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Der Kommissionsvorschlag für eine Richtlinie über Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen
GERNOT EHGARTNER
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Seit geraumer Zeit wird auf nationaler und internationaler Ebene über die Verantwortlichkeit von Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen und Umweltverstöße entlang ihrer Lieferkette diskutiert. Die Europäische Kommission hat dieses Thema ebenfalls aufgegriffen und veröffentlichte im Februar 2022 einen Vorschlag für eine Lieferketten-Richtlinie, die umfangreiche Sorgfaltspflichten für große Unternehmen zum Schutz der Menschenrechte und der Umwelt vorsieht. Der folgende Beitrag stellt die wesentlichen Inhalte des Richtlinienvorschlags dar und identifiziert zugleich mögliche Risiken für die betroffenen Unternehmen.1
*1 I. Einleitung Am 23.2.2022 veröffentlichte die Europäische Kommission den lang erwarteten Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2019/1937 (Corporate Sustainability Due Diligence Directive),2 im Folgenden kurz: Richtlinienvorschlag. Sie schafft einen Rahmen, um den Beitrag der im Binnenmarkt tätigen Unternehmen zur Achtung der Menschenrechte und der Umwelt in ihrer eigenen Geschäftstätigkeit und entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu fördern. Unternehmen sollen verpflichtet werden, die durch ihre Tätigkeit verursachten negativen Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt zu ermitteln, zu verhindern, zu vermindern oder gänzlich abzustellen.3 Flankiert werden diese Sorgfaltspflichten durch ein umfangreiches Sanktionsregime, das auch eine zivilrechtliche Haftung vorsieht. Bemerkenswert ist, dass das Projekt zuvor zweimal vom Ausschuss für Regulierungskontrolle gestoppt worden war, ehe die Europäische Kommission den Richtlinienvorschlag publizierte.4
Bereits auf nationaler Ebene5 haben einige EU-Mitgliedstaaten in den letzten Jahren Rechtsvorschriften zu Sorgfaltspflichten iZm Menschenrechten und Umweltschutz erlassen.6 Jüngstes Beispiel ist das in Deutschland beschlossene LkSG,7 das mit 1.1.2023 in Kraft tritt und deutsche Unternehmen dazu verpflichtet, in ihren Lieferketten menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten zu beachten.8 Andere EU-Mitgliedstaaten wiederum zeigten bisher keinerlei Bestrebungen, gleichwertige legislative Maßnahmen zu ergreifen. Mit der vorgeschlagenen Richtlinie soll die fragmentierte Rechtslage in der EU nun vereinheitlicht werden.9
In Österreich wird der Richtlinienvorschlag – anders als in Deutschland10 – vergleichsweise noch wenig diskutiert.11 Der nachstehende Beitrag versucht, diesen Umstand zu ändern, und gibt einen Überblick über den Inhalt des Richtlinienvorschlags mitsamt einer kritischen Würdigung.
II.Der Richtlinienvorschlag 1.Persönlicher Anwendungsbereich 1.1.Vorbemerkung Art2 des Richtlinienvorschlags regelt den persönlichen Anwendungsbereich des Richtlinienvorschlags. Erfasst sind 1.) EU- und Drittstaatsunternehmen, 2.) die bestimmte Schwellenwerte erfüllen.
* Mag. Gernot Ehgartner ist Universitätsassistent am Institut für Zivilrecht der Universität Wien. 1 Der Beitrag ist im Rahmen des Forschungsprojekts „Kontinuität und Bestandsicherung von Familienunternehmen“ entstanden, das von der B&C Privatstiftung gefördert wird. Besonderer Dank gilt Univ.-Prof. Dr. Martin Schauer für die kritische
Durchsicht des Manuskripts. 2 KOM (2022) 71 endg, online abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/resource.html? uri=cellar:bc4dcea4-9584-11ec-b4e4-01aa75ed71a1.0007.02/DOC_1&format=PDF; zur Entstehungsgeschichte vgl Birkholz, CSDD-E: Konkrete Sorgfaltspflichten für
Unternehmen statt Vorgaben zur Sustainable Corporate Governance? DB 2022, 1306 (1307); Nietsch/Wiedmann, Der Vorschlag zu einer europäischen Sorgfaltspflichten-
Richtlinie im Unternehmbereich (Corporate Sustainability Due Diligence Directive),
CCZ2022, 125 (125f). 3 Ausdrücklich KOM (2022) 71 endg, S3f. 4 Siehe KOM (2022) 71 endg, S25ff. Nicht zu verwechseln ist der hier besprochene
Richtlinienvorschlag mit dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 2013/34/EU, 2004/109/EG und 2006/43/EG und der Verordnung (EU) Nr537/2014 hinsichtlich der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (Corporate Sustainability Reporting
Directive), KOM (2021) 189 endg, online abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/ legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52021PC0189&from=DE; vgl dazu Baumüller, Vorbereitet für die Erstanwendung der Corporate Sustainability Reporting
Directive (CSRD), DJA 2022, 25. 5 Zu den internationalen Bemühungen siehe Erwägungsgründe 5 bis 8 des Richtlinienvorschlags; P. Jung, Wertschöpfung in der Liefer- und Absatzkette? GPR 2022, 109 (109f); zu den Bemühungen auf EU-Ebene KOM (2022) 71 endg, S4ff; Spindler,
Der Vorschlag einer EU-Lieferketten-Richtlinie, ZIP 2022, 765 (765f). 6 So etwa Frankreich (Loi relative au devoir vigilance des sociétés méres et des entreprises donneuses d’ordre, online abrufbar unter https://www.legifrance.gouv.fr/jorf/id/
JORFTEXT000034290626) oder Niederlande (Wet zorgpflicht kinderarbeid, online abrufbar unter https://zoek.officielebekendmakingen.nl/stb-2019-401.html). Auf EU-
Ebene wurden Sorgfaltspflichten in der Lieferkette bislang nur für kritische Sektoren verankert; vgl zB Verordnung (EU) Nr995/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.10.2010 über die Verpflichtungen von Marktteilnehmern, die Holz und Holzerzeugnisse in Verkehr bringen, ABl L 295 vom 12.11.2010, S23. 7 Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten (Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – LkSG), dBGBl I 2021, 2959. 8 Für einen Überblick siehe zB Thiede, Das deutsche LieferkettensorgfaltspflichtenG, ecolex 2021, 903; Heil, Menschenrechte in Lieferketten: Trend zur Verrechtlichung,
WBl 2022, 438; ausführlich zum deutschen LkSG und zum Richtlinienvorschlag auch Spindler, ZIP 2022, 765ff. 9 Zu den Zielen des Richtlinienvorschlags vgl im Detail KOM (2022) 71 endg, S1ff, insb S4. 10 Siehe dazu die zahlreichen Nachweise in J. Schmidt, BB-Gesetzgebungs- und Rechtsprechungsreport zum Europäischen Unternehmensrecht 2021/22, BB 2022, 1859 (FN 10). 11 Siehe etwa Parsché, EU-Kommission: Vorschlag für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit, NR 2022, 225;
Dünser-Rausch, Der Vorschlag der Kommission über Sorgfaltspflichten in der Lieferkette, DJA 2022, 64; im Überblick Heil, WBl 2022, 443f; allgemein zur zivilrechtlichen Haftung für Menschenrechtsverletzungen entlang der Lieferkette Murko, Die
Haftung österreichischer Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen in ihren
Lieferketten, ÖJZ2022, 877.
1.2.Unternehmensbegriff Der Begriff „Unternehmen“ ist in Art3 lita des Richtlinienvorschlags näher erörtert und stellt primär auf die Rechtsform ab. Betroffen sind jene juristische Personen, die in Anhang I und II der Bilanzrichtlinie12 aufgelistet sind. Auch juristische Personen, die nach dem Recht eines Drittstaates gegründet wurden, sind erfasst, sofern sie mit den in Anhang I und II der Bilanzrichtlinie ausgeführten Rechtsformen vergleichbar sind. In Österreich unterliegen AGs, GmbHs und eingetragene Personengesellschaften iSd §189 Abs1 Z2 lita UGB dem Anwendungsbereich des Richtlinienvorschlags. Unabhängig von der Rechtsform sind auch bestimmte beaufsichtigte Finanzunternehmen erfasst, für die zum Teil besondere Regelungen gelten.
1.3.Größenklassen Als zweites kumulativ zu erfüllendes Kriterium ist das Erreichen von bestimmten Schwellenwerten erforderlich. Der Richtlinienvorschlag unterscheidet zwischen vier Gruppen: Gruppe 1: EU-Unternehmen, die im letzten Geschäftsjahr, für das ein Jahresabschluss erstellt wurde, im Durchschnitt mehr als 500 Beschäftigte hatten und einen weltweiten Nettoumsatz von mehr als 150Mio€ erzielten. Gruppe 2: EU-Unternehmen, die im letzten Geschäftsjahr, für das ein Jahresabschluss erstellt wurde, im Durchschnitt mehr als 250 Beschäftigte hatten und einen weltweiten
Nettoumsatz von mehr als 40Mio€ erzielten. Mindestens 50% dieses Nettoumsatzes müssen jedoch in bestimmten
High-impact-Sektoren erwirtschaftet worden sein.13
Bei den High-impact-Sektoren handelt es sich um Branchen mit besonders hohem Schadenspotenzial.14 Welche Sektoren im Einzelnen erfasst sind, regelt Art2 Abs1 litb des Richtlinienvorschlags. Genannt werden etwa die
Herstellung und der Großhandel mit Textilien, die Landund Forstwirtschaft, die Herstellung von Lebensmittelprodukten oder die Gewinnung und der Großhandel mit mineralischen Rohstoffen. Es zeigt sich, dass sich der
Richtlinienvorschlag bei der Auswahl der High-impact-
Sektoren daran orientiert, für welche Branchen die OECD bereits gesonderte Leitfäden für die Erfüllung menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorgfaltspflichten veröffentlicht hat.15 Gruppe 3: Drittstaatsunternehmen,16 die im vorletzten
Geschäftsjahr einen Nettoumsatz von mehr als 150Mio€ erzielten. Gruppe 4: Drittstaatsunternehmen, die im vorletzten
Geschäftsjahr zwischen 40 und 150Mio€ erzielten sofern mindestens 50% des weltweiten Nettoumsatzes in
High-impact-Sektoren erwirtschaftet wurden. Im Unterschied zu den EU-Unternehmen wird bei den
Drittstaatsunternehmen auf einen Schwellenwert für die
Anzahl der Beschäftigten verzichtet. Begründet wird dies damit, dass der Begriff „Beschäftigter“ auf dem Unionsrecht beruht und nicht ohne Weiteres außerhalb der EU umgesetzt werden könne. Andererseits fehlt es an einer klaren Methodik zur Ermittlung der Beschäftigten in
Drittstaatsunternehmen.17 Die Sorgfaltspflichten sind für
Drittstaatsunternehmen, die aufgrund ihres Umsatzes in den Anwendungsbereich des Richtlinienvorschlags fallen, nicht auf ihre Tätigkeit in der EU beschränkt.18 Klein- und Mittelunternehmen (KMU) sind zwar keine unmittelbaren Adressaten des Richtlinienvorschlags, können aber mittelbar durch sog Weitergabeklauseln ebenfalls zur Einhaltung menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorgfaltspflichten verpflichtet werden.19
2.Regelungsgegenstand und Schutzgüter 2.1.Regelungsgegenstand und Reichweite der Sorgfaltsverpflichtungen Unternehmen sollen dazu verpflichtet werden, bei sich selbst und entlang ihrer Wertschöpfungskette (instruktiver: Lieferkette) menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten einzuhalten. Im Detail sind die Unternehmen sorgfaltspflichtig für die eigene Geschäftstätigkeit; die Geschäftstätigkeit ihrer Tochterunternehmen; die Geschäftstätigkeit von Unternehmen, die Teil der
Wertschöpfungskette sind und mit denen eine etablierte
Geschäftsbeziehung unterhalten wird. Der letzte Punkt bedarf einer näheren Betrachtung. Die Wertschöpfungskette erfasst gem der Legaldefinition in Art3 litg des Richtlinienvorschlags Tätigkeiten iZm der Produktion von Waren oder der Erbringung von Dienstleistungen durch ein Unternehmen, einschließlich der Entwicklung des Produkts oder der Dienstleistung und der Verwendung und Entsorgung des Produkts sowie der damit verbundenen Tätigkeiten im Rahmen vor- und nachgelagerter etablierter Geschäftsbeziehungen des Unternehmens. Der Begriff der Wertschöpfungskette ist denkbar weit ausgestaltet. Anders als das deutsche LkSG erfasst der Richtlinienvorschlag nicht nur die vorgelagerte Lieferkette bis zum Unternehmen (upstream),20 sondern er findet auch auf die nachgelagerte Wertschöpfungskette (downstream)21 Anwendung.22 Somit sind nicht nur
12 Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene
Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der
Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates, ABl L 182 vom 29.6.2013, S19. 13 Kritisch zu diesen Schwellenwerten L. Hübner/Habrich/Weller, Corporate Sustainability Due Diligence, NZG 2022, 644 (645f). 14 Erwägungsgrund 22 des Richtlinienvorschlags. 15 KOM (2022) 71 endg, S19; vgl auch Erwägungsgrund 22 des Richtlinienvorschlags.
Die Liste der branchenspezifischen Leitfäden ist online abrufbar unter https://mne guidelines.oecd.org/sectors. 16 Zur Rechtfertigung der Einbeziehung von Drittstaatsunternehmen siehe KOM (2022) 71 endg, S19f. 17 Vgl Erwägungsgrund 24 des Richtlinienvorschlags. 18 Lutz-Bachmann/Vorbeck/Wengenroth, Nachhaltigkeitsbezogene Sorgfaltspflichten in Geschäftsbeziehungen – zum Entwurf der EU-Kommission für eine „Lieferkettenrichtlinie“, BB 2022, 835 (836f); Hembach, Der Vorschlag der EU-Kommission für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen, CB 2022, 191 (194). 19 Siehe Pkt III.3. 20 Siehe Erwägungsgrund 18 des Richtlinienvorschlags: Gemeint sind der Entwurf, die
Gewinnung, die Herstellung, die Beförderung, die Lagerung und die Lieferung von
Rohstoffen, Produkten, Teilen von Produkten oder Dienstleistungen für das Unternehmen, die für die Ausübung der Tätigkeiten des Unternehmens erforderlich sind. 21 Siehe Erwägungsgrund 18 des Richtlinienvorschlags: Dazu zählt der Vertrieb des Produkts an Einzelhändler, der Transport und die Lagerung, die Demontage des Produkts sowie dessen Recycling, Kompostierung oder Deponierung; kritisch zur Erstreckung der Sorgfaltspflichten auf die Downstream-Lieferkette Bomsdorf/Blatecki-Burgert, Lieferketten-Richtlinie und Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, ZRP 2022, 141 (142). 22 J. Schmidt, BB 2022, 1860; Nietsch/Wiedmann, CCZ2022, 127; siehe zum deutschen
LkSG Charnitzky/Weigel, Die Krux mit der Sorgfalt (Teil I), RIW 2022, 12 (13f);
Heil, WBl 2022, 440.
Zulieferer, sondern auch die Kunden des Unternehmens Teil seiner Wertschöpfungskette.
Die Sorgfaltspflichten innerhalb der Wertschöpfungskette sind jedoch auf die Geschäftstätigkeiten von Unternehmen (Zulieferern und Kunden) beschränkt, mit denen eine etablierte Geschäftsbeziehung besteht.
Unter einer Geschäftsbeziehung versteht der Richtlinienvorschlag gem Art3 lite „eine Beziehung zu einem Auftragnehmer, Unterauftragnehmer oder jedem anderen Rechtssubjekt (‚Partner‘), (i) mit denen das Unternehmen eine Geschäftsvereinbarung geschlossen hat ... oder (ii) die für das Unternehmen oder in dessen Namen mit den Produkten des Unternehmens zusammenhängende Geschäftstätigkeit ausüben“. Im Ergebnis zeigt sich, dass nach dem Wortlaut der Bestimmung wohl alle Tätigkeiten Dritter in Bezug auf die Produkte oder Dienstleistungen des Unternehmens vom Begriff „Geschäftsbeziehung“ erfasst sein können, unabhängig davon, ob eine vertragliche Beziehung besteht oder nicht.23 Mit anderen Worten: Der Unternehmer unterhält zu jedem Rechtssubjekt, das entlang seiner Wertschöpfungskette tätig ist, eine Geschäftsbeziehung. Das Vorliegen einer unmittelbaren vertraglichen Beziehung ist gerade nicht erforderlich. Eine präzise und sinnvolle Eingrenzung sieht mE anders aus.
Die Reichweite der Sorgfaltspflichten wird jedoch auf etablierte Geschäftsbeziehungen eingeschränkt. Etabliert ist die Geschäftsbeziehung dann, wenn sie in Anbetracht ihrer Intensität oder Dauer beständig ist oder sein dürfte und wenn sie keinen unbedeutenden oder lediglich untergeordneten Teil der Wertschöpfungskette darstellt (Art3 litf des Richtlinienvorschlags). Ob eine Geschäftsbeziehung als etabliert gilt, wird dabei regelmäßig, mindestens jedoch alle 12 Monate, neu bewertet (Art1 Abs1 letzter Satz des Richtlinienvorschlags). Im Detail bleiben aber viele Fragen offen: Wann ist eine Geschäftsbeziehung bedeutend, wann unbedeutend? Ab welchen Zeitpunkt gilt die Geschäftsbeziehung als beständig?24 Es scheint, dass die Legaldefinition aufgrund der von ihr verwendeten abstrakten Kriterien mehr Fragen aufwirft, als sie beantwortet.25
Kryptisch ist auch die Formulierung, dass die etablierte Geschäftsbeziehung sowohl direkte als auch indirekte Geschäftsbeziehungen erfasst. Was genau der Richtlinienvorschlag unter einer indirekten Geschäftsbeziehung versteht, bleibt offen. Meines Erachtens ist aber aus dem systematischen Zusammenhang der Begriffsbestimmungen abzuleiten, dass es sich dabei um jene Geschäftsbeziehungen handelt, bei denen kein unmittelbares Vertragsverhältnis zwischen den Geschäftspartnern besteht.26 Wenn die direkte Geschäftsbeziehung eines Unternehmens als etabliert gilt, sollten zudem auch alle damit verbundenen indirekten Geschäftsbeziehungen als in Bezug auf dieses Unternehmen etabliert betrachtet werden.27
23 Vgl auch Spindler, ZIP 2022, 768; L. Hübner/Habrich/Weller, NZG 2022, 648. 24 Nach Spindler (ZIP 2022, 768) sind Transaktionen über Börsen oder spot markets keine etablierten Geschäftsbeziehungen, sodass der Unternehmer nicht verpflichtet ist, beim Rohstoffeinkauf über eine Börse zu eruieren, ob und wie der Lieferant
Menschenrechte oder Umweltbelange verletzt hat. 25 Ebenso kritisch Lutz-Bachmann/Vorbeck/Wengenroth, BB 2022, 838; vgl auch J. Schmidt,
BB 2022, 1862; P. Jung, GPR 2022, 118. 26 So im Ergebnis wohl auch Charnitzky/Weigel, Die Krux mit der Sorgfalt (Teil II),
RIW 2022, 413 (416); vgl auch Patz, The EU’s Draft Corporate Sustainability Due
Diligence Directive: A First Assessment, Business and Human Rights Journal 2022, 291 (292): „The Commission has attempted more clarity by proposing that ‚established‘ cover both direct (contractual) and indirect (non-contractual) relationships ...“ 2.2.Beispiele 2.2.1.Vorbemerkung Zwei Beispiele soll die soeben geschilderten Ausführungen und die damit verbundenen Problemstellungen veranschaulichen.
2.2.2.Beispiel 1 Die österreichische X. AG produziert Küchenmöbel und unterliegt dem Anwendungsbereich des Richtlinienvorschlags. Sie erhält seit Jahren mehrmals in der Woche umfangreiche Holzlieferungen vom Sägewerk der S. GmbH. Die S. GmbH wiederum bezieht das von ihr bearbeitete Holz von diversen Forstbetrieben, darunter auch von der ungarischen F. Kft.. 28 Die Küchenmöbel werden von der X. AG im großen Stil an die deutsche Z. GmbH veräußert, die die Möbelstücke in ihren Filialen vertreibt. Übrig gebliebene Rest- sowie beschädigte Möbelstücke bringt die Z. GmbH zur weiteren Verwertung in die Entsorgung- und Recyclinganlage der R. KG. Für welche Unternehmen ist die X. AG sorgfaltspflichtig?
Unstrittig ist, dass sie zunächst dafür Sorge zu tragen hat, dass die Achtung der Menschenrechte und der Umweltbelange in der eigenen Geschäftstätigkeit gewährleistet wird. Auch für die Geschäftstätigkeit der S. GmbH (unmittelbarer Zulieferer) und der Z. GmbH (unmittelbarer Abnehmer) ist die X.AG sorgfaltspflichtig, weil anzunehmen ist, dass es sich um direkte etablierte Geschäftsbeziehungen im Rahmen der Wertschöpfungskette handelt.
Unklar ist mE die Beziehung zur F. Kft (mittelbarer Zulieferer) sowie zur R. KG (mittelbarer Kunde), zu denen kein unmittelbares Vertragsverhältnis besteht. Beide sind Teil der Wertschöpfungskette und erfüllen iwS mit den Produkten der X. AG zusammenhängende Geschäftstätigkeiten (Gewinnung des Rohstoffs, Entsorgung und Recycling der Möbel). Es handelt sich somit um indirekte Geschäftsbeziehungen,29 die wohl auch etabliert sind,30 sodass sich die Sorgfaltsverpflichtung der X. AG auch auf diese beiden Gesellschaften erstreckt. Für letzteren Punkt spricht auch Erwägungsgrund 20 des Richtlinienvorschlags, nach dem alle mit einer etablierten direkten Geschäftsbeziehung verbundenen indirekten Geschäftsverbindungen als etabliert zu betrachten sind.
Die Einbeziehung der indirekten Geschäftsbeziehungen sowie der gesamten Wertschöpfungskette stellt die betroffenen Unternehmen vor komplexen Herausforderungen. Insb die Nachverfolgung eines Produkts bis ans Ende seines Lebenszyklus erfordert ein umfangreiches und aufwendiges Monitoring-System, sofern eine solche Nachverfolgung praktisch überhaupt möglich ist.31
27 Erwägungsgrund 20 des Richtlinienvorschlags. 28 Korlátolt felelősségű társaság. Entspricht im Wesentlichen der GmbH. 29 In diese Richtung auch Charnitzky/Weigel, RIW 2022, 416, nach denen sich die indirekten Geschäftsbeziehungen auf mittelbare Geschäftspartner beziehen; so auch L. Hübner/Habrich/Weller, NZG 2022, 648. 30 Nach einem Teil der Lehre fallen aus der Definition der etablierten Geschäftsbeziehungen nur Geschäftsbeziehungen heraus, die belanglos sind, was im Beispielfall mE aber zu verneinen ist; siehe Charnitzky/Weigel, RIW 2022, 416. 31 Ebenfalls kritisch Lutz-Bachmann/Vorbeck/Wengenroth, BB 2022, 837f; vgl auch
Brock, EU-Lieferkettengesetz – Was bringt der Kommissionsvorschlag für eine
Richtlinie zur unternehmerischen Nachhaltigkeit mit sich? GmbHR 2022, R132 (R133); Birkholz, DB 2022, 1310.
2.2.3.Beispiel 2 Gleicher Sachverhalt wie in Beispiel 1, jedoch mit der Abwandlung, dass das Sägewerk der S. GmbH für die Bearbeitung des Holzes Spezialmaschinen verwendet, die vom chinesischen Unternehmen U. produziert, geliefert und montiert wurden. Wird die X. AG für das chinesische Unternehmen U. sorgfaltspflichtig?
Fraglich ist, ob das chinesische Unternehmen aus Sicht der X. AG überhaupt Teil seiner (vorgelagerten) Wertschöpfungskette ist. Aus dem Richtlinienvorschlag ergibt sich jedenfalls kein Argument, das ausdrücklich dagegensprechen würde. Vielmehr wird der Begriff „Wertschöpfungskette“ in Art3 litg des Richtlinienvorschlags sehr weit verstanden.32 Erfasst sind neben den Tätigkeiten iZm der Produktion von Waren oder der Erbringung von Dienstleistungen durch ein Unternehmen auch „damit verbundene Tätigkeiten im Rahmen vor- und nachgelagerter etablierter Geschäftsbeziehungen des Unternehmens“. Erwägungsgrund 18 des Richtlinienvorschlags konkretisiert diese Begriffsbestimmung: Bei den vorgelagerten Geschäftsbeziehungen geht es um den Entwurf, die Gewinnung, die Herstellung, die Beförderung, die Lagerung, die Lieferung von Rohstoffen, Produkten, Teilen von Produkten oder Dienstleistungen, die für die Ausübung der Tätigkeit des Unternehmens (hier: X. AG) erforderlich sind. Die Produktion und Lieferung von Spezialmaschinen für den unmittelbaren Zulieferer (das Sägewerk der S. GmbH) kann wohl als verbundene Tätigkeit hinsichtlich der Möbelproduktion der X. AG angesehen werden, weil es um die Herstellung von Teilprodukten (verarbeitungsfähiges Holz für die Produktion der Küchenmöbel) geht, die für die Ausübung der Tätigkeit der X.AG erforderlich ist. Ob ein solch weites Verständnis der Wertschöpfungskette noch iSd Erfinder ist, ist mE jedoch äußerst zweifelhaft. Denn das würde bedeuten, dass große Unternehmen für nahezu alle Tätigkeiten von Geschäftspartnern sorgfaltspflichtig werden, die Teil der Lieferkette sind. Hier bedarf es zwingend einer Klarstellung und Präzisierung, um ausufernde und praktische nicht mehr handhabbare Ergebnisse zu vermeiden.33
Von der Reichweite der Wertschöpfungskette zu trennen ist der Frage, ob die X. AG mit dem chinesischen Unternehmen U. überhaupt eine (indirekte) etablierte Geschäftsbeziehung führt, weil nur dann die Sorgfaltspflicht besteht. Auch hier bietet sich wieder ausreichend Auslegungsspielraum, weil der Richtlinienvorschlag den Begriff „etablierte Geschäftsbeziehung“ trotz Legaldefinition weitgehend unbestimmt lässt.
2.3.Die betroffenen Schutzgüter 2.3.1.Menschenrechte und Umweltbelange Die Sorgfaltspflicht besteht zunächst in Hinblick auf alle negativen Auswirkungen auf die Menschenrechte. Welche Menschenrechte im Detail geschützt werden, wird in Art3 litc des Richtlinienvorschlags durch eine Reihe von Verweisen auf zahlreiche internationale Abkommen, die im Anhang zum Richtlinienvorschlag,34 namentlich Teil I Abschnitt 1 Z1 bis 20, aufgelistet sind, konkretisiert. Der Katalog reicht etwa vom Schutz der Kinderrechte über das Verbot der Zwangsarbeit bis hin zum Recht der freien Meinungsäußerung oder eines angemessenen Lohns. Ergänzt wird diese Auflistung durch eine weitreichende Auffangklausel (Teil I Abschnitt 1 Z21 des Anhangs zum Richtlinienvorschlag). Demnach ist auch der Verstoß gegen ein Recht oder Verbot, das sich aus den in Teil I Abschnitt 2 des Anhangs zum Richtlinienvorschlag aufgezählten Menschenrechtskonventionen ableitet, zu berücksichtigen, sofern die Verletzung zu einer unmittelbaren Beeinträchtigung eines durch diese Übereinkommen geschützten rechtlichen Interesses führt.35 Dies gilt jedoch nur unter der Voraussetzung, dass das betroffene Unternehmen die Gefahr einer solchen Beeinträchtigung sowie alle geeignete Maßnahmen nach vernünftigem Ermessen hätte feststellen können.36
Darüber hinaus bestehen die Sorgfaltsverpflichtungen der Unternehmen hinsichtlich aller negativen Auswirkungen auf die Umwelt. Welche Umweltbelange geschützt werden, wird in Art3 litb des Richtlinienvorschlags wieder durch eine Reihe von Verweisen auf internationale Übereinkommen, die in Teil II des Anhangs zum Richtlinienvorschlag aufgelistet sind, geregelt. Eine allgemeine Auffangklausel existiert –anders als bei den Menschenrechten – allerdings nicht.
Wie sich aus dem Richtlinienvorschlag ergibt, kommt es nicht darauf an, dass der Staat, in dem das Unternehmen angesiedelt ist, die Menschenrechte und Umweltbelange verletzt. Denn dies würde wohl zweifellos das Ende des globalen Handelns bedeuten. Es ist ausschließlich darauf abzustellen, ob der in der Wertschöpfungskette tätige etablierte Geschäftspartner im Rahmen seiner Geschäftstätigkeit die Schutzgüter beeinträchtigt. Nach einem Teil der Lehre ist es zudem auch nicht einmal erforderlich, dass der Staat, in dem die Geschäftstätigkeit ausgeübt wird, den im Anhang zum Richtlinienvorschlag aufgelisteten internationalen Abkommen beigetreten ist. Vielmehr werden die Rechte und Verbote aus den einzelnen Abkommen durch den Richtlinienvorschlag zu eigenständigen unionsrechtlichen Rechtspositionen erhoben.37
Fraglich und weitgehend unbestimmt ist auch, welcher Maßstab für die Beurteilung zur Einhaltung der einzelnen Menschenrechte und Umweltbelange heranzuziehen ist.38 Folgendes Beispiel zum Recht auf gerechte und günstigste Arbeitsbedingungen einschließlich eines angemessenen Lohns (Teil I Abschnitt 1 Z7 des Anhangs zum Richtlinienvorschlag) veranschaulicht die Problematik:
Der österreichische Textilunternehmer X. AG lässt einen Teil seiner Ware durch seinen etablierten Geschäftspartner in China produzieren. Muss die X. AG gewährleisten, dass die Arbeitsbedingungen und die Entlohnung der Mitarbeiter vor Ort österreichischen Standards entsprechen oder richtet sich die Beurteilung nach dem Recht des jeweiligen Beschäftigungsortes?
32 Vgl auch Erwägungsgrund 17 des Richtlinienvorschlags, wonach die Sorgfaltspflichten den „gesamten Lebenszyklus der Produktion“ abdecken sollen. 33 Vgl auch Bomsdorf/Blatecki-Burgert, ZRP 2022, 142, die ebenfalls praktische
Bedenken hinsichtlich einer derart umfassenden Sorgfaltspflicht äußern. 34 Online abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cellar:bc4dcea49584-11ec-b4e4-01aa75ed71a1.0007.02/DOC_2&format=PDF. 35 Vgl auch Erwägungsgrund 25 des Richtlinienvorschlags; dazu sehr kritisch DAV,
Stellungnahme zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und zur Änderung der RL (EU) 2019/1937, NZG 2022, 909; siehe auch
Spindler, ZIP 2022, 769. 36 Erwägungsgrund 25 des Richtlinienvorschlags. 37 Lutz-Bachmann/Vorbeck/Wengenroth, BB 2022, 839 (auch mit dem Hinweis auf etwaige Auslegungsschwierigkeiten). 38 Darauf hinweisend auch Spindler, ZIP 2022, 769.
Die besseren Gründe sprechen mE für letzteren Fall.39 Das Outsourcen von Geschäftsprozessen erfolgt gerade vor dem Hintergrund, von den günstigen Arbeitsbedingungen in fremden Ländern zu profitieren. Dies betrifft vor allem niedrige Lohnund Lohnnebenkosten. Damit wird sichergestellt, dass die Ware zu einem erschwinglichen Preis dem Konsumenten angeboten werden kann. Müsste die X. AG dafür Sorge tragen, dass die Mitarbeiter des chinesischen Geschäftspartners den österreichischen Mindestlohn erhalten, so wäre der Vorteil der billigeren Lohn- und Lohnnebenkosten in der Produktion hinfällig und ein Outsourcen von Geschäftsprozessen in Niedriglohnländer obsolet.
2.3.2.Eindämmung des Klimawandels Art15 des Richtlinienvorschlags sieht zudem vor, dass Gruppe 1und Gruppe 3-Unternehmen einen Plan festzulegen haben, mit dem sie sicherstellen, dass das Geschäftsmodell und die Strategie des Unternehmens mit dem Ziel des Pariser Klimaübereinkommens40 hinsichtlich der Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5° C vereinbar sind.41 Die Aufnahme dieser Bestimmung in den Richtlinienvorschlag wird im Schrifttum kritisiert, weil sie mit den Sorgfaltspflichten in der Wertschöpfungskette nichts zu tun hat. Insb lässt sich aus der Norm auch nicht ableiten, welche Maßnahmen der einzelne Unternehmer konkret zu setzen hat.42 Auch führt ein Verstoß gegen Art15 des Richtlinienvorschlags nicht zu einer zivilrechtlichen Haftung nach Art22 des Richtlinienvorschlags.
3.Die Sorgfaltspflicht der Unternehmen im Detail 3.1.Allgemeines Das Kernstück des Richtlinienvorschlags bilden die einzelnen Sorgfaltspflichten des Unternehmens. Sie sind in Art4 des Richtlinienvorschlags überblicksartig zusammengefasst sind und werden in Art5 bis 11 des Richtlinienvorschlags näher ausgeführt.
Der Richtlinienvorschlag zielt nicht darauf ab, Unternehmen dazu zu verpflichten, sämtliche negativen Auswirkungen in Bezug auf Menschenrechte und Umweltbelange zu verhindern oder zu stoppen.43 Vielmehr sieht die Europäische Kommission sog Mittelverpflichtungen in Form eines mehrstufigen Systems vor. Das Unternehmen soll geeignete Maßnahmen44 ergreifen, die nach vernünftigem Ermessen zur Verhinderung oder Minimierung der negativen Auswirkungen auf die Menschenrechte und Umweltbelange führen.45
3.2.Einbeziehung der Sorgfaltspflicht in die Unternehmenspolitik (Art5 des Richtlinienvorschlags) Die Unternehmen sollen zunächst verpflichtet werden, die menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflicht in
39 Siehe dazu auch §2 Abs2 Z8 dLkSG, wonach sich der angemessene Lohn im Zweifel nach dem Recht des Beschäftigungsortes bemisst. 40 Online abrufbar unter https://unfccc.int/sites/default/files/english_paris_agreement.pdf. 41 Dazu im Detail Lutz-Bachmann/Vorbeck/Wengenroth, BB 2022, 841f. 42 J. Schmidt, BB 2022, 1862f; Charnitzky/Weigel, RIW 2022, 419f; vgl auch kritisch
P.Jung, GPR 2022, 120; Nietsch/Wiedemann, CCZ2022, 128f. 43 Siehe Erwägungsgrund 15 des Richtlinienvorschlags. 44 Zum Begriff „geeigneten Maßnahme“ siehe die Legaldefinition in Art3 litq des
Richtlinienvorschlags; vgl auch Erwägungsgründe 29 und 32 des Richtlinienvorschlags. 45 Erwägungsgrund 15 des Richtlinienvorschlags. alle Bereiche der Unternehmenspolitik einzubeziehen. Dies inkludiert die Entwicklung einer Strategie zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht, welche jährlich zu aktualisieren ist. Art5 Abs1 lita bis c des Richtlinienvorschlags konkretisiert die Anforderungen an diese Strategie.46
3.3.Ermittlung tatsächlicher und potenzieller negativer
Auswirkungen (Art6 des Richtlinienvorschlags) Darüber hinaus müssen Unternehmer der Gruppen 1 und 3 tatsächliche und potenzielle negative Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt ermitteln, die sich aus ihren eigenen Tätigkeiten, denen ihrer Tochterunternehmen und aus ihren etablierten Geschäftsbeziehungen ergeben. Was genau potenzielle negative Auswirkungen sind, lässt der Richtlinienvorschlag offen. Zu denken ist etwa an eine Art anlassbezogener Prognose, die der Unternehmer immer dann aufzustellen hat, wenn sich die Umstände in seiner eigenen Geschäftstätigkeit oder die der (etablierten) Geschäftspartner ändern. Beispielhaft erwähnt ist etwa der Bau einer neuen Produktionshalle, bei der die zukünftigen emissionsbedingten Auswirkungen auf die Umwelt ermittelt werden müssen. Letztendlich bestehen aber auch hier Auslegungsunsicherheiten.47 Die Ermittlungspflicht ist grundsätzlich auf Dauer angelegt und muss regelmäßig während der gesamten Tätigkeit bzw Geschäftsbeziehung durchgeführt werden.48 Beaufsichtigte Finanzunternehmen müssen die negativen Auswirkungen hingegen nur bei Vertragsbeginn ermitteln (Art6 Abs3 des Richtlinienvorschlags).
Für Gruppe 2- und Gruppe 4-Unternehmer sieht der Richtlinienvorschlag eine Erleichterung vor. Sie müssen nur jene tatsächlichen und potenziellen schwerwiegenden negativen Auswirkungen ermitteln, die für den jeweiligen Highimpact-Sektor relevant sind. Schwerwiegend sind die Auswirkungen dann, wenn sie auf die Umwelt oder die Menschenrechte besonders gravierend wirken, eine große Personenanzahl oder einen großen Bereich der Umwelt betreffen, irreversibel sind oder sich nur besonders schwer beheben lassen (Art3 litl des Richtlinienvorschlags).
3.4.Vermeidung potenzieller negativer Auswirkungen (Art7 des Richtlinienvorschlags) Auf Grundlage der in Art6 des Richtlinienvorschlags durchgeführten Risikoermittlung müssen Unternehmen geeignete Maßnahmen ergreifen, um potenzielle negative Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt zu vermeiden oder die Auswirkungen angemessen abzuschwächen, wenn sie nicht vollständig vermieden werden können. Zur Durchführung dieser Sorgfaltspflicht sieht der Richtlinienvorschlag ein Drei-Stufen-Modell vor: Stufe 1 ist in Art7 Abs2 des Richtlinienvorschlags näher geregelt: Unternehmen haben einen Präventionsaktionsplan auszuarbeiten und umzusetzen. Sie sollen anstreben, dass die Einhaltung des Präventionsaktionsplans und des
Verhaltenskodex von direkten etablierten Geschäftspartnern vertraglich zugesichert wird. Direkte Geschäftspartner
46 Siehe auch Erwägungsgrund 28 des Richtlinienvorschlags. 47 Vgl Lutz-Bachmann/Vorbeck/Wengenroth, BB 2022, 839. 48 Siehe Erwägungsgrund 30 des Richtlinienvorschlags.
sollen wiederum von ihren Partnern, die Teil der Lieferkette sind, entsprechende vertragliche Zusicherungen verlangen (Vertragskaskaden). Die vertraglichen Zusicherungen müssen von geeigneten Maßnahmen zur Überprüfung und Einhaltung begleitet werden (Art7 Abs2 litb iVm Abs4 des Richtlinienvorschlags). Weitere Maßnahmen sind die Vornahme von Investitionen, die darauf abzielen, negative Auswirkungen zu verhindern, die gezielte verhältnismäßige Unterstützung für KMU, mit denen eine etablierte Geschäftsbeziehung besteht, und die
Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen.49 Stufe 2 wird in Art7 Abs3 des Richtlinienvorschlags präzisiert: Reichen die bisherigen Maßnahmen nicht aus, kann das Unternehmen versuchen, einen Vertrag mit indirekten Geschäftspartnern abzuschließen, um die Einhaltung des Verhaltenskodex oder eines Präventionsaktionsplans zu erreichen. Auch hier sind geeignete Maßnahme zur Überprüfung und Einhaltung erforderlich (Art7 Abs3 iVm Abs4 des Richtlinienvorschlags). Stufe 3 ist in Art7 Abs5 und 6 des Richtlinienvorschlags normiert: Im Hinblick auf potenzielle negative Auswirkungen, die mit den vorgesehenen Maßnahmen nicht vermieden oder abgeschwächt werden können, darf das
Unternehmen mit dem Partner oder in der Wertschöpfungskette, von dem bzw der die Auswirkungen ausgehen, keine neuen Beziehungen eingehen bzw bestehende Beziehungen ausbauen. Als Ultima-ratio-Maßnahme50 müssen Unternehmer, sofern es das anwendbare
Recht zulässt, die Geschäftsbeziehungen vorübergehend aussetzen oder gänzlich beenden, sofern die Auswirkungen schwerwiegend sind.51 Die EU-Mitgliedstaaten werden verpflichtet, entsprechende Kündigungsmöglichkeiten in ihren Rechtsordnungen zu etablieren, sofern die
Verträge ihrem Recht unterliegen.
3.5.Behebung tatsächlicher negativer Auswirkungen (Art8 des Richtlinienvorschlags) Haben sich die negativen Auswirkungen tatsächlich realisiert, so sind die Unternehmen verpflichtet, die negativen Auswirkungen zu beheben oder zumindest zu minimieren. Wie genau dabei vorzugehen ist, regelt Art8 des Richtlinienvorschlags wiederum in einem Drei-Stufen-Modell, das weitgehend jenem in Art7 des Richtlinienvorschlags entspricht und nur in Details abweichend geregelt ist: Stufe 1 wird in Art8 Abs3 des Richtlinienvorschlags näher erläutert: Unternehmen werden verpflichtet, Schadenersatz an betroffene Personen und finanzielle Entschädigungen an betroffene Gemeinschaften zu leisten. Falls die negativen Auswirkungen nicht sofort abgestellt werden können, ist zudem die Ausarbeitung und Umsetzung eines Korrekturmaßnahmenplans erforderlich. Im Übrigen folgen die aufgezählten Maßnahmen jenen der Stufe 1 in
Art7 des Richtlinienvorschlags: Erwähnt werden die
Einholung vertraglicher Zusicherungen von direkten etablierten Geschäftspartnern zur Einhaltung des Korrekturmaßnahmenplans einschließlich der Verpflichtung, dass sie ihrerseits von ihren Geschäftspartnern solche
Zusicherungen verlangen (Vertragskaskaden), die Vornahme von Investitionen zur Behebung bzw Minimierung der Auswirkungen, die Unterstützung von KMU sowie die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen. Die Maßnahmen der Stufen 2 und 3 (Art8 Abs4 bis 7 des
Richtlinienvorschlags) entsprechen – bis auf wenige redaktionelle Änderungen – jenen in Art7 des Richtlinienvorschlags.
3.6.Begleitmaßnahmen (Art9 bis 11 des Richtlinienvorschlags) Gem Art9 des Richtlinienvorschlags werden Unternehmen dazu verpflichtet, eine Beschwerdeverfahren einzurichten. Dadurch soll es betroffenen Personen, Gewerkschaften und andere Arbeitnehmervertretern sowie aktive Organisationen der Zivilgesellschaft (zB NGOs) ermöglicht werden, dem Unternehmen begründete Bedenken hinsichtlich negativer Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit, der Tätigkeit von Tochterunternehmen und ihrer Wertschöpfungskette mitzuteilen. Art10 des Richtlinienvorschlags verpflichtet die Unternehmen dazu, ihre Tätigkeit und Maßnahmen zur Umsetzung der Sorgfaltspflichten in Bezug auf Menschenrechte und Umwelt mindestens alle 12 Monate neu zu bewerten. Schließlich sollen Unternehmen, die zwar dem Anwendungsbereich dieses Richtlinienvorschlags, nicht aber Art19a und 29a der Bilanzrichtlinie52 unterliegen, öffentlich darüber berichten, wie sie ihre Sorgfaltspflichten erfüllen (Art11 des Richtlinienvorschlags).
4.Sanktionsregime 4.1.Vorbemerkung Ein weiteres Kernstück des Richtlinienvorschlags ist das umfangreiche zweigeteilte Sanktionsregime, das aus einer öffentlich-rechtlichen Durchsetzung und einer zivilrechtlichen Haftung besteht.
4.2.Öffentlich-rechtliche Durchsetzung (Art17 bis 21 des Richtlinienvorschlags) 4.2.1.Behördliche Aufsicht (Art17 und 21 des Richtlinienvorschlags) Die EU-Mitgliedstaaten haben eine oder mehrere unabhängige Aufsichtsbehörden zu benennen, um die Überwachung der ordnungsgemäßen Umsetzung der Sorgfaltspflichten der Unternehmen sicherzustellen (Art17 Abs1 des Richtlinienvorschlags). Bei der Zuständigkeit ist zu differenzieren: Bei EU-Unternehmen ist die Aufsichtsbehörde jenes EU-Mitgliedstaates zuständig, in dem das Unternehmen seinen eingetragenen Sitz hat. Bei Drittstaatsunternehmen wird primär darauf abgestellt, wo das Unternehmen seine Zweigneiderlassung hat. Subsidiär gilt, dass sich die Zuständigkeit danach orientiert, wo das Drittstaatsunternehmen den größten Teil seines Nettoumsatzes in der EU erzielt hat (Art17 Abs2 und 3 des Richtlinienvorschlags).
Nach Art16 des Richtlinienvorschlags sind Drittstaatsunternehmen zudem verpflichtet, eine juristische oder natürliche Person als Bevollmächtigten zu benennen. Dieser muss
49 Vgl Erwägungsgrund 34 des Richtlinienvorschlags; zur Zusammenarbeit mit andern
Unternehmen vgl Erwägungsgrund 37 des Richtlinienvorschlags (Branchen- und
Multi-Stakeholder-Initiativen). 50 Vgl Erwägungsgründe 32 und 36 des Richtlinienvorschlags. 51 Vgl aber die Einschränkung für Finanzunternehmen in Art7 Abs6 des Richtlinienvorschlags. 52 In Österreich durch §§243b und 267a UGB umgesetzt.
in einem EU-Mitgliedstaat, in dem das Drittstaatsunternehmen tätig ist, niedergelassen oder ansässig sein. Damit soll die wirksame Beaufsichtigung und Durchsetzung der Sorgfaltspflichten in Bezug auf das Drittstaatsunternehmen sichergestellt werden.53 Nähere Anforderungen an den Bevollmächtigten werden nicht gestellt. So ist es etwa denkbar, dass unterschiedliche Drittstaatsunternehmen denselben Bevollmächtigten benennen können. Ob und inwieweit Drittstaatsunternehmen zur Durchsetzung dieser Benennungspflicht angehalten werden können, bleibt ebenfalls offen.
Der Richtlinienvorschlag sieht in Art21 zudem die Schaffung eines europäischen Netzwerkes der Aufsichtsbehörden vor, mit dem das grenzüberschreitende Zusammenarbeiten koordiniert werden soll.
4.2.2.Befugnisse und Tätigwerden der Aufsichtsbehörden (Art18 und 19 des Richtlinienvorschlags) Die Aufsichtsbehörden werden von Amtes wegen oder aufgrund ihnen nach Art19 des Richtlinienvorschlags übermittelter begründeter Bedenken tätig. Art19 des Richtlinienvorschlags räumt somit natürlichen und juristischen Personen die Möglichkeit ein, Beschwerden bei den Aufsichtsbehörden einzulegen, wenn sich ein Unternehmen nicht an die Sorgfaltspflichten hält. Offen – und somit einmal mehr unklar – bleibt, welchen Substanziierungsgrad die Beschwerde aufweisen muss.54 Gegen die Entscheidung der Aufsichtsbehörde sollen die Beschwerdeführer Rechtsmittel einlegen können (Art19 Abs5 des Richtlinienvorschlags).55
Die Aufsichtsbehörden dürfen Informationen anfordern und Untersuchungen – nach grundsätzlich vorheriger Ankündigung56 – durchführen. Darüber hinaus sollen Aufsichtsbehörden mindestens dazu berechtigt sein, Maßnahmen anzuordnen, um Verstöße gegen Sorgfaltspflichten zu beenden, finanzielle Sanktionen im Einklang mit Art20 des Richtlinienvorschlags zu verhängen sowie vorläufige Maßnahmen zu ergreifen, um das Risiko eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens zu vermeiden (Art18 Abs5 des Richtlinienvorschlags).
4.2.3.Verwaltungssanktionen (Art20 des Richtlinienvorschlags) Der Richtlinienvorschlag sieht keinen Katalog konkreter Sanktionstatbestände vor. Es wird lediglich angeordnet, dass die EU-Mitgliedstaaten wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen vorzusehen und anzuwenden haben, die bei sämtlichen Verstößen gegen die nationalen Umsetzungsakte zu verhängen sind. Erfasst sind jedenfalls Geldbußen, deren Höhe sich nach dem Umsatz des Unternehmens richtet. Darüber hinaus bleibt es den EU-Mitgliedstaaten offen, zu entscheiden, welche Sanktionen sie in ihren nationalen Vorschriften vorsehen wollen. Zu denken ist etwa an einen Ausschluss von Unternehmen von der Vergabe öffentlicher Aufträge.57 Vorgesehen sind zudem vertypte Milderungsgründe, die zugunsten des Unternehmens bei einer Sanktionierung zu berücksichtigen sind (Art20 Abs2 des Richtlinienvorschlags). Die EU-Mitgliedstaaten haben zudem sicherzustellen, dass jede Entscheidung von Aufsichtsbehörden über die Verhängung von Sanktionen nach dem Naming-and-shaming-Prinzip veröffentlicht wird. Hier sollte mE sichergestellt werden, dass die Veröffentlichungen in Medien erfolgen, die der Bevölkerung bekannt und leicht zugänglich sind, damit die Verstöße des Unternehmens auch breitenwirksam wahrgenommen werden. Zu denken ist etwa an Print- und Online-Tageszeitungen. Der Zugang der Europäischen Kommission, sorgfaltspflichtwidrige Unternehmen öffentlich an den Pranger zu stellen, ist mE ein durchaus gelungener Ansatz, um Unternehmen verstärkt zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltbelangen zu bewegen.
Schwierigkeiten werden jedoch die Kontrollen und Sanktionierungen von Drittstaatsunternehmen ohne Zweigniederlassung in der EU bereiten.58 Nationale Aufsichtsbehörden können mangels Befugnis nicht ohne Weiteres Untersuchungen bei Drittstaatsunternehmen im Ausland durchführen. Wie Verwaltungssanktionen bei Drittstaatsunternehmen vollstreckt werden können, ist ebenfalls fraglich.
Der Wortlaut des Richtlinienvorschlags lässt keine abschließende Bewertung zu, wer alles Adressat der Verwaltungssanktionen sein soll. Jedenfalls wird das Unternehmen selbst als juristische Person dazu zählen. Es ist auch denkbar, dass die EU-Mitgliedstaaten in ihren nationalen Umsetzungsakten die Verhängung von Sanktionen gegen die einzelnen Mitglieder der Unternehmensleitung vorsehen dürfen.
4.3.Zivilrechtliche Haftung (Art22 des Richtlinienvorschlags) 4.3.1.Allgemeines Die Einführung einer zivilrechtlichen Haftung bei Verstößen gegen bestimmte Sorgfaltspflichten bildet ein weiteres Kernelement des Richtlinienvorschlags. Adressaten des Haftungstatbestands sind die Unternehmen als juristische Person. Die Möglichkeit einer zivilrechtlichen Haftung übernimmt eine Doppelfunktion: Einerseits soll dadurch eine wirksame Entschädigung der Opfer nachteiliger Auswirkungen gewährleistet werden,59 anderseits dient sie als präventive Abschreckung davor, dass Unternehmen gegen die Sorgfaltspflichten verstoßen.60
4.3.2.Der Grundtatbestand (Art22 Abs1 des Richtlinienvorschlags) Die EU-Mitgliedstaaten haben sicherzustellen, dass Unternehmen für Schäden haften, wenn sie die Verpflichtungen zur Vermeidung potenzieller negativer Auswirkungen (Art7 des Richtlinienvorschlags) oder zur Behebung tatsächlicher negativer Auswirkungen (Art8 des Richtlinienvorschlags) nicht erfüllt haben und als Ergebnis dieses Versäumnisses negative Auswirkungen eingetreten sind, die ermittelt, vermieden, abgeschwächt,
53 Erwägungsgrund 52 des Richtlinienvorschlags. 54 So auch Spindler, ZIP 2022, 774. 55 Unklar Spindler, ZIP 2022, 774, wonach Art19 Abs5 des Richtlinienvorschlags den
EU-Mitgliedstaaten die Entscheidung offenlässt, ob Beschwerdeführer überhaupt
Rechtsmittel gegen Entscheidungen der Aufsichtsbehörden einlegen können sollen. 56 Der Richtlinienvorschlag ist in diesem Punkt gegenüber dem deutschen LkSG milder. In Bezug auf das deutsche LkSG kann die Aufsichtsbehörde anlasslos und unangekündigt Kontrolle durchführen, was de facto einer spontanen Hausdurchsuchung gleichkommt; siehe Lutz-Bachmann/Vorbeck/Wengenroth, Menschenrechte und Umweltschutz in Lieferketten – der Regierungsentwurf eines Sorgfaltspflichtengesetzes, BB 2021, 906 (912). 57 Vgl §22 dLkSG. 58 Bomsdorf/Blatecki-Burgert, ZRP 2022, 143. 59 Erwägungsgrund 56 des Richtlinienvorschlags. 60 Lutz-Bachmann/Vorbeck/Wengenroth, BB 2022, 842.
behoben oder durch angemessene Maßnahmen nach
Art7 und 8 des Richtlinienvorschlags minimiert hätten werden müssen und zu Schäden geführt haben. Erforderlich ist somit eine doppelte Kausalität: Der Verstoß gegen die Sorgfaltsverpflichtungen nach Art7 und 8 des Richtlinienvorschlags muss zunächst zu negativen Auswirkungen führen, die ihrerseits kausal für den eingetretenen Schaden beim Geschädigten sind.61 Besonders bemerkenswert ist, dass der Richtlinienvorschlag keine Regelungen zur Beweislast enthält. Vielmehr obliegt die Klärung der Beweislastverteilung den einzelnen EU-Mitgliedstaaten.62 In der Praxis ist es aber ganz entscheidend, ob das Vorliegen der Haftungsvoraussetzungen vermutet wird oder ob dem Geschädigten der Nachweis obliegt.63 Obliegt die Beweislast dem Geschädigten, so wird eine effektive Durchsetzung der zivilrechtlichen Haftung wohl verhindert.
Auslegungsbedürftig bleibt auch, ob der Tatbestand des Art22 Abs1 des Richtlinienvorschlags auf ein schuldhaftes Verhalten des Unternehmens abstellt oder ob auch ein unverschuldeter Pflichtenverstoß (Gefährdungshaftung?) erfasst sein soll.64 Gleiches gilt für die Frage, wer zur Erhebung der Ansprüche aktivlegitimiert ist. Aus dem Grundtatbestand lässt sich ableiten, dass der Geschädigte selbst Schadenersatz begehren kann. Ob auch Verbandsklagen oder Prozessstandschaften möglich sind, wird hingegen nicht geregelt, sodass den einzelnen EU-Mitgliedstaaten bei einer Umsetzung der Richtlinie in das nationale Recht ein erheblicher Gestaltungsraum zukommt.65
Nach Art22 Abs3 des Richtlinienvorschlags ist die Haftung des Unternehmens unabhängig von der Haftung ihrer Tochtergesellschaften oder direkten bzw indirekter Geschäftspartner in der Wertschöpfungskette. Im Ergebnis können daher für den ein und denselben Sorgfaltsverstoß mehrere Gesellschaften schadenersatzpflichtig werden.
Da der Richtlinienvorschlag haftungsrechtlich lediglich einen Mindeststandard schaffen möchte, werden strenge nationale Haftungsbestimmungen ausdrücklich zugelassen (Art22 Abs4 des Richtlinienvorschlags).
4.3.3.Ausnahmetatbestand (Art22 Abs2 des Richtlinienvorschlags) Ein vager Ausnahmetatbestand (safe harbor) besteht für schädigende Handlungen von indirekten Geschäftspartnern, mit denen eine etablierte Geschäftsbeziehung unterhalten wird. Hat das Unternehmen angemessene Maßnahmen nach Art7 Abs2 litb und Abs4 sowie Art8 Abs3 litc und Abs5 des Richtlinienvorschlags ergriffen (vertragliche Kaskaden und Zusicherungen von direkten Geschäftspartnern), so soll es nicht für Schäden haften, die durch die Tätigkeit des indirekten Geschäftspartners verursacht wurden. Diese Haftungsbefreiung entfällt jedoch, wenn es vernünftigerweise nicht zu erwarten war, dass die tatsächlich ergriffenen Maßnahmen geeignet waren, um die negativen Auswirkungen zu vermeiden oder zu vermindern.66 4.3.4.Ausgestaltung als Eingriffsnorm (Art22 Abs5 des Richtlinienvorschlags) Abschließend enthält Art22 Abs5 des Richtlinienvorschlags eine kollisionsrechtliche Regelung: Die EU-Mitgliedstaaten haben sicherzustellen, dass die in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehene Haftung zwingend Anwendung findet. Sie genießt Vorrang in jenen Fällen, in denen das auf entsprechende Ansprüche anzuwendende Recht nicht das Recht des EU-Mitgliedstaates ist. Die Haftungsbestimmung muss insoweit als Eingriffsnorm verstanden werden.67
61 P. Jung, GPR 2022, 116. 62 Erwägungsgrund 58; dazu kritisch Bomsdorf/Blatecki-Burgert, ZRP 2022, 143. 63 J. Schmidt, BB 2022, 1862. 64 Siehe Spindler, ZIP 2022, 774f, wonach eine Gefährdungshaftung ausgeschlossen sein dürfte, weil in Art22 Abs2 des Richtlinienvorschlags zumindest indirekt auf die Bemühungen der Gesellschaft zur Einhaltung der Pflichten abgestellt wird; für eine Verschuldenshaftung auch Nietsch/Wiedmann, CCZ2022, 133. 65 So auch Spindler, ZIP 2022, 775. 66 Zu den zahlreichen ungeregelten Einzelheiten iZm diesem Ausnahmetatbestand vgl
Bomsdorf/Blatecki-Burgert, ZRP 2022, 143. 67 Bomsdorf/Blatecki-Burgert, ZRP 2022, 143; Spindler, ZIP 2022, 776; kritisch zum
Regelungsvorschlag des Art22 Abs5 des Richtlinienvorschlags Nietsch/Wiedmann,
CCZ2022, 134. 68 Siehe die weite Legaldefinition in Art3 lito des Richtlinienvorschlags. 69 J. Schmidt, Sustainable directors‘ duties? NZG 2022, 481; vgl auch Nietsch/Wiedmann,
CCZ2022, 135f. 70 J. Schmidt, NZG 2022, 481. 71 Haftung der Geschäftsführer bzw der Vorstände für die schuldhafte Verletzung von
Obliegenheiten und den daraus der Gesellschaft entstandenen Schaden.
5.Pflichten der Unternehmensleitung (Art25 des Richtlinienvorschlags) Schlussendlich normiert der Richtlinienvorschlag noch Sorgfaltspflichten für die Mitglieder der Unternehmensleitung.68 Die EU-Mitgliedstaaten sollen sicherstellen, dass Mitglieder der Unternehmensleitung bei Ausübung ihrer Pflicht, im besten Interesse des Unternehmens zu handeln, die Folgen für Menschenrechte, Klimawandel und Umwelt berücksichtigen (Art25 Abs1 des Richtlinienvorschlags). Zudem muss nach Art25 Abs2 des Richtlinienvorschlags gewährleistet werden, dass binnenstaatliche Vorschriften über die Haftung von Leitungsorganen auch Anwendung finden, wenn die Mitglieder der Unternehmensleitung ihre Pflicht nach Art25 Abs1 des Richtlinienvorschlags nicht erfüllen.
Die Bestimmung birgt durchaus „Sprengstoffpotenzial“, worauf bereits J. Schmidt ausdrücklich hinweist.69 Im Kern geht es um die Frage, ob Mitglieder der Unternehmensleitung künftig nicht nur im besten Interesse des Unternehmens handeln müssen, sondern auch zusätzlich Nachhaltigkeitsaspekte bei ihren Entscheidungen zu beachten haben. Kritisch führt J.Schmidt dazu aus: „Zielkonflikte sind damit vorprogrammiert. Letztlich wird es kaum eine unternehmerische Aktivität geben, bei der man nicht irgendeinen Grund finden könnte, warum sie negative Folgen für Menschenrechte, Klima und/oder Umwelt haben könnte. Wie müssen directors die Nachhaltigkeitsaspekte gewichten? Müssen sie sie gegebenenfalls über die Interessen und den Bestand des Unternehmens stellen?“. 70
Hinsichtlich einer möglichen Haftung der Unternehmensleitung bei Verstoß gegen die Pflichten nach Art25 Abs1 des Richtlinienvorschlags verweist Abs2 leg cit auf die bestehenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften der EUMitgliedstaaten. Für Österreich ergeben sich daher zwei haftungsrechtliche Stoßrichtungen: Zunächst ist davon auszugehen, dass die Mitglieder der
Unternehmensleitung einer Innenhaftung71 ausgesetzt sind, wenn ein Schaden dadurch entstanden ist, weil sie in ihrer Entscheidung Nachhaltigkeitsaspekte unberücksichtigt ließen (§84 Abs2 AktG; §25 Abs2 GmbHG).
Das österreichische Gesellschaftsrecht sieht in besonderen Fällen allerdings auch die Möglichkeit einer Außenhaftung der Leitungsorgane72 vor (§84 Abs5 AktG; §26
Abs2, §56 Abs3 und §64 Abs2 GmbHG). Der Wortlaut des Richtlinienvorschlags unterscheidet zwischen diesen beiden Haftungstatbeständen nicht. Es wird lediglich angeordnet, dass die Rechtsvorschriften über einen Verstoß gegen die Pflichten der Mitglieder der Unternehmensleitung auch dann zu gelten haben, wenn sie gegen die Sorgfaltspflichten nach Art25 Abs1 des Richtlinienvorschlags verstoßen. Es scheint daher durchaus im Bereich des Möglichen, dass Österreich zukünftig sicherzustellen hat, dass die Tatbestände der Außenhaftung auch dann Anwendung finden, wenn ein Mitglied der Unternehmensleitung schuldhaft gegen Nachhaltigkeitsaspekte verstößt.
6.Zwischenfazit Mit der vorgeschlagenen Richtlinie reiht sich die Europäische Kommissionen in eine Reihe von nationalen und internationalen Bestrebungen ein, Unternehmen zu einem verantwortungsvollen und nachhaltigen Verhalten entlang der gesamten Wertschöpfungskette anzuhalten. Kernstück des Richtlinienvorschlags sind umfangreiche Sorgfaltspflichten, zu deren Einhaltung große Unternehmen verpflichtet werden und die von einem strengen öffentlich- und zivilrechtlichen Sanktionsregime flankiert sind.
III.Kritische Würdigung 1.Allgemeines Das ambitionierte Ziel des Richtlinienvorschlags, namhaft das nachhaltige und verantwortungsvolle unternehmerische Verhalten entlang der globalen Wertschöpfungsketten zu fördern, ist zu begrüßen. Doch nicht immer ist „gut gemeint“ auch „gut gemacht“. Der Richtlinienvorschlag ist mit zahlreichen Problemen verbunden und wird daher überwiegend kritisiert.73 Auf einer grundsätzlichen Ebene ist zu beanstanden, dass die Europäische Kommission die Verantwortung zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltbelangen weg von staatlichen Akteuren hin zu privaten Unternehmen verlagern möchte. Es scheint, dass damit eine Art Ausfallshaftung etabliert wird: Weil einige Staaten nicht willens sind oder die Möglichkeiten haben, die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltbelangen in ihrem Hoheitsgebiet sicherzustellen, sollen nun private Unternehmen dazu verpflichtet werden. Damit geht jedoch die reale Gefahr einher, dass sich viele Unternehmen aus globalen Wertschöpfungsketten zurückziehen werden, weil sie nicht gewillt sind, diese hohen Standards und Anforderungen an die Sorgfaltspflichten zu übernehmen.74 Ob dem globalen Handel damit ein Gefallen getan wird, ist äußerst fraglich. Dem Vernehmen nach verlangen vor allem international tätige Großkonzerne bereits heute verschiedenste Nachweise von ihren Vertragspartnern, die den vom Richtlinienvorschlag angesprochenen Bereichen durchaus ähnlich sind. Sie beschränken sich jedoch meist auf den unmittelbaren Vertragspartner und gehen in der Lieferkette nicht bis zur Produktion zurück.
Es gibt noch zahlreiche weitere Kritikpunkte am Richtlinienvorschlag; drei davon werden nachstehend näher ausgeführt.
2.Mangelnde Bestimmtheit Wie die bisherigen Ausführungen aufgezeigt haben, ist der Richtlinienvorschlag von der Verwendung zahlreicher abstrakter, auslegungsbedürftiger Kriterien und unbestimmter Rechtspflichten geprägt, die sich ihrerseits in verschachtelten und verstrickten Sätzen wiederfinden.75 Vor dem Hintergrund der Bestrebungen der Europäischen Kommission, die fragmentierte Rechtslage bezüglich der Sorgfaltspflichten von Unternehmen entlang der Lieferkette zu vereinheitlichen, zeigt sich daher, dass der Richtlinienvorschlag kein geeignetes Instrument hierzu ist. Denn durch die Ausgestaltung als Mindestharmonisierung und die Verwendung zahlreicher unbestimmter und auslegungsbedürftiger Bestimmungen bleibt zu befürchten, dass die nationalen Umsetzungsakte der einzelnen EU-Mitgliedstaaten stark voneinander abweichen werden. Es ist daher durchaus realistisch, dass sich in den Anwendungsbereich des Richtlinienvorschlags fallende Unternehmen künftig mit 27 unterschiedlichen nationalen Umsetzungsakten plagen müssen.
Hinsichtlich der einzelnen Sorgfaltsplichten ist im Richtlinienvorschlag oftmals auch nur von „geeigneten Maßnahmen“. 76 die Rede, die das Unternehmen „gegebenenfalls“ zu ergreifen hat.77 So heißt es etwa in Art7 Abs3 und Art8 Abs4 des Richtlinienvorschlags, dass der Unternehmen „gegebenenfalls“ versuchen kann, einen Vertrag mit einem indirekten Geschäftspartner abzuschließen, um die Einhaltung des Verhaltenskodex bzw des Korrekturmaßnahmenplans zu gewährleisten. Dieser unbestimmte Wortlaut lässt zahlreiche Fragen offen. So ist etwa unklar, ob bereits die einmalige erfolglose Kontaktaufnahme mit dem Geschäftspartner ausreichen soll, um dieser Sorgfaltspflicht nachzukommen.
3.Die mittelbare Betroffenheit von KMU KMU sind vom Anwendungsbereich des Richtlinienvorschlags ausdrücklich ausgenommen.78 Allerdings ist davon auszugehen, dass viele KMU Teil von unterschiedlichen Wertschöpfungsketten sind und in (direkten oder indirekten) etablierten Geschäftsbeziehungen mit großen Unternehmen stehen, die dem Anwendungsbereich des Richtlinienvorschlags unterliegen. In diesem Fall wird das Unternehmen auch für die Geschäftstätigkeiten der KMU sorgfaltspflichtig.
Wie die Europäische Kommission selbst zugesteht, ist daher zu erwarten, dass die große Unternehmen die Erfüllung der Sorgfaltspflichten unmittelbar an KMU weiterreichen werden (Weitergabeklauseln).79 Wie bereits unter Pkt II.3.4.
72 Unmittelbare Haftung der Leitungsorgane gegenüber Dritten und Gesellschaftern. 73 Vgl die kritischen Stellungnahmen: P. Jung, GPR 2022, 117ff; Nietsch/Wiedmann,
CCZ2022, 136f; DAV, NZG 2022, 909ff; Bomsdorf/Blatecki-Burgert, ZRP 2022, 143f; kritisch zu den directors‘ duties in Art25 des Richtlinienvorschlags J. Schmidt,
NZG 2022, 481. 74 So auch P. Jung, GPR 2022, 118. 75 Vgl auch Spindler, ZIP 2022, 777; zur mangelnden Bestimmtheit „etablierter
Geschäftsbeziehungen“ siehe Lutz-Bachmann/Vorbeck/Wengenroth, BB 2022, 837f. 76 Legal definiert in Art3 litq des Richtlinienvorschlags. 77 Siehe zB Art6 Abs1, Art7 Abs1 und 2 sowie Art8 Abs1 und 3 des Richtlinienvorschlags. 78 Zur Begründung der Europäischen Kommission siehe KOM (2022) 71 endg, S18f. 79 KOM (2022) 71 endg, S18.
und II.3.5 ausgeführt, besteht die Sorgfaltspflicht der Unternehmer etwa genau darin, vertragliche Zusicherungen von Geschäftspartnern zur Einhaltung des Verhaltenskodex einzuholen.80 Letztendlich können KMU vertraglich dazu verpflichtet werden, für die Einhaltung menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorgfaltspflichten bei ihrer eigenen Geschäftstätigkeit sowie der Geschäftstätigkeit ihrer Geschäftspartner zu sorgen. Dies kann wiederum nur durch die Einrichtung eines aufwendigen und kostspieligen internen Compliance-Verfahrens sichergestellt werden, wobei es vielen KMU an den finanziellen und fachlichen Möglichkeiten zur Etablierung eines solchen Systems mangeln wird. Zwar sieht der Richtlinienvorschlag Unterstützungsmaßnahmen vor, um KMU beim Aufbau ihrer operativen und finanziellen Kapazitäten zu helfen,81 doch ist es mehr als fraglich, ob diese Maßnahmen tatsächlich ausreichend sind, um KMU vor einem organisatorischen und finanziellen Kollaps zu bewahren.
4.Die ausufernde Reichweite der Sorgfaltspflichten Kritisch zu betrachten ist die uferlose Reichweite der Sorgfaltspflichten. Wie die Ausführungen unter Pkt II.2.1 und II.2.2. aufgezeigt haben, werden die unmittelbaren Adressaten des Richtlinienvorschlags für nahezu jeden Geschäftspartner sorgfaltspflichtig, sofern er Teil der Wertschöpfungskette ist. Es wird der gesamte Lebenszyklus eines Produkts überwachungspflichtig, beginnend mit der Gewinnung des Rohstoffs bis hin zur Kompostierung und Deponierung. Hier stellt sich vor allem die Frage nach der praktischen Durchführbarkeit. Insb bleibt abzuwarten, inwieweit Monitoringund Compliance-Systeme etabliert werden können, die über die Fähigkeit verfügen, eine solch umfassende Überwachung sicherzustellen. Anstatt in geeignete Hilfen vor Ort zu investieren, werden die Kapazitäten der Unternehmen in die wohl kostenintensive Planung, Organisation und Abwicklung von Compliance-Maßnahmen sowie in Beschwerde,- Verwaltungsund Schadenersatzverfahren gebunden.82 Dass dieser finanzielle Aufwand letztendlich wohl auch zu Preissteigerungen führen wird, die der Letztverbraucher zu tragen hat, wird im Richtlinienvorschlag nicht berücksichtigt. Es ist zu bezweifeln, ob ein solches große Vertrauen der Europäischen Kommission in die Leidensfähigkeit der Konsumenten in Zeiten hoher Inflationsraten tatsächlich aufrechtzuerhalten ist.
IV.Ausblick Der Richtlinienvorschlag durchläuft in den nächsten Monaten das ordentliche Gesetzgebungsverfahren nach Art294 AEUV und wird als nächstes dem Europäischen Parlament und dem Rat vorgelegt. Mit einer endgültigen Verabschiedung in absehbarer Zeit ist daher nicht zu rechnen. Hinsichtlich der inhaltlichen Ausgestaltung ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Es ist zu erwarten, dass sich vor allem die Vertreter der Wirtschaft für eine Entschärfung der vorgeschlagenen Richtlinie einsetzen werden. In einer rezenten und durchaus kritischen Stellungnahme hält der Europäische Wirtschaftsund Sozialausschuss etwa fest, dass der Richtlinienvorschlag im Hinblick auf mehr Harmonisierung, Rechtsklarheit und Rechtssicherheit deutlich verbessert werden müsse.83 Die österreichischen Unternehmen sollten sich aber bereits jetzt auf gravierende Änderungen in ihrer Geschäftstätigkeit einstellen. Derzeit scheint es nämlich, dass der Richtlinienvorschlag in der heimischen Unternehmerlandschaft noch kaum Aufmerksamkeit erregt. Dies wird sich gewiss bald ändern.
V.Zusammenfassung in Thesen 1. Der Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit sieht erstmals auf EU-Ebene menschenrechts- und umweltbezogene Sorgfaltspflichten für Unternehmen entlang ihrer gesamten Lieferkette vor. 2. Der persönliche Anwendungsbereich des Richtlinienvorschlags erstreckt sich gemäß dessen Art2 vor allem auf große EU- und Drittstaatsunternehmen, die bestimmte Schwellenwerte überschreiten. KMU sind hingegen nicht vom unmittelbaren Anwendungsbereich erfasst. Es ist aber zu erwarten, dass KMU durch sog Weitergabeklauseln ebenfalls zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltbelangen verpflichtet werden. 3. Die unmittelbaren Adressaten des Richtlinienvorschlags sind sorgfaltspflichtig für die eigene Geschäftstätigkeit, die Geschäftstätigkeit ihrer Tochterunternehmen sowie die Geschäftstätigkeit von Unternehmen, die Teil der Wertschöpfungskette sind und mit denen eine etablierte Geschäftsbeziehung unterhalten wird. 4. Die Sorgfaltspflicht besteht im Hinblick auf alle negativen Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt. Welche Menschenrechte und Umweltbelange im Detail geschützt werden, wird in Art3 litb und c des Richtlinienvorschlags durch eine Reihe von Verweisen auf zahlreiche internationale Abkommen zum Schutz der Menschenrechte bzw der Umwelt, die im Anhang zum Richtlinienvorschlag aufgelistet sind, konkretisiert. 5. Das Kernstück des Richtlinienvorschlags bilden die einzelnen Sorgfaltspflichten des Unternehmers, die in Art4 des Richtlinienvorschlags überblicksartig zusammengefasst sind und in Art5 bis 11 des Richtlinienvorschlags näher ausgeführt werden. 6. Die Sorgfaltspflichten werden von einem umfangreichen zweigeteilten Sanktionsregime begleitet, das neben verwaltungsrechtlichen Sanktionen auch eine zivilrechtliche Haftung bei Verstößen gegen die Sorgfaltspflichten vorsieht. 7. Die vorgeschlagene Richtlinie stößt auf Kritik. Besonders zu bemängeln sind die mangelnde Klarheit, die uferlose Reichweite der Sorgfaltspflichten sowie die mittelbare Betroffenheit von KMU.
80 Vgl dazu Art7 Abs4 und Art8 Abs5 des Richtlinienvorschlags: Macht ein KMU vertragliche Zusicherungen oder wird ein Vertrag mit einem KMU geschlossen, so müssen die angewendeten Bedingungen fair, angemessen und nicht diskriminierend sein. Werden Maßnahmen zur Überprüfung der Einhaltung in Bezug auf
KMU durchgeführt, so trägt das Unternehmen die Kosten für die Überprüfung durch unabhängige Dritte. 81 Vgl zB Art7 Abs2 litd und Abs4, Art8 Abs3 lite und Abs5 sowie Art14 des
Richtlinienvorschlags. 82 P. Jung, GPR 2022, 118. 83 Siehe https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=PI_EESC:EESC2022-01327-AS&from=DE.