Kulturbau in Holz – Erbe und Zukunft in einem
Bauen mit Holz hat eine jahrhundertealte Tradition und ist damit Teil eines kulturellen Erbes, in architektonischer, aber auch in handwerklicher Hinsicht. Im besten Fall schreibt zeitgenössische Holzarchitektur diese Geschichte fort. Um so mehr, wenn sie zur Bühne oder zum Rahmen von Kultur wird, sei es für Museen, Theater oder Musiksäle. Diese kann flüchtig und vergänglich sein wie der rote Turm des Origen-Theaters, der von 2017 bis 2023 auf dem Julierpass stand und zur Standortentwicklung der Bergregion beitragen sollte, oder der Pavillon des ETH-Studios von Tom Emerson für die Zürcher Manifesta 2016 auf dem Zürichsee – oder sie ist auf Dauerhaftigkeit angelegt wie das Projekt für das Klanghaus im Toggenburg, das aktuell realisiert wird und selbs t zu einem Klangkörper für die Besuchenden werden soll. Allen drei Projekten gemeinsam ist, dass sie eine Verbindung zur Tradition des Holzbaus und zu den lokalen und unverwechselbaren Eigenschaften eines Ortes schaffen. Gleichzeitig sind oder waren sie im Hier und Jetzt verankert und können zu Bildern für künftige Entwicklungen werden. Auch die in diesem Heft vorgestellten Objekte verbinden Holzbautradition und zeitgenössisches Architekturschaffen mit dem Material Holz. Sie schaffen damit ein neues Stück Baukultur und bilden gleichzeitig den Rahmen für kulturelle Aktivitäten und Ausstellungen, sei es regional – auch für Vereine in der Gemeinde – oder mit nationaler und internationaler Ausstrahlung wie beispielsweise das Theater Beaulieu in Lausanne – notabene das grösste Theater in der Schweiz, zu dessen Eröffnung die Pianis tin Clara Haskil spielte. Das Spektrum der im Detail dokumentierten Projekte reicht vom Umbau ebendieses Theaters, das neben der restaurierten Fassade in erster Linie den Reichtum und die Vielfalt des Holzeinsatzes im erneuerten, akustisch qualitätsvollen Saal für Musik und Theater belegt, bis zu Neubauten wie dem neuen Kultur- und Kongresshaus Verrucano in Mels, einem Holzelementbau, der zusammen mit der in Massivbauweise erstellten Erweiterung des Rathauses das Ortsbild von nationaler Bedeutung stärkt und weiterbaut. Und damit einen Ans toss für die weitere Entwicklung in der Region Sargans gibt – in kultureller Hinsicht, aber auch was die Architektur und die Wertschätzung für das lokale Handwerk betrifft. Ebenso schafft das Theater ‹12–18› im Genfer Vorort Le Grand-Saconnex einen neuen Treffpunkt für die Einwohner der Gemeinde. Das Gebäude s teht in einem zu einem öffentlichen Park umgestalteten Garten und bildet das Gegenüber zu einem baukulturell wertvollen
Bauernhaus, das in ein Quartierzentrum umgebaut wurde. Formal erinnert der Neubau mit der dunkelblau eingefärbten Holzfassade in Kombination mit den eingesetzten Betonelementen an eine Scheune. Im Inneren lässt das überhohe Foyer, mit Holz in dunklem Grün eingefärbt, eine festliche Raumatmosphäre entstehen, die in den noch dunkler gehaltenen Theaterraum führt.
Eine völlige andere, aber nicht minder festliche Stimmung verbreitet der Saal im Landenberghaus am Greifensee. Der Ersatzneubau des Kulturhauses umfasst neben dem Saal Vereinsräume und ein Bistro am See und ist ein Or t für Veranstaltungen aller Art. Das Zusammenspiel der historischen Bruchsteinmauern mit dem hölzernen Innenleben schafft eine einzigartige, lichte Atmosphäre im Festsaal, der über eine hervorragende Akustik verfügt.
Zwei weitere Projekte sind pavillonartige Baukörper. Der eine beherbergt das Schweizerische Blindenmuseum ‹anders sehen› in Zollikofen. Vier gleich grosse Räume fügen sich zu einer quadratischen Grundrissfigur in Holz mit einem einladenden, aber geschützten Ankunftsbereich. Das kräftige Dunkelrot der Aussenhülle und die tektonisch sorgfältig gestaltete Holzkonstruktion machen den Bau sowohl für sehende als auch sehbehinderte Menschen visuell und haptisch erfahrbar. Der andere Pavillon liegt mitten in der Stadt Genf und bietet eine Bühne für den zeitgenössischen Tanz und die darstellende Kunst. Die Abfolge der portalartigen Elemente aus Lärchen- und Fichtenholz, deren Geometrie variiert, lässt formal eine wellenförmige Bewegung entstehen, die den temporären Bau von aussen zum ‹Tanzen› bringt. Dieser lässt sich aufgrund der vorgefertigten Struktur abbauen und an einem neuen Ort wieder aufstellen. Holz findet bei allen gezeigten Objekten ganz unterschiedliche Anwendungen: als Material für die Konstruktion oder für einen qualitätsvollen, facettenreichen Innenausbau, eingefärbt oder roh belassen. Allen Bauten gemeinsam ist der Fokus auf die regionale Wertschöpfung – sowohl in Bezug auf das gewählte Material als auch was die Verarbeitung, das Handwerk und den Bau betrifft. Damit werden die Kulturbauten mit ihren differenzierten Räumen selbst Teil einer kulturellen Vielfalt, die die Architektur mit einschliesst.
Jutta Glanzmann Technische Kommunikation Lignum
3835
Kultur- und Kongresshaus Verrucano, Mels
Das neue Kulturhaus in Mels ist ein Holzelementbau und stärkt zusammen mit der Erweiterung des Rathauses das Ortsbild von nationaler Bedeutung. Gleichzeitig schafft es einen neuen kulturellen Impuls für das Sarganserland und verbindet Architektur, lokales Handwerk und regionale Wertschöpfung zu einem Stück Baukultur in vielfältiger Hinsicht.
Der Dor fkern von Mels ist im Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS) eingetragen. Denn er stiftet nicht nur Identität für den Ort, sondern ist aufgrund seiner Einzigartigkeit ein Dorfbild von nationaler Bedeutung: Enge Häuserzeilen fassen Gassen und Strassenzüge, die durch Plätze aufgelockert werden. Insgesamt entsteht so ein Siedlungsraum mit atmosphärischen Grünund Freiräumen und einer hohen Wohn- und Lebensqualität mitten in Mels. Das siegreiche Wettbewerbsprojekt von Raumfindung Architekten passt die beiden neuen Baukörper – die Rathauserweiterung und das Kulturhaus – gekonnt in das Vorhandene ein und stärkt das geschützte Ortsbild. Das Wegnetz wurde mit den ortstypischen, verputzten Umgebungsmauern ergänzt und weitergeführt. Vom bes tehenden Dorfplatz führt eine flache Frei-
treppe zum neuen Rathausplatz. Das Kulturhaus, um das es im folgenden geht, ist mit der filigran gestalteten Holzfassade in dezentem Weinrot der Zielpunkt der neugestalteten Raumfolge. Es steht am Standort des ehemaligen Löwensaals.
Die Haupteingänge und frequentierten Erdgeschosse der beiden Neubauten orientieren sich zum neuen Rathausplatz hin. Die flach geneigte Giebelfassade des Kulturhauses fasst den Platzraum und betont den Haupteingang. Das mit einladender Geste auskragende Vordach bildet einen fliessenden Übergang in das Gebäudeinnere und führt Besucher und Besucherinnen in das mehrgliedrige und multifunktional nutzbare Foyer. Auf dem Vorplatz fassen Natursteinbänder aus örtlichem Melser Verrucano die aus Guber-Natursteinen gepflas terten Bereiche. Ein zentrales Wasserspiel, locker gesetzte Baumgruppen mit Sitzgelegenheiten und eine atmosphärische Beleuchtung beleben und gliedern den neuen Platz insbesondere bei festlichen Abendanlässen. Der neue Löwensaal ist für eine multifunktionale Nutzung ausgelegt. Das Foyer legt sich Z-förmig um den Konzertsaal, der Platz für bis zu 744 Personen bietet. Er eignet sich aber ebenso für Bankette oder Feste. Die leicht trapezförmige Geometrie sorgt für eine gute
Akustik. Auch die grosszügige und offene Bühne wird der multifunktionalen Nutzung gerecht: Je nach Bedarf lässt sich der Bühnenraum anpassen – dies sowohl funktional als auch akustisch und visuell. Im hinteren Zuschauerbereich befindet sich eine Galerie mit abgestufter Bestuhlung, die über das Obergeschoss zugänglich ist. Das erdgeschossige Office mit einladenden Theken bedient je nach Bedar f in das Foyer oder in den Saal. Auch die Architektur und Ausstattung des eigentlichen Saals lässt sich auf die unterschiedlichen Ansprüche der Nutzung anpassen. Insbesondere verfügt der Raum über eine variable Akustik: Die oberen Bereiche der Seitenwände sind mit drehbaren, akustisch unterschiedlich wirksamen Wandfronten ausgeführt. In der geschlossenen Stellung besteht die Oberfläche aus lasier ten Dreischichtplatten, während in der gedrehten Stellung die Oberfläche mit einem Stoff bespannt ist.
Der knapp 130 m2 grosse Vereinssaal Runggalina liegt ebenfalls im Erdgeschoss und ist über das Foyer und von aussen über einen separaten Nebeneingang erschlossen, so dass er sich unabhängig von der Belegung des Löwensaals nutzen lässt. Gleichzeitig kann er aber auch als Warte- oder Vorbereitungsraum für den Löwensaal dienen. Im Obergeschoss
3836
liegen in guter Anbindung an den Bühnenbereich zwei Künstlergarderoben und die Nasszellen. Hier befinden sich auch zwei weitere Säle: Gafarra und Ragnatsch, die von Vereinen und als Proberäume genutzt werden. Auch sie bieten gute akustische Bedingungen für Musikproben. Das Saalgebäude ist ein zertifizierter Holzelementbau aus Schweizer Holz, die Aussenhülle ist gemäss den Anforderungen von Minergie konstruiert. Die Wärmeerzeugung erfolgt mit einem Anschluss an die Fernwärmeleitung des Dorfkerns. Zudem verfügt das Kulturhaus über eine kontrollierte Lüftung mit adiabatischer Kühlung.
Aufgrund der Grössenordnung wurde das Bauvorhaben dem öffentlichen Beschaffungswesen des Bundes und der Verordnung GATT/ W TO unterstellt. Die Auswertung der geografischen Verteilung der beteiligten Unternehmer zeigt jedoch, dass die Bauleistungen zum grössten Teil aus der Region erbracht wurden. Diese hohe regionale Wertschöpfung resultiert aus einer architektonischen Haltung: Die Materialien stammen möglichst ressourcenschonend aus dem lokalen Umfeld und sind mit traditionellen Handwerksmethoden verbaut. So unterstützt die Baukultur nicht nur die Kultur, sondern auch das regionale Gewerbe und das traditionelle Handwerk.
3837 Situation
3838 20 m Längsschnitt Querschnitt
Ort Platz 4, 8887 Mels
Bauherrschaft Politische Gemeinde Mels
Architektur Raumfindung Architekten ETH BSA SIA, Rapperswil
Landschaftsarchitektur Atelier tp, Rapperswil; Martin Klauser, Rorschach
Signaletik Feinform Grafik, Zürich
Bauleitung Rolf Bless Bauleitung AG, Mels
Bauingenieur Massivbau w/w Ingenieure AG, Mels
Holzbauingenieur Pirmin Jung Schweiz AG, Sargans
Bauphysik, Akustik, Brandschutz Pirmin Jung Schweiz AG, Sursee
Ingenieur HLKK Kapa Kalberer + Partner AG, Bad Ragaz
Elektroingenieur Inelplan Elektroingenieure, Buchs SG
Sanitäringenieur Technoplan Sargans AG, Sargans
Holzbau ARGE Jäger Holzbau AG, Vilters/BN Holzbau, Tscherlach/Edi Willi, Tscherlach
Schreinerarbeiten ARGE Stieger AG/Ruedi Hobi AG, Mels (Löwensaal, Runggalina und Gafarra); J.Schumacher AG, Wangs (Ragnatsch); ARGE Robert Bärtsch/Martin Gantner/ Stefan Rupf, Mels-Flums (Foyer); Savoy AG, Vilters (Nebenräume und Handläufe), Bärtsch & Söhne AG, Mels (Parkett)
Möblierung By Marei AG, St. Gallen
Materialien Weisstanne (Label Schweizer Holz, Napfgebiet) für Fassade; Anteil Schweizer Holz total 86 %
Baukosten BKP 2 CHF 14,4 Mio.
Kubikmetermeterpreis BKP 2 CHF 678.–
Grundstücksfläche nach SIA 416 3885 m2
Gebäudegrundfläche nach SIA 416 1490 m2
Geschossfläche nach SIA 416 4742 m2
Gebäudevolumen nach SIA 416 21 194 m3
Bauzeit November 2017 bis September 2020
Fotos Ladina Bischof, St. Gallen
Erdgeschoss
Obergeschoss
3839
Horizontalschnitt Akustikplatten
1 Stoffbespannung
2 Dreischichtplatte
3 offen – schallabsorbierend
4 geschlossen – schallreflektierend
5 Hochtonabsorber schwenkbar
6 Tieftonabsorber fest
3840 1 5 34 1 2 22 2 1 6 1
Aufbau Dach:
Kiesklebedach 60 mm
Abdichtung
Schalung 27 mm
Hinterlüftungslattung 100 mm
Unterdachfolie für erhöhte Ansprüche
Holzfaserplatte 60 mm
OSB-Platte 25 mm
Dämmung 200 mm
OSB-Platte 15 mm
Dampfbremse
Heruntergehängte Decke, Dreischichtplatte 27 mm, Qualität A/B, weiss lasiert
Aufbau Wand:
Aussenschalung Weisstanne sägeroh, Oberflächenbehandlung System Feyco, 40 mm
Lattung horizontal 60 mm
Lattung vertikal 60 mm
Fassadenbahn schwarz
Weichfaserplatte 35 mm
Gipsfaserplatten 2 x 15 mm
Dämmung 220 mm
OSB-Platte 25 mm
Dampfbremse
Gipsfaserplatte 18 mm
Innere Verkleidung Dreischichtplatte 27 mm, Qualität A/B, weiss lasiert
3841
Detailschnitt
3842
Ort Im Städtli 22, 8606 Greifensee
Bauherrschaft Politische Gemeinde Greifensee
Architektur Horisberger Wagen Architekten, Zürich; Stehrenberger Architektur, Zürich
Landschaftsarchitektur Andreas Geser
Landschaftsarchitekten, Zürich
Bauleitung Schlatter Bauleitungen, Wernetshausen
Bauingenieur dsp Ingenieure + Planer AG, Uster
Holzbauingenieur IHT Ingenieurbüro für Holz + Technik AG, Schaffhausen
Brandschutz Timbatec Holzbauingenieure Schweiz AG, Zürich
Bauphysik Bakus Gmbh, Zürich
Ingenieur HLK Waldhauser + Hermann AG, St. Gallen
Sanitäringenieur BLM Haustechnik AG, Zürich
Elektroingenieur Elprom Partner AG, Dübendorf
Lichtplanung Mosersidler, AG für Lichtplanung, Zürich
Akustik Kahle Acoustics, Brüssel
Klangarchitektur Andres Bosshard, Zürich
Bühnenplaner Hans-Jörg Huber, Horgen
Holzbau Jampen Holzbau, Hittnau
Schreinerarbeiten Danuser AG, Herisau; Huber Fenster, Herisau (Fenster), Schuster AG, Zürich (Parkett)
Materialien Weisstanne 60 m3 (Lieferung durch Neue Holzbau AG, Lungern; Label Schweizer Holz)
Baukosten BKP 2 CHF 7,125 Mio. inkl. MWST
Baukosten BKP 214 CHF 466 800.–inkl. MWST
Kubikmeterpreis BKP 2 CHF 1256.–(Landenberghaus)
Grundstücksfläche nach SIA 416 492 m2 (Landenberghaus)
Gebäudegrundfläche nach SIA 416 307 m2 (Landenberghaus)
Geschossfläche nach SIA 416 1092 m2 (Landenberghaus)
Gebäudevolumen nach SIA 416 4863 m3 (Landenberghaus)
Bauzeit März 2017 bis September 2019
Fotos Beat Bühler Fotografie, Zürich
Landenberghaus, Greifensee
Der Ersatzneubau des Kulturhauses mit Saal, Vereinsräumen und einem Bistro am See bietet eine Plattform für Veranstaltungen aller Art. Das Zusammenspiel der historischen Bruchsteinmauern mit dem hölzernen Innenleben schafft eine einzigartige Atmosphäre im Festsaal, der zusätzlich über eine hervorragende Raumakustik verfügt.
Schloss, Kirche und Landenberghaus bilden das Dreigestirn der öffentlichen Bauten im mittelalterlichen Kleinstädtchen Greifensee, das am gleichnamigen See und nur wenige Kilometer von der Stadt Zürich entfernt liegt. Das Landenberghaus hat sich über die Jahre als Zentrum des gesellschaftlichen und politischen Lebens etabliert. Das wahrscheinlich Mitte des 13. Jahrhunderts errichtete Palas wurde in den 1970er Jahren saniert und entsprach nicht mehr den aktuellen Brandschutzauflagen. Ebenso suchte man nach einer zeitgemässen Nutzung. 2011 schrieb der Gemeinderat deshalb einen Architekturwettbewerb aus: Das neue Landenberghaus sollte ein Or t für die Kultur und das gesellschaftliche Leben in Greifensee bleiben. Anstelle einer Erneuerung entschied man sich für einen fast kompletten Neubau, der die beiden seitlichen historischen Mauern und das angrenzende Pfarrhaus miteinbezieht.
Von aussen fügt sich der Ersatzneubau mit seiner mineralischen Fassade und dem historischen Treppengiebel nahtlos in das Ensemble ein. Um so überraschender ist sein Innenleben: Der Hauptraum, umgeben von einer umlaufenden Galerie, wird von schlanken Stützen und einem markanten Pfettendach überspannt. Zusammen mit den freigelegten Bruchsteinmauern erzeugt der Holzbau eine klingende Wunderkammer mit Qualitäten, die an den Resonanzkörper eines grossen Holzinstruments erinnern.
Das Material Holz ist im Landenberghaus von zentraler Bedeutung und kommt in allen Facetten vor: tragend, raumbildend, bekleidend. Entsprechend vielgestaltig ist seine Erscheinung bezüglich Ornamentierung, Fügung und Oberflächenbehandlung. Mit den fast grenzenlosen Möglichkeiten des Baustoffs Holz wird jedem Element seine spezifische Bedeutung zugewiesen: massiv und grossmassstäblich, nobel und festlich oder filigran und diskret. Die optische Wirkung der Hölzer reicht von perlmuttfarbig schimmernd bis tiefgründig leuchtend ‒ erzeugt durch natürliche Öle und mehrschichtige Lasuren, welche die jeweilige Holzstruktur unterstreichen.
Insgesamt wurden rund 60 m3 Deutschschweizer Weisstanne verbaut; das heimische Nadelholz weist gegenüber Fichte ein ruhigeres und har zfreieres Erscheinungsbild auf. In enger Zusammenarbeit zwischen Architekten, Zimmerei, Abbinde- und Sägewerk wurden die massiven Hölzer nach ästhetischen Gesichtspunkten priorisiert: Die ruhigs ten Stücke fanden Verwendung bei den Stützen, Bretter mit Astlöchern wurden im Kern, qualitätsvollere für den Mantel der Pfettenträger eingesetzt. Durch diese Optimierung wurde der Verschnitt auf ein Minimum reduziert und das Material maximal veredelt.
Das Landenberghaus kann als Beispiel dafür dienen, wie sich durch vielfältigen Einsatz von Holz, entsprechende Verarbeitungstechniken und materialgerechte Oberflächenbehandlung eine festliche Atmosphäre schaffen lässt. Die Innovation liegt hier aber auch in der Verwendung von handelsüblichem Holz, welches durch sorgfältige Sortierung und adäquaten Einsatz zum edlen Bauteil wurde. Die ikonografische Wirkung der Dachkonstruktion geht weit über ihre Funktion hinaus und macht Holz als wertvolles Material auf diese Weise einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Das Projekt belegte beim Prix Lignum 2021 den zweiten Rang in der Region Nord.
3843 Situation
Erdgeschoss
Obergeschoss
3844 20 m Längsschnitt
Aufbau Dach:
Doppelte Biberschwanzeindeckung braun nuanciert, Spitzschnitt
Ziegellattung 24/40 mm
Konterlattung 30/50 mm
Unterdachfolie diffusionsoffen Holzfaserunterdachplatte 60 mm
Element mit Kreuzrippen und Beplankung (Dreischichtplatten) 60 mm
Installationsschicht 75 mm
Holzwerkstoffplatte Esche furniert 25 mm
Aufbau Wand:
Sichtbeton sandgestrahlt 250 mm
Wärmedämmung 300 mm
Dampfbremse
Installationsebene 75 mm
Holzwerkstoffplatte Esche furniert 25 mm
3845
Detailschnitt
Schweizerisches Blindenmuseum ‹anders sehen›, Zollikofen
Vier gleich grosse Räume fügen sich zu einer quadratischen Grundrissfigur des Holzpavillons mit einem offenen, aber geschützten Ankunftsbereich. Das kräftige Dunkelrot der Aussenhülle und die tektonisch sorgfältig gestaltete Holzkonstruktion machen den Bau visuell und haptisch erfahrbar, der in seiner Schlichtheit eine grosse räumliche und konstruktive Stärke entwickelt.
Das Schweizerische Blindenmuseum ‹anders sehen› sei ein spannender Lernort, der nicht nur Wissen vermittle, sondern auch sinnliche Erlebnisse und praktische Erfahrung biete; eine einzigartige Kombination von Ausstellung, Dunkelraum mit Audioerlebnis, Atelier für Workshops und Sinneserfahrungen. So stellt sich das Museum auf seiner Webseite selbst vor. Dank Spenden war es möglich, die alte Holzbaracke des Museums in Zollikofen durch einen neuen Pavillon in Holzbauweise zu ersetzen. Vier gleich grosse Räume bilden ein schlichtes Raumkontinuum, das durch Farbe und Licht zu einem vielfältigen Erlebnis für die Ausstellungsbesuchenden wird. Mit seiner feinen Tektonik und roten Fassade entwickelt der Baukörper in seiner Umgebung eine starke Präsenz und Ausstrahlung, die Besucher und Besucherinnen einlädt, mehr über Blindsein und Sehbehinderung zu erfahren. Der neue Pavillon bietet mit der Ausstellung von Exponaten aus 200 Jahren Blindenpädagogik, inter-
aktiven Medien, Workshops und Sensibilisierungskursen Einblick in das Leben mit Sehbehinderung. Das Museum ist Teil der Blindenschule Zollikofen und wird in Freiwilligenarbeit betrieben.
Die vier gleich grossen Räume sind um eine Mittelzone als Rundgang angeordnet. Sie bilden gemeinsam eine quadratische Grundfigur mit einer Seitenlänge von knapp 20 m. Der Pavillon erhält so nach aussen seine ruhige und klare Form, die durch feine vertikale Unterteilungen mit mehrfach gegliedertem, gleichmässigem Rhythmus Anmut und Leichtigkeit ausstrahlt. Der abstrakte, relativ geschlossene Baukörper scheint über der leicht abfallenden Landschaft zu schweben. Das sehende Auge findet Halt am sinnlichen Spiel von Licht und Schatten, die haptische Qualität des Holzes mit seinem präzisen Relief machen das Gebäude gleichzeitig für Menschen mit Sehbehinderung ertast- und erfassbar. Der Zutritt zu den Ausstellungsräumen erfolgt über eine offene, einladende Vorhalle. Sie bildet einen gedeckten Ankunftsbereich im Freien und ist das vermittelnde Element zum benachbarten Areal der Blindenschule. Im Inneren angekommen, können die Besucher und Besucherinnen vom Foyer aus in einem Rundgang von einem Ausstellungsraum zum nächsten wechseln: von der Blackbox über die Dauerausstellung (grau) zur Wechselausstellung und zum Schluss wieder ins Foyer. Von
jedem Raum ist der Zugang zum zentralen Serviceblock mit den Sanitäranlagen und über diesen zurück ins Foyer gewährleistet. Der Holzpavillon in Elementbauweise wurde auf Primärträgern aufgerichtet, die kreuzförmig auf Punktfundamenten aufliegen. Auf ein massives Untergeschoss wurde bewusst verzichtet. Die Grundrisskonzeption ist ideal auf die Bauweise abgestimmt; Raster und Achsen finden sich gleichbleibend im ganzen Gebäude wieder, in der Wiederholung gleicher, aber exakt ausgestalteter Details liegt die Kraft und die ästhetische Wirkung des Pavillons. Gleichzeitig ermöglichte die einfache Anordnung eine rationelle Bauweise und eine kurze Bauzeit. Durch Farbe und Licht unterscheiden sich die einzelnen Räume und bilden die Grundlage für vielfältige Ausstellungsvarianten. Fensterbänder im oberen Wandbereich bringen Licht ins Innere, lassen die Wände für die Ausstellung frei und sorgen mit ihrem gleichmässigen Licht für eine angenehme Ausleuchtung der Räume.
3846 Situation
3847
Ort Höheweg 10, 3052 Zollikofen
Bauherrschaft Stiftung für blinde und sehbehinderte Kinder und Jugendliche, Zollikofen
Architektur Rolf Mühlethaler Architekten AG, Bern
Bauingenieur Hartenbach & Wenger AG, Bern
Holzbauingenieur Indermühle Bauingenieure HTL/SIA, Thun
Bauphysik/Akustik Zeugin Bauberatung AG, Münsingen
Generalunternehmer Hochbau/Holzbau Wenger Holzbau AG, Unterseen
Schreinerarbeiten Mock Schreinerei AG, Wattenwil; Fuhrer Schreinerei AG, Kehrsatz (Fenster)
Materialien Lamellenschalung, CH-Tanne, N1/N2 (Label Schweizer Holz) 472 m; Aussenschalung CH-Tanne, N1/N2 (Label Schweizer Holz) 217,2 m2; Brettschichtholz GL 24h Fichte/Tanne, Normal- und Industriequalität (Label Schweizer Holz) 105,4 m3
Baukosten total CHF 1,6 Mio. inkl. MWST
Baukosten BKP 2 CHF 1,35 Mio. inkl. MWST
Kubikmeterpreis BKP 2 CHF 730.– inkl. MWST
Grundstücksfläche nach SIA 416 2947 m2
Gebäudegrundfläche nach SIA 416 470 m2
Geschossfläche nach SIA 416 335 m2 (Ausstellungsgeschoss), 73 m2 (Vorhalle)
Gebäudevolumen nach SIA 416 1853 m3 (inkl. offene Vorhalle)
Bauzeit Februar 2020 bis Juli 2020 (ohne Museumseinrichtung)
Fotos Digitale Massarbeit, Biberist
3848
20 m
Erdgeschoss
Längsschnitt
Anschlussblech
Insektenschutzgitter
DW-
Aufbau Dach:
Kiesdach (Rundkies) mit Schutzvlies 60 mm
Abdichtung bituminös, zweilagig Wärmedämmung im
Gefälle 1,5 % 20–160 mm
Wärmedämmung 120 mm
Dampfbremse/Bauzeitabdichtung
Dreischichtplatte 27 mm
Balkenlage 100/360 mm, dazwischen Mineralwolle 50 mm
Akustikplatten 25 mm
Aufbau Wand:
Aussenschalung flächig vertikal, 24 mm
Lamellen vertikal 40/60 und 60/90 70/100 mm
Horizontallattung 30/60 mm 30 mm
Vertikallattung/Hinterlüftung 30/60 mm 30 mm
Fassadenbahn
Weichfaserplatte 60 mm
Ständerkonstruktion 100/180, dazwischen Mineralwolle 180 mm
Dreischichtplatte, Stösse luftund dampfdicht verklebt
Aufbau Boden:
Anhydritboden mit Bodenheizung, grundiert und matt versigelt 70 mm
Trennlage PE-Folie
Trittschalldämmung 30 mm
Wärmedämmung EPS 30 mm
Dreischichtplatte mit Rippen verklebt 40 mm
Rippen Holz 140/260 mm, dazwischen
Mineralwolle 260 mm
Fassadenbahn diffusionsoffen
Hinterlüftungslattung 30/60 mm 30 mm
Schalung Nut- und Kamm, d 20 mm 20 mm
Detailschnitt
3849 Boden: siehe Plannr. DB_281-01
und Laubfang / Kieskorb
Erfüllung der Schallschutznorm SIA 181
90mm,
± 0.00 - 0.13 - 0.43 - 0.48 - 1.01 + 2.92 UK Holzkonstruktion + 2.10 OK Simsbrett / Türsturz + 3.28 UK Deckenelement 38 9 2 7 7 5 28 5 82 2.10 13 30 5 53 57 42 5 36 2.92 48 1.10
Einlauf Durchdringungen
Theater ‹Le douze dix-huit›, Grand-Saconnex
Das Theater ist der neue Treffpunkt in der Genfer Vorortsgemeinde Grand-Saconnex. Es steht in einem zum öffentlichen Park umgestalteten Garten und bildet das Gegenüber eines denkmalgeschützten Bauernhauses, das zum Quartierzentrum umgebaut wurde. Das vornehmlich aus Holz gefertigte Gebäude überrascht im Inneren mit einem ganz in Grün gehaltenen Foyer.
Grand-Saconnex liegt zwischen dem Genfer Flughafen und dem Standort der internationalen Ins titutionen. Hier ist auf dem ehemaligen bäuerlichen Anwesen der Ferme Pommier ein neues Quar tier entstanden. Die grüne Oase beherbergt nun das Theater ‹Le douze dix-huit›, dessen Name von der Postleitzahl des Ortes abgeleitet ist. Im Rahmen der Re-
novierung der denkmalgeschützten Ferme Pommier und der Umgestaltung ihres Gartens zu einem öffentlichen Park wollte man ein generationsübergreifendes Vereins- und Kulturzentrum schaffen. Die Grösse des Grundstücks und die Aufwertung des denkmalgeschützten Gebäudes liessen nur relativ begrenzte Aussenmasse für das Theater zu, das gleichzeitig in seinem Inneren möglichst viel Raum für Kreativität bieten sollte.
In dem vielfältig genutzten ehemaligen Bauernhaus sind heute eine Kindertagesstätte, Jugend- und Vereinsräume sowie eine Töpferwerkstatt untergebracht. Der Haupteingang wurde als durchgehender Erschliessungsraum konzipiert, der den strassenseitigen Zugangshof mit dem Platz auf der Gartenseite verbindet. Der letzte Abschnitt des Gebäudes, in
dem sich früher die Scheune befand, wurde abgebaut und in den ursprünglichen Dimensionen neu errichtet, um einen Mehrzwecksaal zu integrieren. Die beiden parallel, aber etwas versetzt zueinander angeordneten Bauten bilden ein Ensemble. Dieses fasst hofartig einen leicht erhöhten, von einer imposanten Rotbuche beschatteten Platz von zwei Seiten. Die Gebäude sind durch ein Untergeschoss verbunden, das an den Betonsockel des neuen Theaters anschliesst.
Der Neubau ist in erster Linie für Theateraufführungen gedacht, lässt sich aber auch für Tanz- und Musikveranstaltungen sowie als Kino nutzen. Es handelt sich um ein kompaktes Gebäude in Holzrahmenbauweise mit flach geneigtem Satteldach, dessen schillernd blauschwarze Fassade mit dem hellen Putz des
3850
ehemaligen Bauernhauses kontrastiert. Die Verkleidung mit einer horizontalen Lattung wird durch senkrechte Leisten rhythmisiert. Der oberirdische Baukörper ist in drei ebenerdige Bereiche mit Foyer, Zuschauerraum, Hinterbühne und Logen gegliedert. Der Arbeits- und Bühnenraum ist schlicht und auf die verschiedenen Nutzungen abgestimmt gestaltet. Das Foyer öffnet sich in seiner ganzen Breite zum Hof und zu den angrenzenden Grünflächen. Eine auskragende Betonplatte schützt die verglasten Zugangstüren. Das Licht, das durch diese einfällt, erhellt den Raum in der ganzen Höhe, was durch den schmalen Grundriss zusätzlich betont wird. Im Inneren befindet sich die langgestreckte Bar, die durch vorgefertigte Paneele gegliedert wird. Die Holztäfelung ist mit einem halbdeckenden An-
strich in einem satten Grün versehen, um das Auge an das Halbdunkel des angrenzenden, ganz in Schwarz gehaltenen Veranstaltungssaals zu gewöhnen. Darin stechen nur die roten Sitze hervor, die in ansteigenden Reihen Platz für rund 100 Personen bieten. Das Besondere an der Bühne ist, dass sie nicht erhöht ist, wodurch sich die ganze verfügbare Fläche flexibel nutzen lässt. Die wenigen hohen, schmalen Fenster haben die gleichen Rahmen aus Naturholz wie das historische Gebäude.
Die Dachkonstruktion mit Zugankern hat eine Spannweite von 12 m und trägt unter anderem die schwere Bühnenmaschinerie. Allen Anforderungen im Hinblick auf das Tragwerk, die Wärme- und Schalldämmung, die Akustik und das Aufhängungssystem für die Bühnen-
maschinerie wird durch die Dicke der Aussenwände und des Daches optimal entsprochen. Die Technik ist diskret in den Hohlräumen der Rückwand des Foyers und zwischen Saal und Garderoben untergebracht.
Holz als Hauptmaterial für das Tragwerk und die Fassade des Theaters sowie die renovier ten Teile des Bauernhauses verleiht dem Ensemble Stimmigkeit und trägt dem Wunsch Rechnung, den Charakter und die Identität des Ortes zu bewahren. Die Qualitäten des sensiblen und zurückhaltenden Projekts trugen ihm beim Prix Lignum 2021 eine Anerkennung in der Region West ein.
3851
Situation
Längsschnitt
Erdgeschoss
Obergeschoss
Ort Ch. du Pommier 7–9, 1218 Le Grand-Saconnex, Genf Bauherrschaft Gemeinde Grand-Saconnex
Architektur und Bauleitung Calanchini Greub Architectes Sàrl, Genf, und Nazario Branca Architectes Sàrl, Lausanne
Bauingenieur ESM Ingénierie SA, Genf
HLK-Ingenieur i-Project SA, Aïre
Elektroingenieur MDEngineering SA, Carouge
Akustik Décibel acoustique, Genf
Holzbau Atelier Casaï SA, Petit-Lancy; Duret SA, Thônex Brandschutz MDEngineering SA, Carouge
Materialien Holz 95 m³ (Fichte für Rahmen, OSB-Platten, Verkleidung; Tanne für akustische Verkleidung)
Baukosten BKP 1–9 CHF 12,32 Mio. inkl. MWST
Baukosten BKP 2 CHF 8,08 Mio. inkl. MWST
Baukosten BKP 214 CHF 1,48 Mio. inkl. MWST
Kubikmeterpreis nach SIA 416 CHF 1517.– inkl. MWST
Grundstücksfläche nach SIA 416 3978 m2
Geschossfläche nach SIA 416 2185 m2
Gebäudevolumen nach SIA 416 8125 m3
Bauzeit Juni 2017 bis August 2018
Fotos Daniela & Tonatiuh, Penthalaz
3852 20 m
Aufbau Dach: Abdeckung Aluminiumblech, braun Täfelung 25 mm
Konterlattung 60 x 60 mm/Lüftung
Unterdach
OSB-Platte 25 mm
Pfetten 60 x 360 mm (Pfetten Garderobe/ Foyer 120 x 240 mm)
Dämmung Steinwolle 360 mm (Garderobe/Foyer 240 mm)
Dampfbremse
Gipsfaserplatte 3 x 15 mm
Unterkonstruktion 40 x 60 mm/ Schalldämmung Steinwolle 40 mm
Vlies, schwarz, schalldämmend Latten 21 x 40 mm
Akustikverkleidung 20 mm, deckende Farbe
Aufbau Wand:
Deckleiste Fichte 60 x 80 mm
Verkleidung Fichte 21 x 155 mm, deckend gestrichen
Lattung/Lüftung 40 x 40 mm
OSB-Platte 22 mm
Unterkonstruktion 180 x 280 mm mit Dämmung Steinwolle 280 mm
Dampfsperre
Gipsfaserplatte Saal 3 x 15 mm (Foyer/Garderoben 1 x 15 mm)
Unterkonstruktion 40 x 60 mm/
Schalldämmung Steinwolle 40 mm
Vlies, schwarz, schalldämmend (absorbierende Oberfläche) und Hartfaserplatte 3 mm (schallharte Oberfläche)
Latten 18–21 x 40 mm
Akustikverkleidung in Fichte 20 mm, deckende Farbe Detailschnitt
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Pavillon für zeitgenössischen Tanz, Genf
Der temporäre Pavillon für Tanz und darstellende Künste der Stadt Genf steht mitten in der Stadt. Sein Äusseres nimmt formal Bezug auf seine Nutzung: Die geometrisch unterschiedlich geformten Rahmen aus Lärchenund Fichtenholz werden zu einer fliessenden Wellenbewegung, die an einen Tanz erinnert.
In der Altstadt von Genf, nur wenige Schritte von der russischen Kirche entfernt, steht der Pavillon der ‹Association pour la danse contemporaine› (ADC) für die Produktion und Aufführung von zeitgenössischem Tanztheater und die Sensibilisierung für die choreografische Kultur. Der Holzbau wurde auf einem langen, baumbestandenen Grundstück errichtet, das an das Villenviertel Champel angrenzt. Eine durch die Arbeit von Etienne Marey, dem Erfinder der Chronofotografie, inspirierte Aufnahme stand Pate für den Entwurf. Sie zeigt die in einzelne Abschnitte zerlegten Bewegungen einer jungen Frau, die einen Tanzschritt ausführ t, und wurde zum Ausgangspunkt für die Entwurfsidee des Projekts, das den von der Stadt Genf ausgeschriebenen Architekturwettbewerb für sich entschieden hat. Aus Sicht der Entwerfenden konnte nur eine leichte und organische Materialität diesem Wunsch nach Dynamik entsprechen, und Holz bot sich dafür an.
Die 84 im Abstand von 60 cm nacheinander angeordneten asymmetrischen Holzrahmen bilden das äussere Tragwerk des auf einem Betonfundament ruhenden, 51 m langen, 19 m breiten und 11 m hohen Bauwerks. Ein Grossteil der Arbeit wurde in der Werkstatt ausgeführt. Die 3 m breiten vorgefertigten Module (fünf Elemente à 60 cm), die dreigeteilt sind (mit zwei geraden Fusselementen und dem Dachbalken, die auf der Baustelle geschickt an den Nullmomentpunkten zusammengefügt werden) wurden mithilfe von zwei Mobilkränen innerhalb von sechs Wochen vor Ort montiert. Die der Witterung ausgesetzten Teile wurden aus Lärche gefertigt, während für die durch eine Metallabdeckung geschützten horizontalen Teile Fichte verwendet wurde; das gesamte Holz stammt aus Schweizer Wäldern. Die schlanken Rahmen mit ihren unterschiedlichen geometrischen Formen besitzen eine Ausdruckskraft, der man sich nicht ent-
ziehen kann, und erzeugen eine Windung an den Längsseiten und auf dem Dach. Genau dieser harmonische Rhythmus verleiht dem Gebäude seinen besonderen Charakter. Das zentrale Element im Inneren ist der Veranstaltungssaal mit 230 Plätzen. Ein schwarzer, kastenförmiger Raum mit einer Fläche von 400 m2 ist so konzipiert, dass er für eine Vielzahl von Szenarien eingerichtet werden kann, mit ans teigenden Sitzreihen, die sich unterschiedlich (frontal, einander gegenüberliegend oder seitlich) anordnen lassen. Die Bühnentechnik erstreckt sich über die gesamte Länge des Saals, um eine grössere Flexibilität bei der Nutzung zu ermöglichen, ebenso wie der Boden, dessen Elas tizität und stossdämpfende Eigenschaften auf die speziellen Anforderungen des Tanzens ausgelegt sind.
Der Zugang zum Saal erfolgt über das Foyer, das mit einem monumentalen Kronleuchter, selbst ein Kunstwerk, ausgestattet ist. Daneben liegt das Café im ersten, dreigeschossigen Abschnitt, in dem sich auch die Sanitäranlagen, die Treppe zum Mehrzwecksaal und die Büros sowie im mittleren Geschoss die Regie befinden. Der zweite mehrgeschossige Abschnitt auf der Rückseite des Bühnenraums umfasst die Kulissenwerkstatt, die Technikräume und darüber die Garderoben für die Künstlerinnen und Künstler.
Um die Schallübertragung und Vibrationen zu verhindern und damit sowohl die Störung durch Verkehrsgeräusche als auch die Belästigung der Nachbarschaft zu vermeiden, ist das Tragwerk von der Hülle entkoppelt und wirkt wie ein Kasten im Kasten. Jedes Detail wurde durchdacht, um ein Maximum an akustischem Komfort zu erreichen, seien es die mikroper forierten Akustikpaneele im Inneren oder die Aufdoppelung des äusseren Tragwerks. Die Aussenseite wurde vorvergraut, um das Erscheinungsbild zu vereinheitlichen und der Alterung vorzubeugen. Dieser Bau beweist die Eignung von Holz für einen flexibel nutzbaren Veranstaltungssaal mit hohen akustischen Anforderungen in einem städtischen Umfeld.
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Erdgeschoss
Ort Place Charles-Sturm 1, 1206 Genf
Bauherrschaft Stadt Genf, Département de l’aménagement, des constructions et de la mobilité, Direction du patrimoine bâti
Architektur und Bauleitung ON Architecture Sàrl, Lausanne
Bau- und Holzbauingenieur Ratio Bois Sàrl, Ecublens
Bauphysik Amstein & Walthert Genf
Akustik Architecture & Acoustique SA, Genf Brandschutz Phénix Conseils, Satigny
Szenografie Changement à vue, Paris
Leuchte im Foyer Rudy Decelière
Holzbau Dasta Charpente SA, Plan-les-Ouates
Materialien Träger und Unterdach aus Brettschichtholz
Fichte (CH), Aussenprofile aus Brettschichtholz
Lärche (CH), dreilagige mikroperforierte
Akustikpaneele
Baukosten BKP 1–9 CHF 13,1 Mio. inkl. MWST
Baukosten BKP 2 CHF 8,3 Mio. inkl. MWST
Kubikmeterpreis nach SIA 416 (BKP 2) CHF 1362.–inkl. MWST
Geschossfläche nach SIA 416 1480 m2
Gebäudevolumen nach SIA 416 9624 m3
Bauzeit Januar 2019 bis Oktober 2021
Fotos Corinne Cuendet, Clarens
Aufbau Dach (Saal):
Metalldach
Schalung OSB-Platte 25 mm
Konterlattung 50 x 60 mm
Unterdachbahn
Dreischichtplatte 27 mm
Unterlage für Gefälle 7 mm/ml
Dreischichtplatte 72 mm
Sparren 260 x 120 mm, e = 600 mm/Dämmung 260 mm
Dreischichtplatte 72 mm
Gedämmter Installationsraum 60 mm
Abschlussplatte 16 mm
Aufbau Wand (Saal):
Ständer 160 mm x variable Höhe, e = 600 mm
Schalung 25 mm
Belüftung 120 mm
Regenschutzschicht
Dreischichtplatte 54 mm
Holzrahmen 220 x 160 mm, e = 600 mm/Dämmung 220 mm
Hohlraum 20 mm
Dreischichtplatte 72 mm
Gedämmter Installationsraum 140 mm
Abschlussplatte 16 mm
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Detailschnitt
Umbau des Théâtre de Beaulieu, Lausanne
Der Umbau des Théâtre de Beaulieu, Kulturdenkmal und bis heute das grösste Theater der Schweiz, stellt die ganze Vielfalt und Komplexität von Holz zur Schau, namentlich bei der restaurierten Verkleidung und den akustischen Qualitäten des Saals, die ihn für zahlreiche Musik- und Theaterproduktionen prädestinieren.
Das Kongress- und Messezentrum mit mehreren Hallen wurde 1920 für den Comptoir Suisse errichtet. 1932 wurde es durch das Palais de Beaulieu ergänzt 1954 eröffnete die Stadt Lausanne, Eigentümerin des Geländes, am gleichen Standort das Théâtre de Beaulieu, um ihr kulturelles Angebot zu erweitern. Nach 65 Spielzeiten musste der Veranstaltungssaal, ein symbolträchtiger Ort der Waadtländer Hauptstadt, erneuert werden, um künftig sowohl die Bedürfnisse der künstlerischen Produktionen als auch die aktuellen Sicherheitsstandards zu erfüllen. Neben dem Orchestre de Chambre de Lausanne (OCL), dem Orchest-
re de la Suisse Romande (OSR), dem BéjartBallett und dem internationalen Tanzwettbewerb Prix de Lausanne, um nur einige zu nennen, treten im Théâtre de Beaulieu viele berühmte europäische Bühnenensembles auf. Die grösste Herausforderung des Projekts bestand darin, das Gebäude innen komplett umzugestalten, dabei jedoch die ursprüngliche Hülle und die denkmalgeschützte Fassade mit ihren charakteristischen Betonpfeilern zu erhalten. Um die Gratwanderung zwischen der Bewahrung des historischen Erbes und der Anpassung des Bestands an die heutigen Anforderungen zu bewältigen, nahm das Büro Fehlmann Architectes die Identität des Ortes als Ausgangspunkt für die Verbesserung und Vereinfachung der Räumlichkeiten.
Das Gebäude verfügt nun über einen bislang fehlenden direkten Eingang, der in das Foyer im Erdgeschoss führt und so den Publikumsverkehrsfluss und Begegnungen fördert. Zwei Treppen rahmen das geräumige Foyer seitlich ein und erschliessen die drei oberen Ge-
schosse mit den Zugängen zu Parkett, Rang und Galerie, die auch als VIP-Bereich dient. Die breiten Treppenöffnungen und die von der Fassade abgesetzten Decken verbinden die Geschosse miteinander und eröffnen den senkrechten Blick nach oben und unten. Die erst bei dieser Renovierung eingebauten Aufzüge erschliessen parallel zu den Treppen alle Geschosse.
Vom ursprünglichen Saal blieben die klassischen französischen Theaterbauten nachempfundene grosse zentrale Kuppel, die halbrunde Galerie, der grosse Kronleuchter und die Wandleuchten erhalten, die zusammen mit einem Grossteil der Holzverkleidungen der Seitenwände sorgfältig restauriert wurden. Auch ein neues Bühnenkonzept und die Tonanlage gehören zu den wichtigen Neuerungen des Theaters, das nun optimale Bedingungen für jede Art von Produktion bietet. Bühne und Vorbühne wurden komplett umgebaut und verfügen über breitere Kulissen. Die vormals schräge Bühne ist nun flach, um
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den Anforderungen des Tanztheaters und bestimmter Bühnenbilder optimal gerecht zu werden, wurde aber auch abgesenkt, um dem Publikum eine bessere Sicht zu ermöglichen, während zum gleichen Zweck das Parkett stärker geneigt wurde. Die Hinterbühne wurde umgebaut, um eine neue Maschinerie unterzubringen. Das Publikum verfügt nun über bequemere Sitze in veränderter Anordnung, die eine leichte Verringerung der Kapazität zur Folge hat. Der Saal ermöglicht eine selten grosse Nähe zum Publikum, was von Künstlerinnen und Künstlern sehr geschätzt wird. Die Decke des Veranstaltungssaals wurde hauptsächlich auf der Bühnenseite um etwa einen Meter angehoben, um die den komplexen logistischen Zwängen geschuldeten neuen Scheinwerfergerüste zu integrieren, und die Form der Zwischendecke wurde so gestaltet, dass der Schall zum Publikum zurückgeworfen wird: Die gewölbten Holzlamellen, aus denen sie besteht, fügen sich zu einer komplexen Wellenform, die eine möglichst gleichmässige
Schallverteilung gewährleistet. Diese Gestaltung berücksichtigt die technischen Elemente und den Kronleuchter, der sich perfekt in die Vertiefung der Wellen einfügt. Der zentrale Rang, der mit seiner geschwungenen Form im Raum zu schweben scheint, verfügt über eine neue Brüs tungsverkleidung aus Holzlamellen, deren Form darauf ausgelegt ist, den vormals bestehenden Schallkonzentrationen entgegenzuwirken. Zudem wurde eine motorisierte Vorrichtung für die Kulissen installiert. Ein Aktiv-Audiosystem mit Mikrofonen und 64 Lautsprechern ermöglicht es, kleine Unregelmässigkeiten zu korrigieren sowie eine andere geometrische Form oder einen grösseren Raum zu simulieren. Die Integration dieser neues ten Audiotechnologien korrigiert den Fehler, dass der für die Beleuchtungstechnik notwendige Schlitz in der Decke einen Teil des Schalls absorbiert.
Der gesamte Beaulieu-Komplex im Herzen der Waadtländer Hauptstadt hat seinen Wandel eingeleitet. Mit der Wiedereröffnung des Thea-
ters, dem Einzug des Internationalen Sportgerichtshofs, der Pflegehochschule La Source und dem neuen Restaurant mit direkter Verbindung zum Theater ist das Ausstellungsgelände bereit für aktuelle und künftige Herausforderungen.
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Erdgeschoss
Aufbau abgehängte Decke:
Stäbe aus MDF 19 mm, 60 mm breit, furniert mit Qualitätsesche als Verkleidung (verzweigt mit zwei Nuten, die jeweils in einen MDF-Kasten eingesteckt sind) Detailschnitt
Latten 30 x 70 mm (als Deckenabhängung gegen den Balken des Doppelbodens geschraubt und verleimt), in der Höhe variabel (3000 mm–100 mm, mittlere Länge ca. 1800 mm) entsprechend der
Krümmung der Decke
Kantholz unter Holzdecke verschraubt und verklebt (gebogene Deckenaufhängung)
60 x 80 mm
Horizontale Primärlattung aus Dreischichtplatten, CNC-gefräst, individuell gemäss
Krümmung der Decke
Kasten aus MDF 19 mm, gebogen nach Angaben der Akustik
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Ort Av. des Bergières 10, 1004 Lausanne
Bauherrschaft Stiftung Beaulieu, Lausanne
Architektur und Bauleitung Fehlmann Architectes, Morges Bauingenieur Nicolas Fehlmann Ingénieurs Conseils SA, Morges
Akustik Kahle Acoustics, Brüssel
Brandschutz CR Conseils Sàrl, Oron-la-Ville
Ingenieur Klima und Lüftung Chuard Ingénieurs Vaud SA, Lausanne
Sanitäringenieur H. Schumacher ingénieurs conseils SA, Savigny
Elektroingenieur open-ing SA, Givisiez
Holzbau Schwab-System, John Schwab SA, Gampelen (Theatersaal, Decken Foyer); Wider SA, Bussigny (Türen Theatersaal, Bar, Wände Foyer)
Materialien Deckenpaneele aus Spanplatten mit Eschenfurnier; Rahmen und Wandschalen aus Spanplatten mit Nussbaumfurnier
Baukosten BKP 1–9 CHF 61,89 Mio. inkl. MWST
Baukosten BKP 2 CHF 47,92 Mio. inkl. MWST
Baukosten BKP 214 CHF 1,74 Mio. inkl. MWST (Dachboden, Zwischenboden, Geländer)
Kubikmeterpreis nach SIA 416 CHF 1287.– inkl. MWST
Grundstücksfläche nach SIA 416 73 783 m2
Geschossfläche nach SIA 416 12 144 m2
Gebäudevolumen nach SIA 416 48 073 m3
Bauzeit September 2019 bis September 2022
Fotos Fehlmann Architectes und Adrien Barakat (Aussenaufnahme)
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SCHWEIZER HOLZ IST KULTUR AM BAU
SPONSOR
Marketing Schweizer Holz www.holz-bois-legno.ch info@holz-bois-legno.ch
Das Kultur- und Kongresszentrum Verrucano in Mels baut das Ortsbild von nationaler Bedeutung gekonnt weiter. Es besteht aus dem neuen Kulturhaus, einem Holzelementbau aus Schweizer Holz, der den ursprünglichen Löwensaal ersetzt, und der Rathauserweiterung in verputztem Einsteinmauerwerk. Das Kultur- und Kongresszentrum mit verschiedenen Sälen schafft einen neuen kulturellen Impuls für das Sarganserland und verbindet Architektur, lokales Handwerk und regionale Wertschöpfung zu einem Stück Baukultur in vielfältiger Hinsicht. Die filigran gestaltete Holzfassade in sattem Weinrot setzt einen farblichen Akzent.
Foto Ladina Bischof, St. Gallen Architektur Raumfindung Architekten ETH BSA SIA, Rapperswil
Lignum Holzwirtschaft Schweiz
Economie suisse du bois
Economia svizzera del legno
Mühlebachstrasse 8 CH-8008 Zürich
Tel. 044 267 47 77 info@lignum.ch www.lignum.ch
Holzbulletin, März 2024
Herausgeber
Lignum, Holzwirtschaft Schweiz, Zürich
Die Herausgabe dieses Lignum-Holzbulletins wird vom Bundesamt für Umwelt im Rahmen des Aktionsplans Holz unterstützt.
Redaktion
Jutta Glanzmann, Lignum, sowie Ariane Joyet, Lignum-Cedotec
Gestaltung
BN Graphics, Zürich
Druck
Kalt Medien AG, Zug
Administration, Abonnemente, Versand Lignum, Zürich
ISSN 1420-0260
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