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„Westeuropa ist ein starker Markt für Urgetreide“
Wie sieht der Markt für „Ancient Grains“ aus? Und welche Auswirkungen hat das wachsende Gesundheitsbewusstsein der Verbraucher auf die Nachfrage? Ein Gespräch mit Ralph Seibold, Geschäftsführer der SchapfenMühle GmbH & Co.
+ Helga Baumfalk: Herr Seibold, die SchapfenMühle gilt als Spezialist für Gebäcke aus alten Getreidesorten, insbesondere Dinkel. Profitiert das Backwarensegment „Ancient Grains“, also Dinkel, Emmer, Einkorn, Waldstaudenroggen etc., derzeit vom coronabedingt wachsenden Sinn für gesunde Ernährung der Verbraucher? Und bei welchem dieser Getreide macht sich das am deutlichsten bemerkbar?
+ Ralph Seibold: Dinkel sowie die Urge treidesorten Emmer, Einkorn und Waldstaudenroggen stehen bei den Verbrauchern schon länger hoch im Kurs. Diese Entwicklung möchte ich in ihrer Entstehung daher nicht in den Zusammenhang zur Corona-Pandemie setzen. Die stetig steigende Nachfrage nach Lebensmitteln, die mit Mehlen oder anderen Getreideprodukten aus den sogenannten Gründerpflanzen hergestellt werden, und das dahinterstehende Gesundheitsbewusstsein der Verbraucher ist einer der wirkungsmächtigsten Megatrends. Laut FoodTrendforscherin Hanni Rützler wird der Trend Gesundheit unser Ess- und Trinkverhalten nachhaltig verändern. Durch Corona hat die Strömung lediglich einen zusätzlichen Ruck erhalten. Dinkel ist unter den Urgetreidesorten das beliebteste und dies spiegelt sich auch in unserem Sortiment für die backende Branche deutlich wider. Als Getreidespezialist unterstützen wir unsere Kunden mit qualitativ hochwertigen Mischungen sowie Monoprodukten, in deren Entwicklung immer der aktuelle Zeitgeist sowie Verbraucherwünsche einfließen. Die im Herbst von uns eingeführte Mühlen- vormischung Schapfen Dinkel Classico zahlt auf diesen ungebrochenen Trend hin zu Dinkelbackwaren bestens ein. Damit haben Bäcker zahlreiche Möglichkeiten, individuelle Produkte passend zu ihrem Gesamtkonzept zu kreieren und so auf den Wunsch der Verbraucher nach gesunder Abwechslung einzugehen.
+ Baumfalk: Wird die Nachfrage Ihrer Einschätzung nach weiterhin wachsen und welche Getreidearten werden davon am stärksten profitieren?
+ Seibold: Der Trend wird anhalten. Das prognostizieren nicht nur Experten, sondern das stellen auch wir in Gesprächen mit unseren Kunden fest. Dies bestätigt uns wiederholt, dass wir vor Jahrzehnten den richtigen Weg eingeschlagen haben, als wir auf die Zusammenarbeit mit Vertragslandwirten gesetzt und in den Anbau von Dinkel investiert haben. Neben Dinkel wird Emmer immer beliebter und die Nachfrage wird sich sicher auch 2021 positiv entwickeln.
+ Baumfalk: Gibt es regional starke Unterschiede in Deutschland? Und wie sieht es in den Nachbarländern wie Österreich, Schweiz, Frankreich, BENELUX, Polen und Tschechien aus? Wo ist der Pro-Kopf-Verbrauch am größten?
+ Seibold: Generell ist das gesamte Westeuropa ein sehr starker Markt für Urgetreide, wobei der Verbrauch von Land zu Land verschieden ist. Italien war außerhalb der D-A-CH-Region das erste Land, das sich mit Urgetreide, insbesondere Dinkel, intensiv beschäftigt und ihn nachgefragt
Dinkelernte 2020
Laut Erntebericht 2020 der SchapfenMühle war der Dinkelvorrat in vielen Regionen Deutschlands aus der Ernte 2019 bereits im Frühjahr 2020 aufgebraucht. Somit wird analog dem Vorjahr ohne Überhang ins Dinkeljahr 2020/2021 gegangen.
Im mühleneigenen Labor wurden folgende Veränderungen zum Vorjahr festgestellt:
Durchschnittswerte beim Dinkelmehl Type 630
+ Das Farinogramm zeigt eine gute Wasseraufnahme mit leicht erhöhter Tendenz sowie eine ähnliche Teigentwicklungsphase zum Vorjahr. Die Teige sind sehr knettolerant und bleiben in der Teigerweichungsphase noch auf gutem Niveau stabil.
+ Das Extensogramm zeigt, dass die Teige auf der Endgare stabiler als im Vorjahr sind, die Dehnbarkeit hingegen ist etwas geringer, was sich in strafferen Teigen bemerkbar macht. Die Gebäckvolumina sind größer.
Die Veränderungen zum Vorjahr:
+ Die Enzymaktivität ist leicht geringer.
+ Die Fallzahl ist leicht höher.
+ Die Wasseraufnahme ist vergleichbar bis leicht verbessert.
+ Die Knettoleranz ist sehr gut.
+ Der Feuchtklebergehalt ist leicht niedriger und noch gut dehnbar.
+ Die gemessenen Volumina sind größer.
+ Die Krumenstabilität sowie die Krumenporung sind vergleichbar.
+ Die Krume ist etwas saftiger.
+ Die Kruste ist zartsplittriger und kürzer im Bruch.
Verarbeitungsempfehlung für Dinkelmehle aus der Ernte 2020:
+ TA zum Vorjahr belassen bzw. um 1–2 TA erhöhen.
+ Grundsätzlich ist ein Vorteig zu empfehlen.
+ Für entspanntere Teige empfiehlt sich eine Fettzugabe von bis zu 2 %.
+ Verlängerte Quellknetung aus Vorjahr beibehalten.
+ Teige aufgrund des noch gut dehnbaren Feuchtklebers im Spiralkneter ca. 4/5 im Langsamgang und ca. 1/5 im Schnellgang kneten.
+ Die Zugabemenge von kleberstabilisierenden Backmitteln kann leicht reduziert werden.
+ Teigtemperatur gleich zum Vorjahr belassen.
+ Wie im Vorjahr genügend Teigruhezeit einhalten.
++ Dinkelbrot und Dinkelkleingebäck, hergestellt mit der Mühlenvormischung
Schapfen Dinkel Classico. Die fertigen Gebäcke zeichnen sich durch eine deutlich verbesserte Frischhaltung, kurzen Biss und eine saftige Krume aus hat. Wobei man klarstellen muss, dass in Italien der sogenannte Farro, also Emmer, schon immer im Fokus stand und es viele traditionelle Gebäcke und Speisen gibt, die mit Emmer hergestellt werden. Italien ist als Dinkel-Verwender auf jeden Fall Vorreiter in Westeuropa. In den deutschsprachigen Ländern, Österreich, Schweiz und Teilen der Benelux-Staaten, ist der Verbrauch an Urgetreide, in erster Linie Dinkel, analog zu Deutschland zu sehen, das heißt, ein sehr hoher Pro-KopfVerbrauch ist gegeben. Direkt nach Westeuropa ist Skandinavien eine weitere Urgetreideregion. Aber auch hier ist es der Dinkel, der eingesetzt wird, während Emmer in den nördlichen Gefilden nach wie vor noch eine untergeordnete Rolle spielt. Seit drei Jahren beobachten wir zudem ein massives Interesse von spanischen Kunden an Dinkelprodukten und die abgerufenen Mengen steigen deutlich an. Blickt man nach Osteuropa, ist dort die Lage aktuell so, dass weder Dinkel noch andere Urgetreidesorten in größerem Stil auf der Agenda stehen und daher nicht nachgefragt werden.
+ Baumfalk: Sind Dinkelgebäcke ein Thema für den Foodservice und wie sieht es mit Dinkelgebäcken im LEH aus?
+ Seibold: Dinkelgebäck oder auch andere Gerichte zubereitet mit Dinkelmehl, wie beispielsweise Dinkelnudeln, spielen zunehmend im Foodservice sowie im LEH eine Rolle. Gerade in der Gemeinschaftsverpflegung im Bereich der Kitas, Kindergärten und Schulen wollen Eltern, dass die Kinder aus gesunden Gerichten auswählen können. Unser Produkt ‚Dinkel wie Reis‘* wächst kontinuierlich im Foodservice. Und wer sich die Brotregale im LEH aufmerksam anschaut, wird Dinkeltoast als absoluten Verkaufsschlager erkennen. Die Absatzmengen beim Dinkeltoast und weiteren neuen Artikeln aus Dinkel haben sicherlich maßgeblich zur Dinkelknappheit beigetragen.
Über die SchapfenMühle
Die SchapfenMühle GmbH & Co. KG beschäftigt an ihren beiden Standorten in Ulm-Jungingen und in Dornstadt mehr als 200 Mitarbeiter und verarbeitet pro Jahr über 100.000 t Getreide. Das Unternehmen agiert weltweit am Markt und bietet Mehle, Getreideflocken, Mühlenmischungen, Saaten sowie Kerne an.
+ Baumfalk: Wie sieht die Ernte 2020 für Dinkel, Emmer, Einkorn aus? Wird das den Bedarf bis zum nächsten Herbst decken oder welche Länder brauchen Importe?
+ Seibold: Wir gehen davon aus, dass es 2021 bei Dinkel zu Engpässen und steigenden Preisen kommen wird aufgrund der angesprochenen ungebremsten Nachfrage. Hierbei wird sich unsere gute und langjährige Partnerschaft mit unseren Vertragslandwirten jedoch auszahlen, sodass die Schapfen Mühle auch im laufenden Getreidejahr 2020/2021 Dinkel bis zum Ernteanschluss liefern kann. Dennoch ist es sicher für einige unserer Kunden mit einem erhöhten Dinkelbedarf sinnvoll, sich frühzeitig mit uns in Verbindung zu setzen, um über Dinkelkontrakte zu sprechen. Der gleiche Ratschlag gilt auch für Emmer. Kunden, die einen Produktlaunch eines Emmerbrots oder -kleingebäcks planen, sollten sich rechtzeitig mit einer Mengenvorgabe mit uns abstimmen. Bei Einkorn verzeichnen wir aktuell noch keine große Nachfrage.
+ Baumfalk: Herr Seibold, vielen Dank für unser Gespräch. +++
* „Dinkel wie Reis“ kann, der Name sagt es, wie Reis zubereitet werden. Es handelt sich um entspelzte und geschliffene Dinkelkörner, die im Webshop der SchapfenMühle erhältlich sind