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Die neue EU-Pilotregelung für DLT-Markt- infrastrukturen (zB Blockchain

Die neue EU-Pilotregelung für DLT-Marktinfrastrukturen (zB Blockchain)

Ein erster Überblick

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FLORIAN EBNER *

Mit der Pilotregelung für DLT-Marktinfrastrukturen1 (im Folgenden: Pilotregelung) ist der erste Rechtsakt des Digital Finance Package der EU2 in Kraft getreten. Die Pilotregelung soll den Einsatz der Distributedledger-Technologie (im Folgenden: DLT) für den Handel und die Abwicklung von Aktien, Anleihen und anderen Finanzinstrumenten ermöglichen und die Entwicklung eines Sekundärmarkts für security tokens fördern. Ab 23.3.2023 ist sie vollständig anwendbar. Der vorliegende Beitrag gibt einen detaillierten Überblick über den Hintergrund und das Regelungskonzept der Pilotregelung und behandelt ausgewählte Einzel- und Folgefragen.3

*123 I. Einleitung Mit dem 2020 präsentierten Digital Finance Package will die EU die Nutzung innovativer Finanzprodukte zum Vorteil der Verbraucher und Unternehmer ermöglichen und gleichzeitig die damit verbundenen Risiken adressieren. Wichtigster Regelungsgegenstand der Rechtsakte sind Kryptowerte, die eine immer größere Bedeutung am Binnenmarkt erlangen. Die digitalen Werte können mithilfe der DLT einfach begeben, gehalten und übertragen werden. Ausgegeben werden die unterschiedlichsten Werte, angefangen von Tauschmitteln (zB Bitcoin) und Gutscheinen (zB Warengutscheine im Rahmen eines Crowdfunding-Projekts) über Zahlungsmittel (zB tokenisiertes Geld) bis hin zu digitaler Kunst. Als Kryptowert emittiert werden könnten prinzipiell4 aber auch Aktien, Anleihen oder Investmentzertifikate.

Das rechtspolitische Problem bei den meisten Kryptowerten ist, dass sie am Markt rege gehandelt werden und Gegenstand eines reichen Dienstleistungsangebots sind, gleichzeitig aber nicht unter die bestehende Finanzmarktregulierung fallen. Daraus ergeben sich Herausforderungen für den Schutz der Nutzer, die Marktintegrität und die Finanzstabilität. Mit der Markets in Crypto-Assets Regulation (MiCAR),5 die sich derzeit in der Schlussphase des Gesetzgebungsverfahrens befindet,6 will der Unionsgesetzgeber einen umfassenden aufsichtsrechtlichen Rahmen für viele dieser Kryptowerte schaffen.

Bereits Ende Mai 2022 ist mit der Pilotregelung ein weiterer wichtiger Teil des Finanzpakets verabschiedet worden. Anders als die MiCAR betrifft die Pilotregelung jene Kryptowerte, die traditionellen Finanzinstrumenten nachgebildet sind und daher oft als „security tokens“ bezeichnet werden. Dazu gehören etwa tokens, die ähnlich wie Anleihen oder Genussscheine Zinsen oder Gewinnbeteiligungen versprechen. Aber auch tokenisierte Aktien oder Investmentzertifikate würden darunterfallen. Das Problem bei diesen Kryptowerten liegt gerade umgekehrt darin, dass die Bestimmungen des geltenden Finanzmarktrechts zur Anwendung kommen, diese aber nicht auf die DLT und Kryptowerte zugeschnitten sind. Das geltende Finanzmarktrecht ist zwar weitgehend technologieneutral formuliert, enthält aber Regelungen, die den Einsatz der DLT im Bereich der Finanzinstrumente behindern. Hürden bestehen vor allem für den organisierten Handel solcher Kryptowerte, weshalb ein entwickelter Sekundärmarkt derzeit noch fehlt.7 Damit geht aber zugleich der wichtigste Vorteil von Kryptowerten verloren. Diese Probleme will der Unionsgesetzgeber mit der Pilotregelung in Angriff nehmen. II.Hintergrund 1.Allgemeines Die Regelungen der Pilotregelung werden erst vor dem Hintergrund der derzeitigen Struktur des Handels mit Finanzinstrumenten und dem Unterschied zu DLT-Systemen verständlich. Neben den Handelsplätzen spielt dabei vor allem die Wertpapierabwicklung, dh die Übertragung bzw Lieferung von Wertpapieren, eine entscheidende Rolle.

* Florian Ebner, LL.M. (WU) ist Universitätsassistent am Institut für Unternehmensrecht der Wirtschaftsuniversität Wien. 1 Verordnung (EU) 2022/858 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30.5.2022 über eine Pilotregelung für auf Distributed-Ledger-Technologie basierende

Marktinfrastrukturen und zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr600/2014 und (EU) Nr909/2014 sowie der Richtlinie 2014/65/EU, ABl L 151 vom 2.6.2022, S1. 2 Siehe https://ec.europa.eu/info/publications/200924-digital-finance-proposals_en. 3 Teile des Beitrags gehen auf eine am Institut für Europarecht und Internationales

Recht der Wirtschaftsuniversität Wien verfasste Seminararbeit zurück. 4 Voraussetzung ist die privat- und gesellschaftsrechtliche Zulässigkeit der digitalen

Begebung des jeweiligen Werts. Die Möglichkeiten dafür sind in der EU derzeit je nach Mitgliedstaat sehr unterschiedlich. 5 KOM (2020) 593 endg, online abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/

DE/TXT/?uri=CELEX%3A52020PC0593. 6 Die Letztfassung, auf die sich die Institutionen informell geeinigt haben, ist online abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/PDF/?uri=CONSIL:ST_ 13198_2022_INIT&from=EN. 2.Entmaterialisierung und mediatisierte Wertpapierverwahrung und Abwicklung Gegenstand des Kapitalmarkts sind meist Bündel ökonomischer und rechtlicher Ansprüche, die auf schuldrechtlichen oder gesellschaftsrechtlichen Vereinbarungen beruhen.8

7 Vgl Erwägungsgrund 4 der Pilotregelung. 8 Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht2 (2015) §1 Rz2f.

Sollen diese Kapitalgüter nicht nur auf dem Primärmarkt angeboten, sondern in organisierter Form auf dem Sekundärmarkt gehandelt werden, müssen entsprechende Vorkehrungen für eine einfache Handelbarkeit getroffen werden.

Da die Übertragung unkörperlicher Rechte mit zahlreichen Unsicherheiten behaftet ist,9 setzt dies zunächst voraus, dass die Rechte aus zivil- bzw wertpapierrechtlicher Sicht umlauffähig gemacht werden.10 In Österreich wird die Umlauffähigkeit von Rechten traditionell durch die Verbriefung in Inhaber- und Orderpapieren erreicht.11 Als Verkehrspapiere entfalten sie nicht nur Legitimations-, Liberations-, und Sperrfunktion, sondern ermöglichen auch einen weitgehenden Verkehrsschutz. In Verkehrspapieren verbriefte Rechte werden nicht durch Zession, sondern nach sachenrechtlichen Grundsätzen übertragen.12

Der Handel am modernen Kapitalmarkt setzt aber auch eine entsprechend leistungsfähige Marktinfrastruktur voraus. Die Verbriefung in physischen Urkunden und deren körperliche Übergabe ist zwar eine taugliche Lösung zur Steigerung der Verkehrsfähigkeit von Rechten, sie stößt aber bei massenweise emittierten und gehandelten Kapitalmarktpapieren (Effekten) schnell an ihre Grenzen.13 Der Effektenverkehr hat sich daher über die Jahre von der Wertpapierurkunde gelöst und eine weitgehende Entmaterialisierung vollzogen.14 Während die wertpapierrechtlichen Wirkungen der Verkehrspapiere nach hA erhalten bleiben,15 werden Effekten (wie Aktien, Anleihen oder Investmentzertifikate) nicht mehr durch Übergabe von Urkunden, sondern im Rahmen des Effektengiroverkehrs durch Buchungen übertragen.

Die Marktrealität hat hierfür ein System der mediatisierten Wertpapierverwahrung hervorgebracht, bei dem Finanzintermediäre Aufzeichnungen über die Berechtigungen der Anleger führen. Die Wertpapierurkunden werden dafür bei einer zentralen Stelle (Wertpapiersammelbank bzw Zentralverwahrer) hinterlegt und dauerhaft immobilisiert. Die Anteile werden dann von der Wertpapiersammelbank buchmäßig erfasst und den angeschlossenen Finanzintermediären (meist Depotbanken) auf Depotkonten gutgeschrieben. Die Depotbanken führen ihrerseits Aufzeichnungen über die Berechtigungen der Anleger, die bei ihnen ein Depot eröffnen. Dadurch entsteht eine mehrstufige, pyramidenförmige Verwahrstruktur, in der jeder Intermediär elektronische Aufzeichnungen über die für seine Kunden gehaltenen Wertpapiere führt.16 Sofern dies wertpapierrechtlich vorgesehen ist, können Effekten alternativ zur Immobilisierung physischer Urkunden auch von Anfang an entmaterialisiert begeben und bei der Wertpapiersammelbank eingebucht werden.17 In Österreich ermöglicht das in begrenztem Umfang18 seit März 2021 die digitale Sammelurkunde (§1 Abs4 DepotG).19

Die mediatisierte Wertpapierverwahrung ist in Österreich längst zum Regelfall geworden und vielfach sogar gesetzlich verpflichtend. So müssen etwa Inhaberaktien (§10 Abs2 AktG) oder auf den Inhaber lautende Investmentzertifikate (§46 Abs1 InvFG 2011) zwingend in Verwahrung gegeben werden.20 Bei der mediatisierten Wertpapierverwahrung handelt es sich aber nicht nur um ein österreichisches, sondern um ein globales Phänomen.21

9 Aicher/F. Schuhmacher in Krejci, Unternehmensrecht5 (2013) 541. 10 Dies gilt ua für Mitgliedschaftsrechte, Anteile an Investmentfonds und Anleiheforderungen. Anders organisiert ist der Handel mit bestimmten Finanzderivaten (zB unverbriefte Optionen, Futures und Swaps), weil dabei keine Rechte übertragen, sondern jeweils neue Verpflichtungen zwischen den Handelspartnern eingegangen werden; vgl Lehmann, Finanzinstrumente (2009) 313. 11 F. Ebner/Kalss, Die digitale Sammelurkunde – ein erster Schritt zur vollständigen

Digitalisierung des österreichischen Wertpapierrechts, GesRZ2020, 369. 12 Keinert, Handbuch des Wertpapierrechts I (2014) Rz30ff. 13 Vgl zum paperwork crunch in den USA in den späten 1960er-Jahren S. Schwarz,

Globaler Effektenhandel (2016) 29; Segna, Bucheffekten (2018) 18; zum heutigen

Handelsvolumen S. Schwarz, Globaler Effektenhandel, 2. 14 Dazu monografisch Micheler, Wertpapierrecht zwischen Schuld- und Sachenrecht (2004); in Deutschland Einsele, Wertpapierrecht als Schuldrecht (1995); Lehmann,

Finanzinstrumente; Segna, Bucheffekten; siehe auch bereits F. Ebner/Kalss, GesRZ2020, 370. 15 Aicher/F. Schuhmacher in Krejci, Unternehmensrecht5, 654f. 16 S. Schwarz, Globaler Effektenhandel, 6 und 30ff. 17 Vgl etwa Erwägungsgrund 11 und Art3 Abs1 der CSDR (siehe FN 24). 18 Siehe Pkt IV.4. 19 Siehe dazu F. Ebner/Kalss, GesRZ2020, 375ff; dies, Die österreichische digitale

Sammelurkunde, RDi 2022, 108. 20 Näher F. Ebner/Kalss, GesRZ2020, 370. 21 S. Schwarz, Globaler Effektenhandel, 61. Diese Entwicklung ist sogar in jenen

Rechtsordnungen zu beobachten, in denen eine physische Verbriefung zur Herstellung der Umlauffähigkeit nicht erforderlich ist und das Papier dem massenweisen

Handel eigentlich nicht entgegensteht; vgl Micheler/von der Heyde, Holding, clearing and settling securities through blockchain/distributed ledger technology: creating an efficient system by empowering investors, Journal of International Banking &

Financial Law 2016, 652 (655). 22 Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.5.2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU, ABl L 173 vom 12.6.2014, S349. 23 Vgl Art53 MiFID II; §75 Abs2 Z1 litb iVm §§28 und 29 BörseG 2018. 24 Verordnung (EU) Nr909/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.7.2014 zur Verbesserung der Wertpapierlieferungen und -abrechnungen in der

Europäischen Union und über Zentralverwahrer sowie zur Änderung der Richtlinien 98/26/EG und 2014/65/EU und der Verordnung (EU) Nr236/2012, ABl L 257 vom 28.8.2014, S1. 25 Vgl Art4 Abs1 Z44 MiFID II. Dabei handelt es sich um eine wichtige Kategorie von Finanzinstrumenten. 26 Näher F. Ebner/Kalss, GesRZ2020, 371 FN 39. 27 Vgl Art2 Abs1 Z19 CSDR iVm Art2 litf der Finalitätsrichtlinie (siehe FN 103).

3.Regulierung durch das geltende Finanz- und Kapitalmarktrecht Aufgrund ihrer Relevanz für den Finanzmarkt sind Marktinfrastrukturen mittlerweile Gegenstand detaillierter Regelungen des europäischen Kapital- und Finanzmarktrechts. Das betrifft sowohl die Handels- als auch die Nachhandelsphase.

Die Betreiber von Handelsplätzen (geregelte Märkte, multilaterale Handelssysteme [MTF] und organisierte Handelssystemen [OTF]), an denen die Geschäfte abgeschlossen werden, unterliegen den umfangreichen Bestimmungen der MiFID II.22 Diese sehen ua vor, dass nur bestimmte Mitglieder oder Teilnehmer (idR Wertpapierfirmen und Kreditinstitute) zur Handelsteilnahme zugelassen werden.23 Für die Wertpapierabwicklung gilt die CSDR,24 die umfassende Vorgaben für Zentralverwahrer und die von ihnen betriebenen Wertpapierliefer- und Abrechnungssysteme (englisch: securities settlement systems – SSS) macht. Von besonderer Bedeutung ist dabei Art3 CSDR: Die Bestimmung sieht vor, dass übertragbare Wertpapiere,25 die an einem Handelsplatz iSd MiFID II gehandelt werden, für die Abwicklung der dort getätigten Transaktionen zwingend bei einem Zentralverwahrer in den Effektengiroverkehr einzubuchen sind.26 Dieser darf wiederum – entsprechend der unter Pkt II.2. geschilderten Praxis –nur bestimmten Teilnehmern (insb Depotbanken) Zugang zu seinem Abwicklungssystem gewähren.27 Die Nutzung des Effektengiroverkehrs als mediatisiertes Verwahrsystem ist damit für den organisierten Handel übertragbarer Wertpapiere unionsrechtlich verpflichtend vorgeschrieben.

Der börsemäßige Handel von Kapitalmarkttiteln erfolgt daher derzeit idR in drei Schritten:  Trading: Das Handelsgeschäft wird über einen Handelsplatz, der von einem lizensierten Betreiber betrieben wird, abgeschlossen. Die Übermittlung und Ausführung der Handelsaufträge erfolgt indirekt über die zugelassenen Handelsteilnehmer.27a  Clearing:. 28 Die Geschäfte werden abgerechnet und zur

Erfüllung vorbereitet. Gegebenenfalls werden die aus

Handelsgeschäften entstandenen Positionen gegengerechnet (sog netting) und gegen Risiken abgesichert. Dazu kann eine zentrale Gegenpartei eingeschaltet werden.  Settlement: Die Kapitalmarktpapiere werden (Zug um

Zug gegen Bezahlung) durch Buchungen im Effektengiroverkehr unter Einschaltung von Zentralverwahrer und Depotbanken geliefert.29 Trading und settlement werden also von unterschiedlichen regulierten Marktinfrastrukturen durchgeführt, wobei jeweils weitere Intermediäre zwischen Anleger und Marktinfrastruktur treten. Eine Abwicklung übertragbarer Wertpapiere ohne Einschaltung von Zentralverwahrer und Depotbanken ist unionsrechtlich nur möglich, wenn das Geschäft außerhalb regulierter Handelsplätze (zB bilateral oder über ein sog bulletin board, an dem Kauf- und Verkaufsinteressen nur bekannt gemacht werden) abgeschlossen wird.

4.Kryptowerte und Einsatz der DLT für Finanzinstrumente Kryptowerte werden nicht im Rahmen des Effektengiroverkehrs, sondern über DLT-Systeme übertragen. Diese Systeme gewährleisten, dass die digitalen Werte eindeutig zuordenbar und nicht duplizierbar sind, nur der jeweilige Inhaber über die Werte verfügen kann und Transaktionen nachvollziehbar und unveränderlich gespeichert werden.30 Sie sind dadurch gut geeignet, die ursprünglichen Funktionen der Wertpapierurkunde zu ersetzen und einen einfachen Handel unkörperlicher Werte zu ermöglichen.31 Anders als bei mediatisierten Verwahrsystemen erfolgen Transaktionen jedoch grundsätzlich peer to peer, dh im Idealfall ganz ohne Zwischenschaltung vertrauenswürdiger Intermediäre. Die Berechnungen der jeweiligen Inhaber werden nicht in zentralen Datenbanken bei Finanzintermediären, sondern in einer gemeinsamen dezentralen Transaktionsdatenbank gespeichert, deren Integrität durch ausgeklügelte Konsensmechanismen32 sichergestellt wird. Mithilfe von smart contracts. 33 ist es außerdem möglich, Handelssysteme zu programmieren, die direkt auf dem DLTSystem aufbauen.

Der Einsatz der DLT im Bereich der Finanzinstrumente könnte einige potenzielle Vorteile bringen:34 Der wichtigste Aspekt ist, dass die Zahl der beteiligten (und potenziell kostenverursachenden) Intermediäre zumindest deutlich reduziert werden könnte.35 Bei mediatisierten Verwahrsystemen ist außerdem ein ständiger Abgleich des Buchungsstands zwischen den Datenbanken der Intermediäre notwendig, der Kosten und Fehler verursachen kann.36 Die Verwendung eines DLT-Systems als einheitliche Infrastruktur könnte – zumindest bei ausreichender Standardisierung – eine vollautomatische Abwicklung von Effektentransaktionen (sog straight-trough processing)37 ermöglichen.38 Das bietet zugleich die Chance, trading, clearing und settlement zu einem automatisierten Prozess zu verbinden, der (nahezu) in Echtzeit abläuft und dadurch Ausfallsrisiken reduziert.39 Insgesamt erhofft man sich durch den Einsatz der DLT eine deutliche Vereinfachung des Wertpapierhandels, Effizienzgewinne und Kostenersparnisse.40 Die einfachere Übertragung und die Verringerung der Transaktionskosten kann außerdem dazu führen, dass kleinere Unternehmen besseren Zugang zum Kapitalmarkt erhalten.

Mit ihrem dezentralen Ansatz und dem weitgehenden Verzicht auf Intermediäre bricht die DLT allerdings mit den unter Pkt II.3. erläuterten Regelungskonzepten des geltenden Finanzmarktrechts. Ungeachtet der technologieneutralen Formulierung bestehen daher erhebliche Hürden für den Einsatz der DLT beim Handel und bei der Abwicklung von Finanzinstrumenten.

5.Technologische Innovationen als Herausforderung für das Aufsichtsrecht Die schwierige Vereinbarkeit mit geltendem Aufsichtsrecht betrifft nicht allein die DLT, sondern ist ein verallgemeinerungsfähiges Phänomen, das insb am Finanzsektor zutage tritt.41 In den vergangenen Jahren waren zahlreiche Innovationen und innovative Dienstleister mit starkem Technologiebezug zu beobachten, was mit dem Schlagwort „FinTech“. 42 beschrieben wird. Diese Innovationen sollen einerseits gefördert werden, andererseits ist das geltende Finanzmarktrecht oft nicht uneingeschränkt mit den Innovationen kompatibel oder nicht ausreichend dafür gerüstet, damit einhergehende Risiken zu adressieren.43

Zahlreiche Mitgliedstaaten haben daher unterschiedliche Instrumente auf nationaler Ebene implementiert, um Finanzinnovationen zu erleichtern und Erkenntnisse über damit

27a Diese führen Handelsaufträge idR als Kommissionär im eigenen Namen auf fremde

Rechnung aus; vgl Z 63 ABB. 28 Zur Mehrdeutigkeit des Begriffs Segna, Bucheffekten, 66ff. 29 Siehe bereits Litten, Mit dem DLT-Piloten in die Zukunft des digitalen Kapitalmarktaufsichtsrechts, BKR 2022, 551 (553); näher zu den einzelnen Phasen

S.Schwarz, Globaler Effektenhandel, 89ff; Segna, Bucheffekten, 65ff. 30 F. Ebner/Kalss, GesRZ2020, 372. 31 Subhash/Knobl, Die Schaffung und Übertragung von Wertrechten via Blockchain-

Technologie, WBl 2019, 612 (613f); F. Ebner/Kalss, GesRZ2020, 372. 32 Zu den verschiedenen Arten von DLT-Systemen siehe Pkt IV.2. 33 Dabei handelt es sich um Programmcode, der auf dem DLT-System dezentral ausgeführt wird. 34 Dazu näher Pinna/Ruttenberg, Distributed ledger technologies in securities posttrading (2016), online abrufbar unter https://www.ecb.europa.eu/pub/pdf/scpops/ ecbop172.en.pdf; Benos/Garratt/Gurrola-Perez, The Economics of Distributed Ledger 34 Technology for Securities Settlement, Ledger 2019, 121; Priem, Distributed ledger technology for securities clearing and settlement: benefits, risks, and regulatory implications, Financial Innovation Vol 6, Article number11 (2020). 35 Litten, BKR 2022, 555. 36 Pinna/Ruttenberg, Distributed ledger technologies, 6 und 19f; Benos/Garratt/

Gurrola-Perez, Ledger 2019, 124; Priem, Financial Innovation Vol 6, Article number11 (2020), 9f. Teuer und fehleranfällig ist der Abgleich vor allem dann, wenn die

Systeme nicht standardisiert sind. Innerhalb der EU hat das TARGET2-Securities-

System bereits große Verbesserungen gebracht. 37 Siehe dazu S. Schwarz, Globaler Effektenhandel, 158f; Segna, Bucheffekten, 119. 38 Vgl Pinna/Ruttenberg, Distributed ledger technologies, 4. 39 Vgl Pinna/Ruttenberg, Distributed ledger technologies, 26, nach denen sofortiges settlement technisch zwar auch durch zentralisierte Systeme erreichbar wäre, aufgrund der abgeschlossenen Systeme der einzelnen Verwahrer aber derzeit nicht praktikabel ist. 40 Vgl Benos/Garratt/Gurrola-Perez, Ledger 2019, 121; Priem, Financial Innovation

Vol 6, Article number11 (2020), 1ff. 41 Krönke, Regulatory Sandboxes aus der Perspektive des Allgemeinen Verwaltungsrechts, ÖZW 2020, 108 (109); Ringe/Ruof, Regulating Fintech in the EU: the Case for a

Guided Sandbox, European Journal of Risk Regulation (EJRR) 2020, 604 (606f). 42 Verwendet als Abkürzung sowohl für technologische Innovationen als auch für die neuen Dienstleister. 43 Ringe/Ruof, EJRR 2020, 604f.

verbundene Risiken zu gewinnen. Nach einer gemeinsamen Studie der europäischen Finanzaufsichtsbehörden44 lassen sich dabei zwei Hauptkategorien unterscheiden:  Behördlich eingerichtete innovation hubs bieten eine einheitliche Anlaufstelle für FinTech-bezogene Anfragen und zielen darauf ab, den Marktteilnehmern unverbindliche Auskünfte und Hilfestellung zu aufsichtsrechtlichen

Fragen und Erwartungen zu geben.45 In Österreich ist mit der Kontaktstelle FinTech der FMA bereits seit 2016 ein innovation hub eingerichtet.46  Regulatory sandboxes erlauben Marktteilnehmern, innovative Geschäftsmodelle unter engmaschiger Aufsicht und mit Hilfestellung der Aufsichtsbehörden auf dem

Markt zu testen.47 Ein solcher regulatorischer Sandkasten kann, muss aber keine Ausnahmen und Erleichterungen von bestehenden aufsichtsrechtlichen Regelungen enthalten.48 In Österreich ist seit 1.9.2020 eine regulatory sandbox bei der FMA eingerichtet,49 die keine Ausnahmen von regulatorischen Anforderungen vorsieht.50 Zwar haben sich diese Instrumente zur Innovationsförderung in verschiedenen Mitgliedstaaten bereits bewährt, naturgemäß können mitgliedsstaatlich eingerichtete regulatory sandboxes aber keine Ausnahmen oder Änderungen unionsrechtlicher Vorgaben vorsehen. Erleichterungen sind im Rahmen der Proportionalität und Verhältnismäßigkeit nur dort möglich, wo ein entsprechender Ermessensspielraum verbleibt.51 Im Falle der DLT ist es jedoch gerade (unmittelbar anwendbares) Unionsrecht, das dem Einsatz der Technologie für den Handel und die Abwicklung von Finanzinstrumenten entgegensteht. Bereits in ihrem FinTech-Aktionsplan 201852 deutete die Europäische Kommission daher an, dass auch auf EU-Ebene entsprechende Instrumente zur Innovationsförderung eingerichtet werden könnten.53

III.Die Pilotregelung im Überblick 1.Allgemeines Vor dem geschilderten Hintergrund soll die neue Pilotregelung den Weg für einen Einsatz der DLT im Bereich der Finanzinstrumente ebnen. Die unmittelbar anwendbare Verordnung geht auf einen Entwurf der Europäischen Kommission54 zurück, der im Gesetzgebungsverfahren55 nicht grundlegend, aber doch in wesentlichen Aspekten noch abgeändert wurde. Ab 23.3.2023 ist die Pilotregelung vollständig anwendbar (Art19 Abs2 der Pilotregelung). Ab diesem Zeitpunkt können auch die besonderen Genehmigungen für den Betrieb einer DLT-Marktinfrastruktur formal beantragt werden. Bis dahin wird die ESMA noch Leitlinien für Formulare, Standardformate und Mustertexte für den Antrag ausarbeiten (Art8 Abs5, Art9 Abs5 und Art10 Abs6 der Pilotregelung). Eine erste Konsultation der ESMA zur Anpassungsbedürftigkeit technischer Regulierungsstandards, die auf Grundlage der MiFIR56 erlassen wurden, ist bereits abgeschlossen.57 Darüber hinaus dürften sich ESMA und Europäische Kommission wohl noch vor März 2023 zu einigen Fragen, die von Stakeholdern gestellt wurden, äußern.58

2.Ziele der Pilotregelung Die Pilotregelung zielt insgesamt darauf ab, den Einsatz der DLT im regulierten Bereich der Finanzinstrumente zu fördern. Die konkreten Regelungsziele sind aber durchaus mehrschichtig.

Bereits im FinTech-Aktionsplan 2018 der Europäischen Kommission und im Digital Finance Package59 finden sich jeweils etwas unterschiedlich konnotierte Bemerkungen zu den Zielen. Besonders instruktiv sind die Erläuterungen der Europäischen Kommission zur Pilotregelung60 und die zuvor durchgeführte Folgenabschätzung:61 Daraus geht hervor, dass die Pilotregelung vor allem einen Lernprozess der Marktteilnehmer, Aufsichtsbehörden und des Gesetzgebers ermöglichen soll. Aufgrund der bestehenden Hindernisse im Finanzund Kapitalmarktrecht mangelt es nämlich derzeit noch an Marktinfrastrukturen für Finanzinstrumente, die DLTSysteme einsetzen. Dadurch fehlt aber nach Einschätzung der Europäischen Kommission wiederum die nötige Erfahrung mit der Technologie, um alle rechtlichen Hürden und auch die mit der Technologie verbundenen Risiken richtig zu identifizieren und zu adressieren. Diesen Teufelskreis soll die Pilotregelung durchbrechen und gleichzeitig den Verbraucherund Anlegerschutz, die Marktintegrität und die Finanzstabilität sicherstellen.

Wesentliche permanente Änderungen, die den uneingeschränkten Einsatz von security tokens ermöglichen, hält der Unionsgesetzgeber dagegen aufgrund der fehlenden Erfahrung und technologiebezogenen Risiken noch für verfrüht.62 Das ist verständlich, da sich die ganze Diskussion auf sehr heiklem Terrain bewegt: Vor allem Zentralverwahrer und die von ihnen betriebenen Wertpapierliefer- und Abrechnungssysteme werden als systemrelevant eingestuft.63

44 JC 2018 74, online abrufbar unter https://www.esma.europa.eu/sites/default/files/ library/jc_2018_74_joint_report_on_regulatory_sandboxes_and_innovation_hubs.pdf. 45 JC 2018 74, S5. 46 Vgl die Website der Kontaktstelle FinTech, https://www.fma.gv.at/kontaktstellefintech-sandbox/fintechnavigator/kontaktstelle-fintech. 47 Vgl JC 2018 74, S5; Krönke, ÖZW 2020, 109; Ringe/Ruof, EJRR 2020, 606ff. 48 JC 2018 74, S5. 49 Siehe https://www.fma.gv.at/kontaktstelle-fintech-sandbox/fma-sandbox; dazu ausführlich Krönke, ÖZW 2020, 108ff; Caramanica/Raschner, Zur Einrichtung einer

Regulatory Sandbox für FinTechs im österreichischen und europäischen Aufsichtsrecht, WBl 2019, 492; Fleischmann, Financial Innovation Made in Austria – die österreichische Regulatory Sandbox, ZFR 2021, 13; Potacs/Kircher, „Regulatory

Sandbox“ in der Finanzmarktaufsicht, RdW 2021, 8. 50 Caramanica/Raschner, WBl 2019, 492; Fleischmann, ZFR 2021, 14. 51 Vgl KOM (2018) 109 endg, S10 (siehe FN 52); Potacs/Kircher, RdW 2021, 10. 52 KOM (2018) 109 endg, online abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/resource.html ?uri=cellar:6793c578-22e6-11e8-ac73-01aa75ed71a1.0003.02/DOC_1&format=PDF. 53 KOM (2018) 109 endg, S10. 54 KOM (2020) 594 endg, online abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legalcontent/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52020PC0594&from=SV. 55 2020/0267/COD. 56 Verordnung (EU) Nr600/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.5.2014 über Märkte für Finanzinstrumente und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr648/2012, ABl L 173 vom 12.6.2014, S84. 57 Vgl Erwägungsgrund 54 der Pilotregelung; ESMA70-460-111, online abrufbar unter https://www.esma.europa.eu/sites/default/files/library/esma70-460-111_report_on_ the_dlt_pilot_regime.pdf. 58 Vgl ESMA70-460-111, S6 aE. Im Bericht wird an mehreren Stellen darauf hingewiesen, dass die ESMA Klarstellungen durch die Europäische Kommission erbeten hat. Die Fragen betreffen nicht nur technische Regulierungsstandards nach der

MiFIR, sondern auch allgemein relevante Belange. 59 Siehe neben FN 2 auch KOM (2020) 591 endg, online abrufbar unter https://eurlex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52020DC0591&from=EN. 60 Vgl KOM (2020) 594 endg, S1ff; siehe auch https://ec.europa.eu/info/sites/default/ files/business_economy_euro/banking_and_finance/200924-presentation-proposalmarket-infrastructures-pilot-regime_en.pdf. 61 SWD (2020) 201 final, online abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/

EN/TXT/HTML/?uri=CELEX:52020SC0201&from=EN. 62 Erwägungsgründe 4 und 6 der Pilotregelung. 63 Freudenthaler/Hruby, Die Zentralverwahrer-VO, ecolex 2014, 1023; CPSS-IOSCO,

Principles for Financial Market Infrastructures (2012) 12.

Eine pauschale Ausnahme von Art3 CSDR, damit security tokens ohne weitere Voraussetzungen auch auf regulierten Handelsplätzen gelistet werden können, würde zugleich eine Generalausnahme von der CSDR und ihren Schutzmechanismen bedeuten. Wie viele der heute für Finanzinstrumente geltenden Regelungen ist die CSDR aber vor dem Hintergrund der letzten Finanzkrise zu sehen und soll vergleichbaren Krisenszenarien entgegenwirken.64 Selbst wenn die Abwicklung von security tokens potenziell ganz ohne Einbindung von Intermediären möglich wäre, ist daher eine umsichtige Vorgehensweise geboten. Bedauerlich ist allerdings, dass die Erprobung von DLT-Systemen als eigenständige Alternative zur regulierten Wertpapierabwicklung auch unter der engmaschigen Beaufsichtigung innerhalb der Pilotregelung – im Gegensatz zum Kommissionsentwurf65 – nicht mehr vorgesehen ist.66 Als Konsequenz sind die Anforderungen an Marktinfrastrukturen, die Handels- und Nachhandelstätigkeiten kombinieren, deutlich gestiegen.67

Aus den Erwägungsgründen der Pilotregelung leuchten damit noch vier konkrete Regelungsanliegen in Bezug auf die DLT hervor:  Aufgrund der potenziellen Effizienzgewinne soll allgemein der Einsatz der DLT beim Handel und bei der Abwicklung von Finanzinstrumenten ermöglicht werden.68  Die Pilotregelung soll aufgrund der potenziellen Vorteile die Bildung eines funktionierenden Sekundärmarkts für security tokens (bzw Kryptowerte, die als Finanzinstrumente einzuordnen sind) fördern.69  Der Einsatz der DLT könnte zu einer Konvergenz der Handels- und Nachhandelsphase führen. Die Pilotregelung soll die Kombination von Handels- und Nachhandelstätigkeiten (durch eine eigene Marktinfrastruktur) erlauben.70  Neben der Förderung von Innovationen und der Ermöglichung eines Lernprozesses geht aus den Erwägungsgründen und Regelungen schließlich auch konkret hervor, dass Maßnahmen iSd Verbraucher- und Anlegerschutzes, der Finanzmarktstabilität und der Transparenz ein zentrales Regelungsanliegen der Pilotregelung sind.71

3.Die Pilotregelung als unionsrechtliche Sandbox Um all diese Ziele erreichen oder zumindest verfolgen zu können, hat sich die Europäische Kommission für eine zeitlich befristete Testumgebung entschieden. Diese wird von einigen nicht legislativen Maßnahmen sowie von kleineren permanenten Änderungen im Unionsrecht begleitet.72 Obwohl weder die Pilotregelung noch die Erwägungsgründe den Begriff verwenden, handelt es sich nach dem Regelungskonzept klar um eine regulatory sandbox, die dafür typische Merkmale73 aufweist:73a

Der Anwendungsbereich der Pilotregelung wird entsprechend einer sandbox in zeitlicher74 und sachlicher Hinsicht75 beschränkt. Zur Innovationsförderung können die Teilnehmer der sandbox Ausnahmen von bestimmten Anforderungen des geltenden Aufsichtsrechts beantragen, die den Einsatz der DLT behindern können.76 Als Ausgleich und zum Schutz der Anleger, der Verbraucher und der Marktintegrität haben die Teilnehmer zusätzliche Anforderungen zu erfüllen.77 Zur Überwachung der Tätigkeit und um einen Lernprozess zu ermöglichen, ist außerdem eine enge Kooperation zwischen den Teilnehmern, den nationalen Aufsichtsbehörden und der ESMA vorgesehen.78

Die entscheidende Neuheit liegt darin, dass die Pilotregelung eine unionsrechtlich eingerichtete sandbox ist.79 Daraus ergibt sich ua die Besonderheit, dass einerseits die nationalen Behörden zuständig sind, andererseits aber auch der ESMA wichtige Kompetenzen zukommen.80 Während sich die Innovationsförderung bei der sandbox der FMA ausschließlich aus der Begleitung durch die Behörde ergibt,81 sieht die Pilotregelung außerdem echte Ausnahmebestimmungen vor. Darüber hinaus gibt es noch einen weiteren interessanten Unterschied: Viele regulatory sandboxes stehen aufgrund der limitierten Ressourcen der Aufsichtsbehörden nur einer bestimmte Anzahl an besonders förderungswürdigen Marktteilnehmern offen.82 Die sandbox der FMA sieht wohl aus diesem Grund mit dem Verweis auf das volkswirtschaftliche Interesse einen Maßstab für die Verteilung knapper Ressourcen vor. Die Auswahl der Teilnehmer erfolgt durch die FMA auf Basis der Stellungnahme eines Beirats (§23a Abs3 FMABG). Eine besondere Genehmigung nach der Pilotregelung muss dagegen wohl jedem Marktteilnehmer erteilt werden, der die Voraussetzungen erfüllt.82a Praktisch dürfte es allerdings nicht zu Ressourcenproblemen kommen, weil die Eintrittshürde aufgrund der erforderlichen Lizenzen eher hoch angesetzt ist.83

Hinzuweisen ist schließlich darauf, dass sich die Pilotregelung als optionale Erleichterung für den Testbetrieb von DLT-Marktinfrastrukturen versteht. Betreiber traditioneller Marktinfrastrukturen können auch außerhalb der Pilotregelung DLT-Systeme für ihre Tätigkeiten einsetzen, sofern sie alle aufsichtsrechtlichen Anforderungen erfüllen.84 Ausnahmen können in diesem Fall freilich nicht beantragt werden.

4.Zeitlicher Rahmen der Pilotregelung ISd Technologieneutralität sind grundsätzlich einheitliche Regelungen für alle Marktinfrastrukturen geboten. Um die Entstehung paralleler Rechtsrahmen für traditionelle Markt-

64 Segna, Bucheffekten, 108. 65 Vgl KOM (2020) 594 endg, Erwägungsgrund 9, wo davon gesprochen wird, dass

DLT-Systeme möglicherweise „als dezentrale Version eines .,. Zentralverwahrers verwendet werden“ könnten. 66 Mit kritischem Tenor zur Überintermediation auch H. Weiss, Intermediärs- und

Innovationsverständnis von DLT-Finanzinstrumenten am Beispiel des DLT Pilot

Regimes, RDi 2022, 196 (198f). 67 Siehe Pkt III.6. 68 Vgl Erwägungsgründe 4 und 6 der Pilotregelung. 69 Vgl Erwägungsgründe 4 und 7 der Pilotregelung. Noch viel deutlicher KOM (2020) 594 endg, Erwägungsgrund 3, wo hervorgehoben wird, dass sich diese Instrumente ohne einen funktionierenden Sekundärmarkt nicht nachhaltig entwickeln können. 70 Erwägungsgrund 14 der Pilotregelung. 71 Vgl Erwägungsgrund 6 der Pilotregelung. 72 Vgl KOM (2020) 594 endg, S1ff. 73 Vgl Ringe/Ruof, EJRR 2020, 607ff; JC 2018 74, S16ff. 73a Siehe auch Krönke, Die Regulatory Sandbox – Maßanfertigung oder Multifunktionstool? ÖZW 2022, 3 (5). 74 Siehe Pkt III.4. 75 Siehe Pkt III.5. 76 Siehe Pkt III.7. 77 Siehe Pkt III.8. 78 Siehe Pkt III.9. 79 Zu diesem Ansatz allgemein Ringe/Ruof, EJRR 2020, 604ff. 80 Siehe Pkt III.9. 81 Caramanica/Raschner, WBl 2019, 492; Fleischmann, ZFR 2021, 14. 82 Krönke, ÖZW 2020, 116; ders, ÖZW 2022, 7 f. 82a Vgl Art 8 Abs 10, Art 9 Abs 10 und Art 10 Abs 10 der Pilotregelung. 83 Siehe Pkt III.6. 84 Erwägungsgrund 7 der Pilotregelung.

infrastrukturen und DLT-Marktinfrastrukturen zu verhindern, ist die Pilotregelung zeitlich befristet.85 Die Dauer der Befristung ist allerdings zugleich für interessierte Marktteilnehmer von entscheidender Bedeutung, weil diese unter Umständen erhebliche Investitionen tätigen müssen.

Besondere Genehmigungen und Ausnahmen nach der Pilotregelung können nur zeitlich befristet für eine Höchstdauer von sechs Jahren gewährt werden (Art8 Abs11, Art9 Abs11 und Art10 Abs11 der Pilotregelung). Für die Pilotregelung selbst ist außerdem Mitte 2026 eine Evaluierung vorgesehen. Auf Basis eines Berichts der ESMA und auf Empfehlung der Europäischen Kommission soll dann vom Europäischen Parlament und vom Rat entschieden werden, ob die Pilotregelung um einen weiteren Zeitraum von bis zu drei Jahren verlängert, ausgeweitet, angepasst, in ein unbefristetes Regime überführt oder beendet werden soll (Art14 Abs2 der Pilotregelung). Zusätzlich hat die ESMA jährliche Zwischenberichte zu veröffentlichen (Art15 der Pilotregelung).

Obwohl eine vorzeitige Beendigung der Pilotregelung unmittelbar nach der Evaluierung 2026 nicht explizit ausgeschlossen ist, geht die Pilotregelung mE erkennbar von einer ersten Geltungsperiode von sechs Jahren, dh bis März 2029, aus.86 Damit dürfte den Teilnehmern ein angemessener Zeitrahmen für die Erprobung ihrer Systeme zur Verfügung stehen. Zu beachten ist allerdings, dass im Falle einer Beendigung der Pilotregelung nach sechs Jahren auch die erteilten Genehmigungen erlöschen (Art14 Abs2 lite der Pilotregelung), obwohl für diese grundsätzlich eine Höchstdauer von sechs Jahren ab dem Ausstellungsdatum vorgesehen ist.87 Ein später Einstieg in die sandbox könnte daher von Nachteil sein, weil unter Umständen nicht mehr die vollen sechs Jahre zur Verfügung stehen.

5.Beschränkung auf bestimmte Finanzinstrumente und

Wertgrenzen Um experimentellen Spielraum zu gewähren, aber gleichzeitig den Anlegerschutz, die Marktintegrität und die Finanzmarktstabilität nicht zu gefährden, sieht die Pilotregelung Beschränkungen in sachlicher Hinsicht vor.88 Gehandelt und abgewickelt werden dürfen nach Art3 Abs1 der Pilotregelung drei Arten von Finanzinstrumenten:  Aktien von Emittenten, die eine (voraussichtliche) Marktkapitalisierung von 500Mio€ unterschreiten,  Anleihen und andere verbriefte Schuldtitel mit einem

Emissionsvolumen von weniger als 1Mrd€, wobei

Instrumente ausgeschlossen sind, die ein Derivat oder eine Struktur enthalten, die es dem Kunden erschwert, das mit ihnen verbundene Risiko zu verstehen, und  Anteile an Wertpapierfonds (OGAW) mit Ausnahme bestimmter strukturierter Fonds, wenn der Marktwert der verwalteten assets weniger als 500Mio€ beträgt. Die Beschränkung auf bestimmte Typen von Finanzinstrumenten schließt Produkte aus, die bereits aufgrund ihrer inhaltlichen Ausgestaltung komplex sind, und erinnert ein wenig an die missglückte und mittlerweile wieder beseitigte Beschränkung alternativer Finanzierungsinstrumente nach §2 Z2 AltFG idF BGBl I 2015/114.89 Im vorliegenden Kontext dürfte die Einschränkung weniger Probleme bereiten, weil dennoch ein praktisch sehr relevanter Teil von Finanzinstrumenten abgedeckt ist. Trotzdem ist fraglich, wie viel diese Beschränkung tatsächlich zum Anlegerschutz beitragen kann.

Zum Schutz der Finanzmarktstabilität darf darüber hinaus der Gesamtwert der bei einer DLT-Marktinfrastruktur registrierten Wertpapiere 6Mrd€ nicht überschreiten. Ist dieser Wert erreicht, dürfen keine neuen Finanzinstrumente zugelassen oder verbucht werden. Wird ein Wert von 9Mrd€ überschritten (was sich aufgrund der Marktentwicklung ergeben kann), muss die Marktinfrastruktur die bei der Antragstellung vorzulegende Übergangsstrategie aktivieren und Finanzinstrumente auf eine andere Marktinfrastruktur übertragen (Art3 Abs3 iVm 7 Abs7 der Pilotregelung).

Alle Wertgrenzen wurden im Vergleich zum Kommissionsentwurf noch einmal deutlich erhöht und sollten einigen Spielraum bieten. Nach Art3 Abs6 der Pilotregelung kann die zuständige Behörde (des Herkunftsmitgliedstaates) diese Grenzen im Einzelfall herabsetzen. Der ESMA kommt diesbezüglich allerdings eine Richtlinienkompetenz zu (Art8 Abs8 litb und Art9 Abs8 litb der Pilotregelung).

85 Erwägungsgrund 53 der Pilotregelung. 86 Vgl tendenziell Erwägungsgrund 48 sowie Art7 Abs10 der Pilotregelung, der ein

Wirksamwerden der Vereinbarungen, die im Rahmen der Übergangsstrategie zu treffen sind, erst nach fünf Jahren verlangt. 87 Vgl Art8 Abs11, Art9 Abs11 und Art10 Abs11 der Pilotregelung. 88 Erwägungsgrund 23 der Pilotregelung. 89 Dazu Palma, Alternative Finanzierung – Crowdfunding in Österreich (2019) 194. 90 Erwägungsgrund 7 der Pilotregelung. 91 Erwägungsgrund 13 der Pilotregelung. 92 Erwägungsgrund 18 der Pilotregelung. 93 Siehe Pkt III.7.

6.DLT-Marktinfrastrukturen und teilnahmeberechtigte

Marktteilnehmer Kernstück der Pilotregelung ist die Etablierung eines neuen Unionsstatus für DLT-Marktinfrastrukturen.90 Die Pilotregelung sieht drei Arten solcher Marktinfrastrukturen vor:

Multilaterale DLT-Handelssysteme (DLT-MTF) erlauben den Handel von DLT-Finanzinstrumenten (Art2 Z6 der Pilotregelung). Sie können von einer nach der MiFID II zugelassenen Wertpapierfirma oder dem Betreiber eines geregelten Markts betrieben werden.91 DLT-Abwicklungssysteme (DLTSS) ermöglichen die erstmalige Verbuchung, Abwicklung und Verwahrung von DLT-Finanzinstrumenten (Art2 Z7 der Pilotregelung). Sie werden von nach der CSDR zugelassenen Zentralverwahrern betrieben.92 Zusätzlich zur bereits vorhandenen Zulassung ist jeweils die Beantragung einer besonderen Genehmigung nach der Pilotregelung erforderlich (Art8 und 9 der Pilotregelung).

DLT-MTF und DLT-SS erleichtern aufgrund der verfügbaren Ausnahmen93 die Verwendung von DLT-Systemen. Sie halten aber grundsätzlich an der Einschaltung einer regulierten Abwicklungsinfrastruktur und an der Trennung zwischen Handels- und Nachhandelstätigkeiten fest. Um das volle Potenzial der DLT zu nutzen, war daher im Entwurf der Europäischen Kommission vorgesehen, dass Betreiber von DLTMTF eine Ausnahme von Art3 CSDR beantragen und Finanzinstrumente in den Handel einbeziehen können, die nicht bei einem Zentralverwahrer eingebucht sind, wenn sie

die Finanzinstrumente auf einem DLT-System verbuchen und bestimmte Mindestanforderungen erfüllen.94

Die finale Fassung sieht stattdessen für die Kombination von Handels- und Nachhandelstätigkeiten mit dem DLTHandels- und Abwicklungssystem (DLT-TSS) eine neue eigenständige Marktinfrastruktur vor. Die Pilotregelung ermöglicht auf diese Weise ebenfalls den Handel und die Abwicklung von DLT-Finanzinstrumenten unter Einschaltung lediglich eines Intermediärs und trägt dem Anliegen eines level-playing field besser Rechnung.95 Im Unterschied zum Kommissionsentwurf ist aber die Eintrittshürde deutlich höher: Eine Wertpapierfirma oder ein Marktbetreiber, der eine besondere Genehmigung für den Betrieb eines DLT-TSS beantragt, muss zusätzlich zu den Anforderungen der MiFID II auch die meisten Anforderungen der CSDR erfüllen, soweit nicht eine Ausnahme nach der Pilotregelung für bestimmte Bestimmungen beantragt wurde (Art6 Abs1 litb der Pilotregelung). Dasselbe gilt vice versa im Hinblick auf die Bestimmungen von MiFID II und MiFIR für Zentralverwahrer, die ein DLT-TSS betreiben wollen (Art6 Abs2 litb der Pilotregelung). An die Betreiber von DLT-TSS werden damit hohe Anforderungen gestellt. Angesichts der strengen Sicherheitsvorkehrungen und der engmaschigen Beaufsichtigung innerhalb der sandbox wäre ein etwas liberalerer Ansatz durchaus zu begrüßen gewesen.

Aufgrund der erforderlichen Zulassungen als Wertpapierfirma, Marktbetreiber oder Zentralverwahrer steht die sandbox – anders als sonst üblich – primär etablierten Marktteilnehmern offen. Die Zulassungserfordernisse sind wiederum vor dem Hintergrund zu sehen, dass es sich um streng regulierte und potenziell systemrelevante Bereiche handelt.96 Fraglich ist allerdings, ob diese Beschränkung im Rahmen einer sandbox sinnvoll ist, da Innovationen am Finanzmarkt häufig nicht von etablierten Marktteilnehmern, sondern von jungen Unternehmen ausgehen, die aufgrund ihrer fehlenden Erfahrung im regulierten Umfeld in besonderem Ausmaß von einer Sandbox-Lösung profitieren.97

Um auch neuen Marktteilnehmern Zugang zu gewähren, sieht die Pilotregelung daher für diese eine Erleichterung vor:98 Wird gleichzeitig mit der Zulassung als Wertpapierfirma, Marktbetreiber oder Zentralverwahrer eine besondere Genehmigung nach der Pilotregelung beantragt und soll ausschließlich eine DLT-Marktinfrastruktur betrieben werden, müssen jene Anforderungen, für die nach der Pilotregelung Ausnahmen beantragt werden, für die Zulassung nicht erfüllt werden (Art8 Abs2, Art9 Abs2 und Art10 Abs2 der Pilotregelung). Die Pilotregelung sieht also eine Art beschränkte Zulassung für DLT-Marktinfrastrukturen unter etwas niedrigeren Voraussetzungen vor. Da die möglichen Ausnahmen aber nur jene Bestimmungen betreffen, die dem Einsatz der DLT entgegenstehen könnten, hat die Erleichterung eher den Charakter eines beschleunigten Zulassungsverfahrens, das die Anforderungen nicht signifikant senkt. Der eigentliche Vorteil könnte in einer stärkeren Begleitung des Zulassungsverfahrens durch die Behörde liegen.

Vor diesem Hintergrund muss die Praxis erst zeigen, ob die Pilotregelung für die (österreichischen) Marktteilnehmer ausreichend attraktiv ist. Traditionelle Handelsplätze iSd MiFID II werden derzeit in Österreich nur von der Wiener Börse AG betrieben. Es gibt aber immerhin zahlreiche Wertpapierfirmen.99 Einziger österreichischer Zentralverwahrer ist die OeKB CSD GmbH.100

7.Wesentliche Ausnahmen für DLT-Marktinfrastrukturen Für alle drei DLT-Marktinfrastrukturen sieht die Pilotregelung Ausnahmen von bestehenden aufsichtsrechtlichen Anforderungen vor. Die Pilotregelung geht damit über den Ansatz vieler national eingerichteter regulatory sandboxes hinaus.101 Die Ausnahmen konzentrieren sich vor allem auf Bestimmungen der CSDR, welche die größte Hürde für den Einsatz der DLT darstellen; darüber hinaus sind auch einzelne Anforderungen der MiFID II und der MiFIR betroffen.

Die wesentliche Erleichterung für DLT-MTF besteht in der Ausnahme aus der Verpflichtung zur Mediatisierung, sodass unter bestimmten Voraussetzungen auch Endanleger direkt an das MTF angeschlossen werden können (Art4 Abs2 der Pilotregelung). Darüber hinaus kann eine Ausnahme von den Transparenzverpflichtungen nach Art26 MiFIR beantragt werden (Art4 Abs3 der Pilotregelung). Dahinter steht die Überlegung, dass die zuständigen Behörden über das DLT-System direkten Zugang zu den relevanten Informationen erhalten könnten und Meldungen dadurch überflüssig werden.102

Für DLT-SS sind in Art5 der Pilotregelung kleinteiligere Ausnahmen von bestimmten Anforderungen der CSDR vorgesehen, die hier nicht im Einzelnen erörtert werden können. Zu den Ausnahmen gehören ua bestimmte Konzepte der CSDR (zB jenes der Wertpapierkonten; Art5 Abs2 der Pilotregelung), die Auslagerung von Dienstleistungen (Art5 Abs4 der Pilotregelung), Anforderungen an das cash settlement (Barausgleich; Art5 Abs8 der Pilotregelung) und die Verpflichtung zur Meldung des Wertpapierabwicklungssystems nach der Finalitätsrichtlinie103 (Art5 Abs7 der Pilotregelung). Von zentraler Bedeutung ist, dass auch für DLT-SS eine Ausnahme von der verpflichtenden Zwischenschaltung von weiteren Verwahrern vorgesehen ist, sodass eine Reduktion von Intermediären ermöglicht wird und Endanleger direkten Zugang zur DLT-Marktinfrastruktur haben (Art5 Abs5 der Pilotregelung).

Betreiber von DLT-TSS profitieren von allen Ausnahmeregelungen für DLT-MTF und DLT-SS (Art6 Abs1 Unterabs 2 der Pilotregelung).

94 Vgl KOM (2020) 594 endg, Art4 Abs2. Als Mindestanforderungen hatte der

Betreiber des DLT-MTF lediglich sicherzustellen, dass die Finanzinstrumente auf einem DLT-System verbucht werden, die Integrität der Emission im Hinblick auf die Gesamtzahl der verbuchten Wertpapiere gewahrt bleibt und eine vollständige

Kontentrennung gewährleistet ist. 95 Vgl ECON_PR(2021)689571, S69 (Amendment 95), online abrufbar unter https:// www.europarl.europa.eu/RegData/commissions/econ/projet_rapport/2021/689571/

ECON_PR(2021)689571_EN.pdf. 96 Siehe Pkt III.2. 97 Ringe/Ruof, EJRR 2020, 605 und 613. 98 Erwägungsgrund 11 der Pilotregelung. 99 Vgl die Datenbank der ESMA, online abrrufbar unter https://registers.esma.europa. eu/publication/searchRegister?core=esma_registers_upreg. 100 Vgl ESMA70-155-11635, S98, online abrufbar unter https://www.esma.europa.eu/ sites/default/files/library/esma70-155-11635_csds_register_-_art_21.pdf. 101 JC 2018 74, S20. 102 Vgl Art4 Abs3 Unterabs 2 der Pilotregelung; im Detail ESMA70-460-111. 103 Richtlinie 98/26/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.5.1998 über die Wirksamkeit von Abrechnungen in Zahlungs- sowie Wertpapierliefer- und -abrechnungssystemen, ABl L 166 vom 11.6.1998, S45.

8. Zusätzliche Anforderungen und Ausgleichsmaßnahmen 8.1.Vorbemerkung Als Gegengewicht zu den vorgesehenen Ausnahmen sind im Lichte des Anlegerschutzes, der Marktintegrität und der Finanzstabilität unterschiedliche Arten von Maßnahmen vorgesehen, die insgesamt ein sehr starkes Sicherheitsnetz bieten sollten.

8.2.Allgemeine Anforderungen an DLT-Marktinfrastrukturen Alle DLT-Marktinfrastrukturen müssen die in Art7 der Pilotregelung normierten zusätzlichen Anforderungen an DLTMarktinfrastrukturen erfüllen, mit denen die Risiken der Nutzung der DLT adressiert werden sollen.104 Die Bestimmung sieht dabei einen sehr detaillierten Katalog an aufsichtsrechtlichen Erfordernissen vor:

Dreh- und Angelpunkt der Anforderungen ist ein detaillierter Geschäftsplan (business plan), in dem Betreiber von DLT-Marktinfrastrukturen die Rahmenbedingungen für die Erbringung ihrer Dienstleistungen definieren müssen (Art7 Abs1 der Pilotregelung).105 Die Betreiber müssen Regeln für die Funktionsweise des verwendeten DLT-Systems, einschließlich der Regeln für den Zugang zum DLT-System und für die Teilnahme validierender Knotenpunkte, festlegen bzw dokumentieren (Art7 Abs2 der Pilotregelung).106 Bestimmte Informationen müssen öffentlich zugänglich gemacht werden (Art7 Abs1 Unterabs 2 und Abs3 der Pilotregelung).

Einen großen Stellenwert nehmen Anforderungen betreffend IT-Risiken und operationelle Risiken ein. Zur Bewertung der IT- und Cyberstrukturen kann die zuständige Aufsichtsbehörde sogar die Überprüfung durch einen unabhängigen Prüfer veranlassen, wobei der Betreiber der DLTMarktinfrastruktur für die Kosten aufkommen muss (Art7 Abs4 der Pilotregelung). Ist die Verwahrung von Kundenvermögen vorgesehen, sind auch dafür umfassende Schutzmaßnahmen vorgeschrieben. Der Betreiber haftet außerdem für den Verlust von Kundenwerten. Die Behörde hat hierbei die Möglichkeit, zusätzliche Eigenmittel oder die Deckung durch eine Versicherung zu verlangen (Art7 Abs5 und 6 der Pilotregelung).

Alle DLT-Marktinfrastrukturen müssen schließlich über eine sog Übergangsstrategie verfügen (Art7 Abs7 bis 10 der Pilotregelung). Diese soll sicherstellen, dass DLT-Finanzinstrumente bei Überschreitung der Wertgrenzen, Erlöschen der Zulassung oder Einstellung des Betriebs in eine andere Marktinfrastruktur überführt werden können. Damit das funktioniert, nimmt die Pilotregelung auch Zentralverwahrer in die Pflicht, die ein traditionelles Wertpapierliefer- und Abrechnungssystem betreiben, und verlangt von ihnen den Abschluss entsprechender Vereinbarungen mit Betreibern von DLT-Marktinfrastrukturen (Art7 Abs9 der Pilotregelung). Eine Herausforderung könnte die Interoperabilität zwischen DLT-Marktinfrastrukturen und traditionellen Marktinfrastrukturen sein.107 8.3.Ausnahmespezifische Bedingungen und Ausgleichsmaßnahmen Zusätzlich zu den allgemeinen Anforderungen ist die Inanspruchnahme von Erleichterungen gleich mehrfach abgesichert: Je nach Ausnahme müssen bestimmte Bedingungen erfüllt werden. Die Ausnahmen sind idR vom Nachweis der Inkompatibilität mit dem eingesetzten DLT-System abhängig. Darüber hinaus haben die zuständigen Behörden die Möglichkeit, zusätzliche Ausgleichsmaßnahmen zu verlangen, um die mit der für unanwendbar erklärten Bestimmung verfolgten Ziele zu erreichen oder um den Anlegerschutz, die Marktintegrität oder die Finanzstabilität zu gewährleisten.108

9.Aufsicht in der Sandbox 9.1.Vorbemerkung Dem Regelungskonzept einer sandbox entsprechend ist die Beaufsichtigung engmaschig ausgestaltet. Die Kompetenzen sind, da es sich um eine unionsrechtlich eingerichtete sandbox handelt, zwischen den nationalen Aufsichtsbehörden und der ESMA geteilt. Die finale Fassung der Pilotregelung weist der ESMA eine relativ starke Rolle zu.

9.2.Genehmigungsverfahren Marktteilnehmer, die die Ausnahmen der Pilotregelung in Anspruch nehmen wollen, müssen eine besondere Genehmigung zum Betrieb einer DLT-Marktinfrastruktur (Art8 bis 10 der Pilotregelung) beantragen. Der Antrag umfasst den Geschäftsplan, umfassende Informationen zur Erfüllung der allgemeinen Anforderungen nach Art7 der Pilotregelung, die Übergangsstrategie sowie Angaben zu den gewünschten Ausnahmen, gegebenenfalls samt vorgeschlagenen Ausgleichsmaßnahmen (Art8 Abs4, Art9 Abs4 und Art10 Abs4 der Pilotregelung). Der Umfang der zu übermittelnden Informationen legt nahe, dass bereits vor dem Antrag eine intensivere Abstimmung mit der zuständigen Behörde erforderlich ist.

Zuständig für das Genehmigungsverfahren ist in erster Linie die nationale Aufsichtsbehörde, die auch die notwendige Zulassung als Wertpapierfirma für den Betrieb eines MTF bzw als Zentralverwahrer für den Betrieb eines Wertpapierliefer- und Abrechnungssystems erteilt.109 Vor der Entscheidung über den Antrag ist jedoch die ESMA unter Anschluss aller relevanter Informationen zu benachrichtigen, die innerhalb von 30 Tagen eine unverbindliche Stellungnahme abgeben kann. Die ESMA hat dabei nicht nur Empfehlungen hinsichtlich der beantragten Ausnahmen und der Eignung des verwendeten DLT-Systems abzugeben, sondern soll auch die einheitliche und proportionale Anwendung der Bestimmungen sicherstellen und zu diesem Zweck die Behörden anderer Mitgliedstaaten miteinbeziehen (Art8 Abs7, Art9 Abs7 und Art10 Abs8 der Pilotregelung). Ihr kommt damit eine ent-

104 Erwägungsgrund 38 der Pilotregelung. 105 Dazu ausführlich Zetzsche/Woxholth, The DLT Sandbox under the Pilot-Regulation (2021) 18, online abrufbar unter https://papers.ssrn.com/abstract=3833766. 106 Siehe Pkt IV.2. 107 Die Schnittstelle zwischen DLT-Marktinfrastrukturen und traditionellen Marktinfrastrukturen hält die Pilotregelung auch beim Zentralverwahrer-Link für problematisch; vgl Erwägungsgrund 36 der Pilotregelung. Bei der Übergangsstrategie geht es allerdings nicht um eine laufende Datenübertragung. 108 Vgl Erwägungsgrund 25 sowie Art4 Abs1 und Art5 Abs1 der Pilotregelung. 109 Vgl Art12 der Pilotregelung; widersprüchlich Art2 Z21 der Pilotregelung, der scheinbar davon ausgeht, dass auch die Benennung einer andere Behörde möglich ist.

scheidende Koordinationsaufgabe zu.110 Die Letztentscheidungskompetenz liegt zwar bei der nationalen Aufsichtsbehörde, allerdings muss sie wesentliche Abweichungen gegenüber der ESMA begründen (Art8 Abs7, Art9 Abs7 und Art10 Abs8 der Pilotregelung). Außerdem muss die ESMA innerhalb von zwei Jahren Leitlinien in Bezug auf Ausnahmen, geeignete DLT-Systeme und die Herabsetzung der Schwellenwerte nach Art3 Abs6 der Pilotregelung veröffentlichen (Art8 Abs8 und Art9 Abs8 der Pilotregelung). Die Rolle der ESMA wurde damit in der Endfassung der Pilotregelung noch einmal deutlich aufgewertet. Ihr kommt insgesamt eine starke Stellung zu, die den Spielraum der nationalen Aufsichtsbehörden begrenzt. Das erscheint im Hinblick auf eine einheitliche Genehmigungspraxis auch durchaus begrüßenswert.

Eine erteilte Genehmigung gilt in der gesamten EU (Art8 Abs11, Art9 Abs11 und Art10 Abs11 der Pilotregelung). Der damit vorgesehene EU-Pass111 könnte vor allem dann interessant werden, wenn es in der EU nur wenige DLT-Marktinfrastrukturen nach der Pilotregelung gibt.

9.3.Laufende Beaufsichtigung Für die laufende Beaufsichtigung ist primär ebenfalls die nationale Aufsichtsbehörde zuständig. In Art11 der Pilotregelung ist darüber hinaus eine enge Kooperation von Betreibern von DLT-Marktinfrastrukturen, nationalen Behörden und der ESMA vorgesehen. Dies ermöglicht eine engmaschige Aufsicht als Ausgleich für die gewährten Ausnahmen. Darüber hinaus sind die Kooperationsbestimmungen entscheidend für den bezweckten Lernprozess. Vorgesehen sind sowohl anlassbezogene als auch regelmäßige Berichtspflichten der Betreiber DLT-Marktinfrastrukturen an die nationale Behörde und die Weiterleitung der Informationen an die ESMA. Die Behörden sind mit speziellen Befugnissen ausgestattet und können insb die erteilte Genehmigung vorzeitig widerrufen oder Abhilfemaßnahmen anordnen. Hinzu treten jene Befugnisse, die den Behörden bereits aufgrund der Zulassung der Betreiber der DLT-Marktinfrastrukturen nach der MiFID II oder der CSDR zukommen.

Die ESMA hat auch bei der Aufsicht eine Koordinierungsfunktion, im Rahmen derer sie die gewonnenen Erkenntnisse auswerten und regelmäßig an die Behörden anderer Mitgliedstaaten übermitteln soll (Art11 Abs5 der Pilotregelung). Sie muss außerdem der Europäischen Kommission jährlich Bericht erstatten (Art11 Abs6 der Pilotregelung) und spielt eine wesentliche Rolle im weiteren Gesetzgebungsprozess, da sie nach drei Jahren als Basis für die weitere Vorgehensweise einen umfassenden Bericht an die Europäische Kommission zu erstatten hat (Art14 der Pilotregelung).112

10.Zwischenfazit Da der Handel und die Abwicklung von Finanzinstrumenten einen sensiblen Bereich betreffen, die DLT mit mehreren Regelungskonzepten des Aufsichtsrechts bricht und ausreichende Erfahrungen mit der Technologie fehlen, sah sich der Unionsgesetzgeber mit einer schwierigen Regelungsaufgabe konfrontiert. Hinzu kommen die ambitionierten Ziele der Pilotregelung: Diese soll gleichzeitig Innovationen fördern, Risiken minimieren und einen institutionellen Lernprozess ermöglichen.

Mit dem Konzept einer unionsrechtlich eingerichteten regulatory sandbox, die gezielte Ausnahmen vom geltenden Aufsichtsrecht ermöglicht, ist es dem Unionsgesetzgeber dennoch gelungen, ein geeignetes Werkzeug zur Erreichung der Ziele zu entwerfen. Die Pilotregelung fügt sich gut in das geltende Aufsichtsrecht ein und sieht ein ausreichend starkes Sicherheitsnetz vor, um mit der Technologie verbundene Risiken abzufedern. Die Koordination durch die ESMA sollte eine einheitliche Aufsichtspraxis in der EU gewährleisten. Kritikwürdig ist, dass die Pilotregelung die Hürde für den Eintritt in die sandbox hoch ansetzt und nur wenige Erleichterungen für neue Marktteilnehmer vorsieht. Dadurch könnte wichtiges Potenzial verloren gehen.

110 Ringe/Ruof, The DLT Pilot Regime: An EU Sandbox, at Last! (2020), online abrufbar unter https://www.law.ox.ac.uk/business-law-blog/blog/2020/11/dlt-pilot-regime-eusandbox-last; Zetzsche/Woxholth, DLT Sandbox, 28. 111 Vgl Zetzsche/Woxholth, DLT Sandbox, 22. 112 Siehe Pkt III.4. 113 Zum genauen Unterschied siehe bereits F. Ebner/Kalss, GesRZ2020, 372. 114 Vgl KOM (2020) 594 endg, Erwägungsgrund 28. 115 Erwägungsgrund 9 der Pilotregelung.

IV.Ausgewählte Einzel- und Folgefragen 1.Allgemeines Im Anschluss an den Überblick sollen noch drei ausgewählte Einzel- und Folgefragen diskutiert werden, die Auskunft über das Innovationspotenzial der Pilotregelung und mögliche Hürden geben.

2.Erfasste DLT-Systeme Eine Schlüsselfrage aus innovationstechnischer Sicht ist, ob DLT-Marktinfrastrukturen nur zugangsbeschränkte DLTSysteme (sog Permissioned-DLT-Systeme), die gegebenenfalls ein hohes Maß an Kontrolle durch den Betreiber der DLTMarktinfrastruktur ermöglichen, oder auch vollständig dezentrale Permissionless-DLT-Systeme (zB die EthereumBlockchain) verwenden können.113 Bei Letztgenannten ist es möglich, dass bestimmte Umstände ganz außerhalb der Einflusssphäre des Betreibers der DLT-Marktinfrastruktur liegen.

Während der Entwurf der Europäischen Kommission noch eine Einschränkung auf „proprietäre“ DLT vorsah,114 hat sich der Unionsgesetzgeber nun ausdrücklich für einen technologieneutralen Ansatz entschieden.115 Von Bedeutung für diesen innovationsfreundlichen Ansatz sind zwei Schlüsselstellen der Pilotregelung:  Angaben zur Funktionsweise: Nach Art7 Abs2 der Pilotregelung müssen die Betreiber von DLT-Marktinfrastrukturen Regeln für die Funktionsweise der eingesetzten DLT einschließlich der Regeln für den Zugang zum

DLT-System und für die Beteiligung der validierenden

Knotenpunkte definieren. Die verabschiedete Fassung verlangt aber nicht mehr zwingend die Festlegung dieser

Regeln durch den Betreiber, sondern lässt ausdrücklich auch die Dokumentation der Regeln genügen. Damit ebnet die Pilotregelung den Weg für den Einsatz dezentraler Systeme, bei denen der Betreiber keinen Einfluss auf

die genaue Funktionsweise und den Kreis der validierenden Knotenpunkte hat.  Haftung: Nach Art7 Abs6 der Pilotregelung haften die

Betreiber von DLT-Marktinfrastrukturen für den Verlust von Geldern, Sicherheiten oder DLT-Finanzinstrumenten bis zum Marktwert des verlorenen Vermögenswerts.

Die Haftung ist jedoch ausgeschlossen, wenn der Betreiber „nachweist, dass der Verlust auf ein externes Ereignis zurückzuführen ist, das sich seiner vernünftigen Kontrolle entzogen hat und dessen Folgen trotz aller zumutbarer

Anstrengungen unvermeidbar waren.“ Damit dürfte der

Unionsgesetzgeber ein Haftungsregime geschaffen haben, das zwar durchaus streng ist,116 dem Betreiber aber auch bei Einsatz eines Permissionless-DLT-Systems keine unkalkulierbaren Haftungsrisiken aufbürdet. Die Pilotregelung ist damit breit aufgestellt und sollte den Einsatz beider Arten von DLT-Systemen ermöglichen. Die Praxis wird zeigen, welche Technologien sich am besten für den Betrieb einer DLT-Marktinfrastruktur eignen.

3.Finanzinstrumente, DLT-Finanzinstrumente und

Security Tokens 3.1.Vorbemerkung Die Pilotregelung betrifft Finanzinstrumente, die mithilfe von DLT-Marktinfrastrukturen gehandelt und abgewickelt werden. Allerdings verwendet die Pilotregelung unterschiedliche Begriffe und Begriffsdefinitionen. Der Anwendungsbereich bedarf daher einer genaueren Betrachtung.

3.2.Änderung des Begriffs „Finanzinstrumente“ nach der MiFID II Mit der Neufassung des Art4 Abs1 Z15 MiFID II tritt gemeinsam mit der Pilotregelung zunächst eine permanente Änderung in Kraft. Nach dem neuen Wortlaut der Begriffsbestimmung sind Finanzinstrumente „die in Anhang I Abschnitt C genannten Instrumente, einschließlich mittels Distributed-Ledger-Technologie emittierter Instrumente“ (Art18 Abs1 der Pilotregelung). Für das Vorliegen eines Finanzinstruments iSd MiFID II ist es daher ausdrücklich unerheblich, ob dieses unter Nutzung der DLT oder mithilfe traditioneller Methoden (zB durch Ausstellung einer Wertpapierurkunde) emittiert wird.

Aus unionsrechtlicher Sicht hat diese Regelung lediglich klarstellende Bedeutung: In der Diskussion war bereits früh anerkannt, dass auch Kryptowerte Finanzinstrumente darstellen können, wenn sie inhaltlich traditionellen Finanzinstrumenten vergleichbar ausgestaltet sind.117 Auf die Verbriefung nach dem nationalen Recht kommt es nach mE zutreffender Ansicht auch bei übertragbaren Wertpapieren, die einen wichtigen Teil der Finanzinstrumente darstellen, nicht an, sofern die Handelbarkeit aus praktischer Sicht gewährleistet ist.118 Dieser Substance-over-form-Ansatz wurde 2019 durch die ESMA nach Konsultation der zuständigen nationalen Behörden im Ergebnis bestätigt.119 Auch die FMA ging schon bisher davon aus, dass Finanzinstrumenten vergleichbare Kryptowerte dem geltenden Finanzmarktrecht unterliegen.120 Gegebenenfalls sind Bestimmungen im nationalen Recht, die auf Grundlage von Art4 Abs1 Z15 MiFID II aF erlassen wurden und diesem Verständnis entgegenstehen, bis 23.3.2023 anzupassen (Art18 Abs2 der Pilotregelung).

3.3.Einschränkung auf DLT-Finanzinstrumente? Obwohl jedes Finanzinstrument iSd MiFID II damit grundsätzlich auch mithilfe der DLT emittiert werden kann, sieht die Pilotregelung in Art2 Z11 noch eine eigene Definition von „DLT-Finanzinstrumenten“ vor. Diese Bestimmung ist relevant, weil DLT-Marktinfrastrukturen ausschließlich DLTFinanzinstrumente iSd Art2 Z11 der Pilotregelung zum Handel zulassen121 oder verbuchen122 dürfen.123 Die Textierung der Bestimmung wirft allerdings viele Fragen auf:

Nach Art2 Z11 der Pilotregelung ist ein DLT-Finanzinstrument „ein Finanzinstrument, das mittels Distributed-Ledger-Technologie emittiert, verbucht, übertragen und gespeichert wird“. Der Wortlaut der Bestimmung legt dabei nahe, dass es sich um kumulative Voraussetzungen handelt und ein DLTFinanzinstrument nur vorliegt, wenn der gesamte Lebenszyklus des Finanzinstruments auf einem DLT-System abgebildet ist. Finanzinstrumente, die zunächst traditionell (zB mittels Urkunde) begeben und später tokenisiert werden, könnten danach nicht über eine DLT-Marktinfrastruktur gehandelt oder übertragen werden. Dagegen spricht aber schon Erwägungsgrund 3 der Pilotregelung, der sowohl die „Emission traditioneller Anlageklassen in tokenisierter Form“ als auch die „digitale Darstellung [vgl die englische Sprachfassung: representation] von Finanzinstrumenten auf Distributed Ledgern“ anspricht.124

Auch sonst wollen die DLT-Finanzinstrumente mE nicht so recht in die Logik der DLT-Marktinfrastrukturen hineinpassen. So ist etwa für DLT-SS vorgesehen, dass diese „die erstmalige Erfassung von DLT-Finanzinstrumenten“ ermöglichen (Art2 Z7 der Pilotregelung). Nach dem Wortlaut der Bestimmung muss das Finanzinstrument daher wohl schon in Form eines Kryptowerts beim DLT-SS ankommen. Die Aufgabe eines Zentralverwahrers als traditionelles Pendant liegt dagegen gerade darin, Wertpapiere unterschiedlicher Form in die Form eines Bucheintrags zu überführen. Dieser Logik würde es entsprechen, wenn DLT-SS nicht nur die erstmalige Erfassung von DLT-Finanzinstrumenten, sondern die erstmalige Erfassung jeglicher Finanzinstrumenten als DLT-Finanzinstrumente ermöglichen würden.

Die Bedeutung des Begriffs „DLT-Finanzinstrument“ kann damit derzeit wohl leider nur als „unklar“ bezeichnet werden. Die ESMA dürfte ebenfalls von einem weiten Verständnis ausgehen, das sich mehr an der Logik traditioneller Markt-

116 Zur Beweislastumkehr Litten, BKR 2022, 555. 117 Vgl Hacker/Thomale, Crypto-Securities Regulation: ICOs, Token Sales and Cryptocurrencies under EU Financial Law, European Company and Financial Law Review 2018, 645 (671ff). 118 Überzeugend Zickgraf, Initial Coin Offerings – Ein Fall für das Kapitalmarktrecht?

AG 2018, 293 (301f); siehe auch Kalss/F. Ebner, Auf dem Weg zum digitalen Wertpapier, EuZW 2019, 433. 119 ESMA50-157-1391, S5, online abrufbar unter https://www.esma.europa.eu/sites/ default/files/library/esma50-157-1391_crypto_advice.pdf. 120 Siehe https://www.fma.gv.at/kontaktstelle-fintech-sandbox/fintechnavigator/initialcoin-offering. 121 Vgl Art2 Z6 der Pilotregelung. 122 Vgl Art2 Z7 der Pilotregelung. 123 Erwägungsgrund 8 der Pilotregelung. 124 Vgl ESMA70-460-111, S39f.

infrastrukturen orientiert und die nachträgliche Überführung von Finanzinstrumenten in die Form eines Kryptowerts erlaubt.125 Eine Klarstellung durch die Europäische Kommission wäre hilfreich.

3.4.Handelsmöglichkeit für bestehende Security Tokens? Damit im weiteren Zusammenhang steht die Frage, ob bereits derzeit am Markt vorzufindende security tokens (zB tokens, die auf der Ethereum-Blockchain nach dem ERC-20-Standard ohne Einschaltung eines Intermediärs begeben wurden) in den Handel bei einer DLT-Marktinfrastruktur einbezogen werden können. Das würde dem Ziel der Pilotregelung entsprechen, die Entwicklung eines Sekundärmarkts für „Kryptowerte, die als Finanzinstrumente gelten“, zu fördern,126 und wäre aus praktischer Sicht sehr wichtig.

Die Pilotregelung regelt nicht explizit, wie solche tokens an regulierten Handelsplätzen gehandelt werden könnten. Sie wählt stattdessen den umgekehrten Weg und erlaubt Betreibern von Marktinfrastrukturen, DLT-Systeme für den Handel und die Abwicklung von Finanzinstrumenten einzusetzen. Der Logik der traditionellen Marktinfrastrukturen würde es wiederum entsprechen, wenn solche security tokens als Vorbereitung für den Handel bei einem DLT-SS oder DLT-TSS als DLT-Finanzinstrument erfasst und anschließend an einem DLT-MTF oder DLT-TSS gehandelt werden könnten. Im Falle der security tokens dürfte dem auch der Wortlaut des Art2 Z11 der Pilotregelung nicht entgegenstehen, da security tokens alle Merkmale eines DLT-Finanzinstruments erfüllen.

Die Pilotregelung sollte damit im Ergebnis die Bildung eines Sekundärmarkts auch für bestehende security tokens ermöglichen. Die technische Herausforderung dürfte vor allem die Interoperabilität sein, falls verschiedene DLT-Systeme verwendet werden.

4.Privatrechtliche Einordnung von DLT-Finanzinstrumenten Eine Frage, die nicht von der Pilotregelung geregelt wird, ist die privatrechtliche Einordnung von DLT-Finanzinstrumenten. Dabei handelt es sich um eine Angelegenheit des nationalen Rechts.

Praktisch relevant ist vor allem, ob ausschließlich elektronisch mithilfe der DLT begebene Finanzinstrumente dieselben wertpapierrechtlichen Wirkungen entfalten wie Wertpapiere, bei denen eine physische (Sammel-)Urkunde existiert. Das ist ua für den Verkehrsschutz und damit für die Rechtssicherheit von entscheidender Bedeutung.127

Gesetzlich ist eine vollständig entmaterialisierte Begebung von Wertpapieren derzeit nur für die digitale Sammelurkunde nach §1 Abs4 DepotG vorgesehen. Das Instrument steht aber einerseits nur für Schuldverschreibungen und Investmentzertifikate zur Verfügung; eine digitale Begebung von Aktien ist damit ausgeschlossen.128 Andererseits entsteht die digitale Sammelurkunde nach §1 Abs4 DepotG „durch Anlegung eines elektronischen Datensatzes bei einer Wertpapiersammelbank ... im Umfang der Gutschriften auf den bei der Wertpapiersammelbank geführten Depots.“ Die Begebung einer digitalen Sammelurkunde über eine DLT-Marktinfrastruktur ist daher dann denkbar, wenn diese von einem zugelassenen Zentralverwahrer129 betrieben wird. Die Einbindung einer Wertpapierfirma oder eines Marktbetreibers, der ein DLT-TSS betreibt, reicht dagegen nach dem Wortlaut nicht aus. Ein potenzielles Hindernis könnte auch die zwingende Gutschrift auf einem „Depot“ sein, weil in Art5 Abs2 der Pilotregelung eine Ausnahme von der Verwendung von „Depotkonten“ vorgesehen ist.

Die digitale Sammelurkunde bietet damit nur für einen Teil der Anwendungsfälle der Pilotregelung eine sichere wertpapierrechtliche Grundlage. Weitere wertpapierrechtliche Reformen auf nationaler Ebene sind daher – zumindest iSd Rechtssicherheit – erforderlich.130 Die Schweiz, Liechtenstein und Deutschland sind hier bereits deutlich weiter.130a

V.Fazit und Ausblick Die DLT eignet sich für die digitale Begebung von Finanzinstrumenten und verspricht Effizienzgewinne für deren Handel und Abwicklung. Unvereinbarkeiten mit dem geltenden Finanz- und Kapitalmarktrecht erschweren jedoch bislang den Einsatz der Technologie und verhindern damit die Entwicklung eines Sekundärmarkts für security tokens. Änderungen des Unionsrechts müssen mit großer Umsicht erfolgen, um die Integrität und Stabilität des Finanzmarkts nicht zu gefährden.

Mit der Pilotregelung für DLT-Marktinfrastrukturen präsentiert der europäische Gesetzgeber eine unionsrechtlich eingerichtete sandbox, die Ausnahmen vom geltenden Finanzmarktrecht erlaubt und dadurch bestimmten Marktteilnehmern den Einsatz der DLT für den Handel und die Abwicklung von Aktien, Anleihen und Investmentzertifikaten ermöglicht. Damit wird zugleich die Entwicklung eines Sekundärmarkts für security tokens gefördert. Zum Schutz der Anleger, der Marktintegrität und der Finanzmarktstabilität unterliegen die Marktteilnehmer in der sandbox erhöhten Anforderungen und einer engmaschigen Beaufsichtigung. Durch ihren technologieneutralen Ansatz bietet die Pilotregelung genügend Spielraum, um unterschiedliche Arten von DLT-Systemen zu erproben. Sie ist damit insgesamt gut geeignet, die Hürden im geltenden Aufsichtsrecht zu überwinden, wenngleich manche Aspekte noch klärungsbedürftig sind.

Für den Erfolg der Pilotregelung wird entscheidend sein, wie attraktiv die sandbox für die (österreichischen) Marktteilnehmer ist. Hier legt die Pilotregelung einen hohen Maßstab an, der sich vor allem für neue Marktteilnehmer als zu restriktiv erweisen könnte. Unbeantwortet bleibt außerdem die Frage, wie DLT-Finanzinstrumente privatrechtlich einzuordnen sind. Die digitale Sammelurkunde bietet nur für einige, aber nicht für alle Anwendungsfälle der Pilotregelung eine geeignete wertpapierrechtliche Grundlage. Weitere Reformen im Wertpapierrecht sind daher notwendig, um etwa die vollständig digitale Begebung tokenisierter Aktien zu ermöglichen.

125 Vgl ESMA70-460-111, S39f. 126 Erwägungsgrund 4 der Pilotregelung. 127 Siehe Pkt II.2.; zum Meinungsstand F. Ebner/Kalss, RDi 2022, 110. 128 F. Ebner/Kalss, GesRZ2020, 376. 129 Vgl §1 Abs3 DepotG. 130 Siehe zu all dem bereits F. Ebner/Kalss, RDi 2022, 115. 130aVgl F. Ebner/Kalss, GesRZ 2020, 373 f.

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