Linkswende Monatszeitung für Sozialismus von unten
Nr. 163 Jänner 2013 Spende 1,50 EUR Solidaritätsspende 2,00 EUR
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SALZBURG Landesbedienstete fordern ein Ende der Sparpolitik
Foto: Temmel / fmt-prictures
Demo am 10. Dezember 2012
WIR sollen auf Lohn verzichten, SIE verspekulieren Millionen 5.000 wütenden Landesbediensteten. Sie demonstrierten am 10.12. vor dem Sitz der Landesregierung gegen Nulllohnrunden. Bereits eine Woche zuvor gingen 3.500 Landesbe-
„I
mmer sind wir die ersten, bei denen der Sparstift angesetzt wird.“ Christine Vierhauser, Betriebsratschefin der Salzburger Landeskliniken, reicht es. Würden sich die 5.900 Bediensteten der Landeskliniken mit einer Einmalzahlung abspeisen lassen, dann hätten sie vom Jahr 2010 bis Ende 2013 fast 5 Prozent ihres realen Einkommens verloren. Nachdem der, mindestens 340 Millionen schwere, Spekulationsskandal in Salzburg bekannt geworden ist, denken die Landesbediensteten nicht im Traum daran Gabi Burgstallers Kürzungsmaßnahmen kampflos hinzunehmen. Zocken ist eine Methode, Nulllohnrunden für Beamte, Landes- und Gemeindebedienstete sowie Einsparungen im Gesundheits- und Sozialbereich sind andere Methoden, mit denen unsere Machthaber uns verdammen wollen. „WIR haben das hier nicht verbockt, SIE haben unser Geld verzockt!“ schrieen die fast
Kurt Kann berichtet von der großartigen Aktion der Flüchtlinge, die Schutz und Arbeitserlaubnis fordern.
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Foto: Refugee Protest Camp Vienna
MUSLIM- BRUDERSCHAFT Seite 7
RASSISTISCHE UNIPOLITIK Seiten 8 und 9
Ägyptische Sozialisten nehmen Stellung zu ihrem Kampf gegen Mursis Verfassungsvorschlag.
David Albrich fordert Solidarität mit ausländischen Studierenden, die von rassistischen Sonderregelungen betroffen sind.
Foto: Linkswende
PROTESTCAMP
dienstete für eine Lohnerhöhung auf die Straße. Und sicherlich waren die bisherigen Proteste nicht die letzten, denn die Menschen sind entschlossen und wütend. Nachvollziehbar, dass sie kein Verständnis für hochriskante Fremdwährungswetten mit ihren Steuergeldern haben. Der Spekulationsskandal entlarvt den wahren Kern der Finanz- und Wirtschaftskrise. Die Landesregierungen machten das, was alle machten: Mit Geldern herum spekulieren, die man in Wirklichkeit nicht einmal besitzt. „Financial Engineering“ ist der unscheinbare Fachausdruck dafür. Der Neoliberalismus ermöglichte durch die Deregulierung der Finanzmärkte solche Schweinereien. Die unverantwortlichen Spekulationen mit öffentlichen Geldern begannen im Jahr 2001 unter ÖVP-Führung, auch wenn die SPÖ dies im gleichen Stile fortsetzte. Das Problem ist nicht das Unvermögen mancher Landespolitikerinnen oder Beamte. Das wirkliche Problem liegt im System Kapitalis-
mus, das Profitgier und Krisen hervorbringt. Der Glaube, Gewinne herbei spekulieren zu können und der Sparzwang für die Bevölkerung sind zwei Seiten derselben Medaille: Lohnabhängige zahlen für lauter unbeholfene Maßnahmen, die wiederum nur die Reichen aus der Krise retten sollen. Da nun der Finanzskandal aufgeflogen ist, wird das große Bild sichtbar. Widerstand gegen die Abwälzung der Krisenlasten wird laut. „Dieses Mal ist es ein Match der gesamten Belegschaft gegen die Politik. Wir bilden einen Machtblock, über den man nicht so einfach drüberfahren kann“, erklärte Helmut Priller, Vorsitzender des Dienststellenausschusses. Nulllohnrunden und Sparmaßnahmen verhindern keine Wirtschafskrisen und entlasten keine Staatshaushalte. Sie belasten die einfachen Menschen. Ebenso sind Spekulationsgeschäfte Teil des Systems. Wollen wir all das verhindern, brauchen wir ein neues System, in dem es nicht um Profitstreben sondern um die Bedürfnisse der Menschen geht.
THEORIE: DIE BEFREIUNG DER „DRITTEN WELT“ Seite 10 Foto: AP / Mohammad Hannon
von Judith LITSCHAUER
Ludwig Sommer erklärt Entwicklungen wie die in Syrien anhand marxistischer Theorie.
Jänner 2013 Linkswende WIEN
DEUTSCHLAND
Lehrlinge: Sauer auf Plachutta
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ie 250 Beschäftigten bei der CallCenter-Tochter der deutschen Sparkassen streikten 117 Tage lang.
„Austerität in der Eurozone bedeutet im Grunde, dass die gesamte Eurozone ein schlechtes Jahr 2013 haben wird.“
„Merkel muss ihrem Volk vor den Wahlen [in Deutschland 2013] sagen, dass das Programm nicht funktioniert.“ Alexis Tsipras, Vorsitzender der griechischen Linkspartei Syriza, lehnt das Rettungsprogramm für Griechenland ab.
„Wenn wir mit solchen Maßnahmen weiter machen, ist es wie Öl ins Feuer zu gießen.“ Alexis Tsipras, Vorsitzender der griechischen Linkspartei Syriza, argumentiert gegen die Sparauflagen der Troika. EU-Währungskommissar Olli Rehn ist nun
„weniger pessimistisch, als ich es vor der Sommerpause war“. „Es gibt keine unausgesprochene Verpflichtung der USA wie ein dummer Muli hinterherzurennen, egal was die Israelis tun.“ Zbigniew Brzezinski, Außenpolitikberater, rät dem US-Militär von einem Schlag gegen Iran ab.
„In Sachen Verlusten an Einkommen und an Produktion, ist das hier so schlimm wie ein Weltkrieg.“ Andy Haldane, ein Direktor der Bank of England über das Jahr Sechs der Weltwirtschaftskrise.
IMPRESSUM Linkswende
Monatszeitung für Sozialismus von unten Herausgeber (für den Inhalt verantwortlich): Manfred Ecker. Redaktion: Tom D. Allahyari, Manfred Ecker, Daniel Harrasser, Peter Herbst, Hannah Krumschnabel, Judith Litschauer, Oliver Martin, Ludwig Sommer. Post: Linkswende, Postfach 102, Kettenbrückeng. 5, 1050 Wien Telefon: 0650 452 24 73 Web: www.linkswende.org Email: redaktion@linkswende.org ZVR: 593032642
Foto: Sascha Syring
Costas Lapavitsas, Ökonomieprofessor an der Londoner Universität
Trotzten allen Schikanen und siegten
SLOWAKEI
Ihre Löhne waren seit 15 Jahren nicht mehr erhöht worden. Begleitet wurde dieser Reallohnverlust von 24% von schlechter werdenden Arbeitsbedingungen und Demütigungen durch die Geschäftsleitung. Erreicht wurden ein Tarifvertrag der Lohnsteigerungen und mehr Urlaubstage bringt (sowie einen zusätzlichen Urlaubstag für Gewerkschaftsmitglieder), sowie eine Einmalzahlung nur für Streikende. Möglich wurde der Streik, nachdem der bestehende Betriebsrat von einer Politik der Arbeitsplatzsicherung in die Offensive ging. Die Versuche der Geschäftsleitung, eine Organisierung der Mitarbeiter zu verhindern, scheiterte genauso wie der Versuch, die Arbeit der Streikenden auszulagern. Der erstrittene Kollektivvertrag stellt einen Meilenstein dar, auf dem nun aufgebaut werden kann.
Lehrer in unbefristetem „Staffel-Streik“
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m 13. September wurde auf Druck der Basis der slowakischen Lehrergewerkschaft ein eintägiger Warnstreik abgehalten. Das darauf folgende Angebot der Regierung, die Löhne um 5% zu erhöhen, wurde von der Basis abgelehnt und stattdessen eine Lohnerhöhung von 10% sowie ein Ende der Einschnitte im Bildungsbereich gefordert. Die Gewerkschaftsführung war gezwungen, am 26. November einen unbefristeten Streik auszurufen, der jedoch auf Druck der Regierung drei Tage später wieder ausgesetzt wurde. Jetzt wird weiter verhandelt, um die Kampfbereitschaft der Basis zum Erliegen zu bringen.
Foto: Linkswende
Call-Center-Proleten erkämpfen Kollektivvertrag
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twa hundert Lehrlinge protestieren am 16. Dezember mit der Österreichischen Gewerkschaftsjugend vorm Nobellokal Plachutta. Starkoch Plachutta hält von Schutzmaßnahmen für Lehrlinge wenig und nennt sie „unbrauchbare Analphabeten“. Gastronomie-Lehrling Isabella erzählt: „Wir werden arrogant behandelt, müssen ungesetzliche Überstunden leisten,
USA
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Fast-Food-Streik: I’m lovin‘ it
ie bisher größte Kampagne zur gewerkschaftlichen Organisierung im FastFood-Bereich läuft derzeit in den USA. Zum Start am 29. November verließen Arbeiter und Arbeiterinnen die Lokale unter anderen von McDonald’s, Burger King und KFC, bzw. betraten sie gar nicht erst. Das durchschnittliche Gehalt eines Beschäftigten liegt nur wenige Cents über dem Mindestlohn von 7,25 Dollar. Sie werden durchwegs teilzeitbeschäftigt, um sich die bei einer Vollzeitbeschäf-
tigung anfallende Krankenversicherung und Zusatzleistungen zu ersparen. Deshalb arbeiten nehmen viele eine zweite Arbeit an und beziehen Essensmarken, bloß um zu überleben. Währenddessen wächst gerade in der Krise, der Gewinn mit dem billigen Essen. Aufgrund der kleinen Betriebseinheiten, ist Fast-Food ein schwieriges Umfeld für Gewerkschaften. Die Arbeiter sind jedoch entschlossen, den Kampf gegen die rabiat gewerkschaftsfeindliche Geschäftsleitung aufzunehmen.
Schüler des Ladislav Sár Gynasiums solidarisieren sich mit ihren streikenden Lehrern.
Das Ladislav Sár Gymnasium entschloss sich jedoch dazu weiter zu streiken und schaffte es 17 weitere Schulen in Bratislava mitzuziehen. Bei einer Demonstration von Lehrer- und Schülerschaft wurde beschlossen einen unbefristeten „Staffel-Streik“ auszurufen, bei dem
jeden Tag abwechselnd zwei Schulen streiken. Während sich der Streik über die Hauptstadt hinaus ausdehnt, radikalisieren sich auch die Forderungen und die Lehrenden versuchen, ihre Gewerkschaft von der sozialdemokratischen Regierung zu lösen.
IM VISIER: Walter Rosenkranz
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haben keine Pausen und für Mädchen ist es wegen der sexuellen Übergriffe noch schlimmer.“ Ausbeutung statt Ausbildung ist die Praxis. Toni, ein KfZ-Lehrling berichtet: „Die Lehrlinge werden als billige Putzkräfte angesehen, und müssen die ganze Drecksarbeit für ein Taschengeld verrichten. An den Berufsschulen und in Betrieben wird uns oft die Bildung verweigert.“
echtzeitig zu Adventbeginn schlug ein Grüppchen „Katholiban“ um Gudrun Kugler vom „Dokumentationsarchiv der Intoleranz gegen Christen“ Wirbel. Die Autoren einer vom Bildungsministerium geförderten Aufklärungsbroschüre für Lehrkräfte „Ganz schön intim“ wagten es, an der Aktualität des ÖVP-Familienbildes zu zweifeln. FPÖBildungssprecher Walter Rosenkranz (nur im Geiste verwandt mit Babsi und Horst-Jakob) und ÖVP-Klubobmann-Stellvertreter Werner Amon reagierten umgehend. Letzterer sprang sogleich mit einer parlamentarischen Anfrage herbei. Deren verzweifelter Ton klingt wie ein verlassener Ehemann, der darum bettelt noch eine Chance zu bekommen: „Sehen Sie es nicht als erstrebenswert, die so genannte „Kernfamilie“ Vater- Mutter-Kind als Ideal hochzuhalten […]?“ Und: „Auch wenn nicht jede Ehe gutgeht und es nicht jede Familie schafft die hehren Ideale zu
leben, sollen wir diese Ideale deshalb aufgeben?“ Die ÖVP-Familie gerät unter die Räder des ÖVP-Wirtschaftsflügels. Dass auch Samenbanken und Leihmütter erwähnt werden, kann man überhaupt nicht fassen. Soweit so lustig. Die FPÖ beherrscht die Familiendebatte allerdings noch ein wenig ärger. Voriges Jahr nahm der Freiheitliche Walter Rosenkranz an der Podiumsdiskussion „Lebenswert“ teil – „in meiner Funktion als Jurist und Abgeordneter, als Rechtsanwender und Teil der Gesetzwerdung.“ Sein Wortlaut: „Schlussfolgerungen für einen Politiker, der das ungeborene Leben möglichst weitgehend schützen möchte, außer der Forderung die Fristenlösung aufzuheben“: „[…] Höhere Strafen für den verbotenen Schwangerschaftsabbruch. […] Der Argumentation, dass so die Frau in die Kriminalität gedrängt würde, muss dadurch begegnet werden, dass durch eine entsprechende Strafe prospektive Straftäter abgeschreckt und ab-
Foto: Lita Riddock
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gehalten werden sollen.“ Er fordert Berufsverbot für beteiligte Ärzte, Interventionsmöglichkeiten für Väter, eine „gesetzliche, staatlich geförderte Beratung durch lebensbejahende Institutionen“ und „eine Art Sachwalter für ungeborenes Leben“. Seine Ausführungen schließt er mit dem § 321 StGb Völkermord. Das weiß man auf Kuglers Facebook-Seite „Skandal im BM:ukk“ zu schätzen, die auf ein FPÖ-Video mit Rosenkranz verlinkt. Der ÖVP droht das zweite Mal das Schicksal des sitzengelassenen Ehepartners, wenn ihr nach der gesellschaftlichen Realität auch noch die Fundis abhandenkommen.
Linkswende Jänner 2013
EDITORIAL von Manfred ECKER
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enn der ehemalige österreichische Innenminister Ernst Strasser in den Häfn kommt, dann wird allerorts sicherlich herzlich gelacht und gefeiert. Wir hassen den ÖVP-Mann aber in erster Linie nicht wegen seiner notorischen Blödheit und Geldgier. Ernst Strasser hat als Innenminister von Februar 2000 bis Dezember 2004 einen großen Teil dazu beigetragen, dass Flüchtlinge in Österreich wie Verbrecher behandelt werden. Am 15. Juli 2003 erstickte der mauretanische Physikstudent Seibane Wague, weil auf seiner Brust stehende Polizisten und Sanitäter ihn erdrückten. Strasser garantierte den Beamten seine volle Solidarität und rechtfertigte den gewaltsamen Tod Wagues in der „Zeit im Bild“ als einen „tragischen Fall“. Man könne nicht sagen, dass die Beamten auf Seibane Wague gestanden seien, sie haben ihn schließlich nur mit den Füßen fixiert, so Strasser. Möge deine Gefängnisstrafe lang und deine Zellengenossen mit einem gesunden Klassenhass ausgestattet sein. Es macht große Freude zu sehen, wie Flüchtlinge es heute wieder mit neuem Selbstvertrauen wagen für ihre Rechte zu kämpfen. Strassers Vorgänger, der SPÖMann Karl Schlögl, war verantwortlich für die berüchtigte „Operation Spring“ im Mai 1999, bei der wahllos über 130 Afrikaner verhaftet wurden. Der Großteil von ihnen wurde schließlich verurteilt, weil sie an unbekannten Orten zu unbekannten Zeiten an unbekannt gebliebene Abnehmer eine unbekannte, jedenfalls
große Menge an Suchtgift verkauft haben sollen. Als Grundlage für die Verurteilung dienten anonyme Aussagen vermummter Zeugen. Ein Ziel der Operation Spring war Einschüchterung. Dieser Effekt lässt nach. Auf Seite 5 berichten wir vom inspirierenden Widerstand der Flüchtlinge aus dem Lager Traiskirchen. Proteste der Studierenden dominieren die aktuelle Mittelseite. Die Regierung hat ja einen neuerlichen Anlauf unternommen, Studieren schwieriger und teurer zu machen. Wie schon im Jahr 2000 sollen Studierende aus Nicht-EU-Ländern doppelte Studiengebühren bezahlen. Das ist ein Versuch In- und Ausländer gegeneinander auszuspielen, der auch nach hinten losgehen kann. Die Hauptgruppe der Betroffenen sind türkische Studierende, die z.T. in sehr radikalen Bewegungen in ihrer Heimat aktiv waren. Wenn in- und ausländische Studierende konsequent und bewusst solidarische Proteste aufbauen, dann sehen wir kämpferischen Zeiten entgegen. Wir haben schon in der letzten Ausgabe – als das Bombardement Gazas noch im vollen Gang war – geschrieben, dass dieses Mal Israel sehr viel schlechter aussteigt als gewohnt. Auf Seite 7 beleuchten wir diese Entwicklung von mehreren Seiten. Wie immer präsentieren wir euch Kämpferinnen und Kämpfer, die sonst keine Erwähnung finden, wie etwa in Berichten von slowakischen Schulen im wilden Streik, die ein echtes Vorbild für unser Lehrpersonal sein könnten. Dazu findet ihr Berichte von den Kämpfen der Arbeiterinnen und Arbeitern im Süden Europas, die im Zentrum der grausamen „Spar Wars“ stehen.
Linkswende online Besuche uns auch auf unserer Homepage: www.linkswende.org Dort findest du weiterführende Artikel, Analysen, Termine, Demoberichte und Links zu unseren internationalen Schwesterorganisationen und zu marxistischer Theorie, außerdem Fotos und Videos sowie ein umfangreiches, thematisch geordnetes Artikelarchiv. Viel Spaß beim Stöbern. Wir freuen uns auch über Feedback und Kritik: redaktion@linkswende.org Linkswende auf Facebook: www.facebook.com/ Linkswende.IST.Austria Linkswende auf youtube: www.youtube.com/ anticapitalista1917 Linkswende auf flickr: www.flickr.com/linkswende
FOTOBERICHT
Am 13. Dezember nahm ein wütender griechischer Gemeindebediensteter einen Funktionär des Gemeindebunds, Michael Christakis, am Krawattel. Ein gedemütigter Politiker ist allerdings noch lange nicht genug angesichts der Leiden der griechischen Arbeiterinnen- und Arbeiterklasse.
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KOMMENTAR Doha: Klimakonferenz
Obszön und skrupellos In hundert Jahren werden sich die Menschen nicht an die „Schulden“Krise erinnern, sondern an die Zeit, in der die herrschende Klasse skrupellos hunderte Millionen Klimatote für kurzfristige Profite in Kauf nahm. Ludwig SOMMER kommentiert das Scheitern einer weiteren Klimakonferenz. Und wieder ist eine Klimakonferenz gescheitert. Die Bosheit der Herrschenden im Umgang mit der Wirtschaftskrise ist nichts im Vergleich mit ihrer Skrupellosigkeit in Sachen Klimapolitik. Ein unkontrollierbarer Klimawandel („Runaway Train of Climate Change“) wird immer wahrscheinlicher. Es kommt zu einem sich selbst verstärkendem Prozess. Schmilzt beispielsweise die Eisfläche, so wird weniger Sonnenlicht reflektiert und die freigelegten dunklen Flächen erhitzen sich zusätzlich. Dadurch erwärmt sich die Atmosphäre, weitere weiße Eisfläche schmilzt ab, und so weiter und so fort. Die Konsequenzen werden den Horror der beiden Weltkriege in den Schatten stellen. Hunderte Millionen Klimatote und Klimaflüchtlinge, Ausbreitung von Epidemien und Pandemien, Ressourcenkriege und eine massive Instabilisierung der Weltwirtschaft. Die Inaktivität der Politiker und Unternehmer äußerte sich in Doha in Pseudoaktivität. In letzter Minute konnte man sich dazu durchringen das alte Kyoto-Abkommen zu recyceln, um irgendwie den Anschein zu wahren etwas zu unternehmen. Abgesehen davon, dass der Handel mit CO2-Emissionsrechten so gut wie keine Milderung des fortschreitenden Klimawandels bewirkt, verstärkt er den Trend in Richtung einer ökologischen Kommerzialisierung. Luft (CO2 ist ein Bestandteil der Luft) wird plötzlich zu einer Ware, mit einem Tauschwert. Der Handel mit Emissionsrechten stellt für den Kapitalismus eine neue kreative Methode zur Profitvermehrung dar. Er wird aber keinesfalls zu einem „grünen Kapitalismus“ führen. Außerdem hat sich seit Kyoto gezeigt, dass der CO2-Handel zu einer verschärften ungleichen Entwicklung in den Ländern des globalen Südens führt. Gleichzeitig können Schwellenländer den Emissionshandel aushebeln und eine neue Strategie der Expansion verfolgen, die man als Sub-Imperialismus bezeichnen kann. Wenn wir daran denken, dass einst Menschen andere Menschen als Sklaven wie eine Ware kauften und verkauften, schütteln wir verständnislos den Kopf und fragen uns: Wie konnte man nur auf die Idee kommen einen Menschen als Eigentum zu behandeln? Ebenso werden die Menschen in der Zukunft den Kopf schütteln und sich fragen: Wie konnte man einst nur die Natur, ökologische Ressourcen oder gar das Recht auf Verschmutzung der Luft als Eigentum beanspruchen? Kapitalismus ist nicht mit einer nachhaltigen Entwicklung vereinbar.
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Jänner 2013 Linkswende
Muslimbrüder auf Abwegen
DEBATTE
Graz ist anders
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is zu den ägyptischen Präsidentschaftswahlen im Juni 2012 waren die Muslimbrüder meist im Lager der Revolutionäre zu finden. Inzwischen stehen sie auf der anderen Seite der Barrikaden, und greifen gemeinsam mit Militär die Demonstranten an. War es deshalb ein Fehler, vormals die Muslimbrüder zu wählen oder Seite an Seite mit ihnen gegen Mubarak zu stehen? Bei den Stichwahlen im Juni 2012 zwischen Ahmad Schafik , einem Vertreter des alten Regimes, und Mohammed Mursi, dem Kandidaten der Muslimbrüder, stimmten viele der Revolutionäre für Mursi. Die Revolutionären Sozialisten gaben eine Wahlempfehlung für Mursi ab. Speziell die Rolle, die Ägypten bei der Beendigung des Bombardements von Gaza Ende November spielen konnte, erlaubte es dem gewählten Präsidenten Mursi seine Position sowohl in Ägypten gegenüber den Militärs als auch am internationalen diplomatischen Parkett zu festigen. Doch seither versucht er den Rückenwind zu nutzen, um seine Machtbefugnisse auszubauen und geht gewaltsam gegen Kritikerinnen und Kritiker vor. Mursi kämpft an einer Front gegen das System der Generäle, das über Jahrzehnte die Bevölkerung unterdrückt hat und dabei massiv gegen die Muslimbrüder vorgegangen ist. An der anderen Front kämpft er aber gegen das revolutionäre Lager, das ihn nur aus taktischen Gründen gewählt hat und nicht, weil es sein Programm unterstützt hätte. Dazu kommen Millionen, die sich bisher nicht engagiert haben, aber jetzt aktiv werden, weil sie die Fortschritte der beiden vergangenen Jahre nicht verlieren wollen.
Aus einem Blickwinkel war es sicher kein Fehler Mursi zu wählen: Hätte das alte Regime die Wahlen gewonnen, dann wäre das das Ende der Revolution gewesen. Schafik ließ keine Zweifel darüber bestehen, dass er die Bewegung mit aller Brutalität zerschlagen würde. Andererseits war abzusehen, dass die Muslimbrüder, die viele Geschäftsleute und Industrielle in ihrer Führungsriege haben, sich gegen die Bewegung stellen würden, wenn sie einmal an die Macht kämen. Die Anhänger und Anhängerinnen Mursis können den großen Unterschied zwischen den beiden Szenarien machen. Ein Teil davon sind Geschäftsleute, ein Teil junge Akademiker, doch ein Großteil gehört den ärmeren Bevölkerungsteilen an. Mursi enttäuscht vor allem ihre Hoffnungen, wenn er die erwarteten sozialen Reformen nicht durchführt. Schon die Verfassungsreform (über die zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses abgestimmt wird), ist auffällig „Pro-Business“, gewerkschaftsfeindlich und antidemokratisch. Schon jetzt entstehen Spaltungen unter den Anhängern Mursis. Bald könnten große Teile seiner Anhänger wieder in das Lager der Revolutionäre wechseln und sich gegen ihren Kandidaten stellen. Das heißt, dass mit der Wahl Mursis zumindest die Voraussetzungen für die weitere Entwicklung von Kämpfen von unten gewahrt blieben. Darum geht es bei Revolutionen! Kämpfe von unten können Millionen erfassen, und wenn dabei die Fronten zwischen Kapital und Proletariat verlaufen, anstatt zwischen religiösen oder ethnischen Gruppen, dann kann daraus sogar eine sozialistische Revolution entstehen.
Foto: KPÖ
von Manfred ECKER
Der Wahlerfolg der KPÖ in Graz zeigt, dass sich die Menschen vom Wort „Kommunismus“ nicht abschrecken lassen. Werbung hat Spitzenkandidatin Elke Kahr damit aber auch keine gemacht, analysiert Katharina Lampe.
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it 19,9% der Stimmen kam die KPÖ bei der Gemeinderatswahl in Graz am 25. November hinter der ÖVP auf Platz zwei und erlangte damit 5 Prozentpunkte mehr als die SPÖ (15,3%). Die FPÖ verfehlte mit 13,75% ihr Wahlziel von 15% klar. Der KPÖ-Erfolg in Graz zeigt, dass Kommunisten trotz jahrzehntelanger Gegen-Predigten gewählt werden. In einem Interview für die „UZ“ der deutschen KP sagte ihre Vorsitzende Elke Kahr: „Dann können wir, auch als Minderheit, ja nicht so falsch liegen.“ Die Hysterie der Bourgeoisie: „Die Russen kommen!“ Das sieht der Großteil der Presse, von der „Krone“ bis zum liberalen Wochenmagazin „profil“, allerdings anders. Sie setzt Kommunismus mit Stalinismus gleich. Profil-Autorin Christa Zöchling sucht die Ursache für das Unrecht des Stalinismus ausgerechnet in der Grundidee der Gleichheit aller Menschen: „Schon in der Definition der Klassenzugehörigkeit des Einzelnen liegt der Keim des Unrechts.“, schreibt Zöchling. Als läge der Keim des Unrechts nicht darin, dass einige wenige alles haben und andere nichts. Dementsprechend sieht sie die „armen Reichen“ auch als die Hauptopfer der stalinistischen Verbrechen. Das Hauptopfer Stalins war aber die russische Revolution selbst. Stalin hat praktisch alle, die sich aktiv an der Revolution beteiligt haben, ermorden lassen. Kleine Bauern, die Arbeiterinnen und Arbeiter, und besonders die Bevölkerung der unterdrückten Kaukasusrepubliken hatten zahlenmäßig die meisten Opfer von Stalins Konterrevolution zu beklagen. Lehren aus Graz: Nicht hinterm Busch verstecken Von Medienhetze haben sich die Grazerin-
nen und Grazer nicht abhalten lassen. Ausschlaggebend für die KP-Stimmen waren drei Momente, die nur zum Teil bei anderen Wahlen zutreffen und kaum wiederholbar sind. Erstens bedarf es jahrelanger und kontinuierlicher Arbeit, um als Linke Wahlerfolge einzuheimsen. Ein günstiger Wind, eine antikapitalistische Grundstimmung allein reicht nicht, um an den Urnen zu punkten. Linke, die kurz vor einer Wahl aus dem Busch hervor springen, ein Bündnis gründen und dafür gewählt werden wollen, erteilen die Menschen regelmäßig eine Abfuhr. Bei einer SORA-Wahlmotivumfrage erklärte die Mehrheit der KPÖ-Wählerinnen und -Wähler, dass das Engagement Kahrs für leistbares Wohnen für sie ausschlaggebend gewesen sei. Kahr selbst betont ihren häufigen, direkten Kontakt mit den Menschen: „Ich begegne ihnen auf Augenhöhe.“ Die zweite Lehre aus Graz ist, dass das Problem nicht leistbarer Wohnungen eine kritische Schwelle überschritten hat. Auch in Wien brennen den Menschen die teureren Mieten unter den Nägeln. Allgemein werden soziale Probleme in den kommenden Jahren zunehmen und Linke müssen sich dieser annehmen. Dabei darf grundsätzliche Gesellschaftskritik aber nicht zu kurz kommen. Das muss man sich von der KP genauso wenig abschauen, wie die mangelnde Aufarbeitung des Stalinismus. Die KP wurde drittens nämlich nicht zuletzt aus Protest gegen die SPÖ, bzw. als „bessere Sozialdemokratie“ gewählt. Das hat Grenzen: Die SPÖ in Graz steckt in einer akuten Krise, die SPÖ beispielsweise in Wien nicht. Gespannt warten darf man nun auf die Wahlen in Kärnten. Dort will ein neues Linksbündnis zur Wahl antreten.
Die linke Sicht der Dinge auf: KONSUMVERZICHT von Peter HERBST
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unger, Umweltzerstörung, Ressourcenknappheit – die Übel in der Welt drängen nach einer Lösung, Strategien zu ihrer Bekämpfung gibt es sehr unterschiedliche. Eine davon heißt Konsumverzicht. Durch Selbsteinschränkung oder indem zumindest „fair gehandelte“ Produkte gekauft werden, soll das herrschende System, wenn schon nicht überwunden, so doch wenigstens gemieden oder gezähmt werden. Dem voraus geht eigentlich eine Kapitulation: Durch Individualisierung und Ver-
einsamung fühlt sich der Einzelne ohnmächtig gegenüber den Entwicklungen. Er glaubt nicht, dass es außer der Entscheidung Kaufen oder Nicht-Kaufen noch eine wirksame Willensäußerung gibt. Indem er an seiner persönlichen Konsumschraube dreht, hofft er, die Ungerechtigkeiten in der Welt regulieren zu können – so als ob seine Geldscheine Stimmzettel wären, die ein Unternehmerparlament wählen. Weil dies bisher noch nicht zu einem Erfolg geführt hat, wird ein Schuldiger gesucht. Dieser wird in all jenen gefunden, die nicht Fairtrade kaufen oder
überhaupt entsagen. Das führt zuerst zum Bewusstsein, einer moralischen Elite anzugehören, die über jenen steht, die gleichgültig zum Billigsten greifen. Mit der Krise trennte sich die Spreu vom Weizen: Die radikalen Aussteiger können sich bestätigt fühlen. Die im System verhafteten Liberalen sind verunsichert. Ein Beispiel für diese Verunsicherung gab nach der Bangladescher Brandkatastrophe Die Zeit. Nachdem die Wochenzeitung die beteiligten Konzerne mit Samthandschuhen angefasst hatte, tat es dem Kommentator Ulrich Ladurner sichtlich weh, die Realität
zur Kenntnis zu nehmen. Nämlich, dass Leute nicht aus Bosheit zum Billigsten greifen, sondern weil sie sich nichts anderes leisten können. Was er nicht sieht, ist, dass es dasselbe System ist, das in Deutschland die Konsumenten der Billigware, und in Bangladesch deren Produzenten hervorbringt. Sein Schluss: weil man Sozialhilfeempfängern kein schlechtes Gewissen machen kann, müssen „redlich bemühte“, westliche Unternehmer die Sozialpartnerschaft nach Asien exportieren und ihre Zulieferer dazu zwingen, Gewerkschaften zuzulassen. Jetzt mag man an gelbe
Gewerkschaften denken, aber diese sind bloß ein Symptom. Worum es geht, ist Konkurrenz, die allgemein gutgeheißen wird, wegen der man hierzulande bei KV-Verhandlungen keine „überzogenen“ Forderungen stellen darf und wegen der Arbeiterinnen in Bangladesch 13 Cent pro T-Shirt erhalten. Konsumverzicht kann das Problem in diesem System höchstens verschieben. Für eine echte Lösung müssen sich die Produktionsverhältnisse ändern. Und dazu braucht es keinen Fairtrade-Ablasshandel sondern internationale Solidarität.
Linkswende Jänner 2013 FLÜCHTLINGSHILFE
KÄRNTEN
FPÖ greift Ute Bock an D
einem ihrer Förderer ging. Angeblich hatte sie unberechtigterweise Mietverträge abgeschlossen. Erste und schlimme Folge dieses Artikels: Der Fond Soziales Wien stellte sofort jegliche Unterstützung des Bock-Vereins ein. Inzwischen hat sich die Situation allerdings wieder beruhigt. Frau Bock wird vom prominenten Anwalt Gabriel Lansky beraten, der FSW zahlt wieder – und die FPÖ wird mit ihrer Anzeige wieder einmal auf die Schnauze fallen.
it den Menschenrechten nahm man es in der „Sonderanstalt für mutmaßlich straffällig gewordene Asylwerber“ auf der Kärntner Saualm nicht so genau. Verschimmeltes Essen, Verwehrung von Medikamenten und Arztbesuchen sowie psychische und physische Gewaltanwendung durch die Securities standen dort in den letzten Jahren auf der Tagesordnung. Als das Heim im Oktober geschlossen wurde, war der Jubel unter all jenen, die sich für die Rechte von Flüchtlingen einsetzen, entsprechend groß. Meiste Nominierungen
ritthart die meisten NominierunT gen bekamen. Sie hatten im Juni dieses Jahres die Vorwürfe gegen die Heimleitung öffentlich gemacht und damit die Diskussion losgetreten, die letztendlich zur Schließung führte. Den beiden den Preis zu verleihen, sieht auf den ersten Blick nach einer leichten Entscheidung aus – doch scheinbar nicht für die Jury: Den Preis bekamen andere. Der mit 8.000 Euro dotierte Preis wird von der Kärntner Landesregierung vergeben. Juryvorsitzende ist die Klagenfurter Universitätsprofessorin Larissa Krainer von Amnesty International.
Grund genug, möchte man meinen, um zwei zentralen Figuren der Protestbewegung stellvertretend den Kärntner Menschenrechtspreis zu verleihen. Diesen Gedanken hatten scheinbar viele – so viele, dass der Pfarrer der Gemeinden Wölfnitz und Lamm, Johann Wornik, und Pfarrgemeinderat Heinrich
Die Beteuerung der politischen Unabhängigkeit ist zwar verständlich, aber unglaubwürdig. Es drängt sich der Eindruck auf, dass das Thema Saualm absichtlich übergangen wurde. Wie kein anderes ist es symbolisch für den Umgang der FPKLandesregierung mit Asylwerbern.
Symbolträchtiges Thema
Auch die laut „Standard“ nach Anzahl der Nominierungen zweitplatzierte Aktivistin Angelika Hödl, die sich seit 2008 für die Flüchtlinge engagiert und ihnen Quartiere und Lebensunterhalt organisierte, ging leer aus. Vergebene Chance Ein solcher Kniefall vor der politischen Opportunität ist unverzeihlich. Gerade als Vertreterin einer angesehenen NGO wie Amnesty International hätte Frau Krainer genug Durchsetzungskraft, dass sich Landeshauptmann Dörfler zweimal überlegen müsste, gegen die Entscheidung der Jury öffentlich Einspruch zu erheben. Hätte er das trotzdem getan, wäre das ein Skandal, dessen einzig logische Konsequenz ein geschlossener Rücktritt der gesamten Jury sein muss. Denn ein Menschenrechtspreis, der nicht an politisch unliebsame Personen vergeben werden kann, hat diesen Namen nicht verdient.
Zeltlager im Sigmund Freud-Park
als gesetzwidriges Nomadendorf bezeichnet und die Organisatoren als Anarchisten, die aus Deutschland angereist kämen, um sogleich die Führung zu übernehmen. Strache und Barbara Rosenkranz reisten nach Traiskirchen, um sich über das Lager ein „objektives“ Bild zu machen. In einer anschließenden Pressekonferenz gaben sie dann ihre Hassparolen zum Besten. Bis vor kurzem waren im Flücht-
lingslager Traiskirchen 1.400 Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht, was zu Spannungen führte. Durch den autoritären Umgang der Lagerleitung mit den leidgeprüften Menschen eskalierte die Lage immer mehr. Der „Aufschrei“ der Lagerleitung angesichts dieser Situation, gerichtet an den Traiskirchner SPÖ-Bürgermeister Knotzer, sorgte für den nötigen Druck auf Innenministerin Mikl-
Foto: Daniel Weber
10. Dezember fand die bisher letzte Demo statt. Sie führte vom „Camp“ zur UNO-City. Organisiert wurde der Marsch von der Initiative „Familien- und FreundInnen gegen Abschiebung“, mit Unterstützung der Organisationen „Asyl in Not“, „SOS Mitmensch“ und „African-European Interact“. Die Ziele der Initiative, die im Frühjahr/Sommer von mehreren Kampagnen gegen Abschiebung gegründet wurde, sind Bewegungsfreiheit, Bleiberecht und die Abschaffung rassistischer Gesetze. Dabei können alle mitmachen, etwa indem sie in ihrem Umfeld wirken und politischen Druck von unten aufbauen. Die Behörden versuchten von Anfang an, diesen Marsch zu sabotieren, zum Beispiel indem eine Kontrolle am Morgen des Marsches angekündigt wurde, bei der grundsätzlich Anwesenheitspflicht besteht. Währenddessen hetzte die BoulevardPresse. Das Camp wurde
Foto: Daniel Weber
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ls sich die Situation im Lager Traiskirchen immer mehr zuspitzte, marschierten am 24. November aus Protest 200 Flüchtlinge und Aktivisten von dort nach Wien. Nach zehn Stunden war die erste Station der Asylgerichtshof in der Laxenburger Straße, wo eine Protestkundgebung stattfand. Danach ging es weiter zum Park vor der Votivkirche, wo in der Zwischenzeit ein „Flüchtlingscamp“ errichtet worden war. Bei den täglichen Plenen werden dort weitere Aktionen geplant. Bis zum jetzigen Zeitpunkt gab es vier Demonstrationen. Am 5. Dezember beteiligten sich die Leute vom Camp an der Demo gegen Zugangsbeschränkungen und Studiengebühren an den Unis. Diese Solidarität wurde von den anderen Demoteilnehmern mit frenetischem Applaus bedacht. Am
Die beiden Personen mit den meisten Nominierungen für den heurigen Kärntner Menschenrechtspreis gingen leer aus. Johann Wornik und Heinricht Tritthart hatten sich für die Asylwerber auf der Saualm engagiert. Oliver MARTIN fragt, ob die Jury Angst vor Landeshauptmann Dörfler hatte.
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Flüchtlingscamp im Sigmund Freud-Park von Kurt KANN
Kärntner Menschenrechtspreis: Kapitulation vor Dörfler?
Foto: Refugee Camp Vienna
a hatte sich Martin Graf, der seine eigene moralische Integrität vor kurzem durch das Ausnehmen einer alten Frau bewiesen hat, schon gefreut. Es schien sich eine Chance zu bieten, wieder einmal die Flüchtlingshelferin Ute Bock anzupatzen. „Ute Bock nutzte Großzügigkeit schamlos aus.“ textet Grafs Rechtsaußenmachwerk „Unzensuriert.at“ und eilig brachte man eine Anzeige gegen Ute Bock ein wegen „Verdachts auf unrechtmäßige Bereicherung“. Ein typisch kleinlicher, boshafter Versuch der FPÖ den untadeligen Ruf einer selbstlosen Frau zu zerstören, der sie moralisch nicht das Wasser reichen kann und die in ihrer Kombination aus Hilfsbereitschaft und „Echtheit“ die Herzen der Menschen gewonnen hat. Munition glaubten die Rechten in einem Kurier-Artikel gefunden zu haben, in dem es um einen Konflikt zwischen Ute Bock und
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Nach der Errichtung des Camps organisierten Flüchtlinge mehrere Demos (hier am 8. Dezember).
Leitner. Schon im Oktober kam zu Tage, dass die Bundesländer Salzburg, Kärnten, Oberösterreich, Vorarlberg, Tirol, Burgenland und Steiermark ihre Aufnahmequoten nie erfüllten. Die Landeshauptleute behaupteten, dass es keine Unterbringungsmöglichkeiten in ihren Ländern gäbe. Die Bürgermeister der jeweiligen Städte und Orte würden sich weigern, Flüchtlinge aufzunehmen, da sie um das Ortsbild fürchten und einen Anstieg der Kriminalität erwarten. Vor kurzem wurde von den CampOrganisatoren ein offener Brief an Mikl-Leitner verfasst, in dem sie folgende Forderungen stellten: 1. Unser Asyl sollte gewährleistet sein. Insbesondere, solange die Situation in unseren Ländern sich nicht verbessert hat. Ist dies nicht der Fall, sollten wir die Möglichkeit haben, unseren legalen Status in Österreich zu verlängern. Wenn ihr uns nicht erlaubt länger hier zu bleiben und uns abschieben wollt, dann bitte löscht unsere Fingerabrücke, sodass wir in einem anderen Land um Asyl ansuchen können und nicht abgeschoben werden. 2. Wir brauchen eine Arbeitserlaubnis. Wir wollen für uns selbst sorgen. Wir wollen nicht vom Staat abhängig sein. Wir verlangen, dass man uns unsere Würde als Menschen zurückgibt.
Jänner 2013 Linkswende
Postfach
Die hier veröffentlichten Briefe und Berichte repräsentieren nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion von Linkswende.
Meran: Repressive Aktion gegen links- alternatives Vereinslokal
Solidarität mit dem palästinensischen Widerstand
m Samstag, 1. Dezember gegen 23:00 Uhr machte die Finanzpolizei, mit der Stadtpolizei Meran (Südtirol) eine Kontrolle des linksalternativen Vereinslokals „ost west club est ovest“, die seines Gleichen sucht. Mit Drogenhunden und 15 Beamten (sic!) untersuchten sie die 30 Besucher des kleinen Lokals auf Drogen. Im Rahmen der Razzia wurden alle Ausgänge versperrt und von jedem der Anwesenden die Personalien aufgeschrieben, einzelne Besucher mussten sich Ganzkörperkontrollen unterziehen. Ein Polizeikessel auf südtirolerisch, sozusagen. Auf die Frage nach dem Grund der Schikane wurde dem Vereinspräsidenten versichert, dass auch in anderen Stadtlokalen in Zukunft solche Kontrollen durchgeführt würden. Ein mehr als lächerlicher Gedanke. Es ist einfach so, dass der Ost West Club zur Zeit einen nie da gewesenen Aufschwung erlebt. Der neue Vorstand des Vereins hat frischen, politisierten Wind in die Aristokratenstadt Meran gebracht und das scheint wohl die eine oder andere Gruppe zu verstören. In einer Stadt, die in ihrer Entwicklung mehr und mehr der neoliberalen Verwertungslogik folgt, scheint kein Platz mehr sein zu wollen, für kritische Stimmen. Glücklicherweise sehen die KollegInnen des Ost West Clubs die Repressionsaktion, die sich in eine Vielzahl von Vorfällen innerhalb der letzten zwei Monate reiht, als Motivation sich noch weiter zu engagieren. Die Mitgliederzahlen sind so hoch wie nie, das Programm ist abwechslungsreich und bietet Diskussionen und inhaltlichen Auseinandersetzungen über eine Vielzahl von Themen. Wenn ihr also durch Meran zieht denkt daran einen Sprung in den Club zu machen. Seid Solidarisch! Gabriel Sigmund
Foto: Daniel Weber
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Unhaltbare Vorwürfe gegen diese Kundgebung am Wiener Stephansplatz: Protest am 16.11. gegen das israelische Bombardement Gazas.
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er Artikel von Samuel Laster in „Die Jüdische“, der auch in der israelischen rechten Zeitung „Jerusalem Post“ zitiert wird, grenzt an üble Nachrede. Anschuldigungen, die mit „Gerüchten zufolge“ beginnen, deuten auf das journalis-
SCHREIB UNS Linkswende lebt von Kommentaren, Reaktionen und Berichten. Deshalb die Bitte an dich: Schreib uns! Wir freuen uns über Post und drucken gerne die eingesendeten Beiträge ab. E-Mail: redaktion@linkswende.org Post: Linkswende Postfach 102, Kettenbrückeng. 5, 1050 Wien
tische Niveau des Artikelschreibers hin. Es wird den Teilnehmer/innen der Solidaritätskundgebung für Gaza und gegen die israelische Aggression unterstellt, sie hätten antijüdische Losungen ausgerufen. In diesem Zusammenhang wurden auch Personen der Wiener Palästina-Solidarität namentlich erwähnt, um diese, genau wie jede Solidarität mit den Palästinenser/innen und Kritik an Israel wieder auf Biegen und Brechen mit Antisemitismus in Verbindung zu bringen. Wir möchten hiermit Folgendes feststellen: 1. Alle von uns aufgestellten Losungen, welche das sogenannte Existenzrecht Israels in Frage stellen, beziehen sich auf den Staat Israel als politisches Projekt, der in einem kolonialen Zusammenhang entstand und auf der Diskriminie-
rung und Vertreibung der Bevölkerung Palästinas beruht. Das Ende des Staates Israel, wie es auch von der palästinensischen Befreiungsbewegung definiert wird, bedeutet das Ende dieser Apartheid-Situation und ein neues Staatskonzept, das die Rechte der Palästinenser/innen wiederherstellt und das allen im Land lebenden Menschen GLEICHBERECHTIGUNG garantiert. 2. Wider den Behauptungen von Herrn Laster, kamen uns bei der Kundgebung am 16. November 2012 weder in arabischer noch in deutscher Sprache Losungen zu Ohren, die gegen Juden als solche gerichtet sind, geschweige denn Losungen, die ihnen den Tod wünschen. Besteht „Die Jüdische“ auf diese Behauptung, dann muss sie Beweise vorlegen. 3. Sollte es tatsächlich und ohne unsere Kenntnis vereinzelt zu sol-
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iebe Leserinnen und Leser, am 5. Dezember war ich mit meinen Genossinnen und Genossen bei den Protesten. Wir haben uns versammelt, um gegen Studiengebühren und Zugangsbeschränkungen zu protestieren. Die Stimmung auf der Demo war faszinierend, weshalb ich mich wohl gefühlt habe. Dadurch habe ich verstanden, dass ich nicht alleine bin. Unsere Fäuste in der Luft, unsere Stimmen waren laut trotz Regen und Kälte. 2.000 unangepasste Menschen, rebellische Uni! Auf der Demo haben die Redner und Rednerinnen uns nicht nur auf Deutsch informiert, sondern auch auf Türkisch, Spanisch, Kroatisch, Persisch, Englisch... Das war pure internationale Solidarität! Wir haben unsere Stimme schon hören lassen und werden damit nicht aufhören. Nach diesem guten Anfang müssen wir jetzt mehr kämpfen – gegen doppelte Studiengebühren. Jetzt müssen wir mehr Menschen aktivieren und lauter werden. Glaubt bitte, wenn wir uns zusammen dagegen engagieren, können wir dieses Scheiß-Gesetz leicht abschaffen. Die Regierung hat immer Geld für die Banken, aber kein Geld für die Bildung.
chen Parolen gekommen sein, so haben diese keine Resonanz bei der großen Mehrheit der Teilnehmer/ innen hervorgerufen. Wir möchten hier unsere strikte Distanzierung von jeglichen antijüdischen Äußerungen zum Ausdruck bringen. Unsere Solidarität mit dem palästinensischen Widerstand entspringt unserem Gerechtigkeitsempfinden und dem antikolonialen Kampf. Wir sehen die Lösung der PalästinaFrage in einem demokratischen säkularen Staat für alle dort lebenden Menschen. Antiimperialistische Koordination Diese Stellungnahme wurde von der Redaktion leicht bearbeitet und bezieht sich auf den Artikel „‘Tod den Juden‘ mitten in Wien – Die Hamas marschiert zum Kanzler“ von Samuel Laster.
ÖVP-Bürgermeister gegen Flüchtlinge
Gegen doppelte Studiengebühren
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Foto: Linkswende
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Flüchtlinge unterstützten Studierende
Wir akzeptieren das einfach nicht mehr. Niemand darf unsere Bildung behindern. Es müssen alle wissen, dass wir das nicht erlauben. Da muss ich euch fragen, liebe Freundinnen und Freunde: Worauf wartet ihr, warum demonstrieren wir nicht zusammen gegen Studiengebühren? Ich bin gespannt auf die nächste Aktion und glaube, dass wir uns wieder dort treffen werden. Meltem Çetinay
lfred Hartl, ÖVPBürgermeister von Bad Leonfelden, hat durch massiven Druck eine Flüchtlingsunterkunft in seiner Stadt verhindert, damit aber einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Dass SPÖ („Schande für unser Land“), Grüne („unwürdige Vorgangsweise“) und KPÖ scharfe Kritik an Hartl üben, ist noch nicht verwunderlich. Dass aber auch ein langjähriger Parteikollege des Bürgermeisters, der Bad Leonfeldner Wirtschaftsbundobmann Johann Hammerschmid, unter Protest alle seine ÖVP-Funktionen zurückgelegt hat, stellt ein außergewöhnliches Zeichen der Anständigkeit dar. „Die Art und Weise, wie hier vorgegangen wurde, ist widerlich“, nennt Hammerschmid die Dinge beim Namen: „Leider hat das System.“
Auch Hubert Tischler, ÖVP-Bürgermeister von Bad Zell, in dem es seit 2004 ein Asylheim gibt, kritisiert Hartl scharf: „Es kann nicht sein, dass uns Einwanderer als Arbeiter und Pflegekräfte recht sind, aber wir Menschen abweisen, wenn sie Hilfe brauchen.“ Der Zuständige für diese Frage, ÖVP-Landesobmann und Landeshauptmann Josef Pühringer, schwieg zunächst tagelang zu diesem Fall. Als das nicht mehr ging, meinte er dürr, er fordere Solidarität ein, sei aber „kein Oberlehrer“. So zurückhaltend war Pühringer bei der Verleihung des Menschenrechtspreises des Landes am 10. Dezember keineswegs. Da pries er wortreich den couragierten Einsatz für eine bessere Welt. Robert Eiter Antifa-Netzwerk-Info Nr. 439
Linkswende Jänner 2013
Friedliche Lösung adé
ISRAEL
Schwarz hinterlegt sind die wenigen palästinensisch kontrollierten Gebiete für einen zukünftigen Staat „Palästina“.
Unmittelbar nach der Zuerkennung eines Beobachterstatus für Palästina durch die UNO hat Israel den Bau neuer Siedlungen auf palästinensischem Gebiet angekündigt. Sie sollen Ostjerusalem vom restlichen Westjordanland abschneiden und damit jede Hoffnung auf einen Palästinenserstaat vernichten, meint Manfred ECKER.
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etzte Illusionen in eine friedliche Lösung des „Nahostkonflikts“ mit zwei eigenständigen Staaten – Palästina und Israel – hat es damit unmissverständlich zerstört. Die sogenannte Zweistaatenlösung war allerdings immer
schon empörend ungerecht. Die einheimische Bevölkerung Palästinas hätte sich demnach mit 22% ihres Landes zufrieden gegeben, auf dem sich niemals ein lebensfähiger Staat hätte entwickeln können. Israel dagegen würde den Großteil
Israel tötet weiter
Yasser Abumaghasib beklagt den Tod seinen Sohnes Nader.
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ierzig Minuten nachdem die Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas ausgerufen wurde, ermordete die israelische Armee mit einer unbemannten Drohne den 15-jährigen Nader Abumaghasib. Er war mit seinem kleinen Bruder am Weg zu einem Kiosk, um mit dem bisschen Geld, das ihm sein Vater gegeben hatte, Süßigkeiten einzukaufen. Zwei Tage später erschossen israelische Soldaten den 23-jährigen Anwar Qdeih und verletzten zehn weitere Menschen zum Teil schwer mit ihren Scharfschussgewehren. Die jungen Leute hatten den Waffenstillstand feiern wollen und gingen an den Grenzzaun zwischen Gaza und dem Streifen Niemandsland, der Gaza von Israel
trennt. Sie erschossen Anwar durch den Kopf, weil er daranging eine Hamasfahne am Grenzzaun aufzuhängen – eine kleine Provokation, die die Erinnerung an das Bombardement und an die täglichen Demütigungen leichter ertragen lassen sollte. Wieder zwei Tage später beschossen israelische Soldaten eine Gruppe Bauern, die sich näher an den Grenzzaun gewagt hatte, um einen Blick auf ihre brachliegenden Felder werfen zu können. Während des achttägigen Bombardements wurden 163 Palästinenser, darunter viele Frauen und Kinder, getötet, aber die Menschen in Gaza haben noch nicht aufgehört ihre Toten zu zählen.
des ursprünglichen Landes behalten und unter anderem die Grenzen, das Grundwasser, die Küsten und die Verkehrswege kontrollieren. Trotzdem haben die Anführer der Fatah, Jassir Arafat und sein Nachfolger Mahmud Abbas, um diese Karikatur eines Staats gekämpft und haben Israels Bedingungen akzeptiert: 1988 verzichtete die palästinensische Seite auf 78% ihres Gebietes, indem sie die Grenzziehungen von vor 1967 akzeptierte. Die Unterzeichnung der Friedensverträge 1993 in Oslo weckte aber zu Unrecht Hoffnungen auf einen palästinensischen Staat. Israel hat während des Friedensprozesses nie aufgehört illegale Siedlungen auf besetztem Gebiet zu bauen. Zwischen 1994 und 2000 konfiszierte Israel über 14.000 Hektar palästinensischen Landes. Heute leben mehr als 400.000 israelische Siedler auf enteignetem Boden. Außerdem blieb die Frage der über 5 Millionen palästinensischen Flüchtlinge ungelöst. Ehud Barak bestand darauf, dass das Rückkehrrecht zur Gänze dem eigenen Ermessen Israels obliegt. Die höchste Zahl von Rückkehrerlaubnissen, die jemals genannt wurde, lag bei 10.000. Israel hat seine Verantwortung für die Flüchtlinge abstreifen können und lässt den restlichen 5 Millionen drei Optionen: in den überfüllten Lagern zu bleiben, in palästinensische Enklaven zu siedeln oder darauf zu hoffen, dass die internationale Gemeinschaft die Einwanderung erlaubt. Kurz nachdem Israel den Siedlungsbau bei Ostjerusalem angekündigt hatte, hagelte es Kritik von westlichen Regierungen. Man hörte von „ungewöhnlich scharfer Kritik“ oder von „überraschend deutlichen Worten“. Fünf EU-Länder – Ös-
Grafik: avaaz
terreich war nicht darunter – bestellten die israelischen Botschafter zum Rapport. Die Kritik an Israel war einigermaßen seltsam: „Israel untergrabe das Vertrauen in seine Verhandlungsbereitschaft“. UNGeneralsekretär Ban Ki-moon empörte sich über den „beinahe tödlichen Schlag für die Chance auf eine Zwei-Staaten-Lösung“. Bisher half die Doppelstrategie von Zuckerbrot und Peitsche um eine weitere Eskalation des Widerstands gegen den Siedlerstaat Israel einzudämmen. Wenn Israel jetzt das Zuckerbrot wegwirft und nur mehr mit der Peitsche draufhaut, dann, so wird befürchtet, könnten sich die arabischen Revolutionen und der palästinensische Widerstand zu etwas Mächtigerem vereinigen und der Westen könnte die Kontrolle über die Region verlieren. Bevor man den Totalverlust des ölreichen arabischen Raums riskiert, so haben US-Diplomaten klar gemacht, wird man Israel fallen lassen. Einer, auf den man hört, ein außenpolitischer Berater verschiedener US-Präsidenten und bis dato ein zuverlässiger Freund Israels, Zbigniew Brzezinski, warnte das US-Militär davor, seinen Kurs gegenüber Israel zu ändern: Die USA dürfe Israel nicht wie ein dummes Muli nachtraben, wenn Israel tatsächlich den Iran angreift. Das war bisher die konkreteste Warnung an Israel, dass die USA bereit sind ihren Vorposten im Mittleren Osten fallenzulassen. Wenn man Brzezinskis Aussage als stellvertretend für die Position der herrschenden Elite in den USA annimmt, und das ist durchaus berechtigt, dann versteht man das Dilemma Israels. Mit dem Sturz Mubaraks in Ägypten verlor Israel einen wichtigen Stützpfeiler seiner Existenz – die Kollaboration
der arabischen Machthaber. Nun drohen weitere Stützpfeiler zu zerbröseln – der bedingungslose Rückhalt durch den Westen und vor allem die militärische und finanzielle Unterstützung der USA. Mit den hysterischen Warnungen vor der iranischen Bombe will Israel die wichtigsten Regierungen hinter sich zusammenschweißen. Nun sagen die USA ganz offen, dass sie nicht bereit sind bis zum Abgrund und weiter mit ihrem Kettenhund zu gehen. Am Abgrund angekommen, würden sie die Leine loslassen. Ariel Sharon hatte die düstere Vorahnung, dass seine Enkelkinder nicht mehr in Israel beerdigt würden, so lange würde es vielleicht nicht mehr existieren. Im Moment erleben wir, wie sich dieses Ende Israels in der konkreten Realität abspielt.
ÄGYPTEN
Stellungnahme der Revolutionären Sozialisten
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ie Politik der Ignoranz und Sturheit fortführend, kündigte Mohamed Mursi an, dass das Verfassungsreferendum in weniger als zehn Tagen stattfinden wird. Diese Antwort auf die Millionen-Märsche, welche die öffentlichen Plätze füllen, erinnert an die Politik des gestürzten Diktators Mubarak gegenüber der politischen und sozialen Bewegung. Es scheint, dass Mursi, der seinen Wahlsieg mit nur einem Prozent Vorsprung geschafft hat, auf die Macht seiner Organisation und die Mobilisierung der islamistischen Kräfte setzt. Aber die Geschichte lehrt, dass kein Herrscher einer Massenbewegung standhalten kann, so lange diese entschieden weiterhin die Errungenschaften ihrer Revolution verteidigt und die
Hoffnung auf die Erfüllung weiterer Ziele noch nicht verloren hat. Es scheint, dass die schwere Wirtschaftskrise der kapitalistische Klasse – in Kombination mit den Bemühungen von Mursi und seiner Gruppe die große Mehrheit in den bevorstehenden Parlamentswahlen durch die Stimmen der Salafisten (die Mursis Absichten unterstützen) zu gewinnen – zu einer Polarisierung entlang einer säkularen-religiösen Front geführt hat, anstatt zum Kampf der Armen und Unterdrückten gegen die Bosse – unabhängig davon, ob es Islamisten auf der einen Seite oder die Liberalen und Elemente des alten Regimes auf der anderen Seite sind. Mursis Verfassung berücksichtigt nicht die soziale und wirtschaftliche Rechte, verteidigt aber die Inhaftie-
rung von Journalisten und ermöglicht wieder Militärgesetze gegen Zivilisten. Sie schützt die Interessen des militärischen Establishments und setzt auf Ausgrenzung der unterdrückten Frauen und Christen in Ägypten. Unsere Ablehnung von Mursis Politik wird uns nicht dazu treiben, uns an der Front zur Nationalen Rettung zu beteiligen. In dieser steht Hamdeen Sabahi Schulter an Schulter mit Amr Moussa und Mohamed el-Baradei neben Sayyed el-Badawi – einem Mann, der nicht zögert sich mit dem amerikanischen Botschafter in Kairo zu treffen. Die Front setzt ihre Treffen trotz allem fort, als ob nichts geschehen wäre. Wir fordern die Bildung einer revolutionären Front, frei von den Überresten
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Anti-Mursi Demonstranten harren auf dem Tahrir-Platz aus.
des alten Regimes, die den Kampf um die Ziele der Revolution nach Brot, Freiheit und sozialer Gerechtigkeit bis zum Sieg fortsetzt. Wir verpflichten uns für folgende Ziele zu kämpfen: • Die Ablehnung des Verfassungsentwurfs und die Neuwahl einer verfassungsgebenden Versammlung, die repräsentativ für die Gesellschaft, für die Minderheiten und Unterdrück-
ten ist • Den Sturz der diktatorischen Verfassungserklärung • Den Sturz der HishamQandil-Regierung und die Bildung einer revolutionären Regierung • Einen Mindestlohn von mindestens 1.500 Pfund im Monat, die Einführung eines maximalen Lohnes, unbefristete Verträge für Zeitarbeiter, ein Ende der Privatisierungen und der
Verstaatlichung der monopolistischen Unternehmen • Den vollständigen Rückzug aus der Vereinbarung mit dem Internationalen Währungsfonds Ehre den Märtyrern – Macht und Wohlstand für die Menschen! Stellungnahme der Revolutionären Sozialisten in Ägypten, 4. Dezember 2012
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Jänner 2013 Linkswende
RASSISMUS AUF DER POWI
RASSISTISCHE BILDUNGSPOLITIK
Institutsleitung erlässt ausländerfeindliche Regelung von Judith LITSCHAUER
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usländischen Studierenden werden am Institut für Politikwissenschaft der Uni Wien noch mehr Steine in den Weg gelegt. Für die Anerkennung von im Ausland erbrachten Studienleistungen sind nun zwei weitere Voraussetzungen zu erfüllen. Begründet wird dies von Seiten der Institutsleitung äußerst fragwürdig: „Zahl und Inhalt der vorliegenden Anträge […] weisen darauf hin, dass eine große Gruppe von Studierenden das Pflicht-Curriculum […] im Rahmen von ausländischen Hochschulkursen absolvieren möchte.“ Insbesondere türkischstämmige Studierende sind von der neuen Regelung betroffen, die ihr ohnehin schwieriges Uni-Leben belastet. Sie absolvieren zusätzlich zu den Seminaren während des Semesters im Sommer Kurse in der Türkei, die sie sich hier anrechnen lassen um annähernd in der Regelstudienzeit zu bleiben. „Wir müssen daher oft in Rekordzeit Deutsch auf Universitätsniveau lernen, haben dafür aber kaum Zeit, weil ansonsten unsere Visa nicht verlängert werden“, erklärt die „Initiativgruppe türkischer StudentInnen“ in einem offenen Brief an die Institutsleitung.
INTERVIEW
von David HEUSER
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Ein weiterer Grund für die neue Regelung seien „Studierende, die nach einer negativen Leistungsbeurteilung versuchen, anrechenbare Leistungen anderer Hochschulinstitutionen beizubringen.“ Anstatt Sprachbarrieren, die oft zu einer negativen Beurteilung führen, abzubauen und ihnen mehr Zeit zum Erlernen der Sprache und des Fachwissens zu geben, wird ihnen de facto ein Betrug unterstellt. Das entlarvt die rassistische Motivation der Programmleitung hinter der Neuregelung. Nun wird klar, von wem die Gerüchte einer „TürkenMafia“, die am Institut für Politikwissenschaft am Werken sei, in Umlauf gebracht werden. Anstatt die vielfach angepriesene „internationale Mobilität“, die einst der Bologna-Prozess versprach, zuzulassen, wird Studierenden verboten Kurse im Ausland zu belegen und sich anrechnen zu lassen. Im Kontext der bundesweiten Angriffe auf Studierende aus Drittstaaten ist klar, dass ein derart ausländerfeindliches Klima an den Universitäten nicht mehr tragbar ist. Die „Initiativgruppe türkischer StudentInnen“ schreibt selbst: „Mit der neuen Studiengebühren-Regelung, die uns als größte Nicht-EU-BürgerInnen-Gruppe
besonders betrifft und belastet und der plötzlichen Änderung der Regeln für Anrechnungsmöglichkeiten im Ausland fühlen wir uns zusehends ausgestoßen und unwillkommen.“ Außerdem besteht wohl keine gesetzliche Grundlage für diese Regelung. Im Gegenteil dürfte sie sogar rechtswidrig sein. „Das Einbringen von Anträgen ist Recht von Studierenden, unabhängig der Herkunft“, hält die Studienvertretung Politikwissenschaft fest. Dubios mutet auch die plötzliche Wahrnehmung an, dass „die vielen Anträge“ als Problem zu werten seien. Aufgabe des Instituts ist es ganz
klar die Anträge auf Anerkennung der Leistung zu bearbeiten und diese nicht durch eine rassistische Regelung zu verhindern – vor allem wenn sie nur die relativ kleine Gruppe ausländischer Studierender betrifft. Anstatt die im Ausland erbrachte Leistung zu würdigen und gesetzmäßig zu prüfen, wird der Studienalltag ausländischer Studierender weiter verschärft. Das dürfen wir nicht zulassen! Die Autorin studiert selbst am I nstitut für Politikwissenschaft der Uni Wien.
schen Haushalts liegt bei etwa 500 Euro. Dass damit keine derartigen Studiengebühren zu bezahlen sind, liegt auf der Hand. Aber es kommen weitere Schwierigkeiten hinzu. Aydins Eltern ist es wie allen Iranern nicht möglich, einfach Geld nach Österreich zu überweisen. Grund dafür sind die wirtschaftlichen Sanktionen der Europäischen Union gegenüber dem Iran, die im Jänner 2012 beschlossen wurden. „Geldtransfers aus dem Iran muss man über Privatpersonen abwickeln, die verlangen sehr hohe Gebühren,“ erklärt Aydin. „Es gab die Möglichkeit für iranische Studierende sich die Transfers subventionieren zu lassen. Mittlerweile
lohnt sich der bürokratische Aufwand aber nicht mehr, da die Subventionen mittlerweile zu niedrig sind.“ Wie groß die Belastung durch das Embargo ist, versteht man, wenn man sich die finanzielle Entwicklung des Iran anschaut. „Früher war der Rial (iranische Währung, Anm.) gegenüber dem US-Dollar stabil. Die USA kaufte Öl und der Iran bekam den entsprechenden Wert in US-Dollar. Der Wechselkurs schwankte dadurch kaum. Als die USA und Europa die Sanktionen starteten, fiel der Wert des Rial um die Hälfte. Das Ausland ist seit diesem Jahr für Iraner doppelt so teuer. Die Studiengebühren belasten uns doppelt.“ Aydin erzählt mir von einem wei-
Ob an der Uni, in der Arbe Leben systematischer Dis und sich die Schikanen an
„E
r hat sein Studium abgebrochen ist mittlerweile wieder in der kei.“ Yeliz Akin, alevitische Zazakie Studentin der Bildungswissenschaft, zählt die Geschichte eines Freundes viele andere auch schon erlebt ha „Er hat wirklich viel gelernt und war ßig. Dann hat er einmal einen schriftli Test bis zum dritten Antritt nicht gesch weil er die Fragestellung auf Deutsch n verstand. Er hat mehrmals um eine mü che Prüfung gebeten.“ Trotz zeigte ihm die Lehrveran tungsleiterin die kalte Sc ter. Es wäre nicht ihr Prob wenn er kein Deutsch könn Sprache und Uni
Iran-Embargo macht uns das Studieren in Österreich schwer
ie Regierung führte neuerlich wieder Studiengebühren ein. Studierende aus Drittstaaten werden ab dem 1. Semester doppelt belastet. Das betrifft auch iranische Studierende, die noch dazu, wie die wenigsten wissen, erhebliche Probleme durch das Iran-Embargo der EU bekommen. Aydin A. studiert seit Oktober Technische Chemie an der TU Wien. Seine Eltern leben im Iran. Er berichtet: „Die 727 Euro Studiengebühren sind für Iraner sehr viel Geld. Das sind umgerechnet über eine Millionen Toman, mehr als ein Beamter durchschnittlich verdient.“ Das Durchschnittseinkommen eines irani-
„Le dann
teren tragischen Problem: „Die Krankenhäuser im Iran können sich keine Medikamente mehr leisten. Das Embargo hat den Import von Medikamenten unbezahlbar gemacht.“ Mehdi studiert ebenfalls an der Technischen Universität Wien. Ein Verwandter brachte ihm aus dem Iran ein Buch mit, das er zum studieren brauchte. Bei der Einreise bemerkte der Zoll dieses Buch, der Verwandte wies aber darauf hin, dass es für einen Studenten in Wien sei. Mehdi bekam Besuch von der Polizei und sein Zimmer im Studentenwohnheim wurde durchsucht. Die Polizei fragte ihn, ob er mit seiner Haarspülung Bomben herstellen könne. Die neuerlichen Studiengebühren führen, ohne Nutzen für die Universitäten, zu einer massiven Belastung von Studierenden und deren Familien. Die Sanktionen gegen den Iran belasten die Menschen dort und die iranischen Studierenden hier doppelt. Letzteres ist den meisten Fällen kaum bewusst. Die einseitige Berichterstattung über den Iran lässt keinen Platz für die Probleme, die die Menschen mit dem Embargo haben. Menschen, die unter einem Regime leiden, werden zusätzlich diskriminiert. Es gibt die Möglichkeit, iranische Studierende zu informieren, dass durch Bitcoins (elektronisches Geld) die Kosten der Geldtransfers umgangen werden könnten. Wir müssen aber vor allem gemeinsam dafür kämpfen Studiengebühren wieder abzuschaffen, Solidarität zeigen und die Diskriminierung von Iranerinnen und Iranern stoppen.
Viele können ihr Studium n abschließen. Zum einen b neben mehr und mehr A immer wenig Zeit zu studie Zum anderen ist es vor allem Sprache, die Schwierigkeiten reitet – zusätzlich zu überfü Hörsälen, zu wenigen Sem plätzen, etc. Es fällt schwer tizen zu machen, dem Vo zu folgen oder Fragen zu ste Sprachkurse an den geforde Instituten kosten mindes 2.400 Euro. „In Wahrheit müssen wir zwei Sprachen lernen: H deutsch und Wienerisch“, m Meltem Çetinay aus der Tü die gerade einen Deutschkurs besucht im nächsten Semester Soziologie studi will. Die Studentin İdil Somer zog bereits 14 Jahren mit ihrem Vater von Ista nach Wien. „Als ich das erste Mal in m neue Schulklasse kam und den freien P
Linkswende Jänner 2013
CHRONIK
ernen Sie Deutsch, kommen Sie wieder“
ANGRIFFE
eit oder auf Amtswegen – das Leben vieler ausländischer Studierender ist ein skriminierung. David ALBRICH hat mit türkischen Studentinnen gesprochen ngesehen.
nicht bleibt Arbeit eren. m die n beüllten minarr Noortrag ellen. erten stens
sogar Hochmeint ürkei, t und ieren
s mit anbul meine Platz
nahm, wurde ich gleich einmal von einer hinteren Reihe als ‚Turko’ beschimpft. Und das, obwohl ich gar nicht wie eine ‚klassische’ Türkin ausgeschaut habe, sprich: ich war wie alle anderen in der Klasse angezogen und hatte kurze, rosa gefärbte Haare.“ Sie betont, dass, obwohl es eine sehr offene Schule war, einzelne Schüler wegen ihrer Herkunft Probleme machten. Staatliche Schikanen Um eine Aufenthaltsbewilligung zu bekommen, müssen Menschen von außerhalb der EU ein monatliches Einkommen von 450 Euro nachweisen, für über 24-Jährige sind es sogar 815 Euro. Die 727 Euro Studiengebühren kommen für viele noch dazu. Selbst wenn manchen die Gebühren rückerstattet werden, muss man das Geld zuerst einmal auftreiben. Die Arbeitsbewilligung muss jedes Jahr am Magistrat erneuert werden, inklusive neuer Fingerabdrücke und Foto. „Man wird wie ein Krimineller behandelt. Man fühlt sich wie ein Tier, das nicht erwünscht ist“, sagt Yeliz. Willkür und rassistische Ansprachen stehen an der Tagesordnung. Meltem Çetinay erzählt von einem Vorfall: „Ich war mit meinem Zwillingsbruder dort. Wir hatten quasi identische Unterlagen. Er konnte sein Visum verlängern. Mich hingegen hat die Beamtin mit den Worten nach Hause geschickt: ‚Lernen Sie zuerst einmal Deutsch, dann kommen sie wieder’.“ Billige Arbeitskräfte Junge Menschen aus der Türkei, Afghanistan und anderen Ländern müssen oft als billige Arbeitskräfte herhalten. Yeliz versuchte ihr Glück im Kleidergeschäft Zara. „Man hat mich schon nach drei Wochen wieder rausgeworfen“, erzählt
WS 2011/12: Erstmalig müssen sich Studierende durch die Studieneingangsund Orientierungsphase (StEOP) quälen.
sie. Die Gründe waren scheinheilig: Einmal ist sie wegen einer Vorlesung nicht für eine kranke Kollegin eingesprungen, ein anderes Mal hat sie den Team-Leiter missverstanden und ein Meeting versäumt. Yeliz vermutet einen anderen Grund: „Vor allem Ausländer arbeiten dort. Es gibt eine dreimonatige Probezeit, in der man nur die Hälfte des Lohns bekommt. Bevor die Zeit abläuft, werden die Leute gekündigt.“ Yeliz hat eine Arbeitserlaubnis. Ohne dürfen Studierende außerhalb der EU nur zehn Stunden pro Woche arbeiten. Viele werden deshalb in illegale Arbeitsverhältnisse gedrängt. Immer wieder zahlen die Chefs am Ende des Monats statt der versprochenen acht oder zehn Euro nur drei oder vier Euro die Stunde. Prekäre Situation İdil möchte von zu Hause ausziehen, doch der Unabhängigkeit steht die fehlende Arbeitserlaubnis im Weg: „Ich muss schon jetzt meinen Vater bei fast jedem Einkauf um Geld fragen. Gerade die doppelten Studiengebühren erschweren es mir auf eigenen Beinen zu stehen.“ Meltem musste in Österreich beinahe jeden Monat die Wohnung wechseln. „Besonders das erste Semester ist ein Albtraum“, meint Yeliz. Eine langfristige Lebensplanung wird unmöglich. Sie war quasi durchgehend auf Arbeitssuche und hat in den letzten vier Monaten 30 Wohnungen besichtig. Oft wurden die Besichtigungen mit der Frage „Woher kommst du?“ und Antwort „Türkei“ beendet. „Man kann sich in so einer Situation wirklich nicht auf die Uni konzentrieren“, klagt Yeliz. Die Freude ist riesig, als sie erfährt, dass sie nun für einen Monat eine eigene Wohnung bekommt.
19. April: Rekor Engel (Uni Wien) hetzt gleich zwei mal an einem Tag Spezialeinheiten der Polizei (WEGA )auf protestierende Studierende und ließ Matrikelnummern aufschreiben. 26. April: Rekor Engel setzt erneut die WEGA in der Uni gegen demonstrierende Studierende. 14. Juni: Universitätsleitung der Uni Wien schaft Bachelorstudium Internationale Entwicklung ab. Juni/Juli: Autonome Studiengebühren werden an folgenden Unis beschlossen: TU Graz, Uni Graz, Uni Innsbruck, Mozarteum Salzburg, Uni Wien, WU Wien und Vet-Med Wien. 5. September: Die um einen Monat vorgezogene Inskriptionsfrist erzeugt Chaos an den Universitäten. September: Auf Druck von Rektor Engel verhängt die Polizei Wien Geld, bzw. Freiheitsstrafen über Studierenden, die im April im Audimax protestierten. 9. November: Auf der Regierungsklausur einigen sich ÖVP/SPÖ auf Zugangsbeschränkungen für weitere 44 Studiengänge, Wiedereinführung von Studiengebühren, doppelte Gebühren für nicht-EWR Studierende (!) und Studienplatzfinanzierung. 28. November: Im Wissenschaftsausschuss stimmen ÖVP, SPÖ, FPÖ und Grüne (!) für Wiedereinführung der Studiengebühren. 6. Dezember: Im Parlament stimmen ÖVP, SPÖ und FPÖ für Studiengebühren.
WIDERSTAND
Februar: Studierende gründen die StopSteop Initiative. 15. März: StopSteop-Initiative und Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS) halten Protestkundgebung vor der Uni Wien ab. 19. April: Im Rahmen einer Protestwoche besetzen am Vormittag Studierende der Internationalen Entwicklung (IE), solidarische Studierende, StopSteop-Initiative und ABS das Rektorat der Uni Wien und am Nachmittag das Audimax im Hauptgebäude. 26. April: ABS, StopSteop-Initiative, IE, und solidarische Studierende blockieren den Senatssaal der Uni Wien, in dem autonome Studiengebühren beschlossen werden sollen. 5. Juni: Am bundesweiten Bildungsaktionstag demonstrieren Studierende gegen Studiengebühren, Zugangsbeschränkungen, StEOP und Abschaffung von Studiengängen. 14. Juni: 100 Studierende blockieren erneut eine Senatssitzung gegen Abschaffung der IE. Polizei räumt mit „Zwangsmethoden“. 5. Oktober: ÖH organisiert einen Flashmob vor dem Wissenschaftsministerium als Protest gegen weiter Zugangsbeschränkungen. 15. November: Großes Aktionsplenum (300 Studierende) anlässlich der Beschlüsse der Regierungsklausur mit anschließender Spontandemo zum Parlament. 5. Dezember: Großdemonstration „gemeinsam für freie Bildung“ mit 2000 Studierenden auf der Straße.
Gemeinsamer Kampf für freie Bildung von Ludwig SOMMER
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Foto: ÖH
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ornigen Protest trugen am 5. Dezember tausende Studierende auf die Straßen von Wien, Salzburg und Innsbruck. Sie demonstrierten für freien Hochschulzugang, gegen Zugangsbeschränkungen und Studiengebühren sowie gegen die rassistische Bildungspolitik der Regierung. Am 6. Dezember stimmten die Regierungsparteien und die FPÖ für die Wiedereinführung von Studiengebühren. Damit haben wir es mit einem weiteren Angriff in einer langen Reihe vieler Verschlechterungen an den Universitäten zu tun (siehe Chronik). Während Bankenrettungsschirme in Milliardenhöhe aufgespannt werden, wird per „Salamipolitik“ scheibchenweise bei Bildung, Gesundheit und Sozialsystem eingespart. Nun wird bei Studierenden, die eh schon jeden einzelnen Cent zweimal umdrehen müssen, nochmals stärker abkassiert, während zur selben Zeit aufgedeckt wird,
dass eine der führenden Befürworterinnen der Studiengebühren in der SPÖ, Gabi Burgstaller, viele Millionen Euro verschwinden lässt. In den vergangenen Semestern organisierten sich Studierende in verschiedenen Basisinitiativen gegen StEOP, Studiengebühren, Abschaffung des Studiengangs „Internationale Entwicklung“ und für die Interessen ausländischer Studierender. Der große Erfolg des Bildungsaktionstages am 5. Dezember war es, dass seit langem wieder universitätsübergreifend Studierende gemeinsam auf die Straße gingen und sich sogar Flüchtlinge, die seit Ende November für mehrere Wochen in dem Sigmund-Freud-Park im Zentrum von Wien ein Protest-Camp abhielten, mit dem Bildungsprotest lautstark solidarisierten und gemeinsam mit den Studierenden marschierten. Diese Demonstration wäre nicht zustande gekommen ohne die Einmischung vieler ausländischer Studierender in die Hochschulpolitik.
Schon beim ersten großen Aktionsplenum am 15. November stellten sie zahlenmäßig die überwiegende Mehrheit und forderten von der ÖH mehr Solidarität mit den ausländischen Studierenden. Kämpferisch beteiligten sie sich auf der Spontandemonstration am selben Tag. Sie gründeten eine eigene Arbeitsgruppe „Doppelte Studiengebühren“ für Informationen in unterschiedlichen Sprachen über die neuen Regelungen, und eine angestrebte Vernetzung mit verschiedenen Initiativen und Gruppen und für die Organisation von weiterem Widerstand. Nicht zuletzt waren ausländische Studierende das Bindeglied zwischen dem Uniprotest und dem Protest der Flüchtlinge aus Traiskirchen. Sie brachten eine Dynamik in die Protestbewegung die ihres Gleichen sucht. Mit ihnen gemeinsam werden wir in den nächsten Wochen und Monaten die Proteste ausweiten können. Kämpfen wir weiter gemeinsam für freie Bildung!
10 Jänner 2013 Linkswende
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ind die Entwicklungsländer auf immer und ewig dazu verdammt Diktaturen, Kriege und Hunger zu erleiden? Ist eine Verbesserung ihrer Lage nur über eine industrielle kapitalistische Weiterentwicklung zu erreichen? Sind sie auf das Wohlwollen einer höheren Macht angewiesen, oder können sie ihr Schicksal in ihre eigenen Hände nehmen? In welche Richtung werden sich die arabischen Revolutionen entwickeln? Um uns diesen Fragen zu nähern oder zu reflektieren, ob diese überhaupt die richtigen Fragen sind, die wir uns stellen müssen, brauchen wir Theorie.
THEORIE
Wir leben in einer globalisierten Welt der rasanten und gleichzeitig extrem ungleichen Entwicklungen. Die Länder der „Dritten Welt“ leiden an Krieg, Hunger und Fremdherrschaft. Revolutionen wie in Syrien werden innerhalb der radikalen Linken heiß debattiert. Doch die Entwicklungsländer sind nicht zur Verelendung verdammt, es gibt Alternativen, schreibt Ludwig SOMMER.
Oftmals hört man, dass die Entwicklungsländer immer schon rückständig waren und es auch bleiben werden. Eine andere Version dieser Theorie sagt, sie seien zwar rückständig, aber wir in der modernen Welt könnten ihnen unter die Arme greifen und sie mit Hilfsgeldern oder Bereitstellung unseres Know-Hows und Technologie unterstützen. Andere sagen, man müsse sie nur von ihrer Subsistenzwirtschaft hin zu einer kapitalistischen Wirtschaftsweise bringen, und dann würde alles besser. Diese Theorien sind nicht nur arrogant, sondern fördern auch rassistische Vorurteile. Eine relativ junge Theorie ist die der nachhaltigen Entwicklung. Hierbei sollen ökonomische, ökologische und soziale Aspekte gleichermaßen berücksichtigt werden, sodass eine Entwicklung zustande kommt, die es der heutigen Generation ermöglicht, ihre Bedürfnisse zu befriedigen, ohne dass nachfolgende Generationen in ihren Möglichkeiten eingeschränkt werden, ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Ob es dafür einen grundsätzlichen Systemwandel braucht, wird in der Nachhaltigkeits-Community heiß debattiert. Grundsätzlich davon unterscheiden sich linke Theorien der Entwicklung, die einen Systemwandel, sprich Revolution als notwendig sehen. Eine Theorie, die im Stalinismus vertreten wurde, besagt, dass rückständige Länder zuerst eine bürgerliche (kapitalistische) Revolution brauchen. Erst dann ist überhaupt an eine sozialistische Revolution zu denken. Leo Trotzki wiedersprach dieser Geschichtsauffassung und entwickelte seine Theorie der Permanenten Revolution. Permanente Revolution
Trotzkis Theorie ist eine Theorie der Alternativen. Er geht nicht von einem unausweichlichen Ablauf der historischen Entwicklung in einzelnen Ländern aus, wie es beispielsweise im Stalinismus angenommen wurde. Trotzki entwickelte seine Theorie nicht aus einzelnen Gesellschaftsformen heraus, sondern aus dem kapitalistischen Weltsystem als Ganzes. Internationalismus
Nur aus dieser internationalen Perspektive lässt sich erklären, warum in Russland die sozialistische Revolution erfolgreich sein konnte, ohne dass zuerst die vollständige Entwicklung einer parlamentarischen bürgerlichen Demokratie, die Entwicklung der Produktivkräfte und das Anwachsen der Arbeiterklasse vollzogen werden musste. Mit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts machte der globale Kapitalismus gewaltige Sprünge nach vorne. In-
Revolution von oben: Assad (rechts) mit anderen arabischen Staatsoberhäuptern
Foto: The Online Museum of Syrian History
Theorien über die „Dritte Welt“
Permanente Revolution
Selbstbefreiung der „Dritten Welt“ dustrielle Aufrüstung zwang alle involvierten Länder, ungeachtet ihrer jeweiligen Entwicklungsstufe, zur technologischen Aufrüstung, um im Konkurrenzkampf des Imperialismus bestehen zu können. So entstanden im zaristischen Russland wie aus dem Nichts die größten und modernsten Fabriken der damaligen Welt. Auf Grund dieser Entwicklung kam Trotzki zu der Überzeugung, dass die russische Arbeiterklasse, Weder obwohl sie zahlenmäßig eine Minderheit darstellte, die entscheidende revolutionäre Kraft war. Doch weil Russlands Industrie insgesamt rückständig und von ausländischer Technologie abhängig war, waren die Aussichten auf ein Überleben einer sozialistischen Gesellschaft unwahrscheinlich. Daher lehnte Trotzki Stalins Theorie vom „Sozialismus in einem Land“ strikt ab, und betonte die unbedingte Notwendigkeit der Ausweitung auf eine Weltrevolution. Aus dieser internationalen Sichtweise leitete Trotzki einen Verlauf der Geschichte ab, den er ungleiche und kombinierte Entwicklung nannte. Ungleiche und kombinierte Entwicklung
Ungleich, weil unterschiedliche Regionen sich in unterschiedlichen Geschwindigkeiten in Richtung Kapitalismus entwickeln. Kombiniert, weil mehrere Stadien dieser Entwicklung zur selben Zeit vermischt oder nebeneinander vorkommen können. Wir sehen diese Stadien der Entwicklung auch heute in den Ländern des globalen Südens, wo Kleinbauern, die Landwirtschaft auf Subsistenzbasis betreiben, oder Slumbewohner in Elendsvierteln direkt neben modernsten Fabriken leben. Trotzkis Analyse dieser Prozesse hat seit 1905 immer mehr an Bedeutung gewonnen, nachdem große
Teile der Welt durch die Globalisierung des Kapitalismus dramatisch und vor allem ungleich verändert wurden.
riats folgen. Solche Revolutionen in „Entwicklungsländern“ werden als demokratische Revolution beginnen und unmittelbar in eine sozialistische Revolution hineinwachsen. Für Trotzkis Erbe Trotzki ist der Abschluss einer soziaTrotzkis Theorie der permanen- listischen Revolution im nationalen ten Revolution und seine Analyse Rahmen undenkbar. Revolutionen der ungleichen und kombinierten in „zurückgebliebenen“ Ländern Entwicklung ist zum Verständnis müssen, meinte er, zu Erschütterungen in allen entwickelten Ländern führen. WähChé Guevara noch Mao vertrauten rend die feige, konservative Natur einer spät auf die auf die Arbeiterklasse kapitalistische Bühne getretenen Bourgeoisie eine absolute Gesetzmäßigkeit der heutigen Geschichte besonders darstellt, ist die revolutionäre Rolwichtig, gerade in der heutigen glo- le der jungen Arbeiterklasse weder balisierten Welt, in der bis in die selbstverständlich noch unvermeidletzten Winkel der Erde die Auswir- lich. Das zeigte sich sehr deutlich in kungen des Kapitalismus zu spüren China, wo die Revolution von den sind, sei es das Abschmelzen der Bauernmassen getragen wurde, und Eisfläche in der Antarktis, auf den in Kuba, wo die industrielle ArbeiMeeresgrund gesunkene Atom-U- terklasse zwar mit dem bewaffneten Boote aus dem Kalten Krieg oder Aufstand der Guerilla sympathisiert die Fernsehsatelliten in der Strato- hat, aber selbst keine aktive Rolle sphäre, welche halbstündlich das spielte. Weder Ché Guevara noch Werbeprogramm durch das All in Mao vertrauten auf die Arbeiterdie Wohnstuben von Millionen klasse, sondern auf ihre bewaffneten von Menschen senden. In dersel- Einheiten. Trotzkis Annahme, dass ben Welt leben zudem immer noch Befreiungskriege entweder unter der Menschen in Jäger-Sammler-Gesell- Führung der Arbeiterklasse oder gar schaften, die bis auf die Flugzeuge, nicht erfolgreich sein könnten, war die sie am Himmel sehen, keinerlei widerlegt. Tony Cliff entwickelte Kontakt zur modernen Welt ha- 1963 eine Korrektur, bzw. Ergänben. In Ländern, die heute erst im zung zu Trotzki. Übergang zu einer kapitalistischen Umgelenkte permanente Revolution Gesellschaft sind, entsteht eine bürgerliche Klasse, die sich grundlegend Wie konnten so große Wandlungen von ihren Vorgängern, beispielswei- wie in Kuba oder China überhaupt se der Bourgeoisie zur Zeit der fran- zustande kommen, wenn weder zösischen Revolution, unterscheidet. die Arbeiter noch die Kapitalisten Sie wird oft von diktatorischen Re- die Schlüsselrolle spielten – erstegimes klein gehalten, ist vom Staat re, weil sie durch den Reformismus und von ausländischen Investoren oder den Stalinismus von ihrem Ziel abhängig. Trotzki war der Meinung, abgelenkt wurden, und die andedass diese Bourgeoisie daher eine ab- ren, weil sie zu einer konservativen solut konservative Kraft ist und die Kraft geworden waren? Eine Erklärevolutionäre Rolle dem Proletariat rung für diesen Widerspruch zur zufällt. Entsteht dann eine Revo- Theorie der permanenten Revolutilution, wird die Bauernschaft der on liefert Tony Cliffs „umgelenkte Führung des industriellen Proleta- permanente Revolution“. Um die
Unterdrückung in diesen Ländern zu brechen, mussten vier weitere Faktoren ins Spiel kommen. Erstens war der Weltimperialismus durch den Kalten Krieg geschwächt. Aus Furcht, einen globalen Atomkrieg zu riskieren, lähmten sich die beiden Supermächte gegenseitig. Zudem beschränkte diese Situation teilweise ihre Fähigkeiten, in der Dritten Welt zu intervenieren. Zweitens wuchs die Bedeutung des Staates in den Entwicklungsländern. Die Staatsmacht ist es oftmals in der Geschichte, die einen Entwicklungsprozess überlistet und vereinnahmt. Wenn eine historische Aufgabe auf die Gesellschaft zukommt und die Klasse, die sie üblicherweise bewältigt, nicht vorhanden oder handlungsunfähig ist, wird sie von einer anderen Gruppe von Menschen, die meistens als Staatsmacht organisiert ist, ausgeführt. Drittens wurde die Stärke der Arbeiterbewegung durch die Beeinflussung von Stalinismus und Reformismus nicht in eine sozialistische Revolution sondern in eine andere Richtung umgelenkt. Häufig haben kommunistische Parteien in Entwicklungsländern die Arbeiterklasse dazu verleitet mit lokalen Kräften zu kollaborieren, die andere Klasseninteressen vertreten. Viertens spielte das schnell wachsende Gewicht der Intelligenz eine wichtige Rolle. Sie präsentierten sich als Führer und Einiger von Nationen und manipulierten die Massen. Diese vier Faktoren erklären, was passieren kann, wenn das revolutionäre Subjekt der proletarischen Aktivität und Führung nicht vorhanden oder stark genug ist. Permanente Revolutionen können dann umgelenkt werden und in eine bürokratische Diktatur münden, mit einer staatskapitalistischen Wirtschaftsform, wie in Kuba, Vietnam oder China. Innerhalb der radikalen Linken ist besonders um die syrische Revolution und die Rolle des Assad Regimes eine hitzige Debatte entstanden. Syrien
Das Assad-Regime ist das Ergebnis einer umgelenkten permanenten Revolution. Syrien war vor den Assads ein klassisches Entwicklungsland mit einer großen Bauernschaft, wenig und unterentwickelter Industrie, kleinem Proletariat und kleiner bürgerlichen Klasse. Somit hatten Militärs und Intelligenz, einheimische und eingewanderte Intellektuelle, ein entsprechend großes Gewicht und Einfluss auf die Entwicklung. Als 1957 eine revolutionäre Krise ausbrach, herrschte Panik unter den herrschenden Eliten vor einem kommunistischen Umsturz. Ein Flügel der Ba’ath Partei und Offiziere rund um Hafez al-Assad schlossen sich zusammen und verhinderten einen Umsturz. Sie gliederten das Land an das von Gamal Nasser regierte Ägypten. Nasser verbot Streiks, unterdrückte die KP und stellte die Gewerkschaften unter die Kontrolle des Arbeitsministeriums. Die weitere Industrialisierung geschah nach den Bedürfnissen der neuen Eliten. Der sozialistische Weg wäre gewesen, die Revolution auf die anderen arabischen Nationen auszuweiten und die Wirtschaft im Interesse der armen Massen zu entwickeln. In welche Richtung die momentane syrische Revolution gehen wird, wird vor allem davon abhängen, wie sich die Revolutionen in den anderen arabischen Ländern entwickeln.
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Katalonien – ein neuer Staat in Europa? Unabhängigkeitsbewegungen sind im Aufschwung. Hauptgrund dafür ist die Krise. Doch wie soll sich die Linke ihnen gegenüber positionieren? Dietmar MEISTER analysiert die politische Lage in Katalonien und warnt vor Verallgemeinerungen.
Referendum geplant Nachdem am katalanischen Nationalfeiertag (Diada), dem 11. September, in diesem Jahr mehr als eineinhalb Millionen Katalanen für die Unabhängigkeit auf die Straße gegangen sind, hat Mas entschieden, den für 2014 geplanten Wahltermin um zwei Jahre vorzuverlegen. Dabei verkündete er, schon in zwei Jahren ein Referendum über die Loslösung Kataloniens von Spanien abzuhalten, falls seine Partei bei der Wahl am 25. November 2012 die absolute Mehrheit erreiche. Mit diesem geschickten Zug versucht Mas nicht nur, von den Kürzungen im Bildungs- und Gesundheitssystem (wie der Entlassung von 15.000 Lehrern), die seine Partei zu verantworten hat, abzulenken, sondern auch, die Stimmen möglichst vieler Unabhängigkeitsbefürworter auf sich zu vereinen – unter anderem jene der Linken. Doch Mas scheiterte. Sein Ziel, 67 Sitze im Parlament und damit die
absolute Mehrheit zu erreichen, verfehlte er nicht nur, sondern fuhr mit nur 50 der 135 Sitze das schlechteste regionale Wahlergebnis für seine Partei seit knapp 30 Jahren ein und hat es nun schwer, eine Regierung zu bilden. Für die Unabhängigkeit, gegen den Sparkurs Die von der spanischen Volkspartei (Partido Popular) geführte Regierung in Madrid stuft die Niederlage der CiU als Votum gegen die Unabhängigkeit ein, liegt damit aber falsch. Denn außer der CiU konnten alle separatistischen Parteien Stimmenzuwächse verbuchen. Die Mitte-Links-Partei „Esquerra Republicana de Catalunya“ (ERC), die sich für die Unabhängigkeit, aber gegen die Sparpolitik ausspricht, konnte mit 21 Sitzen sogar zur zweitstärksten Partei aufsteigen. Noch aussagekräftiger ist, dass das neu gegründete antikapitalistische Bündnis „Candidatura D‘Unitat Popular“ (CUP) auf Anhieb ins katalanische Parlament einzog – und das, obwohl das Wahlsystem große Parteien begünstigt. Damit ist zweifelsfrei belegt, dass sich die Wählerinnen und Wähler nicht gegen die Unabhängigkeit, sondern gegen die Kürzungen und den Sparkurs stellen. Keine wirtschaftliche Besserung Viele Katalanen erwarten sich von einem eigenständigen Katalonien vor allem wirtschaftliche Verbesserungen. Dass es zu solchen kommt, ist recht unwahrscheinlich. Zwar ist das hochindustrialisierte Katalonien Spaniens wirtschaftsstärkste Region, gleichzeitig aber auch eine der am höchsten verschuldeten Regionen. Artur Mas führt dies auf
Foto: alriyadh.com
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mmer mehr Katalanen wünschen sich einen eigenen Staat. Laut einer aktuellen Umfrage befürwortet bereits jeder zweite die Unabhängigkeit – vor wenigen Jahren war es noch jeder fünfte. Der Hauptgrund dafür ist die Wirtschaftskrise: Wie im Rest Spaniens steigt auch in Katalonien die Arbeitslosigkeit, bald ist offiziell jeder vierte Katalane arbeitslos, unter Jugendlichen ist es bereits jetzt jeder zweite. Dass mit der Arbeitslosigkeit auch die Unzufriedenheit in der Bevölkerung steigt, hat einer schon lange erkannt: Artur Mas, Chef des rechtspopulistischen Parteienbündnisses „Convergència i Unió“ (CiU) und seit 2010 Ministerpräsident Kataloniens.
Im September demonstrierten Tausende Katalanen für ihre Unabhängigkeit.
den Finanzausgleich zurück, der dazu führe, dass Katalonien zu viele Steuern an die spanische Zentralregierung abführen müsse. Zwar ist es richtig, dass Katalonien zu den Nettozahlern unter den spanischen Regionen gehört; die Unabhängigkeit würde jedoch ein automatisches Ausscheiden aus der EU bedeuten und wahrscheinlich auch Handelsverluste mit Spanien und anderen Ländern. Außerdem müsste Katalonien auch als eigenständiger Staat seine Schulden begleichen – und die CiU würde dafür die Sparpolitik fortsetzen. Gegen das Königshaus...
Die Autonomie wurde abgeschafft, der öffentliche Gebrauch der katalanischen Sprache (Català) wurde verboten, der Schulunterricht nur noch auf Spanisch abgehalten, Ortsnamen und sogar einige Personennamen wurden ins Spanische übersetzt. Dass dies heute noch eine Rolle spielt, rührt daher, dass Francos Nachfolger, den dieser persönlich als solchen bestimmte und ausbildete, der heutige König von Spanien ist: Juan Carlos I. Damit ist das spanische Königshaus in Madrid in den Köpfen vieler Katalanen untrennbar mit dem Faschismus verbunden.
Neben dem zweifelhaften Argument, eine Loslösung von Spanien würde der Region wirtschaftliche Vorteile verschaffen, gibt es für viele Katalanen noch einen weiteren Beweggrund, um sich für einen eigenen Staat einzusetzen, und zwar die Geschichte. Unter dem faschistischen Diktator Francisco Franco, der Spanien zwischen 1939 und 1975 regierte, wurden die Katalanen brutal unterdrückt.
Die Ablehnung gegenüber Madrid basiert zudem darauf, dass die derzeitige Zentralregierung von der Volkspartei „Partido Popular“ angeführt wird. Diese spricht sich nicht nur permanent gegen die Unabhängigkeit Kataloniens aus, sondern ist ebenfalls direkt mit dem Franco-Regime verbunden. Sie wurde nämlich 1976 als „Alianza Popular“ gegründet, und zwar von Manuel
...und gegen die Volkspartei
Fraga Iribarne, der unter Franco „Tourismus- und Informationsminister“ war und als solcher unter anderem die Hinrichtung politischer Gefangener (vor allem Kommunisten) verkündete. Dass sich laut Umfragen rund 70 Prozent der Unabhängigkeitsbefürworter als politisch links einordnen, ist nur vor diesem Hintergrund verständlich. Ein demokratisches Recht Viele Linke außerhalb Kataloniens stufen Unabhängigkeitsbewegungen generell in erster Linie als „nationalistisch“ ein und sprechen sich deshalb gegen jeden separatistischen Ansatz aus. Jedoch vernachlässigt eine derartige Verallgemeinerung sowohl die historischen Hintergründe als auch die Eigenheiten der einzelnen Bewegungen. Außerdem wird dadurch der Bevölkerung eines bestimmten Gebietes und damit auch den dort lebenden Arbeiterinnen und Arbeitern das Recht verwehrt, über ihre eigene Zukunft abzustimmen – ein demokratisches Recht, dass allen Menschen zustehen sollte.
FPÖ verliert und geht nach rechts von Tom D. ALLAHYARI
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ie FPÖ hat einstecken müssen in letzter Zeit, soviel steht fest. Der Kärntner Korruptionssumpf, ein Scheuch, der Staatsbürgerschaften verscherbelt und die Verwicklung jedes einzelnen FPÖ/BZÖ Regierungsmitglieds aus schwarz-blauen Zeiten in die größten Skandale der Zweiten Republik haben den selbsternannten Saubermännern geschadet. Auch wenn Strache Umfragen routinemäßig bezweifelt, ein Drittel weniger Zustimmung setzt die Parteiführung gehörig unter Zugzwang. In der Öffentlichkeit nähert sich das Image der FPÖ langsam der Realität, und die ist äußerst unsympathisch. Zwei Strategien? Ebenfalls unbeliebt in der breiten Bevölkerung sind ewiggestrige Deutschtümelei und
offene Nazi-Sympathien. Das hat sich besonders am kläglichen Abschneiden von Barbara Rosenkranz gezeigt. Es ist manchmal verwirrend. Während Strache offiziell bemüht ist, die Partei für die öffentliche Wahrnehmung als akzeptabel bürgerlich darzustellen, sind er selbst und die Führungsriege der FPÖ den Burschenschaften und ihren deutschnationalen Traditionen verpflichtet – inklusive Sonnwendfeiern, Absingen von Nazi-Hymnen und dem altgewohnten Antisemitismus. Den durchschnittlichen Wähler der FPÖ, und sei er noch so fremdenfeindlich, interessiert diese bizarre Parallelwelt kaum. In der Öffentlichkeit schaden Nazi-Ausfälle der FPÖ immer wieder enorm, wenn auch nur kurzfristig. Warum dann gerade jetzt die freundlichen Signale an NS-Bewunderer und Holocaustleugner? Weil der Chef Strache selbst aus diesem Milieu stammt? Weil das nun einmal der
Foto: FPÖ
„Glei bei der Grenz gehörn die Männer kastriert und die Frauen sterilisiert und währenddessen lesen den Duden und die deutschsprachige Bibel“ (sic!) – Wieder sorgt H.C. Straches Facebookseite für Gesprächsstoff. Man fragt sich, warum die FPÖ gerade jetzt so stark auf ihr rechtsradikales Stammpublikum setzt.
Barbara Rosenkranz‘ Wahlkampf 2008 war eine Niederlage und Blamage für die FPÖ.
ideologische Kern der FPÖ ist? Nicht nur. Vom Sympathisanten zum echten Fascho Auf den ersten Blick scheint die Vorgehensweise irrational: Man ist in der Defensive und genau in dem Moment lädt sich Stra-
che wieder Rosenkranz zum Neujahrstreffen der FPÖ ein, lässt sie eine Rede halten, und nimmt sie zu seinem provokanten Besuch im Flüchtlingslager Traiskirchen mit. Genau zu diesem Zeitpunkt stehen stundenlang Postings auf Straches persönlicher Facebookseite, die an Gemeinheit und Nazi-Diktion kaum zu überbieten sind : „Muslemische Kinder anzünden!“, „Sieg Heil“ usw. (es wurde bereits Anzeige erstattet). Die Erklärung für diesen Widerspruch liegt darin, dass die FPÖ versucht, die schwierige Situation zu nutzen, um ihren „harten Kern“ aufzubauen. Das bedeutet, den Burschenschaftern und den NaziSkins stärker zu signalisieren, dass man sie vertritt, aber auch neue Anhänger, Mitglieder, Sympathisanten näher an den faschistischen Kern heranzuholen, abzuhärten gegen antifaschistische oder auch nur moralische Kritik. Die Zeit soll genutzt werden, um aus möglichst vielen, die schon vom Rassismus, von der Islamfeindlichkeit der FPÖ angesteckt sind, echte faschistische Kader zu machen. Kader, denen genau bewusst ist, dass ihr Kampf gegen Andersdenkende eines Tages auf den Straßen geführt werden soll.
12 Jänner 2013 Linkswende
Linker
Eurokrise:
GRIECHENLAND
Lesetipp
Banken plündern Griechenland – schon wieder!
von Tom D. ALLAHYARI
Paul Auster
Die wirtschaftliche Krise dehnt sich auf die politische Ebene aus. Deshalb versuchen Regierungen durch Griechenland-Hilfen und Rückkauf-Aktionen Zeit zu gewinnen und uns weiß zu machen, bald sei alles überwunden. Judith LITSCHAUER zeigt am Beispiel Griechenland, warum dies nur Propaganda ist.
Sunset Park Rowohlt 2012, 320S., 19,95€, ISBN 978-3-498-00082-0
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as neuerliche Rettungspaket für Griechenland komme einer Plünderung gleich, meint Panos Garganas aus Athen: „Es enthält die Bedingung eines neuerlichen Schuldenschnitts bei griechischen Staatsanleihen, was weitere Kürzungen bei Pensionsfonds bedeutet. Diese wurden schon im Zuge der letzten Vereinbarung im März drastisch gekürzt. Einer Schätzung zufolge verloren sie enorm an Wert. Dieser fiel von 19 Milliarden auf schlappe 5 Milliarden – in nur 10 Monaten. Von den 49 Milliarden Euro, die Griechenland versprochen wurden, gehen knapp 30 Milliarden direkt an die Banken. Es ist ein direkter Tausch – die Banken werden auf Kosten der Pensionisten gerettet.“ Diese Rettung wird von weiteren Angriffen begleitet, die das griechische Parlament beschloss. Dagegen richtete sich auch der letzte Generalstreik. Politische Krise Die beschlossenen Austeritätsmaßnahmen „sehen sehr, sehr riskant für Griechenland aus“, so Costas Lapavitsas, Ökonomieprofessor an der Londoner Universität. Mehr als ein Viertel der Menschen in Griechenland ist arbeitslos, jeder zweite junge Mensch hat keine Arbeit. Die wirt-
schaftliche Situation ist schlecht, die soziale Situation verschlechtert sich und dies hat Auswirkungen auf die politische Situation. „Nach dem Schuldenschnitt sind Umbesetzungen in der Regierung zu erwarten, um eine neuerliche politische Krise zu lösen“, meint Garganas. „Die Regierung hat zu kämpfen, nicht auseinanderzubröckeln. Die sozialdemokratische Pasok-Partei spaltet sich. Einer ihrer führenden Parlamentsabgeordneten hat eine neue Gruppe gegründet. Die Koalitionsregierung ist deshalb besorgt, denn Pasok ist notwendig um die Mehrheit im Parlament zu behalten.“ Auch Lapavitsas geht von Veränderungen aus: „Wir werden einen ernsthaften politischen Wandel in Griechenland sehen und folglich auch in anderen europäischen Ländern“. „Nun besetzten Arbeiter Personalabteilungen um die geplanten Massenentlassungen in Gemeindeverwaltungen und Universitäten zu verunmöglichen. Zusätzlich wird zweimal die Woche demonstriert. Bürgermeister aus ganz Griechenland richten sich gegen die Maßnahmen der Regierung und planen Proteste.“, erzählt Garganas. Keine Besserung in Sicht Auch wenn einige Politiker und Ex-
perten Verbesserungen in Hinblick auf die Eurokrise erkennen wollen, zeigt sich, dass sich die Eurozone nicht auf dem Weg der Besserung befindet. „Die Finanzmärkte sind zwar in den letzten Monaten ruhiger geworden und die Menschen wurden eingelullt zu glauben, dass die Eurokrise gelöst wurde. Das stimmt aber nicht“, erklärt Lapavitsas. „Der Grund, warum die Finanzmärkte ruhiger geworden sind, ist weil Herr Draghi von der Europäischen Zentralbank im September mehr oder weniger erklärte, Staatsanleihen von Krisenländern aufzukaufen. Dies machte Spekulationen gegen die Schulden dieser Länder unprofitabel. […] Aber die Dinge verschlechtern sich.“ Alles was wir in Griechenland in den Jahren 2010 und 2011 sahen, geschieht nun auch in Portugal, Spanien und andernorts. „Große Teile der Eurozone fallen in eine ernsthafte Rezession. Und dies trifft nun auch die Kernländer [der EU]“, meint Lapavitsas. Umso erstaunlicher, dass Finanzministerin Maria Fekter nach Beschluss des Rettungspakets freudig erklärte: „Wir haben für Griechenland eine Lösung gefunden.“ Die Herrschenden wollen, dass wir auf ihre Propaganda, die Wirtschaft würde sich erholen, wenn wir ihre Sparmaßnahmen akzeptierten, he-
reinfallen. Der Fall Griechenland zeigt, dass das Gegenteil der Fall ist: Als die Krise 2009 begann, stand der griechische Schuldenstand bei 120% der Wirtschaftsleistung. Dieses Jahr betragen die Staatsschulden 175%. Dennoch werden Hilfszahlungen weiterhin an noch mehr Einsparungen gekoppelt. Lösung für die Menschen Die Krise wurde nicht von Sozialleistungsempfängern oder öffentlichen Bediensteten verursacht. Genauso wenig wird sie dadurch gelöst, diese Gruppe anzugreifen. Die Ursachen der Krise liegen im Chaos eines Systems, in welchem Profitstreben alles diktiert. Politiker und ihre Freunde in Wirtschaft und Bankenwelt sind nur um eines besorgt: darum, wie sie ihre Profite wieder erhöhen können. Es ist ihnen egal, wenn Menschen dafür leiden müssen. Selbst wenn sich die Wirtschaft erholen sollte, werden wir nicht automatisch die Rücknahme der Sparmaßnahmen und das Anheben der Reallöhne sehen. Um aus dem Kreislauf von Krise und Aufschwung, von dem nur die Reichen profitieren, auszubrechen, müssen wir das System los werden, das diesen Kreislauf hervorruft.
Antifaschisten bieten „Goldene Morgenröte“ die Stirn
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hrisy Avgi („Goldene Morgenröte“), die griechische Faschistenpartei, ist eine kleine Organisation, die versucht auf ihrem riesigen Wahlerfolg dieses Jahres aufzubauen. In den vergangenen Wochen musste sie jedoch einige spektakuläre Niederlagen einstecken. Eine von Parlamentsabgeordneten der „Goldenen Morgenröte“ geplante Tour durch Kreta wurde von Gegendemonstrationen ruiniert. In der größten Stadt Heraklion waren die 70 Anhänger der „Goldenen Morgenröte“ den hunderten Antifaschistinnen und Antifaschisten zahlenmäßig weit unterlegen. Tags darauf konnten die Faschisten ihr Büro in Chania nicht verlassen, weil 1.500 Menschen davor protestierten. Als 30 Mitglieder der „Goldenen Morgenröte“ versuchten im Athener Vorort Elliniko zu marschieren und Migranten zu terrorisieren, wurden innerhalb einer halben Stunde 150 Antifaschis-
Foto: Workers Solidarity
Der innere Niedergang der USA passiert nicht mit lautem Getöse, sondern in einer stillen, selbstmörderischen Depression. Die Krise und die sinnlosen Kriege lassen den amerikanischen Traum einfach zerbröckeln. Dieses nur allzu realistische Szenario durchdringt den Roman auf allen Ebenen. In „Sunset Park“ geht es im Grunde um eine zusammengewürfelte Gruppe junger, eigentlich talentierter Leute, die gemeinsam ein heruntergekommenes Haus im „Sunset Park“ – einer von puertorikanischen, indischchristlichen und chinesischen Einwanderern geprägten armen Arbeiterklasse-Wohngegend in Brooklyn – besetzen. Bis auf Miles, der vor seiner reichen Familie flüchtet, weil er sich für den Tod seines Stiefbruders verantwortlich macht, treibt wirtschaftliche Not die Protagonisten in die illegale Situation. Bing, der seinen kleinen Laden als anarchisch-anachronistische Widerstandszelle sieht, kann die Miete nicht mehr bezahlen. Die Studentin Alice findet sich plötzlich obdachlos und erkennt den Nachteil, keine reichen Eltern zu haben. Von der ersten Seite an, auf der wir den 28jährigen Miles kennen lernen, zieht sich ein Bild des Niedergangs der Gesellschaft durch: Miles jobbt symbolträchtig für eine Firma in Florida, die im Auftrag der Banken, die Häuser, aus denen die Opfer der Kreditkrise geworfen wurden, entrümpelt. In Vielem reflektiert diese Figur besonders die USA von heute: moralisch zerrissen durch einen Brudermord, latent gewalttätig. Ein junger Mann, der alt wirkt, der wirkt, als käme er gerade aus dem Krieg. Zerstörte, nicht mehr integrierbare Männer, die aus dem Krieg heimkehren, sind ein weiterer thematischer roter Faden. Vor allem festgemacht an Geschichten von Heimkehrern aus dem Zweiten Weltkrieg. Der Irak kommt am Rande vor. Miles trockener Kommentar dazu ist, dass er sich vorstellt, wie „George Bush und Dick Cheney an die Wand gestellt werden.“ Neben straightem Stil und einer emotionalen Story hackt „Sunset Park“ in wirklich lesenswerter Manier auf einem Satz herum, den einer der Besetzer von sich gibt: „Das Konzept, das man Amerika nennt, funktioniert nicht mehr.“
In Athen demonstrierten Ende November Hunderte gegen die faschistische Partei in Griechenland.
ten mobilisiert – darunter auch der Bürgermeister, Mitglied der linken Partei „Syriza“. Der faschistische Marsch konnte erfolgreich verhindert werden. In Kypseli erreichten rund 1.500 Menschen, dass die Faschisten sich nicht einmal
trauten bei ihrem angekündigten Marsch aufzutauchen. All diese Ereignisse sind Teil einer größer werdenden antifaschistischen Stimmung in Griechenland. „Jede Woche sehen wir Gegendemonstrationen“, erzählt Yorgos Pittas aus Athen. „In
meinem Bezirk kann man sogar antifaschistische Poster sehen, die von VolksschulKindern gemalt wurden.“ Für den 19. Jänner ist eine Großdemonstration in Athen geplant, gefolgt von einem Konzert. „Sie wird jetzt schon von Gewerkschaf-
ten, migrantischen Organisationen und Künstlern unterstützt“, so Yorgos, „Nach dem Schock über ihre kurzzeitigen Erfolge gibt es eine echte Stimmung gegen Chrisy Avgi. Jetzt versuchen wir die Proteste auf die nächste Stufe zu heben.“
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VERGESSENE GESCHICHTE
Die Gleichschaltung der österreichischen Universitäten 1938
Nationalismus und Deutschtum vor 1938 Bereits 1934 wurde in Österreich ein autoritäres System eingeführt, der sogenannte „Ständestaat“. Infolge dieser Entwicklung wurden sowohl sozialdemokratische, wie auch kommunistische Organisationen verboten und Lehrende mit Berufsverbot belegt. Betroffen von diesen Einschränkungen waren jedoch nicht nur linke Organisationen und Personen, sondern auch Anhänger des deutschen Nationalsozialismus in Österreich. Während jedoch die
Strukturen der antifaschistischen und liberalen Organisationen bereits stark beeinträchtigt waren, überlebten die nationalsozialistischen Organisationen das vierjährige Verbot mit Unterstützung aus HitlerDeutschland. So konnten sie beim „Anschluss“ 1938 eine wichtige Rolle spielen. Im Zuge dessen waren auch die Burschenschaften in ganz Österreich bedeutend beteiligt. Entgegen dem oft gehörten Argument, dass die Burschenschaften im Nationalsozialismus zwangsaufgelöst worden seien, lösten sich fast alle österreichischen Burschenschaften in einem Festakt 1938 freiwillig auf und integrierten sich nahtlos in die nationalsozialistischen Studentenorganisationen. Neben dem bereits im Vorfeld existierenden NSDStB waren sie die Träger des Faschismus an den Universitäten. Die „Säuberung“ der Universitäten Nach dem Einmarsch der Wehrmacht und der darauf folgenden offiziellen Machtübernahme durch die NSDAP im März 1938 erfolgte eine Neustrukturierung im gesamten Österreich. Neben dem neuen Namen „Ostmark“ oder auch „Donauund Alpenreichsgaue“, erfolgten Neukonzipierungen der regionalen Grenzen, rassistische Einschränkungen für Juden, Roma und Sinti und andere verfolgte Gruppen im „Dritten Reich“ sowie auch verwaltungstechnische Änderungen. Radikal betroffen waren das Bildungswesen und die studentischen Organisationen. Sofort nach der Machtübernahme wurde die Gleichschaltung der Universitäten in Angriff genom-
men. Die bereits stark erschwerten Studienbedingungen für „nicht-arische“ Studierende und Professoren wurden unhaltbar. Die Universität Wien verlor im Jahr 1938 45% ihrer Professoren und Dozenten. Einige konnten fliehen, andere wurden direkt in Konzentrationslager deportiert. Eine große Anzahl nahm sich das Leben. Akademische Grade von missliebigen oder nicht den Rassengesetzen entsprechenden Wissenschaftlern wurden aberkannt. Der intellektuelle Schaden war unermesslich, er warf die österreichischen Nazi-Propaganda Universitäten um Jahrzehnte zurück. Unter den Entlassenen waren Koryphäen wie der Nobelpreisträger Erwin Schrödinger, die Entwicklungspsychologin Charlotte Bühler oder der Chemiker Hermann Mark, um nur wenige der 322 aktenkundigen Fälle zu nennen. Studentenschaft und Lehrplan
Die Übernahme der Macht ging einher mit einer nie dagewesenen Militarisierung. Der neue nationalsozialistische Lehrplan enthielt Vorlesungen über chemische Kriegsführung, juristische Begründungen der Genozide im Osten und in den Konzentrationslagern, biologistische
Foto: Diözesanarchiv Würzburg
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ationalismus, großdeutsche Gedanken und ein ausgeprägter Antiliberalismus waren bereits in den 1920er Jahren unter der Studentenschaft und im Lehrkörper dominant. Grund dafür war der weit verbreitete Glaube, ein kleines Land wie Österreich sei auf sich alleine gestellt nicht überlebensfähig. Verstärkt wurden diese Gedanken durch eine schwächelnde österreichische Wirtschaft, durch Arbeitslosigkeit und den starken Einfluss faschistischer Ideen und Rassentheorien. Dies zeigt sich in den Wahlergebnissen der ÖH (Österreichischen Hochschülerschaft) von 1932, in denen, nach Ausschluss aller jüdischen und organisierten linken Studenten, der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund (NSDStB) die absolute Mehrheit errang.
Bild: wwii-collectibles.com
Im Frühjahr 1938 übernahm die NSDAP die Macht in Österreich. Der Anschluss der „Ostmark“ an das „Großdeutsche Reich“ hatte weitreichende Konsequenzen in fast allen gesellschaftlichen Bereichen. Besonders betroffen waren auch die österreichischen Universitäten, erzählt Julian FISCHNALLER.
Studentenschaftsführer beim Appell
Rechtfertigungen der Rassenlehre sowie historische Glorifizierungen des germanischen Herrenmenschen. Ein besonders grausames Beispiel war Eduard Pernkopf, ein österreichischer Anatom. Pernkopf, überzeugter Nazi, arbeitete während der Zeit der Reichsuniversität an einem Anatomieatlas, der auch heute noch Verwendung findet. Als Anschauungsmaterial benutzte der Anatom hingerichtete Kriegsgefangene. Die Studierenden selbst spielten eine große Rolle bei der Nazifizierugn der Universitäten. So stellten die Studentenvertretungen der Universität Wien 1938 den Antrag, alle Büsten von jüdischen Wissenschaftlern im Arkadenhof zu entfernen. Als der Rektor ablehnte, wurden die Bilder und Statuen von einem Mob zerstört. Die Studienvertretungen übernahmen bald auch logistische Aufgaben. Die Einlasskontrollen
als it p a K s e d g n u z t e s n e m Organische Zusam
an Bibliotheken für „nicht-arische“ Studenten, die Ausgabe und Ausstellung der „Arier-Studentenpässe“ sowie die Stipendienvergabe wurden stark von den Studienvertretungen kontrolliert. Im Gegensatz zu deutschen Universitäten gab es in Österreich keinen politischen Widerstand, wie den der „Weißen Rose“ in München. Wiedergutmachung Erst 1955 wurde die Aberkennung der Studientitel von jüdischen und progressiven Wissenschaftlern rückgängig gemacht. Jedoch wurde dem Thema wenig öffentliche und politische Aufmerksamkeit zuteil, sodass einige Aberkennungen erst 2004 annulliert wurden. Für die vielen emigrierten Studenten und die unterbrochenen Bildungskarrieren wurde von der Republik Österreich jedoch niemals Wiedergutmachung geleistet. Der laxe Umgang mit den vergangenen Verbrechen und die mangelnde Wiedereingliederung der verfolgten Intellektuellen haben dem universitären System Österreichs einen nicht wiedergutzumachenden Schaden erteilt.
In dieser Serie erklären wir Begriffe des Marxismus von A bis Z.
von David ALBRICH
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m den alternden Kapitalismus besser erklären zu können, entwickelte Karl Marx das Konzept der „organischen Zusammensetzung des Kapitals“. Der Begriff ist leider etwas unglücklich gewählt und hindert oft am Weiterlesen. Tatsächlich sind seine Überlegungen gar nicht schwer nachzuvollziehen und sehr sinnvoll, wenn man den „tendenziellen Fall der Profitrate“ und andere Phänomene des Kapitalismus erklären will. Marx ist an der Frage interessiert, wie sich neue Technologien auf das System auswirken. Er betrachtet zu Beginn, in welchem Verhältnis bereits geleistete Arbeit (Maschinen und Rohstoffe) und neu zugesetzte Arbeit (Lohnarbeit) in der Produktion stehen – oder wie Marx es ausdrückt: in welchem Verhältnis „tote Arbeit“ und „lebendige Arbeit“ stehen. Marx nähert sich diesem Verhältnis von zwei Seiten. Zum einen stellt er die Zahl der eingesetzten Maschinen und Rohstoffe der Zahl der
Arbeiter gegenüber. Beispielsweise verarbeiten 53.500 Mitarbeiter im VW-Werk Wolfsburg (Deutschland) mittels komplexer Robotersysteme täglich so und so viele Kilogramm Blech, Reifen, Kunststoff und Textilien, um Autos zu montieren. Marx nennt dieses Verhältnis der Gebrauchswerte die „technische Zusammensetzung des Kapitals“ (1). Zum anderen vergleicht Marx die konkreten Werte der Investitionen in Maschinen und Rohstoffe (konstantes Kapital) und in Löhne (variables Kapital). Diese zweite Größe ist im Verhältnis der investierten Euro bzw. Arbeitszeit messbar. Sie bildet den Wert der Autobestandteile gegenüber den bezahlten Löhnen und Gehältern ab. Marx nennt sie deshalb auch die „Wertzusammensetzung des Kapitals“ (2). Sie ist eine instabile Größe, weil die Preise von Rohstoffen und Löhnen am Markt schwanken. Das System wird von der Erzeugung von Profit getrieben. Marx stellt sich die Frage: Wie beeinflussen technische Neuerungen die Produktion von neuem Wert und damit Profit, oder:
In welchem Verhältnis stehen die technische Zusammensetzung (1) und Wertzusammensetzung (2)? Er macht nun folgenden Schritt: Er betrachtet die Wertzusammensetzung (2) und ignoriert die Preisschwankungen von Rohstoffen und Löhnen. Jetzt erhält er jenes Verhältnis zwischen konstantem und variablem Kapital, das die unmittelbaren Veränderungen in der Produktion durch neue technische Erfindungen abbildet. Er argumentiert, dass die beiden Verhältnisse – einmal aus Richtung der Gebrauchswerte, einmal von den Werten her abgeleitet – in einer engen, „organischen“ Wechselbeziehung stehen. Davon leitet sich die Bezeichnung „organische Zusammensetzung des Kapitals“ ab. Ein Beispiel soll die Verbindung deutlich machen: Wenn neuere, teurere Roboter in einer Fertigungsstraße eingesetzt werden, setzen die 53.500 Arbeiter im VW-Werk plötzlich eine viel größere Menge an toter Arbeit in Bewegung. Der Kapitalist kann außerdem Arbeiter entlassen, weil weniger Menschen benötigt werden um die Robo-
ter zu bedienen. Er investiert – unabhängig von Preisschwankungen – mehr Geld in die neuen Maschinen (konstantes Kapital c) und kann seine Aufwendungen in Löhne (variables Kapital v) reduzieren. Beide Auswirkungen erhöhen die organische Zusammensetzung des Kapitals (c/v). Die über die Zeit steigende organische Zusammensetzung ist die logische Konsequenz der Kapitalakkumulation. Individuelle Kapitalisten müssen in bessere Technologie investieren um ihre Produktivität zu erhöhen und so Vorteile gegenüber ihren Konkurrenten zu erlangen. Allerdings ist nur die Arbeit Quelle von Wert und Mehrwert. Wenn die Investitionen schneller wachsen als die Aufwendungen für die Werktätigen, eilen sie damit auch der Produktion von neuem Wert, der Quelle es Profits, voraus. Die steigende organische Zusammensetzung des Kapitals erzeugt einen Abwärtstrend im Verhältnis des Profits zu den Gesamtinvestitionen, oder wie Marx es ausdrückt, bewirkt einen „tendenziellen Fall der Profitrate“.
14 Jänner 2013 Linkswende
OTTO NEURATH: „DIE DOW-JONES ACHTERBAHN“ „Worte trennen, Bilder verbinden“ war das Motto des marxistischen Wohnvisionärs und Volksbildners Neurath (1882-1945) und so entwickelte er eine Sprache der Piktogramme, die die Bevölkerung aufklären sollte und die bis heute Künstler und Künstlerinnen beeinflusst. Genau diesen Einfluss soll die Ausstellung deutlich machen. Anlässlich seines 130sten Geburtstags versammelt das Künstlerhaus Arbeiten von 40 verschiedenen Künstlern.
Bis 17.2., täglich 10.00 bis 18.00 Uhr im Künstlerhaus, Karlsplatz 5, 1010 Wien Infos: www.k-haus.at Tel: 587 96 63
Film THE ANGELS‘ SHARE Immer schon ist Ken Loach ein liebevoller Beobachter der britischen Arbeiter- und Arbeiterinnenklasse. Mit „The Angels‘ Share“, wieder mit „Originalmenschen“, gecastet in Jugendclubs und Sozialprojekten, ist ihm ein besonders warmherziger Film gelungen. Story: Schottischer Underdog entdeckt sein Talent als Whisky-Genie.
Ab 21.Dezember im Votivkino, Währingerstr. 12, 1090 Wien Infos: www.votivkino.com Tel: 317 35 71
Hörbuch – Präsentation „NICHT NUR IN WORTEN, AUCH IN DER TAT“ Käthe Sasso erzählt von ihrer Jugend im Widerstand. Als 16-jährige Widerstandskämpferin von der Gestapo verhaftet, durchlitt sie Gefängnis, Lager und KZ. Neben ihrem Einsatz als Zeitzeugin hat Sasso auch dafür gesorgt, dass die Begräbnisstätte der Widerstandskämpfer am Zentralfriedhof endlich richtig gepflegt wird. Im Hörbuch erzählt sie von glücklicher Kindheit, politischer Prägung, Kampf und Flucht.
7. Jänner 2013, 19 Uhr Hauptbücherei, 1070 Wien Urban Loritz-Platz 2a
Oscar Niemeyer: Baumeister der kämpferischen Utopie
Am 5. Dezember ist Oscar Niemeyer im Alter von 104 Jahren gestorben. Daniel HARRASSER wirft einen Blick auf Leben und Werk dieser brasilianischen Architekten-Legende.
N
iemeyer war nicht nur einer der erstaunlichsten Architekten unserer Zeit, er war zudem bis zuletzt überzeugter Kommunist. Obwohl er aus einer bürgerlichen Familie stammte, war er bereits in den 1920er Jahren Mitglied der Kommunistischen Partei Brasiliens. Er bezeichnete sich Zeit seines Lebens als Marxist. Im Jahr 2008 meinte Niemeyer auf dieses Thema angesprochen: „Die Kommunisten sind die einzigen, die immer noch eine bessere Welt schaffen wollen.“ Der Dialektiker Niemeyer studierte zwischen 1928 und 1935 in seiner Heimatstadt Rio Architektur. Er glaubte daran, mit besseren Bauten auch eine bessere Gesellschaft errichten zu können. Für ihn begann Architektur im Kopf, mit dem Träumen, der Imagination – nicht mit Vorschriften und Bestimmungen. Bauten zu denken war für Niemeyer ein dialektischer Prozess. Seine Architektur erwächst aus Gegensätzen. Dabei ist vor allem die Spannung zwischen rigider Geometrie und heiterem Regelbruch auffällig, zwischen Härte und Fluss seiner Linien. Seinem Grundsatz nach soll man sich nicht von den alltäglichen Zwängen ersticken lassen: Nichts muss bleiben, wie es ist. Der Hoffende Niemeyer ließ sich bei seinen architektonischen Planungen gern von philosophischen Abhandlungen und Gedichtbänden inspirieren. Nicht auf den Verstand wollte er bauen, sondern aufs Gefühl, auf schmeichelnde Sanftmut und wilden Kitzel. Niemeyer erotisierte die
Foto: Luiz de Aquino
Ausstellung
KULTUR
Fußgängerbrücke in Rocinha, Rio de Janeiro
Architektur. Er baute keine Häuser, er baute Körper, verführerische, sich rekelnde „Bauleiber“. Seine Werke sind bestimmt von einem eigenen, tropischen Rhythmus, von wehenden, wogenden, schwebenden Formen. Ihm ging es jedoch nie allein um die Form. Er sagte einmal, er baue seine Häuser für Menschen
Niemeyer hasste den Kapitalismus und den rechten Winkel. (Eduardo Galeano, Schriftsteller) und vor allem dafür, dass dort ein anderes, ein befreites Morgen einziehen möge. Der Utopist Die Ära seiner Architektur begann in den vierziger Jahren in Pampulha, Brasilien, wo Niemeyer einen zu dieser Zeit revolutionären Stil kreierte. Während sein Lehrer Le Corbusier noch dem rechten Winkel huldigte, nahm Niemeyer die Kurve. Später wurde der Architekt für die Formel „Kurve gleich Frau gleich Berge“ berühmt. Den
Leo K`s
Foto: Scott Penner
Rage Against the Machine: XX
I
m Jahr 1992 debütierten Rage Against the Machine mit ihrem gleichnamigen Album. Es gilt bis heute als Klassiker des CrossoverGenres und machte die Band auf einen Schlag berühmt. Seit den legendären Tagen von The Clash und MC5 hatte die Musikwelt kein kompromissloseres Album als das dieses Quartetts aus L.A. erlebt. Die Texte des Frontmanns Zack De La Rocha handelten von politischen, sozialen und persönlichen Problemen, die die Band in einem Mix aus Metal, Hip-Hop, Punk, Funk und Alternative-Rock ausdrückte. Rage Against the Machine existierten bis zum Jahr 2000, in dem das Album Renegades erschien. Es
Auftrag seines Lebens erhielt Niemeyer 1956. Er sollte inmitten einer menschenleeren Landschaft die neue Hauptstadt Brasilia entwerfen. Das Projekt, das zwischen 1957 und 1964 mitten in der Wüste des Landesinneren Brasiliens errichtet wurde, zählt seit 1987 zum UNESCO-Weltkulturerbe. Fast
enthielt keine eigenen Songs, sondern zwölf Cover-Versionen, und zwar ausschließlich politische oder gesellschaftskritischer Stücke von Künstlern, die sowohl aus dem Hip-Hop als auch aus dem Rock-Bereich (z. B. The Rolling Stones: Street Fighting Man) stammen. Danach stieg de la Rocha aus der Band aus. Er nahm ein Lied gegen den Irakkrieg auf (March of Death), das kostenlos auf der gleichnamigen Website zur Verfügung gestellt wurde. Danach produzierte er den Song „We Want It All“ mit Trent Reznor, der als Soundtrack für Michael Moores Film Fahrenheit 9/11 diente. Rage Against the Machine schlossen sich 2007 wieder zusammen, um bei diversen Festivals als Headliner aufzutreten. Zum 20-jährigen Jubiläum des Debüt-Albums erscheint dieses nun komplett neu mit teilweise bislang unveröffentlichten Bonus-Tracks unter dem Namen XX (20th Anniversary Edition). Auch wenn dieses Box-Set nicht wirklich neues Material enthält, so ist es dennoch ein guter Einstieg für Neulinge, diese einstmals rebellischste aller Rockbands kennenzulernen. ratm.com
stoisch wiederholte Niemeyer immer wieder: „Sie können die Stadt mögen oder nicht, aber Sie werden nicht behaupten können, so etwas schon mal gesehen zu haben.“ Die Planung des Ganzen galt damals, in den 1950ern, als Ding der Unmöglichkeit. Dabei sollte nichts mehr an das „Ewigkeitspathos“ der Europäer erinnern, an ihre kalte, rationale Bauweise, in der alles der Norm gehorchen und den nackten Funktionen zu dienen hatte. Niemeyer sagte einmal: „Man muss gegen die funktionalistische Architektur ankämpfen,
die sich des armierten Betons bedient, um rechtwinklige und öde Räume zu gestalten.“ Dabei musste er zugeben, dass seine utopischen Hoffnungen in das Projekt Brasilia gescheitert waren. Nach dem Militärputsch von 1964 zogen die Putschisten in seine Häuser ein. Er flüchtete ins französische Exil und kehrte erst 1982 wieder zurück. Niemeyers Architektur wollte allen Zwängen entkommen, die Welt formbar machen. Seine Bauten lösen sich aus den Fesseln der Tradition. Sie sind bestimmt von mächtigen Kurven und der freien Form. Diese freie Form ist laut Niemeyer Ausdruck des freien Willens, des freien Menschen, der Überwindung der kolonialen Sklaverei. Niemeyer hatte auch im hohen Alter noch viel vor. Bis zuletzt arbeitete er täglich in seinem Büro an der Copacabana. In einem Interview anlässlich seines 100. Geburtstages im Dezember 2007 meinte er: „Ich mache dieselben Sachen, die ich mit 60 gemacht habe, also bin ich nur 60. Man muss seinen Geist wachhalten, arbeiten, anderen die Hände reichen, lachen, weinen, das Leben intensiv auskosten. Es dauert nur einen Hauch.“
Musiktipps ASTPAI: Effort & Means
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ie Wiener Neustädter Punk-Band ASTPAI existiert seit rund zehn Jahren und hat sich durch kontinuierliches Touren durch die USA und Europa eine weltweit wachsende Fanschar erspielt. Das vor kurzem veröffentlichte neue Album „Effort & Means“ ist ein weiterer logischer Schritt vom kleinen DIY-Act in höhere Punkrocksphären. Das Album startet mit einem wunderbar atmosphärischen Intro, „Biting Dogs Don‘t Chew“ ist d a n n der erhoffte „echte“ Opener der Platte, ein schneller, powervoller Punk RockTrack, der ungemein abwechslungsreich ist, dabei aber stets authentisch und keineswegs überladen daherkommt. Ein weiteres Highlight der Platte ist „Give Us Today Our Daily Bread, Cars And Flatscreens“ – ein Titel der für sich selbst spricht, mit einem leicht irischen Touch, der an Dropkick Murphys erinnert. Insgesamt ist „Efforts And Means“ ein sehr kompaktes Album und passt zu absolut jeder Lebenslage. Live Tipp: Am 13. Jänner 2013 treten AST-
Foto: ASTPAI
Kultur in Kürze
PAI zusammen mit THE FORUM WALTERS und SCENARIO FEVER im Wiener B72 bei einem Benefiz-Konzert für Lobby 16 auf. Dieser Verein hilft unbegleiteten jungen Flüchtlingen aus verschiedenen Herkunftsländern bei der Berufsorientierung sowie der Vermittlung von Lehrstellen und Ausbildungsplätzen. Eine Hilfe, die nur durch den unermüdlichen Einsatz vieler freiwilliger Helfer und durch Spenden möglich ist. Der Eintritt für das Konzert am 13.01.2013 ist frei, die Organisatoren bitten jedoch um eine kleine Spende für Lobby 16. astpai.org fb.com/theforumwalters fb.com/scenariofever
Linkswende Jänner 2013
ANKÜNDIGUNGEN
FPÖ-Akademikerball in der Hofburg verhindern!
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m 1. Februar tanzt die europäische und die österreichische Nazielite auf Einladung der FPÖ in der Wiener Hofburg. Der FPÖ-Ball ist ein und derselbe Burschenschafter-Ball, der vergangenes Jahr unter seinem Namen „WKR-Ball“ bekämpft und vertrieben wurde. Nazi-Sänger, Holocaustleugner und die Anführer der europäischen Rechtsextremen wie Marine Le Pen geben sich hier ein Stelldichein. Nirgendwo in Europa werden ihnen so prunkvolle Möglichkeiten geboten. Die im WKR versammelten Burschenschaften sind studentische Verbindungen mit
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Lesekreis:
Marxistische Philosophie
zumeist neonazistischen und antisemitischen Grundsätzen. Sie stellen die Parteikader der FPÖ und unterwandern seit Jahrzehnten erfolgreich Justiz, Polizei und Beamtenapparat. Am 27.1.2012 genehmigte die Polizei erstmals eine antifaschistische Kundgebung gegen den WKR-Ball, woraufhin der Ball aus der Hofburg ausgeladen wurde. Demonstrieren wir am 1. Februar gegen die Rückkehr der Ewiggestrigen! 1. Februar 2013 Heldenplatz: 18 Uhr Uni Wien, Schottentor: 17 Uhr
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arx’ Philosophie wurde seit ihrer Entwicklung von Gegnern und sogenannten Anhängern bekämpft und entstellt. Jahrzehnte der stalinistischen Diktatur haben den Marxismus schwer verunstaltet. Auch die sozialdemokratischen Parteien im Westen berufen sich auf Karl Marx, während sie seit jeher regimetreue und staatstragende Politik betreiben. Das Ziel des Lesekreises ist, die ursprünglichen
Ideen von Marx wiederzuentdecken. Alle, die heute die Welt verändern wollen, sollten sich mit Marx’ Philosophie auseinandersetzen.
Buch von John Molyneux, erhältlich auf Englisch „The point is to change it!“ und Deutsch unter: 0650/4522473 und linkswende@linkswende.org
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Gruppentreffen: Stadtgruppe: Jeden Do. um 19 Uhr, Amerlinghaus (7., Stiftg. 8) Unigruppe: Jeden Mi. um 19 Uhr, Powi-Institut im 2.Stock des NIG (1., Universitätsstr. 7) Für Interessierte, die mit uns politisch diskutieren wollen, keine Anmeldung erforderlich.
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Was wir wollen
Eine andere Welt. Heute lebt die Hälfte der Menschheit von weniger als 2 Dollar pro Tag, 67% der Reichtümer sind in den Händen von nur 2% der Bevölkerung. Weltweit sind Regierungen für krisengeschüttelte Unternehmen und Banken mit rund 6.000 Milliarden Euro in die Bresche gesprungen. Dieser Betrag würde ausreichen, um die weltweite Armut für ein halbes Jahrhundert zu beenden. Was heute produziert wird, würde schon ausreichen,
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um alle Menschen der Welt mit dem Grundlegendsten zu versorgen. Die Bedingungen für eine gerechtere Welt waren nie besser als heute. Demokratische Kontrolle. Wir wollen eine Gesellschaft, in der gezielt für die Bedürfnisse der gesamten Menschheit und mit Rücksicht auf die Natur produziert wird. Dafür ist eine wirklich demokratische Ordnung nötig, in der die werktätigen Menschen das Sagen haben, sie produzieren allen Reichtum
dieser Welt. Eine neue Gesellschaft ist nur vorstellbar, wenn sie die Produktion ihrer Reichtümer und ihre Verteilung kontrollieren. Um eine solche gerechte – eine sozialistische – Gesellschaft errichten zu können, müssen Arbeiter und Arbeiterinnen kollektiv gegen das herrschende System vorgehen, seine staatlichen Strukturen zerschlagen und kollektiv die Kontrolle übernehmen. Wir stehen für einen Sozialismus von unten, denn – wie Karl Marx sagte – »Die Befreiung der Arbeiterklasse muss das Werk der Arbeiterklasse selbst sein.« Internationalismus. Die Revolutionen im arabischen Raum und der internationale Aufschwung der Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung im Jahr 2011 demonstrieren, dass der Kampf nicht entlang von Ländergrenzen, sondern von Klassengrenzen stattfindet. Das Scheitern der Russischen Revolution mit der Machtübernahme Stalins hat uns
gezeigt, dass eine sozialistische Revolution nicht isoliert in einem Land erfolgreich sein kann. Der Kapitalismus ist ein internationales System, das nur international besiegt werden kann. Wir unterstützen das Recht aller unterdrückten Gruppen, sich zu ihrer eigenen Verteidigung zu organisieren. Wir unterstützen Befreiungsbewegungen, die sich gegen Unterdrückung durch imperialistische Staaten wehren. Gegen Unterdrückung. Als Sozialistinnen und Sozialisten bekämpfen wir jede Form der Unterdrückung. Wir stellen uns gegen alle Versuche der herrschenden Klassen, uns entlang von Staatsgrenzen, Hautfarbe, Religion, Geschlecht oder sexueller Orientierung zu spalten und damit zu schwächen. Wir treten für echte soziale, politische und ökonomische Gleichberechtigung von Frauen und für ein Ende aller Diskriminierungen von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender ein.
Gegen Rassismus. Wir wenden uns aktiv gegen alle Versuche, Menschen verschiedener Herkunft gegeneinander zu hetzen. Wir sind gegen jede Diskriminierung, gegen Einwanderungskontrollen, gegen Arbeitsverbote und für grenzüberschreitende Solidarität. Wir stehen für Solidarität mit der muslimischen Bevölkerung und für das volle Recht auf freie Religionsausübung. Revolutionäre Partei. Unsere Herrscher kontrollieren die Medien, die Justiz, Polizei und Militär. Um diese Macht zu konfrontieren, müssen sich auch die Lohnabhängigen organisieren. Wir glauben, dass diejenigen, die eine gerechte und solidarische Gesellschaft wollen, sich zusammentun müssen und die Entwicklung der Protestbewegungen nicht dem Zufall überlassen dürfen. Je stärker die revolutionäre Strömung innerhalb der Bewegung ist, desto mächtiger wird die Bewegung als Ganzes.
Linkswende Monatszeitung für Sozialismus von unten
Wieder eine tschetschenische Familie von Abschiebung bedroht!
Leben in Angst
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ie Familie war 2004 mit damals noch drei Kindern, das jüngste zu dem Zeitpunkt gerade einmal drei Monate alt, aus Tschetschenien geflüchtet. Sie lebte in Kärnten und erlebte dort die unmenschlichen Härten des Asylverfahrens in Österreich: Mehrmals wurden die Eltern im Zuge des Asylverfahrens interviewt – jedes Mal mehrere Stunden lang vom selben Mann und ohne ausreichende Übersetzung, jedes Mal unter enormem psychischen Druck. Die Mutter, die noch heute sichtbare Narben von der Folter in Tschetschenien trägt, hielt hochschwanger einer der Befragungen nicht stand, begann zu hyperventilieren und brach zusammen. Und doch kam nach den Interviews mit trauriger Gewissheit ein negativer Bescheid. Ablehnung in allen Instanzen Als dann nach fünf Jahren 2009 auch in letzter Instanz negativ entschieden wurde und eine Abschiebung nach Russland unmittelbar bevorstand, packte die Familie in Panik ihre Sachen und reiste nach Frankreich weiter. Doch auch dort
durfte sie nicht bleiben: Weil das „Dublin II“-Abkommen der EU vorschreibt, dass Flüchtlinge nur in einem EU-Land, und zwar dem „Erstaufnahmeland“, um Asyl ansuchen dürfen, wurde sie bereits nach einem halben Jahr wieder nach Österreich zurück verschafft. Diesmal landete die nun bereits siebenköpfige Familie in Wien. Nun schon seit zwei Jahren kann sie hier nur dank der Betreuung des Vereins Ute Bock Unterkunft und ein notdürftiges Auskommen finden: Einkommen hat sie keines mehr, denn „abgelehnte“ Flüchtlinge fallen aus der staatlichen Grundversorgung und erhalten keine Arbeitserlaubnis. Die C.s legten bei ihrer Rückkehr nach Österreich beim Verfassungsgerichtshof eine Beschwerde gegen ihr Urteil ein. Vor allem die Kinder lebten sich erneut ein, die vier älteren gehen in die Schule, haben Freunde und ein stabiles Umfeld. Leben in Angst Doch dann kam im November 2012 wieder eine Ablehnung. Die Familie war nun unmittelbar von Abschiebung bedroht, obwohl die Eltern in
Foto: Günther Leeb / Kinderfreunde
Die achtköpfige Familie C., seit acht Jahren in Österreich, flüchtete vor Folter und Todesgefahr aus Tschetschenien. Nun soll sie abgeschoben werden – doch das Engagement der Kinderfreunde, ihrer Schulen und dem Verein Purple Sheep gibt Anlass zu neuer Hoffnung, berichtet Hannah KRUMSCHNABEL.
Tschetschenien um ihr Leben fürchten müssen und fast alle Kinder ihr ganzes Leben in Österreich verbracht haben. Ihre Lage schien hoffnungslos und dementsprechend unter Druck standen auch die Kinder, die im vollen Bewusstsein darüber leben, was die Konsequenzen einer Abschiebung wären: „Tschetschenien
ist auf Fotos schon schön, aber ohne Vater wäre das nicht mehr so schön“, meint etwa die achtjährige Madina. Ihre Eltern, die unglaublich stolz auf den Erfolg ihrer Töchter in der Schule sind, wollen vor allem ihren Kindern eine gute Ausbildung und eine Zukunft ermöglichen. Wie viel zu oft war es nur ein glücklicher
Zufall, der dazu führte, dass die Situation der Familie C. öffentlich gemacht und ihr eine neue Chance auf ein Bleiberecht verschafft wurde: Madina nimmt an einem Mentoring-Projekt der Österreichischen Kinderfreunde teil, wodurch diese auf den Fall aufmerksam wurden und damit begannen Widerstand zu organisieren.
Tschetschenische Flüchtlinge in Österreich:
Auslieferung an die Verfolger
Foto: Daniel Hrncir
Hoffnungsschimmer
Demonstration gegen die Abschiebung von Flüchtlingen vor dem Anhaltezentrum Roßauer Lände.
von Peter HERBST
V
ier Jahre nachdem Umar Israilov in Wien auf offener Straße durch einen Agenten des Diktators Kadyrow im Auftrag des tschetschenischen Diktators und Putin-Vasallen Kadyrow umgebracht wurde, hält der österreichische Staat an seiner Abschiebepraxis nach Tschetschenien fest. Israilov, der mit seiner Familie 2005 geflüchtet war, bot an gegen Kadyrow auszusagen und bat die Polizei wiederholt um Schutz. Am 15. Juni
2008 sagte Artur K. bei der Polizei aus, dass er im Auftrag Kadyrows tschetschenische Flüchtlinge verschleppt oder ermordet und dass auch Israilov auf seiner Liste stünde. Die Polizei betrachtete seine Tätigkeit als Nötigung und schickte ihn zurück nach Russland. Am 13. Jänner 2009 wurde Israilov in Wien auf offener Straße erschossen. Rückblickend betrachtet meinte ein Sprecher des Innenministeriums: „Der Personenschutz war zu teuer, die Gefährdungslage war ja viel
zu vage.“ Anfang des Jahres reiste eine FPÖ-Delegation nach Tschetschenien um dort Kadyrow zu hofieren und sich von ihm bestätigen zu lassen, dass Tschetschenen „nicht wegen politischer Verfolgung auswanderten, sondern um sich bei uns in die soziale Hängematte zu legen“. Währenddessen werden weiterhin Flüchtlinge nach Tschetschenien abgeschoben, wie Danial M. Er floh, weil bekannt wurde, dass er Aufständischen half und wurde zwei Wochen nach
seiner Deportation nach Moskau wegen „Banditentums“ verhaftet wurde. Sein letztbekannter Aufenthaltsort war das Gefängnis der KGB-Nachfolgeorganisation FSB. Überhaupt unauffindbar ist Rasambek I., der direkt aus dem Abschiebeflugzeug verhaftet wurde, in dem auch M. Saß. Beide werden vorgeblich wegen strafrechtlicher Vergehen verfolgt, womit sich auch das Innenministerium regelmäßig herausredet. Derzeit werden Iman A. und ihre beiden Töchtern
mit Abschiebung bedroht. Sie legte Unterlagen vor, die sie als Angehörige des getöteten tschetschenischen Rebellenführers Schamil Bassajew ausweisen. Für die österreichischen Richter ist das nicht glaubhaft, in Frankreich erhielt ihre Mutter deswegen Asyl. Menschenrechtsorganisationen fordern alle Abschiebungen sofort zu stoppen, bis garantiert werden kann, dass lebenswichtige Informationen von Gerichten nicht mehr ignoriert oder übersehen werden.
Zuerst informierte man die Schulen der Kinder, die laut Madinas Direktorin ansonsten immer erst dann von einer Deportation erfahren, wenn Kinder plötzlich nicht mehr in die Schule kommen. Die Aussicht, was mit einer ihrer Schülerinnen im Falle einer Abschiebung passieren würde – die Familien werden meist mitten in der Nacht abgeholt, dürfen kein Gepäck mitnehmen und werden dann nach Moskau geflogen und dort am Flughafen stehen gelassen – ging ihr und ihren Kolleginnen so nahe, dass sie sich zu engagieren begannen. In den Klassen und auf Elternabenden werden etwa Briefe an Bundeskanzler und -präsident verfasst und Unterschriftenlisten verteilt. Die älteste Tochter Linda sammelt gemeinsam mit Freundinnen mit Erfolg in ihrem Gymnasium und in der U-Bahn Unterschriften für ein Bleiberecht ihrer Familie. Online wurde von den Kinderfreunden eine Petition gestartet, die bereits weit mehr als 1.000 Menschen unterzeichnet haben. Die über 1.000 Euro hohe Verwaltungsstrafe, die Flüchtlingen, die nicht „freiwillig“ ausreisen, routinemäßig aufgehalst wird, konnte über Spenden beglichen werden. Durch das Engagement der Kinderfreunde, der Menschen im Umfeld der Familie und vor allem der Vereine Ute Bock und Purple Sheep gibt es nun Grund zum Optimismus.