkeit der Patienten.“ Doch trotz seines Erfolges ist Klaus Kraft bescheiden geblieben: „Ein Chirurg ist in erster Linie ein Handwerker, der natürlich auch gut mit Menschen umgehen können muss“, meint er. „Und je mehr Erfahrung er hat, umso besser beherrscht er sein Handwerk.“

Kreiskliniken Esslingen gemeinnützige GmbH Klinik Kirchheim; Eugenstr. 3; 73230 Kirchheim unter Teck Klinik Nürtingen; Auf dem Säer 1; 72622 Nürtingen Dr. med. Klaus Kraft, Chefarzt der Klinik für Allgemeinund Viszeralchirurgie Tel. Sekretariat: 07022 78-21100

beispielsweise Bauchspeicheldrüsen- und DarmOPs. Man muss aber auch Anforderungen im Hinblick auf die Fortbildung anderer Chirurgen erfüllen – das heißt, ein solches Zentrum muss seine Kompetenz auch an andere weitergeben. Solche Fortbildungsveranstaltungen finden teilweise hier bei uns in der Klinik statt: Wir bieten mehrmals im Jahr Hospitationskurse an, in denen Ober- und Chefärzte anderer Kliniken uns beim Operieren zuschauen und praktisch und theoretisch ausgebildet werden. Ich selbst bin außerdem regelmäßig in mehreren deutschen Zentren (Berlin, Hamburg, Tuttlingen) als Kursleiter tätig und reise auch oft in andere Länder, um mein Wissen dort weiterzugeben.

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Prävention – wie geht das eigentlich?

Was wir tun müssten, um ein bisschen gesünder zu leben Dieter Kress und Werner Waldmann

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rävention heißt „Krankheiten vorbeugen“. Das funktioniert leider nicht immer, denn manche Erkrankungen sind Schicksal. Viele Krebsarten lassen sich z. B. kaum verhindern – trotz geballter Offerten von Nahrungsergänzungsmittelherstellern und aberwitziger Vorschläge, wie man sich ernähren soll (Stichwort Brokkoli & Co.). Aber vor unseren heutigen weit verbreiteten Zivilisationsleiden, den so genannten Volkskrankheiten, kann man sich durchaus schützen. Diabetes muss man nicht unbedingt bekommen, wenn man sich ausgewogen ernährt und regelmäßig bewegt. Ausgewogene Ernährung bedeutet zum Beispiel, die Finger von Fastfood und Snackriegeln zu lassen, weil die nun mal viel Zucker und oft auch jede Menge ungesundes Fett enthalten. Auch der Alkoholkonsum wird in unserer modernen Gesellschaft immer mehr zum Problem. Viele Menschen überschreiten regelmäßig die Grenze zu riskantem Trinken – vielleicht, weil sie das Gefühl haben, den Stress ihres Berufs- und Alltagslebens irgendwie ertränken zu müssen, oder weil man sich abends in geselliger Runde eben leicht dazu verführen lässt, ein Gläschen mehr zu bestellen, als einem guttut. Wer trinkt auf einer Party oder in der Kneipe schon Sprudel oder Apfelsaftschorle? Das tun nur die wenigsten; also bestellt man sich, dem Zwang der Masse folgend, eben auch ein Getränk mit ein paar Prozenten drin. Schon bei Jugendlichen ist „Flatrate-Saufen“ in, und wer da nicht mitmacht, wird in seiner Clique leicht zum Außenseiter.

Kenn dein Limit Unsere Leber verkraftet zwar schon eine ganze Menge, doch irgendwann ist Schluss. Auch der Bauchspeicheldrüse schadet übermäßiger Alkoholkonsum; und oft werden diese Schäden, da sie im Anfangsstadium keine unangenehmen Symptome verursachen, eben leider viel zu spät entdeckt.

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Die Empfehlungen für einen maßvollen Alkoholkonsum lauten: für Frauen höchstens ein bis zwei und für Männer maximal zwei bis drei Deziliter Wein oder Bier pro Tag. Außerdem sollte man Alkohol nicht aufgrund seiner berauschenden, euphorisierenden Wirkung oder als „Entspannungsmittel“, sondern nur zum Genuss konsumieren – und unbedingt zwei bis drei alkoholfreie Tage pro Woche einschalten, damit man nicht abhängig davon wird. Rauchen scheint bei uns ebenfalls nach wie vor als schick zu gelten; doch der Zigarettenqualm enthält Hunderte von giftigen Substanzen, die eine Menge Unheil im Körper anrichten können – nicht nur in der Lunge, sondern auch in unseren Gefäßen. Wer da auf Helmut Schmidt verweist, der nonstop raucht und bisher trotzdem weder an Lungenkrebs noch am Herzinfarkt gestorben ist, der sucht nur nach einer bequemen Ausrede für sich. Ausnahmen – Menschen, die rauchen und saufen, was das Zeug hält, aber ein so unverwüstliches Gesundheitskostüm haben, dass sie trotzdem 80 oder 90 Jahre alt werden – gab es schon immer. Doch es ist erwiesen, dass Raucher eine kürzere Lebenserwartung und eine schlechtere Lebensqualität haben. Erst kommt der Raucherhusten, dann stellen sich andere Leiden ein – Arteriosklerose in Herzkranzgefäßen und Beinen oder die berüchtigte „chronischobstruktive Lungenerkrankung“ (COPD), bei der man allmählich immer kurzatmiger wird. Im schlimmsten Fall hängen solche Leute irgendwann ständig an der Sauerstoffflasche. Aber es sind nicht nur dramatische Folgeerkrankungen wie diese; der blaue Dunst verursacht auch etliche kleinere „Schönheitsfehler“, die viele Menschen auf den ersten Blick vielleicht gar nicht aufs Rauchen zurückführen: Die Haut wird fahler und faltiger, und bei vielen männlichen Rauchern klappt es irgendwann auch im Bett nicht mehr so gut. Denn die gefährlichen Ablagerungen in den Blutgefäßen bilden sich nicht nur im Herzen, im Gehirn

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Abb. links: Dieter Kress ist Geschäftsführer der AOK Neckar-Fils und ein leidenschaftlicher Verfechter der Prävention. Abb. rechts: Werner Waldmann ist Medizinjournalist und Chefredakteur des „Kompass Gesundheit“.

und in den Beinen, sondern auch im Penis. Schon allein dieser Gedanke sollte die Männer eigentlich dazu motivieren, mit dem Rauchen aufzuhören.

Falsch verstandene Prävention Freilich gehen nicht alle Leute so sorglos mit ihrem Körper um. Es gibt auch viele, die sehr gesundheitsbewusst sind, aber die falschen Präventionsmaßnahmen ergreifen, weil sie nicht richtig informiert sind – das Internet ist leider doch nicht immer der optimale Ratgeber in allen Lebenslagen. Manche Menschen glauben, Krebserkrankungen mithilfe verschiedenster, teilweise unsinniger Untersuchungen möglichst frühzeitig erkennen zu können. Da werden beispielsweise Ganzkörper-MRTs gefordert (in den USA bereits gang und gäbe) und Tumormarker-Bestimmungen gewünscht, obwohl Mediziner sich darüber einig sind, dass solche Untersuchungen bei Menschen, die noch nicht an Krebs erkrankt sind, keine Aussagekraft und daher auch keinen Sinn haben. Solche Art von „Prävention“ ist der falsche Weg. Ebenso unsinnig ist es, ständig Multivitaminpräparate und andere Nahrungsergänzungsmittel zu schlucken in dem Glauben, seiner Gesundheit damit etwas Gutes zu tun. Neuere Untersuchungen zeigen, dass man sich durch die unkontrollierte Einnahme solcher Präparate, die es mittlerweile leider in jeder Drogerie zu kaufen gibt, unter Umständen sogar ernsthaften Schaden zufügen kann. Wer sich ausgewogen ernährt, braucht normalerweise keine Nahrungsergänzungsmittel. Wenn jemand tatsächlich an einem Vitamin- oder Mineralstoffmangel leidet, können sie freilich schon sinnvoll

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sein. Doch niemand sollte solche Tabletten einnehmen, ohne vorher seinen Arzt um Rat zu fragen. Im Zweifelsfall gibt eine Blutuntersuchung Aufschluss darüber, ob ein Mangel an bestimmten Nährstoffen vorliegt oder nicht. Dass man seiner Gesundheit mit „falscher“ Prävention manchmal mehr schadet als nützt, gilt leider auch für den Sport. Extreme sportliche Aktivitäten sind keineswegs gesund – das gilt nicht nur für die von uns vielfach so bewunderten Leistungssportler, sondern beispielsweise auch für FreizeitMarathonläufer, die Herz-Kreislauf-Risikofaktoren haben, ohne diese zu kennen, weil sie sich vorher nicht ärztlich untersuchen lassen haben. Mäßig, aber regelmäßig – das ist die richtige Devise beim Sport, wenn er gesund sein soll. Ausdauersportarten wie Walken, Radfahren, Schwimmen sind das beste Lebenselixier für Herz und Kreislauf; allerdings sollte man sich mehrmals pro Woche mindestens eine halbe Stunde Zeit dafür nehmen. Ergänzen kann man das Ganze durch ein gezieltes Krafttraining, um Muskelabbau im Alter vorzubeugen; aber jede Woche dreimal in die „Muckibude“ zu gehen, ist unnötig; und Anabolika (die immer mehr Fitnessstudio-Besucher – vor allem junge Männer – einnehmen, um dem Aufbau von Bizeps & Co. nachzuhelfen) sollten ohnehin tabu sein. Lebensgefährliche Herz-Kreislauf-Probleme bis hin zum Herzinfarkt oder Schlaganfall können die Folge sein.

Gesundheitserziehung muss bei den Kindern beginnen Wie kann man sich zu einem gesundheitsbewussteren Leben motivieren? Das ist gar nicht so ein-

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fach, denn es erfordert schon eine ziemliche tiefgreifende Umstellung unserer Lebensgewohnheiten. Solange man sich gesund fühlt, schiebt man solche Veränderungen gern auf die lange Bank. Hat erst einmal eine Krankheit zugeschlagen, fällt uns der Wandel leichter, nützt aber dann unter Umständen nicht mehr so viel. Wie also schaffen wir es, dass unsere meist sitzenden Berufen nachgehenden und nicht gerade unterernährten Wohlstandbürger ein bisschen mehr für ihre Gesundheit und die ihrer Familien tun? Da hilft nur eines: Wir müssen schon bei den Kindern in den Schulen und Kindergärten anfangen. Die Hoffnung, dass vielbeschäftigte Mütter ihrem Nachwuchs qualitativ hochwertige Nahrung anbieten, ist eine Illusion. Oft haben sie – aufgerieben zwischen Familie und Beruf – beim besten Willen keine Zeit dazu oder ernähren sich womöglich sogar selbst hauptsächlich von Fastfood. Und die Kleinen würden „gesundes“ Essen auch gar nicht so ohne weiteres akzeptieren. Die allgegenwärtige Werbung der Nahrungsmittelindustrie – ohne Milchschnitte keine Energie; ohne Hamburger, Döner oder Fertigpizza kein Glücksgefühl – macht schon Kinder und Jugendliche zu faszinierten Anhängern dieser Esskultur. Welches Kind isst heute noch einen Apfel? Und viel Bewegung, wie es früher im Kindesalter gang und gäbe war – Cowboy-, Verstecken-, Fangeund Fußballspielen –, das ist auch nichts für unseren modernen Nachwuchs. Man hockt an der Spielkonsole oder vor dem Fernseher, tauscht sich über Facebook und Twitter aus und läuft, wenn einen denn schon mal die Sonne nach draußen lockt, mit dem iPhone in der Landschaft herum. Kindergärten und Schulen sind eine hervorragende Chance, den Nachwuchs für eine andere Lebensweise zu motivieren. Doch die Lehrplanmacher haben für so etwas leider keinen Sinn oder keine Zeit. Die Kinder bekommen zwar immer mal wieder ein paar Informationen zum Thema Gesundheit im Biologieunterricht vorgesetzt; doch das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Und natürlich führen die Schulen ab und zu ein paar kleinere Projekte durch – vielleicht einmal ein vollwertiges Frühstück oder eine Aktion „Gesundes Pausenbrot“ –, aber dabei bleibt es dann auch. Eigentlich sollte Gesundheitsunterricht in unseren Schulen regelmäßig auf dem Programm stehen. Es ist wirklich absurd: Unsere Kinder müssen lernen, den Flächeninhalt von Figuren zu berechnen, mit denen sie in ihrem späteren Leben garantiert nie wieder etwas zu tun haben werden, und erfahren, wie und mit welchen Truppenkontingenten Cäsar die Gallier besiegt hat – nur über ihren eigenen Körper und ihre Gesundheit lernen sie leider viel zu wenig.

Radio- und Fernsehsendungen zum Thema gesundes Leben; das schaut oder hört man sich an, nickt – und macht so weiter wie bisher. Kaum jemand nimmt solche Ratschläge ernst. Wirksamer ist es schon, wenn der Hausarzt seinem Patienten ins Gewissen redet. Denn im Idealfall besteht zwischen Arzt und Patient doch ein gewisses Vertrauensverhältnis, sodass man auf die Ermahnungen des Doktors schon eher hört. Doch „sprechende Medizin“ ist heute nicht mehr in, weil die moderne Apparatemedizin besser honoriert wird. Und genau da liegt das Problem unseres Gesundheitssystems: Ärzte – vor allem die Hausärzte – müssen es sich wieder leisten können, mit ihren Patienten zu sprechen, sie ausführlich zu beraten und ihnen ab und zu auch mal ins Gewissen zu reden. Und das geht leider nur, wenn diese Leistungen auch entsprechend vergütet werden.

Rote Karte für Coca-Cola Der Geldbeutel spielt in unserem Leben eine sehr wichtige Rolle. Das muss nicht immer nur ein Nachteil sein; man könnte es sich beispielsweise zunutze machen, um die Bürger zu gesundheitsbewussterem Verhalten zu erziehen. Der Mensch braucht Zwang. Würde die Befolgung der Straßenverkehrsordnung nicht durch rigide Regeln mit entsprechend harten Strafen durchgesetzt, so würde auf unseren Straßen ein Chaos herrschen. Warum also sollte man nicht auch gesundheitsschädliches Verhalten bestrafen? Zum Beispiel durch extrem hohe Steuern auf Zigaretten und Alkohol, Fastfood und Süßgetränke oder reduzierte Mehrwertsteuer für gesunde Lebensmittel? Hier könnte der Staat eine ganze Menge tun. Amerika sollte uns in dieser Hinsicht als Vorbild dienen: Ab März nächsten Jahres wird Coca-Cola in New York geächtet. Bürgermeister Michael Bloomberg setzt seine Stadt auf Diät. Das neue Gesetz untersagt Restaurants, Theatern, Cafés und Kinos das Servieren von Cola in Halb-Liter-Behältern. Dieses Verbot soll auch für andere kalorienreiche Softdrinks und gesüßten Kaffee gelten. Da fragt man sich: Warum nicht auch bei uns? In Deutschland gibt es bisher leider keine einschränkenden Regelungen für zuckerhaltige Getränke. Diskutiert wird lediglich immer wieder, Werbung für ungesunde Lebensmittel einzuschränken, um die Bürger – vor allem unsere Kinder – vor übermäßigem Zuckerkonsum zu schützen. Passiert ist bisher noch nichts. Warum ist unsere Regierung so zögerlich?

„Sprechende Medizin“ wird nicht mehr bezahlt

Kooperation und Vernetzung zum Wohl des Patienten

Und was ist mit den Erwachsenen? Für die gibt es natürlich jede Menge Gesundheitsmagazine aus der Apotheke und auch

Allenthalben ist von leeren Kassen in unserem Gesundheitswesen die Rede. Doch eigentlich braucht unser Gesundheitssys-

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tem nicht mehr Geld, sondern mehr Effizienz. Vernetzung ist angesagt, wirkliche Vernetzung. Der Hausarzt als Lotse ist eine geniale Idee. Eigentlich nichts Neues, sondern die Wiederentdeckung einer früher praktizierten Methode: Ein Arzt betreut seinen Patienten möglichst ein Leben lang, ist sein Gesundheitsbegleiter, sein Coach. Er organisiert auch den Kontakt zu Fachärzten und Kliniken, Apothekern, Sanitätshäusern, Pflegeeinrichtungen. Hier muss miteinander gearbeitet werden, nicht nebeneinanderher. Eine hohe Anforderung an unsere medizinischen Helfer, denn bislang sieht fast jeder nur seine eigenen Pfründe. Bei einer echten, sinnvollen Kooperation und Vernetzung hat jeder seine Einkünfte. Man muss es nur wollen. Ein echter Arzt – einer, der seinen Beruf ernst nimmt und nicht nur als Job versteht – wird dem nur zustimmen können. Dann gäbe es keine überflüssigen Doppeluntersuchungen mehr und auch keine sinnlosen Therapien: Ein Arzt würde seinem Patienten keine Medikamente mehr verschreiben, die ihm nichts nützen, nur weil dieser das erwartet. Die eingesparten Milliarden ließen sich dann dort verwenden, wo wirklich medizinische Hilfe nötig ist. Spare in der Zeit, dann hast du in der Not.

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All das klingt schön, und jeder stimmt zu. Nur, wer macht sich ernsthaft daran, etwas zu verändern? Auf die Gesundheitspolitik ist nicht zu hoffen. Die organisiert Reförmchen und verursacht damit immer nur noch schlimmere Bürokratie. Wenn wir wirklich etwas verändern wollen, muss jeder bei sich und sei-

ner Familie anfangen und in mühevoller Kleinarbeit – Tag für Tag – seinen inneren Schweinehund überwinden. In kleinen, konkreten, konsequenten Schritten. So lange, bis man irgendwann selber merkt, dass es durchaus Spaß machen kann, gesund zu leben. Dass ein frischer Obstsalat oder ein Brot mit Ei, Tomaten und frischen Kräutern besser schmeckt als Hamburger und Pommes frites, kann man mit ein bisschen Fantasie vielleicht sogar seinen Kindern beibringen, wenn man das Brot mit einem lustigen Gesicht verziert oder den Nachwuchs auf spielerische Weise in die Zubereitung gesunder Mahlzeiten einbindet. Und sicherlich wird einem auch bald klar, dass es gar nicht so schwierig ist, sich zu regelmäßiger körperlicher Aktivität zu motivieren, weil mit ein bisschen Nachdenken letztendlich jeder Mensch auf irgendeine Bewegungsform kommt, die ihm Freude machen kann: Wer partout keinen Sport mag, findet vielleicht Spaß daran, tanzen zu gehen, im Garten zu arbeiten oder sich immer mal wieder den Nachbarshund zum Spazierengehen auszuleihen. Und nach einiger Zeit merkt man dann, dass man sich durch die regelmäßige Bewegung tatsächlich besser fühlt: Man kommt ohne lästige Leistungstiefs durch den Tag, gerät beim Treppensteigen nicht mehr nach fünf Stufen außer Atem, und auch die Stimmung ist besser. Spätestens dann hat man die schwierige Anfangsphase überwunden und wird es von nun an gar nicht mehr so schwierig finden, sich zu ein bisschen mehr Bewegung aufzuraffen.

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Ökonomisierung in der Medizin Dr. Rainer Graneis

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ie medizinische Versorgung der Patientinnen und Patienten spielt sich bei uns hauptsächlich in zwei Bereichen ab: der Klinik für die hochspezialisierten und stationären Untersuchungen und Behandlungen und der Arztpraxis mit der hausärztlichen und fachärztlichen ambulanten Versorgung. Wie die zahlreichen Gesundheitsreformen der verschiedenen Regierungskonstellationen gezeigt haben, kostet die medizinische Versorgung viel Geld, immer wieder ist von einer „Kostenexplosion im Gesundheitswesen“ zu lesen. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass von einer solchen Kostenexplosion keine Rede sein kann, da der Anteil der Gesundheitskosten am Bruttoinlandsprodukt in Deutschland seit Jahren nur leicht ansteigt: 1996 waren es 10,4 % und 2010 11,6 %, was unter den Gesichtspunkten des Fortschritts in der Medizin und der Zunahme der Lebenserwartung der Bevölkerung leicht nachvollziehbar ist. Warum also diese Übertreibung? Der Begriff der Kostenexplosion wird als Argument dafür missbraucht, dass wirtschaftliche Gesichtspunkte immer mehr und immer brutaler in den Bereich der Krankenversorgung eindringen. Kostenersparnis, Beitragssatzstabilität, Effizienz, Gewinnmaximierung und Rationalisierung heißen die neuen Schlagworte in einem Bereich, in dem eigentlich Menschlichkeit, Zuwendung und das Wohl der Patienten an erster Stelle stehen sollten, verbunden

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mit vernünftigen Arbeitsbedingungen für diejenigen, die sich um die Gesundheit kümmern. Im Jargon der Ökonomen gibt es auch schon lange keine Ärzte, Schwestern oder Pfleger mehr: sprachlich sind sie alle zu sogenannten Leistungserbringern degradiert worden. Selbstverständlich ist eine Verschwendung von finanziellen Mitteln im Gesundheitssystem unethisch, da in Zeiten begrenzter Mittel diese denjenigen zur Verfügung gestellt werden müssen, die sie besonders dringend benötigen. Und unstrittig ist auch, dass Schwestern, Ärzte und anderes medizinisches Personal angemessen bezahlt und honoriert werden müssen. So weit ist das alles ganz gut zu verstehen, aber dann wird es kompliziert: Zur Begrenzung der Kosten hat sich die Politik ein paar Instrumente einfallen lassen, die weit reichende Konsequenzen haben. Eines dieser Instrumente ist die Abrechnung der Krankenhausbehandlung von stationären Patienten nach den sogenannten DRGs (Diagnosis Related Groups) nach australischem Muster. Während die Klinik früher nach der Anzahl der Tage bezahlt wurde, die ein Patient stationär behandelt wurde, erfolgt die Vergütung jetzt nach fixen Kostensätzen je Krankheit. Egal, wie lang der stationäre Aufenthalt oder wie kompliziert der Krankheitsverlauf war, es gibt eine Pauschale. Nur wenn noch weitere Diagnosen hinzukommen, gibt’s mehr Geld.

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Die Konsequenzen einer solchen Bezahlung kann sich jeder ausmalen: Ein Krankenhaus kann dann besonders wirtschaftlich arbeiten, wenn die Verweildauer der Patienten „optimiert“ wird, d.h., dass eine möglichst baldige Entlassung angestrebt werden muss. Die Nebenwirkungen eines solchen Vergütungssystems sind offenkundig: Ärzte und Pflegepersonal haben weniger Zeit, die Patienten in Gesprächen zur Therapie und Nachbehandlung aufzuklären, immer mehr Zeit geht für die optimale Codierung der Diagnosen im DRG-System drauf, die Entlassung erfolgt zu einem Zeitpunkt, zu dem die Heilung noch nicht abgeschlossen ist, und ein großer Teil der Behandlung wird in den Bereich der ambulanten Versorgung verlegt und löst dort Engpässe aus. Wenn sich hier nicht der Großteil der Beteiligten über diese ökonomischen Zwänge bzw. Vorgaben hinwegsetzen würde, hätten wir bei uns Zustände wie in den Ländern, aus denen viele Menschen zur medizinischen Behandlung nach Deutschland kommen. Auch der ambulante Bereich ist von den politischen Drangsalierungsinstrumenten nicht verschont geblieben: Hier heißt das Unwort „Budgetierung“. Ob Kosten für Medikamente und Verbandmaterial oder Verordnung von Krankengymnastik: Alles wird auf den einzelnen Arzt umgerechnet, und wenn er mit seinen Verordnungen über dem Budget liegt, läuft er Gefahr, diese Überschreitung aus eigener Tasche bezahlen zu müssen, was schon zu häufig passiert ist. Diese Logik ist nur sehr schwer zu verstehen, vor allem, wenn man weiß, dass die Honorare der Niedergelassenen ebenfalls budgetiert, d.h. nach oben begrenzt sind. Wenn das Budget erreicht ist, was in der Regel deutlich vor dem Ende eines Quartals der Fall ist, gibt es keinen Cent darüber hinaus, egal wie viele Hausbesuche, Blutabnahmen oder EKGs notwendig sind. Wenn sich Ärztinnen und Ärzte jetzt nur ökonomisch verhalten würden, wären sie, wie die oben erwähnten Kollegen in den Kliniken, den Großteil ihrer Arbeitszeit neben der Bürokratie mit der Suche nach der kostengünstigsten Therapie beschäftigt und hätten für das, weswegen sie diesen schönen Beruf ergriffen haben, noch weniger Zeit. An die Konsequenzen eines sich deutlich abzeichnenden Ärzte- und Pflegepersonalmangels möchte man dabei gar nicht denken.

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Wie lässt sich also dieser Widerspruch zwischen Menschlichkeit, Zuwendung und bestmöglicher Patientenversorgung einerseits und Ökonomie andererseits auflösen? Es gibt vor allem drei Bereiche, in denen noch ein großes Einspar- bzw. Einnahmepotenzial vorhanden ist. Der erste Bereich ist die Pharmaindustrie, die es trotz aller Gesundheitsreformen schafft, jährliche Umsatzsteigerungen im zweistelligen Prozentbereich zu erzielen. Forschung muss sein, hier hat die Industrie eine große Verantwortung. Aber dass die Arzneimittelpreise in Deutschland weltweit an der Spitze liegen, das liegt nicht nur an der deutschen Mehrwertsteuer auf Medikamente. Genauso kritisch hinterfragt werden muss die Krankenhausplanung. Es ist nicht einzusehen, warum alle acht Kilometer ein Krankenhaus stehen muss, möglichst noch mit einem identischen Leistungsspektrum wie die Nachbarklinik. Wir brauchen keine Wohlfühlkrankenhäuser, sondern leistungsfähige und dem Bedarf angepasste Kliniken. Auch wenn man dann vielleicht so weit fahren muss wie bis zum nächsten Einkaufszentrum. Der dritte Punkt ist vielleicht der unpopulärste, weil er viele von uns selber trifft. Zur Finanzierung des Gesundheitswesens müssen alle Einnahmen der Versicherten herangezogen werden. Auch Mieteinahmen, Zinsen, Börsengewinne – nicht nur der Verdienst des Einzelnen, da nur so eine gerechte Beteiligung aller an den Gesundheitskosten gewährleistet ist. Zur Lösung der finanziellen Herausforderungen im Gesundheitssystem trägt das Sozialgesetzbuch V mit dem § 12 (Wirtschaftlichkeitsgebot) sicherlich nicht bei: „Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein …“ Viel besser gefällt mir die Aussage des Medizinethikers Prof. Giovanni Maio aus Freiburg: „Ökonomie muss man als Hilfe verstehen, nicht mehr und nicht weniger, sie darf die Medizin aber nicht steuern.“ Dr. med. Rainer Graneis ist Allgemeinarzt mit dem Schwerpunkt Hausarzt und Vorsitzender der Kreisärzteschaft Esslingen. Hindenburgstr. 55 73760 Ostfildern-Nellingen Tel.: 0711 3411478 Fax: 0711 3430670 rainer.graneis@t-online.de

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Sorgenkind ärztliche Versorgung? K

ompass Gesundheit“ hat Dr. Ulrich Clever, dem Präsidenten der Landesärztekammer Baden-Württemberg, Fragen zur Qualität unserer medizinischen Versorgung gestellt. Offenbar wird es zu einem Problem, dass ausländische Ärzte in unseren Kliniken einspringen. Dabei scheinen deren Deutschkenntnisse für eine vernünftige Kommunikation mit den Patienten nicht immer ausreichend zu sein. Welche Erfahrungen hat die Landesärztekammer BadenWürttemberg damit? Dr. Clever: Das jetzt in Kraft tretende Patientenrechtegesetz macht es noch einmal allen mehr als deutlich klar, was schon immer galt und auch Richterspruch war: Patienten und Arzt, Patientin und Ärztin müssen miteinander kommunizieren können. Das Problem der sprachlichen Verständigung trat schon immer auf, beispielsweise bei Migranten ohne nennenswerte Deutschkenntnisse. Wenn dann Familienangehörige oder z. B. Reinigungspersonal in den Kliniken aushalfen, so war das ein zwar hilfreicher, aber letzten Endes schlechter Ersatz und kein Dolmetscher. Deswegen fordern die Ärztekammern, beispielsweise für den Bereich der psychiatrischen und psychotherapeutischen Disziplinen – aber auch für andere „Kontakt-Fächer“ – den Gesetzgeber auf, die Möglichkeit eines Dolmetschers im Sozialgesetzbuch zu verankern.

Neben Verständigungsproblemen spielt auch die Qualifikation eine Rolle: Sehen Sie den Fall um den niederländischen Arzt von Heilbronn eher als eine Ausnahme oder als Spitze eines Eisbergs? Dr. Clever: Den Fall des Heilbronner Arztes betrachten wir als einen – Dr. med. Ulrich Clever noch vor GePräsident der Landesärztekammer richten festBaden-Württemberg zustellenden Geschäftsstelle der – Betrug und Landesärztekammer Jahnstraße 40 eher als eine 70597 Stuttgart Ausnahme. Tel.: 0711 76989-0 So etwas info@laek-bw.de wird es immer

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geben, so gut man auch alle Vorkehrungen zu treffen (und jetzt auch wieder zu verbessern) versucht. Wie können die Ärztekammer, andere Institutionen und Behörden oder die Kliniken selbst den Patienten eine gewisse Sicherheit dafür garantieren, dass nur approbierte Ärzte tätig sind? Dr. Clever: Zunächst einmal sind für die Ausstellung einer Approbation – sei es für deutsche oder ausländische Ärztinnen und Ärzte – in allen Bundesländern (außer in Niedersachsen) nicht die Ärztekammern, sondern die Regierungspräsidien bzw. andere staatliche Stellen verantwortlich und zuständig. Im Zuge der Europäisierung und gar der Globalisierung des (auch ärztlichen) Arbeitsmarktes sind hier Anpassungs- und Harmonisierungsregelungen möglichst europaweit zu treffen. Dass das schwierig ist, weiß man ja hinlänglich aus anderen Feldern von Politik, Wirtschaft und Verwaltung. Wie wirken die Landesärztekammern in Deutschland zusammen, um zu verhindern, dass Scharlatane Fuß fassen können? Dr. Clever: Das Zusammenwirken der bundesdeutschen Ärztekammern ist gut bis sehr gut – aber noch einmal: Im Falle der Approbationserteilung sind staatliche Behörden gefragt. Da würden sich Landesärztekammern manchmal eine bessere Information von den Approbationsbehörden wünschen, damit die Kammern ihre Mitglieder überhaupt aktuell erfassen können. Warum gibt es bei niedergelassenen Ärzten ähnliche Probleme nicht: Werden diese von den Behörden intensiver geprüft? Dr. Clever: Niedergelassene Ärzte haben durch das bekanntermaßen komplizierte, sehr juristische und aufwändige Zulassungsverfahren und die enge, gesetzlich gewollte Kontrolle durch die Kassenärztlichen Vereinigungen die stärkste Überwachung und Reglementierung eines Berufsstandes überhaupt. Den Ärztekammern stehen solche gesetzlichen Kontroll- und Ermittlungsrechte wie den Kassenärztlichen Vereinigungen bisher nicht zur Verfügung.

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Deutsche Ärzte lehnen es immer häufiger ab, an deutschen Kliniken tätig zu sein. Wie sieht die Situation in Baden-Württemberg aus? Dr. Clever: Auch in Baden-Württemberg verlassen hier ausgebildete junge Ärztinnen und Ärzte Deutschland in großer Zahl in Richtung Schweiz oder in die angelsächsischen und skandinavischen Länder. Hierüber gibt es auch verlässliche Zahlen und Erhebungen, die dem Landtag auch zugeleitet wurden.

plastisch-ästhetische Chirurgin Einerseits sind die Arbeitsbedingungen für Ärzte an Krankenhäusern miserabel, andererseits geben die Klinikmanagements wegen der Personalnot mehr Geld für Honorarärzte aus. Ist das nicht ein Widerspruch? Dr. Clever: Ja, das erscheint wie ein Widerspruch. Der ist aber leicht aufzulösen: Für den Honorararzt stimmen halt die (nicht nur finanziellen) Rahmenbedingungen an den Kliniken, für den regulär angestellten Arzt dagegen nicht mehr.

mit sich und seinem Körper ist entscheidend für Wohlbefinden

Die meisten Klinikmanager reden gern und viel von Qualitätsmanagement: Wäre es nicht sinnvoller, die Ressourcen, die in eine Invasion von Zertifizierungen gesteckt werden, in eine anständige Bezahlung der Ärzte zu investieren? Dr. Clever: Ja, da kann ich fast nur zustimmen. Wobei Qualitätsmanagement sinnvoll ist, Zertifizierungen meistens teuer und hauptsächlich der Werbung dienen.

und

Vortrag Fr. Dr. Klein:

Liegt das Problem nicht vielleicht auch zu einem Teil darin, dass die meisten Klinikchefs Betriebswirte sind und nicht aus eigenem Antrieb genauer hinschauen, wen sie da als Arzt an ihre Patienten ranlassen – Hauptsache, das Betriebsergebnis stimmt? Dr. Clever: Auch bei dieser Frage will ich eher zustimmen, obwohl es auch genügend andere Beispiele von großem Engagement mit patientenorientiertem Blick gibt. Dennoch: Der Wechsel der Führungsautorität im Krankenhaus weg vom Chefarzt zum kaufmännischen Direktor war politisch gewollt. Jetzt hat man einen der Geister, die man rief.

Hegen Sie persönlich die Hoffnung, dass sich in absehbarer Zeit an den Rahmenbedingungen für unsere Klinikärzte (Bezahlung und Dienstzeitregelungen) etwas ändern wird? Dr. Clever: Ja, ich bin da optimistisch: Der konkrete Ärztemangel wird eine Verbesserung der Rahmenbedingungen erzwingen. Manches wird mit billigeren, preiswerteren, weniger ausgebildeten Berufsgruppen zu substituieren versucht. Das wird die Bevölkerung aber merken und nicht einfach so hinnehmen; es wird sich mehr ausdifferenzieren. Ärzte wird man immer brauchen!

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Wie schätzen Sie das offenbar florierende Wesen von Arztvermittlungsagenturen ein: die Honorarärzte mit ihren lukrativen Vergütungen versus fest angestellte Kollegen, die mehr Verantwortung tragen und zeitlich ständig unter Druck stehen? Dr. Clever: Hier handelt es sich wie bei allen Arbeitsvermittlungsagenturen um eine schwierige Schnittstelle im Geflecht von Gewinn und seriöser Arbeit, die bislang am wenigsten überwacht wird, weil es bisher außerhalb des öffentlichen Interesses zu liegen schien.

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Der Mensch steht im Mittelpunkt

Betreuung schwerstkranker Patienten in der Filderklinik Dr. Magda Antonic

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uch Menschen, für die es keine Heilung mehr gibt, brauchen körperliche und seelische Unterstützung. Diese Hilfestellung will die Palliativmedizin im Gegensatz zur kurativen (auf Heilung abzielenden) Behandlung leisten. Der Begriff palliativ leitet sich vom lateinischen Wort „pallium“ (Mantel) her, und das vermittelt schon eine ganz gute Vorstellung davon, worin die Aufgabe der Palliativmedizin besteht: Sie möchte Menschen in ihrer letzten Lebensphase Schutz und Geborgenheit vermitteln. Denn selbst wenn ein Patient nie wieder gesund werden kann und das auch weiß, kann man ihm seine letzten Tage und Wochen doch erleichtern, indem man Schmerzen und andere Beschwerden lindert und ihn in seiner Auseinandersetzung mit dem nahenden Tod begleitet.

Die letzten Jahre mit Leben erfüllen An der Filderklinik in Filderstadt-Bonlanden wird besonders großes Augenmerk auf die liebevolle, einfühlsame Betreuung unheilbar kranker Menschen gelegt. Denn als anthroposophisch ausgerichtetes Krankenhaus sieht sie den Menschen im Mittelpunkt – und zwar nicht nur mit seinen körperlichen, sondern auch mit seinen seelisch-geistigen Bedürfnissen. Vor allem Krebspatienten im Endstadium ihrer Erkrankung brauchen solch eine ganzheitliche Betreuung. Denn selbst wenn ein Tumor

Dr. med. Stefan Hiller ist Hämatoonkologe und Palliativmediziner und leitet das Zentrum für integrative Onkologie an der Filderklinik. Zentrum für integrative Onkologie Sekretariat Martha Weeber Tel.: 0711 7703-4271 Fax: 0711 7703-4279 E-Mail: m.weeber@filderklinik.de Filderklinik Im Haberschlai 7 70794 Filderstadt-Bonlanden

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schon relativ weit fortgeschritten ist oder Metastasen im Körper gestreut hat, sodass eine Heilung nicht mehr möglich ist, kann der Patient dank der Möglichkeiten unserer modernen Medizin oft noch einige Zeit leben. Um diese wertvolle Zeit mit Qualität zu erfüllen und den Patienten mit seinen Ängsten und Sorgen liebevoll aufzufangen – dazu bedarf es einer guten palliativmedizinischen Versorgung. Dafür ist die Filderklinik, die ihren Patienten nicht nur alle Möglichkeiten der modernen naturwissenschaftlichen Medizin, sondern auch die besonderen therapeutischen Verfahren der anthroposophischen Medizin anbietet, prädestiniert. „Ich bin seit Mitte des Jahres 2011 Leiter der Abteilung Zentrum für integrative Onkologie. Dieser Name beschreibt unsere Vorstellung von der Versorgung von Krebspatienten sehr gut“, erklärt Dr. med. Stefan Hiller. „Wir machen gute, hochwertige Schulmedizin auf neuestem Stand, ergänzen diese aber durch komplementärmedizinische Methoden wie Hyperthermie oder Misteltherapie. All diese Maßnahmen binden wir in das anthroposophische Krankheitsbild und in anthroposophische Heilungsstrategien ein und haben damit noch eine dritte Säule, die unterstützend auf den Patienten als Ganzes einwirkt.“ In dieses Zentrum für integrative Onkologie ist auch die Palliativmedizin integriert, für die Dr. Hiller ebenfalls zuständig ist. „Wir haben noch keine abgeschlossene Palliativstation, sondern unsere sechs bis acht palliativmedizinischen Betten sind in die onkologische Station eingebunden.“ Darin sieht Stefan Hiller durchaus einen Vorteil: „Ich halte es für gut, Palliativpatienten nicht in einer abgeschlossenen Station zu betreuen, sondern sie in andere Stationen zu integrieren.“ Und eine onkologische Station eignet sich für diese Aufgabe besonders gut, da viele Krebspatienten durchaus noch aktiv am Leben teilnehmen können, auch wenn bei ihnen keine langfristige Heilung mehr möglich ist.

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Intensive Vernetzung Die Filderklinik ist eng mit anderen palliativmedizinischen Angeboten der Region vernetzt: „Wir haben guten Kontakt zu den Sitzwachengruppen im Umkreis und nehmen auch am Arbeitskreis Palliativmedizin teil, der niedergelassene Ärzte, Krankenhausärzte und Pflegeheimleiter miteinander verbindet und sich viermal im Jahr zu einem intensiven Gedankenaustausch trifft. Auch die Vernetzung mit ambulanten Pflegeeinrichtungen ist uns sehr wichtig, weil die Patienten nach der Behandlung bei uns ja möglichst wieder nach Hause entlassen werden sollen. Auch bei den klassischen Palliativpatienten sehen wir unsere Aufgabe darin, die Patienten so weit wiederherzustellen, dass sie wieder in ihrem häuslichen Umfeld betreut werden können.“ Gerade für Menschen, die die letzte Station ihres Lebens erreicht haben, sind Ruhe und Privatsphäre wichtig. Sie brauchen zwar den Kontakt zu ihren Ärzten, Therapeuten und Pflegekräften und den Austausch mit anderen Patienten, benötigen aber auch einen ungestörten Ort, an den sie sich zurückziehen können. „Deshalb haben unsere Palliativpatienten meistens Einzelzimmer, allerhöchstens Zweibettzimmer, und zwar mit dem Ziel, dass auch Angehörige über Nacht bei ihnen bleiben dürfen.“ An der umfassenden geistig-seelischen Betreuung der Patienten wirkt ein Psychoonkologe mit, der ihnen bei der Krankheitsverarbeitung hilft. Die anthroposophischen Therapeuten der Klinik bieten Heileurythmie, Musiktherapie und andere Kunsttherapien an. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die anthroposophische Pflege: „Unsere Pfleger unterscheiden sich von herkömmlichen Pflegekräften dadurch, dass sie den Patienten nicht nur bestimmte Medikamente verabreichen und die nötigen pflegerischen Maßnahmen durchführen, sondern die Patienten tatsächlich im anthroposophischen Geist betreuen. Dazu gehört sicherlich ein erhöhtes Maß an Zuwendung und Gesprächsmöglichkeit; die Patienten bekommen aber auch Wickel und Einreibungen – ein besonderes Therapieangebot der anthroposophischen Medizin.“

In aller Ruhe Abschied nehmen Auch der letzte Schritt des Palliativpatienten – der Abschied vom Leben – wird in der Filderklinik nicht ausgeblendet, sondern erhält einen besonderen Stellenwert. „Dafür haben wir einen eigenen Raum,

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Anthroposophische Medizin Die anthroposophische Medizin ist in Deutschland als besondere Therapierichtung vom Gesetzgeber anerkannt. Alle anthroposophischen Ärzte, Therapeuten und Pflegekräfte verbindet ein gemeinsames Menschenbild: Sie verstehen den Menschen als Einheit von Leib, Seele und Geist. Jeder Mensch verfügt über Selbstheilungskräfte, die durch die Behandlung angeregt und unterstützt werden sollen. Jeder anthroposophische Arzt ist in der modernen naturwissenschaftlichen Medizin ausgebildet und kennt alle für sein Fachgebiet relevanten Methoden der Diagnostik und Therapie. Darüber hinaus beherrschen anthroposophische Ärzte ein breites Spektrum ergänzender Behandlungsmethoden. Dazu gehören pflanzliche, homöopathische und anthroposophische Medikamente. Speziell ausgebildete Therapeuten und Pflegekräfte setzen Kunsttherapien, Heileurythmie (eine Form der Bewegungstherapie) und eine anthroposophisch fundierte, biografisch orientierte Psychotherapie ein. Diese Angebote erweitern die herkömmliche Medizin in Diagnostik, Pflege und Therapie.

in dem der Patient noch einmal aufgebahrt und in sehr feierlichem Ambiente verabschiedet wird. An dieser Zeremonie nehmen nicht nur die Angehörigen, sondern auch die Ärzte, Pflegekräfte und Therapeuten teil, die den Patienten in seiner letzten Lebensphase begleitet haben“, sagt Dr. Hiller. „Das ist sehr wichtig und auch hilfreich für uns, weil dadurch jeder noch einmal die Möglichkeit hat, sich zu überlegen: Was war das für ein Patient, was haben wir mit ihm gemacht, und wo ist er jetzt oder was passiert jetzt mit ihm? Auf diese Weise kommt man zu einem Abschluss. Das ist für mich, der auch eine Zeitlang in einem anderen Krankenhaus gearbeitet hat, ein unverzichtbares Element. Dort kam es ab und zu vor, dass Patienten übers Wochenende verstarben – und die waren dann einfach weg, man sah und hörte nichts mehr von ihnen.“ Ein solcher Aufwand ist kostspielig. Wie kann eine Klinik sich so etwas in einer Zeit leisten, in der die finanziellen Ressourcen im Gesundheitswesen immer knapper werden? „Wir finanzieren das aus verschiedenen Kanälen. Auf der einen Seite gibt es die Mahle-Stiftung, die die Filderklinik unterstützt und verschiedene Projekte fördert. Außerdem haben wir als Gemeinschaftskrankenhaus eine andere Finanzierungssituation als die anderen Krankenhäuser. Dort werden die Privatliquidationen zum großen Teil an Chefärzte und Oberärzte verteilt; bei uns fließen viele Gelder in die Klinik zurück und kommen somit der Versorgung der Patienten zugute.“

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Leichter Abschied nehmen: Die Dignity-Therapie Marion Zerbst

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s tut mir leid, dass ich so ein Arschloch war. Ich war eine autoritäre Vaterfigur – und das ausgerechnet zu einer Zeit, als Will so etwas überhaupt nicht brauchen konnte“, erklärt der zerbrechlich wirkende Mann dem Psychotherapeuten, der an seinem Krankenbett sitzt. Der erfolgreiche Landschaftsgärtner, der ein eigenes Unternehmen leitet, hätte es gern gesehen, wenn sein Sohn in seine Fußstapfen getreten wäre. Doch Will hat andere Pläne und lässt sich davon nicht abbringen. Straßenclown will er werden. Ausgerechnet. „Damit habe ich mich nie so richtig abfinden können“, gibt der Vater zu. Inzwischen sieht der 57-jährige Dave, der an einem fortgeschrittenen kolorektalen Karzinom erkrankt ist und nicht mehr lange leben wird, das anders: „Will ist der geborene Komiker. Ich würde ihm gerne sagen, dass ich seine Entscheidung verstehe. Und dass ich ihn trotzdem immer noch liebe. Auch wenn er Clown wird.“ Auch seinen anderen Kindern gibt Dave Botschaften mit auf den Weg, die ihm wichtig sind: „Nehmt euch Zeit für andere. Lebt jeden Tag so, als sei es euer letzter. Ich habe das in meinem Leben leider nicht immer getan. Und behandelt eure Mitmenschen so, wie ihr euch selber behandeln würdet ...“ Wenn jemand schwerkrank ist, sich von anderen Menschen pflegen lassen muss Prof. Dr. med. Walter Aulitzky und seinen BeVorsitzender des Krebsverbandes ruf oder andere Baden-Württemberg und Chefarzt sinnstiftende der Abteilung für Hämatologie, Aktivitäten nicht Onkologie und Palliativmedizin Robert-Bosch-Krankenhaus mehr ausüben Auerbachstr. 110; 70376 Stuttgart kann, gerät sein Tel.: 0711 8101-3506 Gefühl der perFax: 0711 8101-3796 sönlichen Würde

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und Identität sehr leicht in Gefahr. „Bin ich denn überhaupt noch ich selber? Hat mein jetziges Leben noch einen Wert?“, fragt man sich in so einer Situation. Die von dem Psychiater und Palliativmediziner Dr. Harvey Max Chochinov und seinem Forschungsteam entwickelte Dignity-Therapie bietet todkranken Menschen die Möglichkeit, ihren Angehörigen eine Art Vermächtnis zu hinterlassen – wobei ihnen der Sinn ihres eigenen Lebens oft selbst erst so richtig klar wird. In Gesprächen mit den Patienten versucht der Therapeut eine Art Quintessenz ihres Lebens herauszukristallisieren – was ihnen am wichtigsten war, welche Erlebnisse ihnen am meisten bedeutet haben, was sie sich für ihre Angehörigen wünschen, die sie nun bald zurücklassen müssen. Diese Gespräche werden auf Tonträger aufgenommen, abgeschrieben, redigiert und ihnen dann zur Verfügung gestellt, damit sie sie den Angehörigen schenken können.

Positive oder negative Lebensbilanz? Meist sind das positive Botschaften: Der sterbende Mensch denkt an ein glückliches oder zumindest doch zufriedenes Leben zurück, erzählt, auf welche Leistungen er besonders stolz ist, und erklärt seinem zurückbleibenden Partner, dass er keine Schuldgefühle zu haben braucht, wenn er wieder eine neue Beziehung eingehen möchte. Oder er sagt seinen Kindern, was für ein Leben er sich für sie wünscht und was sie seiner Meinung nach beherzigen sollten. Aber es kommen auch negative Empfindungen und Konflikte ans Tageslicht, wie zum Beispiel in dem eingangs zitierten Gespräch

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mit dem Vater, dem es einfach nicht gelingen wollte, eine so herzliche Beziehung zu seinem Sohn aufzubauen, wie er es sich vielleicht gewünscht hätte. Oder bei einem Alkoholiker, der sich bei seiner Familie dafür entschuldigt, was er ihr angetan hat, und möchte, dass seine Enkelkinder die Wahrheit über ihn erfahren, „damit sie einen besseren Weg wählen können als ich“. Auch das sind wichtige Botschaften. Im August 2005 wurden Ergebnisse der ersten klinischen Studie zur Dignity-Therapie veröffentlicht, an der 100 Patienten in Australien und Kanada teilnahmen – die meisten litten an Krebs im Endstadium und hatten nur noch etwa 50 Tage zu leben. Über 90 % der Patienten erklärten, sehr zufrieden mit dieser Therapie zu sein; 86% empfanden sie als hilfreich oder sogar sehr hilfreich. Die Dignity-Therapie hätte ihr Gefühl der Würde und des Selbstwerts verstärkt – und die Überzeugung, dass ihr Leben einen Sinn habe. Depressionen ließen nach, Selbstmordgedanken verschwanden. Auch Befragungen von Angehörigen sterbenskranker Menschen zeigten, dass die Therapie ihnen geholfen habe, besser mit dieser schweren Situation zurechtzukommen. Inzwischen wurde die therapeutische Intervention auch in mehreren europäischen Ländern (Großbritannien, Schweden, Dänemark) in klinischen Studien untersucht, und zwar mit vergleichbar positiven Ergebnissen. Eine Einführung und ein Wirksamkeitsnachweis in Deutschland stehen noch aus.

Sinnfindung in der letzten Lebensphase „Das ist für mich die spannendste Innovation in der Palliativmedizin in den letzten fünf bis zehn Jahren, denn es trifft eigentlich den Kern des Problems: Wie komme ich mit der Tatsache zurecht, dass es mich bald nicht mehr geben wird? Das ist für mich die Kernfrage in der Palliativversorgung – noch wichtiger als Schmerztherapie“, meint Professor Dr. Walter Aulitzky, Vorsitzender des Krebsverbandes Baden-Württemberg und Leiter der Fachabteilung für Blut- und Tumorerkrankungen am Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart. „Wie bereite ich mich aufs Ende vor? Wie kann ich es akzeptieren? Wie werde ich mit der Angst fertig?“ Seiner Meinung nach kann man nicht unbedingt davon ausgehen, dass ihre Religion den Patienten in dieser schwierigen Situation hilft. „Ich kenne fast niemanden, der so stark religiös gebunden ist, dass er darin kurz vor dem Tod Trost findet. Das Leben muss einen Sinn haben, sonst ist das Jenseits unbedeutend.“ Um seinen todkranken Patienten bei dieser Sinnfindung zu helfen, wird Aulitzky das Dignity-Verfahren in diesem Jahr an seiner Klinik einführen. Eine Pflegekraft und ein Psychologe wurden hierzu bereits in Kalifornien in der therapeutischen Intervention ausgebildet: „Ich habe vor, dieses Konzept bei uns in den Stationsalltag einzubauen“, sagt Aulitzky.

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Palliativ- und Hospizkultur:

Es geht ums Zuhören, Dasein und Zeitschenken

Schwester Doreen führt im Vital-Zentrum Sanitätshaus Glotz Fortbildungen zum Thema „Palliativ- und Hospizkultur“ durch.

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s war ein Erlebnis, welches Schwester Doreen nie vergessen wird. Sie beschreibt es als ein prägendes, aber auch schönes Ereignis. An diesem Tag starb ein Priester in ihren Armen. Der Blick des Sterbenden hat diesen Moment so eindrucksvoll und unvergesslich gemacht: „Seine Augen begannen zu leuchten, und ich wusste, dass er in den Himmel blickt.“ Er war der erste Mensch, den sie begleitete. Damals war sie im freiwilligen sozialen Jahr und stand vor ihrer Ausbildung zur Krankenschwester. Seitdem hat sie Hunderte von Menschen und deren Angehörige als Palliative-Care-Fachkraft unterstützt, hat ihnen zugehört und ihnen ihre Zeit geschenkt. Sterben ist ein Thema, mit dem sich die wenigsten auseinandersetzen möchten. Für Menschen, die beruflich oder privat mit Palliativpatienten zu tun haben, ist es jedoch wichtig, sich professionell schulen zu lassen, um diese Situation für die Patienten und sich selbst bestmöglich zu gestalten. Nur so kann die Lebensqualität und Selbstbestimmung schwerstkranker Menschen erhalten, gefördert und verbessert werden. Das Vital-Zentrum Sanitätshaus Glotz, Stuttgart/Gerlingen, hat aus dieser Notwendigkeit heraus Ende 2012 mit einer Auftaktschulung „Palliativ-und Hospizkultur“ reagiert. Mitarbeiter sowie Altenpflegehelfer wurden in einem zweitägigen Seminar von Schwester Doreen geschult und auf den Umgang mit Palliativpatienten vorbereitet. Schwester Doreen spricht nicht nur über Palliativ- und Hospizpflege, sondern auch über den Tod selbst und wie die Angehörigen damit umgehen sollten: „Der Tod kommt oft schleichend und ist vor allem für Kinder schwer zu begreifen.“ Wichtig sei es, offen darüber zu sprechen und die Umstände nicht zu beschönigen. Der Mensch ist gestorben, und dies sollte auch so gesagt werden. Oft sei es auch hilfreich, den Verstorbenen nochmals zu sehen oder zu berühren, um sich zu verabschieden und damit zu begreifen, dass der geliebte Mensch gestorben ist. Red.

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Wer für andere sorgt, muss auch für sich selbst sorgen!

Pflegende Angehörige: eine schwierige Situation

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flegende Angehörige sind Verwandte, Freunde oder Bekannte, die zu Hause oder im häuslichen Umfeld jemanden pflegen, betreuen und versorgen oder sich auch nach erfolgtem Umzug in ein Pflegeheim sehr um den betreffenden Angehörigen kümmern. Pflegende Angehörige stehen unter einem großen Druck, brauchen viel Geduld und haben eine große Verantwortung. Die Arbeit ist körperlich wie auch psychisch sehr anstrengend. Oftmals sind sie rund um die Uhr gefordert. Pflegebedürftige allein zu lassen, ist häufig unmöglich oder sehr risikoreich, sodass alles, was außer Haus erledigt werden muss, in Hektik und der ständigen Angst, es könnte was passieren, geschieht. Oftmals nehmen vor allem Partnerinnen und nicht berufstätige, nahebei wohnende (Schwieger-)Töchter als pflegende Angehörige Hilfe und Unterstützung von außen sehr spät in Anspruch. Das gilt vor allem dann, wenn eine Pflegesituation nicht schlagartig, sondern schleichend entsteht. Vielleicht liegt das daran, dass sich Frauen schneller verpflichtet fühlen, zu unterstützen und zu helfen, was dazu führt, dass eigene Bedürfnisse oft lange in den Hintergrund gestellt werden. Pflegende Angehörige haben ein erhöhtes Risiko, selber zu erkranken und damit für die Pflege auszufallen. In einer solchen Situation muss sehr schnell nach einer Lösung gesucht werden. Für den Pflegebedürftigen ist es dann besonders schwer, von einem Moment auf den anderen den

Susanne Schwarz leitet das Kompetenzzentrum für Beratung, Pflege und Soziales der Diakonie- und Sozialstation Esslingen e.V. und steht gerne für Rückfragen bereit. Susanne Schwarz M.A. Kompetenzzentrum für Beratung, Pflege und Soziales Diakonie- und Sozialstation Esslingen e.V. Urbanstr. 4, 73728 Esslingen Tel.: 0711 396988-22, Fax: 0711 396988-28 schwarz@diakoniestation-esslingen.de www.diakoniestation-esslingen.de

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Susanne Schwarz M.A.

gewohnten Menschen durch eine bis dahin unbekannte Kraft „ersetzt“ zu sehen. Aus diesem Grund ist es wichtig, schon rechtzeitig (vielleicht schon bevor eine Krisensituation entsteht) nach Entlastung zu schauen und ein Netz zu knüpfen, auf das dann in besagten Krisensituationen (oder auch bei eigenen Urlaubswünschen) zurückgegriffen werden kann. Urlaub ist unabdingbar. Es muss zwischendurch die Möglichkeit zum Durchschlafen und Durchatmen gegeben werden. Auch Kuren sind wichtig, denn diese führen dazu, dass die Pflege zu Hause länger durchgehalten werden kann. Pflegende Angehörige müssen immer wieder ermutigt werden, nach Hilfemöglichkeiten und Entlastungen für sich selber zu suchen und diese dann auch auszuprobieren, ohne sich lange darauf festlegen zu müssen. Die Hilfen müssen sehr flexibel sein, damit sie in Anspruch genommen werden.

Welche Angebote können im Alltag Entlastung bringen? Das sind zum einen die Angebote, bei denen der Pflegebedürftige zu Hause bleibt: Hilfen bei der heimischen Pflege, beim Duschen oder Waschen oder auch bei der Führung des Haushaltes (Wäscheversorgung, Wohnungsreinigung, Einkäufe, Essen auf Rädern) oder Angebote, die betreuerischer Natur sind, wie z. B. Spaziergänge, Vorlesen, Spielenachmittage oder einfach nur die Anwesenheit einer Person, damit der Angehörige das Haus in Ruhe verlassen kann. Zum anderen gibt es Angebote, zu denen die pflegebedürftige Person geht bzw. gebracht wird: Zum Beispiel gibt es Betreuungsgruppen für Menschen mit Demenzerkrankungen, die wöchentlich oder vierzehntägig jeweils drei Stunden am Voroder Nachmittag stattfinden. Die sogenannte Tagespflege gibt es an fast allen Wochentagen, sie kann aber auch nur stundenweise gebucht werden. Braucht der Angehörige eine längere Phase der Regeneration, so kann der Pflegebedürftige über

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die sogenannte Kurzzeitpflege für einige Tage oder Wochen in einem Heim versorgt werden. Ferner gibt es die Angebote, die sich speziell an den pflegenden Angehörigen richten: In Beratungsstellen erhält man alle Informationen, die pflegende Angehörige brauchen, z. B. zur Pflegestufe, zur Verhinderungspflege, zu den zusätzlichen Betreuungsleistungen, zu verfügbaren Hilfen usw. Die geschulten Kräfte haben ein offenes Ohr, hören zu, geben Rückendeckung und beraten bezüglich der Finanzierung der Pflege. Ebenso kann sich der pflegende Angehörige bei der Führung des eigenen Haushalts unterstützen lassen und hat dann mehr Ruhe und Muße für sich selbst oder für die Betreuung des Pflegebedürftigen. In Pflegekursen von ambulanten Diensten erhalten Angehörige wertvolle Tipps zu einer rückenund ressourcenschonenden Pflegetätigkeit. In professionell begleiteten Gesprächskreisen geht es darum, dass den pflegenden Angehörigen zugehört und die Möglichkeit gegeben wird, offen und ohne schlechtes Gewissen unter Gleichgesinnten über ihre Situation zu sprechen. Sie erfahren damit Entlastung, aber auch Anerkennung und geben sich gegenseitig Tipps. Manch pflegender Angehöriger lässt sich auch durch ehrenamtliche Pflegebegleiter unterstützen. Pflegende Angehörige, die solche Hilfen annehmen, berichten in großer Übereinstimmung, dass sie sich schon eher hätten trauen sollen, Hilfen auszuprobieren und anzunehmen. Gerade der Schritt, auch anderen Menschen Betreuungsauf-

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gaben zuzutrauen, fällt zuerst schwer, wird dann aber als große Entlastung wahrgenommen. Je mehr eine Gesellschaft über Krankheitsbilder aufgeklärt ist, umso eher ist in Nachbarschaft und Bekanntenkreis mit Verständnis, Rücksichtnahme und praktischer Hilfe zu rechnen. Wird eine Einschränkung verheimlicht bzw. zum Tabu erklärt, ist es viel schwieriger, Unterstützung zu bekommen. Aufklärungskampagnen oder „Coming-outs“ von berühmten Persönlichkeiten (z. B. Rudi Assauer bezüglich seiner Alzheimer-Erkrankung) führen zu mehr Offenheit. In der allgemeinen Beratung ist festzustellen, dass die Leute umfassend und aus einer Hand über (finanzielle) Hilfen und sozialrechtliche Fragen beraten werden und direkte Zuständigkeiten benannt haben möchten. Auf den Einzelnen individuell einzugehen, ist in dieser Beratungssituation sehr wichtig. Unverständliche Verhaltensweisen von Patienten werden erklärt. Damit geht in der Regel ein besserer Umgang mit der Krankheit und den Verhaltensweisen der pflegebedürftigen Person einher. Ein pflegender Angehöriger muss einen gesunden Egoismus mitbringen, wenn er dauerhaft Pflege- oder Betreuungssituationen durchstehen möchte. Es darf nicht dazu kommen, dass er nur noch das Leben des Pflegebedürftigen führt und keine Zeit mehr für andere Dinge hat. Jeder Mensch hat das Recht, sein Leben zu gestalten und zu leben. Und man sollte Hilfen annehmen können. Ermutigen wir uns gegenseitig dazu!

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Zur Bedeutung der Palliativmedizin

Das Sterben so würdevoll wie möglich gestalten A

ls Mitglied des Deutschen Bundestages habe ich mich entschieden, im interfraktionellen Gesprächskreis Hospiz im Deutschen Bundestag mitzuarbeiten. Gemeinsam mit meiner Kollegin Marlene Rupprecht leite ich diesen Kreis, in dem sich Abgeordnete aus allen Fraktionen mindestens zweimal jährlich mit Palliativmedizinern und Vertretern aus Verbänden treffen. Unser Ziel ist es, im gesamten politischen Prozess ein Bewusstsein für Palliativmedizin und Hospizarbeit zu schaffen. Darüber hinaus wollen wir überprüfen, ob die im Parlament beschlossenen Gesetze in der Praxis auch wirkungsvoll sind oder ob an der einen oder anderen Stelle nachjustiert werden muss. Dank des Engagements der vielen ehren- und hauptamtlichen Mitarbeiter in der Hospiz- und Palliativarbeit konnte die Palliativversorgung in Deutschland in den letzten Jahren erheblich verbessert werden. Nach Angaben des Deutschen Hospiz- und Palliativverbandes lag die Zahl der ambulanten Hospiz- und Palliativdienste im Jahr 1996 noch bei 451 ambulanten Diensten. Diese Zahl hat sich mittlerweile mehr als verdreifacht. 2011 gab es bereits 1500 ambulante Hospiz- und Palliativdienste. Erfolge konnten außerdem beim Ausbau stationärer Hospize und Palliativstationen verzeichnet werden. In den vergangenen Jahren hat der Gesetzgeber zudem Gesetze und Verordnungen weiterentwickelt, um den Bedürfnissen von Patienten besser gerecht werden zu können. Wichtig war vor allem die Einführung Markus Grübel, MdB der SpezialiWahlkreisbüro Esslingen sierten Ambulanten PalliativBahnhofstraße 27 versorgung 73728 Esslingen Tel.: 0711 365 80 66 (SAPV) als erFax: 0711 365 80 70 gänzender markus.gruebel@wk.bundestag.de Maßnahme zum bestehenden Versor-

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Markus Grübel, MdB

gungsangebot. Die SAPV dient dem Erhalt, der Förderung und Verbesserung der Lebensqualität und Selbstbestimmung schwerstkranker Menschen. Das heißt konkret: Palliativmedizinisch und -pflegerisch qualifizierte Teams, in denen vor allem Ehrenamtliche tätig sind, sind 24 Stunden am Tag für die Patienten verfügbar. Dadurch kann vor allem eine nicht gewollte Krankenhauseinweisung vermieden werden. Die bisherige Entwicklung der SAPV ist gut, wie die Anzahl der Verträge, die palliativmedizinisch und -pflegerisch qualifizierte Teams mit den Krankenkassen geschlossen haben, zeigt. Allein in Baden-Württemberg sind es 22 Verträge. Ein wichtiger gesetzlicher Schritt war außerdem die Verabschiedung des „Zweiten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften“ im Juni 2012 im Bundestag. Vor Inkrafttreten dieses Gesetzes kam es außerhalb der regulären Öffnungszeiten der Apotheken, nachts, an Feiertagen und an Wochenenden in Notfallsituationen immer wieder zu Problemen hinsichtlich einer bedarfsgerechten Versorgung mit Schmerzmedikamenten für schwerstkranke und sterbende Menschen. Ärzten war es nicht gestattet, den Patienten in Krisensituationen notwendige Schmerzmittel zur Überbrückung zu überlassen. Um die Patienten und deren Angehörige zu entlasten, haben wir diese Regelung geändert. In Fällen, in denen der Bedarf durch eine Verschreibung nicht rechtzeitig gedeckt werden kann, dürfen Vertragsärzte zukünftig ambulant versorgten Palliativpatienten in eng umgrenzten Notfallsituationen ein Betäubungsmittel in Form eines Fertigarzneimittels überlassen. Mit den bisherigen Erfolgen beim Ausbau der Palliativversorgung in Deutschland können wir zufrieden sein. Es gibt jedoch immer noch einige „Baustellen“. Um vermeidbares Leiden von sterbenden und schwerstkranken Menschen sowie deren Angehörigen zu verhindern, müssen wir uns auch weiterhin für den Ausbau der Palliativversorgung in Deutschland einsetzen.

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Die Rolle des Hausarztes in der Palliativversorgung Dr. Sieglind Zehnle

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alliativ – was heißt das eigentlich?“, werde ich öfters von meinen Patienten gefragt. Bei der palliativen Behandlung geht es um die Betreuung Schwerstkranker und Sterbender. Es geht um die Betreuung von Menschen, deren Krankheit weit fortgeschritten ist und nicht mehr geheilt werden kann. Dazu gehören sowohl Krebskranke im letzten Stadium, als auch Menschen, die aufgrund eines hohen Lebensalters oder einer anderen Krankheit (z. B. chronischer Herz-, Lungenoder Nierenschwäche) einfach so gebrechlich und bettlägerig geworden sind, dass sie nicht mehr aufstehen werden und das Ende herankommt. Zur Palliativversorgung gehört immer – ambulant oder stationär – eine angemessene Schmerztherapie, möglichst auch die Erleichterung von Alltagsaktivitäten sowie eine gute Zusammenarbeit mit den Angehörigen, den betreuenden Krankenhausärzten und den Ärzten von der SAPV (Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung). Wichtig ist auch eine gute Kooperation mit den Pflegekräften der Diakoniestation, des Krankenpflegevereins, den Krankengymnasten vor Ort und allen anderen wichtigen Einrichtungen für Kranke.

Welche Rolle spielt der Hausarzt dabei? Der Hausarzt betreut die Patienten häufig schon seit längerer Zeit in der Praxis oder auch daheim. Er weiß um die familiären Verhältnisse. Oft kennt er die Patienten schon seit langem, sodass ein großes gegenseitiges Vertrauen besteht. In der Regel rufen die Angehörigen beim Hausarzt an, wenn sie sehen, dass es dem Patienten schlechter geht. So auch in diesem Fall: Die Patientin, 80 Jahre, weiß, dass sie an einem nicht heilbaren Bauchspeicheldrüsenkrebs leidet. Ich spreche mit der Frau. Sie möchte zu Hause sterben. Der ebenfalls betagte Ehemann möchte seine Frau auch gern daheim betreuen. Beide wünschen „auf keinen Fall“ einen Aufenthalt im Krankenhaus. Die drei Kinder wohnen zwar auswärts, möchten sich aber auch um ihre Mutter kümmern. Es folgen mehrere Hausbesuche. Der Patientin geht es anfangs gut. Sie beteuert jedes Mal, sie habe keine Schmerzen. Der Hospizdienst wird benachrichtigt. Frau Schlecht vom Hospizdienst Ostfildern kommt vorbei und lernt das Ehepaar kennen. Die SAPV, mit

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der der Hospizdienst und die niedergelassenen Ärzte zusammenarbeiten, wird ebenfalls schon benachrichtigt. Noch eine Woche vor ihrem Tod kann die Patientin, wie sie mir stolz berichtet, bei ihrer Geburtstagsfeier zwei Stück Schwarzwälder Kirschkuchen essen. Sie fühlt sich wohl in ihrer gewohnten Umgebung. Dann kommt der Tag, an dem sie langsam schläfrig wird. Ich lege zunächst eine Subkutaninfusion, die entsprechenden Medikamente für die letzten Tage werden bereitgestellt. Die Angehörigen werden angeleitet, wie diese zu verabreichen sind. Die Schwestern von der SAPV, die vom Krankenhaus Ruit aus mit Herrn Oberarzt Dr. Bihr organisiert wird, kümmern sich ab sofort um die Kranke. Auf Wunsch der Patientin kommt auch der Pfarrer ihrer Kirche noch einmal vorbei. Für mich als Hausärztin ist das eine Riesenentlastung, da von mir aus nun kein täglicher Hausbesuch mehr verpflichtend ist. Die Patientin ist bei der

SAPV in den besten Händen. Wir im Kreis Esslingen können uns glücklich schätzen, dass die SAPV bei uns bereits organisiert ist. Das ist nicht in allen Landkreisen der Fall. Nach wenigen Tagen verstirbt die Patientin. Sie ist daheim friedlich eingeschlafen, im Kreise ihrer Angehörigen. Meine Aufgabe als Hausärztin sehe ich darin, alles zu koordinieren, Hand in Hand mit der SAPV und dem Hospizdienst zu arbeiten und beide rechtzeitig einzuschalten. Außerdem möchte ich die Patienten als Hausärztin noch weiter begleiten. Daher mache ich bei den Sterbenden regelmäßig weiter Hausbesuche. Die letzten Wochen und Tage werden den Sterbenden so angenehm wie möglich gestaltet. Wichtig ist, die Lebensqualität zu erhalten, soweit möglich, und die letzten Wünsche dieser schwerstkranken Menschen – soweit machbar – noch zu erfüllen. Vielen Menschen kann es so ermöglicht wer-

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ie Ruiter Urologie ist die einzige urologische Klinik im Landkreis Esslingen. Das Behandlungsspektrum der Klinik umfasst alle Eingriffe der modernen Urologie. Zum Leistungsspektrum gehören Diagnostik und Therapie von Erkrankungen der Nieren und harnableitenden Wege wie Harnleiter und Blase sowie der männlichen Geschlechtsorgane wie z. B. Prostata, Hoden und Penis. Chefarzt Prof. Dr. Serdar Deger hat sich unter anderem auf die so genannte Schlüsselloch-Chirurgie spezialisiert. Die minimalinvasive Operationstechnik ist besonders schonend für die Patienten. Deger gehört nach der Zeitschrift Fokus seit Jahren zu Kreiskliniken Esslingen gGmbH den führenden Urologen in DeutschParacelsus-Krankenhaus Ruit Prof. Dr. med. Serdar Deger land. Die Urologie des ParacelusChefarzt der Klinik für Urologie Krankenhauses schaffte ebenfalls Hedelfinger Straße 166 den Sprung unter die Top-Fachklini73760 Ostfildern ken für Tumorerkrankungen. Tel.: 0711 4488-0

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Mit minimalinvasiven Eingriffen operieren Professor Deger und sein Team nicht nur Prostatakarzinome, Hodentumore und Blasentumore. Auch Nierentumore lassen sich auf diesem Weg schonend mit Erhalt der Niere entfernen. Neben dem onkologischem Gebiet findet diese Methode für rekonstruktive Verfahren der Harnwege große Anwendung. Die Ruiter Urologie ist ein zertifiziertes Prostatakarzinomzentrum. Prostatakrebs ist die häufigste Krebserkrankung bei Männern. Das Prostatakarzinomzentrum orientiert sich bei Diagnose und Therapie an den Richtlinien der deutschen Krebsgesellschaft. Durch die enge Zusammenarbeit der Ruiter Experten und der niedergelassenen Urologen wird eine individuell auf den Patienten abgestimmte Behandlung sicher gestellt. Die Klinik für Urologie behandelt außerdem Patienten im interdisziplinären Kontinenzzentrum des Paracelsus-Krankenhauses Ruit. Allein in Deutschland sind mehr als sechs Millionen Menschen von einer Harninkontinenz oder Stuhlhalteschwäche betroffen. Auch bei Blasenentleerungsstörungen

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den, im Angesicht des Todes im Kreise ihrer Familie und daheim zu bleiben und dort auch einzuschlafen. Das ist für viele eine große Beruhigung und Erleichterung.

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Abonnement Ja, ich möchte „Kompass Gesundheit“ regelmäßig lesen. Bitte senden Sie mir die „Kompass Gesundheit“-Ausgaben nach Erscheinen zu. „Kompass Gesundheit“ erscheint 4-mal jährlich. Ich übernehme die Porto- und Versandkosten in Höhe von Euro 10,pro Jahr. Ich kann diese Vereinbarung jederzeit widerrufen. Bitte keine Vorauszahlung! Sie erhalten von uns eine Rechnung.

Dr. med. Sieglind Zehnle Hausarzt-Praxis Scharnhausen Allgemeinmedizin – Homöopathie – Palliativmedizin Ruiter Str. 7; 73760 Ostfildern Tel.: 07158 8073; Fax: 07158 68411 praxiszehnle@web.de http://drzehnle.wordpress.com

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kann aufgrund des hohen Auftretens in der Bevölkerung von einer Volkskrankheit gesprochen werden. Der erste Schritt ist eine fachurologische medizinische Klärung des jeweiligen Problems. In einer eigens eingerichteten Kontinenz-Sprechstunde ist ausreichend Zeit, um individuelle Sorgen und Beschwerden zu erfassen und nach präziser Diagnostik eine entsprechende Therapie einzuleiten. Besserung bringt oft schon ein entsprechendes Trainingsprogramm, das mit den Physiotherapeuten des am Krankenhaus angesiedelten Vitalcenters ausgearbeitet wird. Die Ruiter Urologie hat zudem eine türkisch-sprachige Sprechstunde.

Tel. E-Mail Datum / Unterschrift Widerrufsrecht: Mir ist bekannt, dass ich die Vereinbarung innerhalb einer Woche bei MEDITEXT DR. ANTONIC (Leser-Service, Postfach 3131, 73751 Ostfildern) widerrufen kann. Die Frist beginnt mit Absendung dieses Formulars. Faxen Sie Ihre Bestellung an 0711 7656590 oder senden Sie diese in einem Briefumschlag an: MEDITEXT DR. ANTONIC Postfach 3131 73751 Ostfildern

Der nächste Kompass Gesundheit erscheint im Mai 2013

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Erfolgreiches Arzt-Patienten-Forum in Göppingen

Die Leute rennen ihm die Bude ein Werner Waldmann und Marion Zerbst Gemeint ist der Göppinger Internist und Vorsitzende der Kreisärzteschaft Dr. med. Hans-Joachim Dietrich. Er hatte schon immer die Ambition, Patienten über wichtige Krankheitsbilder zu informieren. Daher übernahm er die Moderation des bestehenden Arzt-Patienten-Forums, das von der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg und der Göppinger Volkshochschule durchgeführt wurde. Im Rahmen dieses Forums kann er Patienten Wissen vermitteln und wichtige Fragen beantworten. 44 Veranstaltungen besuchten über 10 000 Gäste.

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n Göppingen begann man im Jahr 1997 eher zufällig mit zwei Patientenveranstaltungen. Dr. Dietrich sah dies als einzigartige Chance und nahm sich vor, ab 2001 aus diesem ersten, eher zaghaften Versuch eine Erfolgsgeschichte zu machen. Mit bescheidenen zwei weiteren Veranstaltungen fing er an, inzwischen sind es bis zu sieben Vortragsabende pro Jahr! Im April 2013 findet ein erstes Arzt-Patienten-Forum auch in Geislingen statt. Wenn Dr. Dietrich sich etwas vornimmt, dann ohne Kompromisse. Oft dienen solche Veranstaltungen eher der Profilierung des Initiators oder sind allzu vordergründig als Werbemaßnahme für ein Krankenhaus gedacht. Bei Dr. Dietrich ist das anders: Er hatte bei seinem Vorhaben stets nur die Patienten im Auge, die nach neutralen Informationen suchen. In Karin Hebel-Walther, die als stellvertretende Leiterin der Volkshochschule in Göppingen die Gesundheitssparte betreut, fand er eine kongeniale Mitstreiterin. Die Themen suchte er gemeinsam mit ihr aus, denn sie wusste genau, welche Fragen Patienten am Herzen liegen. Und sie weiß auch, wie man den Leuten ein Thema „verkauft“: Dazu braucht man eine Schlagzeile, die sie mitreißt. Wenn es um Herz- und Lungenbeschwerden geht, heißt das in der Ankündigung dann halt „Wenn die Luft wegbleibt“, bei Nierenerkrankungen: „Was uns an die Nieren geht“. Dr. Hans-Joachim Dietrich Auch das Reizwort Facharzt für Innere Medizin Schlaganfall reißt Vorsitzender der Ärzteschaft Göppingen keinen vom Hocker, Ziegelstr. 41 da bedarf es schon 73033 Göppingen einer knalligeren Tel.: 07161 23121 Formulierung: „Wie Fax: 07161 14059 ein Blitz aus heiterem Himmel“.

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Überhaupt gilt es bei der Themenwahl genau nachzudenken. „Man muss breite Themen wählen“, diese Erfahrung hat Dr. Dietrich inzwischen gemacht. „Mit einer Anti-Raucher-Veranstaltung kriegen Sie niemanden in den Saal! Man muss schon Themen wie Kopfschmerzen, Bluthochdruck, Herzerkrankungen, Brustkrebs oder Prostata behandeln. Es müssen breite, landläufige Themen sein, banal gesagt: Volkskrankheiten.“ Dietrich holte sich seine Referenten nicht nur aus dem Göppinger Raum, sondern engagierte auch Referenten aus der näheren und weiteren Umgebung, sowohl aus den Kliniken als auch aus den Arztpraxen. Das machte ihm nicht nur Freunde, es führte zu einer für die Patienten interessanten Auswahl von Referenten. Er hatte seine eigenen Vorstellungen davon, wie solche Veranstaltungen aussehen müssen, damit die Patienten wirklich etwas davon haben. Die Moderation übernahm er selbst und führte eine Neuerung ein, die bei medizinischen Vorträgen vor Laien nur selten praktiziert wird: Im Anschluss an die Vorträge seiner ärztlichen Kollegen holt er Patienten zu einer Frage-AntwortSession auf die Bühne und spricht mit ihnen über ihre persönlichen Erfahrungen mit ihrer Krankheit und der Therapie. Das ist ein absolutes Highlight für die Zuhörer, die sich auf diese Weise sehr viel besser mit dem Gehörten identifizieren können. Normalerweise sprechen ärztliche Referenten über Krankheiten, die sie selbst nicht haben. „Ich dagegen“, erklärt Dietrich, „bringe auch jemanden auf die Bühne, der berichtet, wie er seine Krankheit erlebt hat, was er durchgemacht hat – die positiven und die negativen Seiten. Die Zuhörer merken: Das ist einer von uns. Mit dem können wir uns identifizieren.“ Dietrich hat auch kaum Probleme damit, Patien-

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Die Ärzteschaft Göppingen veranstaltet unter der Leitung ihres Vorsitzenden Dr. Hans-Joachim Dietrich seit Jahren Arzt-PatientenForen. Die kommenden Veranstaltungen greifen folgende Themen auf: 25.04.2013 19.00 Uhr Stadthalle Göppingen Wenn der Kopf zerspringt REFERENTEN: Dr. med. Sandra Schmid-Domay, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie; Markus Schad, Neurologe, Oberarzt Christophsbad, Göppingen 27.06.2013 19.00 Uhr Stadthalle Göppingen Was einem an die Nieren geht … REFERENTEN: Prof. Dr. med. Mark Schrader, Ärztlicher Direktor der Klinik für Urologie, Universität Ulm Dr. med. Frank Genske, Facharzt für Innere Medizin und Nephrologie, Dialyse-Zentrum Göppingen Dr. med. Klaus-Dieter Hanel, Facharzt für Innere Medizin und Nephrologie, Chefarzt Klinik am Eichert Mehr Infos: www.vhs-goeppingen.de

© IKO/ScanStockPhoto

ten zu gewinnen, die sich vor Publikum outen. „Wenn ich meine Patienten danach frage, sagen mehr als 90 % zu. Ich gehe dabei sehr offen und fair vor und sage: Nehmen Sie meine Bitte mit nach Hause. Denken Sie darüber nach. Es ist Ihre Entscheidung. Wenn Sie ablehnen, ändert sich dadurch zwischen uns beiden nicht das Geringste.“ Dietrich hat gelernt, dass es für viele Menschen ein guter Weg ist, ihre Krankheitserfahrung zu verarbeiten, indem sie sie mit anderen teilen. „Bei einer meiner Veranstaltungen stellte ich einen jungen Patienten vor, dem ein Herz implantiert wurde. Das war unglaublich: Als er redete, hätte man im Saal ein Blatt fallen hören können.“ Übrigens bezieht Dietrich das Auditorium nicht ins Frage-Antwort-Prozedere ein, weil er die Erfahrung gemacht hat, dass die Schilderung von Laienkrankengeschichten andere Zuhörer nicht sehr interessierte und sich dadurch der Saal schnell leerte. Interessenten können sich im Anschluss an die Veranstaltung noch eine halbe Stunde lang mit den Referenten austauschen. Die Besucherzahlen liegen zwischen 300 und 400 pro Thema.

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16. März 2013 | KuBinO Ostfildern-Nellingen Moderation: Stefanie Anhalt (SWR) Information: www.kompass-gesundheit-bw.de Eintritt: 5,– Euro


Klinik und niedergelassene Ärzte: Enge Kooperation zum Wohl des Patienten Ein Gespräch zwischen dem Göppinger Internisten und Vorsitzenden der Kreisärzteschaft Göppingen, Dr. med. Hans-Joachim Dietrich, und dem Ärztlichen Direktor der Göppinger Klinik, Prof. Dr. Gerd Becker. Die Fragen stellte Werner Waldmann.

Die Zusammenarbeit zwischen niedergelassenen Ärzten und Klinikärzten ist nicht immer die beste. Wie ist das bei Ihnen in Göppingen? Prof. Becker: Diese Erfahrung habe ich bei uns zum Glück noch nicht gemacht. Aus unserer Sicht läuft die Kooperation hervorragend. Ich finde es ganz wichtig, dass wir einander als Partner verstehen, denn der Patient braucht beide Seiten – niedergelassene Ärzte und Klinikärzte. Wir sind keine Konkurrenten. Wir haben beide den ärztlichen Auftrag, für denselben Patienten zu arbeiten – und zwar nicht im Sinne einer Konkurrenz, sondern der gegenseitigen Ergänzung. Entscheidend ist, dass der Patient das bekommt, was er braucht. Heutzutage können in der Medizin schon sehr viele Leistungen ambulant erbracht werden, und dieser Trend wird in Zukunft noch weiter zunehmen. Wir haben das Glück, dass es in unserem Landkreis keine konkurrierenden Krankenhäuser gibt. Dennoch arbeiten wir nicht auf einer Insel der Glückseligen. Um uns herum gibt es exzellente medizinische Zentren. Mit denen müssen und wollen wir es aufnehmen. Es reicht nicht aus, dass es uns einfach nur gibt. Wir müssen wirklich gut sein – besser als die Kollegen in anderen Landkreisen. Dr. Dietrich: Grundlage der guten Zusammenarbeit zwischen niedergelassenen Ärzten und Klinik ist gegenseitige Offenheit, Vertrauen und insbesondere der Wille, im Interesse des Patienten gut zuProf. Dr. med. Gerd Becker Ärztlicher Direktor der Klinik am Eichert Göppingen Chefarzt Klinik für Radioonkologie Tel.: 07161 64-2205 Fax: 07161 64-1841 radioonkologie@kae.de

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sammenzuarbeiten. Dies ist in Göppingen in idealer Weise gegeben. Wissen Sie genau, wie Ihre Klinik im Vergleich zu anderen abschneidet? Prof. Becker: Ja, das haben wir vor kurzem durch das Landesstatistikamt auswerten lassen; und da wurde uns bestätigt, dass wir 85 % der Patienten in unserem Landkreis exzellent versorgen. Der Rest – das sind oft spezielle Fälle – kommt in spezialisierte Zentren der Unikliniken, denn wir haben keine Neurochirurgie und auch keine Herz-Thorax-Chirurgie. Damit haben wir aber kein Problem: Was wir nicht selbst leisten können, überlassen wir den Kollegen in anderen Häusern. Herr Dr. Dietrich, wie bewerten Sie die Zusammenarbeit zwischen der Klinik und den niedergelassenen Kollegen hier in Göppingen? Dr. Dietrich: Als ich im Jahr 1997 zum Vorsitzenden der Kreisärzteschaft gewählt wurde, haben wir den Ärztlichen Direktor der Klinik und den Fortbildungsbeauftragten als Mitglieder in den Vorstand integriert. Das hat sich sehr bewährt, und durch die gemeinsame Arbeit konnten differente Meinungen immer schnell gelöst werden. In diesem Zusammenhang möchte ich auch Herrn Prof. Jörg Martin, den bisherigen Geschäftsführer der Klinik, lobend hervorheben. Martin ist selbst Arzt – ein Glücksfall für die Klinik und für uns niedergelassene Ärzte. Wir wissen, dass wir uns aufeinander verlassen können. Und das ist, glaube ich, auch der Grund, warum hier in den letzten Jahren alles so gut funktioniert hat. Ein Pluspunkt unserer Zusammenarbeit ist die reibungslose Kommunikation. Wenn ich jemanden aus der Klinik sprechen möchte, kann ich nicht erwarten, dass das sofort geht, es ist jedoch darauf

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Verlass, dass man schnellstmöglich einen gemeinsamen Gesprächstermin findet. Prof. Becker: Genau. Wir tauschen uns miteinander aus und kommen immer zu einem Konsens, einem abgestimmten Vorgehen. Dr. Dietrich: Darf ich dazu etwas ganz Aktuelles sagen? Man diskutiert in der Öffentlichkeit seit einiger Zeit über das Problem, dass Chefärzte von ihren Geschäftsführern mit Boni – also Geldzahlungen – dazu motiviert werden, möglichst viele Eingriffe durchzuführen. Prof. Martin hat mir schon vor einiger Zeit versichert, dass es unter ihm keine solchen Bonuszahlungen gebe. Solche Verträge, die bestimmte Eingriffszahlen forcieren, lehnt er ab, weil ein Eingriff, der nur um des finanziellen Ergebnisses willen erfolgt, seiner Meinung nach Körperverletzung ist. Wie sieht es bei Ihnen mit dem ärztlichen Nachwuchs aus? Prof. Becker: In dieser Hinsicht stehen wir zum Glück nicht schlecht da, weil wir ein akademisches Lehrkrankenhaus der Ulmer Universität sind und viele Studenten haben. Bei der Bewertung ihrer Lehrkrankenhäuser, die die Ulmer Uni regelmäßig durchführt, haben wir in den letzten Jahren besonders gut abgeschnitten: Wir rangierten immer auf dem ersten Platz. Dadurch bekommen wir viele junge Assistenzärzte, die gern bei uns arbeiten wollen. Aber ganz sicher wird unser Beruf sich in den nächsten zehn Jahren erheblich verändern, weil einfach weniger Ärzte zur Verfügung stehen, als wir eigentlich bräuchten. Dr. Dietrich: Es ist Tatsache, dass immer mehr Frauen Medizin studieren, die aber später nicht Vollzeit arbeiten werden. Doch auch die Männer betrachten den Beruf des Arztes mittlerweile ganz anders, als wir ihn in unserer Generation gesehen haben. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf zahlreiche Darstellungen in der Presse, die sich mit den Unterschieden der Generation X und Generation Y auseinandersetzen. Die Freizeit hat heute einen viel höheren Stellenwert. Das heißt nicht, dass diese jungen Kollegen weniger arbeiten, sie haben nur eine andere Einteilung. Sie sagen, und das sicherlich zu Recht: Meine Familie hat auch einen Anspruch auf mich.

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Dass diese Einstellung zu Problemen, gerade im Betrieb der Kliniken, führen kann, liegt auf der Hand. Prof. Becker: Ich sehe da genau wie Sie ein Riesenproblem. Wir haben zu mindestens 80 % Frauen als Nachwuchsärztinnen, und Frauen müssen nun einmal die Kinder kriegen. Das ist auch gut so; doch viele Frauen fallen dann nicht nur vorübergehend aus, sondern entscheiden sich langfristig für ein zeitlich reduziertes Engagement im Beruf. Und sie brauchen aufgrund dieser Situation auch viel länger, bis sie ihre Facharztqualifikation haben. Das ist dann unser Versorgungsproblem im Alltag der Kliniken und Praxen. Auch die männlichen jungen Ärzte arbeiten nur noch mit begrenztem Einsatz. Heutzutage sind die hochengagierten Oberärzte, die noch unserer Generation entstammen, in den Krankenhäusern die Leistungsträger, die den Großteil der Arbeit stemmen. Da werden wir uns in den nächsten Jahren noch etwas einfallen lassen müssen, wenn diese Mitarbeiter nach und nach in den Ruhestand gehen. Aber es studieren ja immer noch sehr viele junge Menschen Medizin. Wo bleiben die denn? Prof. Becker: Ja, es studieren im Prinzip genauso viele Leute Medizin, wie wir brauchen würden. Das sind rund 12 000 Studenten; davon gehen etwa 2000 ins Ausland. Doch unser Problem entsteht tatsächlich dadurch, dass unter diesen Medizinstudenten eben viele Frauen sind, die später pausieren werden, und dass die meisten Männer auch nicht mehr bereit sind, 24 oder mehr Stunden am Stück zu arbeiten. Ich will ja nicht behaupten, dass diese Arbeitsbedingungen optimal waren; aber das hat nun mal zu unserer Ausbildung gehört. 36 Stunden Dienst war der Standard; man ist erst gegangen, wenn der Patient versorgt war. Das haben wir freiwillig gemacht. Das war für uns selbstverständlich. Heute ist das anders. Und dadurch haben wir ein Versorgungsproblem. Die Patienten werden immer älter und kränker. Wir haben mehr diagnostische Möglichkeiten. Früher gab es diese komplexen Untersuchungen nicht. Aber das kostet nun mal Zeit, die der Arzt für seine Patienten investieren muss. Ohne großen Idealismus kann man diesen Beruf nicht ausüben.

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Schwarze Schafe gibt es überall

Ärzte sind auch nur Menschen Wenn der eine oder andere Fehler macht: Muss dann ein ganzer Berufsstand diskreditiert werden? Ihre persönliche Meinung ist gefragt. Nehmen Sie kein Blatt vor den Mund. Jeder hat das Recht, offen sein Urteil abzugeben. Schreiben Sie der Redaktion, wie zufrieden Sie mit dem Arzt Ihres Vertrauens sind. Wir freuen uns auf Ihre Reaktion. E-Mail: dr.antonic@meditext-online.de Postadresse: MEDITEXT Dr. Antonic Redaktion KOMPASS GESUNDHEIT Postfach 3131 73751 Ostfildern Fax: 0711 7656590


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