Kompass Gesundheit DAS MAGAZIN FÜR BADEN-WÜRTTEMBERG
Nr. 4 2017
Lebenselixier Schlaf Meisterhafte Hernien-Chirurgie Angstmacher Alzheimer
6. Jahrgang www.kompass-gesundheit-bw.de
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Damit sich Ärzte noch besser um m Sie kümmern.
editorial Liebe Leserin, lieber Leser,
haben Sie heute Nacht gut und erholsam geschlafen? Ich erlaube mir diese Frage, denn diese Ausgabe des „Kompass Gesundheit“ beschäftigt sich zum größten Teil mit dem Schlaf. Am 7. Oktober fand im Treffpunkt Rotebühlplatz in Stuttgart der „Thementag Schlaf 2017“ statt. Diese ganztägige Patientenveranstaltung gibt es seit 15 Jahren. Auch für den „Kompass Gesundheit“ Anlass, sich mit dem Schlaf zu beschäftigen. Schlaf ist für uns etwas Selbstverständliches und für manchen auch ein Ärgernis, weil Schlaf vielen beruflichen Aktivitäten und dem Freizeitspaß im Weg zu stehen scheint. Wie gerne hätte mancher die 24 Stunden eines Tages in wachem Zustand für sich gepachtet, anstatt ein Drittel des Lebens zu verschlafen. Doch das ist der große Irrtum. Schlaf ist uns heute offenbar wenig wert. Schlaf hindert uns, noch aktiver, noch dynamischer zu sein. Von wegen! Ohne ausreichend geschlafen zu haben, läuft gar nichts. Wer Karriere machen will, braucht eine ausreichende Portion Schlaf. Schlafmangel, so der bekannteste Schlafforscher unserer Republik, Prof. Jürgen Zulley, mache dick, dumm und faul.
Werner Waldmann ist Medizinjournalist und leitet die Redaktion von „Kompass Gesundheit“.
Außer dem Thema Schlaf widmen wir uns noch weiteren Themen, die uns berühren. In dem Interview mit dem Gerontopsychiater Prof. Hewer geht es um viele Fragen, die wir haben, wenn wir ans Alter denken und das damit verbundene Risiko, an Demenz zu erkranken. Eine Bruchoperation ist heutzutage Routine, dennoch tut man als Patient gut daran, sich seinen Chirurgen klug auszusuchen. Wir haben mit der Viszeralchirurgin Dr. Barbara Kraft gesprochen, die als Meisterin der Hernie-Operation gilt. Ansonsten wünsche ich Ihnen goldene Herbsttage. Und genießen Sie Ihren Schlaf! Ihr Werner Waldmann
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Impressum Kompass Gesundheit – Das Magazin fßr Baden-Wßrttemberg Herausgeber: Dr. Magda Antonic Redaktionsleitung: Werner Waldmann (V.i.S.d.P.) Botschafter: Dr. med. Suso Lederle Medizinisch-wissenschaftlicher Beirat: Prof. Dr. med. Tilo Andus, Prof. Dr. med. Walter-Erich Aulitzky, Dr. med. CarlLudwig v. Ballestrem, Prof. Dr. med. HansjÜrg Bäzner, Prof. Dr. med. Gerd Becker, Dr. med. Wolfgang Bosch, Prof. Dr. med. Alexander Bosse, Dr. med. Ernst Bßhler, Prof. Dr. med. Claudio Denzlinger, Dipl.-Psych. Sabine Eller, Prof. Dr. med. Ulrich Franke, Dr. med. Wilhelm Gienger, Dr. med. Joachim Glockner, Dr. med. Rainer Graneis, Dr. med. Christian Hayd, Prof. Dr. med. Bernhard Hellmich, Prof. Dr. med. Doris Henne-Bruns, Prof. Dr. med. Christian Herdeg, Prof. Dr. med. Bodo Klump, Prof. Dr. med. Monika Kellerer, Prof. Dr. med. Alfred KÜnigsrainer, Dr. med. Klaus Kraft, Prof. Dr. med. Matthias Leschke, Prof. Dr. med. Ulrich Liener, Prof. Dr. med. Alfred Lindner, Prof. Dr. med. Ralf Lobmann, Dr. Tobias Meile, Dr. med. Gerhard Mßller-Schwefe, Prof. Dr. med. Thomas Nordt, Dr. med. Jßrgen Nothwang, Dr. med. Stefan Reinecke MBA, Dr. med. Martin Runge, Dr. med. Norbert Smetak, Dr. med. Wolfgang Sperber, Prof. Dr. med. Arnulf Stenzl, Prof. Dr. med. Thomas Strowitzki, Dr. med. Bernd Voggenreiter, Holger Woehrle, Dr. med. Sieglind Zehnle Gesundheitspolitik: Markus Grßbel (MdB), Michael Hennrich (MdB) Redaktion: Dr. J. Roxanne Dossak, Ursula Pieper, Marion Zerbst Art Direction: Dr. Magda Antonic Herstellung: Barbara Schßler Druck: Wahl-Druck GmbH Fotos: Cover: Grafik: Š Sentavio/fotolia.com; S. 6–7: Foto: Š krimar/123rf.com; S. 13: Foto: Š Yuri Arcurs/fotolia.com; S. 14: Foto: Š Cathy Yeulet/123rf.com; S. 20: Foto: Š Meditations/pixabay.com; S. 24: Foto: Š 12019/pixabay.com; S. 28: Foto: Š Scott Griessel/123rf.com; S. 30: Foto: Š DAK/iStock; S. 38 links: Foto: Š KKH-Allianz; S. 38 rechts: Foto: Š ksass/istockphoto.com. Fßr die Autoren- und Ärzteporträts liegen die Rechte bei den abgebildeten Personen. Alle anderen Fotos: MEDITEXT Dr. Antonic
Verlag: MEDITEXT Dr. Antonic Verlagsleitung: Dr. Magda Antonic Panoramastr. 6; D-73760 Ostfildern Tel.: 0711 7656494; Fax: 0711 7656590 dr.antonic@meditext-online.de; www.meditext-online.de www.kompass-gesundheit-bw.de
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ISSN 2194-5438
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Kompass Gesundheit 4/2017
inhalt Lebensnotwendig und doch oft vernachlässigt: Der Schlaf
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Schlafstörungen: Was tun, wenn Selbsthilfemaßnahmen nicht ausreichen?
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Entspannungstechniken stimmen Sie auf die Nacht ein
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Die tägliche Begleitung Was ist das eigentlich – Stress?
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Meisterhafte Hernien-Chirurgie
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Hundertjährige in ihren letzten Lebensjahren gesünder als gedacht
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Angstmacher Nummer 1: Alzheimer
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Mammografie-Screening Frühe Erkennung verbessert Heilungs-Chancen
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Ihr Hausarzt meint: Ärzte und Heilpraktiker – zwei Welten prallen aufeinander
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Das Gesundheitsgespräch mit Johannes Bauernfeind: Welche Leistungen die Krankenkassen übernehmen
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Rubriken Impressum 4 | Aboformular 23 | Kolumne Dr. Lederle 42 | Veranstaltungen 42 |
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Lebensnotwendig und doch oft vernachlässigt:
Der Schlaf
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„Der Schlaf ist für den ganzen Menschen, was das Aufziehen für die Uhr ist.“ Der große Philosoph Arthur Schopenhauer wusste schon vor rund 200 Jahren, was Schlafforscher seither in mühevoller Kleinarbeit nachgewiesen haben: Schlaf ist für unsere körperliche, seelische und geistige Gesundheit unentbehrlich. Nacht für Nacht regenerieren sich im Schlaf Körper, Psyche und Gehirn, sodass wir am nächsten Morgen wieder für die Herausforderungen des Tages gerüstet sind. Doch viele Menschen missachten den Schlaf: Sie gehen lieber dem Vergnügen nach oder sitzen bis spät in die Nacht vor dem Computer. Andererseits gibt es Leute, die liebend gerne schlafen würden, es aber kaum noch können, weil sie an einer Schlafstörung leiden oder – meist ohne es zu wissen – durch ihr eigenes Verhalten den Schlummer vertreiben. Ihnen kann zum Glück in den meisten Fällen geholfen werden: Mittlerweile gibt es viele medikamentöse und nicht-medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten, die diesen oft sehr verzweifelten Menschen wieder zu einem besseren Schlaf verhelfen. Marion Zerbst chlafstörungen sind in den westlichen Industrieländern mittlerweile zu einer der häufigsten Volkskrankheiten geworden: Bis zu 50 Prozent aller Erwachsenen schlafen an mindestens fünf Tagen im Monat schlecht. Bei 10 bis 15 Prozent aller Erwachsenen liegt eine schwere, chronische Schlafstörung vor. Bei den Erwerbstätigen leiden sogar 80 Prozent unter Schlafproblemen – denn das Berufsleben kann zwar Freude machen, aber auch eine nicht zu unterschätzende psychische Belastung darstellen. Doch auch unser modernes Alltagsleben (Handy, Smartphone, Computer, Rund-um-die-Uhr-Unterhaltung durch die Medien) trägt dazu bei, dass wir uns immer mehr zu einer „schlaflosen Gesellschaft“ entwickeln. Der Schlaf wird vernachlässigt – und in seiner Bedeutung für die Gesundheit sträflich unterschätzt.
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Schlaf – ein Wunderwerk der Natur Nur die wenigsten Menschen interessieren sich für den Schlaf oder wissen, was nachts in ihrem Körper und Gehirn so alles abläuft. Sie halten diese nächtliche Ruhephase mehr oder weniger für ein notwendiges Übel, das halt sein muss, damit sie am nächsten Morgen wach und fit sind, um wieder ihrer Arbeit und ihrem Vergnügen nachgehen zu können. In Wirklichkeit jedoch ist der Schlaf ein Wunderwerk der Natur – ein äußerst komplexer Vorgang, bei dem Körper und Gehirn keineswegs „abgeschaltet“, sondern teilweise sogar hochaktiv sind. Jeder Mensch durchläuft pro Nacht vier bis fünf Schlafzyklen, die immer gleich aufgebaut sind: Nach dem Einschlafen gelangen wir zunächst in den Leichtschlaf und dann in den Tiefschlaf. An-
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schließend folgt – nach einer weiteren Leichtschlafphase – der REM-Schlaf, in dem wir unsere lebhaftesten Träume haben. Insgesamt dauert so ein Schlafzyklus etwa 90 Minuten. Für unsere körperliche, geistige und psychische Regeneration sind der Tiefschlaf und der REMSchlaf am allerwichtigsten: Der Tiefschlaf ist für die „Entmüdung“ zuständig – also dafür, dass wir unser Schlafbedürfnis abbauen und am nächsten Morgen wieder wach, fit und leistungsfähig sind. Außerdem wird während dieser Schlafphase das für die Zellreparatur (also die Regeneration unseres Körpers) und für ein leistungsstarkes Immunsystem unentbehrliche Wachstumshormon ausgeschüttet. Auch der REM-Schlaf erfüllt wichtige Funktionen für unsere Gedächtnisleistung (zum Beispiel für das Vergessen unwichtiger Gedächtnisinhalte und das Lernen): Die während des Tages aufgenommen Informationen werden während dieser Schlafphase sortiert, geordnet und gespeichert. Außerdem verarbeiten wir jetzt alles, was wir tagsüber erlebt haben. Der REM-Schlaf ist also auch für unsere psychische Stabilität wichtig! Sicherlich hat jeder schon einmal erlebt, dass er nach einer schlechten Nacht auch psychisch „schlecht drauf“ war: Die Stimmung geht in den Keller, man wird reizbar und aggressiv – oder depressiv.
Nächtlicher Hormoncocktail Unsere nächtliche Erholung verdanken wir verschiedenen Hormonen, die der Körper nachts ausschüttet. Das für die Zellerneuerung wichtige Wachstumshormon haben wir bereits kennengelernt – aber es gibt auch noch ein zweites Hormon, das nachts produziert wird und ohne das ein ge-
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sunder, erholsamer Schlaf gar nicht möglich wäre: unser körpereigenes „Schlafhormon“ Melatonin. Dieses Hormon wird in der Zirbeldrüse (Epiphyse) des Gehirns gebildet – allerdings nur abends und nachts und auch nur bei Dunkelheit. Melatonin macht uns müde und „wurschtig“ und lässt uns entspannt in den Schlaf sinken. Und es arbeitet eng mit unserer inneren Uhr zusammen: Hinter den Augen – an der Stelle, wo sich die beiden Sehnerven kreuzen – befindet sich ein Häufchen von Nervenzellen, der sogenannte Nucleus suprachiasmaticus. Dieser Nervenknoten ist die innere Uhr, die unseren Schlaf-wach-Rhythmus steuert. Abends, wenn es dunkel wird, wird die Information „Jetzt ist Schlafenszeit“ von der Netzhaut an diesen suprachiasmatischen Kern weitergegeben. Der leitet die Botschaft wiederum an die Zirbeldrüse weiter, die daraufhin anfängt, Melatonin auszuschütten. Dieses Hormon macht uns nicht nur müde, sondern bewirkt auch, dass Pulsschlag und Atemfrequenz sinken: Unsere Atmung wird regelmäßiger und flacher. Auch unsere Körpertemperatur sinkt leicht ab: Wir sind jetzt im „Schlafmodus“. Fällt am nächsten Morgen Licht aufs Auge, so wird diese Information ebenfalls von der Netzhaut aufgenommen und über den Nucleus suprachiasmaticus an die Zirbeldrüse weitergeleitet, die dann ihre Melatoninproduktion stoppt. Damit fällt die müde machende Wirkung des Schlafhormons weg. Bereits gegen drei Uhr morgens beginnen außerdem unsere Nebennieren Cortisol auszuschütten. Dieses Wachheitshormon bereitet uns langsam, aber sicher auf den Tag und seine Aktivitäten vor. Von einem möglichst reibungslosen Ablauf dieser Hormonproduktion hängt unser Schlaf-wachRhythmus ab. Gerät dieses Zusammenspiel aus irgendwelchen Gründen aus dem Takt, so kann es passieren, dass wir schlecht schlafen.
Warum schlechter Schlaf krank macht Ein zu kurzer, zu leichter oder unerholsamer Schlaf wirkt sich nicht nur negativ auf unsere Wachheit und Leistungsfähigkeit am nächsten Tag aus: Er kann uns auch richtig krank machen. So weiß man inzwischen, dass eine enge Wechselbeziehung zwischen Schlafstörungen und Depressionen besteht: Schlafgestörte Menschen haben ein sehr viel höheres Risiko, später einmal an einer Depression zu erkranken.
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Über ein komplexes Zusammenspiel von Hormonen begünstigt chronisch schlechter oder zu kurzer Schlaf außerdem die Entstehung von Übergewicht und Typ-2-Diabetes. Auch das Risiko für HerzKreislauf-Erkrankungen steigt: Denn Schlafstörungen und Schlafmangel sind Stress für Körper und Psyche. Die dabei vermehrt ausgeschütteten Stresshormone schädigen auf die Dauer Herz und Gefäße. Und weil der Schlaf sich auch positiv auf unser Immunsystem auswirkt, sind Menschen, die schlecht schlafen, anfälliger für Erkältungen und andere Infektionserkrankungen. Diese Erfahrung hat sicherlich jeder schon einmal gemacht: Schlaf ist die beste Medizin. Wer einen grippalen Infekt hat, wird schneller wieder fit, wenn er seinem Schlafbedürfnis nachgibt und sich möglichst viel Ruhe gönnt – dass man sich „gesund schlafen“ kann, ist also nicht einfach nur eine Redensart aus dem Volksmund, sondern stimmt tatsächlich. Aber Schlafmangel hat noch viel weitreichendere Konsequenzen. Denn wenn wir schlecht oder zu wenig geschlafen haben, treffen wir auch schlech-
Wann spricht man von einer Schlafstörung? • Eine Ein- oder Durchschlafstörung (Insomnie) liegt vor, wenn Sie seit mindestens einem Monat mehr als dreimal pro Woche schlecht ein- und/oder durchschlafen können, d. h. vor dem Einschlafen über 30 Minuten wachliegen oder morgens zu früh aufwachen oder nachts immer wieder erwachen. Allerdings nur dann, wenn dieser zu kurze oder schlechte Schlaf sich auch negativ auf Ihre Tagesbefindlichkeit auswirkt, Sie dadurch also tagsüber müde, unkonzentriert und in ihrer Stimmung oder Leistungsfähigkeit beeinträchtigt sind. Es gibt nämlich – genetisch bedingt – auch Kurzschläfer und Menschen, die abends erst spät müde werden (sogenannte „Eulen“). Solange Sie sich tagsüber fit fühlen, hat ein zu kurzer oder erst spät in den Nachtstunden beginnender Schlaf also keinen Krankheitswert. • Eine Hypersomnie liegt vor, wenn Sie morgens nicht erholt aufwachen und unter übermäßiger Tagesschläfrigkeit leiden. Ein solches Problem muss unbedingt ärztlich abgeklärt werden, denn es erhöht das Unfallrisiko (z. B. durch Sekundenschlaf am Steuer). Tagesschläfrigkeit kann viele verschiedene Ursachen haben: beispielsweise ein obstruktives Schlafapnoe-Syndrom (krankhaftes Schnarchen mit Atemaussetzern), eine Störung des Schlaf-wach-Rhythmus (etwa durch Nachtschichtarbeit), Einnahme bestimmter Medikamente, die müde oder benommen machen, usw. Es gibt auch noch verschiedene weitere Schlafstörungen, die jedoch oft nur der Facharzt diagnostizieren kann.
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tere Entscheidungen: Wir werden oberflächlicher und risikofreudiger, handeln weniger gewissenhaft; unsere ethisch-moralischen Maßstäbe verblassen. Vor diesem Hintergrund ist es sehr kritisch zu sehen, dass Entscheidungen im Wirtschaftsleben und in der Politik oft in Nachtsitzungen getroffen werden: Das kann sich sehr negativ auf die Qualität der gefassten Entschlüsse auswirken!
Erster Ansprechpartner: der Hausarzt Grundsätzlich sollte der Hausarzt bei Schlafproblemen Ihre erste Anlaufstelle sein. Denn er kennt Sie – Ihren Gesundheitszustand, Ihre Lebensweise und etwaige Vorerkrankungen – am längsten und am besten. Daher bringt er zunächst einmal auch die besten Voraussetzungen mit, um hinter die Ursache Ihrer Schlafstörung zu kommen. Zum Beispiel weiß er, ob Sie in der letzten Zeit besonderen psychischen Belastungen ausgesetzt waren, unter welchen körperlichen Erkrankungen Sie leiden und was für Arzneimittel Sie einnehmen – denn auch solche Faktoren können Schlafprobleme verursachen oder verschlimmern. Außerdem kann er bestimmte Basisuntersuchungen durchführen – z. B. Ihre Blutzuckerwerte bestimmen und Ihre Schilddrüsen-, Nieren-, Leber- und Herz-Kreislauf-Funktion untersuchen. „Das Thema Schlaf spielt in der hausärztlichen Sprechstunde eine große Rolle“, erklärt der Stuttgarter Hausarzt und Internist Dr. Suso Lederle. „Mehr als die Hälfte aller Patienten sagen auf Nachfrage: Ich schlafe schlecht.“ Deshalb kennen die meisten Hausärzte sich inzwischen schon recht gut mit der Diagnostik und Therapie von Schlafstörungen aus und wissen, welche Fragen sie ihren Patienten stellen müssen. Zuallererst einmal wird der Arzt Sie um genauere Informationen zu ihrem Problem bitten. Wann und wie oft treten Ihre Schlafstörungen auf, wie äußern sie sich, seit wann leiden Sie schon darunter? Wie lange schlafen Sie pro Nacht, wann gehen Sie abends zu Bett, wann stehen Sie morgens auf? Schnarchen Sie? Wie fühlen Sie sich tagsüber? Diese Befragung zur Krankheitsgeschichte bezeichnet man als Anamnese. Als Nächstes sollte abgeklärt werden, ob möglicherweise eine körperliche Erkrankung hinter Ihrem Schlafproblem steckt. So können beispielsweise Schmerzen (etwa aufgrund einer Krebserkrankung oder eines Rücken-
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leidens), Atemwegserkrankungen wie Asthma oder COPD, aber auch Herz-Kreislauf-Leiden den Schlaf empfindlich stören. Bei Atemwegserkrankungen sind es in erster Linie nächtlicher Husten und Atemnot, die die Nacht zur Qual machen. Aber auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen können mit Atemnotanfällen einhergehen. Besonders quälend sind nächtliche Herzrhythmusstörungen mit Herzrasen, aber auch Angina-pectoris-Attacken mit Beklemmungen und Schmerzen im Brustkorb. Bei arteriellen Durchblutungsstörungen aufgrund von verstopften Gefäßen in den Beinen leiden die Patienten im fortgeschrittenen Stadium nicht nur bei Bewegung, sondern auch schon im Liegen unter Schmerzen in den Waden und Oberschenkeln. Auch das vertreibt den Schlaf. Selbst der Magen kann einem durch Sodbrennen (wobei Magensäure in die Speiseröhre zurückfließt, was in liegender Position natürlich besonders leicht passiert) die Nacht zur Qual machen. Hormonelle Störungen wie beispielsweise eine Schilddrüsenüberfunktion führen dazu, dass man hellwach und überaktiv ist und nur schwer in den Schlaf findet. Und nicht zuletzt können auch Harnwegserkrankungen wie z. B. eine vergrößerte Prostata den Schlaf stören, weil man dann nachts oft auf die Toilette gehen muss und danach vielleicht nicht gleich wieder einschläft. Aber es gibt auch psychische Erkrankungen, die sich negativ auf den Schlaf auswirken. Neben den bereits erwähnten Depressionen sind dies vor allem Angststörungen: „Die meisten Panikattacken hat man nachts, wenn man allein im Dunkeln liegt“, weiß Dr. Lederle. Dann machen Angst und Herzklopfen den Schlaf unmöglich. Und bei einer Depression ist die Schlafstörung oft sogar das erste Symptom: „Auf diese Idee kommen die meisten Patienten gar nicht, weil sie einen schlechten Schlaf eben nicht mit psychischen Problemen in Verbindung bringen – sie glauben, bei einer Depression müsse man traurig sein.“ Bei neurologischen Erkrankungen wie beispielsweise einer Demenz geht der normale Schlafwach-Rhythmus verloren, sodass der Patient nachts oft hellwach ist und nicht in den Schlaf findet – ein großes Problem, das pflegenden Angehörigen das Leben schwer macht. All das kann der Arzt erfragen oder durch Untersuchungen herausfinden. Steckt eine körperliche
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oder psychische Erkrankung hinter dem Schlafproblem, so muss diese zunächst einmal behandelt werden. Oft bessert sich dadurch auch der Schlaf. Verschreibt man einem depressiven Patienten beispielsweise Antidepressiva, so wirken diese Medikamente sich in der Regel auch positiv auf seine Schlafstörung aus. Und bei manchen Krankheiten kann der Arzt dem Patienten das Leben auch schon mit einfachen Praxistipps erleichtern. So schlafen Menschen mit Herzschwäche oder nächtlicher Atemnot beispielsweise besser mit erhobenem Oberkörper: etwa, indem sie ein zusätzliches Kissen verwenden oder – noch besser – sich ein Bett mit hochstellbarem Kopfteil anschaffen. Und nicht zuletzt gibt es auch Medikamente, die den Schlaf stören können. Dies gilt beispielsweise für bestimmte Antidepressiva, blutdrucksenkende Arzneimittel und natürlich für alle Mittel, in denen Koffein enthalten ist. In so einem Fall kann der Arzt dem Patienten ein anderes Medikament verschreiben, die Dosis verringern oder ihm raten, das betreffende Arzneimittel nicht abends, sondern lieber morgens oder tagsüber einzunehmen.
Zeigen Sie Schlafkillern die rote Karte! Falls ihr Schlafproblem nicht auf eine körperliche oder psychische Erkrankung zurückzuführen sein sollte, muss nach weiteren möglichen Ursachen gesucht werden. Es gibt eine ganze Reihe von „Schlafkillern“ – Verhaltensweisen, mit denen viele Menschen sich das Ein- und Durchschlafen erschweren, ohne es zu wissen. Deshalb haben wir hier eine Liste der häufigsten Schlafkiller zusammengestellt. Vielleicht ist da ja auch etwas dabei, was Sie selbst immer wieder falsch machen? Keine Sorge: Die meisten dieser Fehler lassen sich leicht korrigieren. • Zunächst einmal sollte man sich um eine lockere und entspannte Einstellung zum Schlaf bemühen. Denn innere Anspannung vertreibt den Schlaf – der Gedanke: „Ich muss jetzt endlich einschlafen, damit ich morgen früh wieder fit und leistungsfähig bin“ ist das beste Rezept für eine schlaflose Nacht. Deshalb sollte man nachts auch sämtliche Wecker und Uhren aus dem Blickfeld verbannen; denn der nächtliche Blick auf die Uhr führt bei vielen Menschen dazu, dass sie sich Sorgen um ihren Schlaf machen. („Jetzt ist es schon halb eins, und ich liege immer noch wach …“)
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• Eine weitere gute Anti-Schlaf-Strategie ist nächtliches Grübeln. Wer abends negative Gedanken wälzt, wird garantiert nicht einschlafen, denn bei innerer Anspannung schießt der Spiegel des Stresshormons Cortisol in unserem Körper in die Höhe: Der Blutdruck steigt, das Herz schlägt schnell, die Atmung wird flacher, und wir sind mit einem Schlag hellwach. • Aus dem gleichen Grund sollten Sie sich auch nicht darüber ärgern, wenn Sie abends nicht gleich einschlafen können oder nachts wach werden. Versuchen Sie entspannt zu bleiben: Der Körper holt sich schon den Schlaf, den er braucht – wenn nicht heute, dann eben morgen. • Viele Menschen haben unrealistische Erwartungen an den Schlaf, was ebenfalls zu innerer Anspannung führt: So glauben sie beispielsweise, man müsse jede Nacht gut schlafen, um fit und leistungsfähig zu bleiben, oder man müsse von
Tipps für das Gespräch mit dem Arzt Nicht jeder Hausarzt fragt seine Patienten danach, wie es um ihren Schlaf bestellt ist. Das darf man den Ärzten nicht übelnehmen – auch ihr Arbeitsalltag wird schließlich immer stressiger. Also scheuen Sie sich nicht, Ihren Arzt darauf anzusprechen, wenn Sie ein Schlafproblem haben! Erstellen Sie vor dem Gespräch eine Liste, in der Sie alles aufnotieren, was Ihnen im Zusammenhang mit Ihrer Schlafstörung wichtig erscheint, und denken Sie dabei auch an mögliche körperliche Ursachen und an die „Schlafkiller“! Listen Sie am besten auch auf, welche Medikamente Sie einnehmen; dieser Aufstellung kann Ihr Arzt entnehmen, ob womöglich Substanzen mit schlafstörender Nebenwirkung darunter sind.
abends bis morgens an einem Stück durchschlafen – obwohl kurze Aufwachepisoden etwas völlig Normales sind. Das Problem beginnt erst dann, wenn man sich über das nächtliche Aufwachen ärgert! • Und man darf auch nicht außer Acht lassen, dass der Schlaf sich mit zunehmendem Alter verändert: Während der Säugling mit 15 Stunden pro Tag am längsten schläft, kommt das Kleinkind bereits mit 10 bis 12 Stunden aus. Der Erwachsene braucht zwischen sechs und neun Stunden; und im Alter verringert sich bei vielen Menschen der Schlafbedarf auf fünf bis sechs Stunden. Außerdem verändert sich auch die Schlafarchitektur im Alter: Der Schlaf wird flacher, man wacht häufiger
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auf, und der Körper schüttet weniger Melatonin aus, was zu einer Schwächung der inneren Uhr führt. Deshalb werden viele ältere Menschen abends früher müde und wachen morgens zeitiger auf – an der scherzhaften Redensart von der „senilen Bettflucht“ ist also tatsächlich etwas dran. Auch die Häufigkeit von körperlichen Erkrankungen und Depressionen, die den Schlaf stören, nimmt im Alter zu. Senioren dürfen also nicht erwarten, immer noch genauso tief, fest und lange zu schlafen wie in ihrer Jugend! • Viele Menschen gönnen sich keine Zeit zum Abschalten und sitzen noch bis kurz vor dem Schlafengehen am Computer, schreiben E-Mails und SMS, nehmen womöglich sogar ihren Laptop oder ihr Smartphone mit ins Bett. Das ist genau die falsche Einstimmung auf eine ruhige, erholsame Nacht.
Werden Sie Ihr eigener Schlaftrainer! Zum Glück kann man eine ganze Menge für einen besseren Schlaf tun. Leichtere Schlafstörungen lassen sich oft schon durch ganz einfache Selbsthilfemaßnahmen überwinden. Experten empfehlen schlafgestörten Menschen, sich an die Regeln der Schlafhygiene und Stimuluskontrolle zu halten, um wieder besser zu schlafen. Schlafhygiene bedeutet nichts anderes, als sich schlaffördernde Verhaltensweisen anzugewöhnen und alles, was den Schlaf stört, abzulegen. Es gibt eine Menge kontraproduktiver Gewohnheiten, die einem selbst vielleicht gar nicht bewusst sind: • Rauchen am Abend macht wach, denn das Nikotin hat eine anregende Wirkung. Untersuchungen zufolge schlafen Raucher generell schlechter als Nichtraucher. Wenn Sie sich Ihr Laster nicht abgewöhnen können oder wollen, versuchen Sie also zumindest in den letzten Stunden vor dem Schlafengehen aufs Rauchen zu verzichten! • Das Gleiche gilt für Alkohol. Viele Menschen nutzen ihn gerne als Sorgenbrecher und Schlummertrunk, doch er taugt weder für das eine noch für das andere. Alkohol wirkt zwar zunächst entspannend, sodass man leichter einschläft. Doch die Schlafqualität leidet darunter: Der Schlaf wird leichter und unruhiger, und man wird – vor allem in der zweiten Nachthälfte – öfter wach, weil jetzt bereits eine Art „Mini-Alkoholentzug“ einsetzt. Also trinken Sie ruhig gelegentlich ein Gläschen Wein
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oder Bier zum Genuss, aber nicht als Schlafmittel! • Man sollte kurz vor dem Schlafengehen auch nicht mehr zu viel essen und keine schweren Mahlzeiten zu sich nehmen. Denn wenn die Verdauung aktiv ist, wirkt sich das ebenfalls negativ auf den Schlaf aus. • Besonders wichtig für Menschen mit einer „schwachen Blase“: Trinken Sie in den Stunden vor dem Schlafengehen nicht zu viel! Decken Sie lieber den größten Teil Ihres Flüssigkeitsbedarfs tagsüber, damit Sie nachts nicht zu oft durch lästigen Harndrang aus dem Schlaf gerissen werden. • In Ihrem Schlafzimmer sollte es möglichst ruhig und dunkel sein. Denn nur bei Dunkelheit schüttet die Zirbeldrüse das Schlafhormon Melatonin aus; bei Helligkeit wird die Melatoninproduktion sofort gedrosselt. • Nachts sinkt unsere Körpertemperatur etwas ab. Das ist eine wichtige Voraussetzung für ruhigen, erholsamen Schlaf. Deshalb sollte es im Schlafzimmer nicht zu warm sein: Schlafexperten empfehlen eine Temperatur um 18 Grad Celsius. Für besonders verfrorene Zeitgenossen dürfen es auch 20 Grad sein – aber nicht mehr! Viele Menschen heizen ihr Schlafzimmer im Winter viel zu stark. • Auch die Luftfeuchtigkeit ist wichtig: Sie sollte zwischen 45 und 60 % liegen, damit die Schleimhäute der Atemwege nicht austrocknen. • Ein bequemes, rückengerechtes Bett sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Matratze, Unterfederung, Kissen und Bettdecke müssen genau aufeinander abgestimmt sein und Ihren individuellen Bedürfnissen entsprechen. Das ist zwar nicht ganz billig, aber eine sinnvolle Investition in Ihre Gesundheit, die sich auf jeden Fall auszahlt! Besonders wichtig ist ein bequemes, qualitativ hochwertiges Bett für ältere Menschen, da diese oft unter Rückenbeschwerden und Gelenkproblemen leiden. Falls Sie Ihr Bett als unbequem empfinden oder darin immer wieder Rückenschmerzen bekommen, lassen Sie sich in einem Bettenfachgeschäft beraten! • Schaffen Sie sich abends vor dem Zubettgehen eine Zeitinsel, in der Sie einfach nur entspannen und abschalten. Gewöhnen Sie sich ein Schlafritual an, das Ihnen Freude macht: Das kann zum Beispiel ein kleiner Spaziergang oder ein entspannendes Bad sein. Vielen Menschen hilft auch
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Mittagsschlaf – ja oder nein? Schlafgestörte sollten auf ein Mittagsschläfchen lieber verzichten. Doch für Menschen, die keine Schlafprobleme haben, wirkt es sich nachweislich positiv aus, sich nachmittags kurz aufs Ohr zu legen: Bei Mittagsschläfern nehmen Konzentration, Wachheit und Leistungsfähigkeit in der zweiten Tageshälfte zu; außerdem haben sie ein niedrigeres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Allerdings sollte der Mittagsschlaf nicht länger als eine Viertelstunde dauern, denn sonst wird zu viel Schlafdruck abgebaut. Außerdem gerät man dann womöglich in eine Tiefschlafphase hinein, aus der man „wie benebelt“ wieder aufwacht. Stellen Sie sich den Wecker oder trinken Sie vorher eine Tasse Kaffee und legen Sie sich erst dann zu Ihrem Schläfchen hin – das Koffein weckt sie spätestens nach 20 Minuten!
Entspannungsmusik, leichter in den Schlaf zu finden. Andere schreiben sich abends alles, was sie an diesem Tag beschäftigt hat, von der Seele und notieren, was am nächsten Tag getan werden muss, um dann ruhig und von allen Sorgen befreit ins Bett gehen und sich auf den Schlaf einlassen zu können. • Treiben Sie regelmäßig Sport (vorzugsweise an der frischen Luft), denn wenn der Körper tagsüber gefordert wird, kann man nachts besser schlafen. Körperliche Aktivität kurz vor dem Schlafengehen ist allerdings kontraproduktiv, denn sie regt Herz und Kreislauf an und führt dazu, dass der Blutdruck in die Höhe schießt. Wer also abends noch ins Fitnessstudio oder eine Runde joggen geht, braucht sich nicht zu wundern, wenn er anschließend kein Auge zubekommt! Mit Stimuluskontrolle ist gemeint, dass wir lernen müssen, Bett und Schlafzimmer wieder mit ihrem eigentlichen Verwendungszweck zu assoziieren: nämlich dem Schlaf. Im Bett wird also nicht gearbeitet, ferngesehen oder gegrübelt, und es werden auch keine E-Mails und SMS geschrieben. Sorgen Sie für eine entspannende Umgebung und verbannen Sie alles aus Ihrem Schlafzimmer, was nichts mit Schlaf und Erholung zu tun hat! Das Bett sollte nur zum Schlafen und für sexuelle Aktivitäten da sein. Wichtig ist auch ein regelmäßiger Schlaf-wachRhythmus, denn der Mensch ist ein Gewohnheitstier: Wenn Sie jeden Tag ungefähr um die gleiche Uhrzeit zu Bett gehen, assoziieren Ihr Körper und Ihr Gehirn diesen Zeitpunkt mit Erholung und Entspannung und stellen sich darauf ein, sodass Sie
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dann um diese Zeit automatisch müde werden. Genauso wichtig sind gleichbleibende Aufstehzeiten – auch am Wochenende! Sie sollten also morgens nicht länger schlafen oder abends zeitiger ins Bett gehen, nur weil Sie in der Nacht davor schlecht geschlafen haben, denn das bringt Ihren Schlaf-wach-Rhythmus durcheinander. Wer schlecht schläft, sollte außerdem auf einen Mittagsschlaf verzichten, auch wenn die Versuchung groß ist, sich mittags ein Nickerchen zu gönnen: Denn dadurch deckt man tagsüber bereits einen Teil seines Schlafbedarfs, und abends ist der Schlafdruck dann nicht mehr so hoch, sodass man womöglich schlecht einschläft. Aus dem gleichen Grund sollte man erst dann ins Bett gehen, wenn man müde ist: Dadurch wird Schlafdruck aufgebaut. Außerdem wird auf diese Weise die Assoziation „Bett = Schlaf und Erholung“ gefestigt. Wenn man ins Bett geht, ohne müde zu sein, ist die Gefahr groß, dass man wachliegt und anfängt, zu grübeln und Probleme zu wälzen. Sollten Sie abends nicht gleich einschlafen können oder nach nächtlichem Aufwachen längere Zeit wachliegen, so versuchen Sie trotzdem ruhig zu bleiben und sich keinen negativen Gedanken hinzugeben. Am besten ist es, in so einer Situation an etwas Schönes zu denken oder eine Entspannungsübung zu machen. Falls Sie trotzdem nicht einschlafen können, sollten Sie aufstehen, in ein anderes Zimmer gehen und sich so lange einer ruhigen, geistig und körperlich nicht zu anstrengenden Tätigkeit widmen, bis Sie müde sind. Erst dann gehen Sie wieder ins Bett.
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Schlafstörungen Was tun, wenn Selbsthilfemaßnahmen nicht ausreichen? Schwere oder chronische Schlafstörungen lassen sich durch Selbsthilfemaßnahmen allein häufig nicht beheben. Bei solchen Problemen ist ärztliche (oft sogar fachärztliche) Hilfe erforderlich. Zum Glück gibt es mittlerweile viele gute Therapieangebote für schlafgestörte Menschen. Anne Greveling enn Ihr Hausarzt bei der Diagnostik bzw. Behandlung Ihrer Schlafstörung nicht weiterkommt, kann er Sie – je nach vermuteter Ursache – an einen Facharzt (beispielsweise einen Schlafmediziner, Neurologen oder HNO-Arzt) überweisen. Außerdem besteht die Möglichkeit einer weiterführenden Diagnostik und Therapie an einer auf Schlafstörungen spezialisierten Klinik oder Fachabteilung. Die meisten Kliniken, die eine schlafmedizinische Abteilung haben, bieten auch eine Schlafsprechstunde oder Schlafambulanz an. In solchen Ambulanzen sind speziell ausgebildete Schlafmediziner (sogenannte Somnologen) tätig, die sich in der Diagnostik und Therapie von Schlafstörungen bestens
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auskennen. Eine solche Schlafambulanz könnte – nach dem Hausarzt – Ihre zweite Anlaufstelle sein, um mehr Klarheit über die Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten Ihres Schlafproblems zu gewinnen. Eine in der Nähe Ihres Wohnorts gelegene Schlafambulanz können Sie einfach im Internet googeln; oder Sie schauen auf der Webseite der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) nach: www.dgsm.de. Dort finden Sie eine nach Postleitzahlen geordnete Liste von Schlaflaboren, die sich auf die Behandlung von Ein- und Durchschlafstörungen spezialisiert haben.
Wieder schlafen lernen: die Schlafschule Einige auf die Behandlung von Schlafstörungen
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spezialisierte Kliniken bieten auch sogenannte Schlafschulkurse an, die sich meist über ein Wochenende, manchmal aber auch über eine ganze Woche erstrecken. Dort erfahren Sie alles Wichtige zum Thema Schlaf und werden über die Ursachen von Schlafstörungen aufgeklärt. Außerdem erlernen Sie schlaffördernde Verhaltensweisen und Entspannungsverfahren; manche Schlafschulleiter geben sogar wertvolle Tipps zur Stressbewältigung. Die Schlafmediziner, die diese Kurse leiten, nehmen sich für die Teilnehmer viel Zeit; oft sind auch Einzelgespräche möglich, in deren Rahmen Sie vielleicht bereits der möglichen Ursache Ihres Schlafproblems auf die Spur kommen und wertvolle Tipps erhalten. Das Schwergewicht der Kurse liegt auf der Vermittlung nicht-medikamentöser Behandlungsmaßnahmen; doch natürlich werden die Teilnehmer dort auch über Schlafmittel und den richtigen Umgang damit informiert. Nähere Informationen über solche Angebote erhalten Sie bei den bereits erwähnten auf Insomnien spezialisierten Schlaflaboren oder auch bei Ihrer Krankenkasse. Manche Kassen beteiligen sich sogar an den Kosten für solche Schlafschulkurse!
Wenn alles nichts hilft: stationäre Behandlungsprogramme Für Patienten mit schweren oder chronischen Insomnien gibt es die Möglichkeit, an einem stationären Diagnostik- und Behandlungsprogramm teilzunehmen. Auch solche Programme werden von manchen Schlafkliniken oder schlafmedizinischen Abteilungen von Krankenhäusern angeboten. Sie umfassen teilweise ähnliche Inhalte wie die Schlafschulen, sind aber sehr viel intensiver; bei Bedarf findet im Rahmen eines solchen stationären Programms auch eine genaue Untersuchung im Schlaflabor statt, oder der Patient wird von seinem bisherigen Schlafmittel auf ein anderes, geeigneteres Medikament umgestellt.
Wann ist eine Untersuchung im Schlaflabor erforderlich? Bei bestimmten Schlafstörungen kann nur eine Untersuchung im Schlaflabor (Polysomnografie) letzten Aufschluss oder endgültige Sicherheit geben. Dazu muss der Patient ein bis zwei Nächte im Schlaflabor übernachten, und es werden verschiedene Untersuchungen durchgeführt: u. a. ein EEG
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zur Messung der Hirnströme, ein EKG zur Aufzeichnung der Herzaktivität, eine Messung der nächtlichen Beinbewegungen, verschiedene Untersuchungen zur Erfassung von Atmung, Atembewegungen und Schnarchgeräuschen und eine Pulsoxymetrie zur Messung der Sauerstoffsättigung des Blutes. Bei Ein- und Durchschlafstörungen ist eine Untersuchung im Schlaflabor normalerweise nicht notwendig; diese Diagnose kann der Arzt oder Schlafmediziner in der Regel bereits anhand der von Ihnen geschilderten Symptome stellen. In manchen Fällen steckt hinter einer vermeintlichen Insomnie aber auch etwas anderes: Manchmal äußert eine Schlafapnoe (krankhaftes Schnarchen mit Atemaussetzern) sich beispielsweise nur durch unruhigen Schlaf und häufiges nächtliches Aufwachen; von seinem lauten Schnarchen und seinen Atemstillständen bekommt der Schläfer oft gar nichts mit (sofern er nicht von seinem Bettpartner darauf aufmerksam gemacht wird). Und dann gibt es auch noch das Restless Legs Syndrom, das sich in – vor allem abends und nachts auftretenden – Missempfindungen und Bewegungsdrang in den Beinen und Füßen äußert: Auch solche Patienten merken manchmal gar nichts von ihrer eigentlichen Erkrankung (den unruhigen Beinen), sondern haben einfach nur das Gefühl, schlecht zu schlafen. Hier kann eine Untersuchung im Schlaflabor Klarheit bringen, denn bei solchen Problemen helfen die üblichen Behandlungsmaßnahmen gegen Einund Durchschlafstörungen nichts.
Goldstandard in der Behandlung von Schlafstörungen: die kognitive Verhaltenstherapie Oft ist bei Schlafproblemen eine Verhaltenstherapie oder Psychotherapie erforderlich. Am häufigsten wird in der Behandlung von Insomnien die kognitive Verhaltenstherapie eingesetzt, da sie sich in solchen Fällen am meisten bewährt hat. Dabei geht es darum, Gedanken, Einstellungen, Bewertungen und Überzeugungen (sogenannte „Kognitionen“), die dem Schlaf nicht förderlich sind, zu verändern. Gemeinsam mit dem Patienten erarbeitet der Therapeut die psychischen und physischen Ursachen seiner Schlafstörung, analysiert seine Problem in der Bett-, meist aber auch in der Tagessituation und übt mit ihm spezielle schlaffördernde Metho-
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den und Entspannungsverfahren ein. Alle bereits erwähnten Therapieangebote (Schlafschulen, stationäre Behandlungsprogramme etc.) umfassen Elemente dieser kognitiven Verhaltenstherapie. Doch bei schwereren Schlafstörungen ist es oft sinnvoll, wenn der Patient sich dieser Therapie nicht innerhalb einer Gruppe unterzieht, sondern eine Einzelbehandlung bei einem Psychotherapeuten oder Somnologen erhält, weil auf diese Weise viel individueller auf seine Probleme eingegangen werden kann. Bei schwerwiegenderen psychischen Problemen (zum Beispiel, wenn die Insomnie mit einer Depres-
sion oder Angststörung einhergeht) kann auch eine Psychotherapie oder – in selteneren Fällen – eine Psychoanalyse angezeigt sein. Adressen von Therapeuten, die sich auf Ihre Problematik (Schlafstörung, Depression etc.) spezialisiert haben, erhalten Sie bei Ihrem Hausarzt, der die Therapieangebote vor Ort in der Regel am besten kennt: Viele niedergelassene Ärzte arbeiten mit Psychotherapeuten zusammen, an die sie ihre Patienten bei Bedarf überweisen. Falls Ihr Hausarzt nicht weiterweiß, können Sie sich an Ihre Krankenkasse oder an die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) wenden.
Entspannungstechniken stimmen Sie auf die Nacht ein Entspannung ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für guten Schlaf. Menschen mit Schlafstörungen müssen oft erst mühsam wieder lernen, sich zu entspannen, da sie unter einer permanenten inneren Anspannungshaltung leiden – sie stehen gewissermaßen „ständig unter Strom“. Marion Zerbst um Glück gibt es mittlerweile so viele verschiedene Entspannungsverfahren, dass garantiert für jeden etwas Passendes dabei ist. Manchen Menschen reicht es schon, abends eine Duftkerze anzuzünden und sich eine CD mit Meeresrauschen oder Entspannungsmusik anzuhören. Andere tun sich mit dem Entspannen schwerer; für sie gibt es CDs und Kurse, in denen man die verschiedensten Entspannungstechniken systematisch erlernen kann. Hier ein kurzer Überblick über die bekanntesten und bewährtesten Methoden:
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Schicken Sie Ihre Fantasie auf die Reise Für dieses Verfahren braucht man nicht unbedingt einen Kurs, eine CD oder ein Buch als Anleitung: Fantasiebegabten Menschen gelingt es auch ohne Hilfestellung. Es gibt aber zahlreiche Entspannungs-CDs mit gesprochenen Anleitungen, die Ihnen helfen, sich in die richtige Stimmung für eine Fantasiereise zu versetzen. Dabei malt man sich in Gedanken etwas Schönes aus, zum Beispiel einen Spaziergang, einen erholsamen Tag an einem Strand usw. Wichtig ist, sich dieses Erlebnis in Echtzeit vorzustellen. Das
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heißt, wenn man sich einen Spaziergang ausmalt, der in der Realität eine halbe Stunde dauern würde, sollte sich auch die Fantasiereise über diesen Zeitraum erstrecken, und man sollte versuchen, sich den Spaziergang in allen Details vorzustellen: jeden Baum, jeden Strauch, jede Blume am Wegesrand. Wichtig ist auch, dass man dabei möglichst alle Sinne mit einbezieht: Man konzentriert sich nicht nur darauf, was man sieht, sondern auch auf Geräusche, Gerüche, Geschmack und Tastsinn. Sie hören bei Ihrem Waldspaziergang also beispielsweise das Rauschen der Bäume und das Gezwitscher der Vögel; der Duft des feuchten Waldbodens und der Tannennadeln steigt Ihnen in die Nase; Sie spüren, wie die Zweige eines am Wegrand stehenden Baumes über Ihre Arme streichen; und vielleicht haben Sie auch den Geschmack der Walderdbeeren auf der Zunge, die Sie unterwegs pflücken. Das gelingt allerdings – wie übrigens bei allen Entspannungsübungen – nicht gleich auf Anhieb: Am Anfang werden sich immer wieder unerwünschte Gedanken dazwischenschieben. Das ist völlig normal. Wichtig ist nur, sich nicht darüber
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aufzuregen, sonst ist es mit der Entspannung vorbei. Nehmen Sie diese Gedanken wahr und akzeptieren Sie sie, aber verfolgen Sie sie nicht weiter – sagen Sie sich: „Okay, ich denke später darüber nach.“ Und dann setzen Sie Ihre Fantasiereise einfach an der Stelle fort, bis zu der Sie gekommen waren, ehe der störende Gedanke Sie davon abgelenkt hat; und falls Sie aus dem Konzept gekommen sein sollten, fangen Sie einfach noch einmal von vorne an. Denn wenn Sie einen störenden Gedanken zu krampfhaft zu verdrängen versuchen, wird er erst recht immer wiederkehren. Mit zunehmender Übung werden immer weniger ablenkende Gedanken in Ihnen aufsteigen.
Autogenes Training: Entspannung durch Selbstsuggestion Das autogene Training wurde im Jahr 1932 von dem Nervenarzt Johannes Heinrich Schultz entwickelt. Schultz praktizierte mit seinen Patienten häufig Hypnose und stellte dabei fest: Wenn sie wieder aus dem Hypnosezustand erwachten, waren sie ganz locker und entspannt; ihre Arme und Beine waren schwer. Also dachte er: Wenn Hypnose durch Fremdanleitung möglich ist, müsste man sich doch eigentlich auch selbst in einen Zustand der Entspannung versetzen können. Das funktioniert tatsächlich, und zwar nach dem Prinzip der Autosuggestion: Man redet sich ein, dass man immer ruhiger und entspannter wird. Sie alle kennen die negative Wirkung der Autosuggestion: Schon durch den bloßen Gedanken an eine stressige Situation verkrampfen Sie sich innerlich, werden aufgeregt und bekommen Herzklopfen, sodass Sie nicht mehr schlafen können. Beim autogenen Training können Sie sich die positive Wirkung der Autosuggestion zunutze machen. Schultz stellte die These auf, dass durch Autosuggestion körperliche, geistige und seelische Veränderungen entstehen. Das ist mittlerweile auch wissenschaftlich erwiesen. In verschiedenen Studien hat man festgestellt, dass beim autogenen Training tatsächlich körperliche Veränderungen eintreten: So sinken beispielsweise Herzfrequenz und Puls. Man kann das autogene Training entweder in Rückenlage praktizieren oder dabei die so genannte Droschkenkutscherhaltung einnehmen: Dazu setzt man sich auf einen Stuhl, legt die Hände
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in den Schoß und lässt den Kopf nach unten hängen. Dann suggeriert man sich nacheinander verschiedene formelhafte Vorsätze, zum Beispiel Ruhe-, Schwere- und Wärmeempfindungen im ganzen Körper. Das autogene Training führt, wenn man es richtig beherrscht, zu einem Zustand psychischer und körperlicher Entspannung, lindert Ängste und Erregungszustände und wird daher unter anderem bei Stress, Schlafstörungen und Muskelverspannungen eingesetzt.
Körperliche und seelische Spannungen abbauen: die progressive Muskelrelaxation Das Verfahren der progressiven Muskelentspannung (auch progressive Muskelrelaxation oder Tiefenmuskelentspannung genannt) wurde um dieselbe Zeit entwickelt wie das autogene Training (1929), und zwar von dem amerikanischen Internisten Edmund Jacobson. Er ging von der Grundannahme aus, dass psychische Erregung und Anspannung sich in muskulärer Verspannung ausdrücken. Wird die Muskelverspannung gelöst, so löst sich auch die psychische Anspannung. Die Wirksamkeit dieses Verfahrens ist wissenschaftlich nachgewiesen, ähnlich wie beim autogenen Training: Herzschlag und Puls verringern sich. Der Zustand der Entspannung, den man dadurch erreicht, ist also körperlich messbar. Bei der progressiven Muskelrelaxation spannt man nacheinander einzelne Muskelgruppen an, hält die Spannung kurz (etwa für sieben Sekunden) und entspannt die Muskulatur dann wieder. In der Regel beginnt man mit dem rechten Arm: Man spannt zunächst die Muskeln von Hand und Unterarm an und entspannt sie dann wieder; dann kommt der Oberarm dran, und dann praktiziert man das Gleiche mit dem linken Arm. Anschließend macht man mit Kopf und Gesicht, Rumpf und Beinen weiter. Das Prinzip dieses Verfahrens: Durch die vorangegangene Anspannung spürt man die Entspannung hinterher viel deutlicher. Wichtig ist allerdings, dass man während des Anspannens der Muskulatur gleichmäßig weiteratmet; denn wenn man dabei die Luft anhält, verkrampft man sich.
CD, um sie zu erlernen, und der Entspannungszustand tritt schon innerhalb von ein paar Minuten ein. Machen Sie es sich bequem, schließen Sie die Augen und beobachten Sie ganz einfach Ihren Atem. Tun Sie sonst nichts – Sie wollen Ihre Atmung in keiner Weise beeinflussen, sondern sich nur auf den natürlichen Atemrhythmus konzentrieren. Schon nach kurzer Zeit wird Ihre Atmung dadurch automatisch langsamer, die Pausen zwischen Ein- und Ausatmen werden länger, und ein Gefühl der Ruhe breitet sich in Ihrem ganzen Körper aus. Genießen Sie dieses sanfte Wechselspiel von Ein- und Ausatmen; denken Sie dabei vielleicht an Meereswellen und lassen Sie sich von diesem angenehmen Rhythmus ganz tief in Ihr Innerstes tragen. Verweilen Sie dort, solange Sie wollen. Um noch tiefer in den Entspannungszustand hineinzukommen, können Sie dazu eine CD mit Meeresrauschen abspielen. Diese Übung eignet sich übrigens auch sehr gut für die schnelle Bewältigung akuter Stresssituationen. Man weiß, dass die Atmung großen Einfluss auf die Befindlichkeit des Menschen hat, und umgekehrt: Wer Angst hat oder innerlich angespannt ist, beginnt schnell und flach zu atmen. Wenn man dagegen entspannt ist, atmet man ganz langsam, ruhig und gleichmäßig. Ziel einer Atemübung ist es daher, über die Atmung unseren Gemütszustand zu beeinflussen und innerlich wieder ruhig und entspannt zu werden, indem wir tief durchatmen.
Entstressen Sie Ihren Tag! All diese Entspannungsmethoden können – und sollen – Sie übrigens nicht nur abends und nachts, sondern bei Bedarf auch tagsüber praktizieren. Denn Stress bei Tage wirkt bis in die Nacht hinein. Durch die „Entstressung“ Ihres Alltags leisten Sie also auch einen wichtigen Beitrag zu einer erholsameren Nachtruhe! Gönnen Sie sich tagsüber immer wieder kleine Inseln der Erholung. Gewöhnen Sie sich an, die kleinen Freuden des Lebens zu genießen, und entspannen Sie sich zwischen den Arbeiten und den Pflichten des Alltags öfter einmal.
Atemmeditation Diese Technik erfordert wenig Übungsaufwand, Sie brauchen auch nicht unbedingt ein Buch oder eine
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PRIV VATĂ„RZTLIC Ă„ HE TAGESKLINIK UND AMBUL ANZ IM HERZEN S TUTTGARTS Behandlungsschwerpunkte
Moderne Medizin in historischem Ambiente
‡ Stresserkrankungen und Leistungseinbruch in n Folge von Belastung (z. B. „Burnout“) ‡ akute berufliche und private Krisensituationen n ‡ Depressionen und Ă„ngste ‡ stressbedingte KĂśrperbeschwerden ‡ EssstĂśrungen ‡ Folgen psychischer Traumatisierung ‡ akute Krisensituationen
MaĂ&#x;geschneider te und ef fektive Therap pie
Alles unter einem Dach Orthopädie
‡ flexibles Setting: Auszeit aus dem Beruf oder Therapie, die in den Alltag integrierbar ist ‡ maĂ&#x;geschneider te Behandlung in Intensität u und Frequenz ‡ groĂ&#x;es Spektrum der Therapiemethoden
Prophylaxe, Coaching, Check-up
Schmerztherapie
‡
Naturheilverfahren Ambulante Rehabilitation
‡ ‡
esilienzErstellung eines individuellen Stress- und Re status mit Aktionsplan Coaching und Training Stressmanagement
Kompetenzzentrum fßr Beratung und Fßhrungskräfte-Coaching
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Die tägliche Begleitung
Was ist das eigentlich – Stress? Stress begleitet uns von morgens bis abends. Die Straßenbahn verspätet sich. Man schaut auf die Uhr, man kommt zu spät ins Büro. Der Lift steckt fest und man hetzt schon wieder fünf Stockwerke hoch und kommt schweißgebadet im Meeting an. Alles Stress. Das Finanzamt mahnt die letzte Vorauszahlung an und das Konto ist leer. Der Stress kostet uns den Schlaf. Man liegt im Bett und wälzt die täglichen Probleme im Bett von einer Seite zur anderen. Der Schlaf verweigert sich beharrlich. Doch der Morgen droht. Schnell kommt Panik auf und der grauenvolle Gedanke, wie denn der morgige Tag sein wird, mit Kopfweh, Müdigkeit, Depression. tress begleitet uns als treuer Gefährte moderner Zeiten. Eine Umfrage der Techniker Krankenkasse durch das Meinungsforschungsinstitut Forsa unter 1000 deutschsprachigen Erwachsenen im Zeitraum vom 5. bis 17. September 2013 zu ihrem Stressniveau, hat ergeben, dass 57 % der Bevölkerung häufig oder manchmal unter Stress, 29 % selten und nur 13 % nie unter Stress leiden. Frauen fühlen sich erstaunlicherweise mit 63 % häufiger gestresst als Männer (52 %).
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Doch was versteht man unter Stress? Stress ist nichts anderes als eine uralte Reaktion des Körpers und der Psyche auf eine lebensbedrohende akute Gefahr. Stress kannten schon unsere Vorfahren. Ein Raubtier jagt hinter einem Gruppenmitglied her. Oder der Wald steht in Flammen und die Menschen müssen fliehen. Auf solche akute Notfallsituationen muss der Körper sofort reagieren können. Es geht um nichts anderes als um das Überleben. Dazu braucht der Körper alle verfügbare Energie, um die Muskulatur zur Höchstleistung zu befähigen. Der Kopf muss hell wach sein. Und der Organismus reagiert im Notfallmodus extrem pragmatisch. Die Leber schüttet Zucker aus, Herz oder Kreislauf laufen auf Hochtouren, das Blut jagt durch die
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Gefäße, das Gehirn erbringt Höchstleistung, das Immunsystem schaltet dafür ein paar Stufen zurück. Im akuten Notfall wird es nicht gebraucht. Infektionen können später bekämpft werden. Auch die Verdauung und die Fortpflanzung haben jetzt das Nachsehen. Alle im Körper verfügbare Energie wird den Organen zur Verfügung gestellt, die unmittelbar reagieren müssen. Einziges Ziel ist das Überleben. In akuten Notfallreaktionen schüttet der Körper die Stresshormone Cortisol und Adrenalin aus. Diese beschleunigen die Herztätigkeit und erhöhen den Blutdruck, ebenso den Blutzuckerspiegel, damit die Muskulatur zur Höchstleistung fähig ist. Dagegen werden Organfunktionen, die nicht unmittelbar lebensnotwendig sind, zurückgefahren. Etwa die Verdauung: Wird diese jedoch ständig durch chronischen Stress eingeschränkt, können Magengeschwüre entstehen. Die Wissenschaft vermutet sogar, dass chronischer Stress bösartige Tumoren fördert. Das trifft auch für das Immunsystem zu: Wird es ständig unterdrückt, kann seine Fähigkeit eingeschränkt ein, gegen die Entstehung bösartiger Tumore anzugehen. In einer akuten Notsituation vernachlässigt der Organismus auch die Versorgung der Reproduktionstätigkeit. Wird diese durch chronischen Stress ständig benachteiligt, kommt es zur Einschränkung der Fruchtbarkeit oder Zeugungsfähigkeit. Stress ist in Notfallsituationen absolut notwendig. Wird Stress jedoch zum Dauerzustand, wirkt sich dies nachteilig auf die körperliche und geistige Gesundheit aus. Ein Beispiel für „guten“ Stress: Der Lift funktioniert nicht und Sie müssen mehrere Stockwerke die Treppe bewältigen. Verschwitzt kommen Sie
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oben am Ziel an. Dies ist keinesfalls Stress, sondern eine körperliche Anstrengung und diese sorgt dafür, Stress abzubauen. Stress ist nichts anderes als das Fehlen von Kontrolle. Manfred Spitzer beschreibt in seinem Buch „Cyberkrank“ einen Tierversuch, der verdeutlicht, was Stress ist, wie Stress wirkt. In einem Käfig sitzt eine Ratte und erhält ab und zu über den Drahtfußboden einen kleinen elektrischen Schock. Da der Schock schmerzt, versucht das Tier ihn zu vermeiden. Im Käfig ist eine kleine elektrische Lampe montiert, die immer kurz vor dem Elektroschock aufleuchtet. Im Käfig befindet sich eine Taste, die die Ratte drücken muss, sobald die Lampe aufleuchten. Tut sie dies rechtzeitig, so vermeidet sie den elektrischen Schock. Die Ratte lernt schnell und schafft es, die Taste zu drücken und so den Schock zu vermeiden. Im Nachbarraum gibt es einen weiteren Käfig mit einer zweiten Ratte. Die Tiere sehen sich gegenseitig nicht. Bekommt die erste Ratte einen Schock, weil sie zu langsam war und die Taste nicht betätigen konnte, so erhält auch die zweite Ratte im anderen Käfig einen Schock. Doch diese Ratte kann nichts dagegen tun; sie ist von der ersten Ratte abhängig, denn in ihrem Käfig ist weder eine Lampe, noch eine Taste montiert. Sie kann also an ihrem Geschick nichts ändern und braucht deshalb auch nicht ständig innerlich auf der Hut zu sein. Welche Ratte erlebt nun aufgrund ihrer besonderen Lebensbedingungen Stress? Die erste Ratte, die an ihrem Geschick etwas ändern kann, wenn Sie ständig auf die Lampe achtet, die den Schock
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ankündigt? Oder die zweite Ratte, die den unvorherzusehenden Schock aushalten muss? Man hat die Konzentration von Stresshormonen im Blut der Tiere gemessen und herausgefunden, dass nur die zweite Ratte unter Stress steht. Sie leidet unter dem Gefühl, den Schocks machtlos ausgeliefert zu sein. Wenn wir wissen, dass wir keine Einwirkungsmöglichkeit haben, löst das bei uns wie bei der Ratte chronischen Stress aus. Stress entsteht also immer dann, wenn uns die Kontrolle abhanden kommt. Im Zeitalter der digitalen Informationstechnik sind wir von einer Flut an Informationen umstellt. Wir können nichts dagegen tun. Bedingt nun dieser Information-Tsunami Stress? Weshalb fühlen wir uns überlastet? Unser Gehirn schützt sich automatisch vor Überlastung. Die Tatsache aber, dass wir keine Kontrolle über diese Informationsflut haben, setzt uns unter Stress. Kontrollverlust bedeutet Stress. Wir sind nicht mehr Herr über unser Geschick, die Informationsflut um uns herum erschlägt uns gewissermaßen. Wenn Manfred Spitzer behauptet, dass der moderne Mensch als Folge des digitalisierten Lebens unter Einsamkeit, Angstzuständen und Stress leide, dann trifft er den Kern unserer heutigen Lebenssituation. Wir haben zwar sehr viel mehr Freizeit als unsere Vorfahren, wir haben viel Spaß und Zerstreuung, doch wir durchschauen die Zusammenhänge nicht mehr. Wir haben die Fähigkeit eingebüßt, gegenzusteuern. Wir sind der Fremdbestimmung ohnmächtig ausgeliefert. Und das schlägt sich nieder als permanenter Stress.
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Meisterhafte Hernien-Chirurgie Eine Hernie ist der Austritt von Eingeweiden aus der Bauchhöhle durch eine angeborene oder erworbene Lücke in den tragenden oder begrenzenden Gewebeschichten. Volkstümlich bezeichnet man dies schlicht als Eingeweidebruch. Als es weder die Narkose noch Asepsis gab, waren die Eingriffe der Wundbader lebensbedrohend. Heute ist eine solche Operation dank der minimalinvasiven Technik sehr sicher. Vom Chirurgen wird nach wie vor eine große Kunstfertigkeit gefordert. Wir sprachen mit der Ärztlichen Direktorin und Chefärztin der Allgemein- und Viszeralchirurgie des Diakonie-Klinikums Stuttgart, Dr. med. Barbara Kraft. Frau Dr. Kraft, Sie sind mit den minimalinvasiven Operationstechniken groß geworden? Dr. Kraft: Ja, das stimmt. Aber ich hatte auch die Möglichkeit, viele offene Operationen durchzuführen. Das ist von großem Vorteil. Junge Chirurgen haben heute nur wenig Erfahrung mit der konventionellen Chirurgie, die immer noch eine gewisse Bedeutung hat. Eine Hernie ist ein Eingeweidebruch infolge einer Schwachstelle in der Bauchwand. Unter
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welchen Umständen kommt es dazu, entwickelt sich diese Situation langsam oder kann das plötzlich kommen? Dr. Kraft: Hernie ist ein sehr weiter Begriff – dazu gehören Leistenhernien mit Unterarten, Bauchwandhernien, Zwerchfellhernien, Nabelbrüche, Narbenbrüche – das alles fällt unter den Begriff Hernie. Eine Hernie ist vereinfacht gesprochen der Austritt von Eingeweide durch eine Öffnung in der Bauchwand. Diese Öffnung oder dieser Bruch kann erworben werden oder angeboren sein.
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Angeborene Hernien entstehen durch unvollständigen Bauchdeckenschluss während der Entwicklung des Fetus im Mutterleib. Erworbene Hernien entstehen durch Schwachstellen in der Bauchwand bei Bindegewebsschwäche, die sich mit zunehmendem Alter verstärken kann. Eine weitere Ursache ist die chronische Drucksteigerung im Bauchraum, beispielsweise durch ständiges Husten, chronische Verstopfung oder häufiges Heben schwerer Lasten. Patienten mit chronischer Bronchitis, mit Übergewicht, Schwangere oder Paketfahrer können also in eine Situation kommen, bei der aus einer Schwachstelle in der Bauchwand ein Bruch werden kann. Wie bemerke ich, dass ich einen Bruch habe? Was sind die Symptome? Dr. Kraft: Bleiben wir einmal beim Leistenbruch: Ein Leistenbruch bereitet keine Schmerzen. Man bemerkt ihn, wenn man beim Duschen an sich herunterschaut und eine Beule in der Leiste entdeckt. Drückt man darauf, ist die Beule weg, lässt man los, kommt die Beule wieder. Nach der Nachtruhe ist die Beule weg, wenn man tagsüber viel läuft oder wandert, ist die Beule wieder da. Schmerzhaft wird eine Hernie dann, wenn sie sich einklemmt. Bei einer Hernie gibt es immer eine sogenannte Bruchpforte und einen Bruchsack; die Bruchpforte ist die Öffnung in der Bauchwand, der Bruchsack ist die Ausstülpung des Bauchfells. Wenn die Bruchpforte relativ eng ist, dann kann Darm- oder Bauchinhalt oder Fettgewebe durchtreten, sich einklemmen und nicht mehr zurückgedrückt werden. Das ist dann schmerzhaft. Wenn sich eine Dünndarmschlinge in einen Bruch hineinwölbt und einklemmt kann es passieren, dass die Durchblutung dieser Dünndarmschlinge gestört ist und diese absterben kann. Dann gelangen Darmkeime nach außen und es kann zur Bauchfellentzündung und zu lebensbedrohlichen Situationen kommen. Dann ist ein Noteingriff nötig. Wann sollte man einen Bruch geplant operieren? Dr. Kraft: In den medizinischen Fachgesellschaften diskutiert man darüber, ob man jeden Bruch gleich operieren muss oder ob eventuell das sogenannte „watch and wait-Verfahren“, also beobachten und abwarten, besser ist. Es gibt allerdings Statistiken
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und Studien die zeigen, dass bei diesem Verfahren ein großer Teil der Patienten später doch operiert werden muss. Also man kommt nicht drum rum, ein Bruch repariert sich nicht von alleine? Dr. Kraft: Ein Bruch heilt von selbst nicht mehr. Aber man kann einen Bruch jahrelang ohne irgendwelche Beschwerden haben. Die Entscheidung, ob ein Bruch operiert werden muss, hängt davon ab, ob er Beschwerden macht und ob er sich schon einmal eingeklemmt hat. Bei Einklemmungsbeschwerden oder wenn tatsächlich eine Einklemmung vorliegt, muss auf jeden Fall operiert werden. Und dann ist ein Kriterium, wie groß die Bruchpforte, also die Öffnung im Verhältnis zum Bruchsack ist. Wenn ein Bruch über Jahre konstant ganz flach und klein ist, dann kann man warten. Bei einer weiten Bruchpforte mit einem kleinen Bruchsack, der leicht wieder zurückgeht, kann man auch zuwarten. Wenn man aber eine enge Bruchpforte hat, dann muss dringend operiert werden, ebenso bei einem Bruch, der rasch größer wird. Wie wird ein Bruch diagnostiziert, wie finden Sie die Bruchstelle? Dr. Kraft: Das beste Diagnosegerät ist der tastende Finger. Viele Brüche kann man schon mit bloßem Auge erkennen. In der Untersuchung wird der Patient abgetastet. Er muss husten oder pressen um zu sehen, ob sich der Bruch vorwölbt. Danach kann ich feststellen, ob er wieder reponiert werden kann oder nicht. Das kann ich beim Tasten ermitteln. Manche Brüche sind nicht so eindeutig zu ertasten, vor allem die, die sich entlang des Leistenkanals in Richtung Hoden entwickeln. Wenn durch die Tastuntersuchung nicht eindeutig zu klären ist, ob ein Bruch vorliegt, mache ich einen Ultraschall. Mit dem Ultraschall kann ein Bruch fast immer eindeutig festgestellt werden. Es gibt ja noch andere Brucharten, z. B. den Nabelbruch. Sind diese weniger häufig als der Leistenbruch? Dr. Kraft: Der Leistenbruch ist der häufigste. Aber auch Nabelbrüche kommen oft vor, wie man bei einem Freibadbesuch unschwer erkennen kann. Ein Nabelbruch bei Neugeborenen ist fast normal und
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Meine chirurgische Ausbildung habe ich im Marienhospital in der Viszeralchirurgie unter Prof. Bittner gemacht. Das war die Zeit, in der die minimalinvasiven Operationstechniken gerade entstanden. Prof. Bittner hat sich in diesem Bereich stark engagiert und wir haben gemeinsam verschiedene Operationstechniken entwickelt. Begonnen hat es mit der Gallen-OP, schnell kam der Leistenbruch dazu und dann die Dickdarmoperationen. Meine eigene Entwicklung lief also parallel zur Weiterentwicklung der minimalinvasiven Operationen. Bis 2009 war ich lange Jahre leitende Oberärztin am Marienhospital und wechselte dann als Chefärztin ans Bethesda-Krankenhaus. Dort existierte zuvor nur die Unfallchirurgie, also haben wir die viszeralchirurgische Abteilung aufgebaut, spezialisiert auf minimalinvasive Operationen und hier insbesondere auch die Hernien-OPs. Im Juli 2014 wurde ich ins Diakonie-Klinikum Stuttgart berufen als ärztliche Direktorin der Gesamtchirurgie und Chefärztin der Allgemein- und Viszeralchirurgie. Dr. med. Barbara Kraft Chefärztin Allgemein- und Viszeralchirurgie, Fachärztin für Allgemein- und Viszeralchirurgie Diakonie Klinikum Stuttgart Rosenbergstraße 38, 70176 Stuttgart
bildet sich innerhalb der ersten ein, zwei Jahre häufig zurück. Wenn er nicht allzu groß ist, muss man nicht unbedingt sofort operieren. Wenn er im Erwachsenenalter noch da ist, sollte operiert werden, denn auch bei sehr kleinen Nabelbrüchen kann sich Fett oder eine Darmschlinge einklemmen. Ist der Eingriff kompliziert? Eine Leistenhernie kann ja prinzipiell jeder Viszeralchirurg operieren. Ist es sinnvoll, dass man zu einem Chirurgen geht, der eine große Expertise hat, Stichwort Mindestmenge? Dr. Kraft: Ein Leistenbruch ist eine Operation, die seit Jahrzehnten, ja Jahrhunderten sehr häufig gemacht wird. In dieser Zeit hat sich natürlich viel weiterentwickelt. Früher hat man beim Leistenbruch immer einen Schnitt von außen gemacht und die Bruchpforte mit Fäden vernäht. Bei dieser Ope-
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ration hat man unter Spannung den Bauchmuskel ans Leistenband genäht. Die Patienten hatten ziemlich große Schmerzen und auch ein relativ großes Rückfallrisiko. Dann hat sich eine Nahttechnik entwickelt, bei der nur die Fascia transversalis gedoppelt wurde, das war die Shouldice-Technik. Danach kam die Netztechnik, die sogenannte Lichtenstein-Technik, mit dem Einsatz eines stützenden Netzes von außen. Wir haben das mit unserer minimalinvasiven Technik so verfeinert, dass wir das Netz heute von innen einlegen. Dazu ein anschauliches Beispiel: Wenn Sie sich einen Wassereimer vorstellen, der ein Loch hat, dann kann man von außen ein Tuch dagegen drücken, damit das Wasser nicht rausläuft. Das erfordert Energie und Kraft, weil man dagegen drücken muss. Oder ich kann einen Flicken von innen einlegen. Durch die Wassersäule wird der Flicken automatisch gegen das Loch gedrückt. So funktioniert unsere Technik. Bei dieser sogenannten TAPP-Hernioplastik (transabdominelle präperitoneale Patchplastik) wird das Netz durch den Druck von innen automatisch an Ort und Stelle gehalten; deshalb ist das auch eine spannungsfreie Technik. Diese Netztechnik wurde in Fachkreisen anfänglich kritisch gesehen? Dr. Kraft: Es hat schon eine Zeit gedauert bis klar war, dass wir mit der TAPP-Technik die Rezidivraten von zuvor 10 bis 15 % auf deutlich unter 1 % minimieren konnten; in unserer Klinik sind wir sogar deutlich unter 0,5 % und das ist doch ein großer Gewinn für den Patienten. Die Technik wurde vor allem deshalb kritisiert, weil sie, im Gegensatz zur offenen Operation, die in Lokalanästhesie gemacht wird, eine Vollnarkose benötigt. Außerdem muss man mit den laparoskopischen Geräten durch den Bauchraum und könnte dort rein theoretisch Bauchorgane verletzen. Aber mit unserer großen Erfahrung haben wir das Risiko des Zugangs absolut minimiert, deshalb überwiegen die Vorteile eindeutig. Wird die Netztechnik heute grundsätzlich in der Chirurgie angewandt oder nur in einzelnen Zentren? Dr. Kraft: Es gibt die Leitlinie der Hernien-Gesellschaft und diese sagt, dass bei jedem erwachsenen Menschen eine Netztechnik angewandt wer-
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So viel. So nah. den sollte, entweder von außen mit der Lichtenstein-Technik oder von innen mit der TAPP-Technik, aber ein Leistenbruch sollte immer mit Netz versorgt werden.
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Was sind die postoperativen Beschwerden nach der TAPP-Methode? Dr. Kraft: Die Beschwerden nach einer TAPP-Operation sind relativ gering. Die Patienten haben manchmal einen leichten Schmerz an dem etwa 1 cm langen Schnitt am Nabel. In der Leiste spüren die meistens nichts. Oft wissen die Patienten nach kurzer Zeit gar nicht mehr, ob sie rechts oder links operiert wurden. Die Patienten dürfen nach der Operation sofort aufstehen, können wasserlassen und dürfen normal essen und trinken, also die Beschwerden sind wirklich relativ gering. Der stationäre Aufenthalt beträgt normal einen Tag. Wir bieten unseren Patienten an, zwei Tage zu bleiben, obwohl wir von den Kassen nur einen Tag bezahlt bekommen. Die meisten Patienten nehmen das sehr gerne an. Wird heute noch hin und wieder offen operiert, ohne dass das indiziert ist? Dr. Kraft: Es gibt Kliniken, die die Lichtenstein-Technik als Standardeingriff haben und es gibt viele niedergelassene Chirurgen in Praxen, die offen operieren, weil hier die Lokalanästhesie genügt. Oft fehlen auch die laparoskopischen Instrumente. Wie viele Eingriffe dieser Art führen Sie im Jahr durch? Dr. Kraft: Wir machen im Diakonie-Klinikum Stuttgart etwa 800 Operationen im Jahr. Das Ziel ist, in den nächsten Jahren über 1000 Eingriffe pro Jahr durchzuführen. Wir sind zertifiziert für Hernien-Chirurgie, da gehören natürlich nicht nur Leisten- sondern auch Bauchwandund Zwerchfell-Hernien dazu. Ich bin auch Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von Herniamed, einer der Hernien-Fachgesellschaften. Wir und viele Kliniken in Deutschland und Europa erfassen alle Hernien im Herniamed-Register. Mit diesen Daten können wir die Methoden weiterentwickeln. Zum Beispiel geben wir seit einiger Zeit während der Operation kein Antibiotikum mehr, weil wir durch die Herniamed-Datei gemerkt haben, dass es keinen Unterschied macht, ob wir ein Antibiotikum geben oder nicht. Ganz aktuell sind wir vor ein paar Wochen rezertifiziert worden als Kompetenzzentrum für Hernien-Chirurgie. Der nächste Schritt, den wir planen, ist als Referenzzentrum zertifiziert zu werden. Das ist die nächste Stufe.
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Gesellschaft im Wandel
Hundertjährige in ihren letzten Lebensjahren gesünder als gedacht Sind Hundertjährige Vorbilder für gesundes und erfolgreiches Altern? Oder ist besonders hohes Alter untrennbar mit zunehmenden Erkrankungen verbunden? Welche Erkrankungen häufen sich bei Menschen, die 100 Lebensjahre und mehr erreicht haben? Wie sich Krankheitsverläufe bei Hundertjährigen am Lebensende darstellen, dem sind Wissenschaftler der Charité – Universitätsmedizin Berlin nachgegangen. Manuela Zingl
s zeigte sich: Die Anzahl der Erkrankungen bei Menschen, die im Alter von einhundert Jahren und älter verstarben, war niedriger als bei denjenigen, die mit 90 bis 99 Jahren oder 80 bis 89 Jahren starben. Noch vor vierzig Jahren galt: Nur etwa ein Mensch von 10 000 erreichte in den Industrienationen das Alter von 100 Jahren oder sogar mehr. Heutzutage geht man davon aus, dass jedes zweite Kind, das in diesem Jahrhundert in einem entwickelten Land lebt, ein Alter von 100 Jahren oder mehr erreicht. Ist hohes Lebensalter dabei aber gleichzeitig mit zunehmenden Erkrankungen ver-
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bunden? Es gibt Hinweise, dass Hundertjährige an einer geringeren Zahl von Erkrankungen leiden, verglichen mit jüngeren Kohorten hochaltriger Menschen. In der Auseinandersetzung mit alternden Gesellschaften spricht man hierbei von der These einer Kompression der Erkrankungshäufigkeit, das heißt, der Beginn altersassoziierter Erkrankungen und Behinderung wird immer weiter ins hohe Alter verschoben, also komprimiert. „Unser Ziel war es, darüber hinaus die Entwicklung der Anzahl der chronischen Erkrankungen, man nennt es Multimorbidität, und deren Verläufe am Lebensende bei Hun-
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dertjährigen besser zu verstehen“, erklärt Dr. Paul Gellert vom Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft der Charité. Die Wissenschaftler haben Routinedaten der Kranken- und Pflegekasse Knappschaft über Diagnosen und Gesundheitsversorgung von rund 1400 hochaltrigen Personen innerhalb des Zeitraums von sechs Jahren vor deren Tod untersucht. Für die Analyse wurden sie in drei Gruppen eingeteilt. Diejenigen, die als Hundertjährige starben, sind mit Zufallsstichproben von Individuen verglichen worden, die in ihren 80ern oder 90er Jahren starben. Zuhause Lebende und Menschen in Pflegeeinrichtungen sind bei der Untersuchung gleichermaßen berücksichtigt worden. Für die Auswertung waren vor allem jene Erkrankungen ausschlaggebend, die gewöhnlich mit einem Versterben während eines Krankenhausaufenthaltes verbunden sind. „Im Quartal vor dem Tod wiesen Menschen, die als Hundertjährige verstarben, im Durchschnitt 3,3 Erkrankungen auf, im Vergleich zu durchschnittlich 4,6 Erkrankungen bei denjenigen, die als Achtzigjährige starben“, fasst Dr. Gellert zu-
sammen. „Unsere Ergebnisse zeigen auch, dass der Zuwachs an Erkrankungen in den letzten Jahren vor dem Tod bei hochaltrigen Menschen geringer ausfiel, im Vergleich zu denjenigen, die mit 90 bis 99 Jahren oder 80 bis 89 Jahren starben.“ Bezieht man die im hohen Altern häufigen dementiellen Erkrankungen sowie Muskelskeletterkrankungen in die Auswertung ein, weist knapp die Hälfte der hundertjährig Verstorbenen fünf oder mehr Erkrankungen auf, wobei bereits mehr als 60 % der 90-jährig Verstorbenen und 66 % der 80jährig Verstobenen auf dieselbe Anzahl an Erkrankungen kommt. Während dementielle Erkrankungen und Herzinsuffizienz bei Hundertjährigen häufiger anzutreffen sind als bei den jüngeren Hochaltrigen, sind Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen, Niereninsuffizienz und chronische Erkrankungen seltener bei den hundertjährig Verstorbenen. Muskelskeletterkrankungen sind in allen Gruppen ähnlich häufig vertreten. Hohes Alter und Anzahl der Erkrankungen sind durchaus miteinander verbunden. Das Ausmaß dabei muss allerdings differenziert betrachtet werden.
Quelle: Dr. Paul Gellert Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft Charité – Universitätsmedizin Berlin
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Angstmacher Nummer 1
Alzheimer
An Alzheimer in späteren Jahren zu erkranken, ist eine Horrorvorstellung für immer mehr Menschen. Dabei herrscht vielfach Unwissenheit darüber, was Alzheimer, was eine Demenz eigentlich ist, wie sie entsteht, welche Prognosen sie hat. Wir sprachen mit Prof. Dr. med. Walter Hewer, Chefarzt der Klinik für Gerontopsychiatrie des Christophsbads in Göppingen. Werner Waldmann: Herr Prof. Hewer, bei Demenz denken viele gleich an Alzheimer, doch die Alzheimer-Demenz ist nur eine von vielen unterschiedlichen Formen dieser Erkrankung. Wie viele verschiedene Demenzarten kennen wir? Prof. Walter Hewer: Wenn man die einzelnen Krankheitsbilder nebeneinanderstellt, die eine Demenz verursachen können, dann fallen einem leicht 50 oder noch mehr Grunderkrankungen auf, die in Frage kommen. Bekanntlich treten Demenzerkrankungen mit wachsender Wahrscheinlichkeit bei hochaltrigen Menschen auf und da ist die Vorstellung, dass es sich beim individuellen Patienten um eine einzige Demenzform handelt, nicht immer zutreffend. Im Gegenteil, wir haben es relativ häufig mit Mischformen zu tun. Da spricht man auch gerne von der Multimorbidität des hochaltrigen Gehirns. Beispiel: Es liegt eine Alzheimer-Pathologie vor, aber wir können zusätzlich auch Durchblutungsstörungen diagnostizieren. Oder es liegt noch
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eine Parkinson-Pathologie vor, um nur einmal drei wichtige Grunderkrankungen zu nennen, die sich dann mischen. Das bedeutet, dass man auch bei der Therapie entsprechende Aspekte berücksichtigen muss. Werner Waldmann: Eine demenzielle Erkrankung ist offenbar immer eine Erkrankung des höheren Lebensalters, oder können das auch jüngere Menschen bekommen? Prof. Walter Hewer: Wenn man sich die Zahlen aus der Epidemiologie, also der Wissenschaft, die sich mit der Verteilung von Krankheiten in der Bevölkerung beschäftigt, anschaut, dann sieht man zunächst einmal ganz klar, dass das höhere Lebensalter überwiegend betroffen ist. Nach den momentanen Zahlen liegt der Anteil der Betroffenen im Alter zwischen 65 und 69 Jahren bei etwa 1,6 % und mit jedem 5-Jahres-Zeitraum verdoppelt sich die Häufigkeit in etwa. Aber es gibt natürlich auch jün-
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gere Menschen, die von der Demenz betroffen sein können. Das sind Menschen im 6. Lebensjahrzehnt, also zwischen 50 und 60 oder Anfang 60, das ist sicherlich die größte Gruppe. Wir haben aber auch immer wieder Fälle von unter 50-Jährigen, die betroffen sind. Das kommt aber selten vor. Werner Waldmann: Normale Vergesslichkeit oder Warnsignal für eine Demenz? Wenn man also bemerkt, dass man wohin geht, um etwas zu holen und hat dann vergessen, was man holen wollte. Oder wenn einem ein Name nicht sofort einfällt, kann das auch schon ein Warnsignal oder ein Hinweis auf eine beginnende Demenz sein oder ist das die normale Vergesslichkeit, was immer man darunter versteht? Prof. Walter Hewer: Klar ist, dass mit steigendem Lebensalter die geistige Leistungsfähigkeit Veränderungen unterworfen ist und diese können durchaus auch Gedächtnisleistungen betreffen, z. B. dass Namen oder Begriffe nicht sofort erinnert werden. Das ist für sich genommen noch kein Symptom einer Demenz. Gedächtnisbeschwerden bei älteren Menschen müssen natürlich ernst genommen werden, allein schon wegen des Leidensdrucks der Betroffenen. Es ist in solchen Fällen notwendig, durch ein beurteilendes Gespräch die Probleme einzugrenzen. Handelt es sich um als nicht krankhaft zu bewertende leichte Einbußen oder reicht die Symptomatik darüber hinaus? Ein wichtiger Hinweis auf eine über das Normale hinausgehende Gedächtnisstörung sind Beeinträchtigungen des sogenannten episodischen Gedächtnisses. Dies betrifft kürzlich zurückliegende Ereignisse. Wenn ich mich beispielsweise nicht erinnere, was ich am letzten Wochenende gemacht habe, wenn mir vielleicht ein Besuch von mir nahestehenden Personen nicht mehr so richtig präsent ist, dann wäre das schon ein Hinweis auf eine Störung, die es genauer abzuklären gilt. Werner Waldmann: Können es auch Medikamente sein, die eine demenzielle Erkrankung auslösen? Prof. Walter Hewer: Das ist eine wichtige, aber natürlich nicht einfach zu beantwortende Frage. Ich würde es vielleicht einmal so formulieren: Medikamente können Symptome auslösen, die an eine
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demenzielle Erkrankung erinnern oder dazu passen würden, also Medikamente, die z. B. die Aktivität des Gehirns dämpfen. Das sind bestimmte Psychopharmaka, sogenannte Antipsychotika, das ist aber auch ein Teil der häufig verwendeten Schlafmittel. Auch Angstlöser können bei jemand, der eine entsprechende Disposition aufweist, entsprechende Symptome triggern. Es hängt natürlich von der Dosis ab und auch davon, ob ein Mensch, der solche Medikamente einnimmt, völlig hirngesund ist oder jemand, der doch eine latente Schädigung aufweist – eine Schädigung, die im Moment noch keine eindeutigen Beeinträchtigungen mit sich bringt, sich aber mit erhöhter Wahrscheinlichkeit im Laufe der kommenden Jahre in Richtung einer Demenz entwickeln wird. Zusammengefasst: Medikamente können durchaus entsprechende Symptome begünstigen oder auslösen. Erwähnen muss man auch frei verkäufliche Medikamente, z. B. nicht rezeptpflichtige Schlafmittel, die eine Rolle spielen können, so dass generell, wenn eine demenzielle Symptomatik zur Diskussion steht, eine genaue Medikamentenanamnese wichtig ist. Man muss natürlich alles erfassen, was eingenommen wird. Oft sind es ja mehrere Ärzte, die Medikamente verordnen. Was in der Frage, die Sie stellten, auch noch steckt, ist: Können Medikamente sozusagen den demenziellen Prozess, also das, was im Gehirn passiert, zum Negativen hin beeinflussen? Diese Frage kann man nach jetzigem Stand unseres Wissens nicht eindeutig beantworten. Wenn wir die Benzodiazepine nehmen, also die Stoffgruppe, die eine angstlösende Wirkung hat, dann ist es nach gegenwärtigem Stand so, dass Studien einen Zusammenhang zwischen Einnahme von Benzodiazepinen und Entwicklung einer Demenz zeigen – wobei das noch nicht die Kausalität beweist. Man kann durchaus auch diskutieren, dass solche Medikamente dann von den Betroffenen gehäuft eingesetzt werden, wenn sie durch Frühsymptome einer Demenz beeinträchtigt sind. Wenn Patienten langfristig Medikamente dieser Art, also Benzodiazepine, einnehmen, erscheint es mir durchaus angemessen, sie auf mögliche, eine Demenz begünstigende Nebenwirkungen hinzuweisen. Werner Waldmann: Betrifft das auch die ZSubstanzen oder wirken die etwas moderater?
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Prof. Walter Hewer: Die Z-Substanzen zeigen in ihrer Wirkung viele Überschneidungen mit Benzodiazepinen. Mir sind im Moment keine Studien bekannt, wonach für die Z-Substanzen ein statistischer Zusammenhang mit Demenzerkrankungen belegt wäre. Aber vom Mechanismus der Wirkung her kann ich mir entsprechende Zusammenhänge vorstellen. Werner Waldmann: Wie sieht es mit Stoffwechselkrankheiten wie Diabetes mellitus aus, kann da ein Zusammenhang mit der Entwicklung einer Demenz bestehen? Prof. Walter Hewer: In den letzten zwei Jahrzehnten sind die Wechselwirkungen von allgemeinmedizinischen Problemen und Demenzerkrankungen zunehmend ins Blickfeld gerückt. In dem genannten Zeitraum ist deutlich geworden, dass verschiedene allgemeinmedizinischinternistische Risikofaktoren für Demenzerkrankungen existieren. Das sind z. B. der Bluthochdruck und der Diabetes mellitus, wobei diese beiden Erkrankungen oft gemeinsam auftreten. Der Typ-2-Diabetes („Altersdiabetes“) gilt heute unumstritten als ein wichtiger Risikofaktor für Demenz, und zwar nicht nur für die durch Durchblutungsstörungen bedingte, sondern auch für die Alzheimer Demenz. Dabei spielen nicht nur erhöhte Blutzuckerwerte sondern auch Unterzuckerungen eine Rolle. Es scheint so zu sein, dass gerade das gealterte bzw. das demenziell vorgeschädigte Gehirn besonders anfällig ist für Unterzuckerungen. Werner Waldmann: Da kann sicherlich auch eine regelmäßige Sauerstoffminderversorgung des Gehirns mitspielen, ich denke jetzt an eine nicht therapierte Schlafapnoe ... Prof. Walter Hewer: Die Schlafapnoe gehört natürlich auch zu den Krankheitsbildern, die wir bei der Abklärung einer möglichen Demenz genau im Blick haben, wegen der von Ihnen angesprochenen verminderten Sauerstoffversorgung des Gehirns. Hinzu kommt, dass die negativen Auswirkungen einer nicht behandelten Schlafapnoe auf die Herz-Kreislauf-Funktion gravierend sein können. Werner Waldmann: Was für einen Rat kann man Menschen geben, die Angst haben, eine Demenz in jüngeren Jahren zu bekommen. Kann man sich
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da irgendwie präventiv verhalten, was Ernährung, Schlaf, Bewegung angeht, was so allgemein für einen gesunden Zustand an sich wichtig ist? Prof. Walter Hewer: Ich hole ein wenig aus: Epidemiologische Daten zeigen, dass die altersbezogene Häufigkeit von Demenzerkrankungen in bestimmten Industrieländern abgenommen hat, z. B. in England oder in Schweden. Man hat festgestellt, dass in England im Jahr 1915 Geborene, verglichen mit den 20 Jahre später Geborenen, häufiger an Demenz erkrankten. Das bedeutet, dass sich die Manifestation von Demenzerkrankungen tendenziell in höhere Altersgruppen verschieben könnte. Offenbar ist die Wahrscheinlichkeit, an Demenz zu erkranken, nicht allein genetisch vorgegeben. Es scheint noch andere Faktoren zu geben, die auf dieses Risiko Einfluss nehmen. Eine schlüssige Erklärung für die Befunde, auf die ich gerade Bezug genommen habe, liegt noch nicht vor, jedoch scheint es Faktoren zu geben, die vermittelt durch individuelles Verhalten oder durch gesellschaftliche Entwicklungen, eine gewisse Abnahme des Demenzrisikos bewirkt zu haben scheinen. Der Ratschlag, den wir heute für eine Demenzvorbeugung geben können, besteht darin, in einer vernünftigen – nicht übertriebenen – Art und Weise einen gesunden Lebensstil anzustreben. Letztendlich handelt es sich um das, was die alten Griechen unter Diätetik verstanden haben. Es geht dabei um eine ausgewogene, kalorisch dem Bedarf gerecht werdende Ernährung, die nötige körperliche Aktivität, die Beeinflussung bekannter Risikofaktoren aus der Herz-Kreislauf-Medizin, beispielsweise erhöhte Blutzucker- und Blutdruckwerte, die Blutfette und das Vemeiden des Rauchens. Werner Waldmann: Und Alkohol? Prof. Walter Hewer: Natürlich spielt Alkohol als eine mögliche Ursache einer Demenz ebenfalls eine nicht zu unterschätzende Rolle. Weiterhin ist eine Lebensweise, die mit einem Gleichgewicht von Anspannung und Erholung verbunden ist, zu nennen. Diese wirkt sich im Allgemeinen günstig auf den Schlaf-Wach-Rhythmus aus. Nach neuesten Erkenntnissen dürfte ein ausreichendes Maß an Schlaf auch eine vorbeugende Wirkung haben. Aber es geht noch weiter, denken Sie an soziale Aktivitäten, die naturgemäß unser Gehirn fordern,
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die mit intellektuellen Herausforderungen verbunden sind. So ist es ein Bündel von Faktoren, von denen wir annehmen, dass sie demenzvorbeugend wirken sollten. Die Frage ist, um wie viel Prozent man das Risiko reduzieren kann. Da liegen die Schätzungen im Moment bei bis zu 30 %. Der wissenschaftliche Beweis für diese Aussage steht aber bislang noch aus. Die Vermutung ist die, dass die jüngeren Geburtskohorten insgesamt bessere Chance für eine gesündere Lebensweise hatten als die Älteren. Und nicht zuletzt auch eine bessere medizinische Versorgung, z. B. was die Behandlung eines Bluthochdrucks betrifft. Man kann also eine ganze Menge tun, was Prävention angeht, aber man kann natürlich andererseits auch nicht die Gene „abschalten“, die eben doch eine bedeutende Rolle spielen. Bei realistischer Betrachtung bleibt festzuhalten, dass der größere Anteil der Risikofaktoren für eine Demenz nicht beeinflussbar ist. Wie bereits kurz angerissen, gehört der Alkohol auch zu den bedeutenden Risikofaktoren. Es existiert ein Krankheitsbild, das wir Alkoholdemenz nennen. Dieses ist keineswegs selten. Insofern gehört der vernünftige Umgang mit Alkohol zu den ganz wichtigen Empfehlungen, auch was die Vorbeugung einer Demenz betrifft. An dieser Stelle wird häufig das „Rotweinargument“ gebracht, wonach Rotwein und vielleicht auch anderer Alkohol, in mäßigem Umfang genossen, schützend wirken würde auf die Gefäße, aber vielleicht auch für das Gehirn. Ob das wirklich so ist, da sind die epidemiologischen Daten nicht so eindeutig. Deshalb geben wir diesbezüglich keine Empfehlungen ab. Es ist viel mehr wichtig, sich klar zu machen, Alkohol ist eine Substanz die ein potentielles Zellgift ist und die ich von daher von medizinischer Seite nicht empfehlen kann. In dem Zusammenhang ist der Begriff des „risikoarmen Alkoholkonsums“ von Interesse. Risikoarm – wohlgemerkt, nicht risikofrei! – bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit, dass man negative Folgen davon trägt, relativ gering ist, aber im Einzelfall kann es dennoch ganz anders sein. Da sind wir bei Frauen bei einer Größenordnung von 10 bis 12 Gramm am Tag, bei Männern bei etwa 20 bis 24 Gramm bei unter 65-Jährigen. Bei Älteren ist das schon wieder zu viel. Außerdem gilt ja auch die Re-
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gel, dass mindestens zwei alkoholfreie Tage pro Woche gefordert sind. Werner Waldmann: Man sagt öfters einmal, wer geistig rege sei, auch in seinem ganzen Leben, auch bei der Arbeit, der sei relativ sicher vor einer demenziellen Erkrankung. Prof. Walter Hewer: Ich habe Menschen kennen gelernt, die sehr intelligent und geistig waren und ihr Leben lang auch intellektuell aktiv waren, und dennoch im Alter von etwa 70 Jahren oder sogar früher demenzkrank wurden. Gleichwohl gehen wir davon aus, dass lebenslange geistige und soziale Aktivität eine schützende Wirkung haben. In dem Zusammenhang ist das Konzept der kognitiven Reserve von Interesse. Ich weiß nicht, ob Sie schon einmal von der sogenannten Nonnenstudie gehört haben, eine sehr bekannte Studie aus den USA. In dieser Langzeitstudie hat man einen Frauenorden untersucht, was aus wissenschaftlicher Perspektive gewisse Vorteile bietet, da es sich um eine Gruppe von Frauen handelt mit einem über Jahrzehnte sehr ähnlichen Lebensumfeld und Lebenswandel. Man hat den Bildungsgrad zum Zeitpunkt des Eintritts in den Orden ermittelt und dann die berufliche Tätigkeit über die Jahrzehnte hinweg verfolgt, wobei viele der untersuchten Frauen als Lehrerinnen tätig waren. Die in die Studie eingeschlossenen Schwestern hatten darin eingewilligt, dass nach ihrem Tod ihre Gehirne untersucht werden dürfen. Ein wesentliches Ergebnis der Studie war, dass bei den intellektuell anspruchsvoller tätigen und noch lange aktiven Frauen der Zeitpunkt der Demenzmanifestation später war als bei denjenigen, bei denen dies nicht der Fall war. Und das, obwohl auch im Gehirn der Schwestern mit hohem Bildungsgrad und bis ins Alter fortgesetzter geistiger und sozialer Aktivität teilweise vergleichbar ausgeprägte mit einer demenziellen Erkrankung in Verbindung stehende Veränderungen bestanden wie bei denjenigen Frauen, die in ihrem Leben intellektuell weniger anspruchsvolle Aufgaben zu bewältigen hatten. Dieses Phänomen hat man versucht, mit der sogenannten kognitiven Reserve zu erklären. Unser Gehirn ist im Laufe des Lebens, wie andere Organe auch, Schädigungen unterschiedlicher Art ausgesetzt. Dabei sind degenerative Prozesse, vor allem
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vom Alzheimertyp, besonders häufig. Wir kennen aber auch Schutzfaktoren, und dazu gehören nicht zuletzt eine regelmäßige geistige und soziale Aktivität sowie eine gute Bildung, die bis zu einem gewissen Grad Schädigungen der genannten Art ausgleichen können. Das meinen wir, wenn wir von „kognitiver Reserve“ sprechen. Werner Waldmann: Risikofaktoren können wir ja ausschalten, wenn wir konsequent sind, schlechte Ernährung, wenig Schlaf ... aber Einfluss haben wir nicht auf die genetische Prädisposition. Gibt es da schon in der Forschung Wege, dass man weiß, welche Gene für eine solche Erkrankung zuständig sind? Prof. Walter Hewer: Bei einer kleinen Zahl von Patienten mit Alzheimer Demenz, weniger als 5 %, handelt es sich um eine familiäre, also genetisch vorgegebene bzw. durch genetische Faktoren wesentlich bedingte Erkrankung. Man kennt auch bestimmte Gene, bei denen die ursächlichen Veränderungen, sogenannte Mutationen, nachgewiesen werden konnten. Diese Mutationen sind die Ursache für eine Ablagerung bestimmter Eiweißprodukte, die als Ursache der Hirnveränderungen angesehen werden, die zur Demenz führen. Für die überwiegende Zahl der Betroffenen liegen von Seiten der Genetik noch keine Erkenntnisse vor, die das Krankheitsgeschehen überzeugend erklären könnten. Werner Waldmann: Was passiert bei einer Demenz eigentlich im Gehirn? Prof. Walter Hewer: Das hängt davon ab, um was für eine Demenzart es sich handelt. Je nach Grunderkrankung sind es verschiedene Schädigungsmuster. Es gibt, um eine seltene Erkrankungsform zu nennen, z. B. auch die Boxer-Demenz, bei der die sich häufig wiederholenden Erschütterungen und noch stärkere Schädigungen des Gehirns ein erhöhtes Risiko für eine Demenz bedingen. Der Alzheimer Demenz liegt hingegen ein degenerativer Prozess zugrunde. Auch wenn man sich unter Experten noch nicht in allen Punkten einig ist, so gehen die meisten Wissenschaftler davon aus, dass eine Ablagerung krankhafter Eiweißabbauprodukte in und außerhalb der Nervenzellen zu deren Schädigung bis hin zu ihrem Absterben führt.
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Die Ablagerungen führen weiterhin zu einer Schädigung der Synapsen, also derjenigen Strukturen in unserem Gehirn, die für Gedächtnis und Lernen unverzichtbar sind. Diese Funktionen, die es dem Menschen grundsätzlich bis ins hohe Alter erlauben, neue Informationen aufzunehmen und sich auf veränderte Bedingungen in seinem Lebensumfeld einzustellen und sogar bis zu einem gewissen Grad Schädigungen, z. B. nach Schlaganfall, auszugleichen, stellen eine wesentliche Grundlage für die sogenannte Neuroplastizität dar. Werden aber die Synapsen z. B. durch einen degenerativen Prozess geschädigt oder gar zerstört, kommt es dadurch zu einer Einschränkung bzw. zum Verlust der Neuroplastizität. Weiterhin ist von Interesse, dass nach heutigem Erkenntnisstand die krankhaften Hirnveränderungen bei Alzheimer Demenz schon Jahre, bevor wir Symptome feststellen können, beginnen. Es wird vermutet, dass dies schon 10 bis 20 Jahre vor Symptombeginn der Fall ist. Für die Praxis resultieren aus dieser Erkenntnis bisher leider noch keine therapeutischen Konsequenzen. Wenn man z. B. heute bei einem beschwerdefreien 60-jährigen Menschen feststellen würde, dass er mit 75 Jahren voraussichtlich an einer Alzheimer-Demenz erkrankt sein wird und ihm das mitteilt, würde man ihm damit nach dem aktuellen Stand des Wissens einen Gefallen tun? Ohne dass Möglichkeiten einer wirksamen Therapie zur Verfügung stünden, müsste er mit dem Gedanken leben, innerhalb des genannten Zeitraums diese schwere und nicht heilbare Erkrankung zu entwickeln. Allerdings könnte das Wissen um die im weiteren Lauf des Lebens voraussichtlich eintretende Demenzerkrankung die Motivation der betroffenen Person steigern, die bereits erwähnten präventiven Strategien zu verfolgen, mit dem Ziel, die Manifestation der Demenz zu verzögern. Andererseits können diese vorbeugenden Maßnahmen auch dann uneingeschränkt empfohlen werden, wenn man das Thema „Demenz“ bei der Betrachtung ausblendet. Gesunde Ernährung, körperliche Aktivität etc. sind so oder so zu empfehlen. Insofern gibt es derzeit außerhalb wissenschaftlicher Untersuchungen keine belastbaren Argumente für eine Frühdiagnostik der Alzheimer Demenz zu einem Zeitpunkt, wenn noch keine Symptome dieser Erkrankung festgestellt werden können.
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Werner Waldmann: Viele Menschen haben Angst, Alzheimer zu bekommen und sie möchten irgendetwas gegen diese Erkrankung tun. Prof. Walter Hewer: Wie bereits gesagt, gibt es keine Therapie in diesen Vorstadien. Man kann auch zu viel Angst davor haben, im Laufe seines Lebens an Demenz zu erkranken. An dieser Stelle wird in der Fachliteratur gerne der Fall „Gunter Sachs“ zitiert. Wir wissen nicht sicher, ob Gunter Sachs, der wegen einer von ihm selbst vermuteten Demenzerkrankung durch Suizid starb, wirklich dement war. Vielleicht war er auch „nur“ depressiv und hatte Angst davor, dement zu werden, dies ist eine Situation, die wir bei depressiven älteren Menschen nicht ganz selten erleben. Rückblickend muss man sagen, man hätte Gunter Sachs gewünscht, dass er sich in entsprechende Behandlung begeben hätte. Es ist gut vorstellbar, dass sein Zustand durch eine adäquate Behandlung in zwei oder drei Monaten eine deutliche Wendung zum Positiven genommen hätte. Angst ist bekanntlich oft ein schlechter Ratgeber. Man kann nicht sagen, es gäbe keinen Grund zur Angst: wenn ich von einer Demenz betroffen bin, hat das natürlich viele gravierende negative Auswirkungen. Andererseits ist in den letzten 10 bis 15 Jahren bei der Betrachtung des Problems „Demenz“ eine neuer Akzent in den Vordergrund gerückt: dieser besagt, dass man auch mit Demenz, zumindest über eine Reihe von Jahren, eine ordentliche Lebensqualität haben kann, wenn die erforderlichen Unterstützungsmaßnahmen zur Verfügung stehen und wenn ich in einem Umfeld lebe, das es mir ermöglicht, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. So gehöre ich zu denen, die sagen, dass man Dinge, die nicht schön sind, auch nicht schön reden kann. Aber wir kennen auch zahlreiche Menschen mit Demenz, die ein Leben führen mit nur relativ geringen von ihnen als solche wahrgenommenen Beeinträchtigungen, wenn sie die Möglichkeit haben, in einem geeigneten Umfeld zu leben, sei es zuhause oder – was bei fortgeschrittenen Stadien zunehmend häufiger notwendig sein wird – in einer Einrichtung. Werner Waldmann: Das bedeutet aber auch, dass Angehörige oder solche Menschen, die mit Demenzkranken umgehen, das verstehen müssen, dass sie entsprechend reagieren sollten.
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Prof. Walter Hewer: Genau, das ist ja ein Teil der gesellschaftlichen Aktivitäten die im Moment stattfinden. Ich nenne da zwei, drei Beispiele: Lange an diesem Thema dran sind die Alzheimer Gesellschaften, die z. B. die demenzfreundliche Kommune propagieren, dazu gibt es in zahlreichen Städten und Gemeinden ganz viele Aktivitäten. Vielerorts – auch in Göppingen und mehreren umliegenden Städten – wurden sogenannte Demenznetzwerke gegründet. Diese haben es sich zur Aufgabe gemacht, in ihren Kommunen die für Demenzkranke wichtigen Angebote aufzubauen und weiter zu entwickeln. Weiterhin wurde von der Robert-Bosch-Stiftung ein großes Programm aufgelegt mit dem Ziel, „demenzfreundliche Krankenhäuser“ zu fördern, ein bedeutendes Thema, wenn man bedenkt, dass ca. 20 % der über 65-Jährigen, die in Krankenhäusern behandelt werden, an Demenz erkrankt sind. Bei den hier kurz angerissenen gesellschaftlichen Initiativen geht es im Kern darum, wie wir in unserem Land unter bis dato günstigen ökonomischen Bedingungen vorhandene Ressourcen so einsetzen, dass die wachsende Zahl demenzkranker Menschen mit ihrer besonderen Bedürftigkeit die humane Versorgung erfährt, die sie verdienen und Voraussetzungen geschaffen werden, dass die Betroffenen möglichst lange mit guter Lebensqualität leben können. Dies erfordert nicht zuletzt auch bürgerschaftliches Engagement. Werner Waldmann: Ist es nicht vielleicht ein vordringliches Problem, eben diese Umgebung zu schaffen, als darüber nachzudenken, wie man eine demenzielle Erkrankung heilen oder aufhalten kann? Prof. Walter Hewer: Beides macht Sinn. Dass die Wissenschaft möglichst genau verstehen will, wie es zu einer demenziellen Schädigung des Gehirns kommt, ist bestimmt richtig. Nur so besteht die Chance, dass wir in Zukunft besser wirksame Therapieverfahren als heute zur Verfügung haben werden. Wann diese Aktivitäten die erhofften Früchte tragen werden, das kann man im Moment nicht genau absehen, das könnte noch etwas dauern. Wir müssen uns also auch mit dem Hier und Jetzt auseinander setzen und für die derzeit, je nach Schätzung, zwischen 1,2 und 1,6 Millionen, Demenzkranken in Deutschland die medizinische,
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Die Alzheimer Gesellschaft Baden-Württemberg – Selbsthilfe Demenz: Alzheimer- und andere Demenzerkrankungen können nicht isoliert betrachtet werden. Es gibt immer eine Vielzahl Betroffener bzw. Beteiligter – zunächst einmal die erkrankten Menschen selbst, dann die pflegenden Angehörigen und das sonstige familiäre Umfeld, und nicht zuletzt die professionell und nichtprofessionell Tätigen in der Begleitung und Betreuung von Menschen mit Demenz. Aber auch die Gesellschaft an sich muss sich dem Thema Demenz als einer der großen Herausforderungen der Zukunft stellen: als Bürger, der mit dem Thema vielleicht unvermittelt konfrontiert wird, als Kommune, die Rahmenbedingungen schaffen muss, damit auch Menschen mit Demenz in ihr gut leben können und auch als Anbieter und Kostenträger von Betreuung und Pflege, der eine angemessene Versorgung gewährleisten muss. Um all dem gerecht zu werden, braucht es viele unterschiedliche Angebote, die alle der Beratung, Entlastung, Unterstützung, Wissensvermittlung und Vernetzung dienen. Die Alzheimer Gesellschaft Baden-Württemberg bietet deshalb für verschiedene Zielgruppen und Themenbereiche Informationen über solche Angebote an. Die Gesellschaft wurde 1994 als landesweiter Selbsthilfeverband gegründet. Sie versteht sich heute als zentrale Anlaufstelle zum Thema Alzheimer und anderen Demenzerkrankungen im Land und ist Lobby für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen. In der Geschäftsstelle mitten in Stuttgart arbeiten zwölf Hauptamtliche, um die Lebensqualität der Betroffenen und ihrer Familien zu verbessern, tragfähige und flächendeckende Versorgungsstrukturen aufzubauen und gesellschaftliches Verständnis für ein alarmierend zunehmendes Krankheitsbild zu wecken. Mehr Infos unter: www.alzheimer-bw.de
pflegerische, therapeutische und soziale Versorgung stärken bzw. auch verbessern. Werner Waldmann: Wann ist es eigentlich für den Kliniker manifest, dass ein Betroffener wohl an Alzheimer leidet? Prof. Walter Hewer: Das ist dann relativ einfach, wenn ich anhand von Vorgeschichte und aktuellen Befunden zeigen kann, dass die Symptomatik einer Demenz typischerweise langsam fortschreitend über mindestens ein halbes Jahr besteht, dass die Symptome, die als typisch für eine Alzheimer Demenz angesehen werden, vorliegen und Beeinträchtigungen in einer Ausprägung vorliegen, die es der betroffenen Person nicht mehr ermöglichen, ein eigenständiges Leben wie bis dato der Fall zu führen und sie deshalb Unterstützung bei der Ausübung ihrer Alltagsaktivitäten benötigt. Bei vielen Patienten kann man diese Konstellation sehr schnell und zuverlässig erkennen, wenn gute Angaben zur Vorgeschichte vorliegen und wenn der Befund, den ich beim Patienten erhebe, damit im Einklang steht. Es gibt aber auch Patien-
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ten, da kann die Diagnosestellung sehr schwierig sein, z. B. wenn auch eine deutliche depressive Symptomatik vorliegt. In solchen Fällen bedarf es oft einer Beobachtungsphase von einigen Monaten unter der eingeleiteten Therapie, danach kann man dann meist eine Diagnose stellen. Es kann sich ja auch um ein Delir handeln, also eine vorübergehende Beeinträchtigung der geistigen Leistungsfähigkeit, die sich in manchen Fällen über einige Monate hinzieht. Es muss also kein Zeichen einer schlechten fachlichen Kompetenz sein, wenn ein Arzt sich mit der Stellung einer definitiven Diagnose zurückhält und mitteilt, dass Hinweise auf eine Demenz vorlägen, der weitere Krankheitsverlauf aber noch abgewartet werden müsse. Ein Kollege hat das einmal anhand eines eher außergewöhnlichen, aber doch auch sehr anschaulichen Falles beschrieben. Ein 84-jähriger, alleinstehender Mann muss in einem schwerkranken Zustand wegen einer akuten Infektion in einem Krankenhaus behandelt werden. Am Ende der stationären Behandlung weist er deutliche Beeinträchtigungen der Hirnleistung auf, im Mini-Mental-
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Test, einem einfachen Demenztest erreicht er ein mit einer Demenz vereinbares Ergebnis und es wird von einem Facharzt auch diese Diagnose gestellt. Es wird eine gesetzliche Betreuung eingerichtet. Der gesetzliche Betreuer veranlasst die Aufnahme in ein Pflegeheim und kündigt die Mietwohnung seines Klienten. Soweit schien damit zunächst alles richtig gelaufen zu sein. Nach einigen Monaten bessert sich jedoch die geistige Leistungsfähigkeit des Mannes und er möchte nicht weiter im Pflegeheim leben. Er kann dies im übrigen auch nicht mehr, weil er nach Besserung seines Zustandes keine Einstufung in der Pflegeversicherung hat. Er muss also das Heim verlassen, hat aber keine Wohnung mehr – eine Situation, die für die beteiligten Ärzte haftungsrechtliche Konsequenzen hatte. Werner Waldmann: Wie sehen Sie die nächste Zukunft, auch in der Forschung und der Therapie, was wird kommen oder was wünschen Sie sich? Prof. Walter Hewer: In der Forschung ist man auf der Suche nach den sogenannten krankheitsmodifizierenden Therapien. Leider ist bisher der Durchbruch aber nicht gelungen. Die Suche geht jedoch weiter und so hoffen wir, dass es in nicht allzu langer Zukunft auch tatsächlich krankheitsmodifizierende Therapien geben wird, wie es z.B. mittlerweile bei multipler Sklerose der Fall ist. Ansonsten sehe ich im Moment eine wichtige Priorität darin, vorhandene Erkenntnisse möglichst gut umzusetzen. Ich verweise hier auf die 2016 neu aufgelegte sogenannte S-3-Leitlinie Demenz. Darin wird der aktuellen Kenntnisstand zusammengefasst, es werden z. B. die Möglichkeiten und Grenzen der medikamentösen Therapie ganz genau beschrieben. Es wird auch sehr deutlich darauf hingewiesen, dass gerade bei Menschen, die an einer fortgeschrittenen Demenz leiden, die ja oft in Pflegeheimen leben, die nicht-medikamentösen Therapien nicht genügend genutzt werden. Beispielhaft sei auf die bei Demenzkranken sehr häufig auftretenden Schlafstörungen Bezug genommen. Die uns zur Verfügung stehenden Schlafmittel sind, was die Herstellung eines gesunden Schlafmusters betrifft, bekanntlich nicht wirklich gut wirksam, aber sie sind besser als nichts und in manchen Fällen auch sehr segensreich. Bei Demenzkranken erreicht man mit diesen Mitteln, die
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durchaus auch beachtliche Nebenwirkungen haben können, meistens nicht viel. Viel wichtiger wäre es, vorhandene nichtmedikamentöse Optionen umzusetzen, wie körperliche Aktivierung am Tag, idealerweise verbunden mit der Einwirkung natürlichen Lichts (Spaziergänge unter freiem Himmel), also Maßnahmen, die einen normalen Tag-NachtRhythmus unterstützen. Wenn man nach Prioritäten fragt, sind wir an einem Punkt, der die Gesundheits- und Sozialpolitik berührt, nämlich bei der Frage der Ressourcen, und damit der personellen Ausstattung der Institutionen, die demenzkranke Menschen betreuen. Werner Waldmann: Sicher spielt auch Musik eine Rolle oder künstlerische Betätigung. Prof. Walter Hewer: Musik- und künstlerische Therapien gehören zu dem Bündel der nichtmedikamentösen Therapien, Einzelheiten dazu kann man in der Leitlinie nachlesen. Ein Demenzkranker, der durch Musik z. B. angeregt wird, Emotionen zu empfinden, kann sich damit leichter an wichtige Themen aus seiner Biographie erinnern, somit kann Musiktherapie für ihn, wenn er persönlich auf diesem Weg erreicht werden kann, eine segensreiche Wirkung entfalten. Werner Waldmann: Was realisieren Sie an solchen nichtmedikamentösen Therapien? Prof. Walter Hewer: Wir versuchen bei uns so viel wie möglich zu realisieren, dazu gehört eine angemessene körperliche Aktivierung der Kranken am Tag, um damit eine Vorrausetzung dafür zu schaffen, dass sie nachts leichter Ruhe finden. Dazu gehört Musik, dazu gehören ergotherapeutische Aktivitäten, meist in der Gruppe, und nicht zuletzt auch die Beratung und Unterstützung der Angehörigen.
Prof. Dr. med. Walter Hewer ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Facharzt für Innere Medizin, Geriatrie und Chefarzt der Klinik für Gerontopsychiatrie am Klinikum Christophsbad Göppingen. Faurndauer Straße 6–28 73035 Göppingen Tel.: 07161 601-8449 Fax: 07161 601-9150 E-Mail: walter.hewer@christophsbad.de
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Mammografie-Screening – Frühe Erkennung verbessert Heilungs-Chancen n Deutschland wurde vor elf Jahren das Mammografie-Screening eingeführt, um die möglichst frühe Erkennung der bei Frauen am meisten verbreiteten Krebsart zu fördern. In der Region Stuttgart-Esslingen nimmt mehr als jede zweite teilnahmeberechtigte Frau im Alter zwischen 50 und 69 Jahren das Angebot an und beteiligt sich am Screening-Programm. Wenn dabei ein Tumor entdeckt wird, ist es in den meisten Fällen so frühzeitig, dass Therapien mit guten Erfolgsaussichten eingeleitet werden konnten. „Die Zahlen zeigen, wie wirkungsvoll das Screening-Programm ist“, so der Stuttgarter Radiologe Dr. Markus Schmid, seit diesem Jahr der zweite programmverantwortliche Arzt (PVA) für das Screening in der Region. „Statistisch gesehen kann von 200 Frauen, die regelmäßig am Screening teilnehmen, einer Frau durch das rechtzeitige Erkennen eines Tumors im frühen Stadium das Leben gerettet werden.“ Dr. Axel Helwig, der das Programm in der Region von Anfang an als PVA betreut, ergänzt: „Daher wäre es natürlich wü ̈ nschenswert, wenn auch die Frauen, die das Screening-Angebot bislang nicht angenommen haben, sich noch dafür entscheiden würden.“ Insgesamt gibt es in der Region StuttgartEsslingen rund 135 000 Frauen, die zur Teilnahme am Mammografie-Screening berechtigt sind. 2014 haben laut der Kooperationsgemeinschaft Mammografie-Screening bundesweit 2,9 Millionen Frauen am Screening teilgenommen. Dabei wurden 13 000 invasive Tumoren entdeckt, also Brustkrebs, der sich bereits in das umliegende Gewebe
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ausgebreitet hat. Bei über drei Viertel dieser Brustkrebsfälle war der Tumor nicht größer als 20 Millimeter und ohne Lymphknotenbefall, was in der Regel eine günstige Prognose mit schonenderen Therapiemethoden und guter Heilungschance verspricht. „Das hat sich gegenüber der Zeit vor dem Screening deutlich gewandelt“, führt Dr. Axel Helwig aus. „Die Zahl der prognostisch ungünstigen Karzinome liegt nun nur noch bei 21 %. Zwischen 2000 und 2005 galt das noch für 56 % aller entdeckten Brustkarzinome.“ Diesen Rückgang der fortgeschrittenen Stadien wertete das Robert-Koch-Institut in seinem aktuellen Krebsbericht 2016 als wichtige Voraussetzung für die Senkung der Brustkrebssterblichkeit und damit als ersten Hinweis auf den Erfolg des Mammografie-Screenings.
Informationen zum MammografieScreening in der Region Frauen von 50 bis 69 Jahren werden alle zwei Jahre zur Mammografie (Röntgenuntersuchung der Brust) in zertifizierte Mammografie-Einheiten in ihrer Nähe eingeladen. Diese befinden sich in der Region Stuttgart/Esslingen in Stuttgart, Esslingen und Kirchheim. Die Früherkennungsuntersuchung wird von den gesetzlichen und privaten Krankenkassen finanziert. Informationen und Anmeldung unter der zentralen Telefonnummer 07221 9565-55. Weitere Informationen finden Sie auch im Internet unter www.radiologie.de. Red.
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Ihr Hausarzt meint Ärzte und Heilpraktiker Zwei Welten prallen aufeinander
weise und vergehen auch spontan wieder. Wenn ich in diesem Zeitraum zum Beispiel Globuli einnehme, bin ich geneigt anzunehmen, dass diese geholfen haben.
Die Ausbildung zum Heilpraktiker ist gesetzlich nicht geregelt.
Wir alle haben auch Selbstheilungskräfte und es ist wichtig,
Es gibt verschiedene Schulen in denen man sich medizinisches
diese zu stärken. Hier liegt die Stärke der Naturheilverfahren.
Wissen aneignen und Therapiemöglichkeiten erarbeiten kann.
Sei es Homöopathie, Phytotherapie, Neuraltherapie oder ande-
Wenn bei einem Multiple-Choice-Test von 60 Fragen 45 richtig
re Methoden – sie versuchen den Organismus dahin zu bringen,
beantwortet werden, hat man die Prüfung zum Heilpraktiker be-
dass gestörte Funktionen und Regelkreise wieder harmonieren.
standen.
Ich rede statt von Naturheilverfahren lieber von der Komple-
Für die Erlaubnis als Arzt Menschen behandeln zu können,
mentärmedizin. Damit ist gemeint, dass ich mit zusätzlichen
benötige ich mindestens sechs Jahre Studium. Wie viele Multi-
Therapieverfahren auf dem Boden der Schulmedizin versuche,
ple-Choice-Fragen ich in den Prüfungen beantwortet habe,
die Gesundheit wiederherzustellen.
weiß ich nicht mehr. Es waren sicher Hunderte. Dann arbeite ich
Schädlich für den Patienten ist der Heilpraktiker dann, wenn
unter Aufsicht von Oberärzten und Chefärzten im Team in Kran-
er ernstere Erkrankungen nicht erkennt und monatelang erfolg-
kenhäusern für fünf bis sechs Jahre, um als Facharzt Menschen
los behandelt und sich die Erkrankung dadurch verschlimmert.
behandeln zu können und zu dürfen.
Natürlich liegt seine Stärke darin, dass er oft mehr Behand-
Heilpraktiker behandeln auch Menschen – mit Methoden, die nicht schaden … wie man so allgemein annimmt. Die sogenannte sanfte Medizin, die nur gesund macht, rege-
lungszeit für den Patienten aufwenden kann und dem Leidenden große Zuwendung gibt. Ärzte stehen da unter sehr viel größerem Zeitdruck.
neriert, entgiftet, entschlackt, die gesundheitliche Balance
Sehr kritisch sehe ich das mittelalterliche Denken, das immer
wiederherstellt, wird zunehmend von Patienten auch nachge-
noch vielen Naturheilverfahren zugrunde liegt. Im Mittelalter war
fragt und von Heilpraktikern versprochen. Die Schulmedizin
man der Ansicht, dass schlechte Säfte im Körper des Menschen
stützt sich auf nachweisbare, überprüfbare und auch oft durch
für die Krankheiten verantwortlich sind. Es gab die schwarze
große Studien abgesicherte Therapieverfahren. Der Nachteil in
Galle, die gelbe Galle, Schleim und Blut. Und diese Säfte ver-
der Schulmedizin lag lange darin, dass man sich nur auf die
suchte man dann je nach Krankheitsbildern aus dem Körper zu
krank machenden Ursachen konzentriert hatte und diese besei-
bringen. Aus dieser Zeit stammt der Aderlass, das Schröpfen,
tigen wollte. Das gilt auch heute noch. Aber zunehmend liegt
das Verabreichen von Einläufen und die Idee, Leber und Niere zu
der Aspekt auch auf den wieder gesund machenden Faktoren.
entgiften und auszuleiten. Wenn dann ein Mensch mit Depres-
Die Medizin hat sich in den letzten Jahren rasant weiterentwi-
sionen, die sich sehr oft in den verschiedensten körperlichen
ckelt und zu vielen Spezialisierungen geführt. Hier ist es sehr
Beschwerden äußern können, so behandelt wird, dann wird
wichtig, dass ein kompetenter Hausarzt zusammen mit dem Pa-
eine effektive Therapie verhindert und die Behandlung dient nur
tienten den für ihn besten Weg zur Gesundung aussucht. Nicht
dem Behandler. Er verdient sein Geld damit.
immer sind viele Spezialisten gut für einen einzelnen Menschen.
Man muss die Grenzen der Schulmedizin kennen und auch
Wir Ärzte machen uns darüber Gedanken und der nächs-te
die begrenzten Behandlungsmöglichkeiten der Komplementär-
Esslinger Ärztetag hat zum Thema: „Medizin bis zum letzten
medizin. Wenn ich das kenne, dann kann ich in der Anwendung
Atemzug“. Hier geht es um hochbetagte und oft mit mehreren
von beiden Verfahren eine optimale Behandlung erreichen.
Grundkrankheiten behaftete Patienten. Bei diesen ist eine sorgfältige Abwägung der medizinischen Maßnahmen notwendig und es muss die Lebensqualität im Mittelpunkt stehen, nicht immer die noch durchführbare Behandlungsmöglichkeit. Die Behandlungsangebote bei den Heilpraktikern sind zumeist Erfahrungsmedizin. Damit ist gemeint, dass Naturheilmethoden von Behandler zu Behandler weitergegeben und gelehrt
Dr. med. Wolfgang Bosch Facharzt für Allgemeinmedizin und Naturheilverfahren Kronenstraße 30 73760 Ostfildern www.praxis-bosch-hauser.de
werden. Eine Überprüfung in Studien findet nicht statt. Krankheiten, Symptome, Beschwerden verlaufen auch mal schub-
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Das Gesundheitsgespräch mit Johannes Bauernfeind
Welche Leistungen die Krankenkassen übernehmen Was bezahlt die Gesetzliche Krankenkasse? Das Fünfte Sozialgesetzbuch (SGB V) gibt den rechtlichen Rahmen vor: Alle Leistungen werden erstattet, die ausreichend und bedarfsgerecht sind und dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechen. Mancher Versicherte ist jedoch unzufrieden mit dem, was ihm die Krankenkasse erstattet. Doch auch die Gesetzlichen Krankenkassen erstatten hin und wieder eine Leistung, die nicht jede Kasse bezahlt. Wir sprachen über das Thema mit dem Geschäftsführer der AOK Neckar-Fils. Werner Waldmann: Herr Bauernfeind, wer bestimmt, was die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) ihren Versicherten an Leistungen erstattet? Johannes Bauernfeind: Alle Leistungen in der ambulanten Versorgung, die zum Leistungskatalog der GKV gehören, müssen vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) das Siegel der Evidenz bekommen haben. Diese Leistungen werden erstattet, weil erwiesen ist, dass sie wirksam, wirtschaftlich und notwendig sind. Ist eine stationäre Behandlung im Krankenhaus nötig, gilt der Verbotsvorbehalt. Alles, was der G-BA nicht ausgeschlossen hat, darf entsprechend der Leistungsfähigkeit des Krankenhauses dort vorgenommen werden. Darüber hinaus dürfen Krankenkassen in ihren Satzungen auch regeln, dass sie beispielsweise nichtverschreibungspflichtige apothekenpflichtige Arzneimittel, oder auch Heil- und Hilfsmittel oder andere Leistungen erstatten. Jedoch nur, wenn der G-BA diese nicht ausdrücklich wegen fehlender Wirksamkeit ausgeschlossen hat.
Johannes Bauernfeind, Geschäftsführer der AOK Neckar-Fils
Werner Waldmann: Werden auch Leistungen erstattet, die eine Kasse als Anreiz für ihre Versicherten, sozusagen aus Wettbewerbsgründen, anbietet? Johannes Bauernfeind: Da gibt es durchaus Spielräume, die von den Kassen genutzt werden können. In der Gesetzlichen Krankenversicherung sind zum Teil individuelle Tarifgestaltungen in Verbindung mit bestimmten Leistungen möglich. Neben dem wichtigen Feld der Versorgung gestalten Krankenkassen damit untereinander den von der Politik gewollten Wettbewerb. Werner Waldmann: Für die Wirksamkeit homöopa-
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thischer Arzneimittel gibt es keine Evidenz, dass diese auch tatsächlich wirken. Können Gesetzliche Krankenkassen auch homöopathische Arzneimittel erstatten – eigentlich ein Widerspruch zur generellen Haltung, nur das zu bezahlen, dessen Wirksamkeit wissenschaftlich erwiesen ist? Johannes Bauernfeind: Homöopathische Medikamente sind nicht verschreibungs-, jedoch apothekenpflichtig. Krankenkassen können in ihren Satzungen auch solche Medikamente als Leistung übernehmen. Viele Krankenkassen tun das. Meistens ist in den Tarifen ein gewisser Vorbehalt eingebaut, der für die Erstattung homöopathischer Arzneimittel bestimmte Höchstgrenzen vorsieht. Die AOK Baden-Württemberg versucht hier einen Mittelweg zu finden. Wir präferieren die evidenzbasierte Medizin, geben also Behandlungsmethoden den Vorrang, die einen nachgewiesenen Nutzen haben. Homöopathie ist nicht evidenzbasiert, trotzdem sind diese Mittel für viele Patienten ein Thema. Umfragen zeigen, dass immer mehr Menschen den „Globuli“ vertrauen. Vor 50 Jahren verhielt sich das noch anders. Die Nachfrage nach homöopathischer Medizin ist deutlich angestiegen. Homöopathische Arzneimittel sind zwar in der Apotheke frei verkäuflich, bei der Erstattung setzen jedoch viele Krankenkassen auf die Verordnung durch einen Arzt mit entsprechender Zusatzausbildung. Wir als AOK versuchen diesem Bedarf gerecht zu werden. Allerdings behandeln wir die Verordnung homöopathischer Medikamente nicht gleichermaßen wie die der Schulmedizin. Alternative Behandlungsmethoden werden nicht selbstverständlich wie die der Schulmedizin erstattet, sondern sind an bestimmte Regeln mit Selbstbeteiligung gebunden.
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Werner Waldmann: Bieten die Gesetzlichen Krankenversicherungen spezielle Tarife für eine Behandlung mit homöopathischen Medikamenten an? Johannes Bauernfeind: Nein, wir haben dafür keinen speziellen Zusatztarif, aber wir haben in unserer Satzung das Angebot geregelt, auch homöopathische Arzneimittel bei einem bestimmten Kostenlimit zu erstatten. Laut unserer Satzung werden Behandlungen unter bestimmten Voraussetzungen und nur in Teilen, also mit einem Eigenanteil auch andere Leistungen zum Beispiel von Hebammen oder Osteopathen, bezahlt. Wir wissen, dass viele Menschen dafür eine hohe Affinität haben. Wir wollen solche Einstellungen und Wünsche nicht einfach ignorieren. Werner Waldmann: Wie geht die Gesetzliche Krankenversicherung mit dem Spagat evidenzbasierte Medizin und Erfahrungsmedizin um? Johannes Bauernfeind: Auf der einen Seite spricht die ganze Welt von Evidenz in der Medizin, auf der anderen Seite sieht die Weiterbildungsordnung für Ärzte in Baden-Württemberg genau wie die Musterweiterbildungsordnung der Bundesärztekammer Naturheilverfahren und Homöopathie als Zusatzqualifikation explizit vor. Mit diesem Widerspruch müssen wir leben. Ärzte mit der Qualifikation der Naturheilkunde sind bei uns völlig legitim, auch wenn ihre Methode von einem Teil der Schulmedizin kritisiert wird. Werner Waldmann: Wie erklären Sie sich, dass zahlreiche Patienten die alternativen bzw. homöopathischen Behandlungsmöglichkeiten denen der Schulmedizin vorziehen? Johannes Bauernfeind: Wenn die Methoden der Schulmedizin an ihre Grenzen stoßen, dann lässt das Vertrauen in die Schulmedizin nach. Dann suchen die Menschen nach anderen Lösungen für eine Heilung oder mehr Lebensqualität mit der Erkrankung. Außerdem greifen die sogenannten Schulmediziner selbst immer häufiger zur alternativen Behandlungsmethoden, beispielsweise um die schulmedizinische Behandlung zu unterstützen. Zudem wächst in der Bevölkerung das Bewusstsein für die negativen Wirkungen, wie beispielsweise bei der übermäßigen Gabe von Antibiotika. In der Folge wächst die Nachfrage nach Methoden mit geringen oder ohne solche Nebenwirkungen.
dass sie bei Patienten mit chronischen Schmerzen wirken kann. Seit 2007 zahlen die Gesetzlichen Krankenkassen bei chronischen Rückenschmerzen der Lendenwirbelsäule und des Kniegelenks die Kosten einer Akupunkturbehandlung. Werner Waldmann: Offensichtlich erstattet die Gesetzliche Krankenversicherung nicht alle Therapiemöglichkeiten, die auch von Schulmedizinern angeboten werden. Deshalb gibt es eine Liste dieser Therapiemöglichkeiten, die berühmte IGeLListe, welche die individuellen Gesundheitsleistungen beschreibt. Eine Reihe von Ärzten bietet ihren Patienten solche Untersuchungen und Therapien an, welche die Patienten selbst bezahlen müssen, da sie keine Kassenleistung sind, z. B. den berühmten PSA-Test, der ein Prostatakarzinom anzeigen kann, oder die Messung des Augeninnendrucks zur Diagnose eines Glaukoms. Weshalb werden solche Untersuchungen, die sich durchaus sinnvoll anhören, nicht von der GKV übernommen? Johannes Bauernfeind: Der Gesetzgeber hat der Gesetzlichen Krankenversicherung aufgegeben, nur Therapien zu erstatten, die den Kriterien des G-BA entsprechen. IGeL gehören nicht zum festgeschriebenen Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung. Der Nachweis für den medizinischen Nutzen oder auch deren Wirtschaftlichkeit fehlt bei diesen Leistungen. Ist eine Leistung, Untersuchungs- oder Behandlungsmethode medizinisch notwendig und sinnvoll, wird sie in der Regel auch von der GKV erstattet. Deshalb hat die AOK Baden-Württemberg zum Beispiel den PSA-Test in den Facharztvertrag Urologie aufgenommen. Hält der Arzt den Test für notwendig, erhalten AOK-Versicherte, die am Facharztprogramm teilnehmen, diese Leistung, ohne dafür zahlen zu müssen. Auch eine Glaukom-Untersuchung ist bei Diabetes-Patienten, bei denen es bereits zu diabetischen Schäden am Auge gekommen ist, eine Kassenleistung Werner Waldmann: Manche Patienten beklagen die Knausrigkeit der GKV. Kann man das so sehen? Johannes Bauernfeind: Letztlich ist jede Krankenkasse und auch die AOK als Gesundheitskasse eine Solidargemeinschaft. Wir müssen die Versicherungsbeiträge so einsetzen, dass sie unseren Versicherten einen echten Nutzen in Prävention und medizinischer Versorgung bringen. Die GKV kann nicht blindlings bezahlen, was auf dem Gesundheitsmarkt angeboten wird.
Werner Waldmann: Wird Akupunktur von der Gesetzlichen Krankenversicherung erstattet? Johannes Bauernfeind: Akupunktur ist heute eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung, allerdings nur bei bestimmten Indikationen. Die Akupunktur gehört zum großen Gebiet der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM). Man weiß,
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Ich bin müde – Aber sonst fehlt mir nichts Die Kolumne von Dr. Suso Lederle Wer ist nicht einmal müde gewesen oder erschöpft. Nichts prägt unser Leben mehr als der biologische Wechsel zwischen Müdigkeit und Aktivität, zwischen Wachsein und Schlaf. Verständlich, dass wir jede Störung dieses Rhythmus sofort wahrnehmen. Da stellt sich natürlich die Frage, was ist noch gesunde Bandbreite und was bereits Symptom einer Krankheit? Nach den Statistiken der Krankenkassen jedenfalls ist Müdigkeit einer der häufigsten Gründe, zum Arzt zu gehen. Dort muss dann von Fall zu Fall geklärt werden, ob zu wenig erholsamer Schlaf oder eine tiefgreifende Schlafstörung die Ursache ist, oder ob sich dahinter eine depressive Verstimmung verbirgt. Aber auch an eine organische Krankheit muss gedacht werden, z. B. an ein Tumorleiden, eine Anämie, einen Diabetes oder eine Erkrankung der Schilddrüse, der Leber oder des Herzens. Schließlich kann auch ein niederer Blutdruck die Vitalität lähmen, was sich besonders morgens bemerkbar macht. Wer sich ständig müde und matt fühlt, sucht natürlich auch selbst nach Erklärungen für seinen Zustand: Da kann das Frühjahr schuld sein, oder das triste Herbstwetter. Gerade das Wetter gilt vielen als die Ursache Nummer Eins. Und dann der „Stress“, zu Hause oder im Büro. Irgendwie fühlen sich viele Menschen überfordert, haben ihr Leben nicht mehr im Griff und werden zunehmend den Anforderungen ihrer Umwelt nicht mehr gerecht. Sie haben ein „Burn-out“, wie man das heute nennt. Stress abzubauen ist schwierig, die Lebensweise zu überdenken schon eher möglich, ebenso die innere Balance zu finden – nach der Devise: In der Ruhe liegt die Kraft. Manchmal kann auf diese Weise bereits ein Weg aus der Erschöpfung gefunden werden. Doch es gibt Menschen, die chronisch müde sind und die über eine geistige wie körperliche Erschöpfung klagen, die durch Ausruhen nicht besser wird. Fragen Sie dann Ihren Arzt und sprechen Sie darüber, ob sich nicht organische oder psychische Erkrankungen dahinter verbergen.
Dr. med. Suso Lederle Charlottenstraße 4 70182 Stuttgart Tel.: 0711 241774 E-Mail: suso-lederle@t-online.de
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VERANSTALTUNGEN 08.11.2017 20.00 Uhr Herzschwäche – Die unterschätzte Gefahr „Das schwache Herz“ lautet das Motto der diesjährigen Herzwochen. 2–3 Millionen Menschen in Deutschland leiden an einer Herzinsuffizienz. Aber es gibt Möglichkeiten, der Herzschwäche vorzubeugen und sie erfolgreich zu behandeln. Dr. med. Suso Lederle im Gespräch mit Prof. Dr. med. Thomas Nordt (Katharinenhospital Stuttgart) Treffpunkt Rotebühlplatz; Rotebühlplatz 28; Stuttgart 09.11.2017 18.00 Uhr Schlaganfall – rechtzeitig erkennen und behandeln Leitung: Prof. Dr. med. Matthias Leschke (Klinikum Esslingen) Altes Rathaus; Rathausplatz 1; 73728 Esslingen 20.11.2017 18 Uhr Schlafen statt schnarchen Schnarchen kann die Lebensqualität erheblich einschränken- auch die des Partners. Schlafbezogene Atemstörungen sind aber auch ein häufiger Risikofaktor für Bluthochdruck, Herzinfarkt, Schlaganfall, Diabetes und Depressionen. Aber ab wann ist Schnarchen krankhaft und ein Grund für eine Untersuchung im Schlaflabor? Prof. Dr. med. Christian Sittel, Prof. med. Dieter Weingart und Dr. med. Axel Kempa (Katharinenhospital Stuttgart) Rathaus Stadt Stuttgart Marktplatz 1; 70173 Stuttgart 31.01.2017 20.00 Uhr Angst und Panik – Falscher Alarm der Seele Ängste gehören zum Leben. Aber bei manchen bestimmen übermäßige Sorgen und Panikattacken den Alltag, und dann wird die Angst zur Krankheit. Warum wird ein Mensch zur krankhaft ängstlichen Person, den die Angst vor der Angst beherrscht? Dr. med. Suso Lederle im Gespräch mit Dr. phil. Fred Christmann (Stuttgart) und Dr. med. Wulf Bertram (Stuttgart) Treffpunkt Rotebühlplatz; Rotebühlplatz 28; Stuttgart
Kompass Gesundheit 4/2017
„Wir bieten Ihnen als eine der größten kardiologischen Kliniken in Baden-Württemberg ein breites Leistungsspektrum. Wir sind auf das gesamte Spektrum von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Gefäß-, Lungenund Nierenerkrankungen spezialisiert.“ Chefarzt Prof. Dr. Matthias Leschke
Klinik für Kardiologie, Angiologie und Pneumologie Das Diagnostik- und Therapiezentrum für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Gefäß-, Lungen- und Nierenerkrankungen Klinikum Esslingen Chefarzt Prof. Dr. Matthias Leschke Arzt für Innere Medizin, Kardiologie, Pneumologie und Intensivmedizin Telefon 0711 3103-2401 Telefax 0711 3103-2405 E-Mail: m.leschke@klinikum-esslingen.de
Jeder sollte schlafen können,
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wie er will.
Wer das nicht kann, fragt seinen Arzt und liest das Schlafmagazin.
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