Kompass 3 2016

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Kompass Gesundheit DAS MAGAZIN FÜR BADEN-WÜRTTEMBERG

Nr. 3 2016

TOP-THEMA

1. Stuttgarter Herztag Psychischen Erkrankungen vorbeugen Unsere Leber: nicht unverwüstlich Patientenaufklärung feiert Jubiläum

5. Jahrgang www.kompass-gesundheit-bw.de

In Zusammenarbeit mit der


Die AOK-KundenCenter sind dort, wo die Menschen wohnen, leben und arbeiten. Persönlich und nah. AOK – Die Gesundheitskasse Stuttgart-Böblingen Bezirksdirektion der AOK Baden-Württemberg www.kürzeste-wege.de


editorial Liebe Leserin, lieber Leser, der 1. Stuttgarter Herztag beim Fernsehturm im Veranstaltungszentrum Waldaupark war auf Anhieb ein erstaunlicher Erfolg! Über 400 Gäste wollten einen ganzen Tag lang hören, was hochkarätige Mediziner unserer Stuttgarter Kliniken über Kreislaufbeschwerden, Herzerkrankungen und damit verbundene Leiden wie Diabetes und Schlafapnoe zu berichteten hatten. Unsere Bürger heute suchen mehr denn je Informationen auch darüber, wie Krankheiten zu vermeiden sind, wie man das Leben gesund und leistungsfähig genießen kann. Aktives Gesundheitsbewusstsein bedeutet, Ressourcen unseres Gesundheitssystems klug und zurückhaltend einzusetzen. Es ist töricht, die Bedürfnisse des Körpers zu ignorieren und dann die Medizin zur Reparatur zu bitten. Das verursacht Leid und Leiden. Krankheit bereitet keinen Spaß und die Behandlung ebenso wenig, auch wenn die Medizin heute unglaublich wirkungsvolle Therapien parat hält. Gesundheit beginnt im Kopf. An diesem Samstag gab es nicht nur Informationen aus erster Hand, wie mit Herzerkrankungen umzugehen ist und wie sich herzgesund leben lässt. Es war auch der persönliche Austausch von Patient zu Arzt gefragt, in Fragen im Anschluss an die Vorträge und in persönlichen Gesprächen in der Pause.

Werner Waldmann ist Medizinjournalist und leitet die Redaktion von „Kompass Gesundheit“.

Es ist beeindruckend, was die moderne Kardiologie heute zu leisten vermag. Ebenso beeindruckend, auf welch hohem Niveau die Kardiologie in Stuttgart den Menschen Hilfe bietet. Unseren Referenten danke ich herzlich für ihre erstklassigen Vorträge. Ich bin mir sicher, dass sich diese Veranstaltung zu einem Taktgeber der Kardiologie in Stuttgart etablieren wird.

Ich wünsche Ihnen eine informative Lektüre Ihr Werner Waldmann

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Alle Vorträge unserer Veranstaltung „1. Stuttgarter Herztag“ vom 9. Juli können Sie in der Mediathek auf unserer Homepage hören: www.kompass-gesundheit-bw.de

Impressum Kompass Gesundheit – Das Magazin für Baden-Württemberg Herausgeber: Dr. Magda Antonic Redaktionsleitung: Werner Waldmann (V.i.S.d.P.) Botschafter: Dr. med. Suso Lederle Medizinisch-wissenschaftlicher Beirat: Prof. Dr. med. Tilo Andus, Prof. Dr. med. Walter-Erich Aulitzky, Dr. med. Alexander Baisch, Dr. med. Carl-Ludwig v. Ballestrem, Prof. Dr. med. Hansjörg Bäzner, Prof. Dr. med. Gerd Becker, Dr. med. Wolfgang Bosch, Prof. Dr. med. Alexander Bosse, Dr. med. Ernst Bühler, Prof. Dr. med. Claudio Denzlinger, Dipl.-Psych. Sabine Eller, Prof. Dr. med. Ulrich Franke, Dr. med. Wilhelm Gienger, Dr. med. Joachim Glockner, Dr. med. Rainer Graneis, Dr. med. Christian Hayd, Prof. Dr. med. Bernhard Hellmich, Prof. Dr. med. Doris Henne-Bruns, Prof. Dr. med. Christian Herdeg, Prof. Dr. med. Bodo Klump, Prof. Dr. med. Monika Kellerer, Prof. Dr. med. Alfred Königsrainer, Dr. med. Klaus Kraft, Prof. Dr. med. Ulrich Liener, Prof. Dr. med. Alfred Lindner, Prof. Dr. med. Ralf Lobmann, Dr. Tobias Meile, Dr. med. Gerhard MüllerSchwefe, Prof. Dr. med. Thomas Nordt, Dr. med. Jürgen Nothwang, Dr. med. Stefan Reinecke MBA, Dr. med. Martin Runge, Dr. med. Nobert Smetak, Dr. med. Wolfgang Sperber, Prof. Dr. med. Arnulf Stenzl, Prof. Dr. med. Thomas Strowitzki, Dr. med. Bernd Voggenreiter, Holger Woehrle, Dr. med. Sieglind Zehnle

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Gesundheitspolitik: Markus Grübel (MdB), Michael Hennrich (MdB) Redaktion: Dr. J. Roxanne Dossak, Andrew Leslie, Ursula Pieper, Marion Zerbst Art Direction: Dr. Magda Antonic Herstellung: Barbara Schüler Druck: Wahl-Druck GmbH Fotos: Cover: Foto: © guniita/123rf.com; S. 7: Foto: © bvmed/St. Jude Medical; S. 14: Illustration: © Härlin; S. 15: Foto: © klenova/bigstockphotos.com; S. 17: Illustration: © alila/shutterstock.com; S. 21: Foto: © hxdbzxy/ Thinkstock Photos.com; S. 22: Illustration: © freepik. com/MEDITEXT Dr. Antonic; S. 27: Foto: © Jupiterimages/ Thinkstock Photos.com; S. 32: Foto: © Image Point Fr/shutter-stock.com; S. 36: Foto: © Rainer Sturm/ pixelio.de; S. 40: Foto: © Dr. Lederle; Für die Autorenund Ärzteporträts liegen die Rechte bei den abgebildeten Personen. Alle anderen Fotos: MEDITEXT Dr. Antonic Verlag: MEDITEXT Dr. Antonic Verlagsleitung: Dr. Magda Antonic Panoramastr. 6; D-73760 Ostfildern Tel.: 0711 7656494; Fax: 0711 7656590 dr.antonic@meditext-online.de; www.meditext-online.de Wichtiger Hinweis: Medizin als Wissenschaft ist ständig im Fluss. Soweit in dieser Zeitschrift eine Applikation oder Dosierung angegeben ist, darf der Leser zwar darauf vertrauen, dass Autoren, Redaktion und Verlag größte Mühe darauf verwandt haben, dass diese Angaben genau dem Wissensstand bei Drucklegung der Zeitschrift entspra-

chen. Dennoch sollte jeder Benutzer die Beipackzettel der verwendeten Medikamente selbst prüfen, um in eigener Verantwortung festzustellen, ob die dort gegebene Empfehlung für Dosierungen oder die Beachtung von Kontraindikationen gegenüber der Angabe in dieser Zeitschrift abweicht. Leser außerhalb der Bundesrepublik Deutschland müssen sich nach den Vorschriften der für sie zuständigen Behörden richten. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) müssen nicht besonders kenntlich gemacht sein. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt. Das Magazin und alle in ihm enthaltenen Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung von MEDITEXT Dr. Antonic strafbar. Die Redaktion behält sich die Bearbeitung von Beiträgen vor. Für unverlangt eingesandte Manuskripte, Fotos und Abbildungen wird keine Haftung übernommen. Mit Namen gezeichnete Artikel geben die Meinung des Verfassers wieder. Erfüllungsort und Gerichtsstand ist Esslingen. Ein Einzelheft ist zum Preis von 1,60 Euro (zzgl. Versandkosten) beim Verlag erhältlich. Copyright © 2016 by MEDITEXT Dr. Antonic, 73760 Ostfildern

ISSN 2194-5438

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inhalt Kardiologie heute: Chancen und Herausforderungen einer Hightech-Medizin

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• Hilfe für Ihr Herz – moderne Kardiologie heute

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• Herzrhythmusstörungen: Wenn der Motor des Lebens aus dem Takt gerät

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• Schlaganfall: Der Super-GAU im Gehirn

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• Herzchirurgie – minimalinvasiv und schonend

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• Bewegte Herzen leben länger

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• Plötzlicher Herztod

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• Obstruktive Schlafapnoe: Was hat Schnarchen mit dem Herzen zu tun?

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• Herzschwäche ist kein Schicksal!

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• Herz und Diabetes

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• Kardiologische Prävention und Rehabilitation

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• Bluthochdruck – die schleichende Gefahr

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Psychische Erkrankungen: So können Sie vorbeugen

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Das Gesundheitsgespräch mit Christian Kratzke: Herzgesund leben

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Unsere Leber – robust, aber nicht unverwüstlich

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Frühzeitiges Erkennen und Vorsorge senken das Risiko

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Adipöse Männer haben verdoppeltes Sterberisiko

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Versorgung von Schlafapnoe-Patienten

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Ein Jubiläum der besonderen Art: Medizin-Talk in Stuttgart – 200 Mal Suso Lederle

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Ihr Hausarzt meint

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Rubriken Impressum 4 | Aboformular 15 | Kolumne Dr. Lederle 37 | Termine 43 |

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Kardiologie heute:

Chancen und Herausforderungen einer Hightech-Medizin

Marion Zerbst

Unser Stuttgarter Herztag im Veranstaltungszentrum Waldaupark war so gut besucht, wie wir das bei der ersten Veranstaltung nicht erwartet haben. Offenbar haben wir ein echtes Bedürfnis bedient. Die meisten Gäste haben interessiert und aufmerksam alle Vorträge verfolgt. Auch die Aussteller boten begehrte Informationen an: die Deutsche Herzstiftung, der Bundesverband Niedergelassener Kardiologen (BNK), der VdK, der Württembergische Behinderten- und Rehabilitationssportverband, das Zentrum für ambulante Rehabilitation (ZAR), die AOK, das Vital-Zentrum Glotz, die beteiligten Kliniken wie das Robert-Bosch-Krankenhaus, das Marienhospital, das Klinikum Stuttgart, das Paracelsus Krankenhaus Ruit und last but not least bedeutende Pharmaunternehmen wie Boehringer Ingelheim, MSD, Bayer, Novartis, Servier und der Medizingerätehersteller Zoll LifeVest. Auf den folgenden Seiten haben wir die wichtigsten Infos aus allen Vorträgen zusammengefasst – auch für all jene, die nicht dabei sein konnten.

Hilfe für Ihr Herz – moderne Kardiologie heute PD Dr. med. Ralph Bosch ie Fortschritte der modernen Kardiologie lassen sich am besten mit dem Werbeslogan für eine bekannte Automarke umschreiben: (Fast) nichts ist unmöglich. Die Herzinfarktsterblichkeit ist zwischen 1985 und 2012 aufgrund besserer Behandlungsmaßnahmen drastisch zurückgegangen. Implantierbare Defibrillatoren können lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen erkennen und unterbinden und auf diese Weise viele plötzliche Herztode verhindern. Und auch große Operationen kann man heute schon am schlagenden Herzen und so schonend durchführen, dass selbst ein 80oder 90-Jähriger sie problemlos übersteht und nach kurzem Krankenhausaufenthalt seelenruhig wieder auf den Golfplatz zurückkehrt. Doch selbst die beste Hightech-Medizin nützt nichts, wenn sie dem Patienten nicht möglichst nah vor seiner Haustür angeboten wird. Unsere medizinische Versorgungslandschaft hat sich drastisch verändert: Früher fuhr der Hausarzt bei Wind und Wetter mit dem Fahrrad über die Schwäbische Alb, um zu seinen Patienten zu kommen, und war 24

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PD Dr. med. Ralph Bosch, niedergelassener Kardiologe in Ludwigsburg, 1. Vorsitzender des Landesverbandes Baden-Württemberg des Bundesverbandes niedergelassener Kardiologen e. V. (BNK)

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Stunden pro Tag im Dienst. Die heutige Versorgungsrealität ist komplexer geworden: Ein eng geknüpftes Netz aus Haus- und Facharztpraxen, Kliniken, Reha-Einrichtungen, Pflege- und sozialen Diensten stellt eine umfassende Versorgung der Patienten sicher. Denn um eine solche Hochtechnologie-Medizin leisten zu können, wie die moderne Kardiologie sie ermöglicht, sind viele Kooperationen auf hohem Niveau notwendig. Den Erfolg einer solchen Zusammenarbeit belegen wissenschaftliche Untersuchungen eindeutig: So wirkt es sich beispielsweise sehr positiv auf das Überleben von Herzinfarktpatienten aus, wenn Hausarzt und Kardiologe bei der ambulanten Versorgung nach ihrer Entlassung eng miteinander kooperieren. In Versorgungsprogrammen von Krankenkassen wie beispielsweise der AOK sind die Behandlungspfade von Patienten mit Herzinsuffizienz oder koronarer Herzkrankheit klar geregelt; es ist genau festgelegt, welche Medikamente sie bekommen und an welche Lebensstilempfehlungen sie sich halten sollen. Solche Programme sind

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wichtig: So können sie beispielsweise bei Herzinsuffizienz-Patienten Krankenhausaufenthalte verhindern und das Leben verlängern. Sicherlich werden sie in der zukünftigen kardiologischen Versorgung eine noch größere Rolle spielen als bisher. Aber letztendlich hängt es von Ihnen als Patient ab, ob diese Fortschritte unserer modernen Kardiologie auch tatsächlich bei Ihnen ankommen. Untersuchungen zum Gesundheitsverhalten der Menschen in den westlichen Industrieländern zeigen, wie schwer es ist, den Kampf gegen den inneren Schweinehund zu gewinnen: So sind laut BundesGesundheitssurvey beispielsweise nur 13 % aller Deutschen an den meisten Tagen pro Woche etwa 30 Minuten lang bei moderater Intensität körperlich aktiv, wie es zur Gesunderhaltung von Herz und Gefäßen empfohlen wird. Drei Viertel der Bevölkerung bewegen sich so gut wie gar nicht. Hier bleibt noch viel Spielraum für Verbesserungen. Denn der Arzt kann durch Medikamente und moderne

medizintechnische Errungenschaften heutzutage schon vieles reparieren – doch nur der Patient selbst kann durch eine gesunde Lebensweise seine Herz-Kreislauf-Risikofaktoren reduzieren.

Ein Beispiel für die moderne Kardiologie ist dieser Sensor zur Blutdruckmessung. Der miniaturisierte, drahtlose Überwachungssensor wird in einem minimalinvasiven Eingriff in die Pulmonalarterie (PA) implantiert, um dort den Blutdruck direkt zu messen. Mithilfe dieses Systems kann der Herzinsuffizienz-Patient die Messdaten zum PA-Druck von zuhause aus an den Arzt übermitteln, sodass nun eine personalisierte und proaktive Versorgung gewährleistet und eine stationäre Klinikeinweisung weniger wahrscheinlich ist.

Herzrhythmusstörungen: wenn der Motor des Lebens aus dem Takt gerät Prof. Dr. med. Udo Sechtem erzrhythmusstörungen sind nach wie vor eine Herausforderung für die Medizin. Das Spektrum dieser Erkrankungen reicht von harmlos bis lebensgefährlich – und die Diagnostik gestaltet sich oft schwierig. Vor allem wenn Rhythmusstörungen nur hin und wieder auftreten, wird sie oft zur wahren Detektivarbeit. Denn dann reicht ein Langzeit-EKG über 24 Stunden oder sieben Tage nicht mehr aus; man muss dem Patienten einen Ereignisrekorder mit nach Hause geben, den er sich bei Beginn der Beschwerden auf die Brust legt oder der für etwa drei Monate auf die Haut geklebt wird. Um noch seltener auftretende Herzrhythmusstörungen aufzuspüren, gibt es implantierbare Eventrekorder, mit denen man den Herzrhythmus ein Jahr lang genau beobachten und dokumentieren kann. Doch zum Glück ist das nur in seltenen Fällen erforderlich. Denn viele Herzrhythmusstörungen sind zwar unangenehm, oft auch beängstigend – aber

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harmlos. Das gilt zum Beispiel für die Extrasystolen, das sogenannte „Herzstolpern“: deutlich spürbare Zusatzschläge, die vereinzelt oder auch serienmäßig auftreten können. Meist stecken Stress, Aufregung, Freude, Angst oder Nervosität dahinter; aber auch ein übermäßiger Konsum von Genussgiften wie Alkohol, Koffein oder Nikotin kann Extrasystolen verursachen. Schon bei dieser an sich vollkommen harmlosen Störung zeigt sich also, wie wichtig ein maßvolles, gesundes Leben mit regelmäßigen Erholungspausen, ohne übermäßigen Stress und ohne schädliche Substanzen für unser Herz ist! Manchmal kann auch eine Krankheit (z. B. ein Herzklappenfehler, eine koronare Herzkrankheit oder Überfunktion der Schilddrüse) dazu führen, dass das Herz ins Stolpern gerät. Behandlungsbedürftig sind solche Extrasystolen normalerweise nicht; man muss nur untersuchen, ob eine Grunderkrankung dahintersteckt, und diese gegebenenfalls therapieren. Falls die Patienten sehr unter dem

Prof. Dr. med. Udo Sechtem, Chefarzt der Abteilung für Kardiologie am Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart

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Großes Interesse bestand an der Vorführung der Herz-Lungen-Wiederbelebung durch MitarbeiterInnen des Marienhospitals Stuttgart.

Stolpern leiden, kann ein niedrig dosierter Betablocker verschrieben werden, in schwereren Fällen eventuell auch das Antiarrhythmikum Amiodaron. Schon deutlich weniger harmlos ist das Vorhofflimmern, eine Rhythmusstörung, die mit steigendem Lebensalter immer häufiger wird. Sie entsteht durch eine unregelmäßige elektrische Erregung in den Herzvorhöfen, die zu unangenehmem Herzrasen – manchmal mit 160 bis 170 Schlägen pro Minute – führt. Bei vielen Patienten macht sich das Vorhofflimmern, ähnlich wie die Extrasystolen, auch durch ein „Herzstolpern“ bemerkbar. Bei zwei Dritteln aller Patienten (vor allem jüngeren) ist dies das einzige Symptom. Bei älteren Patienten äußert sich das Vorhofflimmern jedoch oft auch in einer Abnahme der körperlichen Leistungsfähigkeit: So leiden sie beispielsweise unter Atemnot bei Belastung, Schwindel oder einem Druckgefühl im Brustkorb. Obwohl diese Rhythmusstörung per se nicht gefährlich ist, erhöht sie das Schlaganfallrisiko: Denn wenn der Vorhof sich nicht mehr regelmäßig zusammenzieht, können sich im Vorhofohr (einer kleinen Aussackung in der Vorhofwand) Blutgerinnsel bilden; und diese schwimmen vom Herzen normalerweise senkrecht nach oben ins Gehirn. Dementsprechend verfolgt man bei der Behandlung des Vorhofflimmerns mehrere Ziele: Zum einen

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möchte man natürlich die unangenehmen Symptome lindern und die Herzleistung verbessern. Am wichtigsten ist es jedoch, einem Schlaganfall vorzubeugen. Mit Medikamenten kann man entweder den normalen Herzrhythmus wiederherstellen oder – falls dies nicht möglich ist – die Herzfrequenz senken, um das lästige und beängstigende Herzrasen zu verhindern. In diesem Fall bleibt die Rhythmusstörung zwar bestehen; aber die meisten Patienten stören sich nicht mehr daran, weil sie ja jetzt keine Beschwerden mehr haben. Wichtig ist in so einem Fall eine Behandlung mit gerinnungshemmenden Medikamenten, um einem Schlaganfall vorzubeugen. Mit nicht medikamentösen Verfahren wie beispielsweise einer Katheterablation lässt sich das Vorhofflimmern in vielen Fällen völlig beseitigen. Bei diesem Therapieverfahren werden elektrisch aktive Herzmuskelzellen in den Vorhöfen oder Lungenvenen, die das Vorhofflimmern auslösen, per Herzkatheter aufgespürt und verödet. Diese Therapieoption empfiehlt sich beispielsweise für Patienten, die sehr unter ihrem Vorhofflimmern leiden und denen Medikamente nicht helfen. Allerdings ist eine Katheterablation auch nicht ohne Risiken; das Für und Wider muss also sehr genau erwogen werden. Und wie bei den meisten Herz-Kreislauf-Erkrankungen gilt auch hier: Vorbeugen ist besser als heilen! Prävention ist beispielsweise dadurch möglich, dass man die Risikofaktoren, die ein Vorhofflimmern verursachen können, vermeidet bzw. behandelt. Neben Krankheiten wie Bluthochdruck, koronarer Herzkrankheit und Diabetes sind das vor allem Auslöser wie Alkohol, Koffein, üppige Mahlzeiten und Schlafmangel. Die wirklich lebensbedrohlichen Rhythmusstörungen kommen jedoch nicht aus dem Vorhof, sondern aus der Herzkammer: z. B., wenn sehr schnelle elektrische Impulse den Herzmuskel zwingen, sich ebenso schnell zusammenzuziehen. Dann entsteht entweder eine Kammertachykardie (Herzrasen) oder ein Kammerflimmern mit Symptomen wie Blutdruckabfall, Schwitzen, Engegefühl in der Brust, Luftnot, Todesangst und schließlich Bewusstlosigkeit und Herz-Kreislauf-Stillstand. In solchen Fällen hilft nur eines: Möglichst rasch den Notarzt anrufen und eine Herz-Lungen-Wiederbelebung einleiten!

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Schlaganfall: Der Super-GAU im Gehirn Prof. Dr. med. Hansjörg Bäzner ie meisten Menschen haben vor einem kommen. Wichtig ist es daher, den Blutdruck regelSchlaganfall noch mehr Angst als vor dem mäßig kontrollieren und bei Bedarf behandeln zu Herzinfarkt. Und das völlig zu Recht: Denn die lassen. Und natürlich sollte man die vom Arzt verSterblichkeit ist mit 50 % innerhalb von fünf Jahren ordneten Medikamente auch konsequent jeden Tag nach dem Ereignis immer noch sehr hoch; und bei einnehmen – was viele Bluthochdruckpatienten leiden meisten Patienten, die einen Schlaganfall der nicht tun. überleben, bleiben nachhaltige Behinderungen zu• Weitere Faktoren, die zur Entstehung eines rück. Jeder dritte Patient sitzt anschließend im Schlaganfalls beitragen können, sind zu hohe BlutRollstuhl, leidet unter Sprachstörungen oder ist fettwerte, Bewegungsmangel, Übergewicht, Alkorund um die Uhr hilfsbedürftig. holmissbrauch und die Einnahme der AntibabyMan unterscheidet zwischen zwei verschiedepille. Treffen mehrere Risikofaktoren zusammen, nen Formen des Schlaganfalls: Eine Gehirnblutung so erhöht sich das Schlaganfallrisiko um das (sogenannter hämorZwanzigfache! rhagischer SchlaganTypische Symptome fall) entsteht meist Jede Sekunde zählt eines Schlaganfalls durch den Einriss eiWenn Vorbeugung • Halbseitige Lähmungserscheinungen und/oder ner Arterienwand. So nicht gelingt, so ist Taubheitsgefühl auf einer Körperseite kommt es zu einem Früherkennung das (vollständig oder teilweise) Bluterguss im Gehirn. zweitwichtigste Ziel. • Herabhängender Mundwinkel Diese Ursache macht Und das bedeutet: • Sprach- und Sprechstörungen aber nur 20 % aller „Time is brain“ – jede • Unfähigkeit, Gesprochenes zu verstehen Schlaganfälle aus. Viel Sekunde zählt! Pro • Sehstörungen (einäugige Blindheit, Gesichtshäufiger ist mit 80 % Stunde gehen nach feldausfälle, Doppelbilder) aller Fälle der ischämiBeginn der Symptome In so einem Fall sofort 112 wählen! sche Schlaganfall, bei eines Schlaganfalls dem durch einen Blut120 Millionen Nervenpfropf in einer hirnverzellen zugrunde; ein sorgenden Arterie die Durchblutung gestört wird einstündiger Gefäßverschluss kostet im Durchund Gehirngewebe abstirbt. Im Grunde genomschnitt etwa dreieinhalb Lebensjahre. Bei verdächmen ist dieser Schlaganfall ein „Herzinfarkt des tigen Symptomen (siehe Infokasten) sollte man Gehirns“; deshalb bezeichnet man ihn auch als also nicht zuwarten und hoffen, dass sie von allein Hirninfarkt. wieder verschwinden, sondern sofort den Notarzt Gegen die Angst vor dem Schlaganfall kann man (112) anrufen. Außerdem sollte man wichtige Inforetwas tun – nämlich, indem man seine Risikofaktomationen für den Notarzt vorbereiten, damit dieser ren ausschaltet, die (mit Ausnahme einer gewissen bei seiner Ankunft gleich mit gezielten Behandfamiliären Vorbelastung) alle beeinflussbar sind: lungsmaßnahmen beginnen kann: Wann haben die • Rauchen und Diabetes erhöhen das SchlaganSymptome begonnen? Wie haben sie sich entwifallrisiko jeweils um das Zwei- bis Dreifache, also: ckelt? Nimmt der Patient Medikamente (beispielsFinger vom Glimmstängel lassen und auf eine gute weise Gerinnungshemmer) ein? Diabeteseinstellung achten! Behandelt wird der Schlaganfall am besten in • Durch Bluthochdruck (den wichtigsten Risikoeiner „Stroke-Unit“, einem hierauf spezialisierten faktor) steigt das Schlaganfallrisiko sogar bis um Zentrum, in dem eine sofortige Diagnostik und ein Zwölffaches. Auch diese Volkskrankheit kann Therapie eingeleitet werden kann. Beim ischämiman durch eine gesunde Lebensweise (und gegeschen Schlaganfall besteht diese Behandlung in benenfalls mit Medikamenten) gut in den Griff beeiner Thrombolyse, um das Gerinnsel aufzulösen –

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Prof. Dr. med. Hansjörg Bäzner, Ärztlicher Direktor des Neurozentrums – Katharinenhospital – Klinikum Stuttgart

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je frĂźher, desto besser, denn umso hĂśher ist dann die Chance, mit mĂśglichst wenigen bleibenden Behinderungen zu Ăźberleben. Nicht jeder Patient profitiert von einer Thrombolyse. Am besten sind die Aussichten, wenn er innerhalb von 90 Minuten die Klinik erreicht: Dann hilft diese BehandlungsmaĂ&#x;nahme jedem dritten, bei einem Zeitfenster von drei Stunden nur noch jedem neunten und innerhalb des offiziell fĂźr eine Thrombolyse zugelassenen Zeitlimits von viereinhalb Stunden nur noch jedem vierzehnten Patienten. In bestimmten Fällen kann eine Thrombektomie sinnvoll sein, bei der das Zeitfenster mit bis zu sechs Stunden nach Symptombeginn etwas grĂśĂ&#x;er ist. Bei diesem noch relativ neuen Verfahren schiebt der Neuroradiologe einen Katheter Ăźber die Leiste bis ins Gehirn hoch, fängt das Gerinnsel mit dem Stent Retriever (einer Art auffaltbarem Netzkorb) ein und zieht es zurĂźck, um das blockierte GefäĂ&#x; wieder durchgängig zu machen.

Wenn die Halsschlagader zu eng ist ‌ Eine wichtige Schlaganfallursache ist die Verengung der Halsschlagader (Karotis) durch arteriosklerotische Ablagerungen; denn von dieser Engstelle kĂśnnen sich Gerinnsel ablĂśsen und mit dem Blutstrom ins Gehirn geschwemmt werden. Ist der Schlaganfall aufgrund einer solchen Verengung entstanden, muss man die Engstelle mĂśglichst schnell beseitigen – entweder durch operative Entfernung der Ablagerungen oder indem man die verengte Stelle per Katheter aufweitet und anschlieĂ&#x;end mit einer GefäĂ&#x;prothese (Stent) stabilisiert. Patienten mit verengter Karotis, die bisher noch keinen Schlaganfall erlitten haben, kann man in Abhängigkeit vom Grad der Verengung und von der HĂśhe ihres Schlaganfallrisikos entweder medikamentĂśs behandeln oder aber die Engstelle vorbeugend beseitigen.

Herzchirurgie – minimalinvasiv und schonend Prof. Dr. med. Ulrich Franke icht nur die Kardiologie, sondern auch die Herzchirurgie hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht. Mittlerweile kĂśnnen viele Operationen minimalinvasiv, oft sogar am schlagenden Herzen und damit sehr schonend durchgefĂźhrt werden. Denn Menschen, bei denen eine Herz-OP notwendig ist, sind meist schon ziemlich betagt: Das Durchschnittsalter herzoperierter Patienten liegt in Deutschland bei etwa 70 Jahren. Die häufigsten chirurgischen Eingriffe am Herzen bei älteren Menschen sind Bypass- und Herzklappenoperationen; solche Operationen kĂśnnen sogar Ăźber 80-jährige Patienten noch sehr gut Ăźberleben und davon profitieren. Freilich ist gerade in vorgerĂźcktem Alter bei jedem operativen Eingriff genau zu erwägen, wie sinnvoll er ist und ob die Risiken oder die zu erwartenden Vorteile Ăźberwiegen. Jeder Patient knĂźpft an einen solchen Eingriff gewisse Erwartungen: í˘ą Er mĂśchte Ăźberleben. Es gibt Fälle, in denen das Risiko, an einer Herz-OP zu sterben, deutlich erhĂśht ist; in solchen Fällen wird man sich nur dann

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Prof. Dr. med. Ulrich Franke, Chefarzt der Abteilung fĂźr Herzund GefäĂ&#x;chirurgie am Robert-BoschKrankenhaus Stuttgart

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zu einer Operation entschlieĂ&#x;en, wenn sie der einzige Ausweg ist, der Patient ohne OP also noch weniger Ăœberlebenschancen oder eine gravierend eingeschränkte Lebensqualität zu erwarten hätte. í˘˛ Die Beschwerden sollen gelindert werden. í˘ł Das OP-Ergebnis sollte langfristig anhalten. í˘´ Das kosmetische Resultat sollte befriedigend und ‌ í˘ľ ‌ der Krankenhausaufenthalt mĂśglichst kurz sein. Das wichtigste Kriterium ist zweifellos das Ăœberleben. Welche Faktoren haben Einfluss darauf? Hier spielen in erster Linie das Alter und die Vorerkrankungen des Patienten eine Rolle: Wie weit ist seine Arteriosklerose fortgeschritten? Wie steht es um seine Nieren-, Lungen- und Herzfunktion? In welchem Zustand sind seine HerzkranzgefäĂ&#x;e? Wie gut funktioniert der Herzmuskel noch? All das wirkt sich auf das Sterblichkeitsrisiko des Patienten bei einer Herz-OP aus. Letztendlich ist jede Herzoperation ein invasiver Eingriff in die Integrität des KĂśrpers. Gerade bei äl-

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teren Patienten ist es daher wichtig, operative EinViele Herzoperationen (z. B. Bypass-OPs oder griffe am Herzen so schonend wie möglich zu geder Einsatz einer Aortenklappe) kann man mittlerstalten. weile schon mit einer nur teilweisen Durchtrennung Dazu sind vor allem zwei Faktoren wichtig: des Brustbeins oder über einen Zugangsweg seit• der OP-Zugang (kleiner oder großer Schnitt?) lich zwischen den Rippen hindurch bewerkstelli• und die Frage, ob eine Herz-Lungen-Maschine gen. Auch das bringt dem Patienten Vorteile: Ein zum Einsatz kommen muss oder ob man darauf nur partiell durchtrenntes Brustbein kann schneller verzichten kann. heilen, und es treten seltener WundheilungsstörunIm Jahr 1954 wurde die erste Herz-Lungen-Magen auf. Auch das kosmetische Ergebnis ist befrieschine in Betrieb genommen; und das war damals digender. ein Meilenstein in der Geschichte der Herzchirurgie. Denn ohne diese Maschine wären viele HerzIntervention oder Operation? operationen gar nicht möglich gewesen. Die HerzBei Verengungen der Herzkranzgefäße stellt sich Lungen-Maschine entnimmt das Blut aus den die mittlerweile fast schon uralte Gretchenfrage: Hohlvenen. Von dort läuft es in ein Reservoir und Was ist sinnvoller und erfolgversprechender – eine wird durch einen Oxygenator gepumpt, der ihm Katheterintervention oder eine offene Operation, Kohlendioxid entnimmt und Sauerstoff zuführt. bei der dem Patienten ein Bypass eingesetzt wird? Das solchermaßen behandelte Blut wird dann mit Nicht immer ist die Katheterintervention das beseiner Geschwindigkeit von 4,5 bis sere Verfahren. Freilich ist sie 5 Litern pro Minute wieder in den In vorgerücktem Alter ist bei schonender und somit bei multiKreislauf hineingepumpt. Auf diemorbiden Patienten (d. h. soljedem operativen Eingriff se Weise kann man Herz und chen, die bereits mehrere Vorergenau zu erwägen, Lungen stilllegen, und der Chirurg krankungen mitbringen) oft beswie sinnvoll er ist und ob kann unbehindert von den Beweser geeignet. die Risiken oder die zu gungen dieser Organe agieren. Andere Patienten profitieren erwartenden Vorteile Allerdings bringt der Einsatz aber eventuell mehr von einer der Herz-Lungen-Maschine auch konventionellen Bypass-OP. Dies überwiegen. Nachteile mit sich: Dadurch, dass muss jeweils im interdisziplinären das Blut an verschiedenen Fremdoberflächen entTeam zwischen Kardiologen, Kardiochirurgen und langfließt, kann es zu Entzündungsreaktionen komAnästhesisten – und natürlich auch in einem ausmen, die Kreislauf-, Nieren- und Lungenversagen führlichen Gespräch mit dem aufgeklärten, mündiverursachen können. Auch das Schlaganfallrisiko gen Patienten – von Fall zu Fall genau abgewogen erhöht sich. werden. Nicht zuletzt ist dabei zu bedenken, dass Mittlerweile kann man viele operative Eingriffe die Bypasschirurgie sich inzwischen deutlich verbereits ohne Herz-Lungen-Maschine durchführen. bessert hat: Heute verwendet man fast ausschließDie Abteilung für Herz- und Gefäßchirurgie des lich Bypässe aus Brustwandarterien, da VenenbyStuttgarter Robert-Bosch-Krankenhauses ist das pässe weniger haltbar sind und sich nach zehn bis Zentrum mit der größten Erfahrung in diesen sogespätestens 15 Jahren wieder verschließen. Auf Venannten „Off pump“-Verfahren: Dort werden 95 % nen greift man nur noch in Ausnahmefällen zurück, aller Operationen ohne Herz-Lungen-Maschine wenn zu wenig Bypassmaterial zur Verfügung durchgeführt. Eine weitere Spezialität der Kardiosteht. chirurgie am Robert-Bosch-Krankenhaus sind Hybridtechniken: Bypässe werden mit Stents kombiKunstherz statt Spenderorgan: niert, um das für den Patienten jeweils schonenddie Therapie der Zukunft ste Verfahren zu ermöglichen. Dies ist gerade bei Eine weitere Spezialität des Robert-Bosch-Kranhochbetagten Patienten und Diabetikern, die ein kenhauses ist die Behandlung von Patienten mit besonders hohes Risiko für Wundheilungsstörunfortgeschrittener Herzinsuffizienz. Für solche Pagen haben, eine sehr erfolgversprechende Stratetienten kommt, wenn alle medikamentösen und gie. technischen Therapiemöglichkeiten erschöpft sind,

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oft nur noch eine Herztransplantation in Frage; diese scheitert jedoch häufig am Mangel an Spenderorganen. Einen Ausweg bietet hier die Kunstherztechnologie, ein Gebiet, auf dem in den letzten Jahren große Fortschritte erzielt worden sind: Mittlerweile dienen diese Herzunterstützungssysteme nicht mehr nur als Überbrückungsmaßnahme für die Wartezeit, bis dem Patienten ein Spenderherz implantiert werden kann, sondern sind in vielen

Fällen eine sinnvolle Dauerlösung. Die Zweijahresüberlebensrate mit einem Kunstherzen ist mittlerweile genauso gut wie mit einem Spenderorgan. Seit anderthalb Jahren gehört das Robert-BoschKrankenhaus zu den immer noch relativ wenigen Zentren in Deutschland, die eine solche Therapie anbieten – für viele Herzinsuffizienz-Patienten über 70 Jahren, die keine Chance mehr auf ein Spenderherz haben, die einzige Zukunftsperspektive.

Bewegte Herzen leben länger Dr. med. Martin Runge iele Menschen verbringen ihre letzten Lebensjahre mit Krankheiten, oft sogar als Pflegefall. Und oft kann man sie von eigener Schuld an diesem wenig befriedigenden Ausklang ihres Lebens leider nicht freisprechen: Die meisten Menschen bereiten ihren Garten sorgfältiger auf den Winter vor als sich selbst auf ihr Alter! Das muss nicht sein. Gegen Gebrechlichkeit und Behinderung im Alter kann man etwas tun – allerdings muss man rechtzeitig damit anfangen. Wie das geht, erläuterte der Esslinger Altersmediziner Dr. med. Martin Runge in seinem Vortrag.

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Dr. med. Martin Runge, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin in Esslingen-Kennenburg

Mancher Sport ist tatsächlich Mord Dass körperliche Aktivität wichtig ist, um das Leben zu verlängern und möglichst gesund alt zu werden, hört und liest man immer wieder. Doch Bewegung ist nicht gleich Bewegung; man braucht schon gezielte Strategien, um sein Herz, seine Gefäße und seinen Bewegungsapparat bis ins hohe Alter hinein fit zu halten. Für manche körperliche Aktivitäten gilt tatsächlich der gerade von Bewegungsmuffeln oft zitierte Satz „Sport ist Mord“: Beim Profi- und Leistungssport, Bodybuilding und bei vielen Sportarten mit Wettkampfcharakter ist die Belastung, der man seinen Körper aussetzt, oft genauso groß wie der Nutzen, den er aus der Bewegung zieht – vielleicht sogar noch größer. Auch mit extremen Belastungen wie beispielsweise einem Marathonlauf tut man sich nicht unbedingt etwas Gutes. „Bewegung und Sport sind nicht dasselbe!“, betont Dr. Runge. „Bei Bewegung als präventiver

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Maßnahme geht es um Nachhaltigkeit: Welche Bewegungen muss ich ausführen, damit mein Körper haltbar bleibt?“ Fitness hat verschiedene Komponenten, die jeweils unterschiedliche Trainingsregimes erfordern: • Kraft ist die Basis, ohne die Bewegung nicht möglich ist. Sie hängt von den Muskeln ab. Aber es gibt auch noch andere, ebenso wichtige Elemente: • Ausdauer • Schnelligkeit • Koordination • Flexibilität. Alle fünf Komponenten müssen trainiert werden! Neben dem für Herz und Kreislauf wichtigen Ausdauertraining darf man auch die Muskelkraft und die Koordination nicht vernachlässigen. Bei jedem Menschen liegen die Schwächen woanders. Jeder sollte für sich feststellen, wo seine Schwachstelle liegt, und diese besonders intensiv trainieren, denn eine Kette ist immer nur so stark wie ihr schwächstes Glied! Dass körperliche Aktivität tatsächlich das Leben verlängert, hat der schottische Epidemiologe J. N. Morris zweifelsfrei nachgewiesen, indem er Busfahrer mit Busschaffnern und diese Schaffner wiederum daraufhin verglich, ob sie in ein- oder zweistöckigen Bussen tätig waren: Diejenigen, die sich mehr bewegten, hatten nur ein halb so hohes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.* Wie fit sind Sie? Es gibt mehrere einfache Tests, anhand deren Sie

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selbst feststellen können, wie groß Ihre Chancen sind, auch in höherem Alter noch fit und leistungsfähig zu sein: • Wer es nicht schafft, zehn Sekunden lang im Tandemstand (d. h. Stehen in einer Position, in der man einen Fuß genau vor den anderen gesetzt hat) zu verharren, hat ein erhöhtes Risiko für Stürze, die gerade im Alter oft gefährliche Oberschenkelhalsbrüche nach sich ziehen. Wer sich mehr als acht Schritte im Tandemgang fortbewegen kann, halbiert sein Sturzrisiko! • Einer der besten Prädiktoren für ein erhöhtes Sterblichkeitsrisiko ist die Gehgeschwindigkeit. Ob Sie auch in vorgerücktem Alter noch stramm und flott gehen können oder eher wie eine Schildkröte daherkommen, das sagt also eine Menge über Ihre körperliche Fitness aus! Der Tod hat eine Geschwindigkeit von 0,8 Metern pro Sekunde: Wenn Sie schneller gehen, sind Sie – statistisch betrachtet – auf der sicheren Seite. • Ein gesunder Erwachsener muss in der Lage sein, mit nur einem Bein von einem Stuhl aufzustehen, ohne sich abzustützen. Ferner sollten Sie messen, wie lange Sie brauchen, um fünfmal aufzustehen. Das sollten Sie in weniger als zehn Sekunden schaffen! Falls Sie diese drei Tests nicht „bestanden“ haben sollten, ist das kein Grund zum Verzweifeln. Aber dann ist gezieltes Training unter Anleitung eines Geriaters angesagt, wobei einer gut trainierten Gesäßmuskulatur besondere Aufmerksamkeit zu schenken ist: Sie hält den Rumpf aufrecht und spielt für

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unsere Fortbewegung auf zwei Beinen eine zentrale Rolle. Wie lange sollte man körperlich aktiv sein? Neuen Untersuchungen zufolge kann man sich durch 90 Minuten moderater körperlicher Aktivität pro Woche (normales Gehen genügt) bereits einen Überlebensvorteil von drei Jahren verschaffen; mit längerer und intensiverer Bewegung gewinnt man – statistisch gesehen – noch mehr Jahre hinzu. Und wie dressiert man seinen inneren Schweinehund? Ganz einfach: Betreiben Sie Ihr körperliches Training nicht allein, sondern in der Gruppe – der Gruppenzwang erhöht die Motivation ganz ungemein! *J. N. Morris and P. A. B. Raffle (1954) Coronary Heart Disease in Transport Workers. A Progress Report; Br J Ind Med. Oct 1954; 11(4): 260–264.

Am Stand von Dr. Runge konnten die Besucher die vibratorische Muskelstimulation mit dem Galileo-System testen. Das System stimuliert motorische, vaskuläre und hormonelle Funktionen.

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Plötzlicher Herztod Prof. Dr. med. Christian Herdeg nser Herz legt von unserem ersten bis zum letzten Atemzug nie eine Pause ein. Wir schlafen, unser Herz schläft nie. Falls unser Herz plötzlich aufhört zu schlagen, sind wir in kürzester Zeit tot. Jedenfalls wenn nicht in Minutenschnelle professionelle Hilfe vor Ort ist. Es geht um den gefürchteten plötzlichen Herztod. Der plötzliche Herztod ist gar nicht so selten. Schon junge Menschen können beim Sport tot umfallen. Es trifft aber keineswegs nur Sportler. 100 000 Menschen versterben in Deutschland jährlich am plötzlichen Herztod. Der Tod tritt oft sogar aus völligem Wohlbefinden ein. Besonders bedroht sind Menschen, die an einer Herzkrankheit leiden. Manche wissen das gar nicht, umso überraschender trifft es sie und ihre Angehörigen, wenn sie plötzlich umfallen und ihr Herz zu schlagen aufhört. Risikopatienten sind Menschen, die bereits einen Herzinfarkt hinter sich haben. Dennoch: etwa 40 % der Menschen, die einen plötzlichen Herztod erleiden, hatten vorher keine Ahnung, dass sie in irgendeiner Form am Herzen krank sind. Bei den meisten Menschen mit plötzlichem Herztod ist also ein akuter Herzinfarkt die Ursache. Je nach Schwere des Herzinfarktes kann der Tod sofort eintreten, meist aber besteht die Chance bei umgehender Notfalleinlieferung in ein Herzkatheterlabor, die verstopften Gefäße schnell wieder zu öffnen und das

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Prof. Dr. med. Christian Herdeg, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin, Herz- und Kreislauferkrankungen, Paracelsus-Krankenhaus Ruit, Kreiskliniken Esslingen

Sinusknoten

AV-Knoten

Reizleitungsbahnen Kammerflimmern: Abnormal schnelle und chaotische Herzfrequenz mit Ursprung in den Herzkammern

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His-Bündel

Leben zu retten. Insgesamt wird etwa die Hälfte von uns, so die Statistik, einmal an einer Herzerkrankung versterben. Herzerkrankungen sind somit die häufigste Todesursache in Deutschland. Der plötzliche Herztod macht einen erheblichen Anteil dieser Todesfälle aus. Es kommt dabei zu einem abrupten Kreislaufstillstand, hervorgerufen durch eine lebensbedrohliche, unbehandelt zum Tode führende Herzrhythmusstörung, das sogenannte Kammerflimmern. Dabei kommt es durch unerwünschte elektrische Impulse zu einem Zusammenbruch des normalen elektrischen Erregungsablaufes. Die sonst durch elektrische Impulse rhythmisch pumpenden Herzkammern bleiben stehen und kontrahieren nicht mehr. Der Herzmuskel zuckt nur noch, das Herz flimmert und der Blutkreislauf bleibt stehen. Herz-Kreislauf-Stillstand und Sauerstoffmangel im Gehirn und den Organen sind tödlich. Hält das Kammerflimmern an, tritt der Tod innerhalb weniger Minuten ein. Retten könnte man diese Patienten mit einer Defibrillation, also einem elektrischen Stromschlag, der das Kammerflimmern beendet und die Herzfunktion wieder in Gang setzt. Das muss in Minutenschnelle passieren. Hat der Bewusstlose das Glück, durch einen Passanten entdeckt zu werden, kann dieser mit sofortiger Herz-Lungen-Wiederbelebung den Kreislauf in Gang halten. Steht ein AED (Automatischer Externer Defibrillator) zur Verfügung – diese findet man heute an zahlreichen Stellen in der Öffentlichkeit –, so kann der Laie mit einem Stromstoß die Herztätigkeit wieder normalisieren. Der gleichzeitig alarmierte Notarzt setzt die Reanimation fort. Allein diese Maßnahmen können einen Menschen wieder zum Leben erwecken. Zweifellos sinnvoller ist es aber, erst gar kein Kammerflimmern zu bekommen. Hierfür muss man die Risikofaktoren kennen, die das Herz schädigen, und möglichst schon den Anfängen wehren. Es ist sinnvoll, das Herz frühzeitig auf einen möglichen unerkannten Schaden untersuchen zu lassen und sich ansonsten bewusst herzgesund zu ernähren und sich viel zu bewegen. Mit einem gesunden, kräftigen Herzen braucht man dessen plötzliches Versagen nicht zu fürchten.

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Obstruktive Schlafapnoe: Was hat Schnarchen mit dem Herzen zu tun? Dr. med. Stefan Reinecke nsere oberen Atemwege werden nur durch den Spannungszustand der Muskulatur offengehalten; und dieser hängt wiederum vom Wachheitsgrad ab. Wenn wir schlafen, ist der Muskeltonus deutlich niedriger als im Wachzustand; im REM-Schlaf, in dem wir unsere lebhaftesten Träume haben, erschlafft die Muskulatur noch mehr. Dann verengen sich bei vielen Menschen die Atemwege so sehr, dass sie zu schnarchen beginnen. Bei so manchem Schnarcher kommt es dann sogar zu einem kompletten Atemwegsverschluss, sodass er nicht mehr ein- und ausatmen kann. Dieses krankhafte Schnarchen mit Atemstillständen bezeichnet man als obstruktive Schlafapnoe. Während der nächtlichen Atempausen fällt der Sauerstoffgehalt im Blut ab. Diese wiederkehrenden Hypoxien lösen im Gehirn Alarmreaktionen aus, die immer wieder zu kurzzeitigem Erwachen führen. Es werden Stresshormone (Katecholamine) ausgeschüttet: Herzfrequenz und Blutdruck steigen. Und diese Stressreaktionen gehen natürlich nicht spurlos am Nachtschlaf des krankhaften Schnarchers vorüber: Der Schlaf wird unruhig, zerstückelt, unerholsam; man wechselt häufig seine Schlafposition, wälzt sich hin und her. Viele Schlafapnoiker schwitzen aufgrund der Aktivierung ihres vegetativen Nervensystems nachts sehr stark und erwachen häufig mit Herzrasen und Atemnot. Morgendliche Kopfschmerzen und Potenzstörungen sind weitere unangenehme Folgen einer obstruktiven Schlafapnoe. Der erhöhte Stresshormonspiegel hält bis in den Tag hinein an und macht die Menschen reizbar und unausgeglichen. Außerdem sind Schlafapnoiker aufgrund ihres unerholsamen Schlafs tagsüber oft sehr müde und neigen zum Einschlafen in monotonen Situationen. Gefährlich wird dies beim Bedienen von Maschinen oder bei Autofahrten: Viele Unfälle aufgrund von Sekundenschlaf am Steuer gehen auf eine unbehandelte Schlafapnoe zurück! Organe können nur dann optimal funktionieren, wenn sie gut durchblutet werden. Herz und Gefäße reagieren besonders empfindlich auf das nächtli-

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Dr. med. Stefan Reinecke, Ärztlicher Direktor des Zentrums für Innere Medizin II am Marienhospital Stuttgart

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che Übermaß an Stresshormonen und den immer wiederkehrenden Sauerstoffmangel: Menschen mit schwerer Schlafapnoe haben ein erhöhtes Risiko für eine koronare Herzkrankheit, also eine Verengung der Herzkranzgefäße, die den Herzmuskel mit Sauerstoff versorgen, durch arteriosklerotische Ablagerungen. Damit steigt das Herzinfarktrisiko. Auch Herzrhythmusstörungen wie beispielsweise Vorhofflimmern kommen bei Schlafapnoe-Patienten gehäuft vor, und zwar in Abhängigkeit vom Schweregrad der nächtlichen Atemstörung. Und nicht nur das: Die Schlafapnoe erhöht auch das Risiko, dass ein Vorhofflimmern nach erfolgreicher Behandlung (z. B. durch eine Katheterablation) erneut auftritt. Durch die vermehrte Belastung des Herzens entwickeln viele Schlafapnoe-Patienten außerdem eine Herzinsuffizienz. Und natürlich erhöht der nächtliche Stress auch den Blutdruck. Über 50 % aller Schlafapnoe-Patienten leiden an Bluthochdruck, wobei auch hier eine Dosis-Wirkungs-Beziehung besteht: Je stärker die nächtliche Atemstörung, umso höher das Risiko, im weiteren Verlauf einen Bluthochdruck zu entwickeln. Typisch für Schlafapnoe-Patienten ist, dass bei einer Langzeit-Blutdruckmessung die Nachtabsenkung ausbleibt: Normalerweise sinkt unser Blutdruck nachts, wenn der Körper auf Ruhe und Erholung eingestimmt ist. Bei Schlafapnoikern ist dies nicht der Fall, da die nächtliche Ausschüttung von Stresshormonen den Blutdruck immer wieder in die Höhe treibt. Auch bei therapierefraktären Hypertonikern (Patienten, die mehr als vier verschiedene Medikamente einnehmen müssen, um ihren Blutdruck in den Griff zu bekommen) steckt oft eine obstruktive Schlafapnoe dahinter. In solchen Fällen sollte man darüber nachdenken, den Patienten auf eine schlafbezogene Atemstörung zu untersuchen, vor allem, wenn auch noch weitere Risikofaktoren vorliegen: Die meisten Schlafapnoiker sind übergewichtig (weil die Fettpolster sich auch im Bereich der oberen Atemwege befinden, sodass diese sich bei nächtlicher Muskelerschlaffung leichter ver-

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schließen); manche haben auch ein „fliehendes Kinn“, also einen leicht zurückgesetzten oder zu schmalen Unterkiefer. Diese Verkleinerung des Atemwegs erhöht das Risiko für Schnarchen und Schlafapnoe ebenfalls. Zum Glück gibt es gute Behandlungsmöglichkeiten. Am häufigsten kommt eine kontinuierliche Überdruckbeatmung (continuous positive airway pressure = CPAP) zum Einsatz, bei der die oberen Atemwege gewissermaßen „geschient“ werden: Ein kleines Gerät mit Turbine erzeugt einen Luftfluss mit erhöhtem Druck. Diese Luft, die dem Patienten nachts über ein Schlauchsystem und eine Nasenmaske in die Atemwege geblasen wird, ermöglicht wieder eine normale Ein- und Ausatmung. Dadurch bessern sich auch die schlafapnoe-bedingten Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Der Verlauf einer koronaren Herzkrankheit wird positiv beeinflusst, und der Blutdruck sinkt – was aber in aller Regel nicht bedeutet, dass der Patient seine Medikamente jetzt einfach absetzen kann. Oft kommt man bei adäquater Therapie der Schlafapnoe jedoch mit weniger blutdrucksenkenden Mitteln oder einer geringeren Dosis aus. Bei HerzinsuffizienzPatienten verbessert sich durch eine CPAP-Therapie die Auswurffraktion des Herzens, und ihre Gehstrecke verlängert sich; bei Vorhofflimmer-Patienten sinkt das Risiko, dass ihre Rhythmusstörung nach erfolgreicher Behandlung wiederkehrt. Wohin soll man sich wenden, wenn man den Verdacht hat, an einer obstruktiven Schlafapnoe zu

Zunge

Normale Atmung

weicher Gaumen Gaumenzäpfchen

Schnarchen partielle Behinderung des Atemwegs

Obstruktive Schlafapnoe komplette Blockierung des Atemwegs

leiden? Erster Ansprechpartner ist stets der Hausarzt; er wird Sie bei Bedarf an einen niedergelassenen Lungenfacharzt (Pneumologen) überweisen, der Ihnen ein Messgerät zur Beurteilung Ihres Schlafs nach Hause gibt. Falls sich der Schlafapnoe-Verdacht durch diese ambulante Polygrafie erhärtet, müssen Sie zur weiteren Diagnostik (und gegebenenfalls Therapieeinleitung) ein oder zwei Nächte im Schlaflabor verbringen.

Herzschwäche ist kein Schicksal! Prof. Dr. med. Thomas Nordt rüher dachte man: „Das ist eben das Alter, da kann man nichts machen“, wenn einem beim Treppensteigen die Puste ausging oder abends die Beine anschwollen. Solche Beschwerden sind jedoch keine hinnehmbaren Alterserscheinungen, mit denen man sich einfach abfinden muss. Oft steckt eine beginnende Herzinsuffizienz dahinter. Bei dieser Pumpschwäche des Herzens handelt es sich um eine bedrohliche Erkrankung, deren Häufigkeit mit dem Alter zunimmt: Rund 10 % aller über 70-Jährigen

F

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leiden darunter. Doch zum Glück lässt sich diese Herzschwäche heute gut behandeln. Die Atemnot und die Schwellungen an Knöcheln und Beinen entstehen durch Wassereinlagerungen: Wenn das Herz das Blut nicht mehr richtig durch den Körper pumpen kann, staut es sich in Füßen und Unterschenkeln. Außerdem kommt es zu einem Rückstau von Blut in die Lungen hinein. Aus diesem gestauten Blut tritt Wasser in die Lungenbläschen über: Atemnot und rasche Ermüdbarkeit (weil die Organe jetzt nicht mehr ausreichend mit

Prof. Dr. med. Thomas Nordt, Ärztlicher Direktor der Klinik für Herz- und Gefäßkrankheiten, Katharinenhospital, Klinikum Stuttgart

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sauerstoffreichem Blut versorgt werden) sind die passung der Medikamentendosis) durchführen. So Folge. lässt sich eine Krankenhauseinweisung aufgrund Die Hauptursachen einer Herzschwäche sind zu eines Lungenödems oft noch verhindern. hoher Blutdruck und koronare Herzkrankheit; viele • Strenge körperliche Schonung ist nur bei akuHerzinsuffizienz-Patienten leiden sogar unter beiter bzw. dekompensierter Herzinsuffizienz (Wasser den Erkrankungen. Und diesen Risikofaktoren in den Lungen, geschwollene Beine) erforderlich! kann man, wie wir inzwischen wissen, durch eine Ist der Zustand des Patienten stabil, so verbessert gesunde Lebensweise vorbeugen bzw. sie – wenn ein moderates, dem Grad der Herzschwäche angesie denn einmal eingetreten sind – medikamentös passtes körperliches Ausdauertraining die Lebenssehr gut behandeln. Herzschwäche ist also kein qualität. Als Faustregel gilt: Fünfmal pro Woche „Schicksal“! eine halbe Stunde spazieren gehen! Dadurch wird Rechtzeitig vorzubeugen, lohnt sich, denn eine die Herzschwäche zwar nicht gebessert, aber der Herzschwäche ist keine Bagatellerkrankung. BeKörper kann sich besser darauf einstellen, und die fragt man Menschen, welche Krankheit (Krebs oder Leistungsfähigkeit steigt. Am besten ist es, sich eiHerzinsuffizienz) ihnen im Zweifelsfall „lieber“ wäre, ner Herzsportgruppe anschließen; durch den so würden sich wohl die meisten für Gruppendruck erhöht sich die MotiDie Hauptursachen eine Herzschwäche entscheiden – vation ganz enorm! und das, obwohl die Überlebens- einer Herzschwäche sind Zusätzlich zu diesen Basismaßchancen bei der Herzinsuffizienz zu hoher Blutdruck und nahmen muss eine Herzinsuffizienz wesentlich schlechter sind als bei koronare Herzkrankheit auch medikamentös behandelt werden häufigsten Tumorerkrankungen. den. Früher standen für die Therapie Bei einer konsequenten Therapie – und wenn der Herzschwäche nur entwässernde Medikamenman ein paar „Spielregeln“ beachtet – kann man te und Digitalispräparate zur Verfügung. Inzwischen mit einer Herzschwäche jedoch gut leben. Die spielen ACE-Hemmer in der Behandlung der Herzwichtigsten Basistherapiemaßnahmen sind: insuffizienz eine tragende Rolle; durch diese Medi• Übergewicht reduzieren: Wenn ein bereits gekamente hat sich die Sterblichkeit drastisch verrinschwächtes Herz statt 70 kg 110 oder 120 kg vergert. Ferner kommen häufig Betablocker und Alsorgen muss, ist das natürlich eine sehr viel höhere dosteronrezeptoragonisten zum Einsatz. Durch Belastung, sodass die Herzinsuffizienz dann noch eine Dauertherapie mit solchen Medikamenten erstärker zum Vorschein kommt. höht sich die Überlebenswahrscheinlichkeit und • Die Kochsalzzufuhr sollte auf höchstens drei Lebensqualität der Patienten; daher ist die DiagnoGramm pro Tag begrenzt werden! Salz bindet Wasse „Herzinsuffizienz“ heute bei weitem nicht mehr ser im Körper. Ein gesundes Herz kann dies proso schwerwiegend wie noch vor 30 Jahren. Allerblemlos bewältigen, ein geschwächtes Herz jedoch dings müssen diese Arzneimittel auch konsequent nicht. und regelmäßig eingenommen werden! So kann • Die Flüssigkeitszufuhr auf zwei, in schwereren man Krankenhausaufenthalten vorbeugen, und das Fällen sogar auf ein bis anderthalb Liter pro Tag beist wichtig, denn durch jede Dekompensation, die grenzen! eine Klinikeinweisung erforderlich macht, ver• Jeden Morgen wiegen, um den Wasserhausschlechtert sich die Prognose des Patienten. halt zu kontrollieren! Eine Dekompensation einer Ein spezieller Herzschrittmacher, der zu einer Herzinsuffizienz, die zur Krankenhauseinweisung besseren Koordination der Pumpfunktion des Herführt, kommt meistens nicht wie der Blitz aus heitezens beiträgt, kann die medikamentöse Therapie rem Himmel. Das Wasser in den Lungen sammelt zusätzlich unterstützen. Häufig wird bei Herzinsufsich langsam an; und das erkennt man auf dem fizienz-Patienten durch die Schwächung der linken Display der Waage. Wenn ein Herzinsuffizienz-PaHerzkammer die Mitralklappe undicht; durch einen tient jeden Tag ein halbes Kilo zunimmt, ist Gefahr Clip kann man diese abdichten. im Verzug! Er sollte dann umgehend seinen HausAuch diese Behandlungsmaßnahme verbessert arzt konsultieren oder die bereits vorher mit dem die Lebensqualität und verlängert das Leben der Arzt abgesprochenen Notfallmaßnahmen (AnPatienten.

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Herz und Diabetes Prof. Dr. med. Ralf Lobmann s gibt immer mehr Diabetiker und auch immer mut, Stress, übermäßiger Alkohol- und Zuckerkonmehr Patienten mit einer koronaren Herzsum eine entscheidende Rolle. krankheit (KHK): 8,6 % aller Deutschen leiden an Das Problem ist, dass viele Patienten gar nichts einem Diabetes, 8,2 % an einer KHK. Das ist auch von ihrem Diabetes wissen. Denn ein Typ-2-Diabekein Wunder, denn beide Erkrankungen haben getes beginnt schleichend; mit der Zeit verschlechmeinsame Ursachen. Zu den wichtigsten Risikotert sich die Stoffwechselsituation immer mehr, bis faktoren gehört unser moderner Lebensstil mit falder Diabetes irgendwann vielleicht im Rahmen eischer Ernährung, Übergewicht und zu wenig körner Zufallsdiagnose entdeckt wird. Diabetiker haperlicher Aktivität. ben auch ein erhöhtes Risiko für sogenannte Prof. Dr. med. Ralf Lobmann, Ärztlicher Heute stirbt kein Patient mehr an seinem Diabe„stumme“ Herzinfarkte: Eine NervenfunktionsstöDirektor der Klinik tes, da dieser sich medikamentös gut behandeln rung des Herzens, die kardiale autonome Neurofür Endokrinologie, lässt. Die meisten Diabetiker versterben an Herzpathie, führt bei ihnen nämlich häufig dazu, dass Diabetologie und Kreislauf-Erkrankungen; denn der der Schmerzreiz des Herzinfarkts Geriatrie, KrankenÜber 50 % aller Diabetiker haus Bad Cannstatt, zu hohe Zuckergehalt im Blut schänicht weitergeleitet wird. Daher sterben an einem Klinikum Stuttgart digt die Blutgefäße, insbesondere kommen Diabetiker mit einem HerzHerzinfarkt. die Arterien, die das Herz mit Blut infarkt oft erst später ins KrankenIhr Infarktrisiko ist vier- haus, haben somit größere Infarktaund Sauerstoff versorgen: Über bis sechsmal höher 50 % aller Diabetiker sterben an eireale und schlechtere Heilungsnem Herzinfarkt. Ihr Infarktrisiko ist chancen als ein stoffwechselgesunals bei stoffwechselvier- bis sechsmal höher als bei gesunden Menschen. der Infarktpatient. Vor allem für Diastoffwechselgesunden Menschen. betiker gilt daher, dass sie etwaige Auch das Risiko für andere arteriosklerosebedingwarnende Anzeichen eines Infarkts (die bei ihnen te Gefäßerkrankungen (Schlaganfall, Verschluss oft schwächer ausgeprägt sind) nicht auf die leichder Beinarterien) ist erhöht. te Schulter nehmen und bei verdächtigen Sympto66 % aller Herzinfarktpatienten leiden an einem men sofort einen Notarzt rufen sollten. Diabetes oder einer gestörten Glukosetoleranz. Als Grundprinzip für die Behandlung gilt, dass Denn schon diese „Vorstufe“ des Diabetes erhöht man bei einem Diabetes nicht nur den zu hohen das Infarktrisiko; in diesem Stadium lässt sich der Blutzucker, sondern auch die Herz-Kreislauf-RisiÜbergang in einen manifesten Diabetes durch entkofaktoren angehen muss: Viele Diabetiker leiden sprechende vorbeugende Maßnahmen aber häufig unter Bluthochdruck, zu hohen Blutfettwerten und noch abwenden. Hierbei ist vor allem die EigeniniÜbergewicht. Je mehr dieser Faktoren vorliegen, tiative des Patienten gefordert, denn am wichtigsumso höher ist das Risiko für einen Herzinfarkt ten ist eine Änderung des Lebensstils: Konsequenoder Schlaganfall. Daher müssen nicht nur alle Rite Gewichtsreduktion und regelmäßige Bewegung sikofaktoren konsequent behandelt werden, sonsind angezeigt. Mit den gleichen Maßnahmen kann dern auch Lebensstilmaßnahmen eine wichtige man der Entstehung einer gestörten GlukosetoleRolle spielen. ranz oder eines Diabetes übrigens auch vorbeugen – was vor allem dann wichtig ist, wenn die „Zuckerkrankheit“ in Ihrer Familie (beispielsweise bei Eltern, Großeltern oder Geschwistern) gehäuft vorgrößer 0 140/9 gekommen ist: Gerade der Typ-2-Diabetes ist in mm H g Etwa 25 Millionen Menschen in Deutschland leiden unter Bluthochdruck. hohem Maße erblich bedingt. Doch eine genetiSorgen Sie vor und lassen Sie Ihren Blutdruck regelmäßig prüfen. sche Veranlagung reicht normalerweise nicht aus, damit die Erkrankung zum Ausbruch kommt: Hierwww.hochdruckliga.de bei spielen Lebensstilfaktoren wie Bewegungsar-

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Rote Karte für Bluthochdruck

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Kardiologische Prävention und Rehabilitation PD Dr. med. Klaus Schröder ber zwei Millionen Frauen und über drei Millio• Zu wenig Bewegung nen Männer in Deutschland leiden an einer ar• Übergewicht teriosklerotischen Verengung der Herzkranzgefäße, • Rauchen der sogenannten koronaren Herzkrankheit (KHK), • Stress die das Risiko für einen Herzinfarkt deutlich erhöht. Aus diesen Risikofaktoren lassen sich bereits die Und der Infarkt ist eine nicht zu unterschätzende Grundprinzipien einer herzgesunden Lebensweise Gefahr: Nach wie vor endet jeder zweite Herzinableiten. Eigentlich sind das ganz simple Verhalfarkt in Deutschland tödlich; 30 % der Patienten tensregeln: sterben, noch bevor medizinische Hilfe einsetzt. • Nicht rauchen 60 % haben vor dem Infarkt keinerlei Beschwerden • Regelmäßige körperliche Aktivität und wissen gar nichts von der Erkrankung ihrer • Fünfmal täglich Obst und Gemüse essen („Five Herzkranzgefäße. a day“) Die meisten Menschen denken bei der Frage • Normalisierung des Körpergewichts nach der wichtigsten Todesursache weltweit zu• Blutdruck, Blutzucker- und Blutfettwerte regelnächst einmal an Krebs. Dabei sind bösartige Tumäßig kontrollieren und gegebenenfalls behanmorerkrankungen bei weitem nicht die Hauptdeln lassen (der ideale obere Blutdruckwert todesursache. Dieser traurige Rekord kommt den liegt bei 140 mmHg; das Gesamtcholesterin Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu, an denen mehr sollte unter 190, das schädliche LDL-Cholesteals doppelt so viele rin unter 100 mg/dl lieMenschen sterben als gen). WHO-Definition von Rehabilitation: an allen Krebserkran• Und schließlich: „Die Gesamtheit aller Maßnahmen, die kungen zusammen. Auf ein ausgewogenes notwendig sind, um die bestmöglichen Trotzdem machen Gleichgewicht zwischen körperlichen, seelischen und sich leider nur die weBelastung und Entspannigsten Menschen Genung achten und lernen, gesellschaftlichen Bedingungen zu danken über ein gesunmit Stress besser umzuschaffen, die es dem Patienten mit des Herz und gesunde gehen! subakuter und chronischer Erkrankung Gefäße: Die meisten Ein gesunder Lebensermöglicht, aus eigener Kraft einen gehen regelmäßig zur stil schützt vor koronamöglichst normalen Platz im Leben Krebsvorsorge; doch rer Herzkrankheit und wieder einzunehmen.“ nur wenige unterziehen ist (bei bereits geschäsich regelmäßig einer digten HerzkranzgefäHerz-Kreislauf-Vorsorgeuntersuchung oder lassen ßen) die Basis einer jeden Therapie der KHK. Ohne ihren Blutzucker checken. Auch in den Medien wird konsequente Änderung der Lebensweise nützen sehr viel häufiger über Krebs berichtet als über selbst noch so gute medikamentöse und techniHerz-Kreislauf-Erkrankungen, obwohl die Prävensche Behandlungsmöglichkeiten eines Herzintionsmöglichkeiten bei Herz und Gefäßen sehr viel farkts oder Schlaganfalls nichts, denn dann sind besser sind als bei bösartigen Tumoren: Jeder die positiven Effekte solcher Therapiemaßnahmen zweite Herzinfarkt oder Schlaganfall ließe sich vernur von kurzer Dauer! hindern, wenn wir uns nur ein wenig mehr GedanAls körperliche Aktivität ist regelmäßige Ausdauken über Prävention machen würden! 80 bis 90 % erbewegung (beispielsweise Schwimmen, Walken, aller koronaren Herzerkrankungen sind auf unseren Wandern, Spazierengehen, Radfahren oder Ergoheutigen ungesunden Lebensstil zurückzuführen: metertraining) am besten geeignet. Es genügt be• Falsche Ernährung (zu viele Kalorien, zu viel reits, eine halbe Stunde pro Tag körperlich aktiv zu Fett, zu viel Zucker) sein; sogar eine Viertelstunde ist immer noch bes-

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PD Dr. med. Klaus Schröder, Ärztlicher Direktor und Leiter der Abteilung Kardiologie im Zentrum für ambulante Rehabilitation (ZAR) Stuttgart

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Gesellschaft heute: Werden Treppe und Rolltreppe parallel angeboten, bleibt die Treppe leider meist leer. Ähnlich verhält es sich bei der Wahl zwischen Fahrstuhl und Treppe. Dabei verlangt niemand von Ihnen, fünf oder zehn Stockwerke zu Fuß zu bewältigen, aber man könnte ja immer ein Stockwerk früher aussteigen.

ser als nichts. Durch regelmäßige Bewegung kann man das Fortschreiten einer Arteriosklerose verlangsamen, wenn nicht sogar völlig aufhalten, und schlägt ganz nebenbei auch noch vielen Krebsarten (Brust, Dickdarm, Prostata) und dem mit zunehmendem Alter stetig steigenden Demenzrisiko ein Schnippchen. Bei seiner Ernährung orientiert am sich am besten an der Mittelmeerküche, die nicht nur gesund, sondern gleichzeitig auch wohlschmeckend ist: • Viel Gemüse, Obst, Salat, Hülsenfrüchte und frische Kräuter • Vollkornprodukte • Magere Milchprodukte • Statt Butter, Sahne oder anderen tierischen Fetten lieber Oliven- oder Rapsöl • Wenig Fleisch, und wenn, dann am besten Geflügel • Mindestens zweimal pro Woche Fisch Eigentlich ist es gar nicht so schwierig, und früher, als die Not uns noch dazu zwang, waren die

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Menschen sehr viel gesünder: Essen Sie sich an den Beilagen satt und betrachten Sie das Fleisch als gelegentliche Belohnung! So krank ist Deutschland Leider sieht die Realität aber ganz anders aus. Eine Studie zur Gesundheit erwachsener Menschen in Deutschland zeigt mit erschreckender Deutlichkeit, wie viel (oder besser gesagt: wie wenig) unsere Herz-Kreislauf-Gesundheit uns wert ist: Jeder zehnte Deutsche fühlt sich stark und andauernd gestresst. 30 % rauchen; weitere 30 % haben einen zu hohen Blutdruck; 10 % sind Diabetiker, 20 % leiden unter behandlungsbedürftigem Übergewicht; und 75 % aller Deutschen wollen von körperlicher Aktivität nichts wissen. Die meisten Menschen bewegen sich heutzutage nur noch vom Bürosessel auf den Autositz und von dort direkt in den Fernsehsessel, von dem sie normalerweise nur aufstehen, um sich eine Flasche Bier und eine Tüte Chips zu holen oder – nach Ende des Fernsehpro-

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Während der Rehabilitation, egal ob ambulant oder stationär, werden Sie von einem interdisziplinären Reha-Team – Kardiologe, Diabetologe, Ernährungsberater, Psychologe, Physiotherapeuten, Sporttherapeuten und Pflegekräften – umfassend betreut.

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gramms – ins Bett zu gehen. Denn die FernbedieVolkskrankheiten da auf uns zurollt. nung macht auch noch den letzten Rest von BeweGegen unsere heutzutage vorwiegend sitzende gung überflüssig. Berufstätigkeit kann man nicht viel tun – es sei Zu einem ähnlich deprimierenden Ergebnis denn, man schafft sich ein Stehpult an und wechkommt eine Studie der Techniker Krankenkasse selt zwischen sitzender und stehender Büroarbeit. aus dem Jahr 2013 über das Ernährungsverhalten Aber das ist vielleicht nicht jedermanns Sache, und der Deutschen: Nur jeder Fünfte macht sich Gesicherlich bietet auch nicht jedes Büro die Möglichdanken über das Thema Essen. 43 % der befragten keit dazu. Es gibt aber auch andere Wege, die BüMänner war es völlig egal, was sie essen – Hauptroarbeit bewegungsreicher zu gestalten: sache, es schmeckt und • Stehen Sie mindestens In Deutschland gehen nur geht schnell. einmal pro Stunde auf und 50 % der kardiologischen laufen Sie ein bisschen hePatienten zur Rehabilitation! Sitzen: fast so gefährlich rum – und wenn auch nur, wie Rauchen um sich einen Tee oder KafInzwischen weiß man, dass Sitzen das Leben verfee zu kochen! Ein paar Dehn- oder Gymnastikkürzt. Eigentlich müssten an allen Sesseln und übungen zwischendurch sind eine Wohltat für den Stühlen Warnschilder angebracht werden, so wie Rücken. Und Telefonate lassen sich sehr gut im auf unseren Zigarettenpackungen: Wer täglich Stehen erledigen – das regt die Durchblutung und mehr als sechs Stunden sitzt, hat ein um 40 % ersomit auch den Geist an. höhtes Risiko, vorzeitig zu versterben. Denn da• Gestalten Sie Ihre Mittagspause aktiv: Gehen durch erhöht sich nicht nur die Gefahr von HerzSie spazieren! Kreislauf-Erkrankungen; auch das Risiko für Diabe• Statt mit dem Auto oder der Straßenbahn zur tes, Osteoporose, Rückenbeschwerden, MuskelArbeit zu fahren, nehmen Sie lieber das Fahrrad; atrophie und viele Krebserkrankungen steigt durch oder steigen Sie zumindest hin und wieder eine Bewegungsmangel. Station vorher aus und gehen Sie den Rest zu Fuß! Bedenkt man, dass der durchschnittliche Büroarbeiter 80 bis 85 % seiner Zeit im Sitzen verbringt, Rehabilitation: mehr als nur Fango und Tango so kann man sich vorstellen, welche Lawine an Als frühere „Kur“ hat die Rehabilitation nach wie vor bei vielen Menschen einen schlechten Ruf: Man assoziiert sie mit Fango, Tango, womöglich auch noch mit dem sprichwörtlichen „Kurschatten“ und hält sie im Grunde genommen für einen verzichtbaren Luxus. Dabei hat eine Rehabilitationsmaßnahme recht wenig damit zu tun, sich tagsüber mit Massagen und Fangopackungen verwöhnen zu lassen und abends beim Tango „die Sau rauszulassen“: Eine Reha zielt darauf ab, in körperlicher, seelischer und gesellschaftlicher Hinsicht wieder fit zu werden und einen möglichst normalen Platz im Leben einnehmen zu können. Man unterscheidet zwischen der Anschlussheilbehandlung (AHB), die sich an eine Krankenhausbehandlung oder ambulante Operation anschließt und innerhalb von 14 Tagen nach der Entlassung beginnen muss, und dem Heilverfahren (HV) ohne vorherigen Krankenhausaufenthalt. Letzteres ist bei chronischen Erkrankungen aller Art sinnvoll, auch wenn die meisten Menschen solche Maßnahmen nur mit Rücken-

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schmerzen oder Gelenkerkrankungen assoziieren: metreue) wird verbessert, was gerade bei HerzAuch bei chronischen Herz-Kreislauf-ErkrankunKreislauf-Patienten wichtig ist: Denn Arzneimittel gen oder Diabetes steht dem Patienten gesetzlich zur Behandlung solcher Erkrankungen muss man alle paar Jahre eine medizinische Reha zu. Ob man in der Regel ein Leben lang einnehmen; und das diese Rehamaßnahme ambulant oder stationär abschaffen viele Patienten nicht. Irgendwann verlieren solvieren möchte, kann man selbst entscheiden. sie die Motivation, nehmen ihre Medikamente nur Der Unterschied liegt lediglich darin, wo man wähnoch unregelmäßig ein oder lassen sie ganz weg. rend der Dauer der Behandlung schläft; denn von In der kardiologischen Reha wird Ihnen genau erihrer Qualität und Sicherheit her sind diese beiden klärt, warum und wie Sie Ihre Arzneimittel schluVarianten absolut identisch. Das weit verbreitete cken müssen – und dieses Verständnis ist der erste Vorurteil, bei der ambulanten Rehabilitation handle Schritt zu einer besseren Compliance. Außerdem es sich nicht um eine „richtige Rehabilitation“, entwird Ihre Medikation natürlich auch optimiert, falls behrt jeder Grundlage. Welche Vorgehensweise für Sie zu viele oder nicht die richtigen Arzneimittel Sie am besten geeignet ist, einnehmen. hängt von ganz anderen Der Nutzen solcher RehaViele Patienten mit koronarer Kriterien ab: maßnahmen ist mittlerweile Herzkrankheit können ein fast • Möchten Sie während auch wissenschaftlich erwieso gutes und langes Leben der Reha bei Ihrem Ehesen: Im Rahmen des ACOS führen wie Gesunde – partner bzw. Ihrer Familie (Acute COronary Syndrovorausgesetzt, sie werden bleiben und in den eigenen mes)-Registers wurden Parechtzeitig richtig behandelt vier Wänden schlafen? tienten nach akutem Koronarund achten auf die Dann ist eine ambulante syndrom, die sich einer AnRisikofaktoren. Reha, bei der Sie sich tagsschlussheilbehandlung unüber in der Rehabilitationsterzogen, mit Patienten vereinrichtung aufhalten und abends wieder nach glichen, die keine solche Reha erhielten. Nach Hause zurückkehren, für Sie das Richtige. zwölf Monaten waren in der zweiten Gruppe viel • Haben Sie das Bedürfnis, „einfach mal von almehr Patienten verstorben oder hatten einen Herzlem wegzukommen“; brauchen Sie einen Tapeteninfarkt oder Schlaganfall erlitten als in der ersten. wechsel? Dann ist eine stationäre Reha für Sie Nach sechs Monaten zu etwaigen Einschränkunbesser geeignet. gen ihrer Lebensqualität befragt, erklärten fast In beiden Fällen werden Sie von einem interdiszi50 % der Patienten, die eine Anschlussheilbehandplinären Reha-Team – Kardiologe, Diabetologe, Erlung erhalten hatten, keinerlei Einschränkung zu nährungsberater, Psychologe, Physiotherapeuten, spüren, während in der anderen Patientengruppe Sporttherapeuten und Pflegekräften – umfassend nur 29 % uneingeschränkt mit ihrer Lebensqualität betreut. Eine so intensive Rundumversorgung kann zufrieden waren. Die kardiologische Reha ist die der Hausarzt allein gar nicht leisten. Während Ihrer einzige Rehabilitationsmaßnahme, die wirklich LeReha erhalten Sie Antwort auf alle Fragen, die Ihben retten kann – darum ist sie so wichtig! Leider nen auf den Nägeln brennen: Wie geht es jetzt weibegibt sich in Deutschland aber nur jeder zweite ter? Wie soll ich mich ernähren? Inwieweit darf ich kardiologische Patient in eine Reha. Das ist der mich körperlich überhaupt noch belasten? Wie „Nachteil“ des rasanten Fortschritts unserer mokann ich besser mit meinem Stress umgehen? Wie dernen Kardiologie: Heutzutage können Herzinbekomme ich meine Risikofaktoren in den Griff? farktpatienten nach ein paar Tagen schon das Und wie steht es mit dem Sex nach einem HerzinKrankenhaus verlassen und glauben dann, wieder farkt? Im Rahmen eines ausführlichen Gesund„gesund“ zu sein – eine trügerische Illusion. heitstrainings erfahren Sie, was Sie selbst in ZuDie meisten Patienten mit koronarer Herzkrankkunft für eine effektive Herz-Kreislauf-Prävention heit können aber trotzdem ein fast genauso gutes tun können und welche Unterstützungen der Kranund langes Leben führen wie herzgesunde Menkenkasse es dafür gibt. schen – vorausgesetzt, sie werden rechtzeitig beAuch die Medikamenten-Compliance (Einnahhandelt und achten auf ihre Risikofaktoren!

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Bluthochdruck – die schleichende Gefahr Dr. med. Gabriele Wehr eider verursacht ein zu hoher Blutdruck zuHerzinfarkt- und Schlaganfallrisiko ist die Folge. nächst keine Symptome, sodass man ihn oft Außerdem belastet ein zu hoher Blutdruck das jahrelang nicht bemerkt. Wird er dann schließlich Herz, das dadurch mehr Arbeit leisten muss, sodoch irgendwann diagnostiziert, nehmen viele Padass im Lauf der Zeit eine Herzinsuffizienz entstetienten das Problem auf die leichte Schulter: Bluthen kann. Auch die Nierenarterien können durch hochdruck tut schließlich nicht „weh“; und wer Bluthochdruck und Arteriosklerose mit der Zeit verschluckt schon gern jeden Tag Tabletten? stopfen, wodurch nach und nach immer mehr NieIn Deutschland leiden Schätzungen zufolge 18 rengewebe abstirbt. Eine solche Niereninsuffizienz bis 35 Millionen Menschen an Bluthochdruck. Ein kann im Endstadium bis zur Dialysepflichtigkeit Dr. med. Gabriele Wehr, niedergelasseniedriger oder normaler Blutdruck entwickelt sich führen. An den Augen kann Bluthochdruck zur Entne Kardiologin in im Lauf des Lebens häufig zu hohem Blutdruck: Ab stehung einer hypertensiven Retinopathie führen, Gerlingen, Präsiden60 Jahren hat jeder Zweite die die Sehfähigkeit durch tin des LVPR – LanAlarmsignale eines zu hohen Blutdrucks Gefäßverschlüsse und einen Bluthochdruck; bei desverband für Prä• rote Gesichtsfarbe vention und Rehabisehr alten Menschen sind Veränderungen der Netzlitation von Herz• Klopfen in den Schläfen es sogar 80 bis 90 %. haut beeinträchtigt. KreislauferkrankunMillionen von Menschen Angesichts dieser Ge• leichte Kopfschmerzen gen Baden-Würtwissen nichts von ihrem fahren ist es sträflicher • Luftnot bei Belastung temberg e.V. Hochdruck; und bei vielen Leichtsinn, dass so viele weiteren Millionen, die davon wissen, wird er nur Menschen keine Ahnung davon haben, wie hoch unzureichend behandelt. ihr Blutdruck ist! Jeder sollte seine Blutdruckwerte Das ist eine Katastrophe, denn diese heimtückikennen. Der Blutdruck sollte mindestens einmal sche Volkskrankheit verursacht über Jahre hinweg bei Schulantritt, im Jugendalter und im frühen Erschwerwiegende Folgeerkrankungen: Schießt das wachsenenalter gemessen werden. Ab dem 30. Blut mit zu hohem Druck durch die Adern, so werLebensjahr ist eine alljährliche Messung zu empden die Gefäßinnenwände geschädigt, was sie anfehlen, wenn in der Familie bereits Bluthochdruck fälliger für Arteriosklerose macht. Ein erhöhtes aufgetreten ist; ansonsten genügen jährliche Messungen ab dem 40. Lebensjahr. Beim Arzt gemessen, ist der Blutdruck oft ein Wie hoch darf der Blutdruck sein? bisschen höher als sonst – das ist der berühmte Der optimale Blutdruck liegt bei etwa 120/80 mmHg. „Weißkittelhochdruck“, der durch die Aufregung systolisch diastolisch des Patienten in der Arztpraxis entsteht. Gerade (mmHg) (mmHg) deshalb ist es so wichtig, seinen Blutdruck auch zu Hause regelmäßig zu messen. normaler Blutdruck 120–129 80–84

L

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hochnormaler Blutdruck

130–139

85–89

Grad 1: leichter Bluthochdruck

140–159

90–99

Grad 2: mittelschwerer Bluthochdruck

160–179

100–109

Grad 3: schwerer Bluthochdruck

über 180

über 110

isolierter systolischer Bluthochdruck

über 140

unter 90

Wie misst man seinen Blutdruck richtig? Dafür hat die Deutsche Hochdruckliga eindeutige Verhaltensregeln festgelegt: • Vor der Messung fünf Minuten entspannt sitzen; kein Alkohol oder Kaffee, keine Medikamente. • Der Arm mit der Manschette des Blutdruckgeräts sollte entspannt in Herzhöhe liegen. • Zweimal in Abständen von einer Minute messen. Der zweite Wert hat das größere Gewicht! Man sollte seinen Blutdruck morgens gleich nach dem Aufstehen und abends vor dem Abend-

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essen messen. Dem Problem der Blutdruckschwankungen begegnet man am besten, indem man eine Woche lang jeden Tag konsequent morgens und abends misst und dann den Durchschnitt aus diesen Werten berechnet. Vielleicht gibt der Arzt Ihnen auch ein Gerät für eine 24-StundenBlutdruckmessung mit nach Hause, um sich einen Eindruck vom Verlauf Ihres Blutdrucks über einen ganzen Tag und eine ganze Nacht zu verschaffen. Lebensstiländerung: So bekommen Sie Ihren Bluthochdruck in den Griff Je nach Ursache unterscheidet man zwei verschiedene Formen von Bluthochdruck. Meist handelt es sich dabei um eine eigenständige Erkrankung. Unter dieser sogenannten essentiellen Hypertonie leiden 95 % aller Patienten. Ein sekundärer Bluthochdruck (als Folge anderer Erkrankungen) liegt nur bei 5 % der Patienten vor. Beim sekundären Bluthochdruck muss die Grunderkrankung (beispielsweise eine Schlafapnoe oder Nierenerkrankung) diagnostiziert und behandelt werden. Doch auch beim essentiellen Bluthochdruck gibt es Ursachen, von denen die meisten sich gut beeinflussen lassen: Gegen die erbliche Veranlagung, die (wie bei vielen Herz-KreislaufErkrankungen) auch bei zu hohem Blutdruck eine Rolle spielt, kann man leider nichts tun. Auch gegen das Älterwerden ist man machtlos. Doch gegen die übrigen Risikofaktoren kann man eine Menge unternehmen: • Übergewicht abbauen • Gesunde Ernährung: Zur Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen eignet sich am besten eine kalorienreduzierte Mittelmeerküche. • Kochsalzkonsum reduzieren: In Deutschland wird sehr viel Salz gegessen. Seinen Salzkonsum einzuschränken, ist gar nicht so einfach, denn viele Back- und Wurstwaren und die meisten Fertigprodukte (z. B. Konserven, Tiefkühl-Fertiggerichte, Würzsaucen, Snacks) enthalten eine Menge Kochsalz. Da hilft nur eines: Wenig Fertigprodukte und gerichte zu sich nehmen, sondern seine Mahlzeiten lieber selbst zubereiten, und zwar aus möglichst naturbelassenen Zutaten! Ferner sollte man so salzarm wie möglich kochen (statt mit Kochsalz kann man seine Gerichte auch mit Kräutern, Gewürzen und hochwertigen Ölen aromatisieren) und den Salzstreuer vom Esstisch verbannen.

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• Alkoholkonsum reduzieren: Alkohol erhöht den Blutdruck. Frauen sollten nicht mehr als 10 bis 20 und Männer nicht mehr als 20 bis 30 Gramm Alkohol pro Tag zu sich nehmen, und auch das nach Möglichkeit nicht jeden Tag! (30 g Alkohol entsprechen ½ l Bier oder ¼ l Wein.) Bei schwer einstellbarem Blutdruck hilft in manchen Fällen ein vollkommener Verzicht auf Alkohol. • Regelmäßige körperliche Ausdaueraktivität senkt den Bluthochdruck und fördert die Herzgesundheit! Am besten täglich 30 Minuten lang flott gehen, wandern oder joggen, Rad fahren, schwimmen oder Ergometertraining betreiben. • Stress abbauen bzw. bessere Stressbewältigungsstrategien entwickeln • und das Rauchen sein lassen. Einen mäßigen Bluthochdruck (160/100 mmHg) kann man oft schon allein durch solche Lebensstilmaßnahmen normalisieren – und sich dafür ruhig bis zu einem halben Jahr Zeit nehmen, ehe man über die Einnahme von Medikamenten nachdenkt. Und wenn Sie tatsächlich blutdrucksenkende Mittel einnehmen müssen, ermöglicht der gesunde Lebensstil es Ihnen zumindest, mit weniger Medikamenten oder einer geringeren Dosis auszukommen. Dadurch verringern sich auch die Nebenwirkungen.

Blutdrucksenkung – Was kann man durch einen gesunden Lebensstil erreichen? Eine Änderung der Lebensweise lohnt sich; denn durch solche Maßnahmen kann man den Blutdruck genauso stark senken wie durch Medikamente.

Maßnahme

Erzielte Blutdrucksenkung

Beschränkung der Kochsalzzufuhr

5–8 mmHg

Gewichtsabnahme pro Kilo

1–2 mmHg

Regelmäßige sportliche Aktivität

4–9 mmHg

Einschränkung des Alkoholkonsums

2–4 mmHg

Gesunde Ernährung (Mittelmeerküche)

8–14 mmHg

Quelle: Hochdruckliga

Insgesamt kann der Blutdruck durch eine gesunde Lebensweise und Ernährung um bis zu 20 mmHg (systolisch) gesenkt werden.

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Psychische Erkrankungen:

So können Sie vorbeugen Psychische Erkrankungen werden immer häufiger. Unsere heutige Rund-um-die-Uhr-Leistungsgesellschaft bietet nicht die besten Voraussetzungen für seelische Gesundheit: Immer mehr Menschen halten den vielfältigen Ansprüchen von Arbeitswelt, Partnerschaft und Familie nicht stand und rutschen in einen Burn-out, eine Depression oder einen Substanzmissbrauch hinein. Auch die Häufigkeit demenzieller Erkrankungen nimmt aufgrund der demografischen Entwicklung unserer Gesellschaft immer mehr zu. Die gute Nachricht: Bis zu einem gewissen Grad kann man solchen Krankheitsbildern vorbeugen. Wir sprachen mit Professor Dr. Nenad Vasic, dem Ärztlichen Direktor und Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie im Klinikum Christophsbad (Göppingen). Sie sind Psychiater und Psychotherapeut. Wie definieren sich diese beiden Tätigkeiten? Prof. Vasic: Ich behandle meine Patienten sowohl im engeren Sinne biologisch, zum Beispiel mit Medikamenten, mit Wachtherapie, mit Lichttherapie oder in manchen Fällen mit einer Elektrokrampftherapie, als auch psychotherapeutisch. Viele Patienten profitieren fast noch mehr von einer Psychotherapie, also von den therapeutischen Gesprächen, die sie mit mir und meinen Kollegen führen. In der Praxis gibt es manchmal eine gewisse Differenzierung zwischen diesen beiden Bezeichnungen: Psychiater als Ärzte dürfen Medikamente verschreiben, während viele der Psychotherapeuten Psychologen sind und entsprechend schwerpunktmäßig psychotherapeutisch behandeln, ohne Medikamente zu verschreiben. Ein Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie kombiniert in aller Regel beide Behandlungsmethoden miteinander. Mit welchen Krankheitsbildern haben Sie am häufigsten zu tun? Prof. Vasic: Im akuten Bereich behandeln wir sehr viele Patienten mit einer Schizophrenie. Wir betreuen aber auch viele Patienten mit substanzbezogenen Störungen, z. B. Alkoholkranke und Drogenkonsumenten. Ein weiteres wichtiges Feld sind die sogenannten affektiven Erkrankungen, also z. B. Depressionen und manisch-depressive Störungen. Sie möchten natürlich auch Prävention betreiben. Geht das im Bereich psychischer Leiden überhaupt? Kann man seelischen Erkrankungen vorbeugen?

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Prof. Vasic: Das ist in manchen anderen medizinischen Disziplinen sicherlich leichter als im Bereich der Psychiatrie. Die Prävention einer Blutzuckerkrankheit lässt sich zumindest einfacher gestalten und den Betroffenen vermitteln als die Vorbeugung z. B. einer Depression. Dennoch ist Prävention gerade im Bereich der Psychiatrie wichtig, da die psychischen Störungen einen immer höheren Stellenwert bekommen. Was kann man zur Vorbeugung solcher Krankheitsbilder tun? Prof. Vasic: Zum einen geht es natürlich um Aufklärung und Psychoedukation. Die Aufklärung ist nicht nur für Patienten wichtig, die bereits bei uns in Behandlung sind. Letztlich sollte jeder Mensch dafür sensibilisiert werden, was es heißt, psychisch krank zu sein: Wie kann ich Warnsignale für eine psychische Erkrankung erkennen? Und wie kann ich mein Leben schon von vornherein so gestalten, dass ich nicht aus dem psychischen Gleichgewicht gerate? Dieses Gleichgewicht kann auf verschiedene Weise gestört werden; manchmal ist das Ergebnis ein sog. „Burn-out“ oder eine Depression im engeren Sinne, manchmal aber auch eine schwerwiegendere Geistesstörung wie etwa eine Schizophrenie. Und natürlich kann man auch in einen Alkoholismus oder Drogenkonsum abrutschen. Doch solche psychischen Störungen haben in aller Regel einen längeren Vorlauf: Sie entwickeln sich langsam. Zu einem Teil sind sie genetisch bedingt; doch oft spielen äußere Umstände und die Biografie des Betroffenen dabei eine wichtige Rolle.

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Welche Faktoren sind für unser psychisches Gleichgewicht wichtig? Prof. Vasic: Sehr hilfreich sind zum Beispiel Entspannungs- und Achtsamkeitsübungen. Aber auch regelmäßige körperliche Aktivität ist von außerordentlicher Bedeutung. Außerdem sollte man auf einen regelmäßigen Schlaf-wach-Rhythmus achten. Viele Untersuchungen zeigen, dass die Häufigkeit von Schlafstörungen zugenommen hat: Die Tendenz geht eher in die Richtung, dass Menschen im Schnitt immer weniger schlafen. Dazu haben natürlich auch die modernen Medien und Technologien beigetragen. Hier muss jeder für sich selbst eine gesunde Grenze im Umgang mit solchen Medien finden. Woran merkt man, dass man in eine Depression oder einen Burn-out hineinschlittert? Prof. Vasic: „Burn-out“ ist im engeren Sinne und etwas vereinfacht dargestellt eine berufsbedingte Erschöpfung: Man fühlt sich energielos, wenig motiviert, gereizt, innerlich leer und „ausgepowert“. Die Stimmung verschlechtert sich; oft kommen dann auch noch Antriebsmangel, Interesselosigkeit und Schlafstörungen hinzu, und irgendwann verändert sich die gesamte Wahrnehmung von sich selbst und seinem Umfeld. Das wäre dann schon ein Schritt in Richtung einer schwereren depressiven Episode. Die Übergänge sind aber oft fließend: Viele Symptome, die im Rahmen eines sogenannten „Burn-outs“ vorliegen können, kommen auch bei einer depressiven Episode vor. Das kann man als Betroffener selbst nicht immer genau erkennen. Gerade deshalb ist es wichtig, auf Warnsignale zu achten. Das bedeutet nicht unbedingt, dass jeder sofort zum Psychiater oder Psychotherapeuten gehen muss, wenn er sich psychisch etwas schlechter fühlt; solche Phasen kommen im Leben immer

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wieder einmal vor. Aber jeder sollte wissen: Wo ist für mich die Grenze, bei der ich mich an meinen Hausarzt wenden und mögliche Behandlungsmaßnahmen mit ihm besprechen sollte? Wie kann der durchschnittliche Hausarzt denn helfen, wenn ein Patient mit Symptomen einer Depression zu ihm kommt? Wird er in solchen Fällen ein Medikament verschreiben? Prof. Vasic: Ich hoffe, dass der Arzt nicht einfach „nur“ ein Antidepressivum verschreibt. In seinem Hausarzt sollte der Patient eine Person haben, an die er sich vertrauensvoll wenden kann. Er sollte mit ihm besprechen können, wie es jetzt weitergeht: Kann sein Problem durch ein oder zwei Gespräche mit dem Hausarzt geklärt werden, oder sollte der Patient lieber in eine Psychotherapie gehen oder an einen Psychiater weiterverwiesen werden? Meiner Erfahrung nach können Hausärzte dies mittlerweile sehr gut unterscheiden. Das belegen auch Daten, nach denen ein Großteil aller Patienten mit einer Depression hausärztlich versorgt wird; nur ein relativ kleiner Teil muss an einen Facharzt für Psychiatrie überwiesen werden. Die meis-

Die beste Demenzprophylaxe ist es, seine Enkelkinder zu sich zu holen und sie zu betreuen; damit ist man selbst gezwungenermaßen beschäftigt, und die Kinder sind glücklich und geben einem vieles zurück.

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ten bleiben bei ihrem Hausarzt und erhalten dort sowohl eine medikamentöse Behandlung als auch Gespräche und andere Interventionen, die der Linderung der Beschwerden dienen.

Professor Dr. Nenad Vasic ist Ärztlicher Direktor und Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie im Klinikum Christophsbad.

Aber die Realität sieht ja so aus, dass Hausärzte solche Gesprächstherapien nicht bezahlt bekommen. Prof. Vasic: Es ist tatsächlich so, dass die Zeit für eine individuelle Betreuung oft sehr knapp oder nicht ausreichend ist. Oft kann es in solchen Fällen sinnvoll sein, dass die Hausärzte ihre Patienten in Gruppentherapien oder Selbsthilfegruppen schicken. Das hilft vielen Menschen mit psychischen Problemen. Oder der Hausarzt verweist den Patienten dann doch an einen niedergelassenen Psychotherapeuten oder Psychiater, bei denen es aber natürlich auch Wartezeiten gibt. Sie sind erst seit dem 1. April dieses Jahres hier im Haus. Was haben Sie sich vorgenommen? Prof. Vasic: Zunächst möchte ich das hohe Behandlungsniveau in meiner Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie aufrechterhalten und die Synergien, die wir hier vor Ort haben, weiter stärken. Wir haben am Klinikum Christophsbad ja mehrere chefärztlich geführte Kliniken aus dem neuropsychiatrischen Bereich: Unter anderem gibt es die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie im Erwachsenenalter, für Kinder- und Jugendpsychiatrie, für psychosomatische Medizin und Psychotherapie, für Neurologie und Gerontopsychiatrie. Diese Synergien möchte ich als Ärztlicher Direktor weiter bündeln und stärken, damit der Patient weiß: Wenn ich ins Christophsbad komme, werde ich im Bedarfsfall auf verschiedenen Fachgebieten rasch, unkompliziert, umfassend und auf hohem Niveau behandelt. Meine Aufgabe wird es sein, gemeinsam mit den chefärztlichen Kollegen und weiteren Mitarbeitern Strukturen und Arbeitsprozesse zu entwickeln, die diese Vernetzung – im Sinne des Patienten – noch weiter verbessern. Unsere Gesellschaft wird ja immer älter; da wird die Gerontopsychiatrie (also die psychiatrische Behandlung älterer Menschen) in Zukunft sicherlich eine immer wichtigere Rolle spielen. Was für Auswirkungen hat das auf Ihre Klinik? Prof. Vasic: Diese Problematik betrifft vornehmlich,

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jedoch nicht ausschließlich, den Bereich von Herrn Prof. Dr. Hewer, der Chefarzt der Klinik für Gerontopsychiatrie ist. Es kommt aber immer wieder zur Verlegung von Patienten zwischen den Kliniken unseres Hauses. Wir behandeln die Patienten auch nicht strikt nach ihrem Alter, sondern eher nach der Indikation – also ihrer jeweiligen Erkrankung und den Methoden, mit denen diese therapiert werden sollte. Und wir machen uns natürlich auch gemeinsam Gedanken darüber, wie man dem vermehrten Behandlungsbedarf älterer Menschen gerecht werden kann. Dabei denken wir nicht nur an den Ausbau stationärer Kapazitäten, sondern auch an die Erweiterung von Therapieangeboten, die Menschen im Alter zur Verfügung gestellt werden sollten, um schwerwiegenden psychiatrischen Erkrankungen vorzubeugen. Man weiß mittlerweile auch, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, sich geistig fit zu halten. Diese Angebote gilt es weiterzuentwickeln: Zum Beispiel wollen wir tagesklinische Betreuungsmöglichkeiten für ältere Menschen, ambulante Gruppentherapien und kognitive Übungen im Sinne einer Demenzprophylaxe weiter ausbauen und vermehrt anbieten. In dieser Richtung wird sich bei uns in nächster Zeit sicherlich vieles tun. Wie beugt man einer Demenz vor? Prof. Vasic: Das kann jeder Mensch tun; dazu braucht man eigentlich keinen Arzt. Mein früherer Chef, Professor Manfred Spitzer, hat immer gesagt: Die beste Demenzprophylaxe ist es, seine Enkelkinder zu sich zu holen und sie zu betreuen; damit ist man selbst gezwungenermaßen beschäftigt, und die Kinder sind glücklich und geben einem vieles zurück. Es geht – etwas vereinfacht dargestellt – darum, auch im Alter ein passendes Aktivitätsniveau beizubehalten – körperlich ebenso wie geistig. Es ist wichtig, mit Menschen in Kontakt zu bleiben, Beziehungen zu pflegen und auch nach dem Ausstieg aus dem Berufsleben immer noch herausgefordert zu werden. Jeder sollte sich rechtzeitig (am besten schon vor seiner Pensionierung) Gedanken darüber machen, wie er das gewährleisten kann. Trotzdem kann man in vielen Fällen die Demenzerkrankungen ja nicht aufhalten, aber zumindest hinauszögern scheint möglich zu sein. Und dabei sind alltagspraktische Maßnahmen oft viel mehr wert als eine Tablette oder sonstige medizinische Behandlungsverfahren.

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Das Gesundheitsgespräch mit Christian Kratzke

Herzgesund leben Immer wieder taucht ein Ereignis in der Presse auf, das jeden verstört: der plötzliche Herztod. Gut 100 000 Menschen rafft der Herzstillstand aus heiterem Himmel jährlich in Deutschland dahin. Pro 100 000 Einwohner, so die WHO, sterben in den westlichen Industrieländern 156 Menschen. 50 % aller durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen verursachten Todesfälle gehen auf das Konto des plötzlichen Herztods. Und alles wäre weitgehend vermeidbar, wenn wir nur ein wenig herzgesund leben würden. Doch erst wenn der Hausarzt wegen des Bluthochdrucks ernster dreinschaut, wird manch einer nachdenklich. Wir sprachen mit dem Geschäftsführer der AOK StuttgartBöblingen, Christian Kratzke, über das Problem der Herzerkrankungen. Kratzke, dessen Bezirksdirektion rund 380 000 Versicherte betreut, muss wissen, wie es um die Herzgesundheit der Menschen in der Region aussieht. Werner Waldmann: Bluthochdruck ist eine der häufigsten kardiovaskulären Folgeerkrankungen von Übergewicht. 40 % der Schlaganfälle in Deutschland werden einem systolischen Blutdruck über 140 mmHg zugeschrieben. Prävention gilt als der Ausweg. Prävention ist aber ein schwieriges Unterfangen. Welche Hilfestellungen bietet die AOK ihren Versicherten bei der Gewichtsabnahme an und versucht damit, kardiovaskuläre Risiken zu vermeiden? Und wie lässt sich der reale Erfolg solcher Maßnahmen belegen? Christian Kratzke: Die AOK lässt sich eine Menge einfallen, um ihre Versicherten zu motivieren, den Lebensstil zu ändern. Wir gehen da nicht mit erhobenem Zeigefinger vor und stellen Forderungen an die Menschen. Vorschriften helfen hier wenig. Wir bemühen uns vielmehr, konkrete Angebote zu machen, zum Beispiel sich ausgewogen zu ernähren, regelmäßig zu bewegen und Stress klein zu halten. Dazu bieten wir eine Fülle von Möglichkeiten: Lauftraining, Functional Fitness, Kochkurse, Yoga, QiGong und vieles mehr. Wir bieten unseren Versicherten außerdem Kurse an, wie man mit Gelassenheit und Stärke den Alltag meistert und so sein inneres Gleichgewicht findet. Das ist Voraussetzung dafür, seinen Lebensstil wirklich zu verändern. Sie fragten auch danach, wie sich der Erfolg dieser Maßnahmen nachprüfen lässt. Nun, die Überprüfung von präventiven Maßnahmen hat ja immer mit methodischen Problemen zu kämpfen. Aber Studien auf Bundesebene können eine Wirksamkeit der AOK-Angebote nachzeichnen. Und bei uns auf regionaler Ebene sehen wir an den individuellen Rückmeldungen unserer Versicherten, dass die Präventionskurse das erreichen, was sie

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erreichen sollen. Und die Kurse sind gut besucht und auch immer rasch ausgebucht. Das zeigt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Werner Waldmann: Die Herzmedizin hält heute ein Riesenarsenal an Reparaturmethoden bereit. Mit Medikamenten, interventionellen und chirurgischen Methoden lassen sich viele Lebensjahre gewinnen. Ich vermute, dass die Kosten dafür exorbitant ansteigen. Kosten einzusparen, jedoch nicht an der Versorgungsqualität Einschnitte hinzunehmen, sondern diese noch verbessern: Wie geht das? Christian Kratzke: Zuerst eine kleine Korrektur an dem, was Sie gesagt haben. Wir wollen keine Kosten einsparen, wir wollen unsere Mittel sinnvoll einsetzen. Unsere Vertragspartner, Ärzte, Therapeuten und Kliniken, leisten eine hervorragende Medizin und sie sollen allesamt dafür gutes Geld verdienen. Wir als Krankenkasse müssen aber schauen, wo Geld möglicherweise versandet. Es ist kein Geheimnis, dass die Deutschen die meisten Medikamente verbrauchen und dafür das meiste Geld ausgeben. Man müsste daraus folgern, dass wir dafür sehr viel gesünder sind als unsere europäischen Nachbarn. Sind wir aber nicht. Also müssen wir uns z. B. die Ausgaben für Medikamente kritisch anschauen und dort korrigieren, wo offensichtlich nicht wirtschaftlich gehandelt wird. Ein weiterer Punkt: Unsere Kliniken erbringen fantastische Leistungen. Doch manchmal, das muss man einfach sagen, werden Operationen durchgeführt, die medizinisch nicht notwendig gewesen wären und auf die der Patient vielleicht sogar lieber verzichtet hätte. Oft wird in der Öffentlichkeit gefordert, einfach mehr Geld ins Gesundheitssystem zu

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stecken. Das ist falsch. An Geld mangelt es nicht. Wir müssen nur schauen, dass das Geld dorthin fließt, wo wir es tatsächlich brauchen. Werner Waldmann: Welche Möglichkeit haben Sie da als Kostenträger, einzugreifen und für eine sinnvolle Geldverteilung zu sorgen? Christian Kratzke: Wir sind für die Verwaltung zuständig, dafür, dass das Geld fließt. Der Gesetzgeber hat uns jedoch eine wichtige Orientierungshilfe an die Hand gegeben, den Medizinischen Dienst der Krankenkassen. Der MdK arbeitet völlig unabhängig. Wenn uns auffällt, dass da z. B. in einer Klinik besonders viele, sagen wir, Rückenoperationen durchgeführt wurden, dann fragen wir die Experten vom MdK, ob das korrekt ist. Wir als Nichtmediziner können das nicht beurteilen. Der MdK informiert uns nach Prüfung der Krankenakten, ob die Eingriffe sinnvoll waren oder nicht. Im letzteren Fall halten wir das Geld für eine sinnlose Maßnahme zurück. Wir haben die Aufgabe, unseren Versicherten die beste Krankenversorgung zu ermöglichen und mit dem Versichertengeld verantwortungsvoll umzugehen. Das bedeutet aber, dass wir unsinnige Ausgaben für Leistungen nicht erstatten dürfen, die unwirksam sind. Im Einzelfall kann das für den betroffenen Versicherten enttäuschend sein, wenn wir ihm sagen müssen, dass diese oder jene Leistung von uns nach den gesetzlichen Vorgaben nicht erstattet werden darf. Die Versichertengemeinschaft hat ein Recht darauf, dass nur die Behandlungen erstattet werden, die erwiesenermaßen wirksam sind. Werner Waldmann: Es wird immer wieder beklagt, dass viele Hausärzte nicht die Zeit finden, ihren Patienten ein Gespräch anzubieten. Wie lässt sich die „sprechende“ Medizin fördern? Die AOK in BadenWürttemberg hat da sehr innovative Pfade beschritten, etwa mit den Hausarzt- und Facharztverträgen. Gibt dies den Ärzten die Chance, nicht nur Apparatemedizin zu betreiben, sondern sich mit dem Patienten intensiv zu unterhalten? Christian Kratzke: Mit den Haus- und Facharztverträgen stellen wir und unsere Partner, der MEDIVERBUND und der Hausärzteverband BadenWürttemberg, zunächst höhere Qualitätsansprüche an die Ärzte, vergüten sie aber auch angemessener als in der Regelversorgung. Außerdem haben

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sie durch einfachere Abrechnung und weniger Bürokratie mehr Zeit für die Behandlung – was wiederum den Patienten spürbar zugutekommt. Es geht vor allem um mehr Zeit für Gespräche. Denn oft ist das Gespräch die beste Therapie. Erster Ansprechpartner ist ein vom Versicherten selbst ausgewählter Hausarzt. Werner Waldmann: Haben die AOKs in anderen Bundesländern ebenfalls solche Hausarztverträge? Christian Kratzke: Hausarztverträge grundsätzlich ja, aber nicht in dem Umfang und mit dem Erfolg wie die AOK in Baden-Württemberg, die hier eine Vorreiterrolle einnimmt. Wenn Sie so was machen wollen, brauchen Sie eine gewisse Marktstärke in der Region. Sie brauchen aber auch genügend Ärzte und Versicherte an Ihrer Seite, die da mitziehen. Die wollen überzeugt werden, was ein langwieriger Prozess ist. Innovative Ideen müssen gegen sehr viel Skepsis angehen. Am Ende sind dann alle begeistert davon. Bei uns in der Bezirksdirektion Stuttgart-Böblingen machen allein im Hausarztprogramm 333 Ärzte mit, von unseren rund 380 000 Versicherten über 120 000. Diese können sich nicht täuschen. Wir kriegen tolle Rückmeldungen. Werner Waldmann: Kliniken setzen heute darauf, jeweils die modernste Medizintechnik anbieten zu können. Ob das wirklich im Sinne des Patienten ist? Christian Kratzke: Je mehr Technik eingesetzt wird, desto mehr fehlt die warme Hand am Bett. Da müssen wir gehörig umdenken. Als Krankenkasse würden wir uns gerne sehr viel mehr einbringen, doch da sind uns Grenzen auferlegt. Der Gesetzgeber bestimmt den Rahmen, wir setzen diese Gesetze um. Natürlich versuchen wir auch unsere Vorstellungen in der Politik einzubringen. Denn wir haben die Erfahrung vor Ort. Auch mit Krankenhäusern wollen wir Direktverträge abschließen, um gute Behandlungsqualität angemessen zu honorieren. Freilich sind da unsere gesetzlichen Spielräume bisher sehr begrenzt. Werner Waldmann: Heute wird vorausgesetzt, dass eine Klinik pro Jahr eine Mindestmenge bestimmter Therapien erbringen muss, um diese von der Kasse bezahlt zu bekommen. Christian Kratzke: Für die Qualität der Behandlung ist dies ein wichtiges Kriterium. Allerdings ist es ei-

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ner Klinik unbenommen, eine bestimmte Operationsmethode einzuführen. Wird die vorgeschriebene Fallzahl erreicht, müssen wir als Kasse das akzeptieren und bezahlen. Wir wünschen uns, dass die einzelnen Krankenhäuser sich auf ihre Stärken konzentrieren und schwerpunktmäßig bestimmte Behandlungen anbieten. Nicht jede Klinik muss alles machen. Werner Waldmann: Wo erfährt der Versicherte, welche Klinik für einen bestimmten Eingriff besonders zu empfehlen ist? Christian Kratzke: Es gibt den AOK-Krankenhausnavigator, in dem hinterlegt ist, welche Klinik auf welchem Gebiet Qualität anbietet. Das ist keine Empfehlung der Kasse, der Navigator beruht vielmehr auf Patientenerfahrungen. Werner Waldmann: In manchen europäischen Ländern werden medizinische Leistungen für ältere Patienten rationiert. Da heißt es dann zum Beispiel: Bei Patienten ab einem Alter von 80 oder 90 Jahren erstatten die Kassen die Kosten für bestimmte operative Eingriffe nicht mehr, weil sich das – salopp formuliert – nicht „lohnt“. Wird das auch bei uns Realität werden? Christian Kratzke: Das entscheiden nicht die Krankenkassen, sondern wir alle. Was sind wir bereit für unsere Gesundheit auszugeben? Das ist die Frage. Die nachfolgenden Generationen werden das entscheiden, denn diese müssen dafür bezahlen, wenn wir Alten aufwändige Behandlungen brauchen. Werner Waldmann: Viele Herzpatienten sind älter und leiden noch an anderen Komorbiditäten. Manche Herzoperationen müssen mit Rücksichtnahme auf das Alter und den angegriffenen Gesundheitszustand der Patienten auf besonders schonende Weise durchgeführt werden. Aber das kann teuer werden. Diese Kosten sind für Krankenkassen und Gesellschaft ein großes Problem. Christian Kratzke: Zu entscheiden, wer einen wichtigen Eingriff erhält und wer nicht, das können wir gar nicht. Das Alter kann kein Kriterium sein. Doch bezahlen muss es jemand und irgendwann wird man da die Frage stellen, was wir uns für wen an Leistungen noch vorstellen und leisten können. Werner Waldmann: Und ganz allgemein: Muss unser Gesundheitssystem jede Therapie bezahlen, die

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medizinisch machbar ist? In der Onkologie kosten Therapien oft 100 000 Euro und verheißen eine Lebensverlängerung von 5–6 Monaten. Ist eine solche Therapie ihr Geld wert? In der Herzmedizin wird sich diese Frage auch über kurz oder lang stellen. Christian Kratzke: Eine solche Entscheidung kann man nur individuell treffen. Sicher gibt es die Experten, die vielleicht sagen können, ob eine bestimmte Behandlung in einem bestimmten Alter noch zu vertreten ist. Nicht nur wegen des Alters, sondern auch aus dem Grund, ob man diesem Patienten das alles noch zumuten kann. Aber das ist unserem fantastischen Gesundheitssystem geschuldet, dass bislang keinem eine Therapie aus Altersgründen verweigert wurde. Jeder muss aber für sich selbst entscheiden, ob er eine bestimmte Therapie wünscht oder lieber darauf verzichten will. Niemand kann entscheiden, wie lange ein anderer zu leben hat. Werner Waldmann: Ohne Telemedizin wird eine sinnvolle Überwachung von Herzpatienten bald unmöglich sein. Das betrifft auch Chroniker, Diabetes-, COPD-, Schlafapnoe-Patienten. Vor allem in ländlichen Regionen. Routinechecks über Telemedizin schaffen Sicherheit für den Patienten und ersparen Hospitalisierung. Wie sehen Sie das? Christian Kratzke: Nehmen wir ein Beispiel. Ein siebzigjähriger Patient – mit gut eingestelltem Diabetes Typ 2, mit Übergewicht – hat erhebliche Probleme beim Gehen. Über eine Online-Verbindung kann er mit seinem Hausarzt zu einer festgelegten Zeit Kontakt aufnehmen. Der Arzt hat bereits alle Daten vorliegen und bespricht sich fünf Minuten mit seinem Patienten. Der Arzt kann seine Arbeit exakt planen, der Patient spart sich einen unter Umständen weiten und beschwerlichen Weg. Ich muss sagen, in solchen Fällen sind wir mit der Telemedizin auf einem tollen Kurs. Besonders auch dann, wenn Menschen in der ländlichen Region leben, wo der Weg zum Arzt weit ist und das öffentliche Verkehrsangebot nicht gerade überwältigt. Natürlich kann nicht alles auf diesem Weg kommuniziert werden. Geht es nicht um Routineuntersuchungen oder geht es dem Patienten schlechter, muss er in die Praxis. Bei den Möglichkeiten der Telemedizin müssen wir individuell denken. Es lässt sich nicht alles per Telemedizin realisieren. Und wir müssen auch Erfahrungen gewinnen.

Christian Kratzke Geschäftsführer AOK Stuttgart-Böblingen Presselstr. 19 70191 Stuttgart

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Unsere Leber – robust, aber nicht unverwüstlich Geduldig entgiftet sie Tag für Tag unser Blut und steckt klaglos so manches weg, was wir ihr antun. Außerdem erfüllt sie auch noch viele andere Aufgaben – von der Verdauung bis hin zur Blutgerinnung. Die Leber ist ein „gutmütiges“ Organ: Sie verkraftet einiges, denn sie besitzt die Fähigkeit, sich selbst zu erneuern. So kann eine durch Entzündung oder Fetteinlagerung geschädigte Leber sich beispielsweise komplett regenerieren. Und wenn wegen eines Tumors ein Teil der Leber entfernt werden muss, wachsen sogar wieder neue Leberzellen nach. Aber unbegrenzt belastbar ist das „Wunderorgan“ Leber nicht: Zu viel Alkohol, Übergewicht und bestimmte Infektionen können ihr zusetzen. Eine lebergesunde Lebensweise lohnt sich also! Wir sprachen mit Professor Dr. Eduard Stange, dem Leiter der Abteilung für Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts, der Leber und der Hormondrüsen am Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart, über die wichtigsten Erkrankungen dieses fleißigen Entgiftungsorgans – und wie man ihnen vorbeugen kann. Welche Lebererkrankungen kommen in Ihrem klinischen Alltag am häufigsten vor, und was kann man dagegen tun? Prof. Stange: Am häufigsten und schwerwiegendsten sind alkoholische Leberschäden und die verschiedenen Hepatitis-Formen, die durch Viren hervorgerufen werden. Fast schon zu den „Zivilisationskrankheiten“ gehört die Fettleber, die sowohl durch übermäßigen Alkoholkonsum als auch durch Übergewicht und Diabetes entstehen kann. Sie kommt sehr häufig vor, ist aber strenggenommen eigentlich keine eigenständige Erkrankung. Problematisch wird es erst, wenn die Leberverfettung in eine Entzündung, also eine Hepatitis übergeht. Denn diese Entzündung regt die Bildung von Bindegewebe in der Leber an. So kann aus der an sich recht harmlosen Fettleber mit der Zeit eine Leberzirrhose entstehen. Wie kann man einer solchen Entwicklung vorbeugen? Prof. Stange: Beide Formen von Leberverfettung können sich wieder zurückbilden: die alkoholische Fettleber durch Einstellen des Alkoholkonsums und die nicht alkoholische durch eine Reduktion des Körpergewichts. Die Verfettung an sich ist zwar im Ultraschall zu erkennen und vergrößert die Leber auch; aber sie muss nicht unbedingt einen Schaden anrichten. Nur wenn sie über eine Entzündung bis zur Zirrhose fortschreitet, dann hat man ein Problem, denn diese Zirrhose ist nicht mehr reversibel.

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Bis zu welchen Mengen ist Alkohol eigentlich noch harmlos bzw. für die Leber unschädlich? Prof. Stange: Wenn man gewisse Grenzen (30 bis 40 Gramm Alkohol pro Tag beim Mann und 20 Gramm bei der Frau) nicht überschreitet, ist das in aller Regel kein Problem. Frauen verkraften weniger Alkohol als Männer – wahrscheinlich, weil sie ihn langsamer verstoffwechseln. Wenn Alkohol so schädlich ist, wie kommt es dann, dass man keine öffentliche Kampagne dagegen startet wie etwa gegen das Rauchen? Prof. Stange: Das ist tatsächlich eigenartig und hängt wahrscheinlich in gewisser Weise mit unserem kulturellen Hintergrund zusammen – da gehört Alkohol quasi dazu. Und für die allermeisten Menschen stellt der Umgang mit Alkohol ja auch gar kein Problem dar. Aber es gibt eben auch Menschen, die ihren Alkoholkonsum nicht kontrollieren können. Das ist eine Krankheit. In Baden-Württemberg wurde das Verbot für den Verkauf von Alkoholika nach 22 Uhr wieder aufgehoben. Halten Sie das für sinnvoll? Prof. Stange: Ich habe kein Problem damit, dass man ein Glas Wein zum Abendessen trinkt. Aber das Komatrinken, gerade auch unter Jugendlichen, halte ich für katastrophal. Es führt zwar nicht regelhaft zu einer Leberzirrhose, da diese Erkrankung viele Jahre braucht, um sich zu entwickeln; aber unter sozialen Gesichtspunkten und in Anbetracht

Prof. Dr. med. Eduard Stange war Leiter der Abteilung für Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts, der Leber und der Hormondrüsen am Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart. Seit August 2016 ist er in der Ambulanten Gastroenterologie in Stuttgart tätig. Industriestraße 4 70565 Stuttgart www.ambulantegastroenterologie.de

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Ein Organ – viele Aufgaben: die Leber Die größte Drüse unseres Körpers liegt im rechten Oberbauch und besteht aus mehreren Leberlappen, die in 50 000 bis 100 000 Leberläppchen unterteilt sind. Diese setzen sich wiederum aus etwa 3 000 000 Leberzellen zusammen. Die Leberzellen erfüllen wichtige Aufgaben im Organismus: • Verdauung: Tagtäglich produzieren unsere Leberzellen 0,5 bis 1 Liter Galuntere Hohlvene lenflüssigkeit, die in die Gallenblase fließt und dort gespeichert wird, um rechter Leberlappen bei Bedarf für die Fettverdauung in den Zwölffingerdarm abgegeben zu werden. • Stoffwechsel: Über die Pfortader, die an der Unterseite in die Leber einlinker tritt, fließt ständig mit Nährstoffen anLeberlappen gereichertes Blut aus dem Darm in die Leber. Diese Nährstoffe werden dort weiterverarbeitet bzw. gespeichert: Leberarterie So gelangen z. B. die mit der Nahrung aufgenommenen Kohlenhydrate, Leberpfortader nachdem sie im Darm in ihre BaustofGallenblase Gallengang fe (Glukose) zerlegt wurden, in die Leber. Diese speichert alles, was der Körper gerade an Glukose nicht braucht, in Form des Mehrfachzuckers Glykogen. Sobald der Körper mehr Energie benötigt, spaltet sie das Glykogen wieder in seine Glukosebausteine und stellt dem Organismus diesen Zucker über die Blutbahn zur Verfügung. Auch die Bausteine des Nahrungsfetts werden in der Leber zu komplexen Verbindungen wie Cholesterin und den lebenswichtigen Gerinnungsfaktoren umgebaut. • Entgiftung: Das Blut, das über die Pfortader aus dem Darm in die Leber gelangt, enthält aber nicht nur Nährstoffe, sondern auch Schadstoffe, z. B. Ammoniak (ein giftiges Endprodukt des Eiweißstoffwechsels), Alkohol und bestimmte Inhaltsstoffe von Arzneimitteln. Diese Stoffe entziehen die Leberzellen dem Blut und wandeln sie in unschädliche Substanzen um. Diese unschädlichen Stoffe werden dann wieder ins Blut abgegeben, von den Nieren herausgefiltert und ausgeschieden. Über die Lebervene verlässt das entgiftete Blut die Leber und fließt in den Blutkreislauf.

des dadurch erhöhten Unfallrisikos ist es dennoch sehr bedenklich.

vor. Wie kann man solchen Erkrankungen vorbeugen?

Und man gewöhnt sich dadurch schon in jungen Jahren an, Alkohol zu trinken. Prof. Stange: Ja, es kann durchaus sein, dass es durch diesen Gewöhnungsprozess zu einem Alkoholkonsum kommt, der sich irgendwann in die falsche Richtung entwickelt.

Prof. Stange: Das ist von Virus zu Virus verschieden. Das Hepatitis-A-Virus wird oral-fäkal, also durch Aufnahme von Kot oder Kotresten über den Mund, übertragen – meist über virenhaltiges Trinkwasser oder verunreinigte Nahrungsmittel wie beispielsweise Früchte oder Salate, die mit virenhaltigem Wasser gewaschen wurden. Aber auch der Verzehr von ungenügend gekochten Muscheln, die aus mit Fäkalien verschmutzten Gewässern stam-

Zurück zu den Lebererkrankungen: Auch Virusinfektionen der Leber kommen ja ziemlich häufig

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men, kann gefährlich sein. Ansteckungsgefahr besteht v. a. in Ländern mit schlechten hygienischen Bedingungen, während die Erkrankung in unseren westlichen Industrienationen eher selten vorkommt. Durch eine Impfung gegen Hepatitis A vor Reisen in solche Länder kann man sich schützen. Außerdem sollte man bei seiner Ernährung in solchen Ländern den uralten Grundsatz „Cook it, boil it, peel it or forget it“ („Koch es, brat es, schäl es oder vergiss es“) beherzigen. Gefährlicher als die Hepatitis A, die sich in erster Linie durch Magen-Darm-Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen und Appetitmangel äußert, sind die Hepatitis-Formen B und C, da diese in eine chronische Hepatitis übergehen und eine Leberzirrhose verursachen können. Wie steckt man sich mit Hepatitis B oder C an? Prof. Stange: Hepatitis B wird meistens durch mit Viren verunreinigte Nadeln übertragen, z. B. bei Patienten, die sich intravenös Drogen spritzen. Aber auch durch andere mit Blut verunreinigte Gegenstände (beispielsweise beim Ohrlochstechen oder Tätowieren) und durch ungeschützten Geschlechtsverkehr kann man sich infizieren. Gefährdet sind vor allem Drogensüchtige und Menschen mit häufig wechselnden Sexualpartnern, aber auch medizinisches Personal. Die Übertragung durch Blutkonserven ist in unseren Breiten durch die Testung sämtlicher Blutkonserven und -produkte mittlerweile so gut wie ausgeschlossen. Das HepatitisC-Virus kann auf vielen Wegen übertragen werden – am häufigsten durch die Benutzung verunreinigten Injektionsbestecks beim Drogenkonsum. Diese Hepatitis-Form wird in 50 % aller Fälle chronisch, während die Hepatitis B nur in ungefähr 10 % aller Fälle in eine chronische Erkrankung übergeht. Leider ist eine Impfung bisher nur gegen Hepatitis A und B, aber nicht gegen Hepatitis C möglich. Wie wird eine Leberzirrhose behandelt? Prof. Stange: Das kommt auf die Ursache an. In den meisten Fällen ist die Zirrhose, wie gesagt, auf Alkoholmissbrauch oder Virusinfektionen zurückzuführen. Ist Alkohol die Ursache, so hilft nur völliger Verzicht aufs Trinken, um ein Fortschreiten der Leberzirrhose zu verhindern. Eine Hepatitis B oder C muss medikamentös behandelt werden, wobei man das Hepatitis-C-Virus mittlerweile schon sehr

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gut eliminieren kann, während dies bei der Hepatitis B zurzeit noch schwierig ist. Eine fortgeschrittene Leberzirrhose geht mit einem sehr hohen Leberkrebsrisiko einher; bei Leberversagen empfiehlt sich eine Lebertransplantation. Allerdings gibt es hierfür nicht genügend Spenderorgane.

So schützt man sich vor Hepatitis-A-Infektionen in Ländern mit schlechten hygienischen Verhältnissen • Obst nur geschält genießen (am besten selbst schälen) • Andere Lebensmittel nur in gut durchgegartem Zustand verzehren; von Salaten und sonstiger Rohkost lieber die Finger lassen • Auf den Verzehr roher Schalentiere (z. B. Austern) verzichten; aber auch bei gekochten Meeresfrüchten ist Vorsicht geboten • Vorsicht auch bei Speiseeis • Nur Mineralwasser oder abgekochtes Wasser trinken; auf Eiswürfel verzichten; Zähne nicht mit Leitungswasser putzen

Wie häufig kommt Leberkrebs vor, und welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es? Prof. Stange: In Deutschland erkranken jährlich rund 8900 Menschen an Leberkrebs – mit steigender Tendenz, vermutlich deshalb, weil die Leberzirrhose infolge von Übergewicht und Diabetes eben leider häufiger wird. Bei nur sehr wenigen und kleinen Knoten besteht die eleganteste Behandlungsmöglichkeit in der operativen Entfernung. Das geht vor allem dann gut, wenn die Knoten am Rand der Leber liegen. Bei zentraler Lokalisation wird es schon schwieriger, und wenn die Knoten zu groß sind, ist eine Operation völlig unmöglich. Dann gibt es die Möglichkeit der Chemoembolisation: Dazu werden per Katheter kleine Partikel in die tumorversorgenden Gefäße gespritzt und diese verstopft, um dem Tumor die Blutzufuhr abzuschneiden. Dadurch sterben die Tumorzellen ab. Gleichzeitig wird auch noch ein Chemotherapeutikum injiziert, das ebenfalls ein Absterben der Krebszellen bewirkt. Stattdessen kann man dem Patienten auch eine radioaktive Substanz injizieren. Doch mit all diesen Maßnahmen lässt sich der Leberkrebs nicht mehr heilen, sondern nur noch aufhalten. Eine letzte, allerdings am wenigsten erfolgreiche Möglichkeit ist die Einnahme eines neuen Medikaments namens Sorafenib. Dieses verzögert das Fortschreiten der Erkrankung, führt aber praktisch nie zu einer Heilung und wird auch sehr schlecht vertragen.

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Frühzeitiges Erkennen und Vorsorge senken das Risiko Über 220 000 Frauen erkranken jedes Jahr an Krebs. Brustkrebs ist dabei mit 70 000 Fällen die häufigste Krebserkrankung. 6 000 Frauen bekommen jedes Jahr die Diagnose: Gebärmutterhalskrebs. Bei beiden Krebserkrankungen kann Vorsorge und frühzeitiges Erkennen helfen. Dr. Michael Burkhardt, Chefarzt der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Paracelsus-Krankenhaus in Ostfildern-Ruit, rät: „Frauen ab 50 Jahren sollten auf jeden Fall am MammografieScreening teilnehmen und alle zwei Jahre die Brust durchleuchten lassen.“ Zusätzlich sollte jährlich eine Ultraschalluntersuchung beim Frauenarzt erfolgen. Selbstuntersuchung und Mammografie Bei jüngeren Frauen rät der Experte, die Brust regelmäßig und systematisch abzutasten, da auch auf diesem Weg Knoten an der Brust erkannt werden können. Bis zum 18. Lebensjahr raten Experten von der Mammografie ab, da das Brustkrebsrisiko in diesem Alter sehr gering ist. Zwischen dem 20. und dem 30. Lebensjahr kann eine alljährliche Ultraschalluntersuchung eventuelle Risikofaktoren ausschließen. Dreimal sollte eine Mammografie zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr für Sicherheit sorgen. Fünf Prozent aller Brustkrebserkrankungen sind erblich bedingt. Ein Test, der die krebsfördernden Gene identifiziert, sollte dringend dann erfolgen, wenn mehr als drei Brustkrebsfälle in der Familie bekannt sind oder Brustkrebs und Eierstockkrebs in der Familie gehäuft auftreten. Im Brustzentrum, das die Gynäkologen des Paracelsus-Krankenhauses Ruit und der Klinik Nürtingen gemeinsam seit

Paracelsus-Krankenhaus Ruit Hedelfinger Straße 166 73760 Ostfildern-Ruit Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Chefarzt Dr. med. Michael Burkhardt Tel.: 0711 4488-11300

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vielen Jahren betreiben, können Veränderungen in der Brust mit modernsten Methoden untersucht und behandelt werden. „In der Mehrzahl der Fälle können wir Brustkrebs heilen“, so Burkhardt. Enge Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Ärzten, Psychoonkologen und Sanitätshäusern sichert eine hohe Qualität der Behandlung.

Rechtzeitig impfen Gegen Gebärmutterhalskrebs kann eine frühzeitige Impfung helfen. In 70 Prozent aller Fälle von Gebärmutterhalskrebs sind zwei sexuell übertragbare Hochrisikotypen der humanen Papillomaviren (HPV) verantwortlich. Bei jungen Mädchen im Alter von 9 bis 14 Jahren kann eine intramuskuläre Impfserie das Risiko der Erkrankung deutlich senken. Die Serie sollte vor dem ersten Geschlechtsverkehr abgeschlossen sein. Gebärmutterhalskrebs ist eine bösartige Veränderung an der Grenzschicht zwischen zwei unterschiedlichen Gewebetypen des Gebärmutterhalses. Mit einem Abstrich können frühzeitig diese Veränderungen erkannt und dann auch mit guten Erfolgsaussichten behandelt werden.

Gesunder Lebensstil Chefarzt Burkhardt spannt den Bogen noch weiter: „Das Krebsrisiko können wir alle senken, wenn wir unser Leben entsprechend gestalten. Rauchen, Übergewicht und falsche Ernährung können Krebs auslösen.“ Red.

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Adipöse Männer haben verdoppeltes Sterberisiko dipositas ist laut einer Analyse von Daten von 3,9 Millionen Menschen der zweitgrößte Risikofaktor für einen vorzeitigen Tod nach dem Rauchen. Das geht aus einer Meta-Studie hervor, die in „The Lancet“ veröffentlicht worden ist. Wissenschaftler der Universität Cambridge und der Universität Oxford haben den Einfluss des Körpergewichts auf das Sterberisiko anhand der Daten von 3,9 Millionen Menschen aus 189 bereits vorhandenen wissenschaftlichen Untersuchungen zu diesem Thema analysiert. In Europa leiden 20 % der Erwachsenen an Adipositas, in Nordamerika sind es gar schon 30 %. Die Ergebnisse der Studie sprechen für das Abnehmen der Betroffenen. „Im Durchschnitt verlieren Übergewichtige ein Jahr ihrer Lebenserwartung, moderat Fettsüchtige hingegen drei Jahre“, sagte Studienleiter Emanuele Di Angelantonio. Darüber hinaus steigt bei Männern

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mit Adipositas das Mortalitätsrisiko stärker an als bei Frauen. Das dürfte darauf zurückzuführen sein, dass sie mit Übergewicht und Adipositas leichter in die Insulinresistenz kommen und eher Diabetes entwickeln. Männer mit Normalgewicht haben ein Sterberisiko im Alter unter 70 Jahren von 19 %, Frauen eines von 11 %. Bei moderater Fettsucht steigt es bei Männern bereits auf 29,5 und bei Frauen auf 14,6 %. Insgesamt zeigte die Kurve eine gemäß steigendem Übergewicht gleichmäßig ansteigende Übersterblichkeit ohne eine sprunghafte Entwicklung. Das untersuchte Kollektiv von 3,9 Millionen Menschen im Alter zwischen 20 und 90 Jahren bestand zu 69 % aus Frauen. Es wurden 386 000 Todesfälle registriert. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass Normalgewicht in Europa einen von sieben und in Nordamerika einen von fünf Todesfällen verhindern würde. The Lancet

Gesundheit beginnt im Kopf Die Kolumne von Dr. Suso Lederle ahrscheinlich fühlen sich die meisten von Ihnen gesund. Die Frage ist aber, sind Sie es wirklich, und bleiben Sie es auch? Denn Tatsache ist: Die Mehrzahl der Menschen lebt ungesund, sie werden zu dick, sie bewegen sich zu wenig, Blutdruck und Blutfette steigen an, der Zuckerstoffwechsel entgleist. Dann sind Herzinfarkt und Schlaganfall die langfristigen Folgen. Manches ist schicksalhaft nicht vermeidbar, vieles aber doch, vor allem soweit es einen gesunden Lebensstil betrifft. Wer gesund bleiben will, muss etwas dafür tun: Zwar ist das Interesse an Themen wie Fitness, Wohlbefinden und Gesundheit in den letzten zehn Jahren deutlich gestiegen, auch dank Internet und einer Vielzahl von Ratgebern. Man weiß zudem, der Arzt ist immer noch die Informationsquelle, die von Patienten als die vertrauenswürdigste angesehen wird. Empfehlungen für einen gesunden Lebensstil sind somit gut bekannt – doch der Geist ist zwar willig, aber der Körper oft zu schwach. Der innere Schweinehund lässt sich nur schwer überwin-

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den. Die Medizin hatte schon immer den Auftrag, Krankheiten zu heilen und Gesundheit zu bewahren. Letzteres findet aber noch zu wenig Beachtung. Wir Ärzte müssen uns auch darum kümmern, dass die Menschen nicht erkranken und möglichst gesund bleiben. Wir müssen weiter aufklären, informieren und mahnen. Deshalb auch gibt es den Kompass Gesundheit, und gibt es zum Beispiel den Stuttgarter Herztag. Vorbeugung ist die Medizin des 21. Jahrhunderts! Wir dürfen nicht aufhören, an die Vernunft des Menschen zu glauben. Dessen Gesundheit nämlich beginnt im Kopf!

Dr. med. Suso Lederle Charlottenstraße 4 70182 Stuttgart Tel.: 0711 241774 E-Mail: suso-lederle@t-online.de

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Wir vom Vital-Zentrum Glotz be-

Versorgung von Schlafapnoe-Patienten Betroffene mit einem Schlafapnoe-Syndrom, die unter nächtlichen Atemaussetzern leiden, werden mit einer Atemtherapie behandelt. Im Schlaf müssen sie eine Maske aufsetzen, über die Luft mit Überdruck die Atemwege offen hält. Die Versorgung dieser Patienten mit Therapiegerät und Maske erfordert von dem versorgenden Unternehmen sehr viel Einfühlungsvermögen. Vor allem die Neupatienten profitieren davon, wenn ihr Versorger sie bei den ersten Therapieschritten begleitet und bei Problemen berät. Unterbleibt dies, brechen viele ihre Atemtherapie ab. Da die Krankenkassen immer weniger bezahlen, wird die Arbeit der Versorger zunehmend erschwert.

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gleiten und beraten Menschen mit Schlafapnoe engagiert in ihrer Therapie. Obwohl sich die Situation im Augenblick pekuniär sehr verschlechtert, sind wir optimistisch, mit dem Blick nach vorn neue Versorgungsstrategien zu finden, zu erproben und zu implementieren. Joachim Glotz

Werner Waldmann im Gespräch mit Joachim Glotz über die Herausforderung in der Schlafapnoe-Versorgung Werner Waldmann: Herr Glotz, die Krankenkassen sparen an der Versorgung der Schlafapnoe-Patienten immer rigider. Die Versorgungspauschale liegt in Extremfällen unter 100 Euro pro Jahr. Dafür bekommt der Patient von Ihnen ein Atemtherapiegerät plus Maske und Sie sollen auch noch, wie bisher, als Versorger Therapieprobleme des Patienten lösen, denn dies ist für die Therapietreue entscheidend. Die Beratung der Betroffenen zu Beginn der Therapie, aber auch später, wenn sich Probleme auftun – wer macht das, das Schlaflabor oder Sie als Versorger?

Joachim Glotz: Diese Arbeit wird durch die Versorger erledigt. Wenn man sich alleine schon vor Augen führt, dass wir in den Schlaflaboren Wartezeiten über acht Monaten haben, dann sind natürlich auch Kontrolltermine davon betroffen. Und so obliegt es uns, über diesen Versorgungszeitraum die komplette Leistungskette anzubieten. Der Dienstleistungsaufwand hat sich nicht verringert, jedoch die Vergütung durch die Krankenkassen. Werner Waldmann: Für Ihr Engagement bei den Selbsthilfegruppen sind Sie in der Gegend bekannt. Wie wichtig ist es, zwischen Berater und Patient ein Vertrauensverhältnis aufzubauen? Joachim Glotz: Das ist in allen Versorgungsbereichen ganz wichtig für uns. Speziell im Bereich der Schlaftherapie versorgen wir unsere Patienten ein Leben

Werner Waldmann: Haben Sie das Gefühl, dass Patienten auch bereit wären, selbst eine bestimmte Summe zuzuzahlen, um einen besseren persönlicheren Service zu bekommen? Joachim Glotz: Die Patienten sind daran hoch interessiert, dass ihre Therapie funktioniert. Allerdings suggerieren die Vergütungsregelungen, dass der Versicherte sich selbst um nichts zu kümmern braucht und er Anspruch auf eine Rundumversorgung hat. Diese wird allerdings nicht mehr von der Kasse bezahlt.

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lang. Durch gute Beratung und Betreuung stellt sich hier automatisch ein Vertrauensverhältnis ein.. Werner Waldmann: Wie viele Schlafapnoe-Patienten betreuen Sie heute? Joachim Glotz: Über 10 000 in Baden-Württemberg. Werner Waldmann: Der persönliche Service kostet Geld. Wird dieser Posten noch durch die aktuellen Versorgungspauschalen gedeckt? Joachim Glotz: Nein. Wir haben heute Versorgungszeiträume, die maximal für zwei Jahre festgeschrieben werden, dann kommen wieder Ausschreibungen, oder Verhandlungen. Dadurch wurden die die Vergütungspauschalen in den letzten Jahren radikal reduziert, wodurch Servicedienstleistungen nicht mehr kostendeckend angeboten werden können. Werner Waldmann: Mit Hilfe des Telemonitorings ließe sich, so der aktuelle Ansatz, die Kommunikation zwischen Patient und Betreuer effizienter gestalten. Wie stehen Sie dazu? Joachim Glotz: Ja, das ist auch einer der Gründe, weshalb wir uns entschieden haben, diesen Weg einzuschlagen und ein Pilotprojekt mit Schlafapnoe-Patienten zu machen. Auch wenn das im Augenblick von den Kassen nicht honoriert wird. Durch Telemonitoring unserer Schlafapnoe-Patienten sind wir technologisch in der Lage, viel frühzeitiger einzugreifen, wenn der Patient Therapieprobleme hat. Es gibt allerdings im Augenblick nur wenige Hersteller, deren Atemtherapiegeräte in der Lage sind, uns täglich den Therapieverlauf der letzten Nacht zuzusenden. Wir benötigen als Basisdaten die Nutzungsdaten des Gerätes, um daraus ableiten zu können, wie hoch der Nutzungsanteil ist. Idealerweise – und das kann man sicherlich auf den Zeitraum zu Beginn einer Therapie erst einmal beschränken – noch Daten über den AHI und über Leckagen. Langfristig reicht es, wenn man bei den meisten Patienten sicherstellt, dass das Gerät regelmäßig genutzt wird. Werner Waldmann: Früher in der vortelemonitorischen Zeit haben sich viele Patienten einfach nicht getraut, sich zu melden. Durch anfängliche Schwierigkeiten mit dem Gerät haben sie sich von

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der Therapie verabschiedet. Heute können Sie sofort reagieren. Das ist ein gewaltiger Vorteil gegenüber früher, wo nur einmal im Jahr die Speicherkarten ausgelesen wurden. Joachim Glotz: Wir müssen heute entscheiden, ob wir die Patienten nur die erste Zeit ihrer Therapie begleiten oder für immer. Letzteres wäre natürlich sehr aufwendig. Wir werden Nutzungsmuster erkennen, anhand derer wir bestimmte Problemlagen feststellen, weshalb wir die telemonitorische Begleitung länger vorhalten müssen. Werner Waldmann: Wie aufwendig ist Ihrer bisherigen Erfahrung nach die Therapiebegleitung eines Patienten? Joachim Glotz: Dadurch, dass wir ja erst knapp sieben Monate Erfahrung haben, können wir jetzt noch keine Langzeitergebnisse nennen. Aber wir sehen jetzt schon, in welchen Fällen wir nicht länger intervenieren müssen.

Wenn ein Patient sein Gerät drei Tage lang nicht nutzt, rufen wir ihn an und fragen, weshalb er die Therapie unterbrochen hat. Die angerufenen Patienten reagieren sehr freundlich und dankbar auf unsere Anrufel. Die meisten sind erstaunt über unser Interesse an ihrem Wohlergehen.

Werner Waldmann: Ist es schwierig, die Patienten dafür zu gewinnen, mit dem Telemonitoring einverstanden zu sein? Joachim Glotz: Es ist nicht schwierig, den Patienten den Nutzen unserer telemonitorischen Begleitung zu vermitteln. Sie sind sogar dankbar dafür. Das Risiko, dass mit den Daten missbräuchlich umgegangen werden könnte, ist nicht größer als in jedem anderen Bereich. Für die Patienten ist das die geringste Hürde. Bis das Telemonitoring jedoch in einen Leistungskatalog aufgenommen wird, ist noch viel Überzeugungsarbeit nötig. Wichtig ist, dass die einzelnen Player im Gesundheitssystem miteinander und nicht gegeneinander agieren.

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Ein Jubiläum der besonderen Art: Medizin-Talk in Stuttgart

200 Mal Suso Lederle In der Medizin hat sich viel verändert. Besonders bemerkenswert ist der Wandel der Patienten vom arztgläubigen, demütigen Kranken zum selbstbewussten, kritischen Kunden, der seine Ansprüche in Praxis und Klinik deutlich und beharrlich, notfalls mit Vehemenz äußert. Und der sich kundig macht, bevor er einen Arzt an sich ranlässt. Werner Waldmann as mag etwas übertrieben klingen, jedoch ist der größte Teil der Patienten wissbegierig geworden und holt sich seine Informationen ganz selbstverständlich aus dem World Wide Web. Und dort wird mit medizinischem Wissen und Halbwissen und Esoterik nicht gegeizt. Internetinformierte Patienten, die ihrem Doktor gerne vorschreiben, was er denn zu diagnostizieren und zu verordnen habe, gibt es immer mehr. Nicht zur Freude so manchen Arztes. Halten wir fest: Der Patient ist auf Informationen aus. Er will wissen, weshalb er krank geworden ist, was da in seinem Körper vor sich geht und welche Behandlungsmethoden für ihn die geeignetsten sind.

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Der junge Dr. Suso Lederle bei einer Sonografie-Untersuchung.

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Vor einem Vierteljahrhundert war das anders. In den Kliniken herrschten die Halbgötter in Weiß, deren Meinung Urteil und Therapieempfehlung Befehl war, nicht in Frage gestellt, bewundert von den Assistenten und den Leidenden. Der Doktor in der Praxis genoss dieselbe Autorität. Für Nichtmediziner war es knifflig, an Wissen zu kommen. Populäre medizinische Darstellungen gab es in öden Ge-

sundheitslexika und obsoleten Ratgebern. Vor 25 Jahren kam der junge Arzt Suso Lederle auf die Idee, den Menschen doch einfach und unkompliziert verlässliches medizinisches Wissen anzubieten. Lederle war damals der linken Szene verpflichtet. Das Herz der akademischen Jugend schlug damals links. Man wollte die unmündigen Bürger befreien, ihnen den kleinen Aufstand gegen die Tradition schmackhaft machen. „Ich dachte einfach“, so Lederle, „es tut dem Patienten gut, wenn er mehr weiß, weil er dann besser mit meinen Therapievorschlägen umgehen und seine Krankheit besser bewältigen kann.“ Eine damals ziemlich revolutionäre Idee! Den wenigsten Ärzten wäre es auch nur im Traum eingefallen, ihre Patienten zu „Mitwissern“ zu machen. Das hätte ja verdammt danach ausgesehen, als befänden sich Arzt und Patient auf Augenhöhe. Vorbei wäre es dann doch mit der ärztlichen Autorität gewesen. Lederle dachte an die Volkshochschule, deren Aufgabe die Aufklärung war. Also startete er mit dem Segen des damaligen Stuttgarter OBs Schuster und der Stuttgarter Volkshochschule den Versuch, einmal im Monat einen Vortragsabend zu arrangieren, mit einem Arzt und ihm als Moderator. Für Patienten war dies eine kleine Sensation. So was hatte es noch nie gegeben. Ärzte hielten hin und wieder Dia-Vorträge im Krankenhaus. Bei Lederle war das ein neues, revolutionäres Format. Eine medizinische Talkshow sozusagen. Lederle suchte sich ein Thema, von dem er annahm, dass es Patienten interessieren konnte. Und er fahndete nach einem Arzt, der mit ihm vor Publikum in einem Frage- und Antwortspiel das Thema entfaltete. Am Ende hatte das Publikum Gelegenheit, Fragen zu stellen. Fragen, die wohl einigen Besuchern schon lange auf der Zunge lagen, die sie jedoch wohl ihren Arzt nie zu fragen gewagt hatten. Dieses Kon-

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zept kam beim Publikum an. Bei den Ärzten weniger oder am Anfang überhaupt nicht. Lederle hatte Probleme, Kollegen zu finden, die sich vor „Laienpublikum“ einer Fragerunde aussetzen wollten. Heute rennen die Ärzte Lederle die Bude ein. Manche stehen direkt an und hoffen, dass sie es bald mal ins Programm schaffen. Ärzte heute brauchen PR und Lederles Veranstaltung ist auch ein Forum, auf dem sich Ärzte ihrem potenziellen Patienten präsentieren können. Lederle sucht sich aber die Besten aus und sie kommen sehr, sehr gerne. Bei Google seine Informationen über Gesundheit und Krankheit zu holen, ist ein Kinderspiel. Diese Informationen kritisch zu bewerten und die Spreu vom Weizen zu trennen, das erfordert schon ein Gespür für Authentizität. Insofern sind Lederles Veranstaltungen auch ein Korrektiv. Er hat seine Fangemeinde, die zu jeder Veranstaltung pilgert. Sozusagen in der Gesundheitsakademie Dr. Lederle ein Patientenstudium der Medizin – man kann ja nicht wissen, wozu das noch gut sein kann – ab-

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solviert. Ein anderer Teil der Gäste kommt aus aktuellem Informationsbedarf: Man sucht Wissen über sein eigenes Krankheitsbild. Die Veranstaltung am 28.September ist ein Jubiläum. 200 Mal Suso Lederle mit seiner Kultreihe „Gesundheit beginnt im Kopf“. Irgendwie hat es sich zufällig gefügt, dass Dr. Lederle mit Begeisterung bei unserem jungen Gesundheitsmagazin für Baden-Württemberg als Spiritus Rector mitwirkt. Nicht umsonst trägt das Magazin den Namen „Kompass Gesundheit“. Konsequent ist, dass Lederle auch die jüngst ins Leben gerufene jährliche Veranstaltung, den „Stuttgarter Herztag“, moderiert. Ebenso wird er am 19. November durch den „Thementag Schlaf“ führen. Man muss es einfach festhalten: Dr. med. Suso Lederle ist nicht nur ein leidenschaftlicher Mediziner und Arzt; Lederle ist eine Leitfigur in Stuttgart und über die Stadtgrenzen hinaus für verlässliche, glaubhafte Vermittlung medizinischen Knowhows an den modernen Patienten bekannt. Gesundheit beginnt nun einmal im Kopf – und dazu brauchen wir stetig aktuelles Wissen. Herzlichen Glückwunsch, Suso Lederle!

Abb. oben: Das erste Programm der Veranstaltungsreihe „Gesundheit beginnt im Kopf“. Der erste Vortrag fand am 27. 9.1994 zum Thema „Ernährung“ statt.

Das Thema der Jubiläumsveranstaltung am 28. 9. 2016: „Gesunde Faszien“ 20.00 Uhr TREFFPUNKT Rotebühlplatz Rotebühlplatz 28 70173 Stuttgart

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Ihr Hausarzt meint Endlich Urlaub Viele Menschen können es kaum erwarten, in den wohlverdienten Urlaub zu fahren. Der Sommer ließ sich dieses Jahr hier in Deutschland noch nicht so recht blicken und umso mehr zieht es die Menschen in sonnige Gefilde. Schon lauert die erste Gefahr: Sonnenbrand. Gerade die ersten Tage in der Sonne, am Meer oder in den Bergen sind für unsere ungeschützte Haut gefährlich. Wir hatten im Juni nicht die Möglichkeit, uns langsam an die Sonneneinstrahlung zu gewöhnen. Und im Urlaub ist man ja die meiste Zeit draußen und kann die Sonneneinstrahlung schlechter dosieren. Denken Sie an hochwertigen Sonnenschutz. Faktor 50 sollte es am Anfang schon sein. Und denken Sie daran: Die Sonnencreme verlängert nur die Aufenthaltszeit in der Sonne, aber auch nicht unbegrenzt. Viele verreisen in das Ausland. Wie steht es um Ihren Impfschutz? Vor allem bei Reisen in afrikanische und asiatische Länder sind Spezialimpfungen anzuraten, die aber nicht erst kurz vor dem Abflug durchgeführt werden können. Der Körper braucht einige Zeit, um gegen den Impfstoff – das Fremdeiweiß eines Erregers – Abwehrstoffe aufbauen zu können. Erst wenn diese aufgebaut sind, ist unser Körper vor den fremden Angreifern geschützt. Mindestens 4 bis 6 Wochen sollten Sie vor einem Auslandsaufenthalt einplanen. Auch in anderen Ländern gibt es Gesundheitsrisiken. Das häufigste sind Durchfallerkrankungen. In anderen Ländern finden sich öfter mal Bakterien, an die wir nicht gewöhnt sind, die sozusagen nicht zu unserem Wirtsspektrum gehören. Der Körper wehrt sich mit Durchfall gegen diese Eindringlinge. Auch nicht ausreichend gekühlte Speisen in Ländern mit heißen Temperaturen führen zur Bakterienvermehrung in Speisen. Durchfall ist dann unvermeidlich. Eigentlich ist der Durchfall ja eine gesunde Abwehrmaßnahme des Körpers. Er entledigt sich seiner Feinde. Leider kommt es aber im Zusammenhang mit Durchfall zu einem Flüssigkeitsverlust für den Körper. Man trocknet aus und verliert Kalium, Natrium und Magnesium. Der Kaliumverlust kann bis zu neurologischen Erscheinungen wie Krämpfen und Pelzigkeitsgefühlen der Gliedmaßen führen. Folgendes braucht man in der Reiseapotheke: • Durchfallmittel wie Loperamid, Elektrolytlösungen wie zum Beispiel Elotrans Btl. • Zur Grundausrüstung gehören auch Mittel gegen Übelkeit (MCP Tbl), Schmerzmittel und Fiebermittel wie Paracetamol, Antiallergiemittel wie Cetirizin Tbl und auch Verbandmaterial mit einer PVJod-Salbe für Verletzungen. • Wichtig sind Insekten-, Mücken- und Zeckenschutz, eventuell eine Pilzsalbe für die Frauen. So gerüstet wünsche ich Ihnen viel Freude und Erholung in Ihrem Urlaub, und kommen Sie gesund wieder heim! Ihr Wolfgang Bosch

Dr. med. Wolfgang Bosch Facharzt für Allgemeinmedizin und Naturheilverfahren Kronenstraße 30; 73760 Ostfildern www.praxis-bosch-hauser.de

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Kompass Gesundheit zum Hören!

Gefäße gut – alles gut

Seelischer Kummer und warum er krank macht

Prof. Dr. med. Christian Herdeg

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Ein Hörbuch der Zeitschrift KOMPASS GESUNDHEIT in Kooperation mit den Kreiskliniken Esslingen

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Thementag Schlaf

2016

19.11.2016

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Stuttgart

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Thementag Schlaf 2016 19.11.2016 • 9.00–16.00 Uhr Treffpunkt Rotebühlplatz • Rotebühlplatz 28 • 70173 Stuttgart Mehr Infos unter: www.dasschlafmagazin.de


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