Kleine Geschichte des
Protestantismus in Baden Georg Gottfried Gerner-Wolfhard
Kleine Geschichte
Kleine Geschichte des
Protestantismus in Baden Georg Gottfried Gerner-Wolfhard
G. Braun Buchverlag
Erschienen in der Reihe: »Regionalgeschichte – fundiert und kompakt«
Einbandabbildung: Das Kirchenfenster der evangelischen Kirche in Wiesloch zeigt Martin Luther und Johannes Calvin. Abbildungsnachweis: Dr. Gerhard Schwinge, Durmersheim: Einbandabbildung, S. 14, 38, 43 akg-images: S. 20, 24, 95, 97, 119, 137, 168, 183 akg-images / Hedda Eid: S. 112 picture-alliance / dpa: S. 71 picture-alliance / J.W. Alker: S. 153 Badisches Landesmuseum Karlsruhe, Foto: Thomas Goldschmidt: S. 85 Rudolf Stricker, Wikipedia Commons, lizenziert unter CreativeCommons-Lizenz by-sa-2.0-de: S. 130 Landeskirchliches Archiv Karlsruhe: S. 146, 165, 181, 190, 205, 219, 234 Generallandesarchiv Karlsruhe: S. 173 (Sign. J-M G 8) Stadtarchiv Mannheim – ISG, Bildslg: S. 198 Stadtarchiv Freiburg (Sign. M 7000/11): S. 213 Hermann-Maas-Stiftung: S. 228
www.gbraun-buchverlag.de
© 2013 G. Braun Telefonbuchverlage GmbH & Co. KG, K arlsruhe Lektorat: Birgit Wüller, Stuttgart Satz und Umschlaggestaltung: post scriptum, www.post-scriptum.biz Druck: Orga-Concept e. K., Filderstadt Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts gesetzes (auch Fotokopie, Mikroverfilmung und Übersetzung) ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Dies gilt auch ausdrücklich für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen jeder Art und von jedem Betreiber. ISBN 978 - 3 - 7650 - 8437-9
Inhaltsverzeichnis
Einleitung 9
Protestantismus | »Und ruht in Gottes Hand« – Was ist »Baden«? | Ein Mosaik – die Badischen Lande
»Danach erlittest du den Tod in viel Verachtung, Hohn und Spott« – evangelisches Vorspiel
20
Die »Theologie des Kreuzes« – Martin Luther in Heidelberg
23
Vielfältige Reformationsansätze
30
Freiherren geben erste Impulse | Im Spannungsfeld zwischen Luther und Zwingli | Das Evangelium in Kenzingen und Gengenbach | Die Grafschaft Wertheim | Franz Kolb | Johannes Eberlin | »Die warhait ist untödtlich« – Balthasar Hubmaier in Waldshut | »Abgesondert von der Welt in allem Tun und Lassen« – Michael Sattler, ein Märtyrer aus dem Breisgau | »All’ Morgen ist ganz frisch und neu« – Die Reformation in Konstanz
»Es ist das Heil uns kommen her« – die Anfänge der Reformation in der Markgrafschaft Baden und in der Kurpfalz
82
Was »Reformation« ist | Die Ausgangslage in der Mark grafschaft | Die Ausgangslage in der Kurpfalz | Kurfürst Ottheinrich von der Pfalz | Die markgräfliche Landesk irche | Das badische Markgräflerland
Das Zeitalter des Konfessionalismus
111
Die Religionswende in der Kurpfalz
Das 17. Jahrhundert … Johann Georg W olfhardt, magister viator im Kraichgau | Neues Leben nach dem Dreißigjährigen Krieg
120
6
Inhaltsverzeichnis
Neue Kriege, neues Leid – Entwicklungen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts
129
Späte Gegenreformation | »Wir sind ja allesamt Christen« – das Lebenswerk Carl Friedrichs von Baden | Die badische Kirchenunion 1821 | Aloys Henhöfer und die Erweckungsbewegung in Baden | Der Vormärz und die Badische Revolution
Die Ära Ullmann, die Neue Ära und die Entwicklung vor dem Ersten Weltkrieg
176
Die Ära Ullmann | Die Neue Ära | Der badische Protestantismus vor dem Ersten Weltkrieg
Von der Monarchie zur Republik
193
Der evangelische Kirchenkampf im 20. Jahrhundert
200
Die Kirche im NS-Staat – das lokale Beispiel Göbrichen | Beispiele des Widerstands – Ispringen und Stein | Kriegsfolgen und Neubeginn nach 1945 | »Grundsätzliche kirchliche Fragen« – neuer Anfang und neue Ordnungen | Kirchenrechtlicher Balanceakt | Von »Kampf« zu »Kampf« | »Geistlich und rechtlich in Einheit«
Aufbruch in die Moderne – von der Ära Heidland (1964–1980) bis heute
233
Zu Beginn des 3. Jahrtausends …
Anhang
239
Aus Balthasar Hubmaiers Summe eines ganzen christlichen Lebens | Aus den Schleitheimer Artikeln | Aus der Konkordienformel (Formula Concordiae) 1577 | Erwin Eckert blieb unvergessen in Mannheim
Glossar
254
Ausgewählte Literatur
259
In memoriam Trudel Wolfhard (1943–1999) und Gottfried Seebaß (1937–2008)
Vorwort
Die Universität Heidelberg hat mir über ein Vierteljahrhundert lang einen Lehrauftrag für »Badische Kirchengeschichte« erteilt. Das war eine herrliche Gelegenheit, in fruchtbarer Zusammenarbeit mit den Studenten auch selber zu erkunden und zu begreifen, was Protestantismus in Baden war, ist und sein soll. Oft wurde ich gefragt, »wann das als Buch herauskommt«. Mit einem späten Gruß an meine damaligen Studenten lege ich nunmehr etwas vor, was gelesen werden mag als der Text eines badischen Pfarrers, der erzählt, was er studiert, gelehrt und zum Schluss hin auch selbst miterlebt hat. Das hat zur Folge, dass keine »flächendeckende« Historie geboten wird, die alle Zeiträume und Landschaften in gleichem Umfang betrachtet. Bei einem regionalen »Patchwork«, wie Baden es ist, dürfte das auch schwer möglich sein. Doch der »lila Faden« des Protestantismus in Baden wird hoffentlich erkennbar, und die vielen »O-Töne«, die ich zu Wort kommen lasse, mögen beispielhaft verstanden werden und anregen, in der eigenen Umgebung nach solchen zu forschen und ihnen zu lauschen. Den Kollegen Gerhard Rau und Klaus Baschang, Gerhard Schwinge und Johannes Ehmann danke ich für Inspiration, verlässlichen und profunden fachlichen Rat und für manchen Trost in freundschaftlicher Treue. Aus meinem Heidelberger Lehrauftrag ist dieses Buch hervorgegangen. Gewidmet ist es dem Andenken zweier Menschen, die in jener intensiven Zeit Weggefährten waren. Georg Gottfried Gerner-Wolfhard
Karlsruhe, Juni 2013
Einleitung
»Das Beste, was wir in Baden von den Vätern ererbt haben, unser evangelisches Christentum, verdanken wir zu einem guten Teil Basel, der ›königlichen‹ Stadt, die einer der Brennpunkte der Reformation gewesen ist.« So hat es vor hundert Jahren ein badischer Pfarrer gesehen, und er hatte Recht. Allerdings nicht vollständig. Der Protestantismus in Baden verdankt sich zu einem – sehr guten! – Teil auch der kurfürstlichen Stadt Heidelberg und dem, was dort und von dort aus seit dem 26. April 1518 geschehen war. Und er verdankt sich vielen weiteren Anstößen und Aufbrüchen von Vätern und Müttern, von Brüdern und Schwestern an Orten, die heute zu Baden gehören, aber auch an solchen, die nicht mehr dazugehören oder nie dazugehört haben – wie zum Beispiel die Freie Reichsstadt Straßburg. Davon ist in einer Kleinen Geschichte des Protestantismus in Baden zu erzählen. Zuvor müssen allerdings die Begriffe »Protestantismus« und »Baden« erörtert werden.
Protestantismus … … ist ein reichlich unbestimmter Religionsbegriff und nebenbei bzw. darüber hinaus auch ein Kulturbegriff – hervorgegangen aus einer Symbiose von Buchdruck, Humanismus und Reformation. »Die Reformation hat nicht allein Kirche und Theologie grund legend verändert. Vielmehr hat der aus ihr hervorgegangene
10
Einleitung
und ihr verpflichtete Protestantismus das gesamte private und öffentliche Leben, gesellschaftliche Strukturen und Wirt schaftshandeln, kulturelle Wahrnehmungsmuster und Mentali täten ebenso wie Rechtsauffassungen, Wissenschaftskonzepte und künstlerische Ausdrucksgestalten mitgeformt.« Nr. 6 der 21 Perspektiven für das Reformationsjubiläum 2017 der EKD
»Protestantismus« ist bei weitem nicht so klar umrissen wie sein geläufiges Pendant »Katholizismus«, hinter dem eine einzige, die römisch-katholische Kirche steht. Demgegenüber ist »Protestantismus« nur ein jeweils ausgehandelter Hilfsbegriff für die Gesamtheit derjenigen christlichen Kirchen und religiösen Gruppen, deren Ursprünge auf die Kirchenreformationen des 16. Jahrhunderts zurückgehen oder die anderweitig mit diesen in Beziehung stehen und sich auf die fünf wichtigsten reformatorischen Theologen – Martin Luther, Philipp Melancht hon, Martin Bucer, Huldrych Zwingli und Johannes Calvin – berufen. Gemeinsam ist dem Protestantismus allerdings ein zentraler religiöser Begriff. Einerseits eint er alle seine verschiedenen konfessionellen Ausprägungen und die späteren protestantischen Reformbewegungen; andererseits übergreift er die positionellen Bekenntnisschriften des 16. und 17. Jahrhunderts. Dieser Zentralbegriff ist »Gewissen«: Der Protestantismus postuliert für den Einzelnen, eine in ihrem Gewissen unmittelbar vor Gott stehende Person zu sein. Zu diesem Postulat gibt es eine prominente Veranschaulichung: Auf der Mitteltafel des Altars der Stadtkirche St. Peter und Paul in Weimar, von Lucas Cranach (d. Ä.) gemalt, ist neben Martin Luther auch der Maler selbst unter dem Christus am Kreuz zu sehen. Der Blutstrahl aus der Seitenwunde des Crucifixus trifft in hohem Bogen genau das Haupt des Malers,
Protestantismus …
11
»Gottunmittelbarkeit« als Urfrömmigkeit des Protestantismus: das Cranach-Altarbild aus Weimar
der auf diese Weise gegen Ende seines Lebens seinen persönlichen Glauben bezeugt. Und wenn man sich den Strahl verlängert denkt, trifft er die aufgeschlagenen Seiten der Bibel, auf die der Reformator demonstrativ deutet! Von dieser »Gott unmittelbarkeit« her gilt die Gewissensfreiheit als die wertvollste Lebensbedingung des Protestantismus, die er verteidigen und schützen soll.
12
Einleitung
Protestantismus ist der aus der Bibel genommene religiöse Grundsatz, um des Gewissens willen gegebenenfalls »im Wind zu stehen« und um eines größeren Ja willen auch ein Nein zu sprechen, das heißt, den status confessionis zu erklären, also einen kompromisslosen »Stand(-Punkt)« einzunehmen: »Wir müssen wieder Protestanten werden wie unsere Väter […] aus der Gebundenheit an […] Wort und Evangelium«, lautete im Juli 1934 ein Aufruf des Leiters der Badischen Bekenntnisgemeinschaft, Pfarrer Karl Dürr, angesichts der drohenden Entmündigung der badischen Landeskirche durch den Reichsbischof. Diese Einstellung macht den Protestantismus gegebenenfalls anstrengend, für die Protestanten und für ihre Umgebung: »Wir Protestanten sind […] die Anstrengenden unter den christlichen Konfessionen« (Markus Engelhardt). Diese Neigung des Protestantismus entspringt aus seinem Anlass, aus der »Protestation« der evangelischen Reichsstände am 19./20. April 1529 auf dem Reichstag zu Speyer: »In den Sachen, die Gottes Ehre und unserer Seelen Heil und Seligkeit belangen, muss ein jeglicher für sich selbst vor Gott stehen und Rechenschaft geben; also dass sich darin keiner auf des andern Anordnen und Beschließen entschuldigen kann.« Allzu sehr glorifizieren sollte allerdings niemand diese Tat der »Protestanten« von Speyer, denn drei Tage später, am 23. April, haben dieselben evangelischen Stände dem Reichstagsbeschluss zugestimmt, dass hartnäckige, sich auf ihr Gewissen berufende »Wiedertäufer« mit dem Tode zu bestrafen seien – was in den folgenden Jahren mehr als einmal exekutiert wurde, von altgläubigen wie von neugläubigen Obrigkeiten! Was aus solch leidvollen Gärungsprozessen herauskam, sind eigentlich mehrere Protestantismen, eine bunte und nicht immer fröhliche Vielfalt: lutherische und calvinistische Konfessionskirchen, freie Kirchen wie die Baptisten und die Methodisten, cum grano salis auch die Anglikaner, dazu die Nachfahren
Protestantismus …
13
mittelalterlicher »Ketzer«-Bewegungen wie die Waldenser und die Böhmischen Brüder, zum Teil auch »Sekten«, die sich von protestantischen Kirchen abgespalten haben, und nicht zuletzt die »Missionskirchen« in Afrika und Asien. Über hundert solcher Kirchen in Europa (und fünf weitere in Südamerika) bilden die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE). Sie verwirklichen das Konzept der »Einheit in versöhnter Verschiedenheit«, wie es die Leuenberger Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa (1973) vorgibt: Die »unterschiedlichen Bekenntnisbindungen werden nicht negiert oder abgewertet« (Jörg Winter), aber sie haben nicht mehr eine kirchentrennende Bedeutung und Wirkung. Viele protestantische Kirchen verstehen sich als einen wirksamen Teil der Gesellschaft, in der sie leben. Sie haben nicht selten auch staatskirchenrechtlich abgesicherte Privilegien. Andere definieren sich eher in einem Gegenüber zur Gesellschaft und gehen auf Distanz zu ihr. In der gesamten christlichen Religionsgeschichte seit ihren apostolischen Anfängen repräsentiert der Protestantismus – nach den orthodoxen Ostkirchen und neben dem römischen Katholizismus – den dritten Typus des Christentums, quasi seinen »westlichen Dialekt«. Über lange Perioden seiner Geschichte hinweg verstand er sich emanzipatorisch als »Religion der Freiheit« und war nicht unwesentlich beteiligt an der »Entzauberung der Welt«. Der Protestantismus ist durch Predigt – genauer gesagt: durch Bibel-erklärende Predigt – entstanden: Mit Armbinden »VDMIE« – Verbum Dei manet in eternum (»das Wort Gottes bleibt in Ewigkeit«) – ließ Landgraf Philipp I. von Hessen (1504–1567) sein Gefolge beim Speyrer Reichstag 1526 auftreten. Der Protestantismus will die Menschen mündig machen, weil er davon überzeugt ist, dass sich aus der Schrift bzw. aus dem »Prinzip der freien Forschung in der Schrift« die richtige (religiöse) Überzeugung gewinnen lässt. Dass eine christliche Ver-
14
Einleitung
Die Bibel in der Volkssprache hilft Christen, mündig zu werden: Bibelfenster in der Auferstehungskirche Rüppurr
sammlung oder Gemeinde Recht und Macht habe, alle Lehre zu urteilen und Lehrer zu berufen, einzusetzen und abzusetzen – Grund und Ursach aus der Schrift: So ist ein maßgeblicher Traktat von Martin Luther aus dem Jahr 1523 betitelt. Darin hatte er postuliert: In »solchem Handel muss man sich gar nichts kehren an Menschengesetz, Recht, altem Herkommen, Brauch, Gewohnheit etc.«, denn die menschliche Seele dürfe nur mit dem »ewigen Wort« regiert werden; deshalb »muss man hierin handeln nach der Schrift und Gottes Wort«. Die im Protestantismus so hoch geschätzte Mündigkeit wird vor allem als die Mündigkeit der sogenannten Laien, der nicht
»Und ruht in Gottes Hand« – Was ist »Baden«?
15
zünftigen Theologen, gesehen: Der Laie ist mit seinem Leben aus der »Rechtfertigung aus Gnaden« der eigentliche Repräsentant Christi in der Welt und neben den theologischen »Kopfwerkern«, den professionellen Theologen, auch ein maßgeblicher theologischer »Herz- und Lebenswerker«! Allerdings hat keine große protestantische Kirche dieses Prinzip in Reinform verwirklicht – am ehesten noch die calvinistisch-reformierten und die unierten Kirchen. Eine Unterscheidung zwischen »Altprotestantismus« und »Neuprotestantismus« – vom seinerzeitigen Heidelberger Theologieprofessor Ernst Troeltsch (1865–1923) stilisiert und zugespitzt – hatte für Baden im 19. und 20. Jahrhundert Bedeutung: Wenn jener – vor Pietismus und Aufklärung – vorwiegend ein Kirchenprotestantismus gewesen sei, so stelle sich dieser – nach der pietistischen Wertschätzung der Herzensfrömmigkeit und nach der kritischen Aufklärung sowie nach der idealistischen Betonung der Subjektivität – als Bildungsprotestantismus oder, wie schon erwähnt, als Kulturprotestantismus dar. Die Unterscheidung ist umstritten, weil nicht abschließend geklärt ist, ob »Kulturprotestantismus« lediglich eine protestantisch-theologische Theorie über »Kultur« ist oder ob es ihn als reales Christenleben gab und gibt. Aber die Unterscheidung hat eine gewisse orientierende Funktion, insbesondere für Baden, dessen evangelische Landeskirche weit über ein Jahrhundert lang den Begriff »protestantisch« im »Firmenschild« trug.
»Und ruht in Gottes Hand« – Was ist »Baden«? »Das Rheinland von Basel bis Mainz am Oberrhein ist durch alle Jahrhunderte das Grenzland Deutschlands gewesen, wo die Ideen zwischen den Völkern ausgetauscht wurden. Dazu kommt, daß hier ein guter Wein wächst, das Leben an Schwere verliert und die schöne Natur die Menschen fröhlich macht. So
16
Einleitung
ist hier ein Menschenschlag entstanden, der voll Farbe und Blut und von leichter Empfänglichkeit ist. In diesem großen Garten blüht allerlei Gesträuch und gibt es verschiedenen Geschmack« (Heinrich Leube). Was aber in diesem großen Garten dann genau »Baden« ist und was »das Badische« an Baden ist, das ist nicht leicht zu bestimmen. Das »Badnerlied« gibt zwar vor, es genau zu wissen: Baden ist das schönste Land in Deutschlands Gauen mit der Residenz in Karlsruhe und der Fabrik in Mannheim, mit der Festung in Rastatt und dem Silberbergbau in Haslach, mit dem Weinbau bei Freiburg und dem Schön-Mägdelein-Wachstum im Schwarzwald. Aber so ähnlich wird von andern deutschen Ländern auch gesungen; das »Badnerlied« ist die »Variante eines ›Sachsenliedes‹, von dem man nicht viel weiß« (Paul Feuchte). Und über eine gemeinsame Sprache lässt sich Baden auch nicht definieren; »es gibt keinen badischen Dialekt als solchen« (Berthold Sütterlin).
Ein Mosaik – die Badischen Lande Wenn wir badische Geschichte erzählen, dann ist es angemessener, von »Badischen Landen« zu sprechen als einfach von »Baden«. Denn Südwestdeutschland, also auch »Baden«, war »nach dem mittelalterlichen Erlöschen der Herzogtümer Schwaben und Franken stärker zersplittert als jedes andere« Gebiet im Reich, und dieser Zustand dauerte rund ein halbes Jahrtausend lang an. Entsprechend »kleinkammrig« ist die Geschichte verlaufen, und in den badischen Gegenden kann man »bis heute erkennen, ob man sich in einer katholischen oder evangelischen Landschaft befindet« (Hermann Bausinger). Mit der erwähnten »Kleinkammrigkeit« Südwestdeutschlands hängt es zusammen, dass im vorliegenden Fall eine Kleine Geschichte oft nur in kleinen Geschichten, in lokalen und re-
Ein Mosaik – die Badischen Lande
17
gionalen Beispielen und nicht flächendeckend erzählt werden kann. Der altmodische Ausdruck »Badische Lande« bezeichnet diejenigen Regionen, die erst vor zwei Jahrhunderten durch Napoleon in geopolitischer Absicht aus vielen alten Herrschaften zum Großherzogtum Baden diplomatisch wie ein Flickenteppich zusammengenäht wurden. Baden war der damals kleinste deutsche Mittelstaat, »dessen Hauptstadt [Karlsruhe] nur eine einzige, aus Hütten gebildete Straße hat« (Sigismund von Reitzenstein). Das neue »seltene Gebilde von 300 Kilometern Längenausdehnung« (Hansmartin Schwarzmaier) – von Wertheim am Main bis Konstanz am Bodensee – war ein völkerrechtliches Kunstprodukt, welches – im Gegensatz zum benachbarten Königreich Württemberg – keine Kernlande hatte, die Identität hätten stiften können. Eine badische Identität entwickelte sich erst im Großherzogtum: teils aus »Staatspropaganda« (Armin Kohnle), nämlich durch den künstlichen Rückgriff der regierenden Dynastie auf das »werbewirksame Markenzeichen« (Hansmartin Schwarzmaier) der angeblichen Zähringer-Tradition, teils aus der Tradition des sogenannten Aufgeklärten Absolutismus an den vornapoleonischen Höfen in Mannheim und Karlsruhe, vor allem aber durch die badische Verfassung vom 22. August 1818, die ein staatsrechtliches Meisterwerk darstellte und wesentlich zur Überwindung der immensen großherzoglich-badischen Probleme (Haushaltsdefizit und Staatsschulden, Sicherung der staatlichen Einheit und Integration der neubadischen Landesteile) beitrug. Diese von dem badischen Staatsrat Karl Friedrich Nebenius (1784–1857) erarbeitete Verfassung war die damals modernste Konstitution weit und breit. Hinsichtlich der Religionsgemeinschaften bestimmte sie: »Alle Staatsbürger von den drey christlichen Confessionen haben zu allen Civil- und MilitairStellen und KirchenAemtern gleiche Ansprüche. […] Jeder LandesEinwoh-