Holzbulletin 127/2018 Internationale Holzarchitektur ‹The Tallwood House›, Vancouver (CA) ‹Puukuokka Housing Block›, Jyväskylä (FI) ‹La Cité du Vin›, Bordeaux (FR) ‹Löyly›, Helsinki (FI) ‹Artlab›, Lausanne (CH)
53 m und 18 Stockwerke hoch ist das ‹Tallwood House› der University of British Columbia in Vancouver (Kanada). Es bietet seit 2017 eine kostengünstige Unterkunft für 404 Studierende. Planer: UBC Properties Trust, Vancouver (Generalplaner), Acton Ostry Architects Inc., Vancouver (Architektur), und Architekten Hermann Kaufmann ZT GmbH, Schwarzach (Beratung)
Eine aussergewöhnliche Wahl Der erste ‹Prix International d’Architecture Bois Décerné par la Presse›, zu deutsch der erste internationale Preis der Fachpresse für Holzarchitektur, wurde am 12. April 2018 während der 8. Ausgabe des Internationalen Forums für Holzbau in Dijon verliehen. Die Redaktionen der sechs Publikationen ‹Holzbulletin› (Schweiz), ‹Séquences Bois› (Frankreich), ‹Mikado› (Deutschland), ‹PUU› (Finnland), ‹Trä› (Schweden) und ‹Wood Design & Building Magazine› (Kanada) haben in diesem Rahmen zusammengefunden, um 18 aktuelle Objekte des Holzbaus aus ihren geografischen Räumen in einem zweistufigen Verfahren zu beurteilen. Als Sieger ging ‹The Tallwood House› in Vancouver hervor. Die besonders kühne Umsetzung mit 18 Stockwerken, davon 17 in Holz ausgeführt, markiert eine neue Etappe bei Hochhäusern in Holz. Das Studentenheim ist der derzeit weltweit höchste fertiggestellte Holz-Wohnbau. Insgesamt fünf Objekte überzeugten die Jury mit ihrer Qualität, darunter auch das in der Schweiz entstandene ‹Artlab› von Kengo Kuma and Associates. Die Jury beschreibt es als ein atemberaubendes Beispiel dafür, wie Holz als Schaufenster für einen Ausstellungsraum dienen kann, in dem es selbst zum Kunstwerk wird. Die kulturellen und regulatorischen Unterschiede auf den Globus sind riesig. Die Vergabe eines internationalen Holzarchitektur-Preises mag unter diesem Aspekt mutig erscheinen – wir stehen dazu. Mit der Dokumentation der fünf Finalteilnehmer gibt das ‹Holzbulletin› einen Eindruck davon, wie gross das Interesse am Bauen mit Holz und seiner Leistungsfähigkeit weltweit ist. Die Redaktion öffnet damit für einmal wieder bewusst den Blick über den Fokus Schweiz hinaus.
Audanne Comment und Roland Brunner, Technische Kommunikation Lignum
‹The Tallwood House›, Vancouver (CA) In Vancouver markiert ein 18-geschossiges Studentenwohnheim von 53 m Höhe einen Meilenstein im Schlankheitsgrad von Holzstrukturen zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Das verwendete Holz bindet 2432 Tonnen CO2. Gemäss den kanadischen Vorschriften für Gebäude waren bis 2012 Holzkonstruktionen bis zu 18 m Höhe respektive sechs Geschossen und 1200 m2 Geschossfläche (bis 2009 vier Geschosse) zulässig. 2003 wurde eine Studie zur Realisation eines Hochhauses aus Holz initiiert, um den Blick auf die Zukunft zu öffnen. Der Baustoff Holz hat in der Provinz British Columbia grosse Bedeutung, da sie zu rund zwei Dritteln respektive mit 60 Millionen Hektaren bewaldet ist, was die vermehrte wirtschaftliche Nutzung der lokal grössten natürlich vorkommenden Ressource nahelegt. Aus dem Projekt sollten Wissen und Hilfsmittel zur Realisation von beständigen, gesunden und brandsicheren Hochhäusern in Holz resultieren. Zur gleichen Zeit standen rund 3500 Personen auf der Warteliste für Studentenwohnungen auf dem Campus der University of British Columbia. Zudem war an der ‹Walter Gage Road› eine schmale Fläche im Rücken des Parkhauses von 15 x 56 m Ausdehnung mit einer maximal bebaubaren Höhe von 53 m frei. Die Universität gab die Einwilligung zur Errichtung der hybriden Struktur inmitten von Gebäuden für das studentische Wohnen unter der Auflage, die Holzvariante zu denselben Kosten wie in Beton oder Stahl zu realisieren. Der Standort machte das Experiment für nachhaltiges Bauen breit sichtbar. Das im Juli 2017 eingeweihte Studentenwohnheim verfügt über 18 Stockwerke, von denen 17 in massiver Holzbauweise ausgeführt sind. Beeindruckend in seinen Dimensionen, nimmt es eine klassische Sprache auf und referenziert auf den internationalen Stil der fünfziger Jahre. Insgesamt werden 404 Wohnungen bereitgestellt, zumeist Studios an den äusseren Schmalseiten, dazwischen Wohnungen mit vier
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Schlafzimmern und einem kleinen Wohnzimmer. Im Erdgeschoss finden sich zwei Eingänge. Einer führt zu den Aufzügen, der andere ermöglicht den Zugang zu einem Café, welches als öffentlicher Raum der Allgemeinheit offen steht. Ein zweiter Gemeinschaftsbereich ist den Bewohnern vorbehalten und fördert die Geselligkeit. Die Geschosshöhe des in Beton ausgeführten Erdgeschosses beträgt 5 m, die der Obergeschosse 2,81 m. Zwei Kerne in Ortbeton dienen der vertikalen Erschliessung, aber auch der Gebäudestabilisierung und der Vereinfachung des Genehmigungsverfahrens bezüglich Brandschutz. Für den 17-geschossigen Holzbau kommt ein objektspezifisches Konzept gemäss den nationalen Standards zur Anwendung. Das Gebäude ist mit einem Sprinkler-Vollschutz und einem automatischen Rauchabzugssystem ausgestattet. Dadurch lag die Anforderung an den Feuerwiderstand der Bauteile bei zwei Stunden, was mit einer in Gipsplatten ge kapselten Holzkonstruktion möglich ist. Die Innenwände sind alle mit nichtbrennbaren Baustoffen ausgeführt. Die Geschossdecken bauen auf fünfschichtigem Brettsperrholz von 169 mm Stärke auf. Sie liegen auf Stützen in einem Raster von 2,85 x 4 m auf, welche mehrheitlich in Brettschichtholz ausgeführt sind, teilweise aber der hohen Belastung wegen auch in Furnierschichtholz. Stahlteile sind im Längsstoss der Stützen auf Höhe der Geschossdecken angeordnet und bilden gleichzeitig dessen Auflager aus. Ihre Formgebung ist neben der Kraftübertragung auf eine möglichst einfache Montage ausgelegt. Das Brettsperrholz der Decken wurde schon im Werk mit einer Schutzschicht gegen die Witterung versehen. Ein vollflächig durchgehendes Vlies schafft die Trennung zum darüber eingebrachten Zementestrich. Auf der Unterseite sind die Deckenelemente mit drei Lagen Gipsplatten bekleidet, um den Schallschutz zu verbessern und den Brandschutzanforderungen gerecht zu werden. Einzig im
obersten Geschoss bleiben die Holzdeckenelemente von unten sichtbar und lassen die ungewöhnliche Art der Struktur erschliessen. Die Deckenelemente, die Stützen mit den Stahlteilen und die Fassadenelemente in einer metallischen Rahmenbauweise einschliesslich der Fenster wurden im Werk vorbereitet. Dank der Vorfertigung war es möglich, ein Stockwerk innerhalb eines Arbeitstages im Rohbau zu schliessen. Insgesamt waren nur neuneinhalb Wochen für den gesamten Holzrohbau notwendig. Dies war aber nur mit einer sorgfältigen Planung des Bauablaufes anhand von numerischen Modellen und Simulationen möglich. Damit wurden Unsicherheiten und potentielle Konflikte im Vorfeld aufgedeckt sowie schliesslich alle Etappen und Schnittstellen mit einer intensivierten Koordination der Unternehmen vereinfacht.
Situation
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Struktur mit Decken in Brettsperrholz und StĂźtzen in Brettschichtholz
Axonometrie der hybriden Struktur in Holz und Beton
Holzstruktur mit Schutzschichten während Bauphase
Axonometrie der mit Gipsplatten gekapselte Struktur in Holz
Holzstruktur mit allen Schichten des fertigen Ausbaus
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Ort 6088 Walter Gage Road, Vancouver, BC V6T 0B4, Kanada Bauherrschaft University of British Columbia, Student Housing and Hospitality Services, vertreten durch University of British Columbia, Infrastructure Development, Vancouver Generalplaner UBC Properties Trust, Vancouver Architektur Acton Ostry Architects Inc., Vancouver Beratung Architekten Hermann Kaufmann ZT GmbH, Schwarzach (AT) Bauingenieur Kamps Engineering Ltd., Toronto (CA) Ingenieur Brandschutz und Normierung GHL Consultants Ltd., Vancouver Ingenieur Haustechnik Stantec, Edmonton (CA) Energieplaner EnerSys Analytics Inc., British Columbia Digitale Modellierung CadMakers Inc., Vancouver Bauakustik RWDI AIR Inc., Vancouver Gebäudehülle und Bauprozesse RDH Building Science Inc., Vancouver Holzbau Seagate Structures, Langley (CA; Montage), Structurlam Products LP, Penticton (CA; Fertigung), und Centura Building Systems Ltd., British Columbia (Fassade) Materialien Brettschichtholz in Douglasie und Tanne, Brettsperrholz in Föhre, Fichte und Tanne, total 2233 m3 Grundstücksfläche 2315 m2 Geschossfläche 15 115 m2 Gebäudegrundfläche 840 m2 Quadratmeterpreis CAD 2668,– Bauzeit November 2015 – Juli 2017 Fotograf Michael Elkan Photography, Vancouver
Erdgeschoss
Regelgeschoss
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20 m
‹Puukuokka Housing Block›, Jyväskylä (FI) Der Puukuokka-Komplex besteht aus drei sechs- bis achtstöckigen Gebäuden. Er bietet 150 Wohnungen mit einer Gesamtfläche von rund 10 000 m2. ‹Puukuokka One›, fertiggestellt Anfang 2015, umfasst 58 Wohnungen mit Grössen von 54 m2 mit einem Schlafzimmer bis 76 m2 mit drei Schlafzimmern. Die Stadtplanung von Jyväskylä berücksichtigte die Bedürfnisse des Gebäudekomplexes. So wurde es möglich, nur einen Teil der gemeinsamen Räume zum erlaubten Gebäudevolumen zu zählen. Die Überbauung folgt dem hügeligen Gelände, um Störungen des tiefen Untergrunds und der vorhandenen Vegetation zu minimieren. Errichtet wurde sie auf einem Betonfundament mit Tiefgaragenplätzen im Untergeschoss. Ziel in Puukuokka war, eine Lösung zu finden, um die technischen und ästhetischen Qualitäten von Brettsperrholz bestmöglich zu nutzen und ein grossmassstäbliches Gebäude in Holz mit einem eigenen architektonischen Ausdruck zu schaffen. Dabei galt es, ein Gebäude zu konzipieren, in dem sich das Gefühl von Wärme und Privatsphäre wie in einem Einfamilienhaus mit dem halböffentlichen Charakter der Gemeinschaftsräume eines Mehrfamilienhauses verbindet. Puukuokka diente der Projektträgerschaft als Pilot zur Entwicklung eines Systems volumetrischer Module auf der Basis von Brettsperrholz. Der Baustoff ermöglichte den Planern die Schaffung von geräumigen, lichtdurchfluteten Korridoren und Atrien. Diese sind aus Gründen der Energieeffizienz als halbwarme Räume ausgeführt. Dank der Dämmeigenschaften von massivem Holz kann die Temperatur jeder einzelnen Wohnung unabhängig von der ge-
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meinsamen Erschliessung kontrolliert werden. Die vorgefertigte, volumetrische Konstruktionsweise ermöglichte zudem die Vorinstallation für Wärme, Wasser, Strom und Lüftung in den Korridorwänden, wo die Haustechnik für Wartungs- und Reparaturarbeiten leicht zugänglich ist. Diese Ordnung ermöglicht auch eine effiziente Organisation der Grundrisse und die Maximierung des jeder Wohnung zugeteilten Raumes. Mit einem in Beton erstellten Sockelgeschoss für Parkplätze, Lager- und Betriebsräume konnte die Hanglage des Geländes genutzt werden. Die gesamte Tragkonstruktion darüber besteht aus vorgefertigten Modulen in Brettsperrholz. Jede Wohnung baut auf zwei Modulen auf, von denen eines das Wohnzimmer, den Balkon und das Schlafzimmer beherbergt, das andere das Badezimmer, die Küche und das Foyer. Der Einsatz dieser Module ermöglichte es, die Bauzeit vor Ort bei sechs Monaten pro Haus zu halten. Die Fertigung der Module erfolgte in einer lokalen Fabrik in Hartola mit weniger als zwei Stunden Fahrzeit zur Baustelle. Die Fassadenelemente in Holz wurden separat vormontiert zur Baustelle gebracht und parallel zur Konstruktion hochgezogen. In den zur Strasse gerichteten Fassaden ist Fichte mit einem dunklen Anstrich und auf der Innenhofseite unbehandelte Lärche eingesetzt. In den Innenräumen ist das Brettsperrholz an den Decken, den Böden und den Treppen der Flure sichtbar. An den Wänden jedoch ist es mit Gipsplatten bekleidet, um zu vermeiden, dass zuviel Holz in den Innenräumen sichtbar wird, aber auch, um die Brandschutzvorschriften zu erfüllen.
Situation
2. Obergeschoss
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20 m
4. Obergeschoss
Ort Syöttäjänkatu 1–3, 40520 Jyväskylä, Finnland Bauherrschaft Lakea Oy, Jyväskylä Architektur OOPEAA Office for Peripheral Architecture, Seinäjoki/Helsinki (FI); Projektleiter: Anssi Lassila, Jussi-Pekka Vesala, Juha Pakkala, Iida Hedberg; Mitarbeit: Mia Salonen, Teemu Hirvilammi, Hanna-Kaarina Heikkilä Bauingenieur Sweco Rakennetekniikka Oy, Jyväskylä GU JVR-rakenne Oy, Jyväskylä Holzbau Stora Enso Wood Productions GmbH, Helsinki Flächen 18 650 m2 (Geschossfläche), 14 000 m2 (Wohnflächen), 4650 m2 (Park- und Lagerflächen sowie Gemeinschaftsräume) Fertigstellung 2015 (Haus 1), 2017 (Haus 2), 2018 (Haus 3) Fotograf Mikko Auerniitty, Jyväskylä
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Axonometrie des modularen Aufbaus 1 Wand mit Installationen 2 Modul mit KĂźche und Badezimmer 3 Modul mit Wohnraum und Schlafzimmern 4 Fassadenelemente mit Fenstern 5 Balkone in Brettsperrholz 6 Korridore mit Brettsperrholz-Decken 7 Treppen in Brettsperrholz
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Axonometrie Ăœberbauung
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‹La Cité du Vin›, Bordeaux (FR) Das Gebäude beherbergt eine Ausstellung, welche sich dem Wein als kulturellem, gastronomischem und regionalem Erbe auf der ganzen Welt widmet. Sie bietet eine Reise zu diesem Thema über die Jahrhunderte und alle Kulturen hinweg. 2016 eröffnet, zählte die Ausstellung 2017 rund 450 000 Besucher. Die wichtige Rolle, welche der offene Seehafen der Stadt Bordeaux über Jahrhunderte für den Handel in Europa spielte, ist wenig bekannt. Berühmt ist die Gegend für ihre grossen Weine. Der intensive Warenaustausch über den Atlantik hat jedoch viele Spuren im Stadtbild hinterlassen. Die in einer Biegung der Garonne
Situation
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entstandene Metropole, die Europa mit Kaffee, Kakao, Zucker und Baumwolle belieferte, zeigt noch immer emsiges Treiben am Hafen. Bordeaux ist jedoch heute physisch von seinem wichtigen Handelshafen getrennt. ‹La Cité du Vin›, ein symbolhaftes Gebäude, das die Silhouette der Stadt verändert, befindet sich in einem alten, beliebten Viertel, das mit den Hafenaktivitäten von früher verbunden ist. Das organisch geformte Gebäude erhebt sich im Norden, nur wenige U-Bahn-Stationen vom historischen Zentrum von Bordeaux entfernt, an einem Ort, wo früher Schmieden im Hafengebiet lagen, die an die Garonne grenzten. Die Präsenz der neuen touristischen
Anlage soll die Transformation des Quartiers beschleunigen. Stillgelegte Lagerhäuser sollen Wohnungen, Büros und trendigen Restaurants Platz machen. Beim Wettbewerb von 2011 überzeugten die Architekten der Agentur XTU, Nicolas Desmazières und Anouk Legendre, zusammen mit dem Bühnenbildner Casson Mann Limited die Jury mit der Harmonie von Volumetrie und Bespielung, welche auf der Reise um die Welt des Weines miteinander im Dialog stehen und die Aufmerksamkeit gleichermassen auf sich ziehen. Die architektonische Geste ist stark und mutig. Sie verleiht dem Gebäude den internationalen Ausdruck, der Bordeaux sowohl als Urlaubsziel als auch als
Hauptstadt des Weins bekannt machen soll. Die Architektur erinnert an ein flüssiges Element, den Wein, der sich im Glas dreht, die Windungen der Garonne. Die goldfarbene Haut ist von der Farbe der Steine inspiriert, aus denen die Stadt gebaut ist. Holz spielt eine Hauptrolle in dem Projekt. Es demonstriert seine Qualitäten, indem es die komplexen Rundungen auf den Millimeter genau umsetzt. In dem niedrigen Element, das wie ein Torus rollt, sind 574 Bögen in Brettschichtholz auf Mass angeordnet. Um die konstruktive Komplexität in den Griff zu bekommen und die Form zu verfeinern, wurde Teil für Teil des Gebäudes einzeln modelliert. Die Struktur, die
in der Dauerausstellung auf der zweiten Ebene zu sehen ist, schafft eine eigentliche Symbiose aus Wein und Holz, wie sie in den Eichenfässern aus jahrhundertealten Bäumen manifest wird, in denen die ‹Grands Crus› heranreifen. Die Windung der spektakulären Form setzt sich in einer Aufwärtsbewegung fort, die sich in einem auf 55 m ansteigenden Turm materialisiert. Von der Aussichtsplattform im achten Stock geht der Blick über die Stadt und ihre Weinberge. Der Turm besteht aus 128 verwundenen Brettschichtholzbögen. 2500 Siebdruck-Aluminiumpaneele und 900 Lochglaspaneele bilden die Hülle. Im Inneren finden sich eine permanente Ausstellung, verschiedene
temporäre Schauen, Workshop-Angebote und Verkostungsbereiche, ein Auditorium, ein Geschäft und drei Restaurants. Auch die ökologischen Qualitäten des Projekts lassen sich sehen. 70 % des Energiebedarfs der ‹Cité du Vin› werden mit grüner Energie gedeckt. Ein bioklimatisches Design auf Basis der Luftzirkulation aufgrund der natürlichen Thermik durch Lufteinlässe im unteren Bereich der Hülle und Ausleitung der warmen Luft im oberen Teil senkt den Kühlbedarf mittels Klimaanlagen. Schliesslich verringert der Einsatz des Baustoffs Holz die CO2-Belastung, während die Landschaftsgestaltung an den Ufern das bestehende Ökosystem erweitert.
Erdgeschoss
60 m
4. Obergeschoss
1. Obergeschoss 5. Obergeschoss
6. Obergeschoss
2. Obergeschoss 7. Obergeschoss
8. Obergeschoss
3. Obergeschoss
9. Obergeschoss
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Ort 134 Quai de Bacalan, 33300 Bordeaux, Frankreich Bauherrschaft Fondation de la Cité du Vin, Bordeaux Architektur XTU architects, Anouk Legendre und Nicolas Desmazières, Paris (FR) Inszenierung Casson Mann Limited, London (GB) Bauingenieur SNC-Lavalin, Brive-la-Gaillarde (FR) GU GTM Bâtiment Aquitaine, Mérignac (FR) Holzarbeiten Arbonis Bordeaux, Mérignac (FR) Materialien 950 m3 Brettschichtholz, davon 700 m3 in Fichte und 250 m3 in Douglasie, sowie 4000 m2 mehrschichtige Massivholzplatten Baukosten EUR 81 Mio. (total), EUR 55 Mio. (Architektur und Ausstellung) Grundstücksfläche 13 644 m2 Geschossfläche 12 927 m2 (total), 2800 m2 (permanente Ausstellung) Gebäudegrundfläche 840 m2 Bauzeit September 2013 – Mai 2016 Fotografen Julien Lanoo, Anaka Photographie, Bordeaux
Querschnitt
Querschnitt
Detailschnitt: Die geschwungene Aussenhaut ist mit gekrümmten Trägern in Brettschichtholz aufgebaut, welche in den Ausstellungshallen sichtbar sind. Diese Lösung führt die Atmosphäre der Innenräume mit der Wahrnehmung des Aussenvolumens in einer Konstruktion zusammen.
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‹Löyly›, Helsinki (FI) Bereits bevor sich das ehemalige Industriegebiet Hernesaari in Helsinki zu einem Wohnquartier wandelte, wollte die Stadt den Küstenstreifen beleben. Die Idee: Stadtbewohner und Kreuzfahrtpassagiere sollten dort ein echtes finnisches Saunaerlebnis vorfinden. Im Frühjahr 2015 wurde mit dem Bau des Saunakomplexes ‹Löyly› begonnen. Obwohl ‹Löyly› – das finnische Wort bedeutet soviel wie ‹Saunadampf› – nur wenige Gehminuten vom Stadtzentrum entfernt ist, bietet seine Lage einen atemberaubenden Blick auf das offene Meer. Das Ufergebiet ist Teil eines Parks, weshalb die Architekten die Grünzone nicht durch ein auffälliges Gebäude stören wollten. So wurde das Volumen so klein wie möglich gehalten. Der Bau ist niedrig, damit der Meerblick aus dem dahinter entstehenden Wohngebiet unbehindert bleibt. So entstand für ‹Löyly› kein traditionelles Gebäude, sondern eine künstliche Geländeformation als Teil der Landschaft. Wenn das Holz sich mit der Zeit grau färbt, wird es einem Felsen am Ufer ähneln. Die architektonische Idee ist einfach: Die Saunaräume sind in einer schwarzen, rechteckigen, massiven Box untergebracht, die von einem frei geformten hölzernen ‹Umhang› bedeckt ist. Die skulpturale Holzstruktur ist nicht nur Dekoration, sondern übernimmt mehrere Funktionen. Die Lamellen wirken wie eine Jalousie: Sie bieten Sichtschutz, versperren aber den Blick aufs Meer aus dem Inneren nicht. Die Hülle schützt vor der Sonne und reduziert den Kühlbedarf. Eine Reihe von Stufen bringt Besucher
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auf eine Dachterrasse und eine Aussichtsplattform oder hinunter zum Meer zum Schwimmen. ‹Löyly› dient auch als grosses Freiluft-Auditorium, wo die Besucher nach Fertigstellung des Sportzentrums Regatten beiwohnen können. Die skulpturale Holzhülle, aufbauend auf einer Stahlstruktur, besteht aus Brettschichtholz in thermobehandelter Föhre. Dazu waren rund viertausend Holzbauteile notwendig, welche am Computer modelliert und in der Werkhalle passgenau zugeschnitten wurden. Sie sind alle unbehandelt, damit sich mit der Zeit eine graue Patina einstellt. Die innere Nutzung ist in öffentliche Sauna und Restaurant unterteilt. Die verschiedenen funktionalen Bereiche sind in Räume innerhalb von Räumen gruppiert, wobei offene Räume geschlossene Räume voneinander trennen. Wenn man von einer Raumgruppe zur anderen wechselt, eröffnen sich interessante Ausblicke auf das Meer. Alle drei Saunen sind mit Holz befeuert. Eine davon ist dauerhaft beheizt, eine nur am Morgen, und eine ist die einzige traditionelle Rauchsauna in Helsinki. Im Raum zwischen den Saunen befindet sich ein LoungeBereich mit einem Kaltwasserbecken und einem Kamin zur Entspannung. Es ist auch möglich, im Winter im Meer zu schwimmen. Um die Schwere des schwarzen Betons auszugleichen, sind die Holzoberflächen in den Saunen mit einem finnischen Sperrholz aus Birkenkernholz bekleidet. Dessen Herstellung umfasst auch eine thermische Behandlung, was die Oberfläche etwas nachdunkeln lässt und dem Material einen lebendigen Ausdruck verleiht.
Umgebung: heutiger Zustand
Umgebung: Planung
Schnitt
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9 10 8
Grundriss 1 Sauna 2 Restaurant 3 Küche 4 Lobby 5 Lobby der Sauna 6 Lounge 7 Kaltwasserpool 8 Terrasse 9 Ruhezone 10 Whirlpool
20 m
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Ort Hernesaarenranta 4, 00150 Helsinki (FI) Bauherrschaft Kidvekkeli Oy, Helsinki; Antero Vartia und Jasper Pääkkönen Architektur Avanto Architects Ltd, Helsinki; Anu Puustinen und Ville Hara Baumanagement Qtio Oy, Helsinki; Juha Jokela Innenarchitektur Joanna Laajisto Creative Studio, Helsinki (Restaurant, Terrassen, Sauna-Bar, Kamin) Bauingenieur Ramboll Finland Oy, Espoo (FI) Stahlbauingenieur SS-Teracon Oy, Tampere (FI) HLKS- und Elektroingenieur Optiplan Oy, Helsinki GU Rakennustoimisto Jussit Oy, Naantali (FI) Holzarbeiten Puupalvelu Jari Rajala Oy, Helsinki (Holzbau), Nextimber Oy, Kuopio (Innenbekleidungen) Baukosten EUR 6,0 Mio. Fläche 1071 m2 (Geschossfläche), 1510 m2 (Terrasse), 249 m2 (Dachterrasse), 58 m2 (Aussichtsterrasse) Gebäudevolumen SIA 416 3466 m3 Bauzeit 2015–2016 Fotografie kuvio.com (Aussenbilder und Bilder Sauna), archmospheres.com (Bilder Sauna-Lounge) sowie Mikko Ryhänen und Joanna Laajisto Creative Studio (Bilder Restaurant)
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‹Artlab›, Lausanne (CH) Auf dem Gelände der ETH Lausanne erstreckt sich ein dunkelfarbiges Volumen wie ein schmales, langes Band in Richtung Genfersee. Der Holzbau, ein Werk des Architekten Kengo Kuma, der 2012 den Wettbewerb gewann, öffnet sich an seiner oberen Schmalseite zur ‹Esplanade›, einem Platz, der das Begegnungszentrum des Campus bildet. Die Figur, die sich über 230 m erstreckt, folgt dem Gelände, das sich gegen den See neigt und etwa achthundert Meter vom Standort des Baus entfernt zum Ufer hin abfällt. Das Dach, das mit einer einzigen architektonischen Geste drei Pavillons überdeckt, ist das Hauptelement des Projekts. Seine fein gearbeitete Geometrie zeichnet eine geschmeidige Linie, welche sich harmonisch mit den Konturen der Berge am Horizont verbindet. Die Materialisierung des Daches mit Naturschiefer greift die Machart alpiner Bauten auf, die auf vor Ort Vorhandenes setzen. Der Baustoff Holz belebt das Volumen und seine langen Fassaden. Das ‹Artlab› schmiegt sich in eine Lücke
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in der Bebauung des Hochschulcampus, auf dem 10 000 Studierende verkehren. Entlang dem Cosandey-Platz sieht sich der Bau dem rechteckigen, flach gewellten Learning Center des japanischen Büros SANAA gegenüber, einem gern genutzten Treffpunkt der künftigen Ingenieure. Das ‹Artlab› verkörpert die Offenheit der ETH Lausanne, indem es Wissenschaft und Kultur verknüpft. Es vereint drei verschiedene Räume, die der Allgemeinheit zugänglich sind. Im Süden birgt das ‹Montreux Jazz Café› die Archive des gleichnamigen Festivals. Es bietet jedermann die Möglichkeit, in den digitalisierten Dokumenten zu stöbern und in die Atmosphäre eines Konzerts einzutauchen. In der Mitte des Gebäudes verbindet die ‹Fondation Gandur pour l’Art› Kunst und Wissenschaft, indem sie über Technologien, die in den Labors der Hochschule und ihrer Start-ups entwickelt wurden, einen neuen Zugang zu den Werken bietet. Schliesslich umfasst der nördlich gelegene ‹Datasquare› eine semipermanente Ausstellung, die Big Data gewidmet
ist und zwei grosse Forschungsprojekte an der ETH Lausanne thematisiert: das ‹Blue Brain Project›, welches das menschliche Gehirn in seiner ganzen Komplexität zu modellieren versucht, sowie die ‹Venice Time Machine›, die es erlaubt, die Veränderung von Venedig über lange Zeit hinweg zu erleben, dies auf der Grundlage von Tausenden erschlossener Quellen. Der Abstand zwischen diesen drei Blöcken lässt zwei Leerräume unter dem durchgehenden Dach entstehen. Über den einen gelangt man in die nahegelegene Tiefgarage, der zweite verdichtet das bereits bestehende Netzwerk von Fusswegen über den Campus weiter. Der Pavillon ist nur teilweise unterkellert, wobei die Bauteile mit Erdkontakt in Beton ausgeführt sind. Darüber bilden 56 Rahmen im Abstand von 3,80 m und einer variablen Spannweite von 6 bis 16 m das Volumen aus. Aufgrund der schräg verlaufenden Fassaden ist jeder Rahmen ein Unikat. Zur Querschnittsoptimierung sind die Rahmen in hybrider Bauweise aus Holz und Metall aufgebaut: Perforierte Bleche in einer
Dicke von 3–15 mm sind seitlich auf das Brettschichtholz aufgeklebt. Die Rahmenecken sind mit eingeklebten Gewindestangen ausgebildet. Dieser Verbund-Aufbau bleibt innen wie aussen sichtbar und prägt so den Ausdruck des Pavillons mit. Seine fast schon aerodynamische Anmutung verdankt das Dach sehr schlanken Auskragungen. Für den Aufbau wurden zwischen den Rahmen Kastenelemente eingehängt, mit Furnierschichtholz für die Rippen und OSB für die Beplankungen. Die Dachfläche übernimmt auch die Stabilisierung. Im Norden, zur ‹Esplanade› hin, ragt das Dach noch einige Meter über die Räume des Pavillons hinaus. Die dynamische Auskragung markiert die Öffnung des Gebäudes Richtung Campus. Dieser verwinkelte und asymmetrische Dachteil ist als dreidimensionales Faltwerk in Brettsperrholz ausgebildet und verläuft auf einen Fundationspunkt. Die Anschlüsse der einzelnen Elemente untereinander sind wiederum mit eingeklebten Gewindestangen gelöst. Situation
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Längsschnitt
Erdgeschoss
Obergeschoss
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40 m
Querschnitt beim ‹Datasquare›
Querschnitt beim ‹Montreux Jazz Café›
Querschnitte beim Pavillon Kunst & Wissenschaft
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Ort ETH Lausanne, Place Cosandey, 1015 Lausanne, Schweiz Bauherrschaft ETH Lausanne Architektur Kengo Kuma and Associates, Tokyo/Paris (Konzept und Ausführung), CCHE Lausanne SA, Lausanne (lokaler Partner), und Holzer Kobler Architekturen GmbH, Zürich (Wettbewerbspartner) TU Marti Construction SA, Lausanne Bauingenieur Ejiri Structural Engineers, Tokyo (JP; Wettbewerbspartner und Vorprojekt), Ingphi SA, Lausanne (Ausführung) HLS-Ingenieur BG Ingénieurs conseils SA, Lausanne Elektroingenieur srg engineering Ingénieurs Conseils Scherler SA, Le Mont-sur-Lausanne Bauphysik AAB – J. Styjenski & H. Monti SA, Lausanne Beleuchtung L’observatoire international, New York/Paris Holzarbeiten JPF-Ducret SA, Bulle (Holzbau), und Mivelaz Bois SA, Le Mouret (Verkleidungen) Baukosten BKP 1–9 CHF 30,9 Mio. Geschossfläche SIA 416 4500 m2 Gebäudevolumen SIA 416 17 586 m2 Bauzeit August 2014 – November 2016 Fotografen Joël Tettamanti, Lausanne, Adrien Barakat, Lausanne, und Michel Denancé, Paris
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Axonometrie: Die Auskragung zum Zentrum des Campus hin stĂźtzt sich auf einem einzigen Punkt ab und besteht aus Brettsperrholz.
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Lignum Holzwirtschaft Schweiz Economie suisse du bois Economia svizzera del legno Mühlebachstrasse 8 CH-8008 Zürich Tel. 044 267 47 77 Fax 044 267 47 87 info@lignum.ch www.lignum.ch
Holzbulletin, Juni 2018 Herausgeber Lignum, Holzwirtschaft Schweiz, Zürich Christoph Starck, Direktor
Redaktion Roland Brunner, Lignum, und Audanne Comment, Lignum-Cedotec Gestaltung BN Graphics, Zürich
Das Holzbulletin erscheint viermal jährlich in deutscher und französischer Sprache. Jahresabonnement CHF 48.– Einzelexemplar CHF 20.– Sammelordner (10 Ausgaben) CHF 140.– Sammelordner leer CHF 10.– Preisänderungen vorbehalten.
Administration, Abonnemente, Versand Lignum, Zürich
Lignum-Mitglieder erhalten das Holzbulletin und die technischen Informationen der Lignum, Lignatec, gratis. Die Rechte der Veröffentlichung für die einzelnen Bauten bleiben bei den jeweiligen Architekten. Alle Angaben stammen von den Bauplanern.
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