Kompass Gesundheit BW 3 2018

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Kompass Gesundheit DAS MAGAZIN FÜR BADEN-WÜRTTEMBERG

Nr. 3 2018

Selbsthilfe – warum sie so wichtig ist Sekundenschlaf – die tödliche Gefahr Schlafdiagnostik für Kinder

7. Jahrgang www.kompass-gesundheit-bw.de

Rauche r entwöh nung mit der E-Zigare tte?

In Zusammenarbeit mit


„Wir bieten Ihnen als eine der größten kardiologischen Kliniken in Baden-Württemberg ein breites Leistungsspektrum. Wir sind auf das gesamte Spektrum von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Gefäß-, Lungenund Nierenerkrankungen spezialisiert.“ Chefarzt Prof. Dr. Matthias Leschke

Klinik für Kardiologie, Angiologie und Pneumologie Das Diagnostik- und Therapiezentrum für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Gefäß-, Lungen- und Nierenerkrankungen Klinikum Esslingen Chefarzt Prof. Dr. Matthias Leschke Arzt für Innere Medizin, Kardiologie, Pneumologie und Intensivmedizin Telefon 0711 3103-2401 Telefax 0711 3103-2405 E-Mail: m.leschke@klinikum-esslingen.de


editorial Liebe Leserin, lieber Leser, wir haben für diese Ausgabe von „Kompass Gesundheit“ als einen Schwerpunkt das Thema Selbsthilfe ausgewählt. Vordergründiger Anlass war der Start des neuen Schlaflabors am Klinikum Esslingen. Andernorts werden Schlaflabore dicht gemacht, weil sie sich nicht rechnen. Nicht, dass es an Patienten mangelt, im Gegenteil, die Wartezeiten sind unglaublich, bis zu einem Jahr oder länger. Grund für die geringe Sympathie der Klinikgeschäftsführer: Die Krankenkassen honorieren die Arbeit der Schlaflabore alles andere als kostendeckend. Zukunftsorientiert ist diese Strategie nicht, bedenkt man, was eine nicht entdeckte, unbehandelte Schlafapnoe später kosten kann, wenn die Betroffenen mit Herzinfarkt oder Schlaganfall in die Klinik eingeliefert werden. Zurück zum neuen Schlaflabor in Esslingen: Parallel dazu hat sich dort eine neue Selbsthilfegruppe etabliert. Anlass für uns, dieses Thema einmal näher zu beleuchten. Selbsthilfegruppen sind umstritten. Nicht wegen ihres Sinns, denn der ist eindeutig: Ohne Selbsthilfe geht es nicht mehr im Gesundheitswesen. Doch weshalb umstritten? Junge Menschen haben Vorurteile und glauben, Selbsthilfegruppen wären gemütliche Kaffeerunden, in denen Senioren ihre Wehwehchen loswerden. Welche Fehleinschätzung! Auch Ärzten sind Selbsthilfegruppen oft suspekt, denn deren Mitglieder sind Spezialisten ihrer Krankheit. Sich mit denen auseinanderzusetzen, das kostet Zeit. Doch Laien und Profis müssen sich zusammentun. Davon profitiert jede Seite.

Werner Waldmann ist Medizinjournalist und leitet die Redaktion von „Kompass Gesundheit“.

Unser zweites ebenso brisantes Thema ist der Sekundenschlaf, jenes Phänomen, das schon so mancher LKW- und PKW-Lenker erlebt hat und lieber darüber schweigt. Wer sich müde ans Steuer setzt, ist eine Gefahr für sich selbst und seine Mitbürger. Egal, ob eine unbehandelte Schlafapnoe schläfrig macht oder eine persönliche Missachtung unseres natürlichen Schlafbedürfnisses die Ursache ist. Ohne erholsamen Schlaf geht es nicht. Wer den Schlaf zu vermeiden versucht, tut sich und anderen keinen Gefallen. Gehen Sie doch einfach mal bewusst früher zu Bett und genießen Sie den Schlaf! Der nächste Tag wird Ihnen eine ganz neue Vitalität bescheren! Ihr Werner Waldmann

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Impressum Kompass Gesundheit – Das Magazin für Baden-Württemberg Herausgeber: Dr. Magda Antonic Redaktionsleitung: Werner Waldmann (V.i.S.d.P.)

Verlag: MEDITEXT Dr. Antonic Verlagsleitung: Dr. Magda Antonic Panoramastr. 6; D-73760 Ostfildern Tel.: 0711 7656494; Fax: 0711 7656590 dr.antonic@meditext-online.de; www.meditext-online.de www.kompass-gesundheit-bw.de

Botschafter: Dr. med. Suso Lederle, Prof. Dr. med. Matthias Leschke

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Ein Einzelheft ist zum Preis von 1,60 Euro (zzgl. Versandkosten) beim Verlag erhältlich.

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AOK – Die Gesundheitskasse Neckar- Fils

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Gesundheitspolitik: Markus Grübel (MdB), Michael Hennrich (MdB) Redaktion: Dr. J. Roxanne Dossak, Ursula Pieper, Marion Zerbst Art Direction: Dr. Magda Antonic Herstellung: Barbara Schüler Druck: Druckerei Mack GmbH

Wichtiger Hinweis: Medizin als Wissenschaft ist ständig im Fluss. Soweit in dieser Zeitschrift eine Applikation oder Dosierung angegeben ist, darf der Leser zwar darauf vertrauen, dass Autoren, Redaktion und Verlag größte Mühe darauf verwandt haben, dass diese Angaben genau dem Wissensstand bei Drucklegung der Zeitschrift entsprachen. Dennoch sollte jeder Benutzer die Beipackzettel der verwendeten Medikamente selbst prüfen, um in eigener Verantwortung festzustellen, ob die dort gegebene Empfehlung für Dosierungen oder die Beachtung von Kontraindikationen gegenüber der Angabe in dieser Zeitschrift abweicht. Leser außerhalb der Bundesrepublik Deutschland müssen sich nach den Vorschriften der für sie zuständigen Behörden richten. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) müssen nicht besonders kenntlich gemacht sein. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

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Medizinisch-wissenschaftlicher Beirat: Prof. Dr. med. Tilo Andus, Prof. Dr. med. Walter-Erich Aulitzky, Dr. med. CarlLudwig v. Ballestrem, Prof. Dr. med. Hansjörg Bäzner, Prof. Dr. med. Gerd Becker, Dr. med. Wolfgang Bosch, Prof. Dr. med. Alexander Bosse, Dr. med. Ernst Bühler, Prof. Dr. med. Claudio Denzlinger, Dipl.-Psych. Sabine Eller, Prof. Dr. med. Ulrich Franke, Dr. med. Wilhelm Gienger, Dr. med. Joachim Glockner, Dr. med. Rainer Graneis, Dr. med. Christian Hayd, Prof. Dr. med. Bernhard Hellmich, Prof. Dr. med. Doris Henne-Bruns, Prof. Dr. med. Christian Herdeg, Prof. Dr. med. Bodo Klump, Prof. Dr. med. Monika Kellerer, Prof. Dr. med. Alfred Königsrainer, Dr. med. Klaus Kraft, Prof. Dr. med. Matthias Leschke, Prof. Dr. med. Ulrich Liener, Prof. Dr. med. Alfred Lindner, Prof. Dr. med. Ralf Lobmann, Dr. Tobias Meile, Dr. med. Gerhard Müller-Schwefe, Prof. Dr. med. Thomas Nordt, Dr. med. Jürgen Nothwang, Dr. med. Stefan Reinecke MBA, Dr. med. Martin Runge, Dr. med. Norbert Smetak, Dr. med. Wolfgang Sperber, Prof. Dr. med. Arnulf Stenzl, Prof. Dr. med. Thomas Strowitzki, Holger Woehrle, Dr. med. Sieglind Zehnle


inhalt Selbsthilfegruppen – wer braucht denn so was? • Die Selbsthilfegruppe „Frauenselbsthilfe nach Krebs

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• Drei Selbsthilfegruppen mit großem Engagement

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• Studie: Gesundheitsbezogene Selbsthilfe in Deutschland

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• Selbsthilfe im Dialog mit Klinik und Wissenschaft

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• Das Gesundheitsgespräch mit Johannes Bauernfeind: Die AOK setzt auf Selbsthilfe

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• Über Selbsthilfe, Gesundheitspolitik und Geld

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Warum wir mit Impfungen nicht nur uns selbst, sondern auch andere schützen

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VdK-Gesundheitstag in Stuttgart

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Wege zum erholsamen Schlaf

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Gefährlicher Sekundenschlaf

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• Sekundenschlaf: die tödliche Gefahr

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• Erschreckende Zahlen und Fakten

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Schlafdiagnostik für kleine Patienten

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Über den Zungenschrittmacher: Die neue Generation der Atemwegstimulation

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Rauchen: Clean mit der E-Zigarette?

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Notfallambulanzen überfordert: Weshalb wir echte Notfälle behindern

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Das neue Schlaflabor am Klinikum Esslingen

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Impressum 4 | Aboformular 44 | Der nächste „Kompass Gesundheit“ erscheint im Oktober 2018

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Selbsthilfegruppen – wer braucht denn so was?

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Selbsthilfegruppen gibt es für alles und jeden, zu jedem Problem, über das sich Menschen miteinander austauschen möchten oder für dessen Lösung sie Hilfe suchen. Es gibt so viele verschiedene Gruppen wie es verschiedene Probleme gibt – manche Leute machen sich schon darüber lustig und erfinden z. B. eine Gruppe für Besitzer von depressiven Möpsen oder für von Außerirdischen Entführte. Es gibt für alles eine Selbsthilfegruppe – und für die, die sich zu cool dafür fühlen, sollte man vielleicht eine gründen. Dabei ist die Selbsthilfe eine ernstzunehmende Einrichtung, die sehr viele Aufgaben und Leistungen übernimmt, die unsere Gesellschaft nicht mehr leistet, nicht mehr leisten kann oder vielleicht sogar nicht mehr leisten will. In dieser Ausgabe des „Kompass Gesundheit“ beschäftigen wir uns mit der gesundheitsbezogenen Selbsthilfe. Alles, was hier getan wird, ist fast immer ehrenamtlich. Wir stellen Ihnen – stellvertretend für viele – vier lokale Gruppen vor.

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Seelischen Stress abbauen, Trost und Unterstützung finden:

Die Selbsthilfegruppe „Frauenselbsthilfe nach Krebs“ Die Diagnose „Krebs“ reißt den meisten Menschen erst mal den Boden unter den Füßen weg. Für Frauen ist die Situation besonders belastend: Häufig müssen sie sich neben ihrer beruflichen Tätigkeit auch noch um Haushalt und Familie kümmern, können das dann aber meistens nicht mehr, denn Operation, Strahlen- und Chemotherapie zehren an den Kräften. Außerdem ist es ein schwerwiegender Eingriff in die Identität und das Selbstwertgefühl einer Frau, wenn ihr eine Brust, die Gebärmutter oder die Eierstöcke entfernt werden müssen. In solchen Situationen kann eine Selbsthilfegruppe Trost und Unterstützung bieten, denn die Angehörigen sind damit oft überfordert. Wir sprachen mit Isolde Stadtelberger, der Leiterin der Selbsthilfegruppe „Frauenselbsthilfe nach Krebs“ in Esslingen, und Birgit Gurbandt, der Kassiererin der Gruppe Esslingen. Wie sind Sie zur Selbsthilfe gekommen? Isolde Stadtelberger: Das war um das Jahr 2000. Grund war meine dritte Krebserkrankung. Ich bin in meiner Familie die Erste, die an Krebs erkrankt ist. Deshalb dachte ich mir: Irgendetwas in meinem Leben stimmt nicht, ich muss etwas ändern. Ich hatte einen Beruf, der normalerweise von Männern besetzt ist, und da habe ich mich – ehrgeizig wie

Forum für Menschen mit Krebs https://forum.frauenselbsthilfe.de

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ich bin – wohl verschlissen. Ich denke, dass das auch ein Grund dafür war, dass mein Immunsystem einfach nicht mehr so funktioniert hat, wie es sollte, und es dadurch zu meiner dritten Erkrankung kam. Ich habe mein Berufsleben dann frühzeitig beendet und bin in den Vorruhestand getreten. Dann habe ich mich ein bisschen umgehört, bin irgendwann auf die Gruppe „Frauenselbsthilfe nach Krebs“ gestoßen und als normale Teilnehmerin da hingegangen. Irgendwann wurde ich gefragt, ob ich nicht am Führungsteam teilnehmen möchte; später wurde ich Stellvertreterin und danach Leiterin. Das bin ich jetzt seit über zehn Jahren.

Krebs-Selbsthilfegruppen in Deiner Nähe www.frauenselbsthilfe.de/gruppen.html

Wäre es schwierig, eine Nachfolgerin zu finden? Isolde Stadtelberger: Das ist überall schwierig. Es sind zwar alle Menschen froh darüber, sich in so einer Selbsthilfegruppe Rat und Hilfe holen zu können; aber die Verantwortung für eine Gruppe zu übernehmen, für die man dann auch da sein und sich Zeit nehmen muss – das wollen die wenigsten. Wir feiern jetzt unser 40-jähriges

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Jubiläum. Danach werde ich mal versuchen, klarzustellen, dass sich da etwas tun muss, denn vom Alter her sollte ich langsam aufhören. Wie groß ist Ihre Gruppe? Isolde Stadtelberger: Wir haben zwei Gruppen: mittags für die Älteren; das sind so ungefähr 50 bis 60 Teilnehmer, davon kommen jeweils 20 bis 30. Abends findet ein Gesprächskreis für die Jüngeren statt, die meistens noch berufstätig sind. An diesen Abenden wird auch gezielt über die Krankheit gesprochen, was mittags eher nicht der Fall ist. Neue Mitglieder bitte ich, abends zu kommen, damit sie Fragen stellen können. Das hat in dieser Gruppe allerdings auch schon dazu geführt, dass manche sagen: „Ich halte es nicht aus, mich immer wieder mit neuen Schicksalen zu befassen, und möchte daher lieber nicht mehr kommen.“ Zu den abendlichen Gesprächskreisen kommen in der Regel zehn bis zwölf Teilnehmerinnen. Bei diesen Treffen werden natürlich auch immer wieder Ängste wach, weil wir alle wissen, dass Krebs zurückkommen kann. Das haben wir in der Gruppe mit den älteren Mitgliedern auch schon öfters erlebt. Ich weise die Frauen immer darauf hin, dass man sich darüber im Klaren sein muss und regelmäßig zu seinen Nachsorgeuntersuchungen gehen sollte. Wie lange bleiben die einzelnen Frauen in der Gruppe? Isolde Stadtelberger: Bei den älteren Patientinnen gibt es Frauen, die schon länger dabei sind als ich. Dadurch entsteht auch eine gewisse Verbundenheit. Das ist ganz wichtig: Wenn eine Frau wieder erkrankt, wird sie in der Gruppe sehr gut aufgefangen. Das habe ich jetzt schon wiederholt erlebt und finde es richtig schön. So eine Selbsthilfegruppe ist also nicht nur eine Informationsplattform, sondern man wächst darin auch zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammen, in der man sich vielleicht auch gegenseitig Kraft schenkt? Isolde Stadtelberger: Ja, das stimmt. Es entwickeln sich Freundschaften, und man erhält Hilfestellungen, mit denen man gar nicht gerechnet hat. Vor allen Dingen tut es den Betroffenen gut, zu wissen: Hier sind Menschen, die wissen, worum es geht, weil sie selber betroffen sind.

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Frau Gurbandt , wie haben Sie den Weg zur Selbsthilfe gefunden? Birgit Gurbandt: Das war erst fünf Jahre nach meiner Erkrankung. Anfangs konnte ich es gar nicht fassen, dass ich Brustkrebs haben sollte. Doch dann habe ich nach vorne geschaut, optimistisch gedacht und gedacht: Das schaffe ich. Die Diagnose, die OP… Das ging alles so schnell. Zu dem Zeitpunkt war ich noch berufstätig, brauchte zum Glück keine Chemotherapie und bin drei Wochen nach der OP wieder arbeiten gegangen. Auch während der Strahlentherapie habe ich gearbeitet. Zusätzlich zu den Bestrahlungen bekam ich auch noch eine medikamentöse Therapie. Damals war ich beruflich und privat sehr eingespannt; ich musste mich auch noch um meine Mutter kümmern, sie pflegen, nach ihr schauen, hatte also gar keine Zeit für Selbsthilfegruppentreffen. Dann fand in Esslingen der erste Aktionstag „Esslingen gegen Krebs“ statt. Da bin ich hingegangen, weil ich mich eigentlich immer schon mit diesem Thema befasst und auch viel im Internet nachgelesen hatte. Damals ging es um Studien mit Tamoxifen. Mich hat das interessiert, und ich bin zu dieser Veranstaltung gegangen, um mir den Vortrag anzuhören. Dort habe ich die Gruppe kennengelernt. Ich hatte auch eine Bekannte, die schon seit sechs Jahren dort Mitglied war. Sie hat mich gefragt, ob ich nicht auch mal in die Gruppe kommen wolle, das würde mir sicher guttun, weil ich nervlich durch die Pflege meiner Mutter ziemlich am Ende war. Also dachte ich: Ich schaue mir das mal an, vielleicht bin ich in so einer Gruppe ja gut aufgehoben. Und tatsächlich habe ich mich dort sehr wohl gefühlt; es hat meinem Seelenleben einfach gutgetan. Und ich habe auch Vorträge gehört, Neues erfahren und viele Zusammenhänge besser verstanden als vorher. Wie lange sind Sie schon in der Gruppe? Birgit Gurbandt: Seit fünf Jahren. Nach fünf Monaten hat Frau Stadtelberger mich gleich dazu überredet, das Amt der Kassiererin zu übernehmen, das zu dem Zeitpunkt gerade unbesetzt war. Und da dachte ich: Wenn ich jetzt schon in einer Gruppe bin, wo ich mich wohl fühle, dann kann ich mich da auch einbringen. Ich finde den Zusammenhalt in dieser Gruppe wirklich ganz toll. Das gibt mir etwas.

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Wie schätzen Sie die Zukunft der Selbsthilfe auf Ihrem Gebiet ein? Was müsste sich ändern, damit solche Gruppen attraktiver werden – auch für jüngere Frauen? Isolde Stadtelberger: Ich denke, dass vonseiten der Ärzte vielleicht mehr darauf hingewiesen werden sollte, dass die Patientinnen es zumindest mal mit einer Selbsthilfegruppe probieren sollten. Man verpflichtet sich zu nichts, wenn man mal probeweise zu uns kommt, denn man wird ja nicht Mitglied; sondern wir sprechen von Teilnehmern, es kostet also kein Geld, und man kann auch jederzeit wieder gehen. Ich denke, in so einer Selbsthilfegruppe kann man psychische Belastungen sehr gut abbauen. Wir haben zwar in Esslingen zwei onkologische Psychologinnen; aber da muss man lange auf einen Termin warten. Irgendwann kommt einfach der Punkt, wo der Erkrankte nicht mehr mit seiner Situation klarkommt. Zum Beispiel hatten wir eine Dame, die Anfang letzten Jahres das erste Mal zu uns kam. Bei der waren wieder Metastasen aufgetreten. Sie hat telefonisch mit mir Kontakt aufgenommen, kam dann in die Gruppe und hat sich unter den Frauen sehr wohl gefühlt. Inzwischen ist diese Patientin leider verstorben; ihr Mann hat mir aber erzählt, wie gerne sie in unsere Gruppe kam und wie gut sie sich da verstanden fühlte; sie durfte dort auch jammern, wenn es ihr schlecht ging. Es darf auch geheult werden. Birgit Gurbandt: Die Angehörigen können so eine Situation oft gar nicht nachvollziehen; für die ist es eher befremdlich. Man spürt da eine gewisse Unbeholfenheit. Isolde Stadtelberger: Der Partner steht hilflos daneben; er möchte helfen, aber er kann nicht. Er hat auch niemanden, den er ansprechen kann; und wenn er mal mit seiner Frau zum Arzt geht und dort Fragen stellt, wird er relativ schnell abgefertigt und kann seine eigentlichen Anliegen nicht rüberbringen. Es kommt zwar selten vor, aber wir haben kein Pro-

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Isolde Stadtelberger

Birgit Gurbandt

blem damit, wenn der Ehemann zu den Treffen mitkommt und einfach mal zuhört oder von seiner Warte aus erzählt, wie er das Ganze empfindet. Wo treffen Sie sich? Isolde Stadtelberger: Unser Treffpunkt ist seit vielen Jahren das Gemeindehaus in Oberesslingen an der Martinskirche. Nicht das Klinikum? Isolde Stadtelberger: Nein. Ich würde es auch nicht gut finden, wenn das dort stattfände. Man will sich ja eigentlich eher ein bisschen von den mit der Klinik verbundenen Erinnerungen abkoppeln. Einfach untereinander Probleme besprechen, Erfahrungen austauschen – und bei Bedarf gibt es ja genug Ärzte, die man ansprechen kann und die auch gerne zu unseren Gruppentreffen kommen. Werden Sie auch von den Klinikärzten in Ihrer Arbeit unterstützt? Isolde Stadtelberger: Ja. Wenn ich etwas wissen möchte (zum Beispiel zum Thema Wiedererkrankungen), kann ich jederzeit im Klinikum nachfragen, die jeweiligen Ärzte sind hier sehr offen und klären mich auf. Birgit Gurbandt: Ich denke, die Selbsthilfegruppe wird von den Ärzten und Schwestern im Krankenhaus schon geschätzt. Die legen Wert auf eine gute Zusammenarbeit. Isolde Stadtelberger: Die Kliniken in Esslingen und Ruit veranstalten ja auch immer wieder Patiententage. Da werden wir eigentlich immer eingebunden: Die Kliniken kommen dann auf mich zu und fragen, ob wir beim Patiententag mitmachen. Ich denke, das ist auch eine gute Sache, wenn die Patienten sehen, dass eine enge Kommunikation zwischen Selbsthilfe und Ärzten besteht.

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Drei Selbsthilfegruppen mit großem Engagement Die Selbsthilfegruppe Schlaganfall & Aphasie Esslingen Ein Schlaganfall ist ein einschneidendes Erlebnis, sowohl für den Betroffenen als auch für den Partner. Er hinterlässt oft Spuren unterschiedlicher Art, je nachdem, in welcher Gehirnregion die Hirnschädigung entstanden ist. Wegen der Folgen muss das tägliche Leben umorganisiert und Routinemäßiges neu erlernt werden. Hier hilft die Selbsthilfegruppe „Schlaganfall & Aphasie Esslingen“ (Aphasie = Sprachstörung) weiter. Sie besteht zurzeit aus 45 betroffenen Mitgliedern und deren Partnern. In der Gruppe lernen die Mitglieder voneinander, tauschen Erfahrungen aus und werden über neueste medizinische Erkenntnisse informiert, die sie sonst mühsam alleine zusammensuchen müssten. Die Mitglieder treffen sich einmal im Monat in der Geschäftsstelle der AOK Esslingen zur Gruppenstunde und einmal im Monat zum besseren Kennenlernen beim gemütlichen Kaffeetrinken. Für die Gruppenstunde stehen in der AOK drei Räume zur Verfügung. In einem Raum können die Betroffenen an der Gruppentherapie teilnehmen. Hier zeigt eine Ergotherapeutin Möglichkeiten zur Bewältigung von Alltagsproblemen auf. Im zweiten Raum treffen sich die Angehörigen. Sie werden bei der Beantragung und Beschaffung von Hilfsmitteln beraten, auf die neue Situation zu Hause vorbereitet und erhalten wichtige Tipps. Im dritten Raum können die Betroffenen an vier Computern spezielle Hilfsprogramme kennenlernen. Mehr Info unter: http://selbsthilfegruppe-schlaganfall-esslingen.de

Die amsel Kontaktgruppe Wernau Der Name AMSEL entstand aus „Aktion Multiple Sklerose Erkrankter Landesverband. Multiple Sklerose (MS) ist die häufigste entzündliche Erkrankung des Zentralnervensystems. Aus noch unbekannter Ursache werden die Schutzhüllen der Nervenbahnen an unterschiedlichen Stellen angegriffen und zerstört. Nervensignale können in der Folge nur noch verzögert oder gar nicht weitergeleitet werden. Die Symptome reichen von Taubheitsgefühlen über Seh-, Koordinations- und Konzentrationsstörungen bis hin zur Lähmung. Die bislang unheilbare aber mittlerweile behandelbare

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Krankheit bricht gehäuft zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr aus. Die AMSEL-Kontaktgruppe Wernau besteht seit über 40 Jahren. Zum Betreuungsbereich der Kontaktgruppe gehören 22 Städte und Gemeinden im Altkreis Esslingen. Derzeit sind ein BfD’ler und drei Fahrzeuge für die Mitglieder der Gruppe im Einsatz. An das Büro kann sich jeder wenden, der Informationen oder eine individuelle Beratung benötigt. Die Kontaktgruppe verfügt über ein breit gefächertes Angebot, z. B. Beratung von Neuerkrankten, Organisation von Vorträgen und Seminaren, Fahrdienst und Begleitung zu Ärzten, Gymnastik, Einkauf, Veranstaltungen, Kontaktpflege zu Ämtern und anderen Institutionen etc. Außerdem bietet die Gruppe jeden Dienstag von 14.00 bis ca. 17.00 Uhr den familienentlastenden Nachmittag, zu dem die schwerbetroffenen Mitglieder zu Hause abgeholt und wieder zurückgebracht werden, nachdem sie einen unterhaltsamen Nachmittag verbracht haben. Durch diesen Nachmittag werden Angehörige entlastet und können ein paar Stunden für sich selbst einplanen. Mehr Info unter: www.amsel-regional.de/gruppen/kontaktgruppe-wernau

Leben ohne Magen – Selbsthilfegruppe Esslingen Meistens ist ein Magenkarzinom der Grund für eine Magenentfernung (Gastrektomie) oder die Entfernung großer Teile des Magens. Menschen nach dieser Operation befinden sich in einer besonderen Lebenssituation. Die Mitglieder der Selbsthilfegruppe „Leben ohne Magen Esslingen“ kennen die Erkrankung aus eigener Erfahrung und haben Untersuchungen, Therapien und Behandlungen selbst erlebt. Sie leben mit geändertem Essverhalten und möchten die Herausforderungen des Alltags annehmen und bewältigen. Bei den Gruppenabenden (jeden 2. Donnerstag im Monat im Klinikum Esslingen) geben die Gruppenmitglieder Hilfestellung für die Alltagsbewältigung, geben emotionale und psychosoziale Unterstützung, bieten Hilfe aus der Isolation, fördern Lebensfreude und Lebensqualität, hören zu, geben Informationen und Erfahrungen weiter und helfen, ein aktiver Patient zu werden. Außerdem gibt es regelmäßig Vortragsabende zu relevanten Themen mit kompetenten Vortragenden. Mehr Info unter: www.lebenohnemagen.de

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Studie: Gesundheitsbezogene Selbsthilfe in Deutschland Im April 2018 erschienen die Ergebnisse der SHILD-Studie (Gesundheitsbezogene Selbsthilfe in Deutschland). Dabei wurden 3 163 Menschen mit chronischer Erkrankung oder deren Angehörige (davon ca. 50% Mitglieder einer Selbsthilfegruppe), sowie 1 641 Sprecherinnen und Sprecher von Selbsthilfegruppen, Verantwortliche aus Selbsthilfeorganisationen, Verantwortliche aus Selbsthilfekontaktstellen und aus der Selbsthilfe und der gesundheitlichen Versorgung befragt. Von den vielen verschiedenen chronischen Erkrankungen wurden Diabetes mellitus Typ II, Prostatakrebs, Multiple Sklerose, Tinnitus und Angehörige von Demenzerkrankten ausgewählt. Hier einige interessante Ergebnisse.

3 von 4 Selbsthilfegruppenmitgliedern sind nicht mehr berufstätig

Wer besucht Selbsthilfegruppen? Mittlere Bildung Niedrige Bildung

27.6 %

26,6 %

Die Mehrzahl sind Frauen Mitglied sind eher schwerer Erkrankte mit im Durchschnitt mehr als

3 chronischen Erkrankungen Selbsthilfegruppenmitglieder sind eher sozial engagiert und setzen sich re-

45,9 %

gelmäßig in Vereinen, Verbänden oder Organisationen ein Hohe Bildung

Selbsthilfe macht klug – Wissen zur Versorgung Selbsthilfegruppen-Mitglieder kennen sich besser mit Pflegeversicherung, Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten aus.

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Selbsthilfegruppen-Mitglieder

Betroffene OHNE Selbsthilfeerfahrung

33,5 % kennen sich gut mit der Pflegeversicherung aus

21,6 % kennen sich gut mit der Pflegeversicherung aus

53,8 % kennen sich gut mit Patienten-

40,2 % kennen sich gut mit Patienten-

verfügungen aus

verfügungen aus

52,0 % kennen sich gut mit Vorsorgevollmachten aus

38,0 % kennen sich gut mit Vorsorgevollmachten aus

34,7 % haben schon einmal eine medizinische Leitlinie gelesen

22,1 % haben schon einmal eine medizinische Leitlinie gelesen Kompass Gesundheit 3/2018


Wie wirken Selbsthilfegruppen? Selbsthilfegruppen-Mitglieder berichten, was sich durch die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe bei ihnen verändert hat.

Quelle: SHILD-Studie 2018

80 % sind motivierter im Umgang mit ihrer Erkrankung. 80 % sind zuversichtlicher im Umgang mit ihrer Erkrankung.

70 % können die Qualität von Gesundheitsinformationen besser beurteilen.

70 % tun mehr Dinge, die ihnen selbst wichtig sind. 50 % leben gesünder als vorher (Ernährung, Bewegung etc.).

80 % haben in der Gruppe neue Wege im Umgang mit ihrer Erkrankung kennengelernt.

80 % übernehmen mehr Verantwortung für ihre Gesundheit. 70 % lernen in der Selbsthilfegruppe mehr über ihre Erkrankung als überall sonst.

70 % haben weniger Scheu, über ihre Krankheit zu sprechen.

60 % lernen in der Selbsthilfegruppe, Fachpersonal im Gesundheitswesen auf Augenhöhe zu begegnen.

Gruppensprecherinnen und -sprecher sagen: Selbsthilfegruppen-Mitglieder bekommen wichtige Infos zu ihrer Krankheit schneller als andere chronisch Erkrankte.

90 % der Selbsthilfegruppenmitglieder finden, dass sie von den Erfahrungen der anderen Mitglieder profitieren

90 % sagen, dass sie mit den Therapieinformationen der Selbsthilfeorganisationen zufrieden sind

80 % der Gruppenmitglieder berichten, dass ihre Selbsthilfegruppe Fachpersonal zu Themen rund um die Erkrankung einlädt.

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Selbsthilfe im Dialog mit Klinik und Wissenschaft Gespräch mit Dr. med. Alfred Wiater, Vorsitzender der DGSM (Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin)

Die Zeiten sind vorbei, als Patienten gläubig zu ihrem Arzt aufblickten und widerspruchslos seinen Therapievorgaben folgten. Patient und Arzt treffen sich heute auf Augenhöhe. Und immer mehr Patienten informieren sich im Netz und fordern als mündige, wissende Patienten die Mediziner heraus. Die Wissenschaft gibt sich da teils noch erschrocken, verunsichert und restriktiv, glauben sogar manchmal, Patienten hätten nichts auf wissenschaftlichen Kongressen zu suchen. Ein großer Irrtum, der gestrigem Elitedenken entspringt. Nichtmediziner, die wissenschaftliche Kongresse besuchen, verfügen über erstaunliche intellektuelle Kapazitäten. Wir „Laien“ verstehen die Diktion der Mediziner inzwischen exzellent. Insbesondere Patientenvertreter sind heute in der Lage, wissenschaftliche Studien zu erfassen und auch kritisch zu hinterfragen. Der Vorsitzende der DGSM (Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin), Dr. med. Alfred Wiater bricht da eine Lanze für den unmittelbaren Dialog zwischen Patientenvertretern und der Wissenschaft. Lesen Sie, welche Bedeutung er im intensiven Dialog mit der Selbsthilfe sieht. 14

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Werner Waldmann: Herr Dr. Wiater, Sie sind Vorsitzender der DGSM. Welche Bedeutung fällt Ihrer Meinung nach der Selbsthilfe auf dem Terrain der schlafbezogenen Erkrankungen zu? Dr. Alfred Wiater: Der Dialog mit den Selbsthilfegruppen ist für die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin von sehr großer Bedeutung. Für uns ist es wichtig, dass eine Rückmeldung seitens der Selbsthilfegruppen, seitens der Patientinnen und Patienten kommt, wie die Maßnahmen, die wir ärztlich verordnen, wirken. Für uns ist es auch wichtig, dass wir die Patientinnen und Patienten regelmäßig über neue Entwicklungen informieren, auch über Grundlagenforschungsergebnisse in der Schlafmedizin. In unserer Gesellschaft haben die Selbsthilfegruppen auch eine sehr, sehr große Bedeutung, weil es nur durch die Patientenvertretungen letztlich auch politisch gelingen kann, entsprechende Fortschritte in unserem Gesundheitswesen und für die Versorgung der Patienten zu erreichen. Werner Waldmann: Wie könnten die Anliegen der Schlafapnoe-Patienten intensiver in den wissenschaftlichen Diskurs eingebracht werden? Dr. Alfred Wiater: Für uns ist es wichtig, mit den Selbsthilfegruppen in regelmäßigem Dialog zu bleiben, regelmäßig Informationen weiterzugeben, regelmäßig die Resonanz der Selbsthilfegruppen zu erfassen. Das ist für uns ein entscheidender Schritt in die Richtung, die Kenntnisse, die sich aus der Versorgung der Patienten ergeben, auch in die wissenschaftliche Forschung mit einzubeziehen. Werner Waldmann: Die Selbsthilfe Schlafapnoe und Schlafstörungen leidet unter dem Problem des Nachwuchses. Ältere Selbsthilfegruppenleiter geben aus gesundheitlichen Gründen auf oder versterben, aber es findet sich niemand, der diese Arbeit übernehmen möchte und so lösen sich manche Gruppen einfach auf. Haben Sie eine Idee, wie man diesen Aderlass stoppen könnte? Dr. Alfred Wiater: Ja, das ist das Problem des ehrenamtlichen Engagements, das natürlich sehr viel Zeit und sehr viel Energie kostet. Dort engagierte

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Menschen zu finden, wird immer schwieriger. Bei der Vielzahl der Betroffenen kann ich es mir allerdings nicht vorstellen, dass auf Dauer dort eine Lücke entstehen wird. Und genauso, wie wir als wissenschaftliche Fachgesellschaft uns um den wissenschaftlichen Nachwuchs kümmern, denke ich, werden Sie es in den Selbsthilfegruppen auch tun, um Leute zu aktivieren, hier dann auch tätig zu sein. Werner Waldmann: Wir versuchen jetzt an Schlaflaboren, zu denen wir persönlichen Kontakt haben, Selbsthilfegruppen zu etablieren, damit diese ihre neuen Patienten von vornherein mehr motivieren, nach dem Motto: Macht doch bei unserer Selbsthilfegruppe mit, die sich auch hier in der Klinik trifft! Dr. Alfred Wiater: Das entspricht auch meiner Erfahrung, dass es am wirkungsvollsten ist, wenn man Menschen persönlich anspricht, wenn man versucht, sie mitzunehmen, sie für eine Sache zu begeistern, und auf diesem Weg kann ich Sie nur bestärken. Werner Waldmann: Welche technischen Entwicklungen wird die Schlafmedizin in den kommenden Jahren machen und welches sind Ihre persönlichen Wünsche und Erwartungen? Dr. Alfred Wiater: Wir hatten Ende 2016 unseren Jahreskongress in Dresden unter dem Thema der medizinisch-technischen Innovationen, da haben wir eine ganze Menge erfahren über das, was technisch möglich ist und auch technisch sinnvoll. Ein Thema in diesem Zusammenhang ist sicherlich die Telemedizin; die Telemedizin eröffnet uns sehr viele Möglichkeiten, sie birgt aber auch viele Risiken in sich. Ich könnte mir vorstellen, dass eine Fortentwicklung der telemedizinischen Möglichkeiten auch die Schlafmedizin in den nächsten Jahren und Jahrzehnten stark prägen wird. Werner Waldmann: Die technischen Möglichkeiten gibt es, aber jetzt muss die Frage beantwortet werden, wie das Ganze organisiert wird. Ob der Homecare-Versorger, der das System zur Verfügung stellt, oder ob die Schlaf-

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mediziner, die die Therapie verordnen, die Oberhoheit haben? Dr. Alfred Wiater: Die DGSM hat eine ganz klare Meinung die besagt, dass medizinische Maßnahmen auch medizinisch verordnet werden müssen und der Verordnende ist die Ärztin oder der Arzt. Dann geht es in einem zweiten Schritt darum, wie die Daten zu behandeln sind, da gilt der Grundsatz, dass jeder Patient das Recht auf seine eigenen Daten hat. Wir halten es aber für wichtig, im Dialog mit den Patienten klarzustellen, dass unterschieden werden muss zwischen medizinischen Daten, auch personenbezogenen medizinischen Daten, die ja geschützt werden müssen, und Daten die wichtig sind für den Provider, für den Hersteller, die sich auf die apparatetechnischen Dinge beziehen. Nach unserer Auffassung sollten die medizinischen Daten nicht dem Hersteller oder dem Provider, auch nicht in anonymisierter Form, zur Verfügung gestellt werden, sondern diese medizinischen Daten sollten dem Austausch, auch dem individuellen Austausch, zwischen Arzt und Patient vorbehalten bleiben. Die technischen Daten sind natürlich wichtig für die Industrie und sind auch wichtig, um die Gerätesicherheit zu gewährleisten, da gibt es überhaupt keine Frage, dass die den Providern und den Herstellern zur Verfügung gestellt werden sollten. Wir sind seit langem im Dialog mit der Industrie in dieser Frage und hoffen, dass diese Meinung, die auch aus unserer Sicht arztrechtlich geboten ist, akzeptiert und umgesetzt werden wird. Werner Waldmann: Patienten geben, wenn sie ein CPAP-Gerät bekommen, ihre Zustimmung auf dem Blatt Papier sehr schnell und leichtfertig, auch weil sie vielleicht die ganzen Konsequenzen, die damit zusammenhängen, nicht verstehen und einschätzen können. Nun werden die Daten abgefragt. Bei Neupatienten ist das interessant, um die Compliance zu erhöhen, um zu wissen, gibt es da eine Leckage, muss ich eingreifen. Aber die Daten werden ja permanent, solange das Gerät läuft, abgerufen, anonymisiert. Da frage ich mich, was macht ein Unternehmen mit diesem riesigen Datenkonvolut? Dr. Alfred Wiater: Das ist ein sehr kritischer Punkt den Sie da ansprechen. Wir haben in Deutschland

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erfreulicherweise einen sehr guten Datenschutz. Aus meiner Sicht bedeutet das auch, dass, bevor jemand zum Einverständnis gebeten wird, die Daten preiszugeben, eine umfassende Information desselben erfolgen muss, was mit seinen Daten geschieht und was mit seinen Daten eventuell auch unkontrolliert geschehen könnte. Diese Aufklärung muss auch hinreichend dokumentiert und nachvollziehbar sein. Dies ist für mich eine zwingende Voraussetzung dafür, dass das Einverständnis eines Patienten, Daten weiterzuvermitteln auch unseren rechtlichen Voraussetzungen entspricht, hier sollte man doch sehr hohe Maßstäbe anlegen. Werner Waldmann: Wir sprechen oft vom mündigen Patienten, der sich im Internet informiert, aber ganz so mündig oder wissend ist er doch nicht, weil er die Hintergründe oft nicht einschätzen kann. Wenn dieser Patient nun die Ausdrucke von dem Therapieverlauf bekommt, also nicht nur, wie viele Stunden er sein Gerät benutzt hat oder ob er eine Leckage hatte, sondern wenn er wirklich Informationen bekommt, kann er damit was anfangen? Wäre es nicht besser, dass er dies nicht vom Homecare-Provider bekommt? Sollte das nicht mit dem betreuenden Schlafmediziner passieren, damit dieser seinen Patienten erläutert, was da auf dem Papier gedruckt ist? Dr. Alfred Wiater: Patienten sind halt sehr unterschiedlich fit in der Kenntnis ihrer Krankheit. Es gibt sicherlich viele Patienten, die ihr Krankheitsbild sehr gut kennen und auch viele Zusammenhänge sehr gut beurteilen können. Wir müssen aber zugrunde legen, dass medizinische Daten eines Patienten im Dialog mit dem behandelnden Arzt geklärt werden sollten, das heißt, es sollte gewährleistet sein, dass nur der Arzt, neben dem Patienten selbst, zu diesen Daten Zugang hat. Dann wird es sich spätestens beim nächsten Termin oder aber auch im Rahmen irgendwelcher telemedizinischer Maßnahmen ergeben, dass Befunde auch dann korrekt und für den Patienten hilfreich besprochen werden können. Werner Waldmann: Arzt und Patient auf Augenhöhe im Dialog, zugunsten des Patienten? Dr. Alfred Wiater: Absolut.

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Werner Waldmann: Man kann den Eindruck haben, dass viele Kostenträger, Krankenkassen, die Schlafmedizin eigentlich aushungern wollen. Vom Morbi-RSA kriegen sie ja ganz nette Zuweisungen, die sie aber eigentlich bei ihrer Pauschale im Jahr nicht ausgeben. Ich habe gehört, dass bei einer Ausschreibung jetzt die Jahrespauschale unter 100 Euro beträgt – für Gerät, Schlauch, vielleicht auch mal für zwei Masken, und dann noch für die vielleicht notwendige persönliche Betreuung durch den Provider. Wie kann das funktionieren? Dr. Alfred Wiater: Gar nicht! Diese Voraussetzungen, die Sie beschreiben, gewährleisten aus meiner Sicht nicht im Entferntesten das, was wir an Versorgungsqualität für die Patientinnen und Patienten brauchen. Wenn ich Berichte höre, wie weit auseinanderklaffend das ist, was in den Verträgen mit den Firmen steht, und das, was praktisch umgesetzt wird, so muss ich sagen, dass mir das sehr großes Kopfzerbrechen bereitet. Diese Dinge werden immer wieder thematisiert und wir sind an der Seite der Selbsthilfegruppen, um hier eine Verbesserung zu erzielen. Die Situation, so wie sie sich in den letzten Jahren hier entwickelt hat, ist absolut unzureichend. Werner Waldmann: Mich erreichen immer mal wieder Berichte von Betroffenen, die umversorgt wurden und die einfach kein Gerät bekamen. Es wurde ihnen schließlich mit der Post zugeschickt. Doch viele ältere Menschen verstehen die Betriebsanleitung und die Menüsteuerung nicht. Sie werden allein gelassen. Die Konsequenz ist, dass sie das Gerät in den Schrank stellen und das war’s dann mit der Therapie. Dr. Alfred Wiater: Der Punkt, den Sie ansprechen, ist die Frage der Compliance, die ja auch immer wieder untersucht wird. Ich kann mich nicht über eine schlechte Compliance beschweren, wenn ich auf der anderen Seite Voraussetzungen schaffe, die eine gute Compliance überhaupt nicht ermöglichen. Hier ist einiges durcheinandergeraten und hier läuft, auch gesellschaftspolitisch, einiges in die absolut falsche Richtung.

die Selbsthilfe-Dachorganisationen zusammen mit der DGSM auch im politischen Bereich informieren und Gesprächspartner suchen und von der Notwendigkeit überzeugen, der Schlafmedizin einen anderen, neuen Stellenwert einzuräumen. Dr. Alfred Wiater: Der regelmäßige Kontakt auf politischer Ebene ist extrem wichtig. Es ist auch wichtig im regelmäßigen Gespräch mit der Medizintechnik zu bleiben und zusammen mit den Patientenselbsthilfegruppen Möglichkeiten zu finden, die Situation zu verbessern und den Stellenwert der Schlafmedizin in unserer Gesellschaft so zu bemessen, wie er der Ausprägung der Erkrankungen und der zum Teil ja erheblichen Folgen aufgrund von schlafmedizinischen Erkrankungen gerecht wird. Werner Waldmann: Die Hausärzte sind die erste Anlaufstelle für Patienten, die schnarchen, Atemaussetzer haben, schlecht schlafen, RLS haben. Wie können wir die in die schlafmedizinische Versorgung einbinden? Dr. Alfred Wiater: Wir bemühen uns seit einiger Zeit sehr intensiv, den Kontakt mit den hausärztlich tätigen Kolleginnen und Kollegen zu intensivieren, wir sind da auf einem guten Weg. So werden wir im Dezember, erstmalig vom Hausärzteverband organisiert, ein schlafmedizinisches Symposium anbieten, auf dem wir die wichtigsten Themen präsentieren. Wir hoffen, dass wir damit die Hausärzte noch intensiver für dieses spannende Thema der Schlafmedizin gewinnen können.

Dr. med. Alfred Wiater ist seit 2012 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM)

Werner Waldmann: Es ist sicherlich wichtig, dass

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Das Gesundheitsgespräch mit Johannes Bauernfeind

Die AOK setzt auf Selbsthilfe Man spricht heute viel vom mündigen Patienten. Die Zeiten sind Vergangenheit, als der Arzt seinem Patienten die Diagnose bekanntgab und ihm die Therapie verordnete. Und der Patient nahm dies fast gottergeben hin, nickte und hielt sich an die Vorschriften – oder auch nicht. Arzt und Patient heute wollen ein Team sein. Auf Augenhöhe wird besprochen, was dem Patienten helfen wird. Das freilich verlangt dem Kranken einiges ab. Er muss über seine Krankheit Bescheid wissen. Und das kann problematisch sein. Werner Waldmann: Es ist noch nicht lange her, dass eine Studie der Universität Bielefeld herausgefunden hat, wie es um das Wissen der Deutschen in Sachen Gesundheit steht. Das Resultat ist eine Katastrophe: Mehr als die Hälfte unserer Bürger verfügt über eine problematische bis unzureichende Gesundheitskompetenz. Das betrifft vor allem chronisch Kranke und Behinderte. Was kann man unter Gesundheitskompetenz verstehen?

Johannes Bauernfeind, Geschäftsführer der AOK Neckar-Fils

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Johannes Bauernfeind: Gesundheitskompetenz umfasst das Wissen, die Motivation und die Fähigkeit, entscheidende Gesundheitsinformationen in unterschiedlicher Form zunächst zu finden, dann zu verstehen bzw. zu beurteilen und dann auch anzuwenden. Ziel ist es, Entscheidungen zu treffen, die sich positiv auf die Gesundheit auswirken. Das kann zum Beispiel bei der Krankheitsbewältigung, der Krankheitsprävention und der Gesundheitsförderung sein. Im Grunde ist das Wissen gemeint, das den mündigen Patienten ausmacht, der in der eigenen Lebensführung auf seine Gesundheit achtet und mit seinem Arzt auf Augenhöhe reden kann.

finden, zu verstehen und anzuwenden. Besonders ältere Menschen haben Schwierigkeiten, mit Gesundheitsinformationen umzugehen. Viele chronische Erkrankungen können sehr komplex sein. Die Betroffenen werden mit einer Flut von Informationen konfrontiert, sodass es für sie eine Herausforderung ist, das für sie Richtige und Sinnvolle zu finden. Hauptsächlich erhalten die Patienten ihre Informationen vom Hausarzt (89 %), gefolgt von den Fachärzten (50 %). Das hört sich gut an, doch 63 % der Befragten gaben zu, dass sie die Erklärung der Fachärzte nicht richtig verstanden haben, ebenso hatten 51 % Probleme mit den Erläuterungen des Hausarztes. Werner Waldmann: Das hieße, dass die Ärzte ihre Informationen verständlicher vermitteln müssten. Der Einwand der Ärzteschaft ist aber der, dass einfach nicht ausreichend Zeit für ein ausgiebiges Gespräch mit dem Patienten bleibe. Nicht zuletzt auch deshalb, weil die sprechende Medizin nicht adäquat honoriert werde.

Werner Waldmann: Nun ist es heute nicht mehr aufwändig, Gesundheitsinformationen zu beschaffen. Fast jeder weiß, dass er im Internet zu jedem Stichwort geradezu eine Informationslawine findet.

Johannes Bauernfeind: Das möchte ich für die AOK in Baden-Württemberg so nicht gelten lassen. Mit unseren Haus- und Facharztverträgen honorieren wir das Bemühen des Arztes, dass er sich mehr Zeit für das Patientengespräch nimmt und die Fragen des Patienten ausführlich und geduldig beantwortet.

Johannes Bauernfeind: Richtig, aber das ist gerade das Problem. Die Studie der Universität Bielefeld, die Sie hier ansprechen, hat bei einer repräsentativen Zufallsauswahl insgesamt 2000 Menschen befragt, darunter waren 500 chronisch Kranke. Immerhin fanden es etwa 70 % der Chroniker schwer, verlässliche Gesundheitsinformationen zu

Werner Waldmann: Das mag sein, Sie dürfen aber nicht vergessen, dass zahlreiche Patienten in der Sprechstunde gehemmt sind. Die Fragen werden ihnen eher später bewusst. Die ganze Informationsvermittlung dürfen wir nicht den Ärzten aufbürden, denn viele Probleme der Patienten sind nicht vorrangig medizinischer Natur.

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Chronisch Kranke haben oft banale, aber für sie essenzielle Alltagsprobleme. Als Beispiel möchte ich einen Patienten mit Schlafapnoe herausgreifen. Er hat es verstanden, dass er jede Nacht seine Atemmaske aufsetzen muss. Aber er hat Probleme, weil die Maske Druckstellen hinterlässt und sich Leckagen einstellen. Das sind Probleme, die der Arzt selten beantworten kann, weil er nicht mit solchen Therapieschwierigkeiten fertig werden muss. Unserem SchlafapnoePatienten wäre geholfen, wenn er sich mit einem erfahrenen Patienten austauschen könnte. Denn der hatte vielleicht mit demselben Problem zu kämpfen und hat inzwischen eine Lösung gefunden. Johannes Bauernfeind: Damit haben Sie das Stichwort gegeben, nämlich die Funktion der Selbsthilfe. In Deutschland gibt es rund 70 000 bis 100 000 Selbsthilfegruppen mit rund 3 Millionen Mitgliedern. Davon entfallen etwa zwei Drittel auf den Gesundheitsbereich. Auf Bundesebene sind 300 Selbsthilfeorganisationen aktiv. Ungefähr 1 bis 4 % der Erwachsenen in Deutschland sind oder waren schon einmal in ihrem Leben in einer Selbsthilfegruppe. Es gibt viele Gruppen, sowohl zu großen Volkskrankheiten wie Diabetes oder Gefäßleiden als auch zu seltenen und seltensten Erkrankungen. Werner Waldmann: Ich habe den Eindruck, dass die Selbsthilfe in den letzten Jahren an Bedeutung zugenommen hat. Es gibt zwar immer noch Vorurteile gegenüber Selbsthilfegruppen, insbesondere von jüngeren Menschen, die dem Irrglauben anhängen, in einer Selbsthilfegruppe treffen sich nur ältere Menschen, sozusagen zum Kaffeekränzchen und würden dabei ihre Krankengeschichten mitteilen. Dieses Vorurteil gilt es zu entkräften. Johannes Bauernfeind: Wir müssen kommunizieren, welchen Gewinn es für einen Patienten bedeutet, wenn er sich in einer Selbsthilfegruppe regelmäßig mit anderen Betroffenen trifft, die unter derselben Krankheit leiden und damit Erfahrung gewonnen haben. Es geht nicht nur um die Informationen, die in einer Selbsthilfegruppe durch Vorträge von Ärzten vermittelt werden, sondern darum, dass man mit Gleichbetroffenen über persönliche Probleme offen über seine Krankheit reden kann. In der Selbsthilfegruppe hat man die Chance, ganz praktische Ratschläge anderer Betroffener zu hören, wie man mit einer bestimmten Krankheit umgeht und wie man trotz dieser Krankheit neue Lebensqualität gewinnen kann. Letztlich tut es gut, zu sehen, dass man mit seinen Problemen nicht alleine ist. Werner Waldmann: Wir dürfen aber nicht vergessen, dass die Selbsthilfe nicht die Arbeit des Arztes ersetzt, nämlich

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den Patienten umfassend zu informieren und damit dem Arzt schlichtweg Arbeit abzunehmen. Es ist meiner Auffassung nach die Pflicht des Arztes, mit den Patienten die Therapie und mögliche Therapieprobleme ausführlich zu besprechen, auch nachzufragen, ob alles verstanden ist. Selbsthilfe ersetzt nicht die Patientenberatung. Ich kenne auch eine Selbsthilfegruppe, die eine Patientenberatungsstelle aufgemacht hat und Sprechstunden anbietet. Das kann nicht Aufgabe der Selbsthilfe sein. Die Selbsthilfe unterstützt den Arzt, indem sie den Patienten in der Gemeinschaft mit anderen auffängt, Gesprächsrunden anbietet, in denen Probleme diskutiert werden und so sich Lösungen für den ein oder anderen Betroffenen ergeben. Johannes Bauernfeind: Ich sehe den Vorteil der Selbsthilfe darin, dass ihre Mitglieder dicht am Menschen sind und helfen, Gesundheitskompetenz zu vermitteln und zu entwickeln. Deshalb setzt die AOK seit mehr als 30 Jahre auf die Selbsthilfe. Im regionalen Bereich nutzen wir alle Möglichkeiten der Förderung von Selbsthilfegruppen voll aus. Außerdem unterstützen wir die Selbsthilfegruppen auch ganz praktisch indem z. B. Mitarbeiter unseres Sozialdienstes bei Fragen zur Organisation oder Kommunikation beraten. Wenn eine Gruppe eine besonders interessante Veranstaltung plant, die auch für Gruppen mit anderen Krankheitsbildern interessant ist, so informieren wir die Gruppen in unserer Region darüber. Werner Waldmann: Lassen Sie uns noch einmal auf die Zusammenarbeit zwischen der Selbsthilfe und den Ärzten kommen. Welchen Typ von Patient wünscht sich der Arzt? Sicher einen Patienten, dem man nicht alles haarklein und redundant erläutern muss. Dem die medizinischen Zusammenhänge keine „böhmischen Dörfer“ sind. Der einen auch nicht mit tausend Fragen löchert, sondern sachlich Diagnose und Therapiemöglichkeiten diskutiert. So mancher Arzt drückt sich um den Kontakt mit der Selbsthilfe. Weil er skeptisch ist, mit Laien zusammenzuwirken. Weil er fürchtet, dass ihn dies zu viel Zeit kosten könnte. Weil er vielleicht auch die Kompetenz der Selbsthilfe scheut. Solche Vorbehalte sollten auch einige Ärzte über Bord werfen und sich bewusst mit den Selbsthilfegruppen zusammentun. Johannes Bauernfeind: Selbsthilfemitglieder sind oft Experten ihrer Krankheit, und ihr Wissen muss keinesfalls nur von Dr. Google stammen. Jedoch ist es unverzichtbar, dass wir eine stärkere Vernetzung der Selbsthilfe mit den Experten des Gesundheitssystems fördern müssen, um den Betroffenen qualitätsgesichertes und evidenzbasiertes medizinisches Wissen zur Verfügung zu stellen.

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Über Selbsthilfe, Gesundheitspolitik und Geld Für Joachim Glotz, Chef eines regional bedeutsamen Homecare-Unternehmens, sind die Patienten besonders wichtig, denn für sie arbeiten er und sein Mitarbeiterteam. Ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit ist die Betreuung von Betroffenen mit Schlafapnoe. Diese Patientenklientel ist besonders anspruchsvoll, denn die Therapie mit CPAP-Gerät und Maske macht es manchen Patienten nicht besonders leicht, große Therapietreue an den Tag zu legen. Eine wesentliche Rolle in der Patientenbetreuung spielen sicher auch die Selbsthilfegruppen, die dem einen oder anderen verzweifelten Schlafapnoe-Patienten mit ihren Erfahrungen neuen Mut machten. Glotz schätzt die Arbeit der Selbsthilfe und unterstützt sie auch mit großem Engagement. Wir wollten auch einmal wissen, ob es bei anderen Krankheitsbildern, bei denen es ebenfalls um das Thema Beatmung geht, ähnliche Selbsthilfegruppen gibt. Und schließlich geht es am Ende auch darum, wer das alles bezahlt. Auch da haben wir neugierige Fragen an Joachim Glotz. Werner Waldmann: Herr Glotz, die Selbsthilfe für Patienten mit Schlafapnoe ist in Baden-Württemberg sehr gut aufgestellt und viele Patienten werden von Ihrem Unternehmen betreut. Sie pflegen auch regen Kontakt zu diesen Selbsthilfegruppen. Ihr Sanitätshaus versorgt aber auch Patienten mit ganz anderen Krankheitsbildern. Sind diese ebenfalls so gut organisiert wie die Schlafapnoe-Patienten? Joachim Glotz: In der Heimbeatmung bzw. Sauerstoffversorgung gibt es nur wenige Selbsthilfegruppen. Wir kennen eine Selbsthilfegruppe mit Mukoviszidose-Patienten. Aber das sind sehr kleine Gruppen, zu denen wir keinen so engen Kontakt pflegen wie zu den Schlafapnoe-Patienten. Wir betreuen sicher zahlreiche Patienten mit schwerwiegenden Atemwegserkrankungen, jedoch existieren in diesem Bereich

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keine vergleichbaren Selbsthilfegruppierungen wie bei den Schlafapnoe-Patienten. Es gibt auch Selbsthilfegruppen z.B. für Menschen mit amputierten Gliedmaßen, diese Organisationen sind sehr stark lokal ausgeprägt. Werner Waldmann: Aber haben diese Patienten nicht auch das Bedürfnis, sich mit Menschen auszutauschen, die an ähnlichen Problemen leiden? Joachim Glotz: Wir versuchen gerade etwas Ähnliches zu etablieren, um Menschen mit körperlichen Einschränkungen eine Plattform zu bieten, auf der sie sich treffen und austauschen können. Eine Art von „Kundenclub“ für verschiedene Versorgungsarten, wo man Menschen zusammenbringt, ohne dass man da eine Struktur etabliert, wie sie bei Selbsthilfegruppen üblich ist. Das fängt schon damit an, dass man sich nicht regelmäßig trifft. Wir machen das

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schon seit zwei Jahren im Rollstuhl-Bereich und das findet auch regen Zuspruch. Aufgrund dieser positiven Erfahrungen planen wir dies auch im Bereich der Prothetik zu machen, im Bereich bestimmter Orthesen-Versorgungen und für bestimmte Reha-Versorgungen.

gleitung der Schlafapnoe-Patienten von den Krankenkassen – das pfeifen die Spatzen von den Dächern – extrem schlecht bezahlt. Doch viele Patienten haben Fragen und Probleme, deren Lösung Sie kaum noch finanzieren können. Soll da die Selbsthilfe in die Bresche springen?

Werner Waldmann: Wie funktioniert dies konkret mit den Rollstuhlpatienten?

Joachim Glotz: Diese Patienten kommen hierher und erwarten Hilfe und Unterstützung von uns. Und dazu sind wir letztendlich von den Krankenkassen vertraglich verpflichtet.

Joachim Glotz: Die Rollstuhl-Gruppe trifft sich viermal im Jahr bei uns. Da nehmen mittlerweile bei jedem Treffen 20 bis 40 Leute teil. Man beschäftigt sich da mit unterschiedlichsten Themen rund um den Rolli – auch mit technischen Problemen. Diese Treffen haben sich eigentlich recht gut etabliert. Da entstehen Kontakte untereinander, die Menschen helfen sich gegenseitig, ohne dass wir da in irgendeiner Form involviert sind. Die Teilnehmer organisieren dies selbst. Werner Waldmann: Brauchen die Rollstuhlfahrer überhaupt gegenseitige Beratung? Ich kann mir das gar nicht so ohne Weiteres vorstellen. Wenn man einen Rollstuhl hat, dann hat man den doch – oder? Joachim Glotz: Nein, da gibt es viel zu diskutieren. Rollstuhlfahrer sind eine Patientenklientel, die noch relativ aktiv ist. Sie sitzen nicht im normalen Pflegerollstuhl, sondern sind in aller Regel in Aktivrollstühlen unterwegs, also Querschnittspatienten, ALS-Patienten usw. Da geht es auch um technische Probleme oder um Erfahrungen, wie man z. B. Reisen bewerkstelligt. Diese Menschen sind noch recht aktiv unterwegs. Viele haben einen Elektrorollstuhl. Das sind dann Patienten, die eine gewisse Mobilität und Aktivität an den Tag legen. Es ist immer sehr interessant zu sehen, wie sich da in den Gesprächen Dinge ergeben, wenn einer erzählt, wie er verreist oder was er sonst so alles macht oder was er für Tricks und Kniffe an seinem Hilfsmittel entdeckt.

Werner Waldmann: Obwohl die Versorgungspauschalen immer dürftiger ausfallen. Manche Krankenkassen sparen auf Teufel komm raus. Oft nur um des Sparens willen. Joachim Glotz: Die Kassen sagen, wir haben doch alles bezahlt, in der Pauschale ist doch alles drin. Ich hatte gerade heute morgen den Fall, bei dem sich die Familie eines beatmeten Kindes beklagt hat. Da wurden durch das Pflegepersonal aus Versehen zwei Schläuche am Beatmungsgerät vertauscht und dann gab es Alarm. Die Familie hat dann unseren Notdienst angerufen. Weil das eigentlich nicht unser Verschulden war, gab es eine Diskussion. Dennoch erwarten die Patienten von uns, dass wir Gewehr bei Fuß stehen. Im Zweifelsfall muss dann ein Mitarbeiter eingreifen, falls es erforderlich ist. Wie gesagt, die Ursache lag nicht am Gerät, sodern in diesem Fall beim Pflegedienst. Doch wir können und wollen die Patienten nicht im Stich lassen. Dann müssen wir halt auch mal die Fehler anderer ausbügeln.

Joachim Glotz ist Geschäftsführer des Vital-Zentrums Sanitätshaus Glotz GmbH Dieselstraße 19–21 70839 Gerlingen www.glotz.de

Werner Waldmann: Reden wir mal über das leidige Thema Geld. Sie werden für die Versorgung, die Beratung, die Be-

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„Gemeinschaftsschutz“ Warum wir mit Impfungen nicht nur uns selbst, sondern auch andere schützen Wer sich impfen lässt, schützt nicht nur sich selbst – schließlich kann man eine Infektion, die man sich selbst gar nicht erst zuzieht, auch nicht auf andere übertragen. Oft sind es Säuglinge, die auf diesen Gemeinschaftsschutz angewiesen sind, bevor sie selbst geimpft werden können. Aber auch Erwachsene profitieren von dem Effekt, der auch als Herdenimmunität bezeichnet wird. it den Impfempfehlungen, die die Ständige Impfkommission des Robert Koch-Instituts für Deutschland formuliert, werden eine ganze Reihe unterschiedlicher Ziele verfolgt. „Neben dem Individualschutz vor Infektionskrankheiten und deren möglichen Folgen spielen auch gesellschaftlich relevante Ziele wie die Unterbrechung von Infektionsketten oder die Ausrottung von Erregern eine Rolle“, sagt Prof. Dr. med. Markus Knuf, Direktor der Klinik für Kinder und Jugendliche der Helios Dr. Horst Schmidt Kliniken Wiesbaden und KongressPräsident von Seiten der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI). Auch der Aufbau einer Herdenimmunität falle in diese zweite Kategorie – denn nur durch sie können Menschen, die selbst nicht geimpft werden können, vor den betreffenden Infektionen und möglichen Komplikationen geschützt werden. Auch wenn Säuglinge und Kleinkinder diesen Schutz besonders benötigen, tragen sie umgekehrt wesentlich zur Herdenimmunität bei, wie Knuf am Beispiel der Pneumokokken und der von ihnen hervorgerufenen Erkrankungen zeigt: Weil das Erkrankungsrisiko bei Kindern unter fünf Jahren besonders groß ist, sieht der Impfkalender bereits im Säuglings- und Kleinkindalter eine Impfung gegen häufige Pneumokokken-Varianten vor. „Genau diese Varianten treten seitdem auch bei Senioren deutlich seltener auf“, sagt Knuf. Auch diese Gruppe sei durch Pneumokokken-Infektionen und deren Komplikationen besonders gefährdet. Ob der Aufbau einer Herdenimmunität als Argument ausreicht, um auch die jährliche Grippeimpfung für alle Kinder zu empfehlen, ist unter Experten umstritten. Bisher sieht das RKI die Impfung nur für Kinder vor, die selbst ein erhöhtes Risiko für Komplikationen haben. Für Markus Knuf gibt es dennoch gute Gründe, auch gesunde Kinder gegen die Influenza zu impfen. „Zwar verläuft die Grippe bei ihnen meist unkompliziert, doch kommt es auch hier immer wieder zu schweren Verläufen“, erklärt er. Zudem seien Kinder der Dreh- und Angelpunkt der Influenza in der Gesellschaft. Kinder im Vorschulalter scheiden über einen langen Zeitraum hinweg eine große Anzahl von Viren aus, haben eine hohe Kontaktrate und wissen noch nichts von Hygiene. Viele Erwachsene stecken sich daher gerade bei Kleinkindern

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mit der Grippe an. Meist sind es jedoch die Jüngsten, die den Herdenschutz benötigen. Als Beispiel dafür, wie geimpfte Erwachsene zum Schutz von Säuglingen beitragen, nennt Knuf die Impfung gegen Keuchhusten (Pertussis). Diese für Säuglinge gefährliche Krankheit wird meist über Jugendliche oder Erwachsene übertragen, bei denen der Impfschutz bereits nachlässt. „Es ist daher sinnvoll, den Schutz gegen Pertussis im Jugend- oder Erwachsenenalter aufzufrischen“, sagt der DGPIExperte. Auch die sogenannte maternale Immunisierung, also die Impfung einer werdenden Mutter im letzten Schwangerschaftsdrittel, kann ein Konzept sein, das Neugeborene zu schützen. Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) Ausbreitung ansteckender Krankheiten in Bevölkerungen mit unterschiedlicher Impfrate = nicht geimpft, aber noch gesund

= geimpft und gesund

= nicht geimpft, krank und ansteckend,

Niemand ist geimpft.

Ansteckende Krankheiten verbreiten sich ungehindert.

Ein Teil der Bevölkerung ist geimpft.

Ansteckende Krankheiten verbreiten sich teilweise.

Ein Großteil der Bevölkerung ist geimpft.

Die Verbreitung ansteckender Krankheiten wird verhindert.

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PRIV VATĂ„RZTLIC Ă„ HE TAGESKLINIK UND AMBUL ANZ IM HERZEN S TUTTGARTS Behandlungsschwerpunkte

Moderne Medizin in historischem Ambiente

‡ Stresserkrankungen und Leistungseinbruch in n Folge von Belastung (z. B. „Burnout“) ‡ akute berufliche und private Krisensituationen n ‡ Depressionen und Ă„ngste ‡ stressbedingte KĂśrperbeschwerden ‡ EssstĂśrungen ‡ Folgen psychischer Traumatisierung ‡ akute Krisensituationen

MaĂ&#x;geschneider te und ef fektive Therap pie

Alles unter einem Dach Orthopädie

‡ flexibles Setting: Auszeit aus dem Beruf oder Therapie, die in den Alltag integrierbar ist ‡ maĂ&#x;geschneider te Behandlung in Intensität u und Frequenz ‡ groĂ&#x;es Spektrum der Therapiemethoden

Prophylaxe, Coaching, Check-up

Schmerztherapie

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Naturheilverfahren Ambulante Rehabilitation

‡ ‡

esilienzErstellung eines individuellen Stress- und Re status mit Aktionsplan Coaching und Training Stressmanagement

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„Wird schon wieder!“ Kabarettist und Arzt Lüder Wohlenberg kommt zum VdK nach Stuttgart! VdK-Gesundheitstag in Stuttgart (Liederhalle/Hegelsaal) mit großem Programm. Jetzt für 6. Oktober 2018 anmelden! r gilt als „Der Polit-Mediziner unter den Kabarettisten“. Und der Bonner Generalanzeiger schrieb einmal über ihn: „Unbestritten sein Ideenreichtum, originell seine Rollen. Zu diesem Arzt geht man gerne“. Die Rede ist von Lüder Wohlenberg. Der Facharzt für Radiologie und frühere Notarzt, der mit einer Hausärztin verheiratet ist, wirkt heute vorrangig als Kabarettist und Moderator in Funk und Fernsehen sowie auf Bühnen. Und Wohlenberg ist im Oktober 2018 auf dem VdK-Gesundheitstag in der Stuttgarter Liederhalle dabei. Da strapaziert der Zwei-Meter-Mann auf der Bühne im Hegelsaal die Lachmuskeln der Zuschauer. Das ist schon sicher! Auch Sie, liebe Leserinnen und Leser dieser Seiten, können Lüder Wohlenberg erleben. Der große VdK-Gesundheitstag öffnet für alle interessierten Bürgerinnen und Bürger am Samstag, 6. Oktober 2018 (9.00 bis 15.30 Uhr) in der Liederhalle, im Hegelsaal, seine Tore. Der Eintritt ist für alle frei, eine verbindliche Anmeldung beim VdK-Landesverband in Stuttgart ist jedoch erforderlich (siehe unten).

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Ausstellung im Foyer Das Veranstaltungsmotto lautet 2018: „Gesundheitswesen und Pflege gerecht und zukunftsfähig gestalten!“. Los geht es gegen 9 Uhr mit der begleitenden Ausstellung im Foyer des Hegelsaals. Dazu werden neben dem Sozialverband VdK und dessen Einrichtungen wie der VdK Patienten- und Wohnberatung Baden-Württemberg auch weitere soziale Einrichtungen und Rehaträger als Aussteller erwartet.

Interessante Vorträge Um 10 Uhr geht es dann los mit den Vorträgen weiterer Gesundheitsexperten, die SWR 4-Studioleiter Axel Graser moderiert. Zunächst kommt ein Referat von AOK Baden-Württemberg-Vorstand Dr. Christopher Hermann zum Thema „Herausforderung: Medizinische und pflegerische Versorgung in Baden-Württemberg“. Es folgt VdK-Landeschef Roland Sing mit dem Vortrag „Gesundheit und Pflege muss für alle bezahlbar sein!“ ehe Dr. med. Matthias Fabian, der Vizepräsident der Lan-

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desärztekammer, seine Gedanken zum Thema „Medizin 4.0 – Kollege Computer und Co“ äußert. Der Landesapothekerverband ist für den anschließenden Vortrag „Sichere Arzneimittelversorgung auch in Zukunft!?“ angefragt. Nach der Mittagspause (12.15 bis 13.30 Uhr) spricht der bekannte Internist und Diabetologe Richard Daikeler über „Herz-Kreislauf – Fit und gesund in allen Lebenslagen!“. Und der Präsident der Deutschen Schmerzgesellschaft, Prof. Dr. Martin Schmelz von der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg, widmet sich danach dem Thema „Kampf dem Schmerz!“. Als Highlight des Tages ist dann Wohlenbergs „Wird schon wieder!“ – so lautet die Kabarettvorführung des Mediziners und Kabarettisten – angesagt.

Verbindlich anmelden Der VdK-Landesverband bittet um baldige verbindliche Anmeldungen seiner Mitglieder, der Leser dieser Zeitschrift sowie aller Interessierten und Freunde des Sozialverbands VdK. Personengruppen, z. B. Selbsthilfegruppen, wird empfohlen Sammelanmeldungen vorzunehmen. Die Anmeldungen sind zu richten an: Mitarbeiterin Anita Unger von der VdK-Landesverbandsgeschäftsstelle, Johannesstraße 22, 70176 Stuttgart, Fax (07 11) 619 56-99, E-Mail a.unger@vdk.de Die verbindliche Anmeldung kann auch unter www.vdk-bawue.de direkt im Internet vorgenommen werden. Der Versand der kostenlosen Eintrittskarten erfolgt erst im September 2018. VdK

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Leistungsfähigkeit erhalten:

Wege zum erholsamen Schlaf Dr. med. Thomas Bolm Ungefähr 10–15 % der Bevölkerung leiden unter langwierigen und behandlungsbedürftigen Schlafstörungen. Entscheidend ist dabei mehr das persönliche Gefühl von ausgeschlafen und erholt sein als eine bestimmte Stundenzahl pro Nacht. Die deutsche Fachgesellschaft der Schlafmediziner formuliert das aktuell auf ihrer Homepage so: „Es gibt keine verbindliche zeitliche Norm für die Menge an Schlaf, die erforderlich ist, eine Erholsamkeit zu gewährleisten. Die meisten Menschen kennen aus eigener Erfahrung die Schlafmenge.“ Dieselbe Variabilität gilt für die einzelnen Schlafphasen, damit ein Nachtschlaf ausreichend ist.

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rholsamkeit beinhaltet nicht nur ein gutes Gefühl beim Aufwachen, sondern auch eine aufbauende Wirkung für die geistige, psychische, soziale und körperliche Gesundheit. Häufige Folgen von Schlafstörungen sind die Verschlechterung des Befindens und der Leistungsfähigkeit am Tage, der Qualität von Beziehungen und langfristige gesundheitliche Folgen. Das hat erhebliche soziale, gesellschaftliche, ökonomische und persönliche Konsequenzen. Eine Faustregel besagt, dass ein Berufsleben mit durchgehend schlechtem Schlaf mit etwa 10 Jahren Lebensverkürzung bezahlt werden muss.

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Nichts erzwingen, aber Auslöser bearbeiten Dabei können Sport und einfache Maßnahmen der Schlafhygiene sowie eine frühzeitige Bearbeitung von Sorgen und Konfliktthemen eine schnelle Hilfe ermöglichen. Auch verschiedene körperliche Ursachen müssen rechtzeitig ausgeschlossen werden. Mit diesen einfachen Schritten können Langzeitfolgen verhindert werden, wie z. B. stressbedingte Stoffwechselstörungen, geminderte Infektabwehr, erhöhtes Herzinfarkt- oder Schlaganfallrisiko, langfristige Erschöpfung, Depression, und Schmerzen, Suchtentwicklung durch Fehl- oder Selbstmedikation oder negative Folgen für das Beziehungsleben und Sexualität. Ein erholsamer Schlaf kann nicht erzwungen werden. Gerade in unserer funktions- und leistungsbetonten Gesellschaft sind Freiräume, Gelassenheit, gute Abgrenzungs- und Konfliktfähigkeit sowie eine wohltuende soziale Unterstützung gute Voraussetzungen für eine gute Schlafqualität. Wenn Schlafhygiene, Entspannungsmethoden und regelmäßige Bewegung nicht genügend Abhilfe schaffen, können mit psychotherapeutischer Unterstützung die Ursachen des Leidens bearbeitet werden. Eine alleinige Medikation ohne Betrachtung der Hintergründe von Schlafstörungen ist kontraindiziert.

Psychopharmaka nur mit großer Umsicht einsetzen Wie der Sozialwissenschaftler Gerd Glaeske im BEK/GEK-Arzneimittelreport 2012 formulierte, ist bei Tranquilizern und Schlafmitteln von rund 1,2 Millionen Abhängigen auszugehen, zwei Drittel davon seien Frauen im höheren Lebensalter. Im Ver-

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gleich zu Männern sei festzustellen, dass Tranquilizer, Antidepressiva und Schlafmittel ohne erkennbare therapeutische Indikation in einer Menge verordnet würden, die auf Dauer zu erheblichen unerwünschten Wirkungen führen könne. Die auffällig häufige Verordnung von Psychopharmaka für Frauen hänge wahrscheinlich auch damit zusammen, dass Frauen eher bereit seien, über ihre psychischen Belastungen zu sprechen als Männer und in diesen Fällen Rat in der ärztlichen Praxis suchten.1) In der psychotherapeutischen Tagesklinik, Ambulanz und beim Coaching zeigt die Erfahrung mit einer Vielzahl von Patienten und Ratsuchenden, wie wichtig es ist, dass solche Besorgnis erregenden Einbahnstraßen aktiv verlassen und von Beginn an Alternativen zu Medikamenten mit Suchtpotenzial angeboten werden. Männer und Frauen, die in Führungsjobs oder bei Doppelbelastungen Hochleistungen vollbringen, sind besonders anfällig dafür, mit ihren schlafraubenden Sorgen allein zu bleiben. Sie versuchen lange, eigene Grenzen zu überspielen, noch mehr zu leisten, Warnsignale des Körpers, wie z. B. Schlafstörungen, zu ignorieren oder mit Alkohol oder Drogen zu bekämpfen. Für sie ist der rechtzeitige Beistand durch Freunde oder letztlich auch Experten besonders wichtig, um nicht in eine Abwärtsspirale von Selbstüberforderung, Versagensangst, Sucht und Depression zu geraten. Ziel ist bei ihnen, die Grundeinstellung zu Selbstwert und Selbstfürsorge zu verändern, damit sich ein gesunder Nachtschlaf wieder einstellen kann. Dafür müssen sie einfühlsam begleitet werden, um sich eigene Grenzen eingestehen und sich Hilfe holen zu können.

1) Glaeske, Gerd/Schicktanz, Christel: Barmer GEK Arzneimittelreport 2012 (Schriftenreihe zur Gesundheitsanalyse 14), Siegburg 2012. https://www.barmer.de/blob/36962/ 6f4d6b4186e5cad17 0baf92c20f12f16/ data/arzneimittelreport-2012-kurzfassung.pdf

Dr. med. Thomas Bolm, Chefarzt von MentaCare – Zentrum für Psychische Gesundheit, Facharzt für Psychotherapeutische Medizin, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Gruppenpsychotherapeut, Coach www.mentacare.de

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f a l h r e sc h n c i e l d r h un ä f k e G Se Es gibt durch den Biorhythmus bestimmte Zeitfenster, in denen der Mensch besonders müdigkeitsanfällig ist (biologischen Tiefpunkte). Der erste Tiefpunkt des Tages liegt zwischen zwei und fünf Uhr in der Nacht bzw. morgens, der zweite Tiefpunkt nachmittags gegen 14 Uhr. Zu diesen Zeiten häufen sich auch die müdigkeitsbedingten Unfälle.

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Sekundenschlaf: die tödliche Gefahr Guter Schlaf ist erholsam. Sekundenschlaf kann tödlich sein, wenn einen die kurze Müdigkeitsattacke in einer kritischen Fahrsituation erwischt: etwa in einer Kurve, aus der man sich selbst ins Abseits katapultiert, oder auf einer gerade verlaufenden Landstraße, auf der einen die Schlafattacke für Sekunden auf die Gegenfahrbahn geraten lässt und so in einer tödlichen Frontalkollision mit dem entgegenkommenden Fahrzeug endet. Dr. Roxanne Dossak

eistens steht bei solchen Unfällen im Protokoll der Polizei, dass der Fahrer wohl einen Fehler begangen habe, oder schlicht: Ursache unbekannt. Doch eigentlich ist man heute klüger und weiß um die Gefahren des Sekundenschlafs. Das Problem für die Polizei: Man kann es nicht nachweisen. Es sei denn, der Fahrer, falls er überlebt hat, gesteht offen ein, dass er wohl eingeschlafen sei. Doch das wird kaum einer freiwillig tun.

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iert. Äußere Faktoren wie ablenkende Geräusche oder veränderte Lichtverhältnisse können unsere Wachheit beeinträchtigen, ebenso auch innere Faktoren wie emotionale Probleme, Stress oder schlichtweg Müdigkeit infolge von Überlastung oder einem Krankheitsgeschehen.

Wenn Piloten zu lange im Cockpit sitzen

Nicht nur im Straßenverkehr ist absolute Wachheit und Ausgeschlafenheit ein Muss, sondern auch in Vigilanz kann lebenswichtig sein anderen Verkehrsmitteln wie beispielsweise Zügen Fluglotsen, Piloten, Zugführer, LKW-Fahrer, Chirurund im Flugverkehr. Auch hier haben Schläfrigkeit gen – sie alle müssen oder Sekundenschlaf während ihrer Tätigkeit schon zu katastrophalen jede Sekunde hellwach Unfällen geführt. Nach 17 Sunden ohne Schlaf sein. Die kleinste Störung Dem Fahrer eines LKWs ist die Fahrtüchtigkeit ähnlich ihrer Aufmerksamkeit oder Omnibusses werden eingeschränkt wie mit kann katastrophale Folgen strenge Fahrzeitbegren0,5 Promille Alkohol im Blut. haben. Vigilanz heißt diezungen auferlegt. Täglich Nach 22 Stunden sogar wie ses Phänomen: ein Zudarf der Fahrer nur 9 Stunbei 1,0 Promille. stand ununterbrochener den am Steuer sitzen, maWachheit, Aufmerksamximal zweimal in der Wokeit und steter Reaktionsche bis zu 10 Stunden. bereitschaft. Nach 4,5 Stunden am Lenkrad ist eine Pause von Als „Vigilanz“ bezeichnet man die Verfassung, in 45 Minuten fällig. Die Polizei überprüft die Lenkder unser Organismus imstande ist, auf unvorherund Ruhezeiten mit Argusaugen. Werden sie übergesehene Ereignisse blitzschnell und zielgerichtet schritten, drohen Bußgelder. zu reagieren. Wachheit ist für den Menschen überVorschriften, wie lange ein Pilot am Steuer seilebenswichtig. In diesem Zustand fokussiert sich nes Airliners sitzen darf, gibt es ebenfalls, doch das Bewusstsein auf ein Ereignis, das womöglich diese Reglements ähneln eher einem Kaugummi: lebensbedrohend ist: einen Knall, der uns aufSie lassen sich je nach ökonomischen Interessen in schreckt; einen Signalton, der uns warnt; den drodie Länge ziehen. In der Luft zählt offenbar weniger henden Zusammenprall mit einem Fahrzeug; optidie Sicherheit als die Wirtschaftlichkeit. Denn Pilosche Abweichungen auf dem Radarschirm eines ten sind teuer, jedenfalls teurer als die Fahrer von Fluglotsen. Doch der Grad unserer Wachheit variLKWs oder Omnibussen.

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Medizinisch-wissenschaftliche Langzeituntersu– weil man entweder zu kurz geschlafen hat oder chungen haben gezeigt, dass die Sorgfalt bei der unter einer Schlafstörung oder sonstigen ErkranAusübung einer Tätigkeit besonders dann nachkung leidet, die die Schlafqualität beeinträchtigen. lässt, wenn diese Wachphase verlängert wird. PiloSekundenschlaf – was ist das eigentlich? ten, die länger als 13 Stunden wach sind, begehen Sekundenschlaf ist ein ganz banales Phänomen: deutlich mehr Fehler als ihre Kollegen, die erst vor nämlich ungewolltes fünf Stunden aufgeEinnicken, das nur westanden sind. Nach AnNachrichten wie diese hört und liest nige Sekunden dauert. sicht von Medizinern man leider jeden Tag: Ursachen dafür gibt es und Psychologen bauviele. Sekundenschlaf en Körper und kognitive „Bei einem Horror-Unfall auf der Brennertritt im Straßenverkehr Leistungen der Piloten Autobahn starb eine dreiköpfige Familie aus bei übermäßig langen besonders in der letzten Düsseldorf. Zu dem Unfall kam es am Samsund monotonen Fahrten Stunde eines Langstretag gegen 8.30 Uhr. Der Audi prallte bei voller auf. Das ist in erster Lickenfluges erheblich Fahrt auf einen LKW aus Tschechien, der in einie auf Autobahnen der ab. ner Haltebucht stand. Am Steuer saß die MutFall. ter. Der Tacho soll nach dem Crash auf 200 Und wie sieht es in Man braucht nicht viel km/h gestanden haben. Weil die Polizei keine anderen Berufen Fantasie dazu, sich die Bremsspuren entdeckte, gehen die Ermittler aus? Monotonie vorzustellen, von Sekundenschlaf aus. Der Aufprall war so Nicht nur Menschen, der ein Fahrer ausgestark, dass das Auto teilweise unter den Lastdie Kraftfahrzeuge, Züsetzt ist, besonders ein wagen rutschte und Teile des PKWs bis zu 100 ge, Flugzeuge oder Berufskraftfahrer. Mit Meter weit flogen.“ Schiffe lenken, können dem Personenwagen in müdem Zustand Kakann man mal schneller, „Schwere Verletzungen hat ein vierundzwanzig tastrophen verursamal langsamer fahren, Jahre alter Mann aus dem Ruhrgebiet bei eichen. Das Gleiche gilt man überholt – man ist nem Unfall am Donnerstag gegen 2.55 Uhr auf auch für Arbeitskräfte, in ständiger Aktion. Das der Autobahn zwischen den Anschlussstellen die Maschinen bediehält wach. LKW-Fahrer Neuenkirchen-Vörden und Holdorf erlitten. nen: Eine Sekunde Unmüssen ihr Vehikel mit Der Mann war nach Polizeiangaben mit seiaufmerksamkeit kann regelmäßigem Tempo nem mit Trockeneis beladenen LKW mit Ansie und andere das Lesteuern, meistens auf hänger aus ungeklärter Ursache nach rechts ben kosten. Aber dender rechten Spur, meisvon der Fahrbahn abgekommen. Das Fahrken wir auch an Ärzte, tens in Kolonne mit anzeug durchbrach die Leitplanke und den Wilddenen unendlich viele deren Fahrerkollegen. schutzzaun, kippte um und blieb auf dem Dach liegen.“ Überstunden abverUnd wenn ein LKW einlangt werden, die auch mal auf die Überholspur zum Ende ihres Bereitwechselt, dann hupen schaftsdienstes beispielsweise im OP noch höchund blinken die PKWs, weil sie sich gestört fühlen ste Konzentrationsleistungen aufbringen müssen. und für kurze Zeit abbremsen müssen. Wer müde und ausgepowert ist, dem kann bei meBesonders gefährlich sind Nachtfahrten zwidizinischer Arbeit leicht ein gravierender Fehler schen zwei und fünf Uhr morgens. Das hängt mit unterlaufen. unserer inneren Uhr zusammen, mit dem Biorhythmus. In dieser Zeit ist der Körper – ob er darf oder Wie kommt es zu Sekundenschlaf? nicht – auf Schlaf eingestellt, und so steigt die 26 % aller Autofahrer sind schon einmal am Steuer Wahrscheinlichkeit, einmal kurz wegzunicken. Der eingeschlafen und 46 % von 352 befragten LKWSekundenschlaf dauert beim Autofahren nur sehr Fahrern sind mindestens schon einmal während kurz. Gemessen wurden Zeiträume von 0,2 bis fünf der Fahrt eingenickt. Meist ist Schlafmangel schuld Sekunden. Von Zugführern dagegen ist bekannt,

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dass sie auch einmal bis zu 30 Sekunden lang einnicken. Bei Piloten können es sogar bis zu zwei Minuten sein. Auch der „Sekundenschlaf mit offenen Augen“ ist tückisch, denn in diesem Zustand verarbeitet das Gehirn die Wahrnehmungen der Augen so gut wie gar nicht mehr bzw. zu langsam, sodass eine Reaktion zu lange dauert. So verlängert sich die Reaktionszeit schon nach einer vierstündigen Nonstop-Fahrt um 50 %. Das bedeutet, dass sich das Unfallrisiko verdoppelt. Nach sechs Stunden Fahrt ohne Unterbrechung steigt es sogar auf das Achtfache. Ein müder Fahrer reagiert nicht nur langsamer und beurteilt Situationen häufig falsch, sondern er überschätzt auch die eigene Leistungsfähigkeit.

25 % aller schweren Autobahnunfälle mit Personenschaden und 20 % aller Unfälle im Stadtverkehr gehen auf Sekundenschlaf am Steuer zurück. Und davon sind nicht etwa nur ältere oder kranke Verkehrsteilnehmer betroffen: Auch junge Menschen (vor allem Männer im Alter von 18 bis 30 Jahren) sind eine Risikogruppe für schläfrigkeitsbedingte Unfälle. Zum Glück ist der gefährliche Sekundenschlaf vermeidbar: Es gibt Strategien, um erste Anzeichen von Schläfrigkeit am Steuer zu erkennen – und gegenzusteuern, bevor man am nächsten Baum oder im Straßengraben landet. Um diese Vorbeugungsmaßnahmen zu verstehen, muss man sich jedoch zunächst einmal klarmachen, welche Ursachen Sekundenschlaf haben kann. Viele Faktoren könWachheit kann nen zu Schläfrigkeit am Vorsicht nach Untersuchungen! lebenswichtig sein! Steuer führen: So erhöBei manchen Untersuchungen (Magenoder Es ist sicher peinlich, hen z. B. SchlafstörunDarmspiegelung) oder zahnärztlichen Eingrifbei einer Konferenz eingen und schlafbezogefen wird dem Patienten ein Kurzzeitnarkotikum zuschlafen oder im Thene Erkrankungen, aber verabreicht, z. B. Propofol. Ziemlich rasch ater ein unfreiwilliges auch Schlafmangel nach Absetzen des Mittels lässt die beruhigenNickerchen zu machen, (etwa durch zu kurzen de Wirkung nach, und der Betroffene hält sich das womöglich auch Schlaf oder Schichtarwieder für wach und fit. Dennoch darf er für einoch von lautem beit) das Gefährdungsnige Stunden kein Fahrzeug steuern. Der Arzt Schnarchen begleitet potenzial für Einschlafbzw. das medizinische Fachpersonal erklärt wird. So etwas ruft attacken am Steuer. dies auch und verlangt, dass der Patient abgeSchmunzeln oder LaNachtfahrten, lange holt wird. cher hervor, vielleicht Fahrstrecken, monotofühlt sich der eine oder ne Fahrsituationen und andere auch dadurch gestört – aber wenigstens Hitze wirken sich ebenfalls ungünstig aus. (Im schadet es niemandem. Lässt dagegen die WachSommer passieren mehr Autounfälle als im Winter, heit eines Piloten, LKW-Fahrers oder Kontrolleurs obwohl um diese Jahreszeit weder Eis noch im Kernkraftwerk nach, so kann das eine KatastroSchnee auf den Straßen liegt.) Teilweise mag das phe auslösen. auch daran liegen, dass in den Sommerferien viele Viele Menschen vernachlässigen aber ihren Menschen in den Urlaub fahren und dabei ihr eigeSchlaf, um mehr Freizeit zu haben oder nächtlichen nes Durchhaltevermögen am Steuer oft maßlos Vergnügungen nachzugehen. Das ist ein wichtiger überschätzen. Grund für Tagesschläfrigkeit und Sekundenschlaf – Bei jungen Männern ist die Unfallgefahr genauso vor allem bei jüngeren Menschen. hoch wie bei Senioren in den Siebzigern – wenn auch die Ursachen teilweise andere sind: Bei jünViele Ursachen für den Sekundenschlaf geren Autofahrern steigt das Unfallrisiko vor allem Die häufigste Ursache für Autounfälle ist nicht etwa durch Schlafmangel und Nachtfahrten. Die meisAlkohol am Steuer, sondern Sekundenschlaf: Der ten dieser Unfälle passieren nachts zwischen vier übermüdete Fahrer nickt für kurze Zeit ein – und und sechs Uhr – zum Beispiel, wenn man übermüwacht, wenn er Glück hat, noch rechtzeitig auf, um det aus der Disco kommt und sich dann noch ans sein Fahrzeug wieder unter Kontrolle zu bekomSteuer setzt. Bei älteren Fahrern ist die Unfallhäumen. Oft enden solche Unfälle aber auch tödlich. figkeit zwischen 13 und 15 Uhr nachmittags am

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Was tun gegen Schläfrigkeit am Steuer? Das beste Mittel gegen Schläfrigkeit ist zunächst einmal, dass man vor einer weiten Fahrt nach einem langen Arbeitstag ausreichend schläft. Das ist natürlich nicht immer möglich, vor allem dann, wenn Berufskraftfahrer in ihrem Fahrzeug in unbequemen Kabinen Lärm und Hitze ausgesetzt sind. So schläft man schlecht. Und es gibt natürlich auch noch andere Gründe für eine zu kurze Nacht: Vielleicht hat man aufgrund von Stress schlecht geschlafen, das Baby hat die halbe Nacht geschrien, man musste früher aufstehen als sonst, und, und, und… In solchen Fällen hilft ein Kurzschlaf in Kombination mit Kaffee gegen die Tagesschläfrigkeit. Auch bei Tag! Dieses Powernapping von zehn bis fünfzehn Minuten ist das Allerwirksamste, was man gegen Schläfrigkeit tun kann. Besonders wirksam ist es, diesen Kurzschlaf mit Koffein zu kombinieren. Den Kaffee sollte man schon vor dem Kurzschlaf trinken. Er braucht 15 bis 20 Minuten, um seine Wirkung zu entfalten.

Das „Notfallprogramm“: Kaffee und Kurzschlaf Legen Sie schon beim ersten Anzeichen von Müdigkeit so schnell wie möglich eine Pause ein! In dieser Fahrpause sollten Sie ein kurzes Nickerchen (10 bis 15 Minuten) halten und sich anschließend vom Beifahrer oder Handy wecken lassen; denn wenn man zu lange schläft und womöglich in eine Tiefschlafphase hineingerät, ist man hinterher schlaftrunken und benommen. Am besten ist es, das Schläfchen mit Koffein zu kombinieren: Trinken Sie zunächst eine Tasse Kaffee in einer Autobahnraststätte und legen Sie sich dann mit zurückgelehntem Sitz ins Auto. Da Sie übermüdet sind, werden Sie bestimmt schnell einschlafen – und nach etwa einer Viertelstunde (so lange braucht das Koffein, um zu wirken) wahrscheinlich sogar von selbst wieder aufwachen. Kurzschlaf und Koffein sind die einzigen beiden Wachmach-Strategien, die nachweislich wirken. Danach ist man für die nächsten zwei bis drei Stunden wieder fit – aber nicht für den halben Tag! Nach ein paar Stunden sollte man erneut eine Fahrpause einlegen. Noch besser ist es natürlich, wenn man einen Beifahrer hat; dann kann der eine sich ans Steuer setzen, während der andere ein Weilchen ruht.

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höchsten. Grundsätzlich sollte man bei den Gründen für Tagesschläfrigkeit und Sekundenschlaf zwischen langfristigen und kurzfristigen Ursachen unterscheiden.

Langfristige Ursachen Schläfrigkeit kann viele Ursachen haben. Teilweise können wir etwas dafür, teilweise tritt sie gegen unseren Willen ein. Es kann zum Beispiel sein, dass die Missachtung bestimmter Regeln, die für einen gesunden, erholsamen Schlaf unerlässlich sind, unseren Schlaf beeinflusst. Das wäre etwa eine zu kurze Schlafdauer, die wir über Tage, über Wochen durchhalten – vielleicht, weil uns andere Dinge wichtiger sind als der Schlaf oder weil beruflicher Stress uns tatsächlich vorübergehend zwingt, bis in die Nächte hinein zu arbeiten. Es können aber auch Folgen von Schichtarbeit sein, die uns nicht regelmäßig schlafen lassen und den Schlaf unerholsam machen. Ferner können bestimmte Verhaltensweisen die Schlafqualität beeinträchtigen: z. B. Rauchen, schweres Essen oder Koffeinkonsum zu kurz vor dem Schlafengehen. Auch starker Alkoholgenuss stört die Schlafqualität; man schläft zwar leichter ein, aber der Alkohol im Blut führt zu leichtem, unerholsamem Schlaf.

Auch Schlafstörungen können zu Tagesschläfrigkeit führen Ferner wissen wir, dass auch Krankheiten den Schlaf beeinträchtigen. Akute Schläfrigkeit rechtzeitig zu erkennen und dann nicht einfach weiterzufahren, sondern etwas

Was nicht gegen Tagesschläfrigkeit hilft Leider haben viele Verkehrsteilnehmer falsche Vorstellungen davon, was gegen Schläfrigkeit am Steuer hilft. So fördern Gymnastikübungen während der Fahrpause zwar die Durchblutung, und man fühlt sich dadurch vorübergehend vielleicht tatsächlich wacher; doch anschließend schläft man umso schneller ein. Ebenso unwirksam sind Maßnahmen wie laute Musik oder das Öffnen von Autofenstern.

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dagegen zu tun, ist das eine. Doch damit ist das Problem nur vorübergehend gelöst. Wer nachts schlecht schläft und sich dadurch tagsüber ständig unausgeruht fühlt, der leidet möglicherweise an einer Schlafstörung, die ärztlich diagnostiziert und behandelt werden muss: beispielsweise eine Einoder Durchschlafstörung oder eine Schlafapnoe, also krankhaftes Schnarchen mit Atemaussetzern. Wer unter Schlafapnoe leidet und das weiß, sie aber nicht behandelt, macht sich strafbar, wenn er sich hinter das Steuer setzt und einen Unfall verursacht. Schlafapnoe lässt sich leicht diagnostizieren und behandeln.

Auch Medikamente können die Fahrsicherheit einschränken Freilich sind Schlafstörungen und schlafbezogene Erkrankungen nicht die einzige Ursache für Tagesschläfrigkeit. Ein wichtiger Faktor, den viele Kraftfahrer unterschätzen, sind Medikamente: 15 bis 20 % aller zugelassenen Arzneimittel beeinträchtigen nach Angaben der Hersteller die Fahrtüchtigkeit, da sie müde machen und die kognitive Leistungsfähigkeit einschränken können. „Auf der Basis von Expertenmeinungen und vorsichtigen wissenschaftlichen Schätzungen können wir davon ausgehen, dass viele Verkehrsunfälle unter Beteiligung von Arzneimitteln, insbesondere Psychopharmaka, stattfinden“, meint der Schlafmediziner und Psychotherapeut Hans-Günter Weeß. Doch nicht nur Psychopharmaka, sondern auch viele Substanzen, die man auf den ersten Blick für harmlos hält, können die Wachheit, Reaktionsfähigkeit und das Sehvermögen erheblich beeinträchtigen. Grundsätzlich sollte man bei jedem Medikament davon ausgehen, dass es die Fahrsicherheit beeinflussen kann. Folgende Medikamentengruppen, die häufig auch vom Hausarzt verschrieben werden, können die Fahrleistung negativ beeinflussen.

» Schmerzmittel » Medikamente gegen Diabetes » Antiepileptika » Antiallergika » Blutdrucksenker » Augentropfen » Psychopharmaka » Beruhigungsmittel, Schlafmittel » Stimulanzien Kompass Gesundheit 3/2018


Übliche Schmerzmittel, die in der Apotheke rezeptfrei erhältlich sind, nimmt man ohne großes Nachdenken ein. Das muss kein Problem sein; das Mittel kann jedoch zusammen mit anderen Medikamenten, die man einzunehmen gewohnt ist, durchaus die Vigilanz stören. Viele Patienten nehmen abends mehrere Medikamente ein und trinken zusätzlich Alkohol. Selbst wenn der Alkoholgenuss moderat ausfällt, kann er sich in Kombination mit Medikamenten negativ auf die Fahrsicherheit auswirken – unter Umständen auch noch am nächsten Morgen, wenn man glaubt, dass die Alkohol- und Medikamentenwirkung längst abgeklungen ist. Der Griff zu anregenden Mitteln, von denen man gesteigerte Wachheit erwartet, kann sich übrigens auch ins Gegenteil verkehren. Koffein erhöht subjektiv empfunden die Leistungsfähigkeit. Einer verbesserten Reaktionszeit steht allerdings eine möglicherweise eingeschränkte Reaktionsqualität gegenüber. Wenn dabei zusätzlich Alkohol mit im Spiel ist (wenn man also beispielsweise nach abendlichem Alkoholkonsum Kaffee trinkt oder Koffeintabletten schluckt in der Hoffnung, sich dann noch gefahrlos ans Steuer setzen zu können), kann es zu Unverträglichkeitsreaktionen kommen: Schweißausbrüchen, Zittern, Kopfweh, Herzrasen. In einem derartigen Zustand heißt es: Hände weg vom Lenkrad! Kommt es zu einem Unfall, so kennt das Gesetz keine Gnade.

Erkrankungen, die die Fahrsicherheit beeinträchtigen können Und natürlich können auch Krankheiten, die gar nichts mit dem Schlaf zu tun haben, die Fahrtüchtigkeit einschränken: beispielsweise eine schwere Herzschwäche, ein Diabetes mit Neigung zu schweren Stoffwechselentgleisungen oder gestörter Wahrnehmung von Unterzuckerungen, eine schwere Niereninsuffizienz und verschiedene psychische Erkrankungen. Eine Auflistung von Krankheiten, die die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen beeinträchtigen oder aufheben können, findet sich in Anlage 4 der Fahrerlaubnis-Verordnung (https://www.gesetze-im-internet.de/fev_2010/anlage_4.html).

Und akute Erkrankungen?

man so vernünftig sein und sein Fahrzeug stehen lassen.

Langfristige Vorbeugungsmaßnahmen Man sollte nicht erst dann etwas gegen den drohenden Sekundenschlaf tun, wenn einem fast schon die Augen zufallen. Durch langfristige vorbeugende Strategien kann man in vielen Fällen dafür sorgen, dass es gar nicht erst so weit kommt: Gönnen Sie sich genügend Schlaf (vor allem dann, wenn Sie am nächsten Tag eine Autofahrt vor sich haben). Nehmen Sie Schlafprobleme und/oder häufige Tagesschläfrigkeit nicht auf die leichte Schulter, sondern wenden Sie sich mit solchen Problemen an Ihren Arzt. Für Tagesschläfrigkeit kann es viele Ursachen geben: Vielleicht steckt eine Ein- oder Durchschlafstörung dahinter, vielleicht aber auch eine andere schlafbezogene Erkrankung, zum Beispiel eine obstruktive Schlafapnoe. Verzichten Sie möglichst auf Nachtfahrten; unser Schlaf-wach-Rhythmus ist einfach nicht darauf ausgelegt, nachts Auto zu fahren oder andere Leistungen zu erbringen, die hohe Konzentration und ein rasches Reaktionsvermögen erfordern. Auch für lange Fahrstrecken ist der Mensch nicht geeignet. Vor einer längeren Strecke sollte man sich also immer fragen, ob man sie wirklich mit dem Auto zurücklegen muss oder ob man nicht auch auf einen Zug oder ein anderes öffentliches Verkehrsmittel zurückgreifen kann. Hat man doch einmal eine längere Fahrstrecke vor sich, sollte man sie in mehrere kürzere Etappen einteilen – also auf der Fahrt in den Urlaub unterwegs lieber einmal öfter im Hotel übernachten (und vor allem nicht schon frühmorgens oder gar mitten in der Nacht losfahren)! Eine Klimaanlage im Auto hilft gegen vermehrte Schläfrigkeit an heißen Tagen. Achten Sie auch auf Ihre innere Uhr! Wir bringen nicht zu jeder Tageszeit gleich gute Voraussetzungen dafür mit, uns ans Steuer zu setzen; und es gibt in dieser Hinsicht auch große individuelle Unterschiede. So ist eine Autofahrt um zehn Uhr abends für eine „Nachteule“ beispielsweise vielleicht kein Problem, während Fahrten am frühen Morgen eher für „Lerchen“ geeignet sind.

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Fahruntauglich ist man natürlich auch bei akuten Erkrankungen. Mit einem fiebrigen Infekt sollte

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Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat DVR

Erschreckende Zahlen und Fakten Nur noch ein paar Kilometer, und die schaffe ich auch noch – denkt so manch einer. Besser nicht, denn wer übermüdet am Steuer sitzt, riskiert sein Leben und das anderer. Für jeden fünften tödlichen Unfall tagsüber soll Übermüdung verantwortlich sein. Und nachts ist das Risiko am Steuer einzunicken sogar noch höher. Müdigkeit am Steuer wird von den meisten Auto- und Berufskraftfahrern völlig unterschätzt.

Mehr als jeder vierte Autofahrer ist schon einmal am Steuer eingeschlafen.

Autofahrer überschätzen ihre Fähigkeiten.

(In Baden-Württemberg gaben 25 % an, dass ihnen das schon einmal passiert ist.)

26 %

17 % aller Autofahrer fahren trotz Müdigkeit weiter. (In Baden-Württemberg haben 20 % diese Aussage gemacht.)

aller Autofahrer sind mindestens schon einmal am Steuer eingeschlafen.

Autofahrer unterschätzen Müdigkeit am Steuer. Diese vermeintlichen Tricks helfen nicht gegen Müdigkeit

60 %

30 %

aller Autofahrer machen bei Müdigkeit das Fenster auf. (In BaWü sind es 64 %.)

aller Autofahrer machen die Musik lauter, um Müdigkeit zu bekämpfen. (In BaWü sind es ebenfalls 30 %.)

38 % aller Autofahrer halten Energydrinks und Kaffee für ein gutes Mittel gegen Müdigkeit. (In BaWü sind es sogar 47 %.)

Bei 130 kmh reicht schon eine Sekunde Unaufmerksamkeit für 36 m Blindflug

1 Sek. 36 m

5 Sek. 181 m

10 Sek. 361 m 36

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Autofahrer machen meist zu spät Pause. Nur etwa jeder Dritte in Deutschland hält sich an die empfohlenen Pausenintervalle. (In Baden-Württemberg gaben 47 % an, sich an die empfohlenen Intervalle zu halten.)

37 % nach 1 bis 2 Stunden 47 % nach 3 bis 4 Stunden 5 % nach 5 bis 6 Stunden 2 % nach mehr als 7 Stunden Empfohlenes Pausenintervall 1

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Risikobereich 3

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Stunden Fahrzeit

Der Sekundenschlaf trifft einen nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Warnsignale bei Müdigkeit: Darauf sollten Sie achten! Sie haben Probleme, die Spur zu halten, fahren ab und zu über den Seitenstreifen. Die Straße fühlt sich immer enger an. Ihr Blick haftet starr auf der Fahrbahn. An die letzten gefahrenen Kilometer können Sie sich nur schlecht erinnern. Sie übersehen ein Straßenschild, verpassen eine Abzweigung oder Ihre Ausfahrt. Ohne es zu wollen, fahren Sie plötzlich langsamer oder schneller. Die Augen brennen, die Lider sind schwer, Sie wollen die Augen reiben. Sie müssen häufig gähnen und können das Gähnen nicht unterdrücken. Ihre Augen schließen sich unwillkürlich, Sie blinzeln oder sehen unscharf. Die Konzentration fällt Ihnen schwer, Ihre Gedanken schweifen ab. Sie fühlen sich innerlich unruhig und haben das Bedürfnis, sich zu bewegen. Ihre Stimmung wird schlecht: Sie werden nervös, gereizt oder aggressiv. Wenn ein oder mehrere dieser Müdigkeitsanzeichen auftreten, wird es allerhöchste Zeit für eine Pause oder am besten für einen kurzen Schlaf. Quelle: ADAC

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Schlafdiagnostik für kleine Patienten

Auch Kinder leiden unter nichterholsamem Schlaf und dies aus verschiedenen Gründen, wie z. B. Schlafapnoen. Man weiß, wenn diese Kinder unbehandelt bleiben, kann das zu ernsthaften Gesundheitsproblemen führen. Doch wie die Diagnose stellen, wenn es kaum Schlaflabore für die Kleinen gibt? Das renommierte Kinderkrankenhaus Olgahospital im Klinikum Stuttgart hat vor Kurzem diesem Defizit nachgeholfen und ein Schlaflabor für Kinder eröffnet. Werner Waldmann sprach mit Chefarzt PD Dr. Markus Blankenburg und seinem Oberarzt Dr. Christof Reihle über die diagnostischen Möglichkeiten des neuen Schlaflabors. Werner Waldmann: Herr Dr. Blankenburg, Ihre Pädiatrische Klinik bietet ein breites Therapiespektrum an: Pädiatrische Neurologie, Psychosomatik und Schmerztherapie. Dr. Blankenburg: Die Abteilung hat drei Bereiche. In der Kinderneurologie behandeln wir alle akuten und chronischen neurologischen Erkrankungen sowie Muskelerkrankungen vom Säuglingsalter bis zum 18. Lebensjahr. Dann haben wir eine Abteilung für Kinderpsychosomatik und -schmerzmedizin, aus der das Kinderschmerzzentrum Baden-Württemberg hervorgegangen ist. Und jetzt haben wir vor Kurzem das

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Schlaflabor und die Schlafambulanz eröffnet. Damit konnten wir unsere bisherigen Aktivitäten im Bereich der Schlafmedizin deutlich ausweiten und professionalisieren. Früher konnten wir nur eine kleine Schlaflaboruntersuchung (Polygrafie) im normalen Patientenzimmer durchführen und mussten hoffen, dass die Ableitelektroden über Nacht nicht abgingen. Jetzt haben wir ein Schlaflabor mit zwei Polysomnografie-Ableitplätzen, mit denen wir alle physiologischen Schlafparameter unter Aufsicht einer Schwester ableiten können. Die Schwester sieht auf einem Bildschirm, wenn eine Ableitelektrode nicht mehr richtig misst und kann sie korrigieren.

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Werner Waldmann: Sie bieten jetzt zwei Plätze an. Dr. Blankenburg: Ja, doch das Wichtigste ist, dass unser Schlaflabor auch bei den Kinder- und HNO-Ärzten der Region bekannt wird. Die Kollegen müssen wissen, dass es dieses Schlaflabor hier gibt, damit der Untersuchungsbedarf auch gedeckt werden kann. Bei unserem Symposium zu Schlafstörungen bei Kindern und Jugendlichen im April waren ca. 60 bis 80 Teilnehmer, die meisten HNO-Ärzte. Wir hätten uns ein paar mehr Kinderärzte gewünscht. Möglicherweise werden Schlafstörungen bei Kindern und Jugendlichen noch nicht ausreichend beachtet. Werner Waldmann: Was für Indikationen haben Sie in Ihrem Schlaflabor? Dr. Blankenburg: Ein Unterschied zwischen erwachsenen Patienten und Kindern ist, dass Kinder und Eltern häufig nicht von selbst über Schlafstörungen berichten, sondern viel eher über die Folgen von Schlafstörungen, wie Konzentrationsprobleme, Unruhezustände oder ADHS am Tag. Da müssen wir hellhörig werden und gezielt nach dem Schlaf fragen. Viele Patienten kommen mit einem Schlafapnoe-Syndrom über die große HNO-Abteilung im Olgahospital. Kinder mit neurologischen Erkrankungen kommen häufig wegen nächtlicher Unruhephasen oder einer Verschiebung des Tag-Nacht-Rhythmus. Manchmal kommen Kinder mit einer starken Müdigkeit und Einschlafneigung am Tag, die eine Narkolepsie haben. Dieses Krankheitsbild war vor 15 Jahren in der Pädiatrie kaum bekannt und hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Werner Waldmann: Es gibt also auch im frühen Lebensalter Narkolepsie? Dr. Blankenburg: Ja, Narkolepsie beginnt oft bereits in der Pubertät. Werner Waldmann: Was machen Sie, wenn Eltern kommen und berichten „Mein Kind schnarcht“? Dr. Reihle: Wenn es ein Kleinkind ist, das schnarcht und durch die Nase schlecht Luft kriegt, gehen die Eltern meistens direkt zu unseren HNO-Kollegen. Manche kommen aber auch erst zu uns und dann schauen wir uns das Kind an. Wenn wir sehen, dass ein obstruktives Schlafapnoe-Syndrom dahinter stecken könnte, arbeiten wir eng mit den pädiatrischen HNO-Ärzte zusammen. Es gibt sicher auch offensichtliche Fälle, da braucht man kein Schlaflabor. Doch es gibt Kinder, bei denen man aufgrund möglicher OP-Risiken von einem Eingriff absieht und lie-

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ber zuerst einmal im Schlaflabor Klarheit sucht, ob die Indikation für einen chirurgischen Eingriff besteht. Es gibt natürlich auch konservative Maßnahmen, die helfen können. Werner Waldmann: Kinder kriegen auch schon eine Atemtherapiemaske? Dr. Reihle: Natürlich. Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir auch unsere Intensivmediziner und Lungenärzte hier im Haus mit ins Boot holen können. Herr Dr. Oker vom Zentrum für Angeborene Herzfehler Stuttgart hat sehr viel Erfahrung mit invasiven und nicht invasiven Beatmungsverfahren, z. B. bei Kindern mit anatomischen Fehlbildungen. Da passen die Standardmasken nicht, sodass für diese Kinder spezielle Masken angefertigt werden müssen. Dr. Blankenburg: Bei Patienten mit einem Schlafapnoesyndrom müssen wir unterscheiden zwischen Kindern, die wegen einer Vergrößerung der Mandeln schnarchen und vielleicht zusätzlich noch übergewichtig sind, und Kindern mit zusätzlichen, z. B. neurologischen Erkrankungen. Letztere zeigen oft ein Mischbild aus obstruktiven und zentralen Apnoen, was für die Therapie wichtig ist. Wir haben einmal die wissenschaftliche Literatur analysiert, also alle Artikel, die Schlafprobleme bei Kindern mit neurologischen Erkrankungen untersucht haben. Das waren um die 260 Artikel. Das Ergebnis war, dass bei Kindern mit schweren neurologischen Erkrankungen, z. B. neuromuskulären, neurodegenerativen oder Stoffwechselerkrankungen, in fast 80 % der Fälle schwere Schlafstörungen vorlagen. Für die meisten betroffenen Eltern war die Schlaflosigkeit ihrer Kinder in der Nacht am belastenden, weil sie dann ebenfalls nicht schlafen konnten. Die Ursache waren oft Schlafrhythmusstörungen, was die Lebensqualität enorm beeinträchtigt. Werner Waldmann: Und wie steht es mit Adipositas im Kindes- und Jugendalter? Das scheint heute auch ein großes Problem zu sein? Dr. Reihle: In der Tat, das ist ein Problem, das viel zu häufig vorkommt. In Deutschland sind fast 10 % der Kinder und Jugendlichen übergewichtig. Auch Typ-2-Diabetes nimmt inzwischen bei Kindern und Jugendlichen massiv zu. Ein Riesenproblem! Hilfe für jüngere übergewichtige Kinder gibt es im SPZ des Olgahospitals in Form einer Gruppentherapie (P.O.M.M.E.S.). Für ältere Kinder und Jugendliche entsteht derzeit ein weiteres Hilfsprogramm im SPZ in Zusammenarbeit mit der Abteilung für Gastroenterologie und dem Jugendamt der Stadt Stuttgart.

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Über den Zungenschrittmacher

Die neue Generation der Atemwegstimulation Viele Jahre war die Therapie mit der Atemmaske, die der Australier Colin Sullivan erfunden hat, die einzige Möglichkeit, die obstruktive Schlafapnoe zu behandeln. Dass einige Patienten mit der Maske nur schlecht oder gar nicht zurecht kamen oder diese Therapie sogar still und heimlich ablehnten, wurde nicht weiter diskutiert, denn außer der CPAP-Therapie existierte keine ernsthaft zu erwägende Alternative. Sicher kannte man den Luftröhrenschnitt und diverse chirurgische Eingriffe der HNO-Sparte oder sogar die Umstellungsosteotomie der Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgen. Gegenüber diesen höchst invasiven und nicht immer zielführenden Methoden war die CPAP-Behandlung dann doch das geringere Übel. CPAP gilt auch heute noch als Goldstandard, wobei so mancher Schlafmediziner hinter vorgehaltener Hand eingesteht, dass das Gold inzwischen gehörig verblasst. Die Protrusionsschiene hat sich deutlich in den Vordergrund gekämpft. Doch ein von der Anzahl der bisher behandelten Patienten als Nischenprodukt einzustufendes Verfahren hat inzwischen mächtig die Nase vorn: der Hypoglossus-Stimulator oder im Volksmund: der Zungenschrittmacher. Werner Waldmann unterhielt sich mit einem Experten des Herstellers Inspire Medical, Alfred Peter.

Werner Waldmann: Herr Peter, der Zungenschrittmacher aus Ihrem Unternehmen ist inzwischen kein Geheimtipp mehr, sondern beflügelt die Fantasie vieler Schlafapnoe-Patienten, welche der Maske lieber heute als morgen adieu sagen möchten. Wie hat das eigentlich begonnen? Wer hat wann diese Idee gehabt und wie kam dann die Firma Inspire zustande? Alfred Peter: Die Idee der Hypoglossusnerv-Stimulation ist nicht neu. Inspire wurde 2007 gegründet, nachdem das technologische Portfolio und das Patent von Medtronic übernommen wurden. Zu Inspire gehören Experten aus weltweit führenden Unternehmen für Medizinprodukte, die sich gemeinsam dafür einsetzen, Patienten mit Schlafapnoe eine neue Behandlungsmethode der Obstruktiven Schlafapnoe (OSA) anzubieten. Auf Grund der STAR-Studie erhielten wir 2014 die FDA-

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Zulassung für das Inspire-Therapie-System oder den Zungenschrittmacher. Dies war der Startschuss für die Kommerzialisierung des Produkts in den USA und Europa. Werner Waldmann: Sie sprachen davon, dass die grundsätzliche Idee für das Verfahren alt sei. Alfred Peter: Das Verfahren wurde bereits 1993 von Dr. Alan Schwartz beschrieben, der den Unterzungennerv, Nervus hypoglossus, elektrisch stimulierte, um die Zunge zu bewegen und damit die Obstruktion beim Schlafapnoesyndrom zu verhindern. Wir haben sehr viel Zeit und Energie in die Weiterentwicklung dieses Therapieverfahrens gesteckt. Das hat damit angefangen, dass wir uns über die Anatomie Gedanken machten, weil der Unterzungennerv nicht nur dafür sorgt, dass die Zunge nach vorne bewegt wird, sondern auch nach hinten und

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ermöglicht, dass wir sprechen und schlucken können. Es ist sehr wichtig, diese feinen Fasern des Nervus hypoglossus so zu selektieren, dass nur jene stimuliert werden, die die Zunge nach vorne bewegen und somit der Atemweg geöffnet bleibt. Werner Waldmann: Bei einer neuen Therapiemethode stellt sich unweigerlich die Frage, wie sich diese in Studien bewährt hat. Alfred Peter: Wir haben mittlerweile eine sehr lange Erfahrung mit diesen Systemen, auch in einem klinischen Studiensetting. Es wurden gerade die Fünfjahresdaten der STAR-Studie publiziert, die zeigen, dass über den Zeitraum von fünf Jahren die Inspire-Therapie nachhaltig wirksam ist. Das heißt, dass die Therapie nicht nur in der Anfangsphase funktioniert, sondern über den gesamten Beobachtungszeitraum gleichermaßen wirkt. Wir haben außer der STAR-Studie, die unter kontrollierten klinischen Bedingungen lief, noch eine sogenannte Post-Market-Studie in Deutschland durchgeführt. Involviert waren drei Schwerpunkt-Zentren in Mannheim, Lübeck und München. In dieser Studie wurden die Ergebnisse der STAR-Studie bestätigt. Das heißt, die positiven Ergebnisse des Zungenschrittmachers, wie Wirksamkeit und signifikante Verbesserung der Lebensqualität und Tagesaktivität, die unter den kontrollierten Bedingungen der STAR-Studie erzielt wurden, können auch in der normalen klinischen Routine erreicht werden. Werner Waldmann: Ihr Stimulationssystems ist atmungsgesteuert, das heißt, der Zungennerv wird nur während des Einatmens stimuliert. In diesem Moment soll die Obstruktion verhindert werden. Es gibt das System eines Mitbewerbers, das den Zungennerv permanent stimuliert. Was macht den Unterschied aus? Alfred Peter: Bei diesem System wird die Zungenmuskulatur ständig unter Spannung gehalten. Der Muskel wird also während der gesamten Schlafzeit stimuliert. Unser System, wie Sie sagten, regt den Zungenmuskel nur dann an, wenn eingeatmet wird. Bei der Ausatmung ist das System nicht aktiv.

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Werner Waldmann: Wie viele Patienten leben heute weltweit mit Ihrem Hypoglossus-Stimulator? Alfred Peter: Derzeit wurden über 3000 Patienten weltweit mit dem Inspire-System versorgt, der überwiegende Anteil natürlich in Amerika. Es gibt mittlerweile mehr als 120 Zentren in Europa und den USA, die unsere Therapie anbieten. Wir können stolz behaupten, dass wir mittlerweile über eine sehr große Erfahrung verfügen. Werner Waldmann: Sicher arbeiten Sie an einer weiteren Verbesserung des Systems? Alfred Peter: Wir haben Ende April eine neue Generation unseres Systems auf dem Markt eingeführt, welches jetzt nicht nur wesentlich schlanker und kleiner geworden ist – was natürlich den Tragekomfort für den Patienten verbessert –, sondern auch eine eingeschränkte MRT-Tauglichkeit hat, d. h., man kann einen Patienten mit diesemimplantierten Stimulator nun auch im Kernspin unter Beachtung bestimmter Bedingungen untersuchen. Werner Waldmann: Was bedeutet „eingeschränkt“? Alfred Peter: Eingeschränkt heißt, dass Kopf, Hals und Extremitäten im Kernspintomografen untersucht werden können, allerdings nicht der Brustbereich, der Thorax. Werner Waldmann: Kann jeder Schlafapnoe-Patient einen Hypoglossus-Stimulator erhalten? Alfred Peter: Leider nein. Die Eignung hängt von verschiedenen Faktoren ab und wird in medizinischen Untersuchungen von einem Arzt überprüft. Die Inspire-Therapie ist für Patienten geeignet, die unter mittlerer bis schwerer obstruktiver Schlafapnoe leiden mit einem AHI-Wert zwischen 15 und 65, eine CPAP-Therapie nicht nutzen können oder bei denen diese keine ausreichende Wirksamkeit zeigt und die nicht stark übergewichtig sind. Der BMI sollte unter 35 liegen. Zentrale Apnoen dürfen nur maximal zu 25 % vorkommen. Ein weiteres Ausschlusskriterium stellt ein kompletter konzentrischer Kollaps dar. Das ist ein Obstruktionsmus-

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ter, bei dem von allen Seiten die Muskulatur erschlafft. Unsere Studien haben gezeigt, dass hier die Inspire-Therapie nicht ausreichend wirksam ist. Deshalb muss bei jedem Patienten eine SchlafVideoendoskopie durchgeführt werden. Dabei wird der Patient mit einem Kurznarkotikum in den Schlaf versetzt. Mit einem flexiblen Videoendoskop wird die Obstruktion durch die Nase beobachtet und beurteilt, ob sich der Betroffenen für die InspireTherapie eignet oder nicht. Wir legen großen Wert darauf, die Inspire-Therapie so einzusetzen, dass eine maximale Wirksamkeit erzielt wird und nicht falsche Hoffnungen geweckt werden.

Alfred Peter: Bei dieser Frage werde ich einige Patienten wohl enttäuschen. Zuerst muss eine CPAPTherapie durchgeführt werden. Unser System ist eine Zweitlinientherapie bei nachgewiesener CPAP-Unverträglichkeit oder wenn ein Patient mit der CPAP-Maske nicht oder nicht ausreichend therapiert werden kann. Das kann an anatomischen Gegebenheiten liegen, psychisch bedingt sein (wie etwa Platzangst oder Panikattacken) oder auch einfach, weil der Patient mit der Maske nicht schlafen kann. Unsere Therapie wird von den Leitlinien der DGSM und DGHNO klar als Zweitlinientherapie empfohlen.

Werner Waldmann: Kann ein Patient sofort einen Hypoglossus-Schrittmacher bekommen, ohne die CPAP-Therapie ausprobiert zu haben?

Werner Waldmann: Und die Schlaf-Videoendoskopie ist obligatorisch?

Rauchen

Clean mit der E-Zigarette?

Es ist sehr schwer, die Hände vom Glimmstängel zu lassen. So manchem ist klar, dass er sich mit der Zigarette nichts Gutes tut. Nur: Wie kommt man davon los? Durch einen Raucherentwöhnungskurs? Das ist nicht jedermanns Sache. Für den passionierten Raucher auf keinen Fall. Man ist es halt gewohnt, etwas in der Hand zu halten und hin und wieder daran zu ziehen. Seit einiger Zeit gibt es eine Alternative: die E-Zigarette als elektrischer Ersatz. Doch ist das wirklich die Lösung?

ls die elektrische Zigarette auf dem Markt erschien, war eine neue Hoffnung geboren: Rauchen ohne Reue! Es fing ganz harmlos an – ein Nischenprodukt. Die erste Generation der E-Zigarette war seit 2008 erhältlich. Sie ähnelte stark einer üblichen Zigarette, enthielt aber eine kleine Batterie. Verkauft wurde diese so ganz andersartige Zigarette zunächst von kleinen Händlern; doch dann merkten die etablierten Tabakhersteller, dass sie diesen Markt nicht vernachlässigen durften. Seit

A Quelle: Schalter, K; Mons, U: E-Zigaretten: gesundheitliche Bewertung und potenzielle Nutzen für Raucher. Pneumologie, Juni 2018, S. 458-469

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2012 entwickelten also auch die Tabakkonzerne ihre elektrischen Zigaretten. Damit konnten sie sich ein weißes Mäntelchen umhängen und behaupten, mit der E-Zigarette Schadensminderung zu betreiben.

Ohne Liquids funktioniert es nicht Die elektronische Zigarette muss mit einer Flüssigkeit (Liquid) gefüllt werden. Ein elektronisch betriebener Verdampfer erhitzt diese Flüssigkeit und ver-

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Alfred Peter: Ja, wir müssen uns die Atemwegsanatomie jedes Patienten im Vorfeld sehr genau anschauen. Und da ist eben die Schlaf-Videoendoskopie unverzichtbar. Das ist kein großer zusätz-

licher Aufwand, aber die Untersuchung dient dazu, exakt jene Patienten zu finden, die von unserer Therapie auch tatsächlich möglichst gut profitieren.

Prof. Dr. med. Christian Sittel, Ärztlicher Direktor der Klinik für Hals-, Nasen-, Ohrenkrankheiten am Klinikum Stuttgart über den Zungenschrittmacher: Die CPAP-Therapie ist seit Jahren bewährt, doch es gibt eine enttäuschend geringe Akzeptanzrate der Patienten; jeder zweite Patient legt irgendwann die Maske nicht mehr an. Das entspricht auch meinen eigenen Beobachtungen. Die Masken haben sich zwar im Lauf der Jahre verbessert, die Geräte sind kleiner geworden und weniger lautstark, aber dennoch ist es für viele Patienten eine Beeinträchtigung, ständig mit einer Maske schlafen zu müssen. Der Zungenschrittmacher ist eine hochinteressante Entwicklung. Es handelt sich um eine ausgereifte Technik mit gut dokumentierten Ergebnissen und wissenschaftlich sauberen Studien. Sie bietet erstmals eine wirkliche Alternative für Patienten mit leicht- bis mittelgradigem Schlafapnoesyndrom, die eine Behandlung ohne äußere Hilfsmittel ermöglicht. Deshalb war es mir sehr wichtig, dass wir in Stuttgart auch in der Lage sind, diese Patienten mit dem Zungenschrittmacher zu versorgen. Wir haben seit 2009 ein Schlaflabor, das wir gemeinsam mit den Kollegen der internistischen Abteilung betreiben.

nebelt sie zu einem Aerosol, das man genau wie beim Rauchen einer normalen Zigarette inhaliert. Diese Flüssigkeiten können unzählige verschiedene Aromen enthalten. Das reicht vom Tabak- über Frucht- oder Minzgeschmack bis hin zu Getränkearomen wie Kaffer, Tee oder Energy Drinks. Inzwischen werden fast Tausend verschiedene Geschmacksrichtungen auf dem Markt angeboten. Die Liquids bestehen aus zwei Grundsubstanzen: Glycerin und Propylenglykol. In unterschiedlicher Konzentration ist auch Nikotin beigefügt. Darauf wollen die meisten Nutzer nicht verzichten; doch es gibt auch nikotinfreie Liquids. Das Aerosol beim Konsum besteht aus feinen bis ultrafeinen Flüssigkeitspartikeln. Formaldehyd ist ein weiterer Bestandteil; Metalle wie Nickel, Chrom und Blei können ebenfalls darin enthalten sein. Allerdings enthalten die Aerosole der E-Zigaretten deutlich geringere Mengen dieser Schadstoffe als Nikotinzigaretten. Andererseits konnte man feststellen, dass einzelne Schadstoffe bei unsachgemäßem Gebrauch in ähnlich hoher oder sogar höherer Konzentration als in Tabakrauch vorkommen. Die Verfechter der E-Zigarette verweisen darauf, dass die Inhaltsstoffe der Liquids, wenn man vom Nikotin absieht, für die Verwendung in Lebensmitteln zugelassen sind. Lebensmittel werden aber nicht inhaliert. Wie diese Stoffe per Inhalation wirken, ist noch nicht nachgewiesen. Um die Gesundheitsgefahr einigermaßen richtig einzuschätzen, bräuchte man standardisierte Testmethoden, und die existieren noch nicht. Die Inhalation der Aerosole von E-Zigaretten beeinträchtigt kurzfristig die Lungenfunktion und kann auch zu leichten ent-

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zündlichen Reaktionen der Atemwege führen. Das ist vor allem bei Asthmatikern ein Problem. Ob die Inhalation bei Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen das Risiko erhöht, ist nicht bewiesen. Vergleicht man die Schadstoffmenge im Tabak mit derjenigen in den Aerosolen, lässt sich nicht bestreiten, dass das Schadenspotenzial der E-Zigarette wesentlich geringer ist als bei den Nikotinzigaretten. Zwar ist der Gebrauch um einiges weniger schädlich; allerdings wäre es leichtsinnig, die E-Zigaretten für harmlose Lifestyleprodukte zu halten. Gerade dies suggeriert die Werbung der Industrie als Beruhigung des Gewissens der Raucher. Unbestreitbar ist freilich eine Reihe von Vorteilen beim vollständigen Umstieg von der Nikotin- zur E-Zigarette. Husten und Kurzatmigkeit werden reduziert. Fitness und Lungenfunktion lassen sich steigern. Zur Tabakentwöhnung sind E-Zigaretten freilich nicht zugelassen. Das Jugendschutzgesetz verbietet seit 2016, E-Zigaretten an Jugendliche abzugeben. Es steht zu befürchten, dass die EZigarette für junge Menschen auch als Einstiegsdroge fürs Tabakrauchen fungieren kann. E-Zigaretten stellen im Vergleich zum Nikotinkonsum zweifellos das geringere Übel dar. Nicht übersehen sollte man allerdings die Tatsache, dass E-Zigaretten mit Nikotinzusatz ebenso die Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und bestimmten Krebsarten befördern können. Dass E-Zigaretten im Vergleich zu Tabakzigaretten weniger schädlich sind, sollte kein Grund sein, die E-Zigarette zu verharmlosen oder als bloßes Lifestyleprodukt zu verstehen. Sie kann höchstens ein Übergang zu einer rauchfreien Zukunft sein. Red.

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Notfallambulanzen überfordert Weshalb wir echte Notfälle behindern „Warum auf einen Arzttermin warten – es gibt doch Notfallaufnahmen.“ Die Anzahl der Patienten, die so denkt, steigt. Wie stark dieser neue Trend das Gesundheitssystem belastet, wurde in einem aktuellen Projektbericht des RWI – Leibniz Institut für Wirtschaftsordnung unter Mitarbeit von Prof. Dr. Andreas Beivers, Gesundheitsökonom an der Hochschule Fresenius, Fachbereich Wirtschaft & Medien, untersucht. n den Notaufnahmen der Krankenhäuser sitzen zunehmend Patienten, die objektiv gar keine Notfälle sind, dafür aber ein subjektives Notfallgefühl haben, ihnen ein Arztbesuch in einer Praxis nicht in den Terminkalender passt oder es den nächsten freien Termin beim Facharzt erst in drei Monaten gibt. Die Folgen: Weniger Zeit für echte Notfälle, überfordertes Krankenhauspersonal und unnötige Zusatzkosten. In einem aktuellen Projektbericht des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, der von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung in Auftrag gegeben wurde, untersucht Prof. Dr. Andreas Beivers, (Hochschule Fresenius, München) die aktuelle Situation in der deutschen Notfallversorgung. Dabei wurden Probleme insbesondere hinsichtlich der Patientensteuerung festgestellt. „Die Ergebnisse der Untersuchung verdeutlichen, dass eine Reform der Notfallversorgung in Deutschland dringend notwendig ist“, so Prof. Dr. Andreas Beivers. Aktuell fehle es an Steuerungs-

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mechanismen, die im Idealfall noch vor Ankunft der Patienten beurteilen, welche Versorgung die richtige ist, führt der Gesundheitsökonom weiter aus. „Mehrere Nachbarländer haben in den letzten Jahren Reformen durchgeführt, unter anderem mit dem Ziel, die Zahl der unangemessenen Notfallabteilungsbesuche zu verringern. So hat beispielsweise Dänemark seit einigen Jahren die Patientensteuerung ausgebaut und dabei auch telefonische Beratungsangebote etabliert. Seit 2014 verfügen Patienten dort nur über einen eingeschränkten Zugang zu Notfallzentren. Wenn sie ein „Walk-in-Center“ aufsuchen möchten, benötigen sie immer eine Überweisung von einem niedergelassenen Allgemeinarzt oder eine Registrierung über den Notruf. Wenn sie das nicht beachten, kann es zu nicht unerheblichen Zuzahlungen kommen“, erklärt Beivers. Der Bekanntheitsgrad der Rufnummer 116117 müsse in Deutschland gesteigert werden. Darüber hinaus sollte der telefonische Erstkontakt auch in Deutschland verpflichtend sein. Red.

Das neue Schlaflabor am Klinikum Esslingen as vor Kurzem eingeweihtes Schlaflabor in Esslingen behandelt vor allem Patienten, die unter einer schweren fortgeschrittenen Lungenerkrankung, einer respiratorischen Insuffizienz leiden. Darunter versteht man die Unfähigkeit der Lunge, ausreichend Sauerstoff aus der Umgebungsluft in das Blut aufzunehmen und damit die Organe ausreichend mit Sauerstoff zu versorgen. Dabei kann sowohl eine Schädigung des Lungengewebes, der Atemmuskulatur, der Lungengefäße, des Herzens als auch der Blutkörperchen allein oder eine Kombination verschiedener Ursachen zu dieser Funktionseinschränkung führen. Folge ist der Abfall des Sauerstoffgehalts im Blut. Je nach Ursache kann es zusätzlich zu einem Anstieg des

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Kohlendioxid im Blut kommen, wenn dies nicht mehr ausgeatmet werden kann. Eine akute respiratorische Insuffizienz ist für den Patienten nicht selten lebensgefährlich. Dr. med. Vera Wienhausen-Wilke, die Leiterin des Schlaflabors: „Unser Therapiespektrum am Klinikum Esslingen betrifft Grunderkrankungen des Brustraums, vor allem Patienten mit einer COPD oder mit einem Obesitas-Hypoventilationssyndrom, doch wir haben auch Patienten mit neuromuskulären Erkrankungen. Ich möchte betonen, dass wir hier schwerstkranke Patienten behandeln und mit der Wiederherstellung einer guten Schlafqualität auch neue Lebensqualität ermöglichen.“ Red.

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