Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

Page 1

Die technischen Holzinformationen der Lignum

Lignatec Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz Grundlagen

Sonnenenergie

O2 CO2

Recycling Heizkraftwerk

Rohstoff 50 % C

Span-/Faserplattenwerk Bauen mit Holz

ETH/IBI  Novatlantis

Sägewerk

Lignum


2 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

Inhalt Diese Publikation wurde von folgenden Partnern unterstützt:

Seite

4

5

Ideelle Träger Baugenossenschaft Zurlinden, Zürich eco-bau /Amt für Hochbauten, Zürich ETH Zürich, IBI Institut für Bau- und Infrastrukturmanagement, Zürich FRM Fédération suisse romande des entreprises de menuiserie, ébénisterie et charpenterie, Le Mont-sur-Lausanne Minergie, Bern Novatlantis / 2000-Watt-Gesellschaft, Villigen PSI Osec, Zürich Swiss Business Hub United Kingdom, GB-London

Leistungspartner Flumroc AG, Flums HEV Hauseigentümerverband Schweiz, Zürich Knauf AG, Reinach SVW Schweizerischer Verband für Wohnungswesen, Zürich

Projektpartner Glas Trösch AG, Bützberg Gutex Holzfaserplattenwerk, DE-Waldshut-Tiengen isofloc AG, Bütschwil Nägeli AG, Appenzellerholz, Gais

Massgebliche finanzielle Unterstützung BAFU Bundesamt für Umwelt, Bern BFE Bundesamt für Energie, Bern Holzbau Schweiz, Zürich SHF Selbsthilfefonds der Schweizer Wald- und Holzwirtschaft, Solothurn VGQ Schweizerischer Verband für geprüfte Qualitätshäuser, Biel

10

1

Abstract: CO2- und energieeffizienter Holzbau

2 Wald, Holz und CO2 2.1 Eine aktive Klimapolitik für die Schweiz 2.2 Mögliche Beiträge zur Klimapolitik durch Waldnutzung und Holzverwendung 2.3 Potentielle wirtschaftliche Bedeutung der CO2-Effekte 2.4 Anreizsysteme zur Förderung einer vermehrten Verwendung von Holzprodukten 3 Ökobilanzzahlen – Grundlage für ökologische Vergleiche 3.1 Einleitung 3.2 Methodische Grundlagen: Ökobilanzen 3.3 Ecoinvent, die Basis aller Ökobilanzdaten in der Schweiz 3.4 Ökobilanzzahlen in der Praxis 3.4.1 Empfehlung KBOB 2009/1 ‹Ökobilanzdaten im Baubereich› 3.4.2 ‹Elektronischer Bauteilkatalog› 3.4.3 Eco-devis und Eco-BKP 3.4.4 Umweltdeklarationen von Produkten und Gebäudezertifizierungen 3.5 Was steckt hinter den verwendeten Indikatoren? 3.5.1 Graue Energie nach Merkblatt SIA 2032 ‹Graue Energie von Gebäuden› 3.5.2 Primärenergie gesamt 3.5.3 Treibhausgaspotential (GWP) oder Carbon footprint 3.5.4 Umweltbelastungspunkte (UBP 2006) 3.5.5 Weitere Methoden und Ausblick 3.6 Holz in Ökobilanzen


3 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

Autoren Christoph Aeschbacher, dipl. Forsting. ETH, Zürich Olin Bartlomé, dipl. Holzing. FH, Zürich Peter Hofer, dipl. Forsting. ETH, lic. rer. pol., Zürich Paul Knüsel, dipl. sc. nat. ETH, Journalist BR, Zürich Katrin Pfäffli, dipl. Arch. ETH/SIA, Zürich Iwan Plüss, dipl. HLK-Ing. FH, Luzern Hansruedi Preisig, dipl. Arch. SIA, Zürich Marco Ragonesi, dipl. Arch. HTL, Luzern Frank Werner, Dr. sc. techn. ETH, Zürich

Fachliche Begleitung Urs Christian Luginbühl, dipl. Holzing. HTL, Biel Heinrich Gugerli, Dr. dipl. Ing. ETH/SIA, Zürich

Titelbild Kreislauf von Holzprodukten Manuela Murschetz, Zürich

15

4 Erstellung und Betrieb energieeffizienter Gebäude 4.1 Betrachtung der Modelle 4.1.1 Im Dschungel der Baulabels: Was ist gefragt? 4.1.2 Energieeffiziente Gebäude 4.1.3 Gesetzliches Minimum angepasst 4.1.4 Auch bauökologisch relevant 4.1.5 Umfassende Nachhaltigkeitsbeurteilung 4.2 Zeitgemässe und nachhaltige Wärmegenerierung und intelligente Gebäudetechnik 4.2.1 Holzenergie allgemein 4.2.2 Stückholz 4.2.3 Holzschnitzel 4.2.4 Pellets 4.2.5 Massgeschneiderte Lösungen dank differenzierter Technik 4.2.6 Sonnen- und Holzenergie im Kombipaket 4.2.7 Emissionen 4.2.8 Luftreinhalteverordnung und die energiepolitischen Ziele 4.3 Baukonstruktion im Fokus von Energie, Ökologie und Behaglichkeit 4.3.1 Referenzobjekt ‹Hegianwandweg› 4.3.1.1 Beurteilung der thermischen Gebäudehülle gemäss Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau› 4.3.1.2 Untersuchte Bauweisen 4.3.2 Dynamische Simulation der thermischen Eigenschaften 4.3.2.1 Modell nach Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau› rechnet auf sicherer Seite 4.3.2.2 Vorteilhafte Bauweisen in Abhängigkeit vom Heizwärmebedarf 4.3.2.3 Behaglichkeit im Sommer in Abhängigkeit von der Bauweise 4.3.3 Ökologische Auswirkungen von Bauweise und Energiestandard 4.3.3.1 Methodik für die Ökologiebetrachtung 4.3.3.2 Erstellungsenergie: Graue Energie und Treibhausgasemissionen 4.3.4 Gesamtenergetische Betrachtung 4.4 Betrachtungsweise eines Investors mit einem langjährigen Anlagehorizont 4.4.1 Holzbau mit Renditeerwartungen 4.4.2 Ökologische Investitionsmotive 4.4.3 Mehrfamilienhäuser im Trend 4.4.4 Optimierungspotential 43 5 Ausblick


4 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

1

Abstract: CO2- und energieeffizienter Holzbau

Die Klimaerwärmung ist eine der drängendsten globalen Herausforderungen. Der gegenwärtige Ausstoss an Treibhausgasen, insbesondere von CO2, ist mit den Zielen einer nachhaltigen Entwicklung nicht vereinbar – weltweit, aber auch hierzulande. Auch die Schweiz muss deshalb ihre Ressourcen- und Energieversorgung umbauen. Dabei kommen der Architektur, dem Bauwesen und der Gebäudetechnologie zentrale Rollen zu. Die Bedeutung nachhaltig erzeugter Rohstoffe und Energieträger hat entsprechend stetig zugenommen. Man konzentriert sich heute nicht nurmehr auf die Minimierung der Betriebsenergie, sondern es rükken umfassendere Betrachtungen der Umweltrelevanz von Gebäuden in den Vordergrund. Denn nur durch die Betrachtung des ganzen Lebenszyklus eines Gebäudes erreichen wir eine Architektur, die langfristig ökologisch, ökonomisch und funktional ist. Wer mit Holz baut, entlastet nicht nur die Umwelt Vieles spricht für Holz als Baustoff. Das von Beginn an trockene Baumaterial, die kurze Bauzeit und das geringe Eigengewicht sind allgemein bekannt. Holzprodukte weisen zudem in der Regel ein günstigeres Umweltprofil auf als vergleichbare Produkte aus anderen Materialien. Dies gilt insbesondere für die Kriterien ‹Gesamtenergieverbrauch›, die Graue Energie oder das Treibhausgaspotential. Die Resultate der im Rahmen dieser Publikation durchgeführten Studie ergänzen diese nicht abschliessende Auflistung mit weiteren schlagkräftigen Argumenten: Die Studie zeigt, dass der aus der dynamischen Simulation errechnete Heizwärmebedarf bei der Holzrahmenbauweise am tiefsten ist bzw. dass die Speicherkapazität der Bauweise in der Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau› zu Ungunsten der Holzbauweise berücksichtigt werden muss: Um den gleichen Heizwärmebedarf gemäss Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau› zu erhalten, muss die Leichtbauweise bessere U-Werte als die Massivbauweise erreichen. Die Leichtbauweise wird demnach gemäss Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau› gegenüber der Massivholzbauweise und der Massivbauweise eher benachteiligt. Bei der begleitenden Gegenüberstellung der Grauen Energie und der Treibhausgasemissionen der Bauweisen zeigt sich der gleiche Trend: Die Holzrahmenbauweise erzielt die besten Werte, gefolgt von der Massivholzbauweise und der Massivbauweise. Bei der Grauen Energie liegen die zusätzlichen Belastungen für den Massivbau im Vergleich zum Leichtbau bei rund 5 %, bei den Treibhausgasemissionen bei rund 16 %. Auch wenn die Differenzen prozentual nicht besonders gross erscheinen, so können sie doch für die Erreichung von Zielwerten entscheidend sein. Insbesondere bei den Treib​haus-

gasemissionen ist das jährliche Budget klein: Bei einem Neubau der Gebäudekategorie ‹Wohnen› stehen für die Erstellung, den gesamten Betrieb und die standortabhängige Mobilität gemäss Merkblatt SIA 2040 ‹SIA-Effizienzpfad Energie› 16,5 kg/m2 zur Verfügung. Die Erstellung beansprucht davon üblicherweise mehr als die Hälfte. Für Betrieb und Mobilität bleiben jährlich rund 8 kg/m2. Ein bei der Erstellung eingespartes Kilogramm Treibhausgasemissionen erleichtert die Zielerreichung in einer gesamtenergetischen Betrachtungsweise damit unter Umständen ganz entscheidend. Die Untersuchungen zeigen, dass Gebäude ressourcenoptimiert in ihrem energetischen Kontext geplant, gebaut und beurteilt werden müssen. Im Betrieb fordert die Entkoppelung des Energieverbrauchs von den Emissionen der Energieträger nicht zwingend das Energiesparen um jeden Preis, sondern die Vermeidung von Emissionen aus der Energieversorgung und der Gebäudeerstellung durch erneuerbare Energieträger bzw. Baustoffe wie Holz. Demgemäss können wahrhaft CO2-effiziente Lösungen gleichzeitig mit der effektivsten Einsparung von Grauer Energie ausgeführt werden. Mit den neuen Standards Minergie-A und Minergie-Eco 2011 scheint eine vielversprechende Richtung eingeläutet worden zu sein, um das bislang scheinbar unendliche ‹Verpacken› der Gebäudehülle zurück in die Grenzen einer ökologischen und wirtschaftlichen Gesamtrechnung zu führen. Die sommerlichen Maximaltemperaturen bewegen sich bei allen Konstruktionsarten jederzeit und ohne Zusatzmassnahmen innerhalb der normativen Vorgaben. Gegenüber Massivbauten müssen bei Holzrahmen- und Massivholzgebäuden geringfügige Abstriche gemacht werden. Diese können jedoch im Sommer mit einer als Kühlfläche eingesetzten Bodenheizung in Kombination mit der Wärmepumpe derart verbessert werden, dass die Maximaltemperaturen sogar etwas tiefer sind als bei der schweren Bauweise.


5 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

2

Wald, Holz und CO2

2.1 Eine aktive Klimapolitik für die Schweiz Die globale Klimaerwärmung wird heute weitgehend als Problem anerkannt. Mit der Unterzeichnung und Ratifizierung des Kyoto-Protokolls 2003 hat sich die Schweiz zu einer aktiven Klimapolitik bekannt. Sie hat sich im Rahmen dieser Vereinbarung verpflichtet, für die Jahre 2008 – 2012 ihre Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 um 8 % zu reduzieren. Da die Treibhausgasemissionen der Schweiz mit rund 85 % mehrheitlich aus Kohlendioxid (CO2) bestehen – neben Methan (CH4) mit gut 7 %, Lachgas (N2O) mit 6 % und synthetischen Treibhausgasen mit 2 % – setzt eine erfolgreiche Klimapolitik in erster Linie bei der Verminderung der Verbrennung von fossilen Energieträgern an. Im CO2-Gesetz von 1999 wurde deshalb eine Reduktion des CO2-Ausstosses um 10 % stipuliert, wobei die Reduktion bei den Brennstoffen mit 15 % und bei den Treibstoffen mit 8 % festgesetzt wird. Die Schweiz deckt ihren Energiebedarf heute immer noch zu rund zwei Dritteln aus Erdöl, Erdgas und Kohle. Der gesamtschweizerische Ausstoss von Treib-

hausgasen – ausgedrückt in sogenannten CO2-Äquivalenten – lag 2008 bei ca. 57 Mio. Tonnen. Sorgen bereitet vor allem der ständig steigende Verbrauch von Treibstoffen. Während im Jahr 2008 die CO2Emissionen aus Brennstoffen noch 89 % derjenigen von 1990 betrugen, waren es bei den Treibstoffen 114 %. Insgesamt ist man also von der Erfüllung der Vorgaben aus dem CO2-Gesetz und der Erfüllung des Kyoto-Protokolls weit entfernt. Per 1.1.2008 hat der Bund daher eine CO2-Abgabe auf fossile Brennstoffe eingeführt. Angesichts der fortschreitenden Klimaerwärmung streben Bundesrat und Parlament in der anstehenden Revision des CO2-Gesetzes an, die Emissionen an Treibhausgasen bis 2020 gegenüber 1990 um 30 % zu verringern. Dazu werden Massnahmen in Gebäuden vorgesehen, ferner eine CO2-Abgabe auf Brenn- und Treibstoffe und eine Beteiligung am europäischen Emissionshandelssystem.

2.2 Mögliche Beiträge zur Klimapolitik durch Waldnutzung und Holzverwendung

6 CO2 +

C6 H12 O6 +

12 H2O

6 O2 + 6 H2O

9 500 MJ Sonnenenergie

1 m3 Holz = 9 500 MJ

0,9 t CO2

gespeicherte Sonnenenergie (absolut trocken)

0,5 t Wasser

0,7 t Sauerstoff

Nährelemente: N, P, K, Mg, Ca

0,3 t Wasser

Figur 1 : Aus energiearmen, anorganischen Stoffen, hauptsächlich CO2 und Wasser, werden bei der Photosynthese energiereiche organische Verbindungen synthetisiert. 1 m3 Holz bindet fast eine Tonne CO2 als Kohlenstoff und enthält absolut trocken ca. 250 kg Kohlenstoff, 215 kg Sauerstoff, 30 kg Wasserstoff und 5 kg diverse Elemente.

Die Wald- und Holzwirtschaft ist in der Lage, einen Beitrag zur Reduktion des CO2-Ausstosses zu leisten. Dies weist eine Studie nach, die im Auftrag des Bundesamtes für Umwelt durchgeführt und 2007 publiziert wurde.1 Es lassen sich mehrere Effekte unterscheiden: Der Baum wandelt mittels Photosynthese Kohlendioxid aus der Umgebungsluft in Zucker und Sauerstoff um. Der Zucker wird als Holzsubstanz in Stamm, Ästen und Rinde eingelagert, der Sauerstoff an die Umgebung abgegeben. Der Kohlenstoff bleibt solange im Holz gebunden, bis der Baum abstirbt und sich in der Natur zersetzt oder bis das Holz verbrannt wird. Die stehenden Bäume bzw. überhaupt die lebende und tote Biomasse im Wald bilden also ein Kohlenstofflager. Solange die Biomasse im Wald zunimmt, wird auch von einer Kohlenstoffsenke gesprochen.

N ach der Nutzung des Baumes oder nach einem Windwurf kann der Baumstamm in ein Holzprodukt umgewandelt werden. Der Kohlenstoff bleibt solange gespeichert, bis sich das Holzprodukt am Ende der Nutzungsdauer irgendwo zersetzt oder bis es verbrannt wird. Werden die Lager im Zivilisationskreislauf vergrössert, z. B. durch die vermehrte Verwendung langlebiger Holzprodukte, kann ebenfalls von einer Kohlenstoffsenke gesprochen werden.2 Verursacht ein Holzprodukt während seiner Herstellung, Nutzung und Entsorgung weniger Treibhausgasemissionen als sein Konkurrenzprodukt aus einem anderen Rohstoff, entsteht bei seiner Verwendung ein positiver Substitutionseffekt. Dieses bezüglich Treibhausgasemissionen günstigere Verhalten von Holzprodukten ist oft gegeben. Einmal gelten Holzprodukte als CO2 - neutral, weil das Holz im Verlaufe seines Wachstums soviel Kohlenstoff aus dem CO2 der Umgebungsluft absorbiert, wie es bei seiner Zersetzung wieder freigibt. Klimarelevant sind also nur die aus der Herstellung resultierenden zusätzlichen Treibhausgasemissionen. Aufgrund der einfachen Bearbeitbarkeit ist für die Herstellung von Holzprodukten in aller Regel nur ein geringer Energieinput nötig, der dazu oft noch aus Restholz gedeckt werden kann. Allerdings kann der Einsatz von Klebern, Folien, Stahlverbindern u. a. m. oder auch eine verkürzte Lebensdauer mangels sachgerechten Einsatzes des Holzproduktes dessen Treibhausgasprofil negativ beeinflussen.


6 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

D urch die thermische Nutzung von Waldenergieholz, nicht stofflich genutztem Restholz aus der Holzverarbeitung sowie von Altholz entsteht ein energetischer Substitutionseffekt. Es lassen sich auf diese Weise nämlich fossile Energieträger einsparen. Damit kann die Wald- und Holzwirtschaft auch in den Dienst der Klimapolitik gestellt werden. Die oben zitierte Studie stellte diesbezüglich folgendes fest: ‹Die möglichst weitgehende Nutzung eines hohen Holzzuwachses im Schweizer Wald, die Verarbeitung des geernteten Holzes zu langlebigen Produkten in einer Kaskadennutzung

und die energetische Endnutzung nach Gebrauch führen auf Dauer zur deutlichsten Verbesserung der CO2-Bilanz.› Als Faustregel zur Bestimmung der CO2-Einsparung kann von den folgenden Kennzahlen ausgegangen werden:

Figur 2 : Negative Zahlen bedeuten CO2-Einsparungen. Ersetzt ein Schweizer Holzprodukt ein ausländisches Substitutionsprodukt, so entfallen auch CO2-Emissionen im Ausland für Produktion, Transport und Entsorgung.

Gerundete Kennzahlen der eingesparten CO2-Emissionen pro eingesetzte Holzmenge [kg CO2/m3 Holz] Schweiz Ausland Material-Substitution – 300 – 400 Energetische Substitution – 500 – 100 Total – 800 – 500

Figur 3 : CO2-Effekte verschiedener Szenarien in Mio. t CO2-Äquiv. pro Jahr während der Jahre 2000 – 2100. Negative Zahlen bedeuten CO2Einsparungen, positive Zahlen CO2-Emissionen. Quelle: Taverna R. et al. 2007

Totale Effekte Schweiz, nach einzelnen Szenarien (Strategien)

Obige Feststellung bedeutet konkret: Langfristig sind Strategien, welche eine Steigerung der Holzanwendung vor allem im Bauwesen vorsehen, denjenigen überlegen, welche ein Schwergewicht auf die energetische Verwendung des Holzes legen. Der Vorteil der vorgängigen materiellen gegenüber der direkten energetischen Verwendung des Holzes liegt darin, dass die Einsparung doppelt erfolgt: Zuerst bei der Herstellung der Holzprodukte und anschliessend bei der energetischen Verwertung, wenn nicht mehr gebrauchte Holzprodukte noch energetisch genutzt werden. Im optimalen Szenario gemäss Studie (vgl. Kurve ‹Zuwachs optimiert Bau›

2000

2010

2020

2030

2040

in Figur 3) wurde eine Ausweitung des Holzverbrauchs im Bauwesen inklusive Möbel in den Jahren 2000 bis 2030 um 80 % betrachtet. Danach wurde der Verbrauch zwecks Studiums der Auswirkungen konstant gehalten. Die Steigerungsrate des Holzverbrauchs wurde aufgrund der heutigen Holz-Marktanteile nach Bauteilen abgeschätzt. Die grössten Potentiale wurden dabei im konstruktiven Bereich geortet, namentlich in den Geschossdecken und in den tragenden Wänden.

2050

2060

2070

6 4 2 0 – 2 – 4 – 6 – 8 – 10 – 12 – 14

Zuwachs optimiert Bau  Baseline

Global – 700 – 600 – 1300

Zuwachs optimiert Energie   Reduzierte Waldpflege

Kyoto optimiert

2080

2090

2100


7 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

Bei der Betrachtung der CO2-Effekte mittels Szenarien ist zwischen den globalen und den inländischen Wirkungen zu unterscheiden. Zur Lösung des Treibhausproblems ist die globale Wirkung von grösster Bedeutung. Gemäss Kyoto-Protokoll wird aber nach Ländern abgerechnet. Daher ist es unerlässlich abzugrenzen, welche CO2-Einsparungen im Inland erfolgen und welche im Ausland. In der Schweiz lassen sich mit einer Politik nach dem Bestszenario ‹Zuwachs optimiert Bau› von 2016 – 2026 pro Jahr insgesamt über 8 Mio. Tonnen CO2-Emissionen vermeiden. Gegenüber 1990 ergibt das einen zusätzlichen Effekt von rund 6,5 Mio. t CO2 equiv. Gut 11 % der heutigen jährlichen Treibhausgasemissionen könnten also vermieden werden, würden sich Wald- und Holzwirtschaft bzw. der Holzverbrauch nach diesem Szenario entwickeln. Der Zeithorizont für diesen Reduktionsbeitrag ist allerdings deutlich länger als derjenige der ersten Kyoto-Verpflichtungsperiode.

Figur 4 : CO2-Effekte des Szenarios ‹Zuwachs optimiert Bau› in Mio. t CO2-Äquiv. pro Jahr während den Jahren 2000 - 2100. Gegenüber Figur 3 wurde die Summe der Effekte für das Jahr 2000 auf null gesetzt. Negative Zahlen bedeuten CO2-Einsparungen, positive Zahlen CO2-Emissionen. Quelle: Taverna R. et al. 2007 (Kurve ‹Waldsenke› für 2050 bis 2070 ausgeglichen)

Während der Wald zunächst trotz einer Mehrnutzung von Holz im Vergleich zu heute noch als Senke wirkt, wird er nach rund 50 Jahren zur Quelle. Dies ist auf die konsequente Zuwachsnutzung zurückzuführen, bei der gewisse Ernterückstände im Wald verbleiben und dort verrotten. Die Ausweitung der Holzverwendung in allen Bereichen, insbesondere aber im Bauwesen führt dazu, dass die Holzlager im Zivilisationskreislauf während über 100 Jahren zunehmen. Nach rund 120 Jahren halten sich aus dem Gebäudepark ausscheidende Produkte und neu eingebaute Produkte etwa die Waage. Die Effekte der Material- und der Energiesubstitution verlaufen dann auf einem konstanten Niveau. Taverna R., Hofer P., Werner F., Kaufmann E., Thürig E. 2007: CO2-Effekte der Schweizer Wald- und Holzwirtschaft. Szenarien zukünftiger Beiträge zum Klimaschutz. Umwelt-Wissen Nr. 0739. Bundesamt für Umwelt, Bern

1

Berechnungen und weitere Informationen finden sich z. B. auf der Website der CO2-Bank Schweiz (www.co2-bank.ch). Dort kann objekt- und unternehmensbezogen die genaue Klimaleistung von Holzprodukten erfasst und ausgewiesen werden.

2

Zeitliche Abfolge der einzelnen jährlichen Effekte anhand des Szenarios ‹Zuwachs optimiert Bau› 2000

2010

2020

2030

2040

2050

2060

2070

2080

4 3 2 1 0 – 1 – 2 – 3 – 4 – 5 – 6 – 7

Materialsubstitution  Waldsenke

Energiesubstitution   Summe der Effekte

Holzlagerveränderung

2090

2100


8 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

2.3 Potentielle wirtschaftliche Bedeutung der CO2-Effekte Im Rahmen einer Fallstudie für den Kanton Graubünden wurden die Wertschöpfung der Wald- und Holzwirtschaft berechnet und der Umfang der CO2-Effekte sowie deren Wert abgeschätzt. 3 Die Wertschöpfung wurde anhand einer Erhebung der Materialflüsse im Kanton berechnet. Die nachfolgende Figur 5 zeigt auf, dass die Hauptwertschöpfung in der dritten Ver-

Figur 5 : Bruttowertschöpfung Graubünden. Quelle: Walz A., Taverna R., Hofer P. 2009

Bruttowertschöpfung der Wald- und Holzwirtschaft im Kanton Graubünden 2007 Branche Bruttowertschöpfung [Mio. CHF] Waldwirtschaft (inkl. Bundesbeiträge Schutzwald) 57 Erste Verarbeitungsstufe (Sägereien, Plattenwerke, Holz-/Zellstoffwerke) 32 Grosshandel (mit Holz und Bauelementen aus Holz) 9,2 Zweite Verarbeitungsstufe (Hobelwerke, Fenster und Türen, Bauelemente) 15 Dritte Verarbeitungsstufe (Schreinereien, Zimmereien, 264 Küchenbau, Papierherstellung) Total 377

Zur Bestimmung des monetären Wertes der CO2Effekte wurden die CO2-Lager anhand der Inventurergebnisse im Bündner Wald sowie auf Basis einer Materialflussstudie der Bündner Holzwirtschaft berechnet. Ferner wurde eine ökologische Bewertung der verwendeten Produkte vorgenommen. Mit den aktuellen Zertifikatspreisen von ca. 18 €/t und einem

Figur 6 : Effekte der aktuellen Holzverwendung 2007: Holz ersetzt hälftig Holz, hälftig andere Materialien, die teilweise im Ausland produziert werden. Negative Zahlen bedeuten CO2-Einsparungen und potentielle Kompensationserlöse. Quelle: Walz A., Taverna R., Hofer P. 2009

arbeitungsstufe, also durch Schreinereien, Zimmereien und die Papierindustrie stattfindet.

Anteil [%] 15 9 2 4 70 100

Eurokurs von CHF 1.15 können die CO2-Effekte der Branche mit rund CHF 21.–/t bewertet werden. Entsprechend der Bedeutung der einzelnen Effekte liegen die Werte für eine Kompensation beim Holzvorrat im Bündner Wald am höchsten (vgl. Figur 6).

CO2-Effekte im Jahr 2007 und potentieller Wert im CO2-Handel Einsparungen [1000 t CO2-Äquiv.] Lagereffekte im Zivilisationskreislauf Materialsubstitution

Energiesubstitution

Transportemissionen

Waldeffekte

Total

im Kanton Graubünden ausserhalb Graubündens Total im Kanton Graubünden ausserhalb Graubündens Total im Kanton Graubünden ausserhalb Graubündens Total im Kanton Graubünden ausserhalb Graubündens Total im Kanton Graubünden ausserhalb Graubündens Total im Kanton Graubünden ausserhalb Graubündens Total

– 121 – 46 – 166 – 3,4 – 115 – 118 – 65 – 65 – 130 10 12 22 – 607 – 29 – 636 – 786 – 243 – 1029

Kosten der CO2Kompensation [Mio. CHF] – 2,5 – 1,1 – 3,5 – 0,07 – 2,38 – 2,45 – 1,35 – 1,35 – 2,7 0,21 0,25 0,46 – 12,56 – 0,6 – 13,16 – 16,28 – 5,03 – 21,3


9 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

Es ist allerdings festzuhalten, dass es sich hier um eine statische Betrachtung handelt. Mit einer Politik, die auf Zuwachserhöhung im Wald und Ausweitung der Holznutzung und Holzverwendung im Kanton zielt, könnten die CO2-Effekte noch deutlich ausgedehnt werden. Sie würden sich in die Lager im Zivilisationskreislauf verschieben, und die materiellen sowie die energetischen Substitutionseffekte würden deutlich grösser. Die intensivierte Holzverwendung im Kanton Graubünden würde den Anteil Wald an der

2.4

Wertschöpfung infolge des geringeren Lageraufbaus reduzieren. Basierend auf den CO2-Einsparungen würde der Umfang von Kompensationszahlungen für die Holzwirtschaft aber auch bei gesteigerter Holzverarbeitung und -verwendung im Verhältnis zur Wertschöpfung auf bescheidenem Niveau verbleiben. Walz A., Taverna R., Hofer P. 2009: CO2-Effekt und ökonomische Bewertung von Holznutzung und Senkenleistung im Kanton Graubünden für das Jahr 2007. Erstellt im Auftrag des Bundesamtes für Umwelt, Davos und Zürich

3

Anreizsysteme zur Förderung einer vermehrten Verwendung von Holzprodukten

Die Frage stellt sich, welche Anreize die Politik geben kann, um die Volkswirtschaft in diese gewünschte Richtung zu lenken. Wie kann also erreicht werden, dass vor allem im Bauwesen künftig vermehrt Holzprodukte eingesetzt werden? In der ersten Verpflichtungsperiode konnte sich ein Land nach Artikel 3.4 des Kyoto-Protokolls die Zunahme der Kohlenstofflager im Wald anrechnen lassen. Für die Schweiz, die sich für diese Möglichkeit entschieden hat, sind dies pro Jahr maximal 1,8 Mio. t CO2. Mangels eines politischen Rahmens bzw. eines finanziellen Anreizsystems in unserem Land ist diese Möglichkeit für die Waldbesitzer aber heute nicht handlungsrelevant. Bisher kann sich ein Land die Holzlager im Zivilisationskreislauf nicht anrechnen lassen. Im Hinblick auf eine zweite Kyoto-Verpflichtungsperiode nach 2012 wird darüber verhandelt. Kernfrage ist dabei, wem die Zunahme der Holzlager gutgeschrieben und dann auch deren Auflösung belastet wird: Ist es das holzproduzierende oder das konsumierende Land? Aktuell scheinen sich die grossen Produzentenländer durchzusetzen. Die heutige CO2-Abgabe auf fossile Brennstoffe bzw. der Verkauf von CO2-Einsparungen etwa beim Ersatz von fossilen Brennstoffen durch Biomassekraftwerke haben eine fördernde Wirkung für Holzprodukte. Beide Instrumente machen die nichtfossilen Energieträger gegenüber den fossilen konkurrenzfähiger. Im Vergleich werden die nichtfossilen Energieträger günstiger, und es werden jene Produkte interessanter, die mit weniger fossiler Energie erzeugt werden. Werden in der Schweiz vermehrt Holzprodukte anstelle von energieintensiveren Substitutionsprodukten verarbeitet oder werden Wärme und Strom vermehrt aus Holz gewonnen, so verbessert sich damit die CO2Bilanz des Landes. Ausser der CO2-Abgabe auf Brennstoffe sind bis heute in der Schweiz keine Instrumente in Kraft, welche diese positiven Wirkungen von Wald- und Holzwirtschaft auf Ebene der Waldbesitzer und Hersteller in die richtige Richtung, d.h. eine umfassende Kaskadennutzung nachhaltig produzierten Holzes, lenken könnten. Die Leistung von Beiträgen für den Vorrats-

aufbau im Wald ist schon aufgrund der starken Stückelung des Eigentums problematisch. Zudem müsste ein Waldbesitzer, der von einer Windwurfkatastrophe betroffen ist, das für den Vorratsaufbau erhaltene Geld wieder zurückzahlen. Dies wäre ausgerechnet in dem Zeitpunkt der Fall, in welchem er auch mit den ökonomischen Folgen der Katastrophe kämpft. Wie die Studie im Kanton Graubünden allerdings zeigt, könnte sich ein Betrieb durch den dosierten Aufbau von stabilen, nicht zu vorratsreichen Senkenwäldern ein höchst willkommenes Betriebskapital beschaffen. Die Belohnung des Aufbaus von Holzlagern im Zivilisationskreislauf erscheint zwar grundsätzlich möglich, ist aber mit verschiedenen methodischen Schwierigkeiten behaftet. In diesem Zusammenhang eröffnet das revidierte CO2-Gesetz neue Möglichkeiten, indem es die Holzlager explizit als zu berücksichtigen erwähnt. Hier ist die Holzwirtschaft gefordert, diese Möglichkeiten auszuloten. Die positiven Wirkungen einer konsequenten Waldnutzung und der Holzverwendung nach dem Prinzip der Kaskade – Holz immer so hochwertig wie möglich einsetzen, energetische Verwertung nach dem Ausscheiden aus dem Gebrauch – sind erwiesen. Der Bund hat daher eine Ressourcenpolitik Holz formuliert und zielt mit seinem Aktionsplan Holz auf den ressourceneffizienten Einsatz sowie auf die Beseitigung von Schwachstellen. Das Nationale Forschungsprogramm 66 ‹Ressource Holz› startete Ende 2010. Es will die Grundlagen für den künftigen Holzeinsatz verbessern. Unabhängig von der künftigen Möglichkeit, die Holzverwendung direkt zu fördern, sind Konzepte für einen materialgerechten und wirtschaftlichen Holzeinsatz im Hochbau voranzubringen. Es ist zu hoffen, dass gute Konzepte durch Massnahmen der öffentlichen Hand auch im Hinblick auf eine noch verbesserte Wirtschaftlichkeit unterstützt werden.


10 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

3

Ökobilanzzahlen – Grundlage für ökologische Vergleiche

3.1 Einleitung Die Bedeutung von produktbezogener Umweltinformation hat in der Schweiz im Baubereich in den letzten zehn Jahren stetig zugenommen. Konzentrierte man sich früher bei der Planung eines Gebäudes auf die Minimierung der Betriebsenergie – sprich Optimierung der Energiebilanz –, so rückt je länger je mehr eine umfassendere Betrachtung der Umweltrelevanz von Gebäuden zum Beispiel im Rahmen von Ausschreibungen oder Gebäudezertifikaten in den Vordergrund. Den neuesten Trend in dieser Entwicklung stellen insbesondere auf internationaler Ebene Gebäudebewertungs- und Zertifizierungsschemata dar, die oft nicht nur Umweltaspekte, sondern eine umfassende Nachhaltigkeitsbewertung eines Gebäudes über dessen gesamten Lebensweg anstreben. Verschiedene Merkblätter und Empfehlungen des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins SIA oder der Koordinationskonferenz der Bau- und

Liegenschaftsorgane der öffentlichen Bauherren KBOB und darauf abgestützte Planungstools sollen die Planenden und Entscheidungsträger bei der umweltgerechten Planung und Ausführung von Gebäuden methodisch unterstützen. Sie liefern oft auch entsprechende Kennwerte für einzelne Baumaterialien und Prozesse. Im anschliessenden Kapitel 4.3 wird basierend auf diesen Dokumenten und Tools mit einschlägigen Berechnungsprogrammen ein Referenzgebäude simuliert. Doch woher kommen diese Kennwerte, wie verlässlich sind sie, und was muss man wissen, um sinnvoll mit ihnen arbeiten zu können?

3.2 Methodische Grundlagen: Ökobilanzen Wenn sich Experten über ‹UBPs›, ‹EI99-Punkte›, das ‹GWP IPCC 2007 (100 a)› oder die Graue Energie unterhalten, steckt eines dahinter: Ökobilanzen (auch LCA, engl. Life Cycle Assessment). Hervorgegangen sind sie in den späten achtziger Jahren aus der Erkenntnis, dass reine Energiebetrachtungen oder das Herausstreichen einzelner Produkteigenschaften durch ein Label nur bedingt geeignet sind, die Umweltrelevanz von Produkten und Prozessen zu beschreiben. Die heute allgemein akzeptierte Grundlage der Ökobilanzierung stellt die Normenreihe ISO 14040ff. dar. Sie legt die Grundlagen für die Berechnung und Bewertung der Umweltwirkung von Produkten fest, allerdings auf einem sehr allgemeinen Niveau. Dies ermöglicht zwar eine breite Anwendbarkeit dieser Normen, lässt aber auch etlichen Spielraum für Interpretationen im Einzelfall. Ökobilanzen unterscheiden grundsätzlich zwischen der Bilanzierung von Stoffflüssen, z. B. Rohstoffe, Hilfsstoffe, Abfälle, Prozessemissionen in Boden, Wasser und Luft (Stichwort: Sachbilanz) und der Bewertung dieser Stoffflüsse – etwas vereinfacht: der Bewertung sämtlicher Emissionen in die Natur aus all diesen Stoffflüssen hinsichtlich ihrer Umweltwirkung (Stichwort: Wirkungsabschätzung). Auf die Bedeutung dieser Unterscheidung und die heute in der Schweiz im Baubereich üblichen Bewertungsmethoden wird später noch weiter eingegangen. Mit Werten aus Ökobilanzen kann aufgrund des Spielraums bei der Berechnung, aber auch durch unkundige Interpretation von Ökobilanzzahlen viel Schabernack getrieben werden. Wenn man mit Ökobilanzzahlen arbeitet, sollte man sich deshalb folgender Punkte bewusst sein:

Vergleiche sind nur bezogen auf die gleiche Funktionalität der Produkte sinnvoll, bei Bauprodukten also im Kontext von deren Verwendung im Gebäude. Vergleiche pro kg oder pro m3 basieren meist nicht auf einer gleichen Funktionalität und sind deshalb in der Regel nicht sinnvoll. 4 Die Berücksichtigung der unterschiedlichen Lebensdauer bei der Festlegung der Funktionalität für Vergleichszwecke ist fundamental. Vergleiche sind nur unter Berücksichtigung des ganzen Lebenszyklus, also auch unter Berücksichtigung allfälliger Transporte, der Nutzungsphase und der Entsorgungsphase sinnvoll, um Fehlentscheide aufgrund von Verschiebungen von Umweltlasten in nicht berücksichtigte Phasen zu vermeiden. Konsistente und auf die Fragestellung passende methodische Rahmenbedingungen 5 sind eine Grundvoraussetzung für die Vergleichbarkeit von Ökobilanzzahlen. Soweit die Methodik; aber woher kommen die Zahlen? Auch wenn dies nicht überall beherzigt wird: www.creabeton-materiaux.ch/ fileadmin/Downloads/News/Beton_deutsch.pdf

4

z. B. bei der Bilanzierung von Prozessen mit mehreren Produkten oder bei der Verwendung von Recyclingmaterial oder der Rezyklierbarkeit bzw. thermischen Verwertbarkeit eines Produktes (Stichwort: ‹Allokation›)

5


11 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

3.3 Ecoinvent, die Basis aller Ökobilanzdaten in der Schweiz Wird heute in der Schweiz eine Ökobilanz gerechnet, werden meist Daten aus der Datenbank ‹Ecoinvent› 6 verwendet. Diese Datenbank wird heute als eine der weltweit bedeutendsten Ökobilanzdatenbanken vom Ecoinvent-Zentrum betrieben, einem Zusammenschluss verschiedener Institutionen aus dem ETH-Bereich. Ecoinvent umfasst über 4000 Ökobilanzdatensätze zu Strom- und Wärmeerzeugung, Transporten, Baumaterialien, Metallen, Chemikalien, Kunststoffen, Entsorgungsprozessen u. a. m., die nach detaillierten methodischen Vorgaben und Qualitätsrichtlinien erstellt und dokumentiert sind. Diese Datensätze bilden auch die Grundlage für sämtliche Ökobilanzzahlen, wie sie in Merkblättern des SIA oder der KBOB ausgewiesen und in darauf aufbauenden Tools hinterlegt sind. Es lohnt sich deshalb, sich einige Charakteristika der Daten aus Ecoinvent zu vergegenwärtigen: 7 Ecoinvent-Daten (und die daraus abgeleiteten und veröffentlichten Daten) stellen Durchschnittsprozesse und -produkte z. B. bezogen auf die Schweiz oder Europa dar. Das bedeutet, dass diese Daten zur Entscheidungsunterstützung solange stimmig verwendet werden können, wie sich durch die Entscheidung die Verhältnisse für die Durchschnittsbildung nicht ändern (was möglicherweise bei sehr grossen Infrastrukturprojekten passieren könnte). 8 In Ecoinvent-Datensätzen werden keine Gutschriften für Kuppelprodukte 9, für die Rezyklierung von Materialien oder auch für Energie aus der thermischen Verwertung von Abfällen vergeben. Auf der anderen Seite werden in der Herstellung bei Verwendung von Recyclingmaterial nur die Umweltwirkungen des Einsammelns und Aufbereitens verrechnet. 10

3.4

Aus Holzsicht: Die Speicherung von biogenem Kohlenstoff in Holzprodukten wird zwar in der Sachbilanz erfasst, aber bei deren Bewertung zur Berechnung des Treibhauspotentials (GWP) nicht berücksichtigt (s. unten). Bei Datenbanken dieser Grösse und Komplexität stellt sich jeweils ein Problem: Die Aktualisierung. Dieses Problem wird dadurch akzentuiert, dass sich in den letzten Jahren durch die technologische Entwicklung und die Erfordernisse des Umweltschutzes – nicht zuletzt als Reaktion auf das CO2-Gesetz – oft massgebliche Effizienzsteigerungen und eine Reduktion der Klimawirkung und Umweltbelastung ergeben haben. Da bei der Aktualisierung von Durchschnittsdatensätzen ein erheblicher Koordinationsaufwand (z. B. durch einen Verband) besteht, sind solche Prozessverbesserungen insbesondere bei durch KMU geprägten Branchen kaum in aktualisierte Datensätze eingeflossen. Um so erfreulicher ist es, dass das Bundesamt für Umwelt sich in den nächsten zwei Jahren für die Aktualisierung der Datensätze zu Forstprozessen und Holzprodukten in Ecoinvent engagiert. 06

http://www.ecoinvent.org/ Zurzeit wird die Datenbank Ecoinvent grundlegend überarbeitet; die Ausführungen beziehen sich auf die Version Ecoinvent 2.2.

07

Ökobilanzierer sprechen von beschreibenden ‹Durchschnitts›-Ökobilanzen gegenüber entscheidungsorientierten Ökobilanzen mit ‹marginalem› Ansatz.

08

09

aus einem Prozess mit mehreren Produkten als Output Gutschriften sind wohl das umstrittenste methodische Thema in der Ökobilanzierung. Während die Datensätze in Ecoinvent keine Gutschriften enthalten, ermöglicht die Datenstruktur der Datenbank doch, je nach Anwendung und persönlicher Werthaltung Gutschriften in einer spezifischen Ökobilanz zu verrechnen.

10

Ökobilanzzahlen in der Praxis

3.4.1 E mpfehlung KBOB 2009/1 ‹Ökobilanzdaten im Baubereich› Einen wesentlichen Beitrag zur Verwendung von Ökobilanzdaten im Baubereich hat sicher die Empfehlung KBOB 2009/1 ‹Ökobilanzdaten im Baubereich› 11 der Koordinationskonferenz der Bau- und Liegenschaftsorgane der öffentlichen Bauherren (KBOB) geleistet. In dieser Empfehlung sind Ökobilanzwerte für alle wichtigen Bauprodukte und -prozesse einschliesslich Haustechnik, Transporte und Energiebereitstellung ausgehend von Ecoinvent (und darauf aufbauenden Studien) zusammengestellt. Diese Liste stellt die Basis für verschiedene Instrumente zur Umweltbewertung von Bauprodukten und Gebäuden dar, die im folgenden kurz vorgestellt werden. Zuerst sei aber noch festgehalten:

Mit der direkten Übernahme der Ecoinvent-Datensätze für Bauprodukte werden die methodischen Vorgaben für die Erstellung von Datensätzen in Ecoinvent zur methodischen Vorgabe zur Ökobilanzierung von Bauprodukten der öffentlichen Hand in der Schweiz. Sollen Ökobilanzzahlen in der KBOB-Liste oder in davon abgeleiteten Listen und Tools, aber auch Ökobilanzwerte in SIA-Merkblättern aktualisiert werden, muss dies heute fast zwingend über eine Aktualisierung von Datensätzen in Ecoinvent erfolgen. 11

http://www.bbl.admin.ch/kbob/00493/00495/index.html


12 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

3.4.2 ‹Elektronischer Bauteilkatalog› Der webbasierte und dynamische ‹Elektronische Bauteilkatalog› 12 ist der zeitgemässe Ersatz der SIA-Dokumentation D 0123 ‹Hochbaukonstruktionen nach ökologischen Gesichtspunkten› aus dem Jahr 1995. Der Internet-Benutzer kann Bauteile, z. B. Zweischalenmauerwerk, aus dem Katalog wählen und dynamisch die Ausführungsvariante durch das Ändern einzelner Materialien und Schichtdicken bestimmen. Per Mausklick werden U-Werte und aktuelle Kennwerte für ökologische Teilbewertungen (Merkblatt SIA 2032 ‹Graue Energie von Gebäuden›: Graue Energie und Treibhausgasemissionen) und Gesamtbewertung (Ökologische Knappheit: Umweltbelastungspunkte) berechnet und tabellarisch sowie graphisch dargestellt. Zudem kann auch die Gebäudebilanz berechnet werden. Diese online generierten Resultate stehen dem Anwender einerseits im PDF-Format zum Ausdrucken sowie mittels XML-Schnittstelle auch elektronisch für entsprechend ausgerüstete Software zur Verfügung. Die Ergebnisse dieser Berechnungen können allerdings nur als grobe Abschätzungen und Orientierungshilfe im Vorprojekt oder frühen Stadien der Projektplanung dienen. Eine reine Betrachtung der Schichten eines Bauteils vernachlässigt z. B. Anschlüsse, Verbindungselemente, Aufhängungen usw., die das Umweltprofil eines Bauteils massgeblich bestimmen können. Für eine genauere Bilanzierung eines Gebäudes sind detailliertere Betrachtungen notwendig. 13 3.4.3 Eco-devis und Eco-BKP Nicht jeder Planer mag sich mit Ökobilanzzahlen herumschlagen. Deshalb hat der Verein Eco-bau als Planungstool das Instrument Eco-devis 14 entwickelt. Eco-devis kennzeichnen ökologisch interessante Leistungen graphisch. Sie sind als Zusatzkomponente in den gängigsten Devisierungsprogrammen zum Normpositionenkatalog der Schweizerischen Zentralstelle für Baurationalisierung CRB abrufbar. Dadurch können ohne zusätzlichen Arbeitsaufwand Baulei-stungen ausgeschrieben werden, welche die Umwelt weniger belasten. Die wichtigen Informationen aus den Eco-devis sind in den Eco-BKP-Merkblättern 15 zusammengestellt. Die Beurteilung der Produkte für Eco-devis erfolgt unter anderem auf der Basis von Umweltdeklarationen nach Empfehlung SIA 493 ‹Deklaration ökologischer Merkmale von Bauprodukten›. Beurteilt werden entsprechend Umweltauswirkungen während der Herstellung, der Verarbeitung, der Nutzung und der Entsorgung von Baustoffen. Als Mass für den Ressourcenverbrauch und die Umweltbelastung bei der Herstellung eines Baumaterials wird die Graue Energie als Indikator verwendet. Bei der Verarbeitung steht die Menge und Art der Lösungsmittelemissio-

nen (VOC) im Vordergrund. Während der Nutzung sind die Anwesenheit und die Emittierbarkeit von umweltrelevanten Bestandteilen in den Materialien wie problematische Flammschutzmittel u.a.m. Gegenstand der Beurteilung. Die Verwertbarkeit, die Umweltauswirkungen durch die Verbrennung und der Deponietyp bilden die Beurteilungskriterien für die Entsorgung der Produkte. 3.4.4 Umweltdeklarationen von Produkten und Gebäudezertifizierungen Doch Ökobilanzzahlen haben auch die Welt der Labels und Umweltdeklarationen erreicht. Die oben erwähnte Empfehlung SIA 493 ‹Deklaration ökologischer Merkmale von Bauprodukten› ermöglicht es Firmen, in einer Selbstdeklaration unter anderem ökobilanzielle Angaben zu ihren Produkten zu machen. Auch hat die Graue Energie von Baustoffen nach Merkblatt SIA 2032 ‹Graue Energie von Gebäuden› als Leistungskriterium Eingang in die Gebäudelabels Minergie-Eco und Minergie-A gefunden. Wir können davon ausgehen, dass die Bedeutung von ökobilanzbasierter Umweltinformation von Produkten zunehmen wird. Einerseits wird über die Europäische Bauprodukteverordnung neu für die CE-Kennzeichnung Information zur Klimawirkung (Basisanforderung Nr. 3) und zur nachhaltigen Ressourcennutzung (Basisanforderung Nr. 7) ökobilanzielle Information abgefragt werden. Andererseits werden die Standardisierungsaktivitäten des CEN TC 350 zu europaweit harmonisierten Regeln für die Umweltdeklaration von Produkten und für die Nachhaltigkeitsbewertung von Gebäuden führen. Diese Entwicklungen werden in Kombination mit einer Weiterentwicklung der Gebäudezertifizierung den Bedarf an konsistenter, aktueller und repräsentativer und gar herstellerspezifischer Umweltinformation gestützt auf Ökobilanzen auch in Zukunft erhöhen. http://www.bauteilkatalog.ch

12

Ein Ansatz dafür wird gegenwärtig im Rahmen des CEN TC 350 zur Nachhaltigkeitsbewertung von Gebäuden erarbeitet. Die Praxistauglichkeit dieser Normen wird sich noch weisen müssen.

13

http://www.eco-bau.ch/index.cfm?ID=16&Nav=15

14

http://www.eco-bau.ch/index.cfm?Nav=15&ID=15

15


13 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

3.5 Was steckt hinter den verwendeten Indikatoren? In den oben erwähnten Instrumenten und auch in den Beispielen weiter hinten in diesem Heft sowie in dessen Folgenummer werden verschiedene Indikatoren zur Umweltwirkung von Bauprodukten und Gebäuden ausgewiesen. Was steckt hinter diesen Indikatoren, und wie hoch ist deren Aussagekraft? 3.5.1 Graue Energie nach Merkblatt SIA 2032 ‹Graue Energie von Gebäuden› Die Graue Energie nach Merkblatt SIA 2032 ‹Graue Energie von Gebäuden› 16 quantifiziert als ‹Primärenergie nicht-erneuerbar› den kumulierten Energieaufwand der fossilen und nuklearen Energieträger sowie Holz aus Kahlschlag aus Primärwäldern. Für jeden eingesetzten nichterneuerbaren Energieträger wird also über die gesamte Bereitstellungskette hochgerechnet, wieviel Rohöl, Rohgas, Uranerz etc., ausgedrückt in MJ, der Natur entnommen werden muss. Wie sich das auf die Erstellung und den Betrieb von unterschiedlichen Gebäuden auswirkt, ist anhand des berechneten Beispielgebäudes in den Kapiteln 4.3.2 und 4.3.4 gut ersichtlich. 3.5.2 Primärenergie gesamt Die ‹Primärenergie gesamt› quantifiziert zusätzlich zur ‹Primärenergie nicht-erneuerbar› den kumulierten Energieaufwand der erneuerbaren Energieträger. Die erneuerbaren Energieträger umfassen Wasserkraft, Holz/Biomasse aus nachhaltigem Anbau, Sonnen-, Wind-, geothermische und Umgebungsenergie. Mit dieser Kenngrösse wird die dem Gebäude zugeführte Energiemenge (Endenergie) gemäss Merkblatt SIA 2031 ‹Energieausweis für Gebäude› berechnet und im Merkblatt SIA 2040 ‹SIA-Effizienzpfad Energie› bewertet. Verschiedentlich wird dieser Indikator auch für einzelne Baustoffe ausgewiesen, z. B. in der KBOB-Empfehlung 2009/01 oder im ‹Elektronischen Bauteilkatalog›. Es sei hier mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass dieser Indikator für die Beurteilung von Baustoffen nicht geeignet ist, da der Indikator eine Ressourcenentnahme und nicht einen Energieverbrauch abbildet. 17 Da der Energieinhalt von Holz als Ressourcenentnahme gewertet wird, bedeutet dies für eine Holzkonstruktion, dass sie in der Regel mit einem deutlich höheren Einsatz an Primärenergie gesamt verbunden ist als andere vergleichbare Konstruktionen – dies obwohl der Energieinhalt nach Verwendung zur Energierückgewinnung zur Verfügung steht. Die Schlussfolgerung für Holz aus diesem Indikator wäre, Holz direkt als Energieträger einzusetzen statt über eine Kaskadennutzung als Baustoff und Energieträger mehrfach zu nutzen. Dies widerspricht jeglichen Ergebnissen aus Studien wie z. B. der in Kapitel 2.2 zitierten zu einer nachhaltigen Nutzung von Holz und ist ein klarer Widerspruch zur Ressourcenpolitik des Bundes, nach der explizit die Nach-

frage nach stofflichen Holzprodukten zunimmt und die Ressource kaskadenartig und mehrfach genutzt werden soll. 18 3.5.3 Treibhausgaspotential (GWP) oder Carbon footprint Im Rahmen der Klimadiskussion und als ‹Carbon footprint› hat in den letzten Jahren das Treibhausgaspotential (Global Warming Potential GWP) stark an Bedeutung gewonnen. 19 Das Treibhausgaspotential ist ein Kennwert für die Klimaerwärmung und quantifiziert die kumulierte Wirkung 20 verschiedener Treibhausgase bezogen auf die Wirkung von CO2. Das GWP wird deshalb in CO2-Äquivalenten ausgedrückt. Es ist einer von verschiedenen möglichen Indikatoren für die Klimawirkung und berechnet sich basierend auf der kumulierten Strahlenabsorptionsfähigkeit eines Stoffes über einen bestimmten Zeitraum, üblicherweise 100 Jahre. Die oben genannten Indikatoren bilden zwar nur Teilaspekte der Umweltrelevanz eines Produktes ab, sie sind aber einigermassen verlässlich berechenbar, da sie stark mit dem in der Regel relativ genau bekannten Energieverbrauch korrelieren. 3.5.4 Umweltbelastungspunkte (UBP 2006) Die Methodik der ‹Umweltbelastungspunkte› (UBP 2006) zeigt in der Bewertung ein Bild der Umweltauswirkungen, zu denen Zielvorgaben der Schweizer Umweltpolitik bestehen. Die UPB 2006 quantifizieren die Umweltbelastungen durch die Nutzung von Energieressourcen, von Land und Süsswasser, durch die Emissionen in Luft, Gewässer und Boden sowie durch die Inanspruchnahme von Deponieraum. Methodisch werden bei der Berechnung der UBP die durch ein Produkt ausgelösten Stoff- und Energieströme ins Verhältnis zu den laut Schweizer Gesetzgebung maximal zulässigen Strömen gesetzt. 21 Die Definition im genannten Merkblatt weicht von der Definition der Grauen Energie in der BAFU-Schriftenreihe Umwelt 307 ‹Ökologische Bewertung mit Hilfe der Grauen Energie› ab. In der BAFU-Publikation wird Wasserkraft als Graue Energie mitgerechnet, was zu deutlich höheren Werten nach dieser Publikation führt.

16

17

Dies gilt bei der Grauen Energie auch für Kunststoffe.

18

BAFU 2008, Ressourcenpolitik Holz; Strategie, Ziele und Aktionsplan Holz Eine interessante Diskussion findet zurzeit über die Sinnhaftigkeit einer Begrenzung des Energieverbrauchs im Rahmen der 2000-Watt-Gesellschaft statt, wenn neben Ressourcenaspekten bei nichterneuerbaren Energieträgern aus Umweltsicht vor allem eine Begrenzung des CO2-Ausstosses anzustreben ist.

19

Dieser Indikator ist daher nicht gleichzusetzen mit dem standortgebundenen CO2-Ausstoss, der Gegenstand von Zielvereinbarungen mit dem Bund im Rahmen des CO2-Gesetzes ist.

20

Daher werden die UBP auch als ‹Methode der ökologischen Knappheit› bezeichnet.

21


14 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

Eine umfassende Betrachtung der Umweltwirkung von Produkten über die Graue Energie bzw. das Treibhausgaspotential hinaus ist zwar wünschenswert, die Resultate solch breiter angelegter Methoden sind aber mit weitaus grösseren Unsicherheiten behaftet, nicht zuletzt deshalb, weil die Kenntnisse über Prozessemissionen mangels Messungen in der Regel deutlich geringer sind als über energiebedingte Emissionen und weil die Wirkungsabschätzung einer einzelnen Emission hinsichtlich verschiedener Umweltprobleme von sehr vielen Vereinfachungen ausgehen muss. 22

die in Analogie zum Treibhausgaspotential die Umweltwirkung eines Produktes weiteren Wirkungspotentialen – ‹Umweltproblemen› wie Versauerung, ‹Sommersmog›, Überdüngung etc. – zuordnen und quantifizieren. Eine Umweltbewertung basierend auf verschiedenen Wirkungspotentialen ist z. B. in den geplanten Europäischen Normen zur Nachhaltigkeitsbewertung von Gebäuden aus CEN TC 350 vorgesehen; zurzeit spielen solche Indikatoren im Baubereich der Schweiz keine herausragende Rolle. In der Ökobilanzierung spricht man deshalb meist von Wirkungspotentialen.

22

3.5.5 Weitere Methoden und Ausblick Für die Wirkungsabschätzung in Ökobilanzen sind noch eine Vielzahl von anderen Bewertungsmethoden entwickelt worden, nicht zuletzt Methoden,

3.6 Holz in Ökobilanzen Wie stehen Holzprodukte in Ökobilanzen im Vergleich mit anderen Materialien tatsächlich da? Werden Holzprodukte normenkonform mit funktional gleichwertigen Produkten verglichen, so haben mehr als 15 Jahre Ökobilanzierung folgendes gezeigt: 23 Holzprodukte weisen in der Regel ein günstigeres Umweltprofil auf als vergleichbare Produkte aus anderen Materialien. Dies gilt insbesondere für den Gesamtenergieverbrauch (ohne im Holz selber gespeicherte Energie), die Graue Energie oder das Treibhausgaspotential, aber auch für einen geringeren Anfall an zu deponierenden Stoffen. Naturgemäss liegt der Verbrauch an erneuerbaren Energien bei der Produktion höher als bei vergleichbaren Produkten, vor allem, weil ein grosser Teil davon im Produkt gespeichert ist und an dessen Lebensende genutzt werden kann. Mit Holzschutz behandelte Produkte tendieren dazu, bezüglich toxikologischer Indikatoren und Photosmog (abhängig vom eingesetzten Holzschutzmittel) höhere Werte aufzuweisen. Neue Generationen von metallfreien Holzschutzmitteln – oder auch der konstruktive Holzschutz – scheinen ein geeigneter Weg, diese Umweltwirkungen zu reduzieren. Das Verbrennen von Holzprodukten kann zu höheren Werten bei den Indikatoren Versauerung bzw. Überdüngung führen als vergleichbare Produkte. Allerdings kann die Energie zurückgewonnen werden und durch eine Substitution von konventionellen Brennstoffen und Strom zu einer Umweltentlastung führen. Das Ökoprofil von Holzprodukten wird in der Regel nicht durch das Holz dominiert. Viel entscheidender, z. B. bei Plattenwerkstoffen mit sehr

hohem Restholzanteil, ist neben den Brennstoffen für die Wärmebereitstellung zur Trocknung der oft hohe Anteil an Klebstoff. In der konstruktiven Anwendung führt ein oft hoher Anteil Stahl bei der Verbindungstechnik zu einer deutlichen Erhöhung des Umweltprofils von Holzprodukten. Die Ökobilanz von Holzhäusern wird meist von Materialien dominiert, die ausserhalb des Anwendungsbereiches von Holz liegen, z. B. durch das Kellergeschoss/Fundament, Brandschutz- und Schallschutzmassnahmen, die Haustechnik u.a.m. So liegen etwa die Werte für die Graue Energie von Holzhäusern im Vergleich zu massiv ausgeführten ca. 10 – 15 % tiefer (vgl. auch Kapitel 4.3.3.2). Es hat sich auch herausgestellt, dass das Ergebnis solcher Vergleiche stark abhängig von methodischen Setzungen und impliziten Werthaltungen ist. Hier ist die Holzindustrie gefordert, die Normungsbemühungen zur Nachhaltigkeitsbewertung von Bauprodukten und Gebäuden sorgfältig zu verfolgen. Nicht zuletzt müssen die ökologischen Vorteile von Holz den Planern und Entscheidungsträgern im Baubereich vermittelt und im Planungsprozess einfach zugänglich gemacht werden. Hierzu soll dieses Lignatec seinen Beitrag leisten. Werner F., Richter K. 2007: Wooden building products in comparative LCA; a literature review. International Journal for Life Cycle Assessment, 12(7): 470–479

23


15 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

4

Erstellung und Betrieb energieeffizienter Gebäude

4.1 Betrachtung der Modelle 4.1.1 Im Dschungel der Baulabels: Was ist gefragt? Ist die Holzbauweise ökologisch genug, um auf Labels oder Zertifikate verzichten zu können? Die Übersicht über die Beurteilungssysteme zeigt, dass die Anforderungen an das energieeffiziente Bauen zunehmend mit umfassenderen Kriterien ergänzt werden, wobei speziell die Nachhaltigkeit die vielseitigen Qualitäten des Holzbaus verstärkt hervorheben kann. 4.1.2 Energieeffiziente Gebäude Die Skala für ein energieeffizientes Gebäude bewegt sich zwischen dem gesetzlichen Baustandard respektive der Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau› sowie den freiwilligen Standards Minergie, Minergie-P oder Minergie-A. Eines von sieben neuen Häusern wird in der Schweiz effektiv mit einem Minergie-Zertifikat ausgezeichnet. Seit der Markteinführung vor gut zehn Jahren hat der Gebäudestandard einen

Figur 7 : Gewichtete Energiekennzahlen Wärme in Liter Heizöl-Äquivalente pro m2 der Gebäudestandards und gesetzlichen Vorschriften

Marktanteil von rund 15 % erreicht und unterstreicht damit, wie begehrt eine verbesserte Energieeffizienz und ein hoher Komfort geworden sind. Eine wachsende Zahl von Bauherrschaften zeigt so ihre Bereitschaft, beim Bauen freiwillig mehr zu leisten als vom Gesetzgeber gemäss den Vorgaben nach Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau› verlangt. Der Wärmeschutz an der Gebäudehülle ist für das Minergie-Zertifikat derart zu verbessern, dass der gebäudespezifische Heizwärmebedarf gegenüber dem gesetzlichen Minimalstandard um etwa 20 % reduziert werden kann. Das Gebäudelabel gibt zudem einen Grenzwert für die Gesamtenergieeffizienz vor. Doch mit den ambitionierten Energiekennzahlen nicht genug: Als durchaus beabsichtigte Nebeneffekte werden behagliche Wohnverhältnisse geschaffen. In einem Minergie-Haus hat ein mechanisches Lüftungssystem für einen systematischen Luftwechsel zu sorgen.

Gewichtete Energiekennzahl Wärme von Neubauten 25

22

20 15

12

9

10 4,2

4,8

3,8 3

5 0

Üblicher Neubau 1975

Musterverordnung 1992

MusterMinergie vorschriften 1998 2000

Über die Technik hinaus werden minergiezertifizierte Objekte ästhetisch sehr häufig mit den schlicht und modern gestalteten Einfamilienhäusern aus Holz in Verbindung gebracht. Tatsächlich liegt diese breite Wahrnehmung nicht eben falsch. Die Annahme, mit der Holzbauweise meist auch günstige Voraussetzungen für ein überdurchschnittlich energieeffizientes Haus zu schaffen, ist sogar leicht zu bestätigen. Dafür sprechen die gestalterischen wie auch die funktionalen und konstruktiven Eigenschaften des natürlichen Baustoffs Holz. Denn anders als bei der Massivbauweise werden die tragende und die dämmende Schicht bei einem Holzrahmenbau ineinander geschoben, wodurch die Wände schlanker werden. Als Konstruktionsprinzip für viele Gebäude mit Standard Minergie-P ist der tragende Holzbau daher ein bewusst gewähltes Mittel, um die geforderten hohen Energieeffizienzwerte zu erzielen. Doch je höher die Anforderungen,

Mustervorschriften 2008

Minergie 2009

Minergie-P

0 Minergie-A

desto weniger reicht es aus, dafür nur die Transmissionsverluste über die Gebäudehülle zu reduzieren. Neubauten mit einem derart geringen Heizwärmebedarf, dass auf eine konventionelle Heizung verzichtet werden kann, sind mit Vorteil – gestalterisch wie konstruktiv – auf einen passiven Solargewinn ausgerichtet. Dazu gehören zum einen die Gebäudeorientierung und zum anderen eine kompakte Gebäudeform, welche durch ein möglichst geringes Verhältnis zwischen der Hüllfläche und dem Volumen gekennzeichnet ist. Weil der Holzbau als leicht befunden wird und mit wenig Speichermasse versehen ist, wird er konstruktiv oft mit Elementen (Decken) oder einem mineralischen Gebäudekern ergänzt. Das Minergie-PHaus – ob mit oder ohne Holz – ist im Vergleich zu einem zwanzigjährigen Durchschnittshaus mindestens dreimal energieeffizienter.


16 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

4.1.3 Gesetzliches Minimum angepasst Im Windschatten innovativer Baukonzepte und freiwilliger Standards hat der marktübliche Stand der Technik aufgeholt. Die gültigen Neubauvorschriften haben den Heizwärmebedarf im Vergleich zu vor zehn Jahren deshalb halbiert. Ausgelöst wurde dieser Effizienzsprung durch die Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich (MuKEn), welche die Konferenz der kantonalen Energiedirektoren (EnDK) per 2008 festgesetzt hat. Von zuvor 9 l Heizöläquivalente (pro m2 Energiebezugsfläche EBF) wurde dadurch der spezifische Heizwärmebedarf auf 4,8 l gesenkt. Die Umsetzung der Mustervorschriften in den einzelnen Kantone ist seither gut vorangekommen: Zumindest was den strengeren Energienachweis für Neubauten betrifft, sind inzwischen fast alle kantonalen Bau- und Energiegesetzgebungen dem nationalen Harmonisierungsvorschlag der EnDK angepasst worden. Zwischen dem gesetzlichen Minimalniveau und dem Standard Minergie liegen aber weiterhin grosse Unterschiede. Diese beruhen nicht nur auf der verbesserten thermischen Qualität einer zertifizierten Gebäudehülle. Für das Gebäudelabel gilt es nämlich auch die Gesamtenergieeffizienz zu betrachten. Mit der Minergie-Kennzahl Wärme› (früher: ‹gewichtete Energiekennzahl›) wird zusätzlich der Energiebedarf für Warmwasser, Lüftungsanlage sowie haustechnische Hilfsgeräte limitiert. Erneuerbare Energieträger sind Inhalt der gesetzlichen Vorschriften, indem minimale Versorgungsanteile für die Wärmeerzeugung und das Beheizen von Gebäuden verlangt sind. Ebenso ist deren Einsatz zur Erfüllung der freiwilligen Gebäudestandards äusserst hilfreich und bisweilen sogar zwingend vorausgesetzt. Im Vordergrund stehen dafür thermische Solaranlagen (Sonnenkollektoren), Wärmepumpen oder Holzfeuerungen. Für das seit Anfang 2011 existierende Label Minergie-A wird der Einsatz der Erneuerbaren sogar zur Bedingung gemacht: Im Jahresschnitt haben sich nach Minergie-A zertifizierte Häuser ausreichend mit selber erzeugter Energie einzudecken. Zertifizierte Häuser weisen zudem nach, dass die eigene Energieproduktion bei gleichzeitig limitiertem Anteil an Grauer Energie möglich ist.

4.1.4 Auch bauökologisch relevant Detaillierte Analysen 24 bestehender Bauten zeigen: In einem Durchschnittsgebäude steckt zwar bedeutend weniger Graue Energie – die für die Herstellung und den Transport der verwendeten Materialien eingesetzt wird – als die im Lebenszyklus beanspruchte Betriebsenergie. Bei energieeffizienten Gebäuden nähern sich die beiden Anteile aber wahrnehmbar an, obwohl sich die Graue Energie von luftdichteren und besser gedämmten Gebäudehüllen leicht erhöhen kann (vgl. Kapitel 4.3.3.2). Wie in der nachfolgenden Studie ebenfalls ersichtlich, gilt es bei energieeffizienten Bauten sowie bei der Realisierung von nachhaltigen Gebäudekonzepten auch die Graue Energie zu bilanzieren. Ein konsolidiertes Beurteilungsverfahren für ressourcenspezifische und bauökologische Aspekte liegt beispielsweise mit dem Minergie-Zusatz ‹Eco› vor. Dazu gehört die Erfassung der Grauen Energie aller eingesetzten Baumaterialien (gemäss Merkblatt SIA 2032 ‹Graue Energie von Gebäuden›). Daneben wird der Fokus aber auch auf die Flexibilität von Konstruktionssystemen und deren Rückbaubarkeit sowie auf den Einsatz von Recyclingstoffen und Produktelabels wie Natureplus oder Blauer Engel gelegt. Ein nach Minergie-Eco zertifiziertes Gebäude muss zusätzlich weiteren gesundheitsfördernden Aspekten genügen. Spezifisch zu beurteilen sind etwa die Tageslichtverhältnisse sowie allfällige Immissionen durch Lärm oder ionisierende Strahlung. Eine geringe Schadstoffbelastung ist zudem einem guten Innenraumklima förderlich. Die für den Baubereich relevanten Primärenergie-Faktoren nicht-erneuerbar sind im Merkblatt SIA 2040 ‹SIA-Effizienzpfad Energie› aufgeführt.

24


17 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

4.1.5 Umfassende Nachhaltigkeitsbeurteilung Ein noch grösseres Gewicht auf den Bedarf an endlichen Ressourcen legt die Beurteilung eines Gebäudes, das den Vorgaben der 2000-Watt-Gesellschaft genügen soll. Dazu wird insbesondere die Primärenergie bilanziert: Sie stellt wie in Kapitel 3.5 beschrieben die Summe aus nutzbarer Endenergie und aus dem Ressourcenverbrauch sämtlicher vorgelagerter Verarbeitungs- und Transportketten dar. Dies bezieht sich in erster Linie auf die Bereitstellung der Baustoffe, weshalb nachwachsende Ressourcen wie das Holz günstig zu beurteilen sind. 2000-Watt-taugliche Gebäude nach dem Merkblatt SIA 2040 ‹SIA-Effizienzpfad Energie› haben einen Zielwert für die Erstellung, den Betrieb und die Mobilität einzuhalten. Rund zwei Dutzend Neubauten oder sanierte Altbauten, darunter Wohnhäuser und Geschäftsadressen, wurden dementsprechend bereits geplant und erstellt.

Figur 8 : Richtwerte nach Merkblatt SIA 2040 ‹SIAEffizienzpfad Energie› für die Bereiche Betrieb, Erstellung und Mobilität. Quelle: Amt für Hochbauten, Stadt Zürich

Während Gebäudelabels wie Minergie das System ‹Haus› als fixen Beurteilungsrahmen abbilden, wird das Merkblatt SIA 2040 ‹SIA-Effizienzpfad Energie› erstmals auf den Gebäudestandort ausgeweitet und gibt dazu eine quantitative Aussage ab. Die Erreichbarkeit mit dem öffentlichen Verkehr beziehungsweise der individuelle Mobilitätsaufwand werden dadurch zum Indikator für ein nachhaltiges Gebäude gemacht, was insofern richtig ist, als die Mobilität den Energieverschleiss ebenso sehr antreibt wie der im Durchschnitt ineffiziente Gebäudepark.

Übliche Primärenergie- und Treibhausgasverteilung bei 2000-Watt-tauglichen Gebäuden 100 %

59%

66%

19%

12%

45 %

57 %

16 %

38 %

25%

14%

53%

31%

80 %  Betrieb 60 % 40 %  Erstellung 20 %  Mobilität 0 %

22% 22% Neubau Umbau Primärenergie gesamt

30% 30% Neubau Umbau Primärenergie nichterneuerbar

Am bisher umfassendsten versuchen die für den internationalen Immobilienmarkt konzipierten Labels wie das englische BREEAM, das deutsche DGNBSiegel und das US-amerikanische Leed-Zertifikat die Nachhaltigkeitsaspekte eines Gebäudes abzubilden. Deren Bewertungsraster enthalten daher ein weites Spektrum an sozialen, ökonomischen und ökologischen Indikatoren, die zudem unterschiedlich gut messbar sind. Als nur qualitativ verwendbare, aber mindestens ebenso ganzheitliche Nachhaltigkeitsbeurteilung kann hingegen die Empfehlung SIA 112/1 ‹Nachhaltiges Bauen – Hochbau› berücksichtigt werden. Die Vielfalt

31% 31% Neubau Umbau Treibhausgase

der dafür zu beachtenden Gebäude-, Standort- oder Nutzungskriterien scheint enorm zu sein, doch anzumerken gilt es eben auch, dass ein nachhaltiges und zukunftsfähiges Gebäude einiges mehr leisten kann, als nur etwa gehobenen Ansprüchen an Energieeffizienz, Komfort und Bauökologie gerecht zu werden.


18 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

Figur 9 : Nachhaltigkeit am Bau. Quelle: Amt für Hochbauten, Stadt Zürich

Nachhaltigkeit am Bau Gesellschaft

Umwelt

Wirtschaft

Empfehlung SIA 112/1 ‹Nachhaltiges Bauen – Hochbau› Merkblatt SIA 2040 ‹SIA-Effizienzpfad Energie› Eco Wohlbefinden, Gesundheit Innenraumluft Licht Lärm

Graue Energie, Baustoffe Rohstoffe, Verfügbarkeit, Stoffflüsse Umweltbelastung Rückbau

Gebäudesubstanz Flexibilität Betriebs-und Unterhaltskosten Zugänglichkeit Systemtrennung

Minergie-P Komfort Thermische Behaglichkeit Sommerlicher Wärmeschutz Systematische Luftsteuerung

Betriebsenergie Raumklima, Gebäudehülle Warmwasser Haushaltgeräte Beleuchtung

Betriebseinrichtungen Infrastruktur (Mobilität) Standortwahl Anreizsysteme Technische Ausrüstung

Gemeinschaft Gestaltung Nutzung und Erschliessung Sicherheit

Abfälle Wasser Boden, Landschaft

Anlagekosten Betriebskosten Lebenszykluskosten


19 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

4.2

Zeitgemässe und nachhaltige Wärmegenerierung und intelligente Gebäudetechnik

Fast 45 % des Primärenergiebedarfs gehen in der Schweiz zulasten der Gebäude. Dieser hohe Anteil lässt auf grosse Einsparpotentiale schliessen. Es gilt die Gesamteffizienz der Erstellung, des Betriebs und des Rückbaus von Gebäuden zu erhöhen und vermehrt erneuerbare Energien zur Wärmeerzeugung einzusetzen. Die einheimischen Energieträger Holz und Sonne ergänzen sich im Heizungsbereich ideal und sind vielseitig einsetzbar. 4.2.1 Holzenergie allgemein Während Jahrtausenden war Holz die einzige vom Menschen aktiv genutzte Energiequelle. Ab der industriellen Revolution erlangten fossile Energien und Elektrizität eine immer grössere Bedeutung. In der Schweiz sind heute rund 635 000 Holzheizungen aller Kategorien (ohne offene Cheminées) installiert. Sie produzierten gemäss Schweizerischer Holzenergiestatistik 2009 gesamthaft 6900 GWh thermische und 150 GWh elektrische Energie. Damit decken sie rund 4 % des Schweizer Gesamtenergiebedarfs oder rund 8 % des Wärmemarktes ab. Holzenergie ist nach der Wasserkraft der zweitwichtigste einheimische Energieträger. Mit dem zusätzlich nutzbaren Potential an Waldholz, Restholz aus holzverarbeitenden Betrieben, Flur- und Altholz könnte die heutige Holzenergienutzung um etwa die Hälfte gesteigert werden, ohne höherwertige Sortimente zu konkurrenzieren. Wie in Kapitel 2 erwähnt, sind unter anderem die Senkung des Verbrauches fossiler Energien sowie der CO2-Emissionen unter das Niveau von 1990 Ziele der Schweizer Energiepolitik. Dabei spielt die Holzenergie eine wichtige Rolle. Durch die massive Steigerung der Energieeffizienz im Schweizer Gebäudepark ist vorstellbar, dass Holz dereinst rund einen Viertel der Schweizer Gebäude heizt. 4.2.2 Stückholz Die älteste Form der energetischen Nutzung von Holz ist das Verbrennen von Stückholz. Als Stückholz gilt gemäss Luftreinhalteverordnung naturbelassenes stückiges Holz einschliesslich anhaftender Rinde, insbesondere Scheitholz, Holzbriketts, Reisig und Zapfen. Gut getrocknet und gelagert, ist es noch heute ein innovativer Brennstoff, der sich sehr vielseitig nutzen lässt: als wärmende Zusatzheizung in Wohnräumen, als Ganzheizung in energieeffizienten Häusern oder als Kesselvariante im Keller. Für eine saubere Verbrennung ist die Lagerung und Konditionierung des Stückholzes sehr wichtig. Die Feuchtigkeit darf maximal 20 % betragen, was bei einer Lagerung an sonniger und luftdurchzogener Lage sowie von Regen und Bodenfeuchte abgeschirmt in 1 – 2 Jahren erreicht wird. Durch richtiges Anfeuern ist die zweite Voraussetzung für eine emissionsarme Holzheizung erfüllt.

4.2.3 Holzschnitzel Die kleinsten Holzschnitzelheizungen sind mit Nennleistungen ab ca. 20 kW erhältlich und eignen sich für grössere Ein- oder Mehrfamilienhäuser sowie für kleinere Gewerbebetriebe. Holzschnitzelfeuerungen werden vor allem im Leistungsbereich 200 kW bis 2 MW realisiert und häufig mit einem Wärmenetz kombiniert. Holzschnitzel eignen sich für eine automatische Brennstoffzufuhr und werden in Unterschub- oder Rostfeuerungen verbrannt. Unterschubfeuerungen kommen im tieferen Leistungsbereich zum Einsatz und benötigen als Brennstoff vorgetrocknete Holzschnitzel mit einem Wassergehalt bis max. 35 %. Rostfeuerungen können auch waldfrische Schnitzel mit einem Wassergehalt bis 60 % verbrennen. Rohstoffe für Holzschnitzel sind Energieholz aus dem Wald, Holz aus der Landschaftspflege, Durchforstungsrestholz und für geeignete Feuerungen auch Restholz aus holzverarbeitenden Betrieben. Wird Restholz verbrannt, unterliegt die Feuerung einer Messpflicht. Zum Trocknen werden Schnitzel in entsprechenden Lagerhallen zwischengelagert. 4.2.4 Pellets 1998 wurde in der Schweiz die erste automatische Holzfeuerung installiert, die mit Holzpellets heizt – dem genormten Brennstoff aus Holz. Pellets für Zentralheizungen und Pelletsöfen haben einen Durchmesser von 6 – 8 mm und eine Länge von 5 – 45 mm. Sie bestehen hauptsächlich aus Sägemehl und Hobelspänen aus naturbelassenem Holz. Dieser wertvolle Rohstoff wird trocken und ohne Zugabe von Bindemitteln unter hohem Druck durch eine Matrize gepresst. Das im Holz enthaltene Lignin wird durch die Reibungswärme beim Pressen mobilisiert und hält die Pellets anschliessend fest zusammen. Ein Kilogramm Pellets enthält fast soviel Energie wie ein halber Liter Heizöl. Dank der hohen Energiedichte beanspruchen Pellets für die gleiche Energiemenge ein nur halb so grosses Lagervolumen wie gut getrocknetes Stückholz. 4.2.5 Massgeschneiderte Lösungen dank differenzierter Technik Moderne, richtig betriebene Holzheizungen erreichen höchste Wirkungsgrade bei geringsten Emissionen und erfüllen die strengen Grenzwerte der LuftreinhalteVerordnung problemlos (vgl. Figur 10).


20 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

Figur 10 : Vorgehen zur Wahl der richtigen Heizung

Der Weg zur optimalen Holzheizung Wärmebedarf und Holz als Zusatzbrennstoff Bedienungsaufwand mit Handbeschickung

Holz als Hauptbrennstoff mit Handbeschickung

Holz als Hauptbrennstoff mit automatischem Betrieb

Anforderungen an Raumklima

‹Holzfeueratmosphäre›, reduzierter Komfortanspruch

immer und überall 20 °C

immer und überall 20 °C

Gebäudekategorie

Einzelräume einzelne Stockwerke Einfamilienhäuser

Einfamilien-, Reihenhäuser kleinere Mehrfamilienhäuser

Ein- und Mehrfamilienhäuser öffentliche Bauten Siedlungen, Überbauungen Nahwärmenetze

Typ

geschlossenes Cheminée Zimmer-, Cheminéeofen Kachelofen Holzkochherd Pelletsofen

geschlossenes Cheminée Zentralheizungskochherd Kachelofen mit Warmwassereinsatz Zentralheizungskessel/Speicher

geschlossenes Cheminée Pelletsheizung Unterschubfeuerung Treppenrostfeuerung Einblasfeuerung

Kombination mit Solarenergie

Ja

Ja

Ja

4.2.6 Sonnen- und Holzenergie im Kombipaket Zur Wärmegewinnung aus Sonnenenergie werden Solarkollektoren in Form von Flach- oder Vakuumkollektoren eingesetzt. Das zentrale Element bilden die nach der Sonne ausgerichteten Absorber, welche die aufgenommene Wärme in einem Energiespeicher zwischenspeichern. Solarenergie dient der Erwärmung des Brauchwassers und kann ausserdem die Raumheizung unterstützen. Normalerweise werden zur Gewinnung von Sonnenwärme verglaste Flachkollektoren verwendet. Bei nicht optimaler Exposition von Fassaden und Dächern empfehlen sich Vakuumkollektoren. Die Kombination von Holz- und Sonnenenergie ist in ganz unterschiedlichen Anwendungen möglich. Gut bekannt ist die Symbiose der beiden erneuerbaren Energieträger in Ein- und Mehrfamilienhäusern. Durch die optimale Ergänzung der Stärken und Schwächen der beiden erneuerbaren Energieträger kann die Effizienz maximiert werden. Wenn im Sommer die Sonne mit hoher Intensität scheint, macht es keinen Sinn, eine Holzheizung zu betreiben. Im Winter verhält es sich genau umgekehrt. Bei Wärmeverbünden, die mit Holzschnitzeln oder Pellets betrieben werden, ist in der Schweiz die Einbindung von Solaranlagen noch wenig verbreitet. Die Gemeinde Coldrerio (TI) realisierte vor einigen Jahren einen Wärmeverbund für die Wärmeversorgung der gemeindeeigenen Gebäude. Obwohl ein Gasnetz vorhanden war und einige Gemeindegebäude bereits mit Gas beheizt wurden, hat Coldrerio die

Entscheidung getroffen, auf Holzschnitzel zu setzen. Der einheimische Energieträger ist im Tessin mit 52 % Waldanteil reichlich vorhanden. Heute sind bereits Gemeindehaus, Kindergärten, Primarschulen, Mehrzweckgebäude, Turnhalle und die Umkleideräume des Sportplatzes am Wärmenetz angeschlossen. Um im Sommer den Warmwasserbedarf der Sportplatzgarderoben zu decken, wurden auf dem Turnhallendach 30 m2 thermische Sonnenkollektoren montiert. Die anderen am Wärmenetz angeschlossenen Gebäude haben einen sehr geringen Bedarf an Warmwasser, der dezentral erzeugt wird. Dies erlaubt, dass die Heizzentrale mit dem 550-kW-Schnitzelkessel, der zur Spitzenlastdeckung von einem 126-kW-Gaskessel unterstützt wird, nur während der Heizsaison betrieben werden muss und der ineffiziente Teillastbetrieb ausserhalb der Heizsaison wegfällt. Im Winter wird die gewonnene Sonnenenergie ins Wärmenetz eingespeist und hilft den Schnitzelbedarf reduzieren. Um minimale Partikelemissionen zu erzielen, ist die Anlage mit einem Staub-Elektroabscheider ausgerüstet. In Coldrerio werden bereits 85 % der Gemeindebauten mit dem Wärmeverbund beheizt.


21 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

4.2.7 Emissionen Holzheizungen emittieren Feinstaub, aber es bestehen grosse Unterschiede einerseits in der Art der Feuerung (automatisch oder handbeschickt) und andererseits in deren Alter. Die Technik der Holzheizungen hat in den letzten 20 Jahren grosse Fortschritte gemacht, schrittweise den wärmetechnischen Wirkungsgrad erhöht und Staubemissionen massgeblich reduziert. Auch können heute mit Sekundärmassnahmen Staubemissionen weiter reduziert werden. Diese Massnahmen sind mittlerweile für das ganze Spektrum der Holzenergienutzung erhältlich und decken von der Stückholz-Wohnraumfeuerung bis hin zu grossen automatischen Heizkesseln alle Leistungskategorien ab. Möglich sind z. B. einfache Elektroabscheider für Wohnraumfeuerungen oder Gewebefilter, Rauchgaswäscher (Nassreinigung) und Plattenelektroabscheider für Grossanlagen. Für die Berücksichtigung dieser Sekundärmassnahmen ist schon während der Planungsphase genügend Platz einzurechnen. 4.2.8 Luftreinhalteverordnung und die energiepolitischen Ziele Die Luftreinhalteverordnung LRV beschreibt die Emissionsgrenzwerte und die Beschaffenheit aller Brennstoffe einschliesslich der Holzenergienutzung. So schreibt sie z. B. vor, dass Holzfeuerungen mit Leistungen über 70 kW nicht mehr als 50 mg Staub pro Normkubikmeter Nm3 emittieren dürfen. Für Holzfeuerungen mit einer Leistung mehr als 500 kW

Figur 11 : Thermische Sonnenkollektoren auf dem Turnhallendach von Coldrerio

Figur 12 : Befüllung der Wärmeverbundanlage von Coldrerio mit Holzschnitzeln Figur 13 : Partikelabscheider für Kleinholzfeuerung

liegt der Grenzwert bei 20 mg/Nm3. Die Feuerungen müssen entsprechend mit Feinstaubabscheidern ausgerüstet werden. Die Nutzung der Holzenergie ist im Rahmen der Klimapolitik des Bundes ein wichtiger Faktor zur Erreichung von Zielen wie der Reduktion der Treibhausgase. Effizienz und erneuerbare Energien gehen in diesem Rahmen eine Symbiose ein. Sogenannte Massnahmengebiete können aber der Nutzung der Holzenergie vor allem im urbanen Gebiet Grenzen setzen. Hier werden Staub- und Geruchsemissionen weit stärker gewichtet. Alternativen zu Holz sind vor allem Wärmepumpen, welche mit Umgebungs- oder Erdwärme arbeiten. Bei der Nutzung von Wärmepumpen fällt kein Feinstaub an, und sie kann allenfalls sogar für die sommerliche Kühlung (Erdwärmeanlagen, passiv) verwendet werden. Für die Erreichung der 2000-Watt-Gesellschaft sind die Nutzung erneuerbarer Energien und die Steigerung der Effizienz im Gebäudepark unabdingbar. Dazu braucht es eine sinnvolle Kombination aller erneuerbaren Energieträger, sei es zur Stromgewinnung oder zur Wärmenutzung. Die LRV sorgt diesbezüglich dafür, dass die Nutzung von Holzenergie in einem Rahmen abläuft, der den neusten technischen Stand der Anlagen widerspiegelt und damit nicht gesundheitsrelevant ist.


22 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

4.3 Baukonstruktion im Fokus von Energie, Ökologie und Behaglichkeit

Transmissionswärmeverluste Solargewinne

Interne Gewinne

Lüftungswärmeverluste

Figur 14 : Energieflüsse im Gebäude

In Element 29 ‹Wärmeschutz im Hochbau› (2010, Faktor Verlag) gehen die Autoren Thomas Frank und Dr. Andreas Queisser auf die dynamische Simulation ein und machen folgende Feststellungen: ‹Die thermischen Prozesse am Gebäude verhalten sich naturgemäss zeitabhängig, d.h. instationär. Gängige stationäre Bilanzmodelle auf der Basis der U-Werte, wie beispielsweise das Verfahren nach Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau›, sind deshalb nicht geeignet, Aussagen zum realen Komfort oder zum Heiz- und Kühlbedarf zu machen. Für die Ermittlung der zeitlichen Verläufe von Temperaturen und Wärmeströmen sind deshalb dynamische Simulationsmodelle erforderlich, welche erst in der Lage sind, das wärmetechnische Verhalten des Gebäudes, zusammen mit seinen technischen Anlagen, realitätsnah abzubilden. Insbesondere lassen sich die Vorteile der massiven Bauweise bezüglich Komfort und Nutzung solarer Energiegewinne sowie die Wirkung des Wärmespeicherverhaltens nur mit dynamischen Modellen realitätsnah aufzeigen.› Auch wird basierend auf einer Referenzberechnung die Aussage gemacht, dass der mittels dynamischer Berechnung ermittelte Heizwärmebedarf um etwa 10 % niedriger ausfällt als bei der (stark vereinfachenden) statischen Berechnung nach Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau›: ‹Die dynamische Gebäudesimulation ermöglicht damit eine realistische Einschätzung sowohl der erzielbaren Energiegewinne als auch der resultierenden Komfortbedingungen, die sich mit einer rein statischen, auf den U-Wert fokussierten Betrachtungsweise, nicht erzielen lässt. Vorteile des Massivbaus bezüglich energetischem Verhalten und Komfort lassen sich somit quantifizieren.› Ohne einen direkten Vergleich mit anderen Bauweisen bleibt jedoch die Frage unbeantwortet, ob die Differenzen zwischen Massivbau und Leichtbau sowie zwischen einer vereinfachten Betrachtung nach Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau› und einer weitergehenden Analyse mittels dynamischer Simulation tatsächlich gravierend sind. Zusätzlich muss man sich im Zusammenhang mit der thermischen Effizienz von Gebäuden aber auch Fragen zur Grauen Energie und dem ‹Carbon footprint› stellen. Wie steht es diesbezüglich bei den verschiedenen Konstruktionsweisen und Wärmedämmstandards? Umfassende Beurteilung für faire Aussagen Die folgende Studie am Beispiel eines Mehrfamilienhauses nimmt sich dieser Thematik an. Der Komfort und die wärmetechnischen Eigenschaften werden in Korrelation mit der Grauen Energie und den CO2Effekten interdisziplinär bei verschiedenen Bauweisen betrachtet:

Einfluss der Bauweise ‹leicht› (Aussenwände Holzrahmenbau), ‹mittel› (Massivholzbau) und ‹schwer› (Massivbau) Einfluss des Energiestandards von der Mindestanforderung MuKEn bis zum Standard Minergie-P Beurteilung der Energieflüsse stationär, mit Berechnung gemäss Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau› und mittels dynamischer Simulation (Mehrzonenmodell mit IDA ICE) sowie der Komfortbeurteilung im Sommer über die dynamische Simulation Ermittlung des Einflusses der Bauweise und der Energiestandards auf die Ökologie bezüglich der Kriterien Graue Energie und Treibhausgaspotential Über die Gesamtbetrachtung ‹Bau und Betrieb›, von der Erstellung bis zum Rückbau, wird aufgezeigt, wie effizient der Wechsel vom Wärmedämmstandard MuKEn auf Minergie-P ist, dies in Abhängigkeit von differenten Energieszenarien und den Bauweisen ‹leicht› bis ‹schwer›. Zu beantwortende Fragestellungen Aus den umfangreichen Untersuchungen können für die Baupraxis wichtige Fragen beantwortet werden: Stimmt die stationäre Betrachtung nach Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau› mit der Realität überein, oder sind bei genauer Betrachtung mittels dynamischer Simulation relevante Abweichungen feststellbar? Sind die Abweichungen zwischen Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau› und der dynamischen Simulation in Abhängigkeit von der Bauweise ‹leicht› bis ‹schwer› different, und zeigt der Massivbau gegenüber dem Holzbau effektiv Vorteile bei differenzierter Betrachtung mittels dynamischer Simulation, wie das teilweise publiziert wird? Wie wirkt sich die Bauweise auf den Temperaturverlauf in einem ‹kritischen Raum› im Sommerhalbjahr aus, und wie wird die Erforderlichkeit einer Kühlung beurteilt? Wiegen bei unterschiedlichen Bauweisen Vorteile bezüglich Grauer Energie allfällige Nachteile bei der Betriebsenergie auf, und wie sind die Bauweisen in ökologischer Hinsicht zu beurteilen? Welches ist die energetisch und ökologisch effizienteste Bauweise, und in welchem Energiestandard soll sie ausgeführt werden?


23 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

4.3.1 Referenzobjekt ‹Hegianwandweg› Für die Untersuchung der Auswirkungen der unterschiedlichen Baukonstruktionen auf die Energie, die Ökologie und die Behaglichkeit dient das Wohnbauprojekt ‹Hegianwandweg› am Rande Zürichs. Diese Überbauung, welche die Familienheim-Genossenschaft Zürich FGZ in einer Holz-Mischbauweise erstellen liess, bewährt sich in der einen Bauweise, wäre jedoch auch in anderen Bauweisen ohne weiteres realisierbar und ist deshalb ein ideales Referenzgebäude. Das untersuchte Referenzgebäude besteht aus einem massiven Untergeschoss und vier respektive fünf Wohngeschossen in Holzbauweise, die um einen massiven Kern mit Erschliessung und Nassräumen angeordnet sind (vgl. Figur 17). Die Geschossdecken bestehen aus Brettstapeldecken mit abgehängter Decke

Figur 15 : Referenzgebäude ‹Hegianwandweg› mit Eingangspartie und Aussenwänden in Holzrahmenbauweise mit hinterlüfteter Putzträgerplatte

Figur 16 : Referenzgebäude ‹Hegianwandweg› mit Balkonen und dahinterliegenden Aussenwänden in Holzrahmenbauweise mit hinterlüfteter Gipsfaserplatte

und trittschallgedämmter Bodenüberkonstruktion. Als Aussenwände sind Holzrahmenelemente mit innerer biegeweicher Vorsatzschale und äusseren hinterlüfteten Bekleidungen vorhanden. Die Zimmer- und Wohnungstrennwände sind nichttragend als Leichtbauwände ausgeführt. Die 2003 fertiggestellten Gebäude sind nach Minergie zertifiziert. Im Vergleich mit den seither verschärften Anforderungen aus ‹MuKEn 08› verfehlt das untersuchte Referenzgebäude mit 111 MJ/m2a den heute geltenden Grenzwert von 107 MJ/m2a nur knapp. Weitergehende Informationen über diese interessante Überbauung finden sich im Lignum-‹Holzbulletin› 73/2004 und in einer Beilage zur Zeitschrift ‹Hochparterre› 10/2003.


24 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

Figur 17 : Grundrisse, Schnitt und Fassaden

Referenzgebäude ‹Hegianwandweg›

Längsschnitt

Untergeschoss

Nordwestfassade

Erdgeschoss

Südostfassade

1. bis 3. Obergeschoss

Südwestfassade

Attikageschoss

Nordostfassade


25 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

4.3.1.1 Beurteilung der thermischen Gebäudehülle gemäss Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau› Bei der Beurteilung der thermischen Gebäudehülle gemäss Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau› wird der Einfluss der Bauweise nur über die Zuweisung ‹sehr leicht› (Metallbausysteme) bis ‹schwer› (Massivbau) berücksichtigt, mit Einfluss auf den Ausnutzungsgrad der freien Wärme. Es gelten folgende Definitionen: ‹schwer› (Wärmespeicherfähigkeit 0,5  MJ/m2K): Mindestens zwei der drei thermisch aktiven Elemente (Decke, Boden, alle Wände) sind massiv und ohne Abdeckung. ‹mittel› (Wärmespeicherfähigkeit 0,3  MJ/m2K): Mindestens eines der drei thermisch aktiven Elemente (Decke, Boden, alle Wände) ist massiv und ohne Abdeckung. Gemäss Definition nach Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau› fällt die Massivholzbauweise in diese Kategorie.

Figur 18 : Damit der Standard Minergie-P mit sinnvollen Konstruktionen erreicht werden kann, wird die thermische Gebäudehülle für die Simulation gegenüber dem Referenzprojekt ‹Hegianwandweg› leicht angepasst: Im Untergeschoss befindet sich die Erschliessung auch innerhalb der thermischen Gebäudehülle. Der gemäss Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau› für ‹Löcher› (Treppe/Lift) zu berücksichtigende U-Wert von 2,5  W/m2K wäre für Minergie-P eine zu grosse Hürde.

‹leicht› (Wärmespeicherfähigkeit 0,1  MJ/m2K): Keine Vorgaben an thermisch aktive Elemente. Gemäss Definition nach Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau› fällt die Holzrahmenbauweise in diese Kategorie. Gemäss Festlegung der Minergie-Agentur Bau kann bei Holzbauten die Wärmespeicherfähigkeit jedoch mit 0,3 MJ/m2K angenommen und somit die Bauweise ‹mittel› eingesetzt werden, wenn ein Unterlagsboden von mindestens 60 mm Zementestrich oder 50 mm Anhydritestrich vorhanden ist und die Wände raumseitig mit 2 x 12,5 mm Gipskartonplatten oder mindestens 18 mm Gipsfaserplatten mittlerer Rohdichte beplankt werden. Die konstruktive Ausbildung der Bauteile wird für die Simulation so gewählt, dass die relevanten Grenzwerte eingehalten werden: MuKEn mit Qh = Qh,li Minergie-P mit Qh = 0,6 x Qh,li Der Verlauf der thermischen Gebäudehülle ist gegenüber dem Referenzprojekt ‹Hegianwandweg› leicht modifiziert (vgl. Figur 18).

Grundrisse des Unter- und Erdgeschosses des Referenzgebäudes ‹Hegianwandweg› Bauweise ‹Hegianwandweg›

Bauweisen ‹leicht›, ‹mittel› und ‹schwer› für MuKEn und Minergie-P

Untergeschoss

Erdgeschoss

innerhalb der thermischen Gebäudehülle zusätzliche Bauteile mit Wärmedämmschichten: ausserhalb der thermischen Gebäudehülle

zusätzliche Bauteile mit Wärmedämmschichten: – Boden über Erdreich mit Schaumglasschotter Boden über Erdreich mit Schaumglasschotter 200 mm (MuKEn) bzw. 400200 mm (Minergie-P) mm (MuKEn) bzw. 400 mm (MINERGIE-P) – Wände gegen unbeheizte Räume mit Verbundplatte Wände gegen unbeheizte Räume mit Verbundplatte 90 mm (MuKEn) bzw. 150 mm (Minergie-P) 90 mm (MuKEn) bzw. 150 mm (MINERGIE-P) zusätzlicher Türabschluss gegen unbeheizte Räume – Zusätzlicher Türabschluss gegen unbeheizte Räume

innerhalb der thermischen Gebäudehülle


26 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

4.3.1.2 Untersuchte Bauweisen Die vorhandene Bauweise des Referenzgebäudes ‹Hegianwandweg› steht gemäss Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau› für die Bauweise ‹leicht›. Die Qualität der Fenster/Verglasungen und die Dicke der Wärmedämmschichten wird zusätzlich soweit angepasst, dass in einer Variante der Mindestwärmeschutz gemäss MuKEn eingehalten ist und in

Konstruktionen des Referenzgebäudes ‹Hegianwandweg› und Varianten für die vergleichenden Betrachtungen Bauweise ‹Hegianwandweg›

Bauweise ‹leicht›

Bauweise ‹mittel›

Bauweise ‹schwer›

Aussenwände

180

40

180 320

40

160 260

80

180 260

150

Fenster Holzfenster mit 3-IV Ug = 0,7 bzw. 0,6 W/m 2K g = 47 % Glasrand Edelstahl bzw. Kunststoff

Holzfenster mit 2-IV Ug = 1,0 W/m 2K g = 65 % Glasrand Edelstahl

Holzfenster mit 3-IV Ug = 0,7 bzw. 0,6 W/m 2K g = 47 % Glasrand Edelstahl bzw. Kunststoff

Holzfenster mit 3-IV Ug = 0,7 bzw. 0,6 W/m 2K g = 47 % Glasrand Edelstahl bzw. Kunststoff

140 240 220

140 240 220

180

220

180

220

180

160

160 260

Flachdach über 4. OG

80 100

80 100

250

100 120

180

180

100

100 160

Flachdach über 3. OG

250

100

60 20 120 250

250

250

60 20 120

120

220 60 20 160

220 250

60 20

Boden über UG

200

Geschossdecken 200

Figur 19 : Neben den effektiv vorhandenen Dicken der Wärmedämmschichten beim Referenzbau sind diejenigen angegeben, welche für das Erreichen der Grenzwerte von MuKEn bzw. Minergie-P erforderlich sind. Bei Flachdächern und Geschossdecken sind bei den Holzbauweisen zum Teil differente Konstruktionen im Wohnbereich (links dargestellt) und in der Erschliessungszone (rechts dargestellt) vorhanden.

einer zweiten Variante die hohen Anforderungen an die thermische Gebäudehülle für Minergie-P (40 % unter dem MuKEn-Grenzwert) eingehalten werden. Als alternative Bauweisen werden der Massivholzbau (Bauweise ‹mittel›) und der Massivbau (Bauweise ‹schwer›) untersucht, ebenfalls in den Standards MuKEn und Minergie-P (vgl. Figur 19).

Innenwände und Wohnungst rennwände

var.

Holz und Holzwerkstoffe  Beton  Backstein

var.

var.

var.

80

Mineralische Werkstoffe  Gipsfaser-/Gipskartonplatten  Splitt

80

80

var.

180

Mineralfaserdämmung   XPS / EPS-Dämmung

75


27 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

4.3.2 Dynamische Simulation der thermischen Eigenschaften Für die Untersuchung der thermischen Einflüsse wird im Simulationsprogramm IDA ICE 4.0 ein detailliertes Gebäudemodell erstellt. Mit den thermisch-dynamischen Simulationen werden die komplexen Zusammenhänge in einem Gebäude erfasst und möglichst realitätsnah abgebildet. Der Heizwärmebedarf, die Heizleistung oder die Beleuchtung werden nicht als einzelne Kriterien betrachtet, sondern alle relevanten Einflussfaktoren werden mit ihren Wechselwirkungen als Gesamtsystem berücksichtigt. Dies ermöglicht eine gesamtenergetische Beurteilung oder Optimierung eines Gebäudes und eine Beurteilung des Komforts, etwa bezüglich des Temperaturverlaufs in kritischen Räumen (sommerliche Überhitzung). Das Simulationsmodell wird nach denselben Projektgrundlagen wie die Normberechnung nach Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau› erstellt, wobei aber auch die Innenbauteile (Geschossdecken, Innenwände) berücksichtigt werden und die effektive

Figur 20 : Die Farben der Zonen entsprechen der maximal zu erwartenden Raumtemperatur über ein Jahr. Das Dachgeschoss besteht z. B. aus drei Wohneinheiten mit total 11 Zonen.

Baukonstruktion mit all ihren Schichten und Baustoffkennwerten (z. B. Wärmeleitfähigkeit, Rohdichte und Wärmespeicherkapazität) berücksichtigt wird. Dadurch wird die Wärmespeicherfähigkeit jedes Bauteils bei der Simulation dynamisch berücksichtigt. Für die Simulation wird das Gebäude in unterschiedliche thermische Zonen aufgeteilt. Bei der Zonierung werden die einzelnen Wohneinheiten, die Ausrichtung sowie die Nutzung mit den dazu gehörenden internen Lasten detailliert nachgebildet. Die internen Lasten sowie die Nutzung der passivsolaren Gewinne spielen bei der Berechnung des Heizwärmebedarfs eine grosse Rolle. Es ist daher wichtig, die anfallenden Wärmegewinne korrekt zu berücksichtigen. Aus diesem Grund wird jede Wohneinheit in drei bis vier Zonen unterteilt, damit die unterschiedlichen Nutzungen und Ausrichtungen der Räume in der Simulation realistisch abgebildet werden können.

Dreidimensionales Simulationsmodell mit einem vertikalen und einem horizontalen Schnitt durch das Referenzgebäude ‹Hegianwandweg› Maximaltemperatur [°C] 26,5

26,0

25,5

25,0 N S

24,5

Interne Lasten (Personen, Geräte, Licht) Die internen Lasten werden aus dem SIA Merkblatt 2024 ‹Standard-Nutzungsbedingungen für Energieund Gebäudetechnik› übernommen. Es werden die Personenbelegung, die Gerätelasten sowie die maximal installierte Beleuchtungsleistung pro Nutzung dem Projekt entsprechend definiert. Gegenüber Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau› wird die Wärmeabgabe der Personen nicht mit einem konstanten Standardwert berücksichtigt; die Simulation berücksichtigt die effektive Wärmeabgabe der Personen in Abhängigkeit von der Raumlufttemperatur, der Aktivität, der Bekleidung, der Um-

gebungstemperatur und der Raumluftfeuchte. Die Beleuchtung wird in der Simulation abhängig vom nutzbaren Tageslicht und der Personenanwesenheit auf einen Sollwert von 200 Lux berechnet und die resultierende Leistung bei den internen Lasten berücksichtigt; dies ist gegenüber der Verwendung von Standardwerten in Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau› erheblich differenzierter.


28 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

Raumheizung Alle untersuchten Varianten (leichte bis massive Bauweise in den Standards MuKEn und Minergie-P) wurden mit einem Bodenheizungssystem simuliert. Die Bodenheizung wird für alle Zonen so definiert bzw. geregelt, dass ein Sollwert von 21 °C erreicht wird. Dieser Sollwert wird für die Simulation gewählt, damit bei einer Regelabweichung von ± 1 K die Raumlufttemperatur nie unter 20 °C fällt. Die gemittelte

Figur 21 : Das Diagramm auf der linken Seite zeigt die Schwankung der Raumlufttemperatur bei der Bauweise ‹leicht›, zwischen den Varianten MuKEn und Minergie-P mit sichtbaren Abweichungen. Auf der rechten Seite wird für den Standard Minergie-P aufgezeigt, wie sich die Raumlufttemperatur in Abhängigkeit von der Bauweise verhält: Es sind nur minimale Unterschiede feststellbar.

Raumlufttemperatur über das ganze Gebäude wird demzufolge 1 K höher berücksichtigt als bei der Berechnung nach Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau›, welche einen Standardwert von 20 °C vorschreibt.

Verlauf von Aussen- und Raumlufttemperatur und Globalstrahlung in einer typischen Winterwoche Vergleich der Energiestandards bei der Bauweise ‹leicht›

Vergleich der Bauweisen bei Minergie-P

Temperatur [ °C ]

Temperatur [ °C ]

Solarstrahlung [ W/m2 ]

24

Solarstrahlung [ W/m2 ]

24

22

22

20

3000

20

18

18

16

16

14

14

12

3000

12

10

2000

10

8

8

6

6

4

4

2

2000

2

0

1000

0

–2

–2

–4

–4

–6

–6

–8

1000

–8

– 10

0 1. Jan 2. Jan 3. Jan 4. Jan 5. Jan 6. Jan 7. Jan 8. Jan

MuKEn

Minergie-P

– 10

0 1. Jan 2. Jan 3. Jan 4. Jan 5. Jan 6. Jan 7. Jan 8. Jan

Bauweise   Bauweise

Strahlung

‹leicht› ‹mittel›

Bauweise

‹schwer›

Aussentemperatur

Lüftung/Infiltration Der Lüftungsverlust über die Infiltration wird in der Simulation, analog zur Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau›, als konstanter Luftwechsel berücksichtigt. Zusätzlich wird ein Teil der Fenster ab einer Raumlufttemperatur von 24 °C geöffnet. Damit werden die Räume über eine natürliche Fensterlüftung gekühlt. Die Fenster werden in der Simulation so weit geöffnet, dass ein zwei- bis dreifacher Luftwechsel entsteht.

Bei den Varianten Minergie-P wird neben der natürlichen Infiltration (angepasst auf die dichtere Gebäudehülle) auch die Komfortlüftung simuliert. Pro Zimmer wird ein Volumenstrom von 20 m3/h und im Wohnzimmer von 40 m3/h berücksichtigt. Die Abluft wird wie üblich in der Küche und in den Nasszellen abgeführt. Die Lüftungsanlage verfügt über eine Wärmerückgewinnung mit Bypassklappe und ist das ganze Jahr in Betrieb.


29 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

4.3.2.1 Modell nach Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau› rechnet auf sicherer Seite Üblich ist die rechnerische Ermittlung des Heizwärmebedarfs nach Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau›, die auch als Basis für die Zertifizierungen Minergie und Minergie-P gilt. Gleichwohl wird aber der Vorteil von dynamischen Simulationen gegenüber dem stationären Berechnungsmodell nach Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau› hervorgehoben, wie z. B. im vorgängig zitierten Element 29 ‹Wärmeschutz im Hochbau›. Mit aufwendigen dynamischen Simulationen, welche die effektiven Konstruktionen mit deren Wärmespeicherverhalten modellieren und die klimatischen Randbedingungen über Stundenmittelwerte berücksichtigen, kann die ‹Wirklichkeit› realitätsnäher abgebildet werden als mit dem stationären Verfahren. Die Berechnungen im Rahmen dieser Untersuchungen zeigen, dass das einfache stationäre Bilanzmodell Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau›

Figur 22 : Begründung der Differenzen beim ermittelten Heizwärmebedarf nach Norm SIA 380/1 und der dynamischen Gebäudesimulation

einen Heizwärmebedarf aufweist, der leicht höher ist als der über die dynamische Simulation ermittelte und damit auf der ‹sicheren Seite› liegt (vgl. Figur 23). Der Heizwärmebedarf wird nach Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau› um etwa 5 % höher veranschlagt. Wenn man bei der dynamischen Simulation die Raumtemperatur von 20 °C nicht als unteren Schwellenwert, sondern als Durchschnittswert definiert, kann die Abweichung zwischen Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau› und Simulation auch gegen 10 % gehen. Die Berücksichtigung eines Durchschnittswertes der Raumtemperatur von 20 °C führt jedoch in einzelnen Räumen zu tieferen Raumtemperaturen (z. B. in nordorientierten Zonen), was aus Gründen der Behaglichkeit kaum akzeptiert wird. Die Differenz bezüglich des ermittelten Heizwärmebedarfs liegt unter anderem in folgenden unterschiedlichen Annahmen begründet:

Vergleich Heizwärme Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau›

Dynamische Gebäudesimulation

Die Wärmespeicherfähigkeit und damit die Ausnutzung von freier Wärme (z. B. passivsolare Gewinne) wird nur durch die grobe Zuordnung der Bauweise (‹sehr leicht› bis ‹schwer›) berücksichtigt.

Es werden die effektiv vorhandenen Bauteilschichten mit ihren Massen und Wärmespeicherfähigkeiten berücksichtigt.

Es werden über zwölf Monate die Verluste und Gewinne bilanziert. Dabei werden für die Aussentemperaturen Monatsmittelwerte und für die Raumtemperaturen Standardwerte berücksichtigt, z. B. konstant 20 °C für Wohnbauten.

Es werden die Energieflüsse im Stundentakt bilanziert, dies mit vielfältiger Möglichkeit der Einflussnahme, z. B. bezüglich die Raumtemperatur. Wird etwa eine Raumtemperatur von durchschnittlich 20 °C simuliert, so heisst das, dass diese teilweise unterschritten werden darf – mit entsprechend kleinerem Heizwärmebedarf, als wenn die Raumtemperatur nie und in keinem Raum unter 20 °C liegen darf.

Es wird nur die fixe Beschattung durch den Horizont, die Vordächer und die Seitenblenden berücksichtigt und somit davon ausgegangen, dass der Nutzer in der kalten Jahreszeit die Energiegewinne durch solare Einstrahlung zulässt und nicht durch den Einsatz des variablen Sonnenschutzes reduziert.

Der Sonnenschutz wird abhängig von der Globalstrahlung betrieben. Es kann somit vorkommen, dass an einem schönen Wintertag mit hoher Globalstrahlung zur Vermeidung von Überhitzung der Sonnenschutz zum Einsatz kommt.

Bei den im folgenden kommentierten Angaben führt die Simulation bei der Bauweise ‹leicht› je nach Raum zu einer minimal erreichten Raumtemperatur von

20,2 bis 20,7 °C (MuKEn bzw. Minergie-P), wobei in Zwischengeschossen die Minimaltemperaturen 20,6 °C bis 21,0 °C betragen.


30 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

4.3.2.2 Vorteilhafte Bauweisen in Abhängigkeit vom Heizwärmebedarf Die in der Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau› mit ‹leicht› diskriminierte Holzbauweise zeigt in energetischer Hinsicht ihre wahre Qualität dann, wenn sie mittels dynamischer Gebäudesimulation beurteilt wird: Die effektiv vorhandene Speicherfähigkeit führt im Vergleich zur Berechnung nach Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau› zu einem um 11 % kleineren Heizwärmebedarf. Die Gegenüberstellung der Bauweisen ‹leicht› bis ‹schwer› in den Standards MuKEn und Minergie-P, mit Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau› und dynamischer Gebäudesimulation berechnet, führt zu folgender Erkenntnis:

Figur 23 : Gegenüberstellung der Heizwärmebedarfe in MJ/m2a der verschiedenen Bauweisen in den Standards MuKEn und Minergie-P, jeweils mit den Werten aus der dynamischen Gebäudesimulation und jenen aus der Berechnung nach Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau›

Bei korrekter Zuordnung der Bauweisen ‹leicht› bis ‹schwer› nach Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau› sind die rechnerisch ausgewiesenen Differenzen beim Heizwärmebedarf unabhängig von der Bauweise mit etwa 5 % beim Standard MuKEn und etwa 3 % beim Standard Minergie-P identisch (vgl. Figur 23 und Figur 24). Es ist somit klar nicht der Fall, dass nur der ‹schwere Massivbau› in Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau› falsch beurteilt wird und dessen Qualität bezüglich Wärmespeicherfähigkeit und Ausnutzung von solaren Gewinnen nur über die dynamische Gebäudesimulation korrekt gewürdigt werden kann. Auch die untersuchten Holzbaukonstruktionen erweisen ihre Qualitäten bei differenzierter Betrachtung mittels dynamischer Gebäudesimulation.

Heizwärmebedarfe Qh nach Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau› in Abhängigkeit der Bauweisen MuKEn Minergie-P MuKEn Minergie-P MuKEn Minergie-P 120  – 5 %

100

– 4 %

– 11 %

80  60  40    20

– 3 %

– 13 %

– 3 %

0    Bauweise ‹leicht›

Bauweise ‹mittel›

Bauweise ‹schwer›

Heizwärmebedarf

Qh = Qh, li (MuKEn) gemäss Berechnung Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau› Qh = basierend auf dynamischer Gebäudesimulation (MuKEn mit Standardluftwechsel, Minergie-P mit Komfortlüftung/WRG)   Heizwärmebedarf Qh = 0,6 x Qh, li (Minergie-P) gemäss Berechnung Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau›   Heizwärmebedarf Qh, eff = mit Komfortlüftung/WRG (Vth = 0,28) gemäss Berechnung Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau› (Minergie-P)   Heizwärmebedarf

Beim Standard nach MuKEn wird der wie üblich nach Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau› ermittelte Heizwärmebedarf gegenüber dem dynamisch simulierten um 4 – 11 % höher ermittelt. Die grosse Abweichung von 11 % bei der Bauweise ‹leicht› lässt sich gut erklären: Effektiv weist diese Bauweise eine Wärmespeicherfähigkeit auf, die etwa der Bauweise ‹mittel› entspricht, wodurch sich der Heizwärmebedarf

auf 100 MJ/m2a vermindert und dann nur noch 5 % höher ist als über die dynamische Simulation ermittelt (vgl. auch Figur 24). Beim Standard Minergie-P ist die Abweichung mit 13 % zwischen Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau› und Simulation wegen der falschen Zuordnung in die Kategorie ‹leicht› erheblich grösser als die dreiprozentige Abweichung bei den Bauweisen ‹mittel› und ‹schwer›.


31 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

Figur 24 : Heizwärmebedarfe Qh in MJ/m2a. Dieselbe thermische Gebäudehülle weist bei Beurteilung nach Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau›, nur beeinflusst durch die Wärmespeicherfähigkeit der Bauweise (‹sehr leicht› bis ‹schwer›), einen Heizwärmebedarf von 99 – 115 MJ/m2a auf. Der für die Bauweise ‹leicht› bzw. die beim Referenzprojekt ‹Hegianwandweg› vorhandene Baukonstruktion dynamisch simulierte Heizwärmebedarf beträgt 95 MJ/m2a.

Heizwärmebedarfe Qh nach Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau› in Abhängigkeit von der Zuordnung der Holzrahmenbauweise 115 120  107

100

– 17 %

100 – 11 %

99 – 5 %

– 4 %

80  60  40    20  0    Bauweise ‹sehr leicht›

Bauweise ‹leicht›

Bauweise ‹mittel›

Bauweise ‹schwer›

Heizwärmebedarf

Qh = Qh, li (MuKEn) gemäss Berechnung Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau› in Abhängigkeit der Bauweise   Heizwärmebedarf Qh = basierend auf dynamischer Gebäudesimulation

Entscheidend für die Beurteilung von Holzbauten ist, ob die Bauweise ‹leicht› oder ‹mittel› gewählt werden darf. Dies insbesondere deshalb, weil dort die rechnerische Differenz beim Heizwärmebedarf sehr gross ist, während der Einfluss zwischen ‹mittel› und ‹schwer› nur noch unbedeutend ist. Effektiv entspricht die der Kategorie ‹leicht› zugeordnete Holzkonstruktion eher der Kategorie ‹mittel›, wodurch die Abweichung zwischen Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau› und dynamischer Simulation mit etwa 5 % unabhängig von der Bauweise identisch ist.

26,5 °C bis 24,5 °C) zulässig ist. Ohne Temperaturüberschreitung ist keine Kühlung erforderlich. In Räumen mit einer Überschreitung der Grenztemperatur bis maximal 100 Stunden pro Jahr ist eine Kühlung erwünscht. Werden mehr als 100 Stunden pro Jahr über dem Grenzwert aus Norm SIA 382/1 ‹Lüftungs- und Klimaanlagen – Allgemeine Grundlagen und Anforderungen› nachgewiesen, ist eine Kühlung erforderlich. Das Nachweisverfahren ist in der Norm detailliert beschrieben und kann mittels thermischer Simulationen, so z. B. mit IDA ICE 4.0, geführt werden.

4.3.2.3 Behaglichkeit im Sommer in Abhängigkeit von der Bauweise Moderne Wohnbauten wie das Objekt ‹Hegianwandweg› weisen grosse Fensterflächen zur passivsolaren Wärmegewinnung auf. Die im Winter erwünschten solaren Gewinne können aber in den Sommermonaten die Behaglichkeit in Frage stellen. Räume mit hohen Glasanteilen und geringer thermischer Speichermasse neigen im Sommer zur Überhitzung. Dieser Problematik wird in verschiedenen SIA-Normen und auch beim Standard Minergie(-P) Rechnung getragen. Minergie stützt seine Forderungen zum sommerlichen Wärmeschutz auf die aktuelle Norm SIA 382/1 ‹Lüftungs- und Klimaanlagen – Allgemeine Grundlagen und Anforderungen›. Diese Norm definiert, an wie vielen Stunden eine Raumlufttemperatur über dem variablen Grenzwert (abhängig von der maximalen Aussentemperatur:

Temperaturverlauf Sommerwoche In einer typischen Sommerwoche schwankt die Aussenlufttemperatur in einem Bereich von 15  °C bis 33 °C. Bei Sonnenschein wird eine Globalstrahlung von etwa 900 W/m2 erreicht. Dargestellt in Figur 25 sind die Raumlufttemperaturen des gegen Süden und Westen ausgerichteten Wohnzimmers im 2. Obergeschoss. Bei den Bauweisen ‹leicht› und ‹mittel› schwanken die Raumlufttemperaturen zwischen 22,0 °C und 27,5 °C. Die Bauweise ‹schwer› weist gegenüber den beiden leichteren Bauweisen eine maximale Raumlufttemperatur auf, die um etwa 2 K tiefer ist; die Temperaturen schwanken in einem Bereich von etwa 22,0 °C bis 25,0 °C.


32 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

Figur 25 : Die Raumlufttemperaturen der beiden Bauweisen ‹leicht› und ‹mittel› differieren nur sehr wenig. Bei der Bauweise ‹schwer› kann eine um rund 2 K tiefere maximale Raumlufttemperatur erreicht werden.

Verlauf von Aussen- und Raumlufttemperatur und Globalstrahlung in einer typischen Sommerwoche Temperatur [ °C ]

Solarstrahlung [ W/m2 ]

34

2400

32 30

2000

28 26

1600

24 22

1200

20 18

800

16 14

400

12 10

0 18. Juli

Bauweise ‹leicht›

19. Juli

20. Juli

21. Juli

Bauweise ‹mittel›

22. Juli

23. Juli

25. Juli

Bauweise ‹schwer›

MuKEn

MuKEn

MuKEn

Minergie-P

Minergie-P

Minergie-P

Strahlung

Aussentemperatur

Statistische Auswertung der Raumlufttemperaturen im Sommer Die in Norm SIA 382/1 ‹Lüftungs- und Klimaanlagen – Allgemeine Grundlagen und Anforderungen› gestellte Bedingung, dass der variable Temperaturgrenzwert an weniger als 100 Stunden pro Jahr überschritten wird, kann bei allen Varianten eingehalten werden. Es besteht somit kein Bedarf, die Räume mit einer mechanischen Kühlung zu konditionieren. Die maximal zu erwartenden Raumlufttemperaturen liegen bei den Bauweisen ‹leicht› und ‹mittel› im Bereich von 26,5 °C bis 27,5 °C. Bei der ‹schweren Bauweise› stellen sich etwa 2 K tiefere Maximalwerte ein, die Raumlufttemperatur steigt auf maximal 25,5 °C (vgl. Figur 26). Ergänzend zur Auswertung der Stunden mit zu hohen Raumlufttemperaturen gemäss Norm SIA 382/1 ‹Lüftungs- und Klimaanlagen – Allgemeine Grundlagen und Anforderungen› wurde noch die Häufigkeit der Stunden über 26 °C untersucht. Das Gebäude mit der ‹schweren Bauweise› weist keine Stunden über

24. Juli

26 °C auf. Bei den Bauweisen ‹leicht› und ‹mittel› treten je nach Bauweise und Energiestandard während 25 bis 81 Stunden pro Jahr Temperaturen von mehr als 26 °C auf. Die im Merkblatt SIA 2024 ‹Standard-Nutzungsbedingungen für Energie- und Gebäudetechnik› angegebene Raumlufttemperatur im Sommer von 28 °C wird bei keiner Bauweise erreicht. Es kann also der Schluss gezogen werden, dass mit allen Bauweisen der sommerliche Wärmeschutz normkonform eingehalten wird.


33 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

Figur 26 : Die Maximaltemperatur von 28 °C aus SIA-Merkblatt 2024 ‹StandardNutzungsbedingungen für Energie- und Gebäudetechnik› wird bei keiner Variante erreicht. Aufgezeigt werden auch die zu erwartenden Stunden mit Raumlufttemperaturen über dem Grenzwert aus Norm SIA 382/1 ‹Lüftungs- und Klimaanlagen – Allgemeine Grundlagen und Anforderungen› sowie die Anzahl Stunden mit mehr als 26 °C Raumlufttemperatur. Mit maximal 81 Stunden über dem Grenzwert ist selbst bei der Variante Bauweise ‹leicht›/ Minergie-P eine Kühlung nicht erforderlich, jedoch erwünscht.

Auswertung betreffend die maximal zu erwartenden Raumlufttemperaturen in Abhängigkeit von Bauweise und Energiestandard Maximaltemperatur Sommerwoche [ °C ]

MuKEn

Minergie-P

Stunden mit Übertemperatur [ h ]

MuKEn

Minergie-P

MuKEn

Minergie-P

28

80

27  26

60

25 24

40

23 22   21

20

Bauweise ‹leicht›

Bauweise ‹mittel›

Bauweise ‹schwer›

Maximaltemperatur   Stunden

über Grenzwert gemäss Norm SIA 381/1 ‹Thermische Energie im Hochbau›   Stunden über 26 °C

Verbesserung durch Bodenkühlung Die normativen Anforderungen an den sommerlichen Wärmeschutz können mit allen Bauweisen und Energiestandards eingehalten werden. Das Gebäude mit der Bauweise ‹schwer› weist aber insbesondere bei den maximalen Raumlufttemperaturen Vorteile auf, die zu einer höheren Behaglichkeit im Sommer führen. Mittels Simulation wird deshalb aufgezeigt, welchen Einfluss eine ‹erwünschte Kühlung› auf die sommerlichen Raumlufttemperaturen hat und ob damit die ‹leichte› Bauweise soweit verbessert werden kann, dass sie mindestens so gut ist wie die ‹schwere› Bauweise.

Für die Kühlung wird die Bodenheizung im Sommer als Kühlfläche eingesetzt, und die dem Gebäude entzogene Wärmeenergie wird über die Erdsonden dem Erdspeicher zugeführt. Neben den positiven Auswirkungen auf die Raumlufttemperaturen und die Behaglichkeit (Figur 27 und Figur 28) kann damit auch die Jahresarbeitszahl der Wärmepumpe erhöht werden.


34 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

Figur 27 : Mit einer sanften Bodenkühlung können die Raumlufttemperaturen bei der Bauweise ‹leicht› im Standard Minergie-P soweit reduziert werden, dass sie noch etwas tiefer sind als bei der Bauweise ‹schwer›.

Streuplot der Raumlufttemperaturen in Abhängigkeit von den maximalen Tagesaussentemperaturen Raumlufttemperaturen [ °C ]

30 29 28 27 26

Grenzwert Norm SIA 382/1

25 24 23 22 21 20 5

10

15

20

25

30

Tagesmaximum der Aussentemperatur [°C]

Bauweise ‹leicht› Minergie-P  Bauweise ‹leicht ›Minergie-P mit Kühlung über Bodenheizung  Bauweise ‹schwer› Minergie-P

4.3.3 Ökologische Auswirkungen von Bauweise und Energiestandard 4.3.3.1 Methodik für die Ökologiebetrachtung Bis vor einem Jahrzehnt war eine reine Betrachtung des Heizwärmebedarfs eine gute Kenngrösse, um eine Aussage zur energetischen Qualität eines Gebäudes zu machen. Mit den immer wirksamer gedämmten Gebäudehüllen wird die Bedeutung des Heizwärmebedarfs in einer gesamtenergetischen Betrachtungsweise jedoch stark relativiert: Die für die Erstellung eines Baus benötigte Graue Energie und die zugehörigen Treibhausgasemissionen übersteigen über den ganzen Lebenszyklus eines Gebäudes gesehen die Heizenergie und die Emissionen aus dem Heizbetrieb um ein Vielfaches. Um eine gesamtenergetische Betrachtungsweise zu ermöglichen, wurden die drei beschriebenen Bauweisen ‹leicht›, ‹mittel› und ‹schwer› auch hinsichtlich Grauer Energie und Treibhausgasemissionen am exemplarisch gewählten Referenzbau berechnet, und zwar jeweils mit einem Dämmstandard, der die Anforderungen gemäss MuKEn erfüllt, wie auch mit

einem Dämmstandard, der die Primäranforderung gemäss Minergie-P erfüllt. Die Konstruktionen wurden entsprechend Figur 19 eingesetzt und entsprechen damit den Annahmen für die Berechnung des Heizwärmebedarfs. Zur Berechnung der Grauen Energie und der Treibhausgasemissionen wurden die Flächen- und Materialauszüge gemäss Merkblatt SIA 2032 ‹Graue Energie von Gebäuden› für das ganze Gebäude berechnet. Diese Erstellungsenergie umfasst den ganzen Lebenszyklus vom Rohstoffabbau über die Produktion der Baustoffe und die Transporte bis zur Entsorgung. Den einzelnen Bauteilen ist eine Amortisationszeit zugewiesen. Dies erlaubt es, auch eine auf das Jahr und die Energiebezugsfläche bezogene Erstellungsenergie auszuweisen und damit einen Vergleich zwischen Erstellungsenergie und Betriebsenergie anzustellen.


35 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

Figur 28 : Die maximalen Raumlufttemperaturen der Variante ‹leichte› Bauweise im Standard Minergie-P von 27 °C bis 27,5 °C können mit der sanften Kühlung über die Bodenheizung und die Erdsonde um bis zu 3 K gesenkt werden. Mit dieser einfachen Kühlung können noch bessere Komfortbedingungen erreicht werden als bei der ‹schweren› Bauweise.

Verlauf von Aussen- und Raumlufttemperatur sowie Globalstrahlung in einer typischen Sommerwoche Temperatur [ °C ]

Solarstrahlung [ W/m2 ]

34

2400

32 30

2000

28 26

1600

24 22

1200

20 18

800

16 14

400

12 10

0 18. Juli

Bauweise ‹leicht›

Minergie-P

mit Kühlung über Bodenheizung   Strahlung

19. Juli

20. Juli

21. Juli

22. Juli

23. Juli

24. Juli

25. Juli

Bauweise ‹schwer›

Minergie-P

Minergie-P

Aussentemperatur

4.3.3.2 Erstellungsenergie: Graue Energie und Treibhausgasemissionen Vorab sei hier erwähnt, dass beim gewählten Referenzobjekt die Leichtbauweise besser gedämmt ist als die Massivbauweise – dies um gemäss Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau› den gleichen Heizwärmebedarf zu erreichen und die beim Leichtbau (angeblich) geringere Wärmespeicherfähigkeit zu kompensieren (vgl. Figur 19). Das führt dazu, dass bei der Berechnung der Erstellungsenergie der Mehraufwand für die grössere Dämmstärke dem Leichtbau angelastet wird. Der Einfluss ist aber vernachlässigbar. Ebenfalls einen gewissen Einfluss auf die Resultate hat der Umstand, dass beim gewählten Referenzobjekt die Mittelzone in allen drei Bauweisen in Beton erstellt wird, ebenso selbstverständlich das Untergeschoss. Dieser Umstand darf aber nicht als Verfälschung der

Resultate gewertet werden: Bei einem Mehrfamilienhaus in der Grösse des vorliegenden Referenzobjektes sind aus brandschutztechnischen Gründen und zum Teil auch aus Gründen der Erdbebensicherheit Treppenhäuser in Massivbauweise auszuführen. Im Untergeschoss ist eine Massivbauweise zwingend. Ein reiner Leichtbau in Holz wäre also für den vorliegenden Vergleich keine realistische Alternative.


36 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

Figur 29 : Bei allen drei Bauweisen werden das Untergeschoss und die Mittelzone mit Treppenhaus und Nasszellen in Massivbauweise ausgeführt.

Bauweise des Unter- und Erdgeschosses des Referenzgebäudes ‹Hegianwandweg›

Untergeschoss

1. bis 3. Obergeschoss

Stahlbetonwände (Dicke variabel) und Bodenplatte (250 mm) über Erdreich   Kalksandsteinwände 120 mm und 150 mm

Figur 30 : Graue Energie in MJ/m2a aus der Erstellung beim Referenzobjekt ‹Hegianwandweg›, gerechnet mit 25 Grisli

Backsteinwände 100 mm bis 150 mm   Installationswände und Vorwandinstallationswände   Bodenplatte und Geschossdecken aus Stahlbeton

Berechnungen der Grauen Energie Leichtbauweise

Massivholzbauweise

Massivbauweise

MuKEn

Minergie-P

MuKEn

Minergie-P

MuKEn

Minergie-P

Gebäude unter Terrain Aussenwand

8

11

8

11

8

11

7

8

9

11

10

12

Fenster, Balkone Decken, Innenwände Dächer

23

24

23

24

24

25

16

16

14

14

18

18

7

8

7

8

7

8

Innenausbau

19

20

22

23

19

20

Haustechnik

18

22

18

22

18

22

Total

100

109

102

113

105

116

25

Grisli, Instrument zur Berechnung der Grauen Energie und der Treibhausgasemissionen von ganzen Gebäuden oder Bauteilen, Büro für Umweltchemie, Zürich


37 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

Figur 31 : Treibhausgasemissionen in kg/m2a aus der Erstellung beim Referenzobjekt ‹Hegianwandweg›, 25 gerechnet mit Grisli

Berechnungen der Treibhausgasemissionen Leichtbauweise

Massivholzbauweise

Massivbauweise

MuKEn

Minergie-P

MuKEn

Minergie-P

MuKEn

Minergie-P

Gebäude unter Terrain Aussenwand

0,8

0,9

0,8

0,9

0,8

0,9

0,4

0,4

0,5

0,6

0,6

0,7

Fenster, Balkone Decken, Innenwände Dächer

1,6

1,7

1,6

1,7

1,8

1,8

1,2

1,2

1,3

1,3

1,8

1,8

0,4

0,5

0,4

0,5

0,5

0,6

Innenausbau

1,4

1,5

1,6

1,6

1,5

1,6

Haustechnik

1,2

1,4

1,2

1,4

1,2

1,4

Total

7,1

7,6

7,4

8,0

8,3

8,8

Die drei Bauweisen im Vergleich Im Vergleich der drei Bauweisen werden die tiefsten Werte im Bereich Erstellung sowohl bei der Grauen Energie als auch bei den Treibhausgasemissionen mit einer Leichtbauweise erreicht, die höchsten Werte mit einer reinen Massivbauweise. Diese Tendenz gilt sowohl für den moderaten Dämmstandard nach MuKEn als auch für einen hohen Dämmstandard gemäss Minergie-P. Holz weist als Baumaterial sehr günstige Voraussetzungen auf, während massive Baustoffe pro Quadratmeter Bauteilfläche höhere Werte in der Grauen Energie wie auch bei den Treibhausgasemissionen zeigen. Holz als erneuerbarer Baustoff generiert kaum Produktionsenergie und als lokaler Baustoff auch vergleichsweise wenig Transportenergie. Obwohl beim Leichtbau, um den gleichen Heizwärmebedarf gemäss Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau› zu erhalten, im vorliegenden Referenzobjekt mehr Dämmstoff eingesetzt wurde, bleibt diese Variante bezüglich Erstellungsenergie unübertroffen. Trotz der klar erkennbaren Tendenz bezüglich Bauweise sind die Unterschiede aber zu relativieren. Bei der Grauen Energie liegen die Mehrinvestitionen für den Massivbau im Vergleich zum Leichtbau bei rund 5 %, bei den Treibhausgasemissionen bei rund 16 % (bei gleichem Standard bezüglich Heizwärmebedarf). Der Einfluss der Bauweise ist damit kleiner, als allgemein angenommen wird. Wenn beim Leichtbau komplizierte, aus vielen Schichten bestehende Systeme zum Einsatz kommen, kann der Vorteil des Leichtbaus sogar gänzlich verschwinden. Die Holzmassiv-

bauweise liegt bei den Werten erwartungsgemäss in der Mitte zwischen Leichtbau und Massivbau. Der Einfluss der Bauweise auf das Gesamtresultat ist auch im Vergleich zu anderen Einflussgrössen, insbesondere der Gebäudeform und -grösse, zu relativieren. Die auf einen Quadratmeter bezogene Erstellungsenergie ist bei einem kleinen Einfamilienhaus im Vergleich zu einem grossen und kompakten Mehrfamilienhaus – bei gleicher Bauweise – um bis zu 80 % grösser. Dies gilt für die Graue Energie genauso wie für die Treibhausgasemissionen. Entscheidend für gute Werte bei der Erstellung ist also weniger die Bauweise als vielmehr die Grösse und Form des Gebäudes – sprich: das Verhältnis zwischen Gebäudehüllfläche und der durch sie umschlossenen Nutzfläche. Dies erklärt auch, warum beim gerechneten Referenzobjekt die Werte aller drei Bauweisen im Bereich der orientierenden Richtwerte gemäss Merkblatt SIA 2040 ‹SIA-Effizienzpfad Energie› angesiedelt sind: 26 Das Referenzobjekt ist mit einer Energiebezugsfläche von rund 2500 m2 mittelgross und überdurchschnittlich kompakt. Es handelt sich um ein bezüglich Erstellungsenergie bereits optimiertes Gebäude. Für eine gesamtenergetische Betrachtung gemäss Merkblatt SIA 2040 ‹SIA-Effizienzpfad Energie› muss die Relativierung der Differenzen zwischen der Erstellungsenergie der drei Bauweisen allerdings auch wieder relativiert werden. Auch wenn die Differenzen prozentual nicht besonders gross erscheinen, können sie doch für die Erreichung von Zielwerten entscheidend sein. Insbesondere bei den Treibhausgasemissionen ist das Budget der jährlich pro Quadratmeter


38 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

zur Verfügung stehenden Emissionen klein: Bei einem Neubau der Gebäudekategorie ‹Wohnen› stehen für die Erstellung, den gesamten Betrieb und die standortabhängige Mobilität gemäss Merkblatt SIA 2040 ‹SIA-Effizienzpfad Energie› 16,5 kg/ m2 zur Verfügung. Die Erstellung beansprucht davon üblicherweise mehr als die Hälfte. Für Betrieb und Mobilität bleiben jährlich rund 8 kg/m2. Ein bei der Erstellung eingespartes Kilogramm Treibhausgasemissionen erleichtert die Zielerreichung in einer gesamtenergetischen Betrachtungsweise damit unter Umständen ganz entscheidend. Erstellungsenergie für die beiden Heizenergiestandards im Vergleich Vergleicht man die Werte bei den beiden Heizenergiestandards MuKEn und Minergie-P (bei gleicher Bauweise), so ist einmal die wenig überraschende Erkenntnis zu formulieren, dass ein Gebäude mit hohem Standard grössere Mengen an Grauer Energie und an Treibhausgasemissionen erreicht als ein Gebäude mit moderatem Dämmstandard. Der Mehraufwand von Bauten gleicher Bauweise im Standard MuKEn und im Standard Minergie-P erklärt sich über die grösseren Dämmstärken, die dadurch aufwendigeren Unterkonstruktionen der Fassadenbekleidungen und die besseren Fenster. In der vorliegenden Berechnung ist zusätzlich beim Standard Minergie-P die Erstellungsenergie für eine Lüftungsanlage eingerechnet, was die Unterschiede bei der Haustechnik erklärt. Beim Standard MuKEn wurde keine Lüftungsanlage eingerechnet. Der Mehraufwand beim Standard Minergie-P zum Standard MuKEn liegt beim gerechneten Referenzobjekt in der Grössenordnung von 10 % bei der Grauen Energie und bei rund 7 % bei den Treibhausgasemissionen. Der Mehraufwand für den hohen Standard Minergie-P hält sich bei allen drei Bauweisen in der gleichen Grössenordnung. Merkblatt SIA 2040 ‹SIA-Effizienzpfad Energie›, Juni 2011. Die unverbindlichen Richtwerte zur Erstellung für die Gebäudekategorie ‹Wohnen› betragen jährlich 110 MJ/m2 und 8,5 kg/m2.

26

4.3.4 Gesamtenergetische Betrachtung Da im hier vorliegenden Referenzobjekt gemäss Norm SIA 380/1 ‹Thermische Energie im Hochbau› den drei Bauweisen ein identischer Heizwärmebedarf zugrunde liegt, erübrigt sich eine gesamtenergetische Betrachtung, bei welcher der Heizenergiebedarf und die Erstellungsenergie miteinander verrechnet werden. Egal, welcher Energieträger für die Heizung gewählt wird: Der Leichtbau wird aufgrund der tieferen Werte in der Erstellung immer besser abschneiden. Wenn die Resultate der dynamischen Berechnung des Heizwärmebedarfs für den Vergleich zugrunde gelegt würden, so würde sich diese Tendenz sogar noch verstärken. Um trotzdem eine Relation herzustellen zwischen der Grössenordnung der nicht erneuerbaren Primärenergie und der Treibhausgasemissionen aus der Erstellung (Graue Energie und Treibhausgasemissionen) sowie aus dem Betrieb der Heizung, muss der Heizwärmebedarf auf die entsprechende Stufe umgerechnet werden: Der Heizwärmebedarf (Nutzenergie) muss durch den Nutzungsgrad des Heizsystems dividiert (Endenergie) und mit den Primärenergiefaktoren bzw. Treibhausgasemissionskoeffizienten der gewählten Energieträger multipliziert werden. Die Resultate sind in ihrer Varianz doch recht verblüffend: Bei fossilen Energieträgern wie Gas oder Öl ist die Grössenordnung der Primärenergie und der Emissionen aus dem Heizbetrieb vergleichbar mit der Grauen Energie und den Treibhausgasemissionen aus der Erstellung. Bei erneuerbaren Energieträgern dagegen sind die Primärenergie und die Emissionen aus dem Heizbetrieb im Vergleich zu den Emissionen aus der Erstellung fast vernachlässigbar. Anders formuliert heisst das: Während bei einem fossilen Energieträger der Mehraufwand eines Massivbaus gegenüber einem Leichtbau bei der Erstellung durch einen etwas besseren Wärmedämmstandard leicht wettgemacht werden kann, ist dies bei einem erneuerbaren Energieträger, gesamtenergetisch betrachtet, nicht möglich.


39 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

Figur 32 : Standardnutzungsgrade, Primärenergiefaktoren und Treibhausgasemissionskoeffizienten gemäss Merkblatt SIA 2040 ‹SIA-Effizienzpfad Energie›

Nichterneuerbare Primärenergie und Treibhausgasemissionen bei einem Heizwärmebedarf von 107 MJ/m2 bei unterschiedlichen Energieträgern Energieträger

Heizwärmebedarf (MuKEn), SIA 380/1 107 MJ/m2 a

Nutzungsgrad

Primärenergiefaktor

0,9

1,11 MJ/MJ

Primärenergie nichterneuerbar 132 MJ/m2 a

ErdsondenWärmepumpe 27 Holzschnitzel

107 MJ/m2 a

3,9

2,64 MJ/MJ

72 MJ/m2 a

107 MJ/m2 a

0,75

0,06 MJ/MJ

9 MJ/m2 a

Energieträger

Heizwärmebedarf (MuKEn), SIA 380/1 107 MJ/m2 a

Nutzungsgrad 0,9

TreibhausgasEmissionskoeffizient 0,066 kg/MJ

Treibhausgasemissionen 7,8 kg/m2 a

107 MJ/m2 a

3,9

0,041 kg/MJ

1,1 kg/m2 a

107 MJ/m2 a

0,75

0,003 kg/MJ

0,4 kg/m2 a

Gas

Gas ErdsondenWärmepumpe 27 Holzschnitzel

Die Werte in der Figur entsprechen den Werten für den Schweizer Strommix, d.h. die Werte stehen für MJ Primärenergie/MJ Stromverbrauch für das Betreiben der Wärmepumpe.

27

4.4

Betrachtungsweise eines Investors mit einem langjährigen Anlagehorizont

Mehrgeschossiger Holzbau hat sich eine Reputation als ökologische und ressourcenschonende Gebäudevariante geschaffen, was durch die vorliegende Studie gänzlich bestätigt und nachgewiesen werden konnte. Die bereits in grosser Zahl entstandenen Bauten demonstrieren das grosse Potential und die technische Machbarkeit. Das Interesse am Immobilienmarkt steigt; noch geben sich professionelle und institutionelle Investoren aber zurückhaltend.


40 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

4.4.1 Holzbau mit Renditeerwartungen Der mehrgeschossige Holzbau hat sich das urbane Territorium zurückerobert. Ohne grosses Aufsehen zu verursachen, fand der Wiedereinzug in die Stadt Zürich bereits vor einiger Zeit statt: 2003 wurde die in dieser Publikation dargestellte gemeinnützige und architektonisch moderne Wohnüberbauung am Hegianwandweg realisiert. Vier Jahre später folgte die Genossenschaftssiedlung ‹Wolfswinkel› im Aussenquartier Affoltern: Die Fachwelt staunte zwar, wie preisgünstig diese Wohnüberbauung realisiert werden konnte. Die hybride Holzbauweise (tragende Stahlstruktur und eine Hülle aus Holzwerkstoffen) blieb aber weitgehend unbeachtet, obwohl sie im städtischen Kontext immer noch ungewöhnlich wirkt. Erst jetzt wird der mehrgeschossige Holzbau öffentlich thematisiert, wohl nicht zuletzt, weil seine Vertreter mittlerweile auch im innerstädtischen Bereich angekommen sind. In unmittelbarer Nähe zum Albisriederplatz in Zürich wurde vor zwei Jahren der erste Siebengeschosser der Schweiz realisiert. Die mehrteilige Wohnüberbauung ‹Badenerstrasse› mit tragenden Massivholzwänden ergänzt eine typische Strassenzeile. Und an einem der besten Immobilienstandorte überhaupt, direkt beim Stadtzürcher Bahnhof Stadelhofen, schliesst ab 2012 ein sechsgeschossiges Stadthaus mit Holztragwerk und -fassade die Lücke in einer Blockrandüberbauung. Die Liste bald fertiggestellter oder spruchreifer Projekte im vielgeschossigen Holzbau ist damit nicht komplett. Die realisierten Projekte im mehrgeschossigen Holzbau – es sind mittlerweile gegen 1500 – sowie die Bauvorhaben verteilen sich zudem über die gesamte Schweiz. Ein typisches Merkmal ist im übrigen nicht nur ein ungewohnt hoher Holzanteil, sondern auch eine innovative Bauträger- und Investorenschaft. Auffallend ist, dass vor allem gemeinnützige und öffentliche Bauherrschaften den modernen Holzbau als taugliche Variante zur Verdichtung von Wohnquartieren und innerstädtischen Strassenlagen entdecken und praktisch erproben wollen. 4.4.2 Ökologische Investitionsmotive Die Geschichte des modernen mehrgeschossigen Holzbaus ist noch jung. Bautechnisch, konstruktiv und ästhetisch liegen bereits vielversprechende Referenzen vor. Warum aber die Zürcher Wohnbaugenossenschaften, die Liegenschaftenverwaltung der Stadt Bern oder auch private Grundeigentümer die Holzbauweise bevorzugen, hat primär einen durchaus projektspezifisch relevanten Grund: Der Einsatz des in der Schweiz verfügbaren Baustoffs ist ökologisch motiviert. Um dem schonenden Umgang mit endlichen Ressourcen gemäss der 2000-Watt-Gesellschaft zu entsprechen, ist das Gebäudekonzept nicht nur energieeffizient, sondern auch beim Bau

nachhaltig auszugestalten. Die gemeinnützigen Investoren setzen die Materialwahl gezielt auch bei Ersatzneubauten ein, wo bisher massiv gebaute, qualitativ nicht mehr genügende Wohnsiedlungen standen. Zur eigenen ideellen Identifikation gesellt sich dabei die Absicht, die Bedürfnisse der künftigen Bewohner besser abzudecken. Denn das ökologische Engagement ist indirekt auch ökonomisch gedacht. Eine Reduktion der Nebenkosten – wie es für energieeffiziente Wohnbauten typisch ist – kann die Nachfrage am aktuellen und am künftigen Immobilienmarkt erheblich steigern. Das Angebotskonzept, dass bei Neubauten die Bruttomiete entlastet werden soll, ist aber nicht nur den Genossenschaften bekannt. Auch diejenigen institutionellen Investoren, die erste Erfahrungen mit mehrgeschossigem Holzbau vorweisen können, haben spezifisch auf eine verlässliche Preisbasis für Neumieter hingewiesen. Ein solcher Investor ist beispielsweise der Versicherungskonzern Allianz Suisse, der in Oberwinterthur die Nullenergiesiedlung ‹Eulachhof› hybrid – mit massivem Betonkern und einem leichten Gebäudemantel aus Holz – erstellen liess. Dafür wurden zwar Mehrkosten von rund 10 % in Kauf genommen. Dennoch wird erwartet, auch damit eine marktübliche Rendite von über 4 % zu erzielen. Weniger mit Zahlen als mit dem Schaffen von qualitativ hochwertiger Gebäudesubstanz durch den Einsatz des Baustoffs Holz wirbt dagegen der zweite Grossinvestor. Die Real-Estate-Abteilung der Crédit Suisse hat bereits im luzernischen St. Erhard eine kleinere Wohnsiedlung im Holzbau erstellt. In der Argumentation gehört neben der Ausrichtung auf nachhaltige Wohnbauten vor allem auch die Wahl von gesunden und wiederverwertbaren Materialien dazu. Die Investitionen am Immobilienmarkt werden derzeit auch von der Nachfrage getrieben. Personen mit urbanem und umweltbewusstem Lebensstil sind vom traditionellen, aber modern eingesetzten Baustoff Holz nämlich durchaus angetan. 4.4.3 Mehrfamilienhäuser im Trend Der Bau von Mehrfamilienhäusern boomt. Erfreulicherweise kann der mehrgeschossige Holzbau überdurchschnittlich davon profitieren. Die vom KMUZentrum Holz erhobenen Marktzahlen belegen einen steigenden Marktanteil, der inzwischen rund 5 % beträgt. Im Segment der Einfamilienhäuser liegt der Marktanteil fast dreimal höher, was wohl damit zu tun hat, dass der Holzbau die Anforderungen an die Energieeffizienz architektonisch zeitgemäss umzusetzen versteht. Es überrascht deshalb nicht, was die Berner Fachhochschule in einer Befragung zur Materialwahl Holz herausgefunden hat: Private Bauherrschaften schätzen die funktionalen Qualitäten des natürlichen Baustoffs überaus hoch ein und sind


41 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

vom Holzbau als moderner und ökologischer Variante überzeugt. Ausserdem zeigt sich, dass die Stimme der Architekten gehört wird – bei der Suche nach Informationen ebenso wie im Entscheidungsprozess. In Deutschland sieht die Ausgangslage ähnlich aussichtsreich aus: Die nachhaltige Bauweise liegt im Trend, und die Reputation von Holz ist sehr gut. Angesprochen werden dabei die gute Wärmedämmung, ein gesundes, angenehmes Raumklima sowie die vielseitige – funktionale und ästhetische – Verwendung. Die Branche versucht, die Nachfrage mit innovativen Systemlösungen abzudecken. Doch Widerstände gibt es in unserem nördlichen Nachbarland auch. Vor allem bei Investoren ist die vom deutschen Bundesministerium für Forschung und Bildung geförderte Zukunftsstudie für die stoffliche

Figur 33 : Lebenszykluskosten. Quelle: Nachhaltiges Immobilienmanagement, KBOB

Holzverwertung ‹Holzwende 2020 plus› auf hartnäkkige Vorurteile gestossen: Der Holzbau sei zu wenig langlebig, schaffe Probleme beim Brand- und Schallschutz, und das Material sei anfällig für Schädlinge. Eine eingehende Investorenbefragung wird in der Schweiz vorbereitet, denn auch hierzulande sind Vorbehalte und Bedenken zu hören. Diese betreffen z. B. die Ungewissheit über die Entwicklung der Lebenszykluskosten, da die bisherigen Referenzbauten erst wenige Jahre stehen. Dass die Lebenszykluskosten und der Unterhalt mit zu den wichtigsten Entscheidungskriterien gehören, wird ebenso in der Bauherrenbefragung der Berner Fachhochschule nachgewiesen.

Lebenszykluskosten eines Gebäudes Folgekosten 80 – 100 Jahre 100 %

Investitionen 3 – 5 Jahre 0 % 1 Jahr Planung

1 Jahr

Kontrollierbarkeit der Kosten

1 – 3 Jahre Bereitstellung   weniger nachhaltiges Gebäude

4 x 20 – 25 Jahre Bewirtschaftung   nachhaltigeres Gebäude

1 Jahr Liquidation


42 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

4.4.4 Optimierungspotential Davon, dass ein Standardisierungs- und Optimierungspotential brach liegt, gehen auch die Investoren der bereits realisierten, noch pionierhaften Holzbauten aus. Bewusst ist man sich, dass der Planungsprozess schon frühzeitig auf die Holzbauweise auszurichten ist. Dennoch bleiben im Verlauf der Planung die Wahl einer robusten Fassadenverkleidung sowie des Tragwerks an sich die am meisten – auch grundsätzlich – diskutierten Themen. Demgegenüber wird der Holzbau nicht nur seiner ökologischen Vorzüge wegen gelobt, sondern es wird auch auf positive Erfahrungen hinsichtlich Bauhygiene, Leichtbau und kurzer Bau- und Montagezeiten hingewiesen. Nicht zuletzt deswegen hat sich der tragende Holzbau bei flexiblen Geschäftsbauten oder bei Umbau und Erweiterung von Mehrfamilienhäusern einen guten Namen und hohe Marktanteile erobert.

Figur 34 : Akteure im Immobilienprozess. Quelle: Nachhaltiges Immobilienmanagement, KBOB

Die Züricher Baugenossenschaft Zurlinden liefert zudem ein anschauliches Beispiel dafür, wie das erarbeitete konstruktive und technische Know-how selber gewinnbringend genutzt werden kann: So wurde für die siebengeschossige Wohnüberbauung ‹Badenerstrasse› zum einen ein neuartiges, massives Holz-wandsystem entwickelt. Zum andern wurde der interne Schallschutz – trotz eigener Bedenken – ohne bisherige Beanstandungen der Mieter gelöst. Die nächste vielgeschossige Holzbausiedlung ist deshalb bereits im Bau: Auch beim ‹Sihlbogen› sind Wände und Decke vollständig aus Holz. Und weil fast alle beauftragten Handwerksbetriebe selber Genossenschaftsmitglieder sind, erhoffen sich diese davon einen unmittelbaren Wettbewerbsvorsprung.

Rolle und Ziele der Akteure im Immobilienprozess Strategische Ebene Entwickler/kurzfristig orientierter Investor maximaler Gewinn auf investiertem Kapital

langfristig orientierter Investor

Bauherr

Eigentümer

tiefe Baukosten mängelfreies Bauwerk Portfolio Manager

regelmässige, adäquate Rendite Werthaltung/-vermehrung langfristig gute Vermietbarkeit tiefe Lebenszykluskosten Image, Reputation erfüllt den Nutzungszweck geringes Risiko, Gesetzesänderungen geringes Risiko, Preisänderungen Energie geringes Risiko, gesellschaftliche Veränderungen

Facility Manager

Operative Ebene Bauprojektorganisation

Bewirtschafter

Mieter/Nutzer

tiefe Bewirtschaftungskosten Zufriedenheit Nutzer/Eigentümer störungsfreier Betrieb

hohe Lebensqualität gute Dienstleistungen tiefe Nebenkosten tiefe Nutzungskosten/Mieten


43 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen

5 Ausblick

Die untersuchte Thematik ist aktuell und äusserst interessant. Die Resultate der im Rahmen dieser Publikation durchgeführten Untersuchungen bestätigen die Aussage von Prof. Dr. Werner Sobek (Stuttgart), dass ‹leicht zu bauen zu einer wichtigen Voraussetzung für die Nachhaltigkeit wird›. Dass der Holzbau dadurch zur ‹allgemeinen Haltung› wird, kann jedoch ebenso wenig über eine eindimensionale Fragestellung erreicht werden wie eine integrale Lösung. In Zukunft wird die Beschränkung der Bilanzierungsgrenze auf das Gebäude oder gar auf einzelne Bauteile und Produkte weiter an Bedeutsamkeit verlieren (Stichworte ‹Autarkisierung/Kosten›, ‹LowEx›). Neben der konsequenten Umsetzung der Prinzipien des Leichtbaus und der Kaskadennutzung von Holz müssen deshalb die heutigen Planungs- und Bautechniken weiter vorangetrieben werden. Zurzeit sind Rolläden oder Markisen häufig das einzige dynamische Bauteil an einem Gebäude. Zugleich liegt die Rezyklierbarkeit von Autos bei 90 %, während Bauten gerade einmal 4 % erreichen. Die Branche ist gefordert – es braucht kluge Ideen und Projekte. Um den Einsatz von Holz weiter zu steigern, ist eine offene Kommunikation notwendig, welche die Vorteile der Architektur mit Holz weiterhin breit abgestützt aufzeigt. Hierzu soll die mit diesem Heft begonnene Lignatec-Trias zu den Stärken des Holzbaus hinsichtlich Klimaschutz und Energieeffizienz einen Beitrag leisten.

Umsetzung In einer zweiten Publikation in der Lignatec-Reihe wird die planerische Umsetzung von CO2- und energieeffizienten Holzgebäuden anhand von Beispielen von Neu- und Umbauten aufgezeigt. Wie die vorliegende Publikation bietet diese dem Entscheidungsträger Argumente und Fakten und dem Architekten/Ingenieur/Planer eine praktische Hilfestellung bei der Umsetzung. Ein dritter Teil gibt eine Übersicht über Labels im Feld ‹Energie und Klima› im Bauwesen.


Impressum Lignatec Die technischen Holzinformationen der Lignum Herausgeber Lignum, Holzwirtschaft Schweiz, Zürich Christoph Starck, Direktor Koordination Olin Bartlomé, dipl. Holzing. FH, Lignum, Zürich Bildnachweis Figur 15: Hannes Henz, Zürich/Lignum; Figur 16: EM2N Architekten, Zürich/Lignum. Alle anderen Figuren ohne Quellenangabe in der Publikation stammen von den Autoren und der Lignum. Gestaltung und Realisation BN Graphics, Zürich Administration/Versand Andreas Hartmann, Lignum, Zürich Druck Kalt-Zehnder-Druck AG, Zug

Die Schriftenreihe Lignatec informiert zu Fachfragen bezüglich der Verwendung von Holz als Bau- und Werkstoff. Lignatec richtet sich an Planer, Ingenieure, Architekten sowie an die Ver- und Bearbeiter von Holz. Lignatec wird zunehmend in der Ausbildung auf allen Stufen eingesetzt. Ein Sammelordner ist bei Lignum erhältlich. Mitglieder der Lignum erhalten ein Exemplar jeder LignatecAusgabe gratis. Weitere Einzelexemplare für Mitglieder CHF 15.– Einzelexemplar für Nichtmitglieder CHF 35.– Sammelordner leer CHF 10.– Preisänderungen vorbehalten Das Copyright dieser Publikation liegt bei Lignum, Holzwirtschaft Schweiz, Zürich. Eine Vervielfältigung ist nur mit ausdrücklicher schriftlicher Genehmigung des Herausgebers zulässig. Haftungsausschluss Die vorliegende Publikation wurde mit grösster Sorgfalt und nach bestem Wissen und Gewissen erstellt. Die Herausgeber und Autoren haften nicht für Schäden, die durch die Benützung und Anwendung der vorliegenden Publikation entstehen können. LIGNUM Holzwirtschaft Schweiz Falkenstrasse 26, 8008 Zürich Tel. 044 267 47 77, Fax 044 267 47 87 info@lignum.ch www.lignum.ch Lignatec 25/2011 Klimaschonend und energieeffizient bauen mit Holz – Grundlagen Erschienen im September 2011 Auflage deutsch: 5000 Exemplare ISSN 1421-0320


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.