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Privates Wirtschaften im Interesse von Wirtschafts- politik, Umweltpolitik und Nachhaltigkeit

Privates Wirtschaften im Interesse von Wirtschaftspolitik, Umweltpolitik und Nachhaltigkeit

HANSPETER HANREICH *

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Der vorliegende Beitrag stellt grundsätzliche Überlegungen zur Wirtschaftspolitik und Unternehmensführung im öffentlichen Interesse (insb Umweltschutz und nachhaltiges Wirtschaften) an.

* I. Einleitung Entsprechend dem Handlungsprogramm der EU für das 21. Jahrhundert „Der europäische Grüne Deal“1 hat die Europäische Kommission einen Richtlinienentwurf über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf die Nachhaltigkeit ihres Wirtschaftens vorgelegt.2 Nach diesem Entwurf sollen auch Umweltschutz, die Achtung von Menschenrechten und nachhaltiges Wirtschaften in der Wertschöpfungskette durch die Schaffung neuer Sorgfaltspflichten von Geschäftsführungsorganen von Unternehmen gefördert werden.

Die internationale politische Diskussion zu Inflation und verstörenden Preisentwicklungen (besonders am Energiemarkt) beschäftigt sich in den letzten Monaten ua intensiv mit dem ökonomischen Problem der Preisfestsetzung auf unvollständigen Märkten. Die Staaten und/oder die EU werden von vielen aufgefordert, diese Probleme mithilfe wirtschaftspolitischer und/oder rechtlicher Maßnahmen zu lösen.3 Die politischen Forderungen verschiedener Gruppen zu diesen Themen stoßen bei manchen auf Unverständnis, gehen manchen zu weit, für andere sind sie viel zu zurückhaltend.

Eine solche Situation ist für Zeiten, in denen sich die internationale und die nationale Wirtschaftspolitik wesentlich verändern, typisch. Wirtschaftsrechtliche Vorschriften müssen dann an neue wirtschaftspolitische Vorgaben angepasst werden. In der Diskussion über derartige Maßnahmen tauchen immer wieder bekannte Argumentationsmuster auf.

II.Wirtschaftspolitik und öffentliches Interesse Kalss hat vor Kurzem in dieser Zeitschrift überzeugend dargelegt, dass nachhaltiges Wirtschaften immer im öffentlichen Interesse liegt und dass Geschäftsführungsorgane bereits nach geltendem österreichischem Gesellschaftsrecht im Rahmen ihrer unternehmerischen Entscheidungen auch das öffentliche Interesse berücksichtigen müssen. Nach Umsetzung einer europäischen „Nachhaltigkeitsrichtlinie“ in Österreich wären die Geschäftsführungsorgane daher auch dazu verpflichtet, bei betrieblichen Entscheidungen diese Komponente des öffentlichen Interesses zu berücksichtigen.4

Die Bestimmung des Inhalts eines umfassenden öffentlichen Interesses in allen seinen Teilen ist jedoch die eigentliche Herausforderung sowohl bei konkreten Unternehmensentscheidungen als auch bei der behördlichen Vollziehung wirtschaftsrechtlicher Normen.

Vor Jahrzehnten habe ich den vielfältigen Zusammenhang zwischen wirtschaftspolitischen Aufgabenstellungen und wirtschaftsrechtlichen Normen anhand des Beispiels des österreichischen Wettbewerbsrechts und der österreichischen Wettbewerbspolitik zwischen zirka 1870 und 1990 dargestellt und analysiert.5 Diese Arbeit ist nun elektronisch im IHS Repository wieder zugänglich.6 Die umfangreiche Untersuchung erfolgte jedoch nicht primär aus historischem Interesse, sondern vor allem deshalb, um neue Ansätze zur Interpretation und Vollziehung von Wettbewerbsrecht anzubieten, aber auch deshalb, um die Begrenztheit mancher Lösungsansätze zu demonstrieren.

Im Rahmen dieser Arbeit habe ich versucht, eine Methode zur Auslegung unbestimmter wirtschaftsrechtlicher Gesetzesbegriffe (wie die damals rechtlich zulässige „volkswirtschaftliche Rechtfertigung“ von Wettbewerbsbeschränkungen) zu entwickeln. Kurz zusammengefasst kam ich zum Ergebnis, dass eventuell zulässige Wettbewerbsbeschränkungen im Hinblick auf die jeweils politisch anerkannten wirtschaftspolitischen Ziele, die aus öffentlichem Interesse erreicht werden sollen, beurteilt werden müssen. Die wirtschaftspolitischen Elemente des öffentlichen Interesses sollten dazu, wie ich ausführlich darstellte, aus der juristischen und wirtschaftlichen Analyse einer Palette von Vorschriften einschlägiger Gesetze und Verordnungen gewonnen werden.

Diese Methode kann besonders dann angewandt werden, wenn grundsätzliche Veränderungen der Wirtschaftspolitik eine Änderung wirtschaftsrechtlicher Vorschriften verursachen. Der politische Prozess, der mit dem Beitritt Österreichs zur

* Univ.-Prof. Dr. Hanspeter Hanreich ist an der Universität Wien für Wirtschaftsrecht habilitiert und Consultant am Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien. 1 KOM (2019) 640 endg, online abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legalcontent/DE/TXT/?uri=COM%3A2019%3A640%3AFIN. 2 KOM (2022) 71 endg, online abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/

DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:52022PC0071&from=EN; dazu in diesem Heft

Ehgartner, Der Kommissionsvorschlag für eine Richtlinie über Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen, GesRZ2022, 261. 3 Siehe https://www.sn.at/politik/innenpolitik/politik-im-ewigen-preiskampf-amtlicheregelungen-im-historischen-rueckblick-118826458; https://www.arbeiterkammer.at/ interessenvertretung/wirtschaft/energiepolitik/Factsheet_Preisgesetz_Heizoel-und-

Treibstoffe.pdf; https://orf.at/stories/3286242; https://www.sn.at/wirtschaft/oester reich/sprit-preiskommission-hat-arbeit-aufgenommen-127378441. 4 Kalss, Nachhaltigkeit: Die präziser werdenden Pflichten von Vorstand und Aufsichtsrat, GesRZ2022, 49. 5 Im Habilitationsverfahren 1989 unter dem Titel „Wertewandel im Wettbewerbsrecht“ vorgelegt. 6 Hanreich, Die „volkswirtschaftliche Rechtfertigung“ von Wettbewerbsbeschränkungen im österreichischen Wirtschaftsrecht 1870 – 1990 (1989, Neuauflage 2021), online abrufbar unter https://irihs.ihs.ac.at/id/eprint/5935/1/hanreich-2021-wettbwerbs beschraenkungen-im-oesterreichischen-wirtschaftsrecht.pdf.

EU zum 1.1.1995 seinen Abschluss fand, führte zB auch zu einer Änderung der österreichischen Wirtschaftspolitik. Im Zentrum der österreichischen Wirtschaftspolitik stand damals die Vorbereitung der Wirtschaft auf den Wettbewerb im europäischen Binnenmarkt. Infolge der geänderten Wirtschaftspolitik kam es zu signifikanten wirtschaftsrechtlichen Reformen. Ein Paket neuer Gesetze, von denen hier das Kartellgesetz 1988, das Preisgesetz 1992 und das WettbewerbsDeregulierungsgesetz, BGBl 1992/147, hervorgehoben werden sollen, wurde erlassen. Alle Erläuterungen zu diesen Gesetzen enthielten ausführliche Hinweise auf die im Hinblick auf einen EU-Beitritt veränderte österreichische Wirtschaftspolitik.7

Die europäische und die österreichische Politik und Wirtschaft haben sich in den letzten Jahren wiederum schnell verändert. Eine neue europäische Wirtschaftspolitik erfordert auch neue unionsrechtliche Regeln. Diese Veränderungen müssen in die mitgliedstaatlichen Volkswirtschaften und Rechtssysteme eingepasst und in den nationalen Rechtsordnungen umgesetzt werden. Rechtsvergleichung und die Kenntnis historischer Rechtsvorschriften können solche Transformationsprozesse erleichtern und verbessern. Die umfassende und systematische Kenntnis der jeweiligen nationalen Rechtsordnung ist selbstverständlich die Basis, neue rechtspolitische Aufgaben zu bewältigen.

III.Unternehmensführung und öffentliches Interesse Der Vorstand einer AG ist durch das Gesetz ausdrücklich verpflichtet, bei seinen unternehmerischen Entscheidungen auch dem öffentlichen Interesse zu dienen. Der Geschäftsführer einer GmbH muss bei seinen betrieblichen Entscheidungen im öffentlichen Interesse stehende Gesetzesvorschriften einhalten. In welchem Umfang einzelne Elemente des öffentlichen Interesses aber konkrete Geschäftsführungsentscheidungen bestimmen müssen, ist abstrakt kaum darzustellen. Beispiele können dazu beitragen, einen Eindruck von Art und Umfang dieser Verpflichtung näherzubringen.

Kalss hat zB zum Begriff der „Nachhaltigkeit“ des Wirtschaftens ein Beispiel aus der historischen österreichischen Wirtschafts- bzw Forstwirtschaftspolitik und aus dem historischen Forstrecht gewählt, um eine Verbindung zu besonderen Sorgfaltspflichten, die in einer europäischen „Nachhaltigkeitsrichtlinie“ normiert werden sollen, herzustellen.8

Weitere Beispiele können mit einem Blick auf das historische österreichische Wettbewerbsrecht und das Unionsrecht zu Wettbewerbsbeschränkungen gefunden werden: Vor der Übernahme des EU-Wettbewerbsrechts in das österreichische Recht konnte ein Unternehmer eine Beschränkung des Wettbewerbs zwischen ihm und einem oder mehreren anderen Unternehmen in Erwägung ziehen, wenn er überzeugt war, dass sie volkswirtschaftlich zu rechtfertigen wäre. Die beabsichtigten Beschränkungen des Wettbewerbs mussten angemeldet und vom Kartellgericht genehmigt werden. Die Sozialpartner sprachen als Paritätischer Ausschuss im Kartellverfahren in einem Gutachten aus, ob eine geplante Maßnahme volkswirtschaftlich zu rechtfertigen wäre.9 Die Durchführung einer genehmigten Wettbewerbsbeschränkung durch die Unternehmen war dann im öffentlichen Interesse.

Die Berücksichtigung mitgliedstaatlicher Interessen, um Beschränkungen des Wettbewerbs zwischen Unternehmen zu rechtfertigen, ist unter Geltung des Unionsrechts nicht zulässig. Im Interesse der EU sind jedoch begrenzte und durch Normen genau bestimmte Ausnahmen vom Verbot der Beschränkung des Wettbewerbs schon seit Schaffung des EWGV möglich.10 Adressaten dieser Normen sind primär die in der EU tätigen Unternehmen. Unternehmen, die das Wettbewerbsrecht der EU respektieren, dienen mit ihren Geschäftsführungsmaßnahmen auch dem Funktionieren des europäischen Binnenmarkts und damit dem europäischen öffentlichen Interesse.

Sowohl das historische Beispiel aus Österreich als auch das Beispiel aus dem geltenden Unionsrecht sind aus einem weiteren Gesichtspunkt interessant. Beide Möglichkeiten zulässiger Wettbewerbsbeschränkungen konnten bzw können in einem gewissen Umfang verhandelt werden – historisch in Österreich mit den Sozialpartnern, aktuell unter Berücksichtigung einer Vielzahl von Durchführungsvorschriften und Leitlinien mit der Europäischen Kommission. Wirtschaftspolitische Ziele können eben auf verschiedenen Wegen erreicht werden; auch dafür muss das Wirtschaftsrecht Möglichkeiten bereithalten.

Ein weiteres Beispiel für den Zusammenhang zwischen Wirtschaftspolitik und Unternehmensführung stellen staatliche Preisregelungsmaßnahmen dar. Jede behördliche Preisregelung setzt bestimmte Märkte außer Kraft und ist somit das letzte Mittel, um die Wirtschaft direkt zu beeinflussen.11 In Krisenzeiten werden von Politikern mit durchaus unterschiedlichem ideologischem Hintergrund Eingriffe des Staates in den Wettbewerb und in die unternehmerische Preisfestsetzung gefordert.12 Die Kriegswirtschaft machte zB staatliche Preiseingriffe notwendig. Solche Regelungen gehen regelmäßig mit Bewirtschaftungsmaßnahmen einher, da meist auch die für die Nachfrage bereitzuhaltende Menge einer Ware oder Dienstleistung bestimmt werden muss, wenn deren Preis behördlich festgelegt wird.

Viele Probleme, die bei der behördlichen Preisbestimmung selbst oder in deren Folge auftauchen, können anhand historischer Beispiele analysiert werden.13 Behördliche Preis-

7 Eine Zusammenfassung dieses Reformvorgangs und weiter gehende Verweise bietet meine Artikelserie in der ÖZW: Hanreich, Das neue österreichische Wettbewerbsund Preisrecht (Teil I), ÖZW 1992, 33; ders, Das neue österreichische Wettbewerbsund Preisrecht (Teil II), ÖZW 1994, 33; ders, Das neue österreichische Wettbewerbs- und Preisrecht (Teil III), ÖZW 1994, 65. 8 Kalss, GesRZ2022, 49; dies, Forstrecht (1990) 32. 9 Hanreich, Recht gegen Wettbewerbsbeschränkungen in K. Wenger, Grundriß des österreichischen Wirtschaftsrechts II (1990) 67 (77 und 82); ders, „Volkswirtschaftliche Rechtfertigung“, 178ff. 10 Von Anfang an wurde in Art85 Abs3 EWGV eine begrenzte Freistellungsmöglichkeit vom Verbot von Wettbewerbsbeschränkungen vorgesehen. Die detaillierten

Vorschriften, die diese Ausnahmemöglichkeit determinieren, und die kaum überschaubare Literatur und Rspr dazu brauchen hier nicht zitiert zu werden. 11 Hanreich, „Volkswirtschaftliche Rechtfertigung“, 285; ders, ÖZW 1994, 33ff. 12 Jüngst wurde auch in den Medien auf diese Tatsache hingewiesen; siehe zB https:// www.sn.at/politik/innenpolitik/politik-im-ewigen-preiskampf-amtliche-regelungenim-historischen-rueckblick-118826458. 13 Bereits Pribram, Preisbildung und Recht, ZStR 1916, 199. Beachte den zeitlosen

Hinweis Pribrams auf den „in der Überzeugung des Volkes“ tief verwurzelten naiven

Glauben „an die Möglichkeit einer fast unbeschränkten Beherrschung des Wirtschaftslebens durch Verbot und Strafe“. Demgegenüber sei man sich aber klar geworden, „wie eng im Grunde die Grenzen sind, innerhalb derer sich ein Eingriff des Staates in das Wirtschaftsleben bewegen kann.“; vgl auch Hanreich, Die „Volkswirtschaftliche

Rechtfertigung“, 285.

regelungen oder andere Eingriffe in die unternehmerische Preissetzung werden von den Betroffenen letztlich immer angefochten.14 Dabei kann es um die rechtskonforme Vollziehung einfachgesetzlicher Normen oder um die Einhaltung von Verfassungs- bzw Grundrechten in einfachen preisregelnden Gesetzen und Verordnungen gehen.

Staatliche Preisregelungen greifen auch in die gesellschaftsrechtlichen Pflichten von Geschäftsführern ein. Die Entscheidung über die Höhe des von einem Vertragspartner verlangten Preises einer Ware oder Dienstleistung ist unbestritten eine der wichtigsten betriebswirtschaftlichen Aufgaben der Geschäftsführung. Sie entscheidet über geschäftlichen Erfolg oder Insolvenz eines Unternehmens. Daher müssen Eingriffe des Staates in diese Entscheidungen auch zu gesellschaftsrechtlichen Fragestellungen führen. Das Verhältnis von im öffentlichen Interesse wahrgenommenen Geschäftsführungspflichten zu den Rechten und Ansprüchen der Aktionäre und Gesellschafter steht dann auf dem Prüfstand.

IV.Ergebnis Aus vielen Beispielen lässt sich somit als Ergebnis ableiten: Die Erfahrung zeigt, dass nur solche wirtschaftsrechtlichen Normen den gewünschten Erfolg herbeiführen können, die im Einklang mit der Verfassung und mit jeweils aktuellen wirtschaftspolitischen Vorgaben stehen. Maßgebliche Wirtschaftspolitik wird heute international bzw europäisch betrieben. Das bedeutet, dass nationales Wirtschaftsrecht auf dem Unions- und Völkerrecht aufgebaut werden muss. Beim sinnvollen Einbau solcher Normen in das nationale Recht kann, wie viele Beispiele zeigen, oft auch auf historische Erfahrungen zurückgegriffen werden, um passende Umsetzungslösungen zu finden bzw rechtspolitische Misserfolge zu vermeiden.

14 Beispiel zur Rspr des VwGH: VwGH 16.6.1981, 1407/80, VwSlg 10.491 A/1981 =

ÖZW 1981, 122 (Bernard); Beispiele zur Rspr des VfGH: VfGH 25.3.1954, G1/54,

V 3/54 ua, VfSlg 2660/1954; 14.3.1964, G22/63, V 21/63, VfSlg 4662/1964; 17.3.1964, G18/63, V 16/63, VfSlg 4669/1964; 5.12.1973, V 14/73 ua, VfSlg 7220/ 1973 = ÖZW 1974, 124 (Bernard/Korinek); 12.12.1984, V 46/82, VfSlg 10.313/1984 = JBl 1985, 736 (Morscher).

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