Linkswende Nr. 170

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Linkswende Monatszeitung für Sozialismus von unten

Nr. 170 September 2013 Spende 1,50 EUR Solidaritätsspende 2,00 EUR

www.linkswende.org

JEDE STIMME GEGEN RASSISMUS IST WICHTIG!

Entschuldigt niemanden, der FPÖ wählt! von Manfred ECKER

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s gibt keine Entschuldigung dafür, FPÖ zu wählen, keine Rechtfertigung dafür, seine Stimme dem Rassismus zu geben. Wir Gegner und Gegnerinnen haben zu oft den Fehler begangen, FPÖ-Wähler als Protestwähler_innen zu verharmlosen. Doch das würde heißen, dass ihr Zorn und ihre Frustration mit den großen Parteien ausreichendes Wahlmotiv wäre und sieht über ihre Eigenverantwortung hinweg. Aber alle, die

FPÖ wählen, müssen sich mit der unübersehbaren Tatsache konfrontieren, dass Rassismus aus der untersten Schublade Hauptbestandteil der Freiheitlichen ist – und das nicht nur zu Wahlkampfzeiten. Kennt man selbst einen bekennenden Rassisten, dann sollte man ihn konfrontieren, und jede_r aufrechte Linke wird das auch tun, wenn Rassismus das Arbeitsklima oder die Nachbarschaft vergiftet. Mit vermeintlichen Protestwählern ist man

SYRIEN Vor den verheerenden Folgen einer Militärintervention warnt der libanesische Sozialist Bassem Chit

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dagegen versucht, sanfter umzugehen. Aber alle FPÖ-Wähler wissen, wen sie da wählen, sie nehmen Rassismus in Kauf oder unterstützen ihn sogar. Bisherige Aktionen haben außerdem gezeigt, dass die Konfrontation von FPÖ-Wählern sofort andere FPÖ-Gegner_innen dazu ermutigt, aus der Deckung zu gehen. Plötzlich stehen die Wahlkämpfer der FPÖ alleine da, und gleichzeitig sehen die Antirassist_innen, wie viele sie

DETROIT ALS WARNUNG >> Seite 7 Das Schicksal der Motor City ist eine ­Warnung für die Arbeiter_innen Europas, meint Hannah Krumschnabel

sind. Diese Erfahrung ist komplett entscheidend, um die Dynamik umzudrehen, die jahrzehntelang geherrscht hat. Bestimmt wurde diese Dynamik von oben. Die FPÖ wurde zu Parlamentswahlen und als Fraktion im ÖGB zugelassen und das, obwohl sie für alle sichtbar die Nachfolgepartei der NSDAP war, wie Anton Pelinka richtig festgestellt hat. Diesen Teil ihrer Ideologie verbirgt die FPÖ allerdings soweit, dass Medien

THEORIE: EU-RASSISMUS >> Seite 10 Manfred Ecker über Entstehen und Funktion von Rassismus im „Friedensprojekt-EU“

und Politiker_innen den Freiheitlichen nur sehr selten daraus einen Strick drehen. „Wäre sie eine wirklich faschistische Partei, dann wäre sie verboten“, können sich FPÖ-Wähler noch irgendwie herausreden. Alle anderen Parlamentsparteien und die Justiz tun das ja auch. Niemand kann aber sagen, er oder sie wüsste nicht, wie rassistisch die die FPÖ ist – also lassen wir es auch niemandem durchgehen!

VERGESSENE GESCHICHTE >> Seite 13 Ein in den Geschichtsbüchern ­verschwiegener Grubenarbeiter-Streik ließ 1933 die Weststeiermark stillstehen


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September 2013 Linkswende SÜDAFRIKA

Von Auto- bis Bauindustrie: Südafrika im Streik Jedes schäbige Posting, das zu Gewalt aufruft, hetzerisch ist und Leute diskriminiert, lehne ich grundsätzlich ab. Strache am 27. August in der ORF-Diskussion mit Eva ­Glawischnig

Unsere Mitbewerber machen oftmals eine ­Politik... für die Wärmsten der Warmen. Strache am 31. August beim Wahlkampfauftakt in Linz, denn Reden sind keine Postings

Ein geplanter Berufsmord... Todesstrafe. Geplant! Mafia-type. Berufsmord. Geplanter Berufsmord, ja... Das kommt dann auch in unser Parteiprogramm.

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eit 19. August wird in Südafrikas Autoindustrie gestreikt. 31.000 Beschäftigte fordern eine Lohnerhöhung von 20%, sowie Wohnbeihilfen und Fahrtkostenzuschüsse. Daneben gibt es Ausstände beim technischen Personal der Fluglinien, das eine Lohnerhöhung im zweistelligen Prozentbereich fordert. Auch 90.000 Minenarbeiter und 50.000 Bauarbeiter sind im Streik. Die Gewerkschaft der Bauarbeiter fordert eine Lohnerhöhung von 13% für 2013 und 14% für 2014. Bei den Minenarbeitern

fordert sogar die regierungsnahe Gewerkschaft NUM in manchen Fällen Lohnerhöhungen von 50%, während die AMCU 150% verlangt. Die Arbeitgeberseite bot 6% an. Daneben streiken zehntausende Angestellte im öffentlichen Dienst, die eine Demo mit 20.000 Teilnehmer_innen in Kapstadt abhielten. Der Streik könnte sich, mit einer Beteiligung der 68.000 Mitglieder der CEPPWAWU und der 72.000 Mitglieder der NUMSA, die bei Tankstellen und im Autohandel beschäftigt sind, ausweiten.

Regensburg vereint gegen Nazis

D Schüler, Studierende und Arbeiter fordern Bildung für alle

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Die islamfeindliche Gruppe ­Femen wird von einem Mann angeführt

Ich könnte mir eine gesetzlich erlaubte Tagesarbeitszeit von bis zu 15 Stunden vorstellen.

IM VISIER: Gerald Ziehfreund

Diese Mädchen sind schwach... Sie zeigen Unterwürfigkeit, Rückgratlosigkeit, Unpünktlichkeit... Das sind Qualitäten von denen es wichtig war sie ihnen beizubringen.

Robert Hartlauers Fantasie endet nicht beim 12-Stunden-Tag

IMPRESSUM Linkswende

Monatszeitung für Sozialismus von unten Herausgeber (für den Inhalt verantwortlich): Manfred Ecker. Redaktion: Tom D. Allahyari, Manfred Ecker, Daniel Harrasser, Peter Herbst, Hannah Krumschnabel, Oliver Martin, Ludwig Sommer. Post: Linkswende, Postfach 102, Kettenbrückeng. 5, 1050 Wien Telefon: 0650 452 24 73 Web: www.linkswende.org Email: redaktion@linkswende.org ZVR: 593032642

die Aktivität von Organisationen für LGBT-Rechte illegal. Auch Küssen oder Händehalten gleichgeschlechtlicher Paare in der Öffentlichkeit kann mit Geldstrafen belegt werden. Nachdem gleichgeschlechtliche Paare keine Kinder mehr adoptieren dürfen, soll es künftig sogar möglich werden, ihnen Kinder wegzunehmen. Das Gesetz ist für viele ein Freibrief, homosexuelle Menschen auf offener Strasse anzugreifen, während die Polizei wegsieht. Zahlreiche wurden gedemütigt und gefoltert, mindestens zwei ermordet. Die internationalen Proteste richten sich auch gegen das Olympische Komitee und die Sponsoren der Winterspiele nächstes Jahr in Sotschi, wie etwa McDonalds, Coca Cola und Visa.

DEUTSCHLAND

ie Bildungsproteste in Chile dauern, mit über 40 Demonstrationen seit 2011, weiter an. Bereits im Juni gingen Studierende, Gewerkschafter_innen, Arbeiter_innen aus dem Gesundheitswesen, aus Häfen und Bergwerken, für ein freies Bildungswesen und gerechte Löhne auf die Straße. Laut den Hafengewerkschaften, soll die Arbeit in 90% der Häfen zum erliegen gekommen sein. Die Polizei reagierte mit Tränengas und Wasserwerfern. Auch die Demonstration am 5. September

Eva Dichand will in die Fußstapfen ihres Schwiegervaters treten

ehrere tausend Menschen demonstrierten die vergangenen Wochen in New York, London, Berlin und Amsterdam gegen Russlands homosexuellenfeindliche Gesetze. In Unterstützung der russischen Aktivist_innen fand sogar im konservativen Zypern Anfang September vor der russischen Botschaft die erste Demonstration für Gleichberechtigung seit Jahren statt. Nachdem bereits mehrere Städte, wie St. Petersburg oder Moskau, das für die nächsten 100 Jahre GayPride-Paraden verbot, gegen Homosexuelle vorgingen, verabschiedete das russische Parlament Mitte dieses Jahres landesweit ein Gesetz gegen die „Propaganda der nicht-traditionellen sexuellen Orientierung“. Damit werden Demonstrationen und

CHILE

Frank Stronach greift im ORF eine neue Idee auf

Wir leben in einem Land, das völlig überdemokratisiert ist. Man muss sich nur diese leidige SchulDebatte anschauen. Jeder redet mit, nichts geht weiter.

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Internationale Solidarität mit russischen LGBT-Aktivisten

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erhielt breite Unterstützung von Arbeiter_innen, Gewerkschaften sowie Kindern und Jugendlichen, die hoffen selbst einmal die Möglichkeit zu haben, ein Studium zu absolvieren. Die Studentenorganisation Fech präsentierte ein Dokument mit konkreten Forderungen an ein Bildungssystem, das seit Pinochet marktwirtschaftlichen Prinzipien gehorcht. Laut Fech sollen sich 80.000 an der Demonstration beteiligt haben und vor den Wahlen im November wird es nicht die letzte gewesen sein.

erbert Kickl war am 23. August schockiert. Der FPÖ-Propagandafilm „20 Jahre Österreich zuerst“ wurde im Kino der Lugner City vorgeführt. Doch zur Premiere erschienen nicht bloß Anhänger und gesittetes Journalistenvolk, sondern auch eine Gruppe Linker, die hinter einem Transparent mit der Aufschrift „Nazis raus aus dem Parlament“ und ausgestattet mit Linkswende-Schildern laut „Nieder mit der FPÖ!“ skandierten. Eine Stunde später erfuhr man bereits von der FPÖ: „Erste Auswertungen von sichergestellten Utensilien der Randalierer und von Fotos legen den Verdacht nahe, dass es sich bei den Randalierern um Mitglieder der Gruppe ‚Linkswende‘ handelt.“ Ob diese vorsichtige Formulierung mit einer neu entdeckten Zurückhaltung zu tun hat, oder ob man sich bloß der eigenen Lesekompetenz nicht sicher war, sei dahin gestellt (immerhin war Linkswende hochoffiziell Urheber des Materials). Neben den Linkswen-

ie NPD musste schon einige Niederlagen hinnehmen, aber so eindeutige wie am Freitag, dem 6. September, kommen nicht so oft vor. Aus Sicherheitsgründen hatte die Polizei die Kundgebung vom Kohlenmarkt auf den größeren Domplatz verlegt, wo dann auch 12 Nazis 2.000 Gegendemonstrant_innen gegenüber standen. Bürgermeister Wolbergs (SPD) war in Abwesenheit von Oberbürgermeister Schaidinger (CSU) von der bisherigen Strategie abgegangen, Zeit und Ort der NPDKundgebung geheim zu halten, um den Rechten keine Bühne zu bieten. Zudem meldete er

de-Aktivist_innen soll aber auch ein „linksextremer Schlägertrupp“ anwesend gewesen sein. Uns ist er nicht aufgefallen, darum können wir dazu auch leider keine Angaben machen. Wer uns allerdings auffiel, war der FPÖ-Sicherheitsreferent im Wiener Rathausklub Gerald Ziehfreund, der laut News-Bericht im Jahr 2010 wegen Körperverletzung und Missbrauch der Amtsgewalt zu 15 Monaten bedingt verurteilt wurde. Er soll als Polizist einen unschuldigen Verdächtigen so beamtshandelt haben, dass dieser nachher Blut im Urin hatte. Weil das Opfer zwischen den Angriffen bei der Polizei anrief, wurde aufgezeichnet, als Ziehfreund Beschimpfungen wie „Polack“ ausstieß und mit Gefängnis wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt drohte. Das Gerichtsurteil im folgenden Prozess bedeutete das Ende seiner Polizeikarriere, wobei das FPÖ-Organ „Neue Freie Zeitung“ bemerkte, dass „die Jury optisch dem linken Lager zuordenbar“ war. Ein Refe-

als Privatperson eine Gegenkundgebung an. Die NPD-Funktionäre wurden mit einem Pfeifkonzert sowie fliegendem Gemüse und Eiern begrüßt. Schließlich ließen Bischof Vorderholzer und Domprobst Gegenfurtner die Domglocken erklingen, in Andenken an den von den Nazis im April 1945 hingerichteten Domprediger Johann Maier.

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renzschreiben, das ihm „hervorragende Leistungen“ bescheinigte, wurde ihm dennoch ausgestellt und bescherte der verantwortlichen Beamtin als „widerrechtliches Gefälligkeitsschreiben“ Probleme. Doch Ziehfreund hat auch andere Unterstützer wie den Wiener Landesparteisekretär Jenewein, der angibt, dass er ihn auch nach dem aktuellen Wissensstand einstellen würde. Oder den ehemaligen FPÖ-Pressesprecher Gotschacher, der zum Kurier meinte „Wenn Mitarbeiter von uns angegriffen werden, seid ihr auch Freiwild für uns.“ Gotschacher selbst hat Liedtexte der Waffen-SS auf seine Facebook-Seite gestellt und musste seinen Platz räumen.


Linkswende September 2013

EDITORIAL

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eschichte ist kein einfacher geradliniger Prozess, sondern wie wir ständig von Neuem lernen müssen, eine widersprüchliche und komplizierte Angelegenheit mit vielen Aufs und Abs, mit Rückschritten und Fortschritten. Die Entwicklung der Krise seit ihrem Ausbruch vor mittlerweile sechs Jahren hat nicht dazu geführt, dass sich die Arbeiter_innenbewegung überall neu formiert und auf die Beine stellt. In Griechenland, wo sie innerhalb Europas ihr höchstes Niveau erreicht hat, ist die Bewegung noch keinesfalls geschlagen, aber andererseits haben die herrschenden Eliten noch nicht aufgehört den griechischen Arbeiter_innen immer noch schwerere Bürden aufzulegen. Was passieren kann, wenn die Bewegung wirklich zerschlagen wird, dafür ist die amerikanische Geschichte ein warnendes Beispiel. Auf Seite 7 erinnern wir an die Geschichte Detroits und wie es dazu kommen konnte, dass die Industriellen eine einst blühende Stadt dem Zerfall überlassen. Auf derselben Seite können wir davon berichten wie sich die amerikanische Arbeiter_innenbewegung wieder erholt. Unsere Mittelseite widmen wir den Revolutionen in Ägypten und Syrien. Beide Revolutionen sind mittlerweile schwer bedroht, aber noch nicht geschlagen. Zwei Artikel von Revolutionären Marxisten aus der Region analysieren sehr gut die Her-

KOMMENTAR

Linkswende online

von Manfred ECKER ausforderungen und widerlegen gängige Darstellungen unserer Medien. Zuerst in Ungarn, dann Frankreich, jetzt Tschechien und schließlich auch in Österreich organisieren rechte Banden oder auch Regierungen Angriffe auf Roma. Das ist eine deutliche Warnung davor, wie die Rechten versuchen werden ihren Profit aus der Krise zu schlagen. In Zusammenarbeit mit dem Staat sind sie brandgefährlich. Der Koordinator des griechischen Antifanetzwerks KEERFA, Petros Constantinou, wird von Neonazis mit dem Tod bedroht und gleichzeitig von der Justiz mit Haft. Auf Seite 11 finden sie Informationen und ein Interview mit Petros Constantinou über die Umtriebe der faschistischen Partei Goldene Morgenröte und den massenhaften Widerstand gegen sie. Auf Seite 10 haben wir versucht anhand der speziellen Ausformungen, wie Rassismus sie in der EU genommen hat, die marxistische Sicht auf diese Bedrohung darzustellen. Eigentlich sollten wir alle Kräfte auf die Nationalratswahlen richten, die nur 17 Tage nach Erscheinen dieser Ausgabe über die Bühne gehen werden, aber wir finden, dass Linke ihre Energien am sinnvollsten im Kampf gegen die FPÖ einsetzen, wie wir im Kommentar auf derselben Seite argumentieren. Wen wir zur Wahl empfehlen erfährst du auf der nächsten Seite.

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Was können Linke während des Wahlkampfes tun?

Besuche uns auch auf unserer Homepage: www.linkswende.org Dort findest du weiterführende Artikel, Analysen, Termine, Demoberichte und Links zu unseren internationalen Schwesterorganisationen und zu marxistischer Theorie, außerdem Fotos und Videos sowie ein umfangreiches, thematisch geordnetes Artikelarchiv. Viel Spaß beim Stöbern.

von Karin WILFLINGSEDER

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erzeit bekommt die FPÖ nicht den massiven Widerstand, den sie verdient. Ewiggestrige Gewaltbereite verherrlichen Hitler auf der Facebookseite „Wir stehen zur FPÖ!“, machen sich über die die Shoah lustig und rufen zum Mord an Muslimen, Sinti, Roma und Linken auf. Strache hetzt und Mölzer faselt erneut von „Umvolkung“, einem Begriff der nationalsozialistischen Volkstumspolitik. Die FPÖ kann das gesellschaftliche Klima weiterhin nach rechts drücken und Hass schüren. Nach ungenützten Elfmetern haben die Skandale kaum längerfristige Auswirkungen. Anders als in den 30er-Jahren beherrschen noch keine organisierten, faschistischen Banden die Straßen. Trotzdem aber die FPÖ wegen des antifaschistischen Grundkonsenses nach 1945 ihre Ziele nicht völlig offen verfolgen kann, ist die Situation alarmierend. Eine Skandalgeschichte in den Medien und das Kreuzerl bei der richtigen Partei zu machen, reicht im Wahlkampf als Strategie gegen die rechten Hassprediger nicht aus. Aufrechte Antifaschistinnen und Antifaschisten brauchen eine bessere Strategie als zum Beispiel bloß für die Sozialdemokratie zu wahlkämpfen. Sie sollten im Wahlkampf die FPÖ offen angreifen.

Wir freuen uns auch über Feedback und Kritik: redaktion@linkswende.org Linkswende auf Facebook: www.facebook.com/ Linkswende.IST.Austria Linkswende auf youtube: www.youtube.com/ anticapitalista1917 Linkswende auf flickr: www.flickr.com/linkswende

FOTOBERICHT

Foto: socialistworker.co.uk

Aufgelegter Elfmeter!

Zehntausende Lehrer_innen streiken in Mexiko gegen die Reformpläne der Regierung. Diese würden eine Kontrolle der „Leistung“ der Lehrer_innen mit standardisierten Tests und die Entlassung aller Durchgefallenen bedeuten. In Mexiko City, wo sie seit Wochen ein Protestcamp aufgeschlagen haben, blockierten sie Ende August sogar die Zufahrt zum Flughafen und damit den internationalen Flugverkehr.

Die Stimmung gegen die FPÖ muss praktisch genutzt werden, sonst verpufft sie wieder. Wie viel Effekt schon wenige Aktionen haben, erlebten wir in den letzten Wochen. Nach unseren Erfahrungen bei Aktionen gegen die FPÖ bei deren „Bürgerständen“. Die kurzfristige Absage der „FPÖ-Gemeindebautour“ in Simmering wegen unserer Aktivitäten lässt das Potenzial von vielen Aktionen – österreichweit – nur erahnen. FPÖ-Hasser_innen oder angegriffene Minderheiten feiern den Widerstand und schließen sich gerne an. Mehr Leute kommen in Aktivität. Wir, alle solidarischen Menschen, sind weit in der Überzahl. Diese Mehrheit gehört sichtbar gemacht. Aktiver Widerstand ist die Erfolgsstrategie für die Linke gegen die Erholung der FPÖ. Erstens, die FPÖ ist im Abschwung und das soll so bleiben. Zweitens verfestigen ehemalige FPÖ-Wähler_innen sich nicht nach rechts-außen. Die Abzockerei der FPÖ überall wo sie in die Nähe von Machtpositionen gekommen ist, können viele FPÖ-Wähler_innen nicht mehr rechtfertigen. Es zeigt, dass die FPÖ keine Protestpartei gegen „die da oben“ ist. Die freiheitliche Zockerei kann so viel Steuergeld verschlingen, wie die Mindestsicherung in den nächsten 17 Jahren. Drittens, der Abschwung nagt am Selbstbewusstsein ihrer verbleibenden Wählerschaft. Einige liebten oder akzeptierten den ungenierten Rassismus, aber eine Partei mit Neonazi-Image können sie nicht schönreden. Dies kann deren antifaschistische Nachbarund Kollegenschaft nutzen um sie endlich zu isolieren.


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September 2013 Linkswende

Nationalratswahlen

DEBATTE

Wen soll ich bloß wählen? von Manfred ECKER

„W

enn Wahlen irgendetwas verändern würden, wären sie schon längst ­verboten“ – Der Spruch ist gut und wahr, aber der Schluss daraus darf nicht sein, Wahlen ganz einfach zu ignorieren. Die Antwort darauf ist, dass man an Wahlen rein taktisch herangehen sollte, anstatt mit der Illusion, darüber wirklich die Tagespolitik zu steuern oder gar sie zu verändern. Wir empfehlen SPÖ zu wählen, weil wir uns an Lohnabhängige richten. Trotzdem empfinden wir es als Katastrophe, dass wir keine Partei links der Sozialdemokratie haben, die das Zeug zur Massenpartei hat. Ist das ein Widerspruch? Nein, denn eine Vorbedingung für die Entstehung so einer „Linkspartei“ ist, dass sich Arbeiterinnen und Arbeiter in Massen von der SPÖ abwenden und ihre eigene Partei gründen. Das wird nicht passieren, solange wir keine heftigen Klassenkämpfe erleben, bei welchen sich die Frage nach einer geeigneten Führung stellt UND bei welchen sich die SPÖ offen gegen ihre Basis stellt. Deshalb haben wir die SPÖ lieber in der Regierung als in der Opposition und anders ist die Entstehung einer „echten Arbeiterpartei“, die wirklich in den Betrieben verwurzelt ist, schwer vorstellbar. Die große Mehrheit der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter_innen ist bei der Sozialdemokratie. Aktuell erleben wir keine heftigen Klassenkämpfe, und es kann uns nicht egal sein, ob Arbeiter_innen in dieser Zeit rechts oder links wählen. Die schlechteste Voraussetzung für künftige Auseinandersetzungen wäre, wenn die Arbeiter_innen massenhaft nach rechts gingen. Es ist alleine schon sehr bedenklich, dass viele Arbeiter_innen und Angestellte ÖVP wählen, schrecklich ist jede Stimme für die FPÖ (die Grünen wenden sich erst gar nicht an Arbeiter_innen). Da ist es

Mythos Wirtschaftserholung

Arbeitslosigkeit und Armut steigen

viel besser, sie wählen SPÖ, auch wenn die wahrhaft fürchterliche Politik betreibt. Man muss nur an Josef Cap denken und wie er die Behandlung von Flüchtlingen rechtfertigt, um Zweifel zu bekommen. Aber wie gesagt, Wahlen sind für bewusste Sozialist_ innen (die sich bei Lohnabhängigen Gehör verschaffen wollen) eine rein taktische Angelegenheit, keine Illusion von demokratischer Mitbestimmung, und keine moralische Entscheidung. Für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung sind Wahlen einer der seltenen Momente, wo sie am politischen Geschehen teilhaben können – zumindest wird ihnen dieser Eindruck vermittelt. Das ist vielleicht das Hauptproblem, das wir mit Parlamentswahlen haben: Die Menschen sollten sich nämlich permanent in Politik einmischen und für ihre Angelegenheiten kämpfen, aber das politische System ist völlig darauf ausgerichtet, die aktive Rolle der einfachen Menschen zu minimieren. Wir können stolz von uns behaupten, dass wir das ganze Jahr über alles dazu tun, damit sich Leute aktiv in Politik einmischen. Wenn wir von einer Linkspartei sprechen, dann meinen wir eine Partei, die permanent den außerparlamentarischen Widerstand aufbaut und die das Parlament dazu als Bühne nutzt, ohne Illusionen in die parlamentarische Demokratie zu schüren. Wahre Demokratie wird es erst geben, wenn wir den Kapitalismus überwunden haben, bzw. wenn er durch eine selbstbewusste Arbeiter_innen klasse gestürzt wurde und diese die Macht in ihren eigenen Händen hält. Am Weg dorthin können wir Revolutionäre keine Frage ignorieren, welche die Arbeiter_ innen heute bewegt, schon gar nicht die quälende Frage „Was soll ich wählen?“

Die Unternehmen streichen kräftige Profite ein, und dennoch erholt sich die Wirtschaft nicht. Warum wir deshalb mit weiteren Aufständen zu rechnen haben, schreibt David ALBRICH.

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s wird viel geredet über eine angebliche Erholung der Weltwirtschaft, besonders wenn Wahlkampf ist. Da spricht ein ÖVP-Spitzenkandidat ständig von einer „Entfesselung der Wirtschaft“, wenn die überbordende Verwaltung und Schuldenmacherei nicht wäre. Hier spricht die Ratlosigkeit der besitzenden Klasse. Waren es vor ein paar Monaten noch die Entwicklungsländer, die uns vor dem erneuten Abgleiten in eine Krise „retten“ sollten, übertreiben die sogenannten Wirtschaftsexperten heute das geringe Wachstum in Japan und England und eine mögliche Erholung der US-Ökonomie. Wachstum verlangsamt sich Wie sieht es in der Realität aus? Das Wachstum Chinas hat sich in den letzten Monaten verlangsamt, die Wirtschaft kann den Zustrom an Arbeitskräften in den Industrie- und Dienstleistungsbereich nicht nachkommen. Die Beschäftigungszahlen in den USA mussten im August erneut nach unten korrigiert werden, wenn auch der Einkaufsmanagerindex (Maß für die Investitionsfreudigkeit der Unternehmen) etwas gestiegen ist. Das leichte Anziehen des Wachstums in Japan und England (in letzterem Land voraussichtlich nur 1% in diesem Jahr) kann die Weltwirtschaft bisher nicht nachhaltig ankurbeln. Die Weltwirtschaft steckt weiterhin in einem Niedrigwachstumsmodus fest, und noch wichtiger, das Wachstum ist so niedrig, dass die Arbeitslosigkeit in den größten Wirtschaften doppelt so hoch ist als vor der aktuellen Weltwirtschaftskrise und drei- und viermal so hoch in den angeschlagenen Wirtschaften Südeuropas. Profite und Arbeitslosigkeit Zugleich fahren österreichische Unternehmen wie die OMV und Mayr-Melnhof mächtige Profite ein. Kurzarbeit und niedrige Kollektivvertragsabschlüsse halfen den Unternehmen die Lohnkosten zu senken und die Profite zu maximieren. Die hohen Gewinne kommen nicht aus einer expandierenden Wirtschaft, sondern aus massiven Angriffen auf den Le-

Die Eliten um Angela Merkel haben keine Ahnung, wie sie die Krise bekämpfen sollen

bensstandard der Arbeiter_innen. Die hohe Arbeitslosigkeit drückt die Löhne nach unten. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse sprießen. Von 848.000 neu geschaffenen Arbeitsplätzen in den USA im ersten Halbjahr 2013 sind 813.000 Teilzeitjobs (96%). Die offiziellen Arbeitslosenzahlen sinken vor allem nur deshalb leicht, weil sich viele Menschen bereits vom Arbeitsmarkt zurückziehen. Hierzulande zieht die ÖVP mit der Industriellenforderung nach Arbeitszeitflexibilisierung, die die Werktätigen um ihr Einkommen bringen sollen, in den Wahlkampf, während die Arbeitslosenrate im August wieder angestiegen ist. Aber die Profite fließen nicht zurück in neue Investitionen, sondern werden gehortet. Unternehmen ziehen ihre Gewinne fast ausschließlich aus der gesteigerten Ausbeutung ihrer Arbeitskräfte, nicht aus der Investition in neue Wirtschaftsbereiche, die das System ausdehnen und neue Arbeitsplätze schaffen würden. Unklar bleibt, wie lange diese Situation noch andauern kann. Jeder weitere Angriff auf den Lebensstandard der Arbeiter_innenklasse kann der entscheidende Auslöser für eine Revolte sein. Griechenland, Türkei und Brasilien wird es früher oder später auch in Österreich spielen.

Der Kaiser trägt keine Kleider Bild: Andreas Klose

RE REVOLUTIONÄ

PRAXIS

Agitation und Propaganda

von Manfred ECKER

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b man sich als revolutionäre Organisation auf Propaganda konzentriert oder auf Agitation ist enorm wichtig zu klären. Obwohl es viele Überschneidungen gibt, soll Agitation ganz grob bedeuten, dass man damit etwas oder jemanden bewegen kann (vom Lateinischen agitare = aufregen, aufwiegeln) und Propaganda (etwas ausbreiten), dass man bestimmte Vorstellungen verbreitet oder widerlegt, populär macht, etc. Propaganda operiert viel stärker mit theoretischem Wissen und vielschichtigen Argumenten und

wird Agitation immer begleiten. Es kann aber auch sein, dass man sich auf Propaganda beschränken muss, wenn klar ist, dass aus verschiedensten Gründen man nicht imstande sein wird, etwas zu bewegen. Für Sozialistinnen und Sozialisten stellt sich immer die Frage, wie man das Klassenbewusstsein der Arbeiter_innen hebt, und damit die Kampfbereitschaft stärkt, den Organisationsgrad, die Kampfkraft und alles was mit einem höheren Klassenbewusstsein einhergeht. Die wichtigste Überlegung dabei ist, wie sich die Haltung der Arbeiter_innen tatsächlich ändert.

In dieser Serie erarbeiten wir uns das Rüstzeug für revolutionären Aktivismus

Erfahrung spielt hierbei eine überragende Rolle. Die Erfahrung von Solidarität lehrt in wenigen Momenten mehr, als ganze Bücher über dieses Phänomen es jemals könnten. Da das Bewusstsein der Arbeiter_innen widersprüchlich ist, einerseits beeinflusst von den Ideen, die von den herrschenden Eliten verbreitet werden, andererseits von Erfahrungen, die sie selbst machen und die oft den herrschenden Ideen widersprechen, kann nichts persönlich gemachte Erfahrung ersetzen. Darauf zielt Agitation ab, also jemand in Bewegung zu bringen. Bis z.B. ein Streik beginnt, werden

sehr viele Arbeiter_innen skeptisch sein, ob ihre Kolleg_innen durchhalten werden, solidarisch sein werden, etc. Wenn sie erleben, wie der Streik hält, wie entschlossen diejenigen sind an denen sie gezweifelt haben, dann wird das Wort Solidarität plötzlich etwas Konkretes, Greifbares für sie werden. Dann werden sie gleichzeitig empfänglicher für mehr, etwa für den Begriff Arbeiter_innenklasse, seine Geschichte, seine Bedeutung, etc. Um einen Streik aufzubauen braucht es geschickte Agitation, begleitet von konkreter Propaganda. Wenn wir als kleine sozialistische Organisation die Angestellten der

Eisenbahn zu einem Streik gegen die Ungerechtigkeit der Regierung aufrufen, dann ist das weder Agitation noch Propaganda, sondern bedeutungslose und abstrakte Scheinpropaganda. Wenn wir mithilfe von Unterschriftenaktionen helfen den Arbeitern zu demonstrieren, dass die Bevölkerung entgegen der Regierungspropaganda solidarisch zu ihnen steht, dann ist das wertvolle Agitation. Wenn wir dazu Material liefern, wie die Regierung Meinungen manipuliert, weshalb sie die Interessen der Bosse vertritt und andere Zusammenhänge aufklären können, dann ist das realistische und wertvolle Propaganda.


Linkswende September 2013

Simmering ist keine FPÖ-Hochburg

Kärntner FPÖ-Politiker wollen in die SPÖ und 30 ehemalige FPÖ-Politiker und -Funktionäre wollen in Kärnten der neuen Landeshauptmannpartei SPÖ beitreten. Der Bekannteste unter ihnen ist Reinhart Gaugg, der Jörg Haider beim „Innsbrucker Parteitag“ 1986 auf seinen Schultern trug und dann stellvertretender FPÖKlubobmann im Nationalrat wurde. Gaugg buchstabierte das Wort „Nazi“ mit „neu, attraktiv, zielstrebig, ideenreich“. Später fiel er durch finanzielle Probleme und durch alkoholbedingten Führerscheinentzug auf. SPÖ-Landesvorsitzender und Landeshauptmann Peter Kaiser stellte fest, für ihn sei es „nicht vorstellbar“, dass Gaugg SPÖ-Mitglied wird. Über die Mitgliedsanträge der Ex-Freiheitlichen wird der SPÖ-Landesparteivorstand entscheiden. Er ist gut beraten, sie samt und sonders abzulehnen.

Denn wie sagte SPÖ-Landesgeschäftsführer Daniel Fellner über die angeblich Bekehrten: „Die innere Wandlung kaufe ich ihnen nicht ab.“ Tatsächlich geht es um die Nähe zur Macht und damit verbundene Vorteile. Wobei die Aufnahme dieser Leute nicht nur den Opportunismus in der Kärntner SPÖ stärken würde, sondern auch jene Ewiggestrigen, die heute zurückgedrängt sind, aber lange dominierten. Buhlte doch der frühere SPÖ-Landeshauptmann Leopold Wagner (1927 – 2008) mit dem Bekenntnis „ich war ein hochgradiger Hitlerjunge“ um Wählerstimmen. Noch bis vor wenigen Jahren kursierte der Scherz, ein Kärntner Sozialdemokrat sei wie ein Punschkrapferl: außen rosarot und innen dunkelbraun. aus dem oö. Netzwerk gegen Rassismus und Rechtsextremismus

Distanzierung von Nazis unglaubwürdig

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ls Einträge der geschlossenen Facebook-Gruppe „Wir stehen zur FPÖ!“ öffentlich gemacht wurden, reagierte Strache wie üblich. Postings wie „Der ganze Muslime-Scheißhaufen gehört mit Benzin übergossen und angezündet“ sollten von politischen Gegnern stammen, die die FPÖ anpatzen wollten, und überhaupt hätte die FPÖ mit dieser Gruppe nichts zu tun. Dumm nur, dass hochrangige FPÖ-Politiker nachweislich in dieser Gruppe aktiv waren und verhetzende Postings gesehen wenn nicht gar verfasst haben. Andrea Kellner, Gemeinderätin der FPÖ, ist Administratorin dieser Gruppe und meint „jetzt erst recht“. Aber auch auf öffentlichen

Facebook-Seiten von FPÖ-lern ist einschlägiges Gedankengut prominent vertreten. Man erinnere sich an einen von Strache selbst geposteten Cartoon, der antisemitisch nachbearbeitet worden war, oder Propagandamaterial das von der neonazistischen AfP übernommen wurde. Und es sind regelmäßig FPÖ-Seiten, die rechtsextreme Postings anziehen. Wie etwa Christian P., der auf einen Beitrag Straches antwortet: „ja klar der holocause [sic] war schrecklich und hätte so nie passieren dürfen aber davon abgesehen wäre der krieg anders verlaufen hätten wir sicher ein besseres leben“

Eurofighter: Eigentor für Strache

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as Image der anständigen Alternative ist seit Langem dahin. Die Abgrenzung zu Haiders FPÖ/BZÖ brach mit dem Zusammenschluss mit der FPK zusammen. Jetzt wird verzweifelt versucht, sich als weniger korrupt als die anderen darzustellen. So sollen in „WIR ÖSTERREICHER – Das Bürgermagazin“ die dunklen Machenschaften der anderen Parteien aufgedeckt werden. Fünf Mal wird die Telekom Austria erwähnt, und damit den anderen Parteien

jener Sumpf vorgeworfen, in dem man selbst steckt. Die einstmalige FPÖ-Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer wird darin Stronach zugeordnet. 2007 klagte die FPÖ Riess-Passer erfolglos auf 600.000 Euro, wegen angeblich überzogener Spesen. Jetzt spekulierte er öffentlich über Korruption bei der Eurofighter-Beschaffung von Seiten der früheren FPÖ-Spitze. Auch das wird ihn nicht besser dastehen lassen.

Tschechien: Nazigegner mobilisieren gegen Angriffe auf Roma

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m 23. August mobilisierten mehr als 1.000 Antirassisten in ganz Tschechien gegen Aufmärsche und rechtsaußen Organisationen. In Ostrava, der drittgrößten Stadt des Landes,. Versuchten hunderte Faschisten von der genehmigten Route auszubrechen, um einen Stadtteil anzugreifen, in dem Roma leben. Mehr als eine Viertelmillion Roma leben in der Tschechischen Republik und Diskriminierung ist vorherrschend. Sie leiden unter der schlimmsten Armut im Land und stehen der Bedrohung von Progromen durch Nazis gegenüber.

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Die Stimmung gegen die FPÖ ist fantastisch. Wie Linke diesen Schwung ausnützen können, schreibt Peter HERBST.

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n der Wahlkampfzeit sprießen die blauen „Bürgerstände“ nur so aus dem Boden und verbreiten vor Bädern, in Einkaufsstraßen oder im Gemeindebau rassistische Propaganda. Man geht als Linker daran angewidert vorbei, ärgert sich über die unwidersprochene Präsenz der FPÖ und hat am Ende das Gefühl, als Antifaschist_in alleine zu sein. Dabei ist es eigentlich die überwältigende Mehrheit, die die FPÖ klar ablehnt. Diese Stimmung wollen wir sichtbar machen, um die Bewegung gegen Rechts zu stärken und den Blauen einen Dämpfer zu verpassen.

solche Aktion vorm Einkaufszentrum Anfang August kam gut an, und so beschlossen wir, die FP-Simmering bei ihrem Bürgerstand vorm Gemeindebau in der Pantucekgasse ebenfalls zu konfrontieren. Bei unseren vorangehenden Info-Touren durch den Gemeindebau waren die Reaktionen sehr positiv gewesen. Viele waren erfreut, dass jemand etwas gegen die FPÖ unternimmt und die mehrheitliche Ablehnung der Rechten sichtbar macht. Bloß eine ältere Frau hätte beinahe wieder die Tür zugemacht, weil sie im ersten Moment glaubte, wir würden für die FPÖ werben. Und dann waren da noch ein paar FPÖSympathisanten – die grantelten ein wenig, bevor sie die Tür zuwarfen.

ßen sich das nächste Mal gar nicht mehr blicken. Vielleicht waren sie durch die Presseaussendung des FPStrategen Herbert Kickl verschreckt, der Linkswende als „linksextremen Schlägertrupp“ bezeichnete, nachdem wir die Präsentation des Films „20 Jahre Österreich zuerst“ mit einer Aktion gestört hatten. Im Film zur Feier des Ausländervolksbegehrens 1993, spazieren Hilmar „Hump-Dump“ Kabas und Andreas „Umvolkung“ Mölzer durch Simmering und stellen fest, wie zuwider ihnen der Bezirk ist. Wir kommen wieder!

Aber die Konfrontation durch FPÖGegner_innen kann doch nicht der Grund für das Nichtauftauchen der FPÖ gewesen sein? Landtagsabgeordneter Manfred Hofbauer meinte Aktion „Brauner Sack“ schließlich, dass sich die FPÖ durch Doch die beste Theorie ist nutzlos, uns „keinen Millimeter vom eingewenn man sich damit nicht vor die schlagenen Weg abbringen lässt“. VielFPÖ-Rückzieher Haustür wagt, und so beschlossen leicht haben die Freiheitlichen einfach wir, in diesem Sommer Simmering Die Simmeringer Freiheitlichen lie- nicht hingefunden? Falls sich die einen Besuch abzustatten. FP-Simmering noch nicht Am 6. Juli leisteten wir so gut im Bezirk auskennen das erste Mal der dortisollte, dann kommen wir gen FPÖ-Bezirksgruppe das nächste Mal gerne vorim Wahlkampf vorm bei, um sie abzuholen und Einkaufszentrum Gesellhinzuführen. Schließlich ist schaft. Sie hält dort schon eine Anti-FPÖ-Aktion ohne die längste Zeit unbehelFPÖ nur der halbe Spaß. ligt ihre so genannten Die FPÖ kommentierte Bürgerstände ab und war unsere Aktion mit: „Vielsichtlich ratlos, als wir ihr leicht kapieren hiermit die die Politik der eigenen linken Berufsdemonstranten, Partei vorhielten. Den dass sie in Simmering keinen Passant_innen hielten Auftritt haben und bei der wir hingegen Müllsäcke Bevölkerung unerwünscht entgegen, in denen sie das sind.“ Das hat beinahe den freiheitliche WerbemaKlang eines jammernden terial prompt entsorgen Kindes, das sich wünscht, konnten, was viele auch dass die garstigen Mentaten. Fröhliche Gesichter schen bald weggehen. Wir und interessante Gesprähoffen, dass niemand zu che an unserem Stand, weinen anfängt, müssen ratlose und verstockte wir doch mitteilen, dass die FPÖler ein paar Meter FPÖ bis auf Weiteres mit weiter. Auch die zweite Die Aktion „Brauner Sack“ war ein Hit in Simmering uns rechnen darf. Foto: Linkswende

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Mitten in Österreich: Rassistische Angriffe auf Roma

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nfang September versuchte eine Gruppe Roma in Anthering in Salzburg zu campieren. Der Besitzer des Grundstückes veröffentlichte einen Schimpftirade auf Facebook, und innerhalb kürzester Zeit häuften sich dort rassistische Kommentare und sogar Mordaufrufe. Der Blog „rfjwatch“ beobachtete die Reaktionen im Internet und stieß auf Vorschläge wie: „Mauthausen als neuer Campingplatz für solche Leute?“ Ein anderer will eine

Bürgerwehr gründen und mit Baseballschlägern auf die Gruppe losgehen. Der Bauer bringt schließlich absichtlich Gülle auf das Feld, um sie zu vertreiben. Walter Rainer, FPÖ-Obmann von Anthering und Facebook-Freund des Welser Neonazis Ludwig Reinthaler, begrüßt deren Abzug: „Diese Gfraster wollen wir in Anthering nie mehr sehen!“ Dieselbe Gruppe Roma kommt dann auf einem Grundstück unter, das ihnen die Gemeinde Bischofshofen zur Verfügung stellt. Doch dort geht die Hetze weiter. Etwa 20 auf Facebook aktive Personen, vor allem junge Männer, versuchen die Roma zu vertreiben und beschimpfen sie offenbar mit rechtsextremen

Parolen. Trotz Einsatzes der Polizei kam es zu Beschädigungen an Fahrzeugen. Diesmal entdeckte stopptdierechten.at das Posting eines Pablo Hatz: „Do brauchma die Endlösung.“ Ein anderes Posting schlägt vor „Vielleicht brennt ja auch mal ein Wohnwagen ... dann trauen sich die nicht mehr her“. Die Roma sind inzwischen weiter gezogen. Am 8. April meinte Alt-Kanzler Vranitzky bei einer Parlamentsfeier zum internationalen Tag der Roma: „Es ist eine Schande, was in einigen unserer Nachbarländern passiert.“ Doch Hetze gegen Roma ist auch längst wieder mitten in Österreich angekommen und wird von der FPÖ angefeuert. Acht Tage nach Vranitzkys Rede, entfernte die Polizei in Linz – auf Betreiben aus Jobbik-Kreisen – Plakate, die sich mit der Diskriminierung von Roma auseinandersetzten.

Slowakei: Mauer trennt Bevölkerung

n Košice, der zweitgrößten Stadt der Slowakei, wurde diesen Sommer eine Mauer gebaut, um Roma vom Rest der Bevölkerung zu trennen. Sie ist die achte derartige Mauer seit 2009 und die vierzehnte in der Slowakei überhaupt. „rfjwatch“ deckt auf: Hetzerische Kommentare und Postings auf Facebook-Seiten der FPÖ


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September 2013 Linkswende

Postfach

Die hier veröffentlichten Briefe und Berichte repräsentieren nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion von Linkswende.

Foto: Fritz Dämon

FPÖ – Nie wieder!

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allo, mein Name ist Madina und ich komme aus Tschetschenien. Es gibt nicht viele die sich so gegen Rassismus einsetzen wie Sie.

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m 3. September 2013 war HC SStrache (ja, mein neues Autokorrekturprogramm erkennt auch die politische Einstellung von Personen) in Wr. Neustadt um seine Hassreden unter das Volk zu bringen. Wir von „FPÖ – nie wieder“ und „Nazis raus aus dem Parlament“ nahmen dies zum Anlass und organisierten kurzfristig eine Veranstaltung, ebenfalls am Hauptplatz von Wr. Neustadt, zur selben Zeit wie der Hassprediger SStrache um die Menschen aufzuklären in welchem braunen Sumpf sich SStrache und die F(aschisten)PÖ bewegt. Trotz der kurzen Vorbereitungszeit von nicht einmal 48 Stunden waren ca. 20 Manifestanten am Hauptplatz um 17:30 anwesend. Wir sprachen die Menschen an um ihnen klarzumachen, was hinter der Mogelpackung der Freiheitlichen Partei Österreichs wirklich steckt, nämlich eine faschistoide Ideologie die viele Parallelen mit der NPD hat. Wir bekamen viel positives Feedback von den Menschen, mehr als negatives, und die Anmeldung der Kundgebung wurde zügig von der Polizei bearbeitet.

Das Wahlprogramm der Faschisten, soweit man überhaupt von Programm sprechen kann, besteht rein aus Hetze gegen unsere MitbürgerInnen mit Migrationshintergrund, Muslime und Asylanten. Das hat nichts mit Nächstenliebe zu tun und auch nichts mit christlichen Werten deren Wichtigkeit fürs Abendland SStrache immer wieder betont. Wir von den beiden Plattformen sind gegen Rassismus und Homophobie und veranstalten daher am 27. September 2013 in Wien, Treffpunkt um 16:30 vor der Oper eine Demonstration unter dem Motto „Keine Stimme dem Rassismus“. Wir marschieren anschließend Richtung Stephansplatz, wo das Wahlkampffinale der FPÖ stattfindet. Nähere Infos gibt es auf Facebook. Wir freuen uns wenn auch DU dabei bist! Wolfgang Auer Mehr Infos zur Demonstration: on.fb.me/15DG722 rassismus-stoppen.at

Mein Freund, der Schlepper

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ch schreibe euch den Brief, weil diese ganze Diskussion über Schlepper mich irrsinnig aufregt. Ich kenne einen Schlepper. Nennen wir ihn Thomas. Ich habe ihn kennen gelernt als er frisch aus der Haft entlassen wurde und wieder am Weg zu einer Betreuungseinrichtung war, die ihm dabei helfen sollte einen Job und eine eigene Unterkunft zu finden. Er wurde wegen des „Verbrechens der Schlepperei“ zu zwei Jahren Haft verurteilt, nach etwas mehr als einem Jahr kam er auf Bewährung frei. Nach meinem Empfinden und so wird es den meisten Lesern gehen, saß er völlig zu Unrecht ein, sein Verbrechen war eine Mischung aus Lausbubenabenteuer und Akt der Menschlichkeit. Er ist in einem Dorf an der Grenze zur Tschechoslowakei aufgewachsen. Von einem Tag auf den anderen sind in diesem Dorf Soldaten durchmarschiert um Flüchtlinge abzufangen. Sie haben Hochstände gebaut und haben nicht nur die Ufer von dem Grenzfluss beobachtet, sondern auch noch den Wald und die Wiesen weiter im Land. Manchmal hat Thomas selbst mit angesehen, wenn die Gendarmen angerückt sind um die Flüchtlinge zu verhaften und

abzutransportieren. Er hat selbst zugegeben, dass er keine Ahnung hatte, woher diese Leute kamen oder wohin sie wollten, sie haben ihm nur wahnsinnig leid getan. Irgendwann hat es ihm gereicht und er ist auf die andere Seite vom Fluss und hat dort auf die Flüchtlinge gewartet. Irgendwie haben sie sich ausdeutschen können, er hat nämlich genau gewusst, wann und wo sie über die Grenze und über die Wiesen gehen konnten ohne erwischt zu werden. Und es hat auch funktioniert, mehrere Monate lang hat er das gemacht. Bis er eines Tages zusammen mit ein paar Flüchtlingen erwischt worden ist. Ein Jäger soll die Gendarmerie gerufen haben und das wars dann – ab ins Gefängnis und Untersuchungshaft bis zur Verhandlung, wie ein Schwerverbrecher. Für mich und eigentlich für alle, denen ich diese Geschichte erzählt habe ist Thomas ein Held. Ich war nicht beim Prozess dabei, aber so wie Thomas mir die Verhandlung geschildert hat, sind der Richter und die Polizisten, die seinen Fall so arg aufgebauscht haben die eigentlichen Verbrecher. Sie haben Thomas Leben ruiniert. Peter Kiss

Ich möchte danke sagen Ich möchte danke sagen, dass Sie sich so sehr bemühen Rassismus aus der Welt zu schaffen. Wenn ich Zeit habe, werde ich auch versuchen bei euren De-

mos dabei zu sein. Weiterhin viel Glück und Danke! Schöne Grüße, Madina

Wir können die FPÖ vertreiben!

ch heiße Jenny, wohne in Simmering und wie die meisten in Österreich, hasse ich die FPÖ. Es macht mich wütend, jeden Tag beim rausgehen Hetzplakate mit Strache zu sehen – wenn das der erste Mensch ist den ich am Morgen sehen muss, dann Prost Mahlzeit! Eines Tages ging ich mit zwei Freundinnen die Geiselbergstraße entlang, um Zigaretten zu holen und sich mit einem Bekannten zu treffen. Ich wetterte über genau dieses Thema, als meine Freundin meinte: „Da sind sie eh, die FPÖler!“ Tatsächlich, auf der anderen Straßenseite hatte sich ein FPÖ-Stand breit gemacht. Jetzt reichte es wirklich! Sofort rief ich auf die andere Straßenseite: „Scheiß Nazis! Schleichts euch von meinem Bezirk!“, und als sie mich gesehen hatten, setzte ich einen Psychopathengesichtsausdruck auf, stemmte die Hände in die Hüften und schrie aus voller Lunge: „SCHEISS NAZIS! SCHEISS FPÖ! KEINER BRAUCHT EUCH HIER! SCHLEICHTS EUCH! NIEDER MIT DER FPÖ!“ Meine Freundinnen hielten sich die Hand vor den Mund und kicherten. Da kam der glatzköpfige und tätowierte Bekannte, sah mich verwundert an und meinte: „Was tust du da bitte?!“ Vielleicht trug ja auch er zur Abschreckung bei. Als wir jedenfalls zwei Minuten später zurück

kamen, war der FPÖ-Stand wie vom Erdboden verschluckt! Die waren vor uns geflüchtet! Ein Wunder, wie die all ihre Flyer, Broschüren usw. so schnell zusammenpacken konnten. Es ist ganz einfach die FPÖ zu verjagen. Man braucht nur ein paar Leute und Selbstbewusstsein, um die Ärsche ordentlich zu konfrontieren, ihnen zu zeigen, dass man sie nicht will. So einfach ist das. Sofort am selben Tag noch erzählte ich meinen Linkswendegenossen davon. Ich sagte ihnen auch, dass Simmering durch und durch übersäht ist von StrachePlakaten, auf denen oft steht: „SCHEISS RASSIST!“ Nun wollten wir also ausprobieren, ob Simmering wirklich die Hochburg der Nazis ist (wie immer behauptet), oder ob es auch dort vielleicht doch genug Menschen gibt, die gegen die FPÖ sind. Wir meldeten einen Infotisch am Enkplatz an – genau zu der Zeit und an dem Ort, wo die FPÖ ihren Stand hatte. Dann begannen wir mit der Aktion „Brauner Sack“. Zwei von uns hielten riesige, blaue Müllsäcke. So gaben wir den Menschen die Möglichkeit, die hetzerische Wahlwerbung gleich demonstrativ bei uns in die Säcke zu schmeißen und um ein paar Gramm Müll leichter nach Hause zu kommen. Den braunen Müll ins blaue Sackerl – so wie

die FPÖ außen blau und innen braun ist. Die Bilanz: Viele Menschen haben ihren Müll bei uns entsorgt. Es gab sogar welche, die 2-3 mal zum FPÖ-Stand gingen um sich Material zu holen und es anschließend in unser Sackerl zu befördern. Die Leute lächelten uns zu und streckten die Daumen hoch. Man spürte so richtig, dass sie froh waren, dass es Menschen gibt, die sich offen gegen die FPÖ stellen. Doch mit einem Mal ist es nicht getan. Jedes Mal, wenn die FPÖ auf den Gedanken kommt am Enkplatz einen „Bürgerstand“ zu machen, sind auch wir dort. Und jedes Mal sind die meisten Menschen mit uns solidarisch, und die FPÖler müssen sich rechtfertigen. Nun starren sie uns jedes Mal verzweifelt an, anstatt für ihre Partei zu werben. Dass sich die FPÖ als Ganzes in der Defensive befindet, macht die Situation noch besser. Aber das reicht nicht. Umso mehr Menschen Solidarität zeigen, umso mehr sich gegen die FPÖ stellen, desto wirkungsvoller sind diese Aktionen. Also mach auch du mit! Zeigen wir der FPÖ, wo ihre rassistische Wahlpropaganda hingehört und bringen wir den guten Beginn zu einem guten Ende. NIEDER MIT DER FPÖ! Mach mit bei der Aktion BRAUNER SACK! Jenny

Foto: Linkswende

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Linkswende September 2013 USA

Detroit ist eine Warnung

„I ’m NOT loving it!” McStrike wird größer

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Bild: Yves Marchand Romain Meffre

ahrzehntelang war Detroit das absolute Zentrum der weltweit führenden US-Autoindustrie. Die gewerkschaftlich hochgradig organisierte Arbeiterschaft der Stadt beanspruchte in den 1960er-Jahren das landesweit höchste Durchschnittseinkommen pro Kopf für sich. Die Stärke von “Motor City”, dem Herzen der amerikanischen Industrie, erschien unzerstörbar. Doch die Profitgier des Neoliberalismus wirtschaftete die Stadt innerhalb weniger Jahrzehnte so herunter, dass Michael Moore sie in seiner Dokumentation “Fahrenheit 9/11” mit irakischem Kriegsgebiet verglich.

Ehemalige Fabrik in Detroit

und Chrysler) verlagerten ihre Produktion nach und nach aus den Industriezentren des Nordostens und des Mittleren Westens in den Süden der USA, wo die Löhne viel geringer und die Gewerkschaften viel schwächer waren.

Detroits Niedergang Schon ab dem Ende der 1960erJahre begann sich Detroit rasant zu verändern. Die Fabriksarbeit wurde zunehmend automatisiert und viele Arbeitsplätze verlagerten sich auf Dienstleistungsjobs am Rande der Stadt. Wer es sich leisten konnte, zog ins Umland. In einer Abwärtsspirale führten zurückgehende Steuereinnahmen zu immer schlechteren öffentlichen Einrichtungen und Dienstleistungen, was wiederum die Abwanderung ankurbelte. Doch diese “weiße Flucht” von Ober- und Mittelschichtsfamilien in die Vororte war auch ein Ausdruck des Rassismus, der nach einer Revolte 1967 zu einem Höhepunkt kam. Bald war die Region tief gespalten in ein verarmtes, schwarzes Zentrum und einen wohlhabenden, weißen Speckgürtel. Gleichzeitig begann die Autoindustrie eine Umstrukturierung, weil ihre Profite aus der Industrie zurückgingen. Die “Großen Drei” (General Motors, Ford

Todesstoß Neoliberalismus Doch erst unter dem neoliberalen Präsidenten Reagan bekamen sie den offiziellen Freibrief, ganz nach ihren Profitinteressen (die Konkurrenz japanischer Autohersteller schadete den US-Riesen) und auf dem Rücken der Arbeiter_innen zu handeln. Mit dem Ziel Steuern und Regulierungen möglichst zu reduzieren und vor allem die Sozialausgaben drastisch zu senken stellte sich der Staat eindeutig in den Dienst der Kapitalisten. Um denen die Macht zu geben, ihre Standorte und Fabriken nach Belieben zu verlagern oder zu schließen, mussten die Gewerkschaften ein für alle Mal brutal zerschlagen werden. Der Höhepunkt dieses Unterfangens war die von Reagan von langer Hand geplante Niederschlagung des Fluglotsenstreiks

1981, als ausgerechnet eine der stärksten Gewerkschaften des Landes am Ende unter anderem mit 13.000 entlassenen Streikenden, zahlreichen Verhaftungen und beschlagnahmter Streikkasse aus ihrem Arbeitskampf hervorging. Gewerkschaften im ganzen Land war klar, dass der Präsident an den Fluglotsen ein Exempel statuiert hat, das gegen sie alle gerichtet war. Tatsächlich wurden Arbeiter_innen in den USA in den folgenden Jahrzehnten rundherum ihrer Rechte und vor allem ihres Selbstbewusstseins beraubt. Heute sind nur mehr 12% der US-Arbeiterklasse gewerkschaftlich organisiert – 1952, als Reagan selbst Vorsitzender der FilmschauspielerGewerkschaft war, war es immerhin noch ein Drittel. Geisterstadt In Detroit verschwanden so nicht nur einfach Jobs, sondern auch die Kämpfe gegen den Abbau. Die Einkommen gingen seitdem allgemein massiv zurück, die Arbeitslosigkeit blieb extrem hoch (und liegt heute auf einem mit Griechenland

vergleichbaren Level, wobei die nicht beschönigten Zahlen weit höher sein dürften). Heute sind 40% der Fläche von Detroit unbewohnt, einstige Prestigebauten wie Wolkenkratzer und Theater sind ebenso wie alte Fabriken, Schulen oder Stadthäuser meist nur mehr Ruinen. Besonders das schwarze Zentrum wurde buchstäblich ausgehungert und gilt inzwischen als “food desert”, was nichts anderes bedeutet, als dass im gesamten Stadtgebiet kein einziger gut oder gar mit frischen Lebensmitteln ausgestatteter Supermarkt mehr zu finden ist. Die Kindersterblichkeit in Downtown-Detroit entspricht der von Sri Lanka. Im April meldete die Stadt – mit zirka zwölf Milliarden Dollar Schulden – endgültig Bankrott an. Die Frage scheint nun nicht mehr zu sein, ob Detroit wieder einen Aufschwung erwartet, sondern ob es seine verbliebenen paar hunderttausend Einwohner_innen halten kann. Griechenlands Zukunft? Eine Warnung ist Detroits Schicksal allemal. Die Mächtigen in der EU versuchen in der heutigen Krise genauso verzweifelt wie die Industriellen in den USA damals, die Kosten ihrer hausgemachten Probleme auf die Arbeiter_innen abzuwälzen. Doch zwischen Detroit und Griechenland besteht auch ein gewaltiger Unterschied: Die griechische Arbeiterbewegung ist weiterhin sehr gut organisiert und die kämpferischste in ganz Europa. Sie ist noch ein Garant des Widerstands, den die Troika nicht so effektiv demoralisieren konnte, wie sie sich das vorgestellt hat.

ÖSTERREICH

Neues Lehrerdienstrecht ist eine Frechheit

Solidarität mit den (Jung-)Lehrern!

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Bild: Initiative für ein faires Lehrerdienstrecht

ie Regierung hat im neuen Lehrerdienstrecht absichtlich einen Wolf im Schafspelz zur Verhandlung gebracht, mit dem sie sich fortschrittlich gibt und gleichzeitig bei einer unbeliebten Berufsgruppe Sparpläne durchsetzen will. Einerseits wird mit der einheitlichen Besoldung und Ausbildung von allen Lehrer_innen endlich die rechtliche Basis für eine Gesamtschule geschaffen. Andererseits will man Junglehrer_innen zu viel längeren Arbeitszeiten verpflichten, was prompt mit Protesten einer „Initiative für ein faires Dienstrecht für Lehrerinnen und Lehrer“ beantwortet wurde. Anstatt dass wie bisher Volks-, Haupt- und Sonderschullehrer vom Land – weitaus geringer – bezahlt werden als die vom Bund bezahlten

Gymnasial- und Berufshochschullehrer, ermöglicht ein gemeinsames Dienstrecht auch prinzipiell die Einrichtung einer gemeinsamen Schule für alle Kinder und eine Aufwertung der Landeslehrer_innen. Weniger Geld und mehr Arbeit Diese (und noch andere) progressive Teile der Gesetzesvorlage hat die Regierung aber bewusst an einen Angriff auf die Lehrer_innen gekoppelt. Der Großteil von ihnen wird nach der neuen Regelung auf die gesamte Dienstzeit gerechnet deutlich weniger verdienen als zuvor. Vor allem aber wird gegen diesen geringeren Lohn ihre Lehrverpflichtung von 21 auf 24 Stunden angehoben. Bei diesem Unterrichtspensum (das ja nur einen Teil

Bild: Fast Food Forward

Für Generationen war Detroits boomende Autoindustrie ein Musterbeispiel für den “Amerikanischen Traum”. Davon ist heute nur mehr eine bankrotte Geisterstadt übrig: Verlassene Gebäude, Massenarbeitslosigkeit und Armut. Könnte das Griechenland in wenigen Jahren sein, fragt Hannah KRUMSCHNABEL.

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ach Streiks in Fastfood-Restaurants an 70 Standorten im April, gingen bereits im Juli und ein weiteres Mal Ende August wieder Arbeiter_innen in den USA für einen eintägigen Streik auf die Straße. Wieder hat sich die Bewegung ausgeweitet und schließt jetzt schon 60 Städte ein. Seit November 2012 dauert damit der Kampf der Arbeiter_innen um faire Bezahlung – namentlich eine Verdoppelung auf 15 Dollar pro Stunde – schon an. Das Besondere daran ist nicht nur, dass eine Branche, die gewerkschaftlich kaum organisiert ist, nun gemeinsam um ihre Rechte – unter anderem für das Recht, sich als Arbeiter_innen zu organisieren – kämpft. Auch, dass die Beschäftigten verschiedenster Staaten, Städte und Restaurants es geschafft haben, die großen Fastfood-Ketten geschlossen und gleichzeitig zu konfrontieren, ist an sich ein riesiger Erfolg. Und gerade, dass sich in vergleichsweise abgelegenen bzw. abgewirtschafteten Gegenden des Landes und ausgerechnet im Niedriglohnsektor organisierter Widerstand entwickelt, lässt einen Hoffnungsschimmer auf ein Wiedererstarken des Klassenbewusstseins und der amerikanischen Gewerkschaftsbewegung entstehen. Wie schon bei den diesjährigen Streiks bei Walmart und anderen Handelsketten geht es auch den Aktivist_innen im “McStrike” neben handfesten Lohnforderungen um Respekt für ihre harte Arbeit. Die angegriffenen Fastfood-Ketten schmettern die Forderung der Streikenden bisher mit dem Argument ab, dass höhere Lohnkosten auf höhere Produktpreise umgeschlagen werden müssten und dies dem Wachstum der Unternehmen schaden würde. Die Organisation “Fast Food Forward” hält mit einer simplen Rechnung dagegen: 11.000 Dollar Jahresgehalt stehen einem jährlichen Gewinn der Fastfoodindustrie von 200 Milliarden Dollar gegenüber. Arbeiter_innen verdienen in einem Job in McDonalds und Co damit durchschnittlich nur ein Viertel dessen, was sie zum Leben brauchen.

der tatsächlichen Wochenarbeitszeit von Pädagog_innen ausmacht) ist qualitativ hochwertiges Lehren trotz anderslautender Propaganda tatsächlich kaum noch zu schaffen. Das trifft am härtesten diejenigen Lehrpersonen, die sich besonders engagieren, und es trifft erst recht die Junglehrer_innen, die nicht auf langjährige Erfahrung und große Materialsammlungen zurückgreifen können. Auf sie zielt auch ein weiterer Angriff des neuen Lehrerdienstrechts: Das Praxisjahr, in dem man bisher betreut von erfahrenen Kolleg_innen und mit geringer Lehrverpflichtung (und wenig Gehalt) in den Beruf einsteigen konnte, wird gestrichen – Studienabsolvent_innen sollen nun direkt von einem an Praxis und didaktischer Ausbildung

armen Studium ins kalte Wasser geworfen werden. Einige Berufseinsteiger_innen haben sich deshalb in den letzten Wochen organisiert und in einer Protestaktion auf die Seiten des Lehrerdienstrechts hingewiesen, die keinem gefallen können, der für bessere Bildung eintritt. Erhalten haben sie dafür von den Medien – wie schon die Lehrergewerkschaft, die „Mehr Arbeit für weniger Lohn“ zu Recht nicht akzeptiert – nur Häme. Doch weder berechtigte Kritik an der konservativen Gewerkschaft, noch die zu begrüßende Seite des gemeinsamen Dienstrechts rechtfertigt es, die Schulbildung auf dem Rücken der Lehrer_innen und letztlich auch der Schüler_innen noch kaputter zu sparen, als sie es jetzt schon ist.


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September 2013 Linkswende

Permanente Revolution im Nahen Osten Auszüge aus einem Vortrag auf Marxism 2013 in London von Sameh NAGUIB, einem Anführer der Revolutionären Sozialisten Ägyptens. Ungleichheit bedeutet nicht bloß die Ungleichheit kapitalistischer Entwicklung, es ist auch die Ungleichheit des Bewusstseins, der Grad an Politisierung, der Grad an Militanz. Das Land besteht nicht nur aus der Arbeiterklasse, es gibt alle möglichen Gliederungen der Bevölkerung, die Kleinbauern, die Arbeitslosen usw., besonders in den kleineren Städten, die erst anfangen sich zu politisieren und sich der Revolution anzuschließen. Foto: Hossam El-Hamalawy

Illusionen zerbrechen

Geldgeber der Konterrevolution

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evolutionen finden nicht in einem Vakuum statt, sie ereignen sich in einem internationalen Zusammenhang. Warum es 2011in Ägypten und Tunesien eine Revolution gab und nicht 2007 oder 2000, hat mit dem internationalen Kontext und der weltweiten Krise zu tun. Ägypten und Tunesien sind Satelliten der USA und gut in den weltweiten Kapitalismus integriert. Deshalb wird es keine Krise geben, solange nicht etwas im internationalen System passiert. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass diese Revolution sehr nahe an den Hauptquellen für Öl stattfinden. Und diese Quellen – Saudi Arabien, Katar, die Emirate usw. sind nicht nur aufgrund ihres Erdöls und Erdgases wichtig, sie wurden auch als Investoren, als Zentren der Weltfinanz, weil sie so viel Überschüsse ansammelten, extrem wichtig. Dass nun das zukünftige Herz des Weltfinanzsystems von Revolutionen umringt ist, ist eine sehr gefährliche Situation. Und das ist der Grund, warum Saudi Arabien und die Emirate die zentrale konterrevolutionäre Rolle in der Region spielen. Insbesondere in Ägypten haben sie die Generäle mit Geldmitteln versehen. Sie bezahlen nicht um die Muslimbrüder loszuwerden, sie zahlen für eine volle Konterrevolution, deshalb kann die Revolution nur gelingen, wenn auch diese Regimes stürzen. Ungleiche Erfahrungen Der andere Aspekt ist, dass sich Kapitalismus in einer ungleichen und verschränkten Art entwickelt. Er entwickelt sich nicht linear. In Ägypten hat man hoch industrialisierte Regionen, speziell die Städte, wo sich das Kapital konzentriert und die besonders stark in die Weltwirtschaft integriert sind, und andere Regionen die in der kapitalistischen Entwicklung weit zurück sind. Analphabetismus und Arbeitslosigkeit sind im Süden weit höher, Investitionen in die Infrastruktur sind viel niedriger. Und das spiegelte sich in der ägyptischen Revolution in den Orten wieder, an denen sie stattfand und von wo aus sie geführt wurde. Das waren die weiter fortgeschrittenen Städte im Norden Ägyptens. An der ersten Welle der Revolution hatten der Süden und die ländlichen Gegenden keinerlei Anteil, es war zur Gänze ein urbanes Phänomen, an dem hauptsächlich Arbeiter und Studenten teilnahmen.

Das wirft alle möglichen Fragen auf. Die Leute sagen: „Ah, die Leute unterstützen jetzt das Militär ...“ Nein, es ist diese jüngst politisierte Teil, der nicht die Erfahrung gemacht hat, dem Militär gegenüber zu stehen, der noch immer Illusionen in das Militär hegt, aber diese Illusionen schwinden rasch. Aber zuallererst schwinden sie nicht von alleine, und die weniger entwickelten Teile treten nicht automatisch mit den höher entwickelten und militanteren in Kontakt, bloß weil man dies erwartet. Das passiert nicht von alleine, das braucht Organisation, das braucht Intervention. Wie soll man diese Ungleichheit überwinden, und wie kann man all die Massen, die von den Islamisten beeinflusst waren, die falsche Hoffnungen in die Islamisten hatten, gewinnen? Führung und Organisation Und wie kann man die Führung vereinen? Es gibt eine Führung in der ägyptischen Revolution! Es gibt hunderttausende junger Menschen, die sich politisiert haben und in der Kunst der Revolution erfahren wurden, die die tatsächliche Führung der Revolution darstellen. Die Frage ist: wie vereinst du diese Akteure, wie vereinst du diese Vorhut? Und ich rede nicht nur von den Menschen am Tahrir und auf den Plätzen und in den Straßen. Ich rede von den Leuten an den Arbeitsplätzen, die an den Streikwellen beteiligt waren. Sie sehen sich und ihre Streiks als Teil der Revolution, aber nicht notwendigerweise ihre eigene Führungsrolle. Das Problem der arabischen Revolutionen ist ein Problem von Führung. Die Massen sind da, sie gehen auf die Straßen und es sind Millionen. Die Arbeiter sind da und verhindern komplett, dass der Staat funktioniert. Die Frage ist, wie man all diese Kämpfe miteinander in einer organisierten Weise verbindet, wie man erfolgreich interveniert und zumindest die ersten Kämpfe darum beginnt, den kapitalistischen Staat niederzureißen.

Eine kurze Geschichte des Islamismus in Ägypten Phil MARFLEET beschreibt die Ursprünge des politischen Islam, der im Widerstand gegen Kolonialismus seine Wuzeln hat und erklärt seine Weiterentwicklung am Beispiel der Muslimbruderschaft Ägyptens.

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er Begriff Islamismus sollte nicht bloß auf politische Kräfte angewendet werden, die mittels Religion eine autoritäre Herrschaft rechtfertigen, wie etwa die Könige und Emire der Golfstaaten. Er ist auch ein nützliches Stichwort für politischen Aktivismus im Kontext islamischer Traditionen, für Reformbewegungen in modernen Staaten. Das macht Islamismus im Wesentlichen zu einem modernen Phänomen. Die Wurzeln des Islamismus liegen in Ägypten, wo drei historische Momente in der Entwicklung der Bewegung stattfanden: Der Iraner Jamāl ad-Dīn Asadābādī (1838/39-1897) gilt als geistiger Vater des modernen politischen Islam. Er nannte die lokalen Herrscher fügsam und rückgratlos gegenüber den europäischen Kolonialmächten, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts in den Nahen Osten eindrangen. Asadābādī meinte, dass diese Herrscher die schlechtesten Eigenschaften der europäischen Gesellschaft einführten, insbesondere Nationalstaat und Ideologien. Diese Ideologien würden die Menschen auf der Basis von Sprache, Glaubensrichtung und „Rasse“ trennen. Er trat für eine Gemeinschaft aller Muslime ein. Asadābādī war ein wichtiger Propagandist, war jedoch nicht in der Lage eine Bewegung anzustoßen. Gegen Besatzung und Zionismus Die zweite Phase beginnt Ende der 1920er. Nachdem eine Millionenbewegung jahrzehntelang gegen die Briten Widerstand geleistet hatte, gründete Hassan Al-Banna die Muslimbruderschaft. Im Kontext des Islams, trat sie für die Unabhängigkeit Ägyptens und unterstützte den Kampf der Palästinenser gegen die britische Besatzung und die zionistische Bewegung – der Islamismus nahm seinen Lauf. Je schwächer die pseudo-unabhängige, nationalistische Regierungspartei Wafd wurde – und mit ihr die aufstrebende Linke die auf die setzte – desto stärker wurden die Muslimbrüder. In der Bruderschaft herrschten jedoch von Beginn an tiefe Widersprüche. In der Führung saßen kleine Geschäftsleute, Lehrer und leitende Beamte. Anfang der 50er Jahren mobilisierte sie Millionen von Arbeitern, Kleinbauern und Arme in Demonstrationen und Massenstreiks gegen Regierung und Monarchie. Selbst zu diesem Zeitpunkt wollte die Bruderschaft nicht mehr als die Unabhängigkeit in einem reformierten, kapitalistischen Staat mit islamischer Färbung.

Foto: Socialist Workers Party

Und nun nahm der Islamismus eine weitere Wende. Ein Insasse in einem von Nassers Lagern, Sayyid Qutb entwickelte eine neue Theorie des islamischen Aktivismus. Er argumentierte, dass alle modernen, muslimischen Herrscher so korrupt waren, dass sie entfernt werden mussten. Das Mittel dazu war Dschihad, durchgeführt von einer geheimen Vorhut Strenggläubiger. In Abwesenheit von Massenbewegungen, sollten diese Untergrundzellen auf das Volk einwirken und eine Massenbewegung gegen die arabischen Herrscher in Gang setzen. Auch diese Dschihad-Bewegung wurde von Nasser, und danach Sadat, unterdrückt und blieb wirkungslos. In den 80ern wuchs die Bruderschaft schließlich sprunghaft an, und wurde zu einer Bewegung nach den Vorstellungen Al-Bannas und zu einer Massenopposition gegen Mubarak. Islamismus startete also als Reaktion auf die Kolonialherrschaft und deren Wirtschaft, zuerst im Widerstreit gegen die bourgeois-nationalistische Wafd, später gegen die radikal-nationalistische Bewegung Nassers, und als Reaktion auf die Palästinafrage. Auch wenn der Aufstieg des Islamismus mit dem Versagen der Linken zu tun hatte, so ist seine Geschichte doch eine völlig andere, als jene der faschistischen Bewegungen in Europa. An der Revolution gescheitert

Seit den Zeiten von Hassan Al-Banna hatte die Muslimbruderschaft einen sehr konservativen Kern. AlBanna hat wiederholt große Gruppen mit riesigen Erwartungen in soziale Veränderung an diesen konservativen Kern gebunden. Es ist eine widersprüchBeinahe Zerstörung und Wiedergeburt liche Bewegung, deren Mitglieder und Unterstützer Die dritte Phase begann, als 1952 Nasser und die von ihr gelöst werden können, wenn man ihnen eine Freien Offiziere in einer vorrevolutionären Phase die in der Arbeiterklasse verwurzelte Alternative anbieRegierung stürzten und die Kolonialmächte aus dem ten kann. Wir schreiben sie deshalb nicht als faschisLand warfen. Dies schürte Erwartungen in der Bevöl- tisch ab. Sie wuchs unter Mubarak wieder zu einer kerung, die politische Freiheit, soziale Veränderun- Massenorganisation, weil sie die einzige kohärente gen und Maßnahmen in Bezug auf Palästina forderte. Opposition darstellte, während die kommunistiNasser unterdrückte jedoch jeglichen Widerspruch sche Partei Mubarak unterstützte, und das zu einer und alle politischen Parteien. Viele Muslimbrüder Zeit, als Ägypten ein Laboratorium für Neolibeflohen aus dem Land, andere wurden festgenommen, ralismus geworden war. Dabei musste die Muslimviele hingerichtet. Ende der 50er Jahre war die Bru- bruderschaft niemals ihre Unternehmer-freundliche derschaft zu einem Schatten ihrer selbst geworden. Haltung aufgeben und hat das auch nie getan. Als Mubarak schließlich fiel, stellte sich die FühDie Grenzen des Islamismus: Nach nur einem Jahr im Amt wurde Mohamed Mursi von Millionen rung der Muslimbruderschaft ursprünglich Ägypter_innen wieder verjagt gegen die Bewegung die ihn stürzte – bis sich schon Millionen von Unterstützer_innen der Bruderschaft an der Bewegung beteiligten, und dabei immer deutlicher ihre eigenen Klasseninteressen wahrnehmen konnten. Es war immer klar, dass die Muslimbruderschaft mit ihrer prokapitalistischen Politik versagen musste, wenn sie einmal an die Macht kam. Mursi und seine Freunde haben das auf spektakuläre Art und Weise demonstriert und einen großen Teil ihrer Anhänger vergrault. Nur eine Linke, die den Charakter dieser Bewegung versteht kann ihre Anhänger aus den ausgebeuteten Klassen für sich gewinnen. Auszüge aus einem Vortrag von Phil Marfleet bei ­Marxism 2013 in London. Phil Marfleet ist Dozent für Kulturwissenschaften an der University of East London.


Linkswende September 2013

Ein Krieg des Westens wird die Syrische Revolution schwächen Eine westliche Militärintervention wird entweder Diktator Assad stärken oder die Errungenschaften der Syrischen Revolution zerstören, argumentiert der libanesische Sozialist Bassem CHIT.

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eit die Meldungen über einen möglichen Militärschlag der USA in Syrien hereintrudeln, schlägt die Stimmung in der Region in Furcht um. Tausende Syrer fliehen in Richtung Libanon, während sich die Menschen dort auf das Schlimmste vorbereiten. Die Vorstellung, ein militärisches Eingreifen würde der Revolution zu einer Atempause verhelfen, hat nur eine kleine Minderheit. Sie ist nur für Menschen reizvoll, die den Folgen eines Angriffs leichter entkommen können oder die so verzweifelt sind, dass sie jede Veränderung begrüßen. Ein Militärschlag wäre verheerend für das

für opportunistische Kräfte, die Vertreter der al-Qaida und der unterdrückerischen Regimes wie Saudi-Arabien oder Katar, offen lassen und ihnen eine führende Rolle ermöglichen. In beiden Szenarien würde ein Militärschlag der Syrischen Revolution Schaden zufügen. Außerdem wäre das eine willkommene Ausrede für Assads Verbündete, sein Regime über eine Ausweitung der Spirale des Krieges in der Region zu retten. Die Führung des Libanons könnte den wachsenden Ärger gegen die Hisbollah, die zu Assads Unterstützung Kämpfer nach Syrien geschickt hat, abermals

Strukturen und Organe des Widerstands und der Selbstorganisation errichtet werden. Erst dann kann das System gestürzt werden und dies den Weg frei machen für eine wirkliche Veränderung der Gesellschaft hin zu einer besseren Zukunft. Diese Prozesse müssen stattfinden, sogar mit gefährlichen Rückschlägen. So wie in Ägypten, als ein Rückschlag einen wichtigen Raum für die Polarisierung von Menschen auf eine revolutionäre Position schuf. Sie können Menschen, die bei der erstbesten Gelegenheit Kompromisse mit der herrschenden Ordnung machen, herausfiltern. Obendrein übertreiben

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Arabische Linke gegen US-Angriff Linke aus Ägypten, Syrien, Irak, Marokko und Libanon stellen sich gegen einen US-Angriff auf Syrien und erklären ihre Solidarität mit der syrischen Revolution. • Wir stehen an der Seite der syrischen Revolution – Nein zu ausländischen Interventionen • Nein zu allen Formen imperialistischer Intervention, ob amerikanischer oder russischer! • Nein zur reaktionären sektiererischen Intervention, sei es aus dem Iran oder den Golfmonarchien! • Nein zur Intervention von Hisbollah, die scharf verurteilt werden muss! • Weg mit allen Illusionen in Bezug auf die kommenden amerikanischen Militärschläge! • Für die Öffnung der Waffenlager für das syrische Volk, das für Freiheit, Würde und soziale Gerechtigkeit kämpft! • Sieg für ein freies demokratisches Syrien, nieder mit der Diktatur von al-Assad und allen Diktaturen! • Es lebe die Revolution des syrischen Volks! 29. August 2013 Unterzeichnende Organisationen: Revolutionäre Sozialisten (Ägypten), Revolutionäre Linke Strömung (Syrien), Union der Kommunisten (Irak), Al-Mounadil-a (Marokko), Sozialistisches Forum (Libanon) Auszug aus der gemeinsamen Erklärung. Die vollständige Version findest du auf www.linkswende.org

Ägypten: Militär holt zum Rundumschlag aus von Peter HERBST

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Aleppo, Oktober 2012. Ein Kämpfer der FSA verteidigt seine Stellung in der heiß umkämpften Stadt

syrische Volk. Er würde die Entwicklung der Revolution, die wirkliche Hoffnung auf Veränderung gibt, schwächen. So etwas wie einen „gezielten Angriff“ gibt es nicht. Die US-Regierung behauptet, sie könne das Regime „bestrafen“ ohne Millionen Menschen in Syrien und in der Region in Mitleidenschaft zu ziehen. Das ist reine Erfindung. Tatsächlich wird eine Attacke der USA die Stellung Assads stärken. Andererseits, wenn der Westen entschlossen den Sturz Assads anstreben würde, müsste er den Großteil Syriens zerstören. Gefahren Im ersten Szenario könnte Assad weiterhin seine mörderischen Angriffe auf die Bevölkerung fortsetzen und sich zugleich als antiimperialistischer Held darstellen. Das würde die Syrische Revolution weiter isolieren. Einige Menschen, die bisher die Revolution unterstützt haben, wenden sich bereits wieder dem Regime zu – mit dem Vorwand, das Regime vor den USA beschützen zu müssen. Wir haben auch gesehen, was dabei herauskommt, wenn sie die USA zur „Absetzung eines Diktators“, wie etwa im Irak, in Afghanistan oder in Libyen, entschließen. Selbst wenn Amerika damit erfolgreich wäre, hätte es sämtliche Strukturen und Netzwerke, die die ägyptischen Revolutionäre während ihres Kampfs aufgebaut haben, zerstört. All die Erfahrungen mit Selbstorganisation, all die demokratischen Prozesse, die die Massen in Gang gesetzt haben, all die politischen Weiterentwicklungen innerhalb der Bewegung – alles das würde zerstört werden. Und das würde wiederum Raum

mit einem Krieg übertünchen. Sie könnte die Unterstützung der Syrischen Revolution im Land unter dem Schlachtruf der „nationalen Einheit“ gegen den Imperialismus zum Schweigen bringen. Die Gewalt breitet sich bereits aus. In der letzten Woche wurde das Land Zeuge von Autobomben in dicht besiedelten Wohngegenden sowohl in Beirut als auch Tripolis. Revolutionärer Prozess Die Vorstellung, dass Revolutionen über rückartige Aktionen, die ein Regime entfernen und mit einem anderen ersetzen, gewonnen werden, ist frei erfunden. Regimes sind nicht bloß Strukturen, die sich irgendwo in einer Hauptstadt konzentrieren und die man einfach loswerden oder übernehmen kann. Unter jenen an der Spitze der Gesellschaft besteht ein komplexes Netz an Interessensverhältnissen. Sie passen ihre Funktionen und Mittelsmänner in Wirtschaft, Medien und Politik ständig neu an, um aus den sich verändernden Situationen zu profitieren. Und sie haben das nötige Geld und Wissen. Deshalb geht es bei Revolutionen nicht bloß um die Entfernung eines Diktators, eines Militärrats oder eines korrupten Präsidenten, so wesentlich und wichtig diese Schritte auch sein mögen. Revolutionen zünden einen Prozess, in der sich die Massen verändern, sich selbst erziehen und an Selbstvertrauen gewinnen. Das entwickelt sich über ihre kontinuierliche Bewegung und dem Kampf für Veränderung. Diese Entwicklung kommt über die Erzeugung von Ideen im revolutionären Prozess zustande, wenn alternative

Beobachter die Tiefe dieser Rückschläge oftmals. Die Wurzeln von Revolutionen, die wir sehen, sind nicht einfach das Ergebnis eines politischen Konflikts. Ihr liegen Konflikte zwischen den gewaltigen sozio-ökonomischen Entwicklungen an der Basis der arabischen Gesellschaften und dem bestehenden Überbau und der politischen Ordnung zugrunde. Die Revolution setzt sich fort Diese Widersprüche sind weit davon entfernt, zu verschwinden. In Ägypten, Syrien, Bahrain oder wo auch immer, erinnern Revolutionäre die Menschen an diese Konflikte und die Notwendigkeit den revolutionären Prozess zu vertiefen. Sie betonen, wie wichtig es ist, dass die Revolutionen Zeit für die Entwicklung der Organe und Strukturen des Widerstands haben, und sie unterstützen sie. Sie können niemals, niemals verzweifeln und für eine ausländische Intervention argumentieren oder sich auf eine Seite der herrschenden Klasse gegen die andere stellen. Die allererste Aufgabe ist die Unterstützung der Massen, wenn sie ihre eigene Stärke zur Veränderung über kollektive Aktionen entwickeln. Das kann niemals über das Ersetzen ihrer Bewegung mit „gezielten Aktionen“ erreicht werden – egal ob es ein Putsch oder Militärschlag ist.

m 5. September war Haitham Muhammadain verhaftet worden. Der Anwalt für Arbeitsrecht und Aktivist der Revolutionären Sozialisten, gehört zu den wenigen, die in den letzten Wochen das Vorgehen des Militärs gegen die Muslimbrüder verurteilten. Deshalb war es auch nicht überraschend, als er unter anderem beschuldigt wurde Mitglied einer geheimen Organisation zu sein, deren Ziele darin bestehen Bürger anzugreifen, den sozialen Frieden zu gefährden und Gewalt anzufachen. Daneben wird er beschuldigt der „Anstiftung und Unterstützung zur Zersetzung von Staatseigentum, Einrichtungen und öffentlichen Institutionen, um dem Staat Schaden zuzufügen“. Die Anschuldigungen wurden vom Hauptbüro der Staatsanwaltschaft erhoben, die Verhandlung fand vor dem Obersten Notgerichtshof für Staatssicherheit statt. Die Befragung war hochpolitisch. So wurde Haitham gefragt, ob er

Mitglied der Bruderschaft sei, obwohl er gegen Mursis Herrschaft auftrat und an der Tamarod-Bewegung zum Sturz Mursis beteilgt war. Am 7. September wurde Mohamedein zwar ohne Anklage freigelassen, könnte aber, wie auch die übrigen Revolutionären Sozialisten, jederzeit wieder verhaftet werden. „Es ist eine Technik, die sie seit der Revolution einsetzen, wir nennen sie Testballon“, erklärte der Journalist Wael Abbas. Die Verhaftung zielte darauf ab, Aktivisten der Arbeiterbewegung einzuschüchtern und die Streiks einzudämmen, die seit Wochen in Mahalla und Suez stattfinden. Haitham war am Weg zu den Streikaktivist_innen in Suez als er verhaftet wurde. Haitham Muhammadains Genosse Tarek Shalaby verglich das derzeitige Klima mit McCarthys Hexenjagd in den 1950ern und meinte: „Sie haben Angst vor Leuten, die nicht alles Schwarz-Weiß-Situation sehen. Sie wollen sichergehen, dass Leute die sowohl die Bruderschaft als auch das Militär ablehnen, keine Gefahr darstellen.“

Demonstration für die Freilassung von Haitham Muhammadain


10 September 2013 Linkswende

Erfindung der „Untermenschen“ Man kann nachweisen, dass Rassismus als Ideologie der Kolonialherren und Plantagenbesitzer entstanden ist. Diese neue Ideologie erfüllte bald verschiedene, den herrschenden Klassen nützliche Funktionen. Sie diente zur Unterdrückung der afrikanischen Sklaven und der eingeborenen Bevölkerung und zur Rechtfertigung ihrer unmenschlichen Behandlung. Sie konnte als Erklärung für eine Ungereimtheit herhalten, die einer Erklärung bedurfte – denn zur selben Zeit als sich der Sklavenhandel ausbreitete, griff die neue radikale Ideologie der Aufklärung um sich, und damit die Vorstellung, dass alle Menschen gleich sind und gleiche Rechte haben. Die Erfindung einer Gruppe von „Untermenschen“ sollte also rechtfertigen, weshalb diese Gruppe solch unmenschliche Behandlung erfuhr. Rassistische Arbeiter? Rassismus bot den frei gelassenen weißen Sklaven und Kleinbauern, die als koloniale Siedler in die eroberten Gebiete kamen, eine Art Kompensation für ihr eigenes Elend. Denn sie lebten zwar besser als Sklaven und Indigene, aber doch unter ärmlichsten Verhältnissen, während die Plantagenaristokratie im Luxus schwelgte. Dies erklärt erst, warum Rassismus von weißen Arbeitern angenommen wurde und für politische Ziele eingesetzt werden konnte. Ein gutes Beispiel ist der Antisemitismus in Wien im späten 19. Jahrhundert. Die liberale „Judenpresse“ war das Feindbild sowohl der Kaisertreuen als auch der Deutschnationalen. In den Kirchen wurde gegen Gewerkschaften gepredigt, deren oft jüdische Anführer wurden zum furchteinflößenden Feindbild heraufbeschworen, und später dichtete man eine jüdischbolschewistische Verschwörung herbei, wenn die Arbeitgeber am Widerstand der Gewerkschaften verzweifelten. Politische Nützlichkeit In Wien blühte zu selben Zeit, den letzten Jahrzehnten der Monarchie, eine andere Ausformung von Rassismus, nämlich gegen die Völker im Osten der Habsburger Monarchie. Ein beherrschendes Thema der Zeit war der oft romantisierte Vielvölkerstaat, der von den Sozialisten auch Völkergefängnis

THEORIE

Rassismus in der EU

Rassismus wohnt dem Menschen nicht inne, sondern er ist ein historisch vergleichbar junges Unterdrückungssystem. Wie sich dieser in der Europäischen Union des vergangenen Vierteljahrhunderts ausgeprägt hat, analysiert Manfred ECKER.

Foto: holidaycheck.at

R

assismus ist ein Produkt unserer Lebensbedingungen in einer Klassengesellschaft und im Gegensatz zu einfacher Xenophobie, Ignoranz oder Vorurteilen eine systematische Methode der Unterdrückung, die immer wieder verstärkt und in neuen Verhältnissen reproduziert wird. Fremdenfeindlichkeit selbst ist nicht eine dem Menschen angeborene Eigenschaft, aus der sich Rassismus dann entwickelt hat, wie eine häufig verbreitete Theorie besagt. Der Mensch ist im Gegenteil unter anderem deshalb eine so erfolgreiche Spezies, weil er ein besonders neugieriges Lebewesen ist, das immer schon durch soziale Interaktion voneinander gelernt hat, vor allem dann noch, als seine Ausbreitung über den Globus zur Entstehung vielfältigster Kulturen geführt hat.

EU praktisch unmöglich geworden ist. Seit 1993 sollen laut seriösen Schätzungen verschiedener Flüchtlingsorganisationen an die 17.000 Flüchtlinge beim Versuch in die EU zu gelangen, gestorben sein. EU-Rassismus Wie schon zuvor dargestellt hilft Rassismus dabei Ungerechtigkeiten und Ungereimtheiten zu erklären, die im Widerspruch zu offiziellen Ideologien und Geschichtsbildern stehen. In ihrer Selbstdarstellung ist die Europäische Union ein Friedensprojekt. Die Verleihung des Friedensnobelpreises 2012 hat umgehend den Protest von Flüchtlingsorganisationen ausgelöst. Umgehend wurde auf die Grenzkontrollen durch die „Grenzschutzagentur“ Frontex hingewiesen, die Immigranten auf immer gefährlichere Routen drängt. Frontex gleicht tatsächlich mehr einer brutalen paramilitärischen Einheit als der freundlichen „Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen“, als die sie sich präsentiert. Als quasi ideologische Rechtfertigung werden den Flüchtlingen verschiedene negative Eigenschaften angedichtet: Sie heißen bei Strache und Regierungspolitikern Asylbetrüger, kriminelle Asylwerber, Schmarotzer und vieles mehr. Rassismus widerspricht Erfahrung

genannt wurde. Der Nationalismus der Deutschen prallte auf den Nationalismus der um Unabhängigkeit strebenden Tschechen, Kroaten, Ungarn, Polen, usw. Das augenscheinliche Missverhältnis innerhalb der Monarchie – zwischen Aristokratie und der Bevölkerung, den Industriegebieten und den ländlichen Zonen, zwischen Ost und West, usw. führte zu gewaltigen Spannungen. Der legendäre Journalist Karl Kraus schrieb anlässlich eines Festzugs zu Ehren Kaiser Franz Josef am 12. Juni 1908 über Vertreter der Völker des Ostens, sie seien „häßlich, primitiv und kulturell zurückgeblieben“. Der berühmte Architekt Adolf Loos meinte: „... im Jubiläumsfestzuge gingen Völkerschaften mit, die selbst während der Völkerwanderung als rückständig empfunden worden wären.“ Rassismus diente also bald einfachen politischen Zielen. Im zitierten Fall waren es die verschiedenen politischen Parteien, die während des Niedergangs der Monarchie ihre Politik so zu stärken versuchten. Wer profitiert? „Weiße“ Arbeiter, besser ausgedrückt die Arbeiter_innenklasse der unterdrückenden Nation, profitieren nicht von Rassismus. Objektiv betrachtet profitieren nur die Kapitalisten bzw. die Arbeitgeber von unterschiedlich schlecht bezahlten Arbeitskräften und Hierarchien zwischen Facharbeitern und Hilfsarbeitern, usw. Dennoch werden Hierarchien und Lohndifferenzen von Gewerkschaften verteidigt und Arbeiter_innen werden indirekt oder direkt dazu verführt, rassistische Argumente zu übernehmen. 1991 stellten die Gewerkschaften fest, dass die Industriellen den Zuzug von Arbeiter_innen aus den ehemaligen Ostblockstaaten tatsächlich ausnutzten, um Löhne zu drücken und Mieten zu erhöhen.

Sie sperrten sich dann vehement gegen die Öffnung der Grenzen für Arbeitskräfte aus dem Osten (so genannte Ostöffnung) und machten „einheimische“ Arbeiter_innen für Argumente der FPÖ anfällig, die etwa fälschlich behauptete, „Ausländer kommen bei Gemeindewohnungen zuerst zum Zug“ (Jörg Haider 25.8.1994). Die Alternative zu der Politik des jeweils Machbaren, wäre Politik wirklich „vom Klassenstandpunkt des Proletariats aus“ zu machen: Männer dazu aufzurufen für höhere Löhne von Frauen zu streiken, Inländer für gleiche Löhne von Zuwanderern, Facharbeiter für gleiche Löhne von Hilfsarbeitern, etc. Stattdessen fügen sich Gewerkschaften den augenblicklichen Machtverhältnissen. Hetze gegen Roma und Sinti Rassismus gegen Flüchtlinge, Rassismus gegen Osteuropäerinnen in den EU-Kernländern und Rassismus gegen Roma und Sinti finden wir vor allem in Europa. Letzterer erfuhr in den Jahren seit dem Ende des Ostblocks von 1989 – 1991 einen neuen Aufschwung. Bekanntlich waren um die 500.000 Roma und Sinti Opfer systematischer und industrieller Massenvernichtung durch die Nazis. Deshalb ist es als besonders beschämend einzustufen, dass es in Westeuropa und besonders in den Nachfolgestaaten Hitlerdeutschlands wieder zu Verfolgung und rassistischen Morden gekommen ist. Am 4. Februar 1994 wurden in Oberwart vier Roma durch eine Rohrbombe ermordet. Sie waren auf Patrouille, weil ihre Gemeinschaft zu dieser Zeit regelmäßig mit Gewalt bedroht wurde. Stimmung gegen die Roma wurde von der FPÖ gemacht. FPÖ-Chef Jörg Haider verunglimpfte die Mordopfer – und entschuldigte damit gleichzeitig die gesuchten Neonazi-Attentäter: „Wer sagt, dass es da

nicht um einen Konflikt bei einem Waffengeschäft, einem AutoschieberDeal oder um Drogen gegangen ist?“ Haiders Unterstellungen und die Angstmache der Regierung vor marodierenden Banden aus dem Osten gingen damals Hand in Hand. Staatsrassismus Der Unterschied war, dass Haider diese Form von Rassismus wählte, um den Kern seiner Partei und ihre Anhängerschaft fester zusammenzuschweißen, während die Regierung sich dieses Rassismus bediente, um ihre eigenen politischen Ziele zu verfolgen, vor allem um den Unmut über die Folgen anti-sozialer Reformen zu zerstreuen. Weitere Beispiele finden wir heute in Frankreich, wo Übergriffe auf Roma durch den Staat verübt wurden. Beim Bettelverbot in verschiedenen österreichischen Städten, das sich sehr deutlich ebenfalls gegen Roma und Sinti richtet, handelt es sich ganz offensichtlich um Ablenkung, Sündenbockpolitik, Wählermobilisierung, Wählerbeschwichtigung, Rechtfertigung von Missständen und manchmal einfach puren Rassismus der handelnden Politiker_innen. Flüchtlinge als Opfer Die Tatsache, dass es sich beim Rassismus gegen Flüchtlinge um ein sehr junges Phänomen handelt, zeigt plastisch, wie flexibel Rassismus einsetzbar ist. Flüchtlinge kommen aus allen Teilen der Welt und die Fluchtgründe sind vielfältig: Armut, Perspektivlosigkeit, Krieg, bewaffnete Konflikte, politische Verfolgung, Landraub, Klimawandel, Hunger oder korrupte Regierungen können der Anlass sein, die Reise ins Ungewisse anzutreten. Erst durch das Grenzregime des EU-Schengenraums kommen sie in eine häufig lebensbedrohliche Situation, da legale Einreise in die

Da die herrschenden Klassen die Medien und andere meinungsbildende Instrumente zu ihrer Verfügung haben, können sie einen großen Teil der vorherrschenden Meinung kontrollieren, aber nicht alle Menschen und nicht zu jeder Zeit. Die Besetzung der Votivkirche zu Weihnachten 2012 durch eine Gruppe von Asylwerbern hat ungeahnten Zuspruch für die Anliegen von Flüchtlingen, bzw. massenhafte Ablehnung der österreichischen Asylpolitik sichtbar werden lassen. Wenige Jahre zuvor wurde die so genannte Bleiberechtsbewegung von einfachen Menschen getragen, die in kleinen Landgemeinden Flüchtlinge als Nachbarn hatten, und diese vor der Deportation schützen wollten. Oft haben sich ganze Dörfer gegen Abschiebungen gestellt. Rassistische Propaganda fällt nicht einfach auf fruchtbaren Boden, sondern breitet sich oft erst mit viel Mühe und mit dem Einsatz von zusätzlicher Gewalt aus. Gewalt wurde etwa mehrfach notwendig, um Flüchtlingshelfer_innen aufzuhalten, zu kriminalisieren und von der Bevölkerung zu isolieren. Auch an diesem Punkt ist von Bedeutung, welche politischen Kräfteverhältnisse herrschen und wie sich Rassisten und Antirassisten politisch aufstellen. Ideologischer Kampf Vom Kampf um die Abschaffung der Sklaverei bis zum Widerstand gegen die Flüchtlingspolitik heute war es entscheidend, welche politische Kraft sich durchsetzen konnte. Die „Abolitionists“ im 19. Jahrhundert haben beeindruckend die rassistischen Mythen aus der Zeit der Sklaverei widerlegt und so ihren Beitrag zur Abschaffung der Sklaverei und dem Sieg über die Sklavenbesitzer geleistet. Auch heute wird es entscheidend sein, die grässliche Propaganda zu widerlegen, die Rassismus untermauern soll.


Linkswende September 2013

„Wir stellen uns den Neonazis immer entgegen“ Seit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise passiert in Griechenland etwas, was viele für unmöglich gehalten haben: Mitten in Europa wächst eine offen faschistische Partei. Petros CONSTANTINOU von der griechischen SEK hat mit Linkswende darüber gesprochen. Wie würdest du den Charakter der Goldenen Morgenröte beschreiben? Die Goldene Morgenröte ist eine offen neonazistische, faschistische Organisation. In ihren Veröffentlichungen unterstützt sie Hitler und leugnet den Holocaust. Ihre Wortwahl ist von den Nazis geliehen: Sie bezeichnet Migrant_innen, Schwarze, Muslim_innen etc. als „Untermenschen“. Ihre Mitglieder greifen Migrant_innen, Linke, Homosexuelle, Frauen, Künstler etc. physisch an. Griechenland hat eine antifaschistische Tradition. Wie konnte in so einem Land eine faschistische Bewegung entstehen? Die Regierung setzt Rassismus gezielt ein. Sie ließ einen langen Zaun an der Grenze zur Türkei bauen, und öffnete Lager für Migrant_innen. Im letzten Jahr führte die Polizei 100.000 Personenkontrollen durch, und 5.000 wurden ins Gefängnis gesperrt. Sie sind seit über einem Jahr in Haft – ohne Grund, nur weil sie Migrant_innen sind. Sie kriminalisiert also Migration. Auch die Staatsbürgerschaftsrechte für ihre Kinder werden angegriffen. Auf der anderen Seite hilft die Polizei den Neonazis, sogar das Ministerium für öffentliche Ordnung erkennt sie als Verhandlungspartner an. Damit schaffen sie ihnen den Raum. Die Ersten, die rassistische Argumente benutzt haben, waren die Neoliberalen und die Sozialdemokraten. Die sozialdemokratische Partei argumentierte für null Toleranz gegenüber illegalen Migrant_ innen, während die Neoliberalen die Linken beschuldigten, mit den Kämpfen, Streiks und Besetzungen

halten wollen. Es gibt in ganz Griechenland immer Gegendemonstrationen, wenn sie auftreten. Wir konnten verhindern, dass sie Straßengangs bilden. Wenn sie 25 Leute mobilisieren konnten, bringen wir 500 oder 1.000 Leute zuden Aufstieg der Faschisten zu ersammen. Sie sind isoliert. Auf Kremöglichen. ta schafften die Antifaschist_innen, Der Durchbruch bei Wahlen geden lokalen Anführer der Neonazis lang den Neonazis dann nach der ins Meer zu werfen. Das ist ein Typ, der sich vor Auschwitz fotografieren ließ und sagte, „wir wollen die Öfen wieder einheizen“. In Athen gab es im Jänner eine große Demonstration mit über 20.000 Leuten. Mit der pakistanischen Community organisierten wir eine riesige antirassistische Demo gegen die Operation „Xenios Zeus“. Diese ist nach dem Gott der Gastfreundschaft benannt, aber das Ministerium hat den Namen für das genaue Gegenteil davon verwendet. Als 33 landwirtschaftliche Arbeiter aus Bangladesch, die ihren Lohn verlangten, in Nea MaFoto: Socialist Worker nolada angeschossen Demonstration von KEERFA (Bündnis gegen Rassismus und Faschismus), wurden, demonstrierten im Vordergrund Petros Constantinou dort über 90% der Arpolitischen Krise von 2008. Da fing es keine einzige Moschee. beiter. Sie verlangten legalen Aufdie Regierung an, Rassismus zu beenthalt für die Arbeiter_innen, und nutzen. Damals wuchs eine andere Würdest du sagen, dass der Faschis- Gerechtigkeit für die Opfer. Dort faschistische Partei sehr schnell auf mus der Goldenen Morgenröte beliebt wurden die Neonazis tatsächlich 4,5% an. Nachdem diese aber mit ist, oder gibt es andere Gründe für ih- aufgehalten und konnten keine den Neoliberalen für das Sparpa- ren Erfolg? Straßengangs bilden. ket stimmte, brach ihre Unterstützung zusammen und die Goldene Es gibt nicht wirklich eine generel- Kann man sagen, dass die meisten Morgenröte stellte sich gegen sie. le Verschiebung zu den Neonazis. Menschen die Goldene Morgenröte Die politische Krise hat es ihnen Die konservativsten Teile der Ge- hassen? ermöglicht, 18 Parlamentsabge- sellschaft sind verzweifelt, weil die ordnete und 400.000 Stimmen zu rechten Parteien sie nicht vertreten. Ja, der Kern der Nazis ist eine winbekommen. Deswegen wechselten viele von ih- zige Minderheit. Selbst die meisten nen zu den Neonazis. Das versu- Leute, die mit rassistischen Ideen Siehst du Parallelen zwischen der chen diese natürlich auszunutzen. sympathisieren, unterstützen es Goldenen Morgenröte und der FPÖ? Aber ob sie damit Erfolg haben, nicht, wenn Migrant_innen totgehängt davon ab, was die antifa- trampelt werden, linke Aktivist_inIn ganz Europa entwickeln sich schistische Bewegung tut, um sie zu nen angegriffen werden, Homosefaschistische Parteien wegen der stoppen. xuelle gedemütigt werden, und so Wirtschaftskrise und der Reaktiweiter. Das ist ein Unterschied. onen der Regierungen auf diese. Was tut ihr gegen die Neonazis? Überall versuchen Sie, eine Wahlbewegung aufzubauen. Das ist ein Wir stellen uns ihnen immer entWeg für sie, ihre faschistischen gegen, wenn sie ihre Paraden ab-

Troika-Kredite für Griechenland retten nur die europäischen Banken

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ie Griechenlandhilfe sorgt für riesigen Unmut: erstens bei der griechischen Bevölkerung wegen der Bedingungen, die daran geknüpft sind und wegen der Tatsache, dass keine 6% in den Staatshaushalt fließen, sondern an Banken geht – Gläubigerbanken, Zinszahlungen und griechische Banken. Bei der Bevölkerung in Deutschland und anderen Ländern, weil ihnen der Eindruck vermittelt wird, sie müssen für die Griechen bluten. Aber es profitieren nicht

„die Griechen“! Es gibt eigentlich keine Griechenlandhilfe, sondern eine riesige Rettungsaktion für das europäische Bankensystem, das ohne Hilfe zusammenbrechen würde. Die Banken haben über Jahre ihre Möglichkeiten über Kreditvergabe Gewinne zu machen völlig überschätzt. Nach Berechnungen der Organisation attac über die Verwendung der 206,9 Mrd. € an Hilfskrediten, flossen 94,2% in den Finanzsektor und nur 5,8% in den griechischen Staatshaushalt.

Organisationen aufzubauen. Das heißt nicht, dass sie deswegen den Kampf mit Straßengangs aufgeben. Ein weiterer Aspekt, der sehr ähnlich ist, ist die Islamfeindlichkeit. Die Goldene Morgenröte betreibt genauso wie die FPÖ überall, wo eine Moschee gebaut werden soll, Kampagnen dagegen. In Griechenland gibt es eine muslimische türkische Minderheit, aber in Athen gibt

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Solidarität mit Petros Constantinou Gegen Petros Constantinou wurde in Kooperation zwischen Staat und den Neonazis von Chrysi Avgi ein Strafverfahren eingeleitet. Gleichzeitig schmieren Neonazis Morddrohungen an das Büro seiner Organisation. Hände weg von der antifaschistischen Bewegung!

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er griechische Staatssicherheitsdienst hat sich eines Dokuments bedient, dass von der Website der Neonazipartei Goldene Morgenröte (Chrysi Avgi) stammt, um ein Verfahren gegen die antifaschistische Organisation KEERFA und ihren Koordinator Petros Constantinou einzuleiten. Das Dokument hetzt im Stil eines Joseph Goebbels gegen die Antifaschisten. KEERFA hat in den vergangenen Jahren äußerst erfolgreiche Kampagnen organisiert, darunter solche zur Unterstützung der Erdbeerpflücker in Neo Manolada, die von Vorarbeitern niedergeschossen wurden und gegen die „Konzentrationslager“ in welchen Flüchtlinge regelmäßig misshandelt werden und gegen die Angriffe von Mitgliedern der Goldenen Morgenröte auf Immigranten. KEERFA ist auch an den Bewegungen gegen die Memoranden (Abkommen zwischen Griechenland und dem Internationalen Währungsfonds, Anm.) und die Kürzungen bei Bildung, Gesundheit und dem Gemeindewesen beteiligt. Von 5.-6. Oktober ruft KEERFA in Athen zu einem antifaschistischen Aktionstags unter internationaler Beteiligung auf. Ihr könnt KEERFA unterstützen indem ihr euch am internationalen Treffen gegen Faschismus und Rassismus beteiligt. Sprecht eure Gewerkschaft auf den Fall an und regt sie an Solidarität zu zeigen. antiracismfascism@yahoo.gr www.linkswende.org


12 September 2013 Linkswende GEMEINDEBAU

Lesetipp

Der Gemeindebau wirkt wie ein rotes Tuch auf Faschisten. David ALBRICH sieht sich die Geschichte des Baus an und argumentiert für eine antirassistische Wohnpolitik.

von Oliver MARTIN

Pete Dexter

Paperboy

liebeskind Verlag ISBN 978-3-95438-008-4, 319 Seiten, 19,80€

Florida, 1965. Der Sheriff von Moat County wird ermordet. In seiner jahrzehntelangen Amtszeit hatte er 16 Schwarze getötet, ohne dafür belangt zu werden. Sein siebzehntes Opfer war weiß, und sollte sein letztes sein. Ein Verwandter wird für den Mord zum Tod verurteilt. Vier Jahre später, während er auf den elektrischen Stuhl wartet, tritt eine Frau auf den Plan. Sie ist von seiner Unschuld überzeugt und will ihn retten. Damit beginnt die Geschichte zweier Reporter, die gemeinsam mit dem IchErzähler akribisch jedes Detail recherchieren. Stück für Stück ergibt sich das Bild eines verrohten und gewalttätigen Außenseiters, der durchaus nicht zum Sympathieträger veranlagt ist – aber zu Unrecht auf seine Hinrichtung wartet. Und obwohl einer der beiden Journalisten noch nicht zufrieden ist, schreibt der andere die Story in seiner Abwesenheit fertig. Der vermeintliche Mörder wird entlassen, die Reporter gewinnen den Pulitzer-Preis. Nicht alles ist jedoch, wie es auf den ersten Blick scheint. Während die Geschichte sich an der Oberfläche zu einem vollen Erfolg entwickelt, gehen ihre Charaktere daran zugrunde. Dexter schrieb selbst für eine Zeitung, bevor er Schriftsteller wurde. In seinem schnörkellosen Stil spielten bereits frühere seiner Bücher wie „Train“ und „Paris Trout“ im rassistischen Klima der USA der 50er und 60er. Er ist auch der Autor des Western „Deadwood“, der 2004 in eine Fernsehserie verwandelt wurde und den Kritiker als einen der besten seines Genres bezeichnen.

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emeindewohnungen würden „in erster Linie für Juden errichtet“, behaupteten einst die Nazis. Ausländer_innen „kommen bei Gemeindewohnungen zuerst zum Zug“, lügen ebenso freiheitliche Politiker ungeniert. Damals wie heute erklären rechtsextreme Politiker das Ziel, die „roten Arbeiterhochburgen“ einzunehmen. Nazis im Gemeindebau Der Wohnbau des Roten Wien war der Stolz der Arbeiter_innen. Jeden Bau zierte die Inschrift „Errichtet aus den Mitteln der Wohnbausteuer“ und die damals größte Wohnanlage der Welt wurde Karl-Marx-Hof benannt. Umgekehrt war der Gemeindebau für die besitzenden Klassen und die Faschisten der Inbegriff ihres Hasses auf die Arbeiter_innenbewegung. Nationalsozialisten verteilten in den „sozialdemokratischen Trutzburgen“ Propagandamaterial, provozierten Schlägereien mit dem sozialdemokratischen Schutzbund und organisierten Demonstrationen durch Arbeiterviertel. Ein Polizeibericht gibt Auskunft über eine versuchte Verteilaktion der Nazis im Karl-Marx-Hof. Eine Frau, „alarmierte laut schreiend die Bewohner dieses Hauses, die sich daraufhin in großer Menge im Hofe sammelten und in erregter Weise gegen die Nationalsozialisten Stellung nahmen. Zwischen den politischen Gegnern kam es schließlich zu einem Handgemenge.“ Solche Auseinandersetzungen kamen Anfang der 1930er-Jahre regelmäßig vor. Immer wieder kam es zu brutalen Schlägereien und Schießereien. Die mächtige sozialdemokratische Partei immunisierte ihre Mitglieder weitgehend gegen die rechte Gefahr. Bei den letzten Gemeinderats-

BILDUNG

Wa(h)re Bildung? Bildung in einer neoliberalen Welt von Ludwig SOMMER

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Kampf um den Bau

er Schulbeginn bringt Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen für Lehrer_innen in Österreich. Die Unterrichtsverpflichtung soll von 20 auf 24 Stunden erhöht werden. Wo die Reise hingeht, wenn neoliberale Reformen wie diese umgesetzt werden, kann man in Großbritannien beobachten. An der Universität von Edinburgh sind 2.317 Lehrkräfte über sogenannte „Null-StundenVerträge“ angestellt, wie der „Guardian“ vom 5. September berichtet. Den Beschäftigten sind keine Fixstunden garantiert, sie müssen jederzeit abrufbar sein, ihnen kann ein Zweitjob untersagt werden und in vielen Fällen müssen sie auf Kranken- und Urlaubsgeld verzichten. Kapitalismus unterwirft Bildung der Logik des Marktes und des Wettbewerbs.

Wettbewerb: Jeder gegen jeden Schüler_innen werden mit Noten bewertet, vergleichbar gemacht und dann aussortiert. An den Universitäten ist der Wettbewerb nochmals härter. Um überhaupt einen Studienplatz zu bekommen, müssen Aufnahmeprüfungen absolviert werden. Die Seminarplätze sind rar, die Vorlesungen sind überfüllt. Das ist kein Zufall. Um jeden Platz soll gekämpft werden. Die einzelnen Fakultäten kämpfen untereinander um Finanzierungsmittel. Die Universitäten kämpfen um jeden besseren Platz in den internationalen Rankings. Neoliberalismus will alle Hindernisse für die Maximierung von Profiten beseitigen – in der Bildung sind das unter anderem die Arbeitsrechte der Lehrkräfte. Absoluter Wettbewerb, ohne Regeln, ohne Regulierung. Ständig wird gepredigt, dass mit mehr Wettbewerb das System effizienter und besser wird. Aber das Gegenteil ist der Fall. Ausbeutung Was die Neoliberalen in der Bildung anrichten, ist Ausbeutung von Ressourcen. Und das sind in diesem Fall Menschen und ihre Möglichkeiten ihr Leben zu gestalten. Systematisch werden jungen Menschen die Möglichkeiten genommen sich zu entwickeln, sich selbst zu verwirklichen. Am besten zu vergleichen ist dieser Prozess mit dem Tagebau im Bergbau. Die

Foto: Linksjugend Solid

Linker

wahlen im April 1932 kamen die fünf schwächsten Bezirksergebnisse der Nazis (zwischen 7 und 12%) in traditionellen Arbeiterbezirken zustande. Dennoch wechselten nicht wenige Funktionäre nach dem „Anschluss“ 1938 ins Lager der Nazis. Verhängnisvolles Zurückweichen Inzwischen ist die aktive, antirassistische Wohnpolitik der Sozialdemokratie einem opportunistischen Kapitulieren vor den Anforderungen des Kapitals gewichen. In der Großen Koalition unter Bundeskanzler Franz Vranitzky schloss die SPÖ einen Deal mit der ÖVP und den Industriellen. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion benutzten sie den Zustrom von Migrant_ innen aus dem Osten zur Lohndrückerei und zum Angriff auf die lästigen Hauptmietverträge. Während die FPÖ offensiver wurde, ging die SPÖ in die Defensive. Haider konnte stets behaupten, in den Gemeindebauten kämen Ausländer „als erstes zum Zug“. Er provozierte mit rassistischen Parolen im Gemeindebau. Wiens Bürgermeister Michael Häupl hielt dem nur entgegen, dass die „Öffnung der Gemeindebauten für Ausländer nicht in Frage“ komme, weil „die Leute das nicht wollen“. Seit der scheinbaren „Öffnung der Gemeindebauten“ für Ausländer_ innen 2005 hat er nunmehr keine Gelegenheit ausgelassen um klarzumachen, dass Ausländer in Wahrheit eh keine Chance auf eine Wohnung haben. Als die Grünen nach der Wahl 2010 die vollständige Öffnung des Baus forderten, beteuerte er gleich wieder, die Gemeindebauten wären nur für 900 Sozialfälle geöffnet, „die mit der normalen Vergabe von Gemeindewohnungen nichts zu tun haben“.

Erde wird aufgerissen, die Minerale werden so schnell wie möglich rausgenommen und die Wunden in der Landschaft werden zurückgelassen. Sollen sich andere darum kümmern. Auf diese Weise funktioniert auch Bildung in einer neoliberalen Welt. Die Schulen und Universitäten sind schlichtweg Rohstoffe, die sich die Herrschenden unter den Nagel reißen und ausbeuten. Sparzwang Im Zuge der Eurokrise drängen die Neoliberalen zum Sparen. Das dient mehreren Zwecken. Knappe Ressourcen erhöhen den Wettbewerb, Bildung und Forschung wird mehr und mehr privat finanziert, und die Elitenbildung wird gefördert. Die Einführung von Studiengebühren ist ein weiterer Schritt dorthin.

Nazis hissen Banner am Goethe-Hof in Wien-Donaustadt (1938)

Antifaschismus und sozialistische Wohnpolitik Damals wie heute interessieren sich Faschisten für die Arbeiterschaft und ihre Errungenschaften. Sie versucht sie zu unterwandern, zu verwirren, und davon abzuhalten, sie als ihren Feind zu erkennen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir solidarische, antifaschistische Bewegungen unterstützen, die die Nazis im Gemeindebau konfrontieren. Zum anderen müssen wir für eine wirklich sozialistische, antirassistische Wohnpolitik, die keine Ländergrenzen kennt, kämpfen. Schlussendlich muss eine solche Politik mit dem konsequenten Kampf zur Überwindung des Systems Kapitalismus verbunden werden.

Was tun? – Widerstand! Das Erste und Wichtigste was wir gegen diesen Umbau tun können ist Widerstand leisten. Der größte Fehler ist zu sagen, ok, ein bisschen Studiengebühren und Zugangsbeschränkungen können wir hinnehmen, wenn es dafür zumindest ein wenig besser wird. Es wird nicht besser. Solidarität. Das Zweite worauf wir achten müssen ist Solidarität. Denn die Krise betrifft nicht nur die Bildung, sondern die ganze Gesellschaft. Wir müssen uns mit den Beschäftigten im Gesundheitsbereich, mit den Werktätigen der Industrie und anderen Branchen, die von Kürzungen betroffen sind und mit unseren ausländischen Mitmenschen, die von Rassismus betroffen sind, zusammenschließen. Ohne die organisiert Kraft der Arbeiter_innenklasse wird der Widerstand nicht von Dauer sein und der Kampf um Verbesserungen wird scheitern. Und das führt uns zum dritten Punkt. Kapitalismus angreifen. Wir müssen Kapitalismus als solches angreifen. Die Ursache der Krise sind nicht einzelne korrupte Politiker oder gierige Spekulanten, es ist der Kapitalismus. Es geht darum mit dessen Logik zu brechen, eine neue Logik zu schaffen, die die Bedürfnisse von Menschen und die demokratische Kontrolle über unseren Planeten und dessen Ressourcen ins Zentrum stellt und nicht die blinde Logik des Kapitalismus.


Linkswende September 2013

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VERGESSENE GESCHICHTE Streik bei Alpine 1933 Manfred ECKER berichtet vom letzten – und erfolgreichen – Streik vor dem Putsch der Austrofaschisten.

I

m September 1933 brach in den weststeirischen Kohlefeldern ein Streik aus. Binnen weniger Tage breitete er sich von Fohnsdorf, nach Seegraben und Köflach aus, sodass trotz Streikverbot und drakonischen Strafen beinahe alle Bergleute die Arbeit niederlegten. Auslöser des Streiks war die am 1. September eingeführte monatliche anstatt wie bisher 14-tägige Auszahlung der Löhne, was bei der hohen Inflation einen beträchtlichen Lohnverlust und andere Erschwernisse bedeutete. Faschistische Gewerkschaft Um einen Eindruck von der Dimension des Streiks zu bekommen, müssen wir kurz das Jahr 1933 und die Vorgeschichte rekapitulieren. Am 4. März 1933 schaltete Dollfuß das Parlament aus, am 31. März wurde der Schutzbund aufgelöst, drei Wochen später ein Streikverbot und wenig später ein Demonstrationsverbot erlassen. Schon seit 1927 und verstärkt ab 1929 zwang die Leitung der Österreichisch-Alpine Montangesellschaft, kurz Alpine, ihre Belegschaft dazu, die sozialdemokratisch dominierten Freien Gewerkschaften zu verlassen und „Gelben Gewerkschaften“ beizutreten, zuerst der Christlich Sozialen „Freien Gewerkschaft“, dann dem faschistischen Steirischen Heimatschutz, dem sich auch die illegalen Nazis eingliederten. Im September, als der Streik ausbrach, war die Gewerkschaft bei Alpine von Nazis dominiert und Manager kamen in Naziuniform zur Arbeit. Außer Kontrolle Die Beziehungen zwischen den Bossen und

den führenden Nazigewerkschaftern waren zu Ausbruch des Streiks offenbar noch intakt. Deshalb gehen die Polizei und Historiker_innen wie Jill Lewis davon aus, dass der Streik zuerst von der Werksleitung absichtlich losgetreten wurde, ihr aber entglitt. Wahrscheinlich beabsichtigte das Management der Alpine eine Staatskrise bzw. einen Bürgerkrieg herbeizuführen, indem es zahlreiche Tote in Kauf nahm und Hitler einen Vorwand bot, in Österreich einzumarschieren. Foto: Koren Quelle: Schlot.at Jill Lewis nennt diesen Anteil an der Entstehung des Faschismus Bergarbeiter untertage, knapp nach 1930, wahrscheinlich Werk Köflach in Österreich auch Industriefaschismus. Aber es kam anders: Nachdem sich die sozialdemokratischen Ab- und Verpflegung in den Schächten. Das war schaften beigetreten. Bei Alpine war es die geordneten von Dollfuß „wie ungezogene Kin- extrem gefährlich, denn in den tiefen Gruben Praxis nach Werkschließungen Arbeiter nur der“ aus dem Parlament verbannen ließen, waren Gasbildung und andere Unfälle keine dann wieder einzustellen, wenn sie Mitglieformierte sich eine linke Opposition inner- Seltenheit. Frauen und Kinder schmuggelten der bei diesen wurden. Als ein lokaler Heimhalb der SDAP, die sich vor allem aus jungen Lebensmittel an der Polizei vorbei und Kolle- wehrführer in den Fohnsdorfer Schacht stieg, Arbeiter_innen, einige davon aus der Steier- gen formierten eine zweite Schicht, schmug- um zu verhandeln, ließen ihn die Streikenden mark, zusammensetzte. Hans Steiner, war gelten Verpflegung ein und blieben bei ihren nicht wieder nach oben. Der Streik breitete Betriebsrat der Bergleute im Braunkohleberg- Kollegen. Es dürfte der erste Sit-in Streik der sich dann auf die Elektrizitätswerke und Pawerk Voitsberg und in der Linken Opposition europäischen Geschichte gewesen sein. Arbei- pierindustrie aus und er erzwang die Abschalaktiv, und er leitete den Streikausschuss. ter, die theoretisch bereit waren, den Streik tung der Hochöfen der Alpine im Hauptwerk zu brechen, weigerten sich, in die Gruben zu Donawitz. Die Regierung Dollfuß geriet in Sit-in in den Gruben steigen. Panik und zwang das auf Bürgerkrieg hofDa bei allen Alpine Standorten schon länger fende, nationalsozialistische Management, Sieg der Streikenden Streikverbot herrschte und man bei Zuwidermit der Streikleitung, darunter vier Vertreter handlung sofort den Arbeitsplatz und damit Aber der Streik blieb nicht auf die sozialisti- der Freien Gewerkschaft, zu verhandeln. Die oft auch die Unterkunft für die ganze Familie schen Arbeiter beschränkt. Heimwehrler und Lohnauszahlung erfolgte wieder 14-tägig und verlor, hatte der Streik automatisch sponta- Nazis schlossen sich an, denn offensichtlich den Streikenden wurde Straffreiheit garannen Charakter. Tatsächlich verschanzten sich waren viele weniger aus Überzeugung als aus tiert. Aber es blieb der letzte größere Streik bis die streikenden Bergleute meist ohne Wasser wirtschaftlicher Not den Gelben Gewerk- zum Februarputsch des Jahres 1934.

s u m is h c is t e f n e r a W

von Ludwig SOMMER

Ü

berall Waren. Wo man hinschaut, Waren. Kapitalismus ist ein System das Waren in Massen produziert und zwar in erster Linie nicht für Menschen, sondern für einen anonymen Markt, wo sie Abnehmer finden – oder eben nicht. Auf diesem Markt werden Waren getauscht. Manchmal von Hand zu Hand, manchmal in elektronischer Form über Computer. Vor dem Kapitalismus haben Menschen ihre Waren, die sie selbst hergestellt haben, miteinander getauscht. Es entstand eine Beziehung zwischen Menschen. Im Kapitalismus scheint hingegen eine Beziehung zwischen Waren zu entstehen. Mystischer Kapitalismus Kapitalismus verschleiert die zu

Grunde liegenden menschlichen Beziehungen des Tausches. Der Warentausch geschieht in einer regelrecht mystischen Art und Weise. Ein Beispiel: Du kaufst eine CocaCola bei einem Getränkeautomaten. Du wirfst einen Euro ein, drückst auf einen Knopf und holst dir deine Flasche aus dem Automaten. Oberflächlich betrachtet schaut das wie das Verhältnis zwischen zwei Dingen aus. Ein Getränk für ein paar Münzen. Aber die interessante Frage ist, woher die Cola-Flasche kommt. Die Flasche wurde von Arbeiter_innen in den Automaten getan. Das Getränk wurde in einer Fabrik von Maschinen abgefüllt. Und zwar Maschinen, die von Arbeiter_innen in Bewegung gesetzt werden, die von anderen repariert werden und die von wieder anderen Lohnabhängigen überhaupt erst gebaut wurden . Was als einfacher

In dieser Serie erklären wir Begriffe des Marxismus von A bis Z.

Tausch zweier Dinge ausschaut, ist in Wirklichkeit ein endloses Netzwerk aus Beziehungen zwischen Menschen. Im Kapitalismus sind diese Beziehungen versteckt und mysteriös. Fetischismus Marx bezeichnete diese Verschleierung der Beziehungen hinter den Waren als „Warenfetischismus“. Ein religiöser Fetisch ist ein Ding mit mystischen Eigenschaften. Im Kapitalismus ist es die Ware. Das sind Dinge, die von Menschen hergestellt werden und dann ein Eigenleben entwickeln – sie werden zu einem Fetisch. Es gibt aber einen entscheidenden Unterschied zum religiösen Fetischismus. Die Macht, die von Waren ausgeht, ist eine reale Macht. Eine die sich die Menschen nicht nur einbilden, sondern die wirkliche Konsequenzen für das täg-

liche Leben haben. Ob man Geld hat, oder nicht, entscheidet darüber, ob man Fressen hat, oder nicht. Geld Geld ist eine universelle Ware, die gegen jede andere Ware eingetauscht werden kann. Geld regiert die Welt, sagen wir sprichwörtlich und meinen die Macht, die von Geld ausgeht. Geld scheint sogar weiteres Geld anzuziehen, durch Zinsen und Zinseszins. Dies ist eine extreme Form des Warenfetischismus, der die wirkliche Quelle der Verwertung des Kapitals vernebelt: die Ausbeutung der lebendigen Arbeit. Irreführendes Erscheinungsbild Wo wir jeden Tag roboten gehen, um eine Ware oder auch nur einen Teil einer Ware herzustellen, haben wir keine Ahnung, welcher Mensch

sie gebrauchen wird, oder ob sie überhaupt gebraucht wird. Das führt zu Entfremdung der Arbeiter_ innen von dem Produkt ihrer Arbeit. Für den Kapitalisten erscheint es so, als ob sein gesamtes Kapital Mehrwert produziert und aus Geld, noch mehr Geld wird. Das ist das Erscheinungsbild. Aber damit begründen Kapitalisten ihre Macht und Eigentumsverhältnisse. „Unser Kapital erzeugt Wohlstand, Waren und neues Geld“, behaupten sie. Tatsächlich entstehen Waren, Geld, oder allgemein Werte durch Arbeit. Marx entwickelt diese Gedanken nicht, um zu zeigen, dass Werktätige gewissermaßen in der Entfremdung und dem Warenfetischismus gefangen wären. Sein wesentlicher Punkt ist, dass dieser Zustand an einem Punkt der Geschichte entstand und in der Zukunft verändert ­werden kann.


14 September 2013 Linkswende

FILM DIE 727 TAGE OHNE KARAMO Regie Anja Salomonowitz. 727 Tage ist eine Österreicherin nach der Abschiebung von ihrem Mann getrennt. Binationale Paare kämpfen in Österreich gegen die Schikanen der Behörden. Die Protagonisten erzählen von einem Alltag zwischen Deutschkursen und Hausdurchsuchungen.

Filmstart: 6. September

FOTOGRAFIE

KULTUR – GAME OF THRONES

Der Winter naht Der US-Kabelkanal HBO hat den Ruf erlangt, intelligente und zugleich abhängig machende Serien zu entwickeln. Die besten dieser Serien, wie The Wire und The Sopranos, konnten die zeitgenössische Gesellschaft auf innovative Art beleuchten. Über HBOs neuesten Wurf schreibt Jonny JONES im Socialist Review. Übersetzt und editiert von Tine BAZALKA.

Foto: HBO

Kultur in Kürze

WORLD PRESS PHOTO 13

6.Sept bis 13.Okt, Galerie Westlicht, Westbahnstraße 40, 1070 Wien

THEATER VOR DEM RUHESTAND Mit Nicole Heesters, Sona MacDonald, Michael Mendl, Regie: Elmar Goerden. In Thomas Bernhards „Komödie von deutscher Seele“, feiert Gerichtspräsidenten Höller, ehemaliger SS-Offizier und stv. KZ-Kommandant, wie jedes Jahr den Geburtstag Himmlers – ein Rechenschaftstag.

ab 5. September, Theater in der Josefstadt, Josefstädter Straße 26, 1080 Wien

FOTOGRAFIE EDITH TUDOR HART – IM SCHATTEN DER DIKTATUREN Tudor-Hart (1908-1973) arbeitete um 1930 als Fotografin in Wien – zugleich war sie sowjetische Agentin. 1933 flüchtete sie nach Großbritannien. Die dort entstandenen Reportagen in den Londoner Slums oder im walisischen Kohlerevier, zählen heute zu den Hauptwerken der britischen Arbeiterfotografie.

Wien Museum, Karlsplatz, 1040 Wien

E

s könnte ungewöhnlich wirken, dass die jüngste dieser kulturell relevanten Serien nicht die Straßen von New Jersey oder Baltimore, sondern das mythische Reich Westeros zum Schauplatz hat. Dort wetteifern Könige und Königinnen mit der Hilfe von Armeen, Drachen und Magie um Macht. Trotzdem ist Game of Thrones beachtenswert nicht nur, weil Echos des europäischen Mittelalters anklingen, sondern auch, weil Parallelen zur heutigen Welt bestehen.

penter schreibt in Foreign Affairs, dass „Lords und Könige ebenso wie Eidbrecher für die Verletzung von Sitten und Übereinkünften bestraft werden... Könige können nicht immer `handeln wie ihnen beliebt'.“ Stark ist der „Gute“, der einem Ehrenkodex verpflichtet ist. Aber anders als in den typischen Geschichten von verwegenen Helden ist das sein Niedergang. Später wird ein Seriencharakter sagen „Wenn du denkst, dass das gut ausgeht, hast du nicht aufgepasst.“

Fantasy-Plot

Lauernde Gefahr

Game of Thrones basiert auf den Romanen der Reihe „Das Lied von Eis und Feuer“ (A Song Of Fire and Ice) von George R.R. Martin und setzt ein, als Ned Stark, der ehrwürdige Wächter des Nordens, zum Hof in Kings Landing gebracht wird, um der Ratgeber des Königs Robert Baratheons zu werden. Starks Vorgänger wurde unter mysteriösen Umständen ermordet, und Stark möchte herausfinden, wer ihn umgebracht hat. Verdächtig ist die reiche und mächtige Familie der Lannisters, die Familie von Königin Cersei. Von diesem Ausgangspunkt entwickelt die Serie einen dichten Teppich aus Drama und Intrige, in dem niemand sicher und keine Entwicklung vorhersehbar ist.

In Westeros dauern Jahreszeiten Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte. Niemand kann sich an den letzten Winter erinnern. Und trotzdem, wie das Motto der Starks besagt, „naht der Winter“. Im Norden marschieren die Anderen, eine zombiehafte Rasse, das erste Mal seit tausenden Jahren auf die Königreiche zu. Im London Review of Books macht John Lanchester darauf aufmerksam, dass das sowohl an die Umwelt- als auch an die Wirtschaftskrise erinnert: Undeutliche Bedrohungen, die ignoriert oder von vielen als irreal abgetan wurden. Vor einigen Generationen noch war Magie eine reale Macht, nun glaubt niemand mehr so recht an sie. Das ähnelt dem kollektiven Verdrängen der herrschenden Klasse in Zeiten kapitalistischer Expansion: Die guten Zeiten werden niemals enden. Mit der tödlichen Bedrohung vor der Tür werden die Königreiche von Westeros aber in interne Kriege verwickelt, weil rivalisierende Familien, und Rivalen innerhalb von Familien, Anspruch auf den Eisernen Thron nach König Roberts Tod stellen. In Kings Landing wird Roberts junger Sohn Joffrey zum König gekrönt, aber die Macht hinter dem Thronist sein Großvater, Tywin Lannister. Dieser

Verwurzelt in sozialen Strukturen Die Serie ist gespickt mit vielen der üblichen Motive des Fantasy-Genres. Aber im Gegensatz zu dessen Giganten J.R.R. Tolkien und seinem „Herr der Ringe“ bewegt sich Game of Thrones allmählich über die Pole Gut gegen Böse hinaus und zeigt eine komplexere, vielschichtigere Welt, in der die Möglichkeiten der Herrscher von sozialen Strukturen begrenzt werden. Charli Car-

Leo K’s

Foto: best vinyl blogspot co at

eit gut einem Jahrzehnt erobern „Balkan-Pop“ und der wiederentdeckte „Gypsy“-Sound die Musiksammlungen, Radiostationen und vor allem Dancefloors dieser Welt. Dieser sehr gelungene Sampler erzählt von deren Vielfalt und Entwicklung und befasst sich ganz nebenbei mit einem beinahe vergessenen Stück Europa: Die „Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien“, repräsentiert durch Marschall Tito, dem Partisanenkämpfer gegen Besatzung und Faschismus im Zweiten Weltkrieg, der sich später auch vom „Ostblock“ unter der Führung der Sowjetunion distanziert hat. Unter seiner Ägide waren die Roma in Jugoslawien als offizielle Minderheit anerkannt und wurden sprachlich und kulturell vor allem in den urbanen Regionen des Vielvöl-

kerstaates gefördert. Die verschiedenen Einflüsse der Städte mit ihrem kulturellen Leben in den Kinos und Musikclubs spiegeln sich in den Songs der Roma wieder: Von Roma- und slawischer Volksmusik, indischen Soundtracks, türkischer Psychedelia-Musik bis hin zu angelsächsischem Rock und kitschigem Pop reichten die Elemente. Das Londoner Label Vlax Records rekonstruierte Aufnahmen von alten Schallplatten, die man auf Flohmärkten Südosteuropas und in der Nationalbibliothek Belgrad aufgespürt hatte. Stars des Genres wie Esma Redžepova sind auf dem Album ebenso vertreten wie weniger bekannte Namen, z.B. das „Ansambl Montenegro“. Beim Anhören der Lieder mögen Erinnerungen an den letzten Urlaub in Istrien oder anderswo in Südosteuropa wach werden, doch erzählen viele der Lieder von traurigen Schicksalen, Verlust und Tod – und holen uns zurück in eine Gegenwart, in der die Roma, auch in unserer nächsten Umgebung, unter Verfolgung und Unterdrückung leiden. Liedtexte und Hörproben asphalt-tango.de

Unnötiger Sensationalismus Es gibt in der Serie Elemente, die mehr als problematisch sind. Sie versucht Fragen von Rassismus und Sexismus nachzugehen, tut das aber in einer Weise, die zu oft stereotype Bilder von beidem unkritisch reproduziert. Der Australische Kabarettist Aamer Rahman argumentiert dass die Dothraki – ein nomadisches Stammesvolk aus einem Land östlich von Westeros – eine „Wundertüte gefüllt mit jeder Referenz auf barbarische, „natürliche“ Stereotype sind, die man sich vorstellen kann – eine Horde vergewaltigender, Krieg führender Tiere, die kein Wort für ‚Danke‘ kennt und die Gefallen an öffentlichen Sexspielen und Morden auf Hochzeiten findet.“ Es gibt eine Bilderflut an erzählerisch unnötigem Sex und Nacktheit, und sexuelle Gewalt wird auf eine sowohl sensationalisierte als auch zusammenhanglose Art präsentiert: Sie existiert, wir sehen aber nicht die Folgen und Konsequenzen von ihr. Manchmal scheint unser natürlicher Ekel vor solchen Handlungen stimuliert zu werden, um Spannung herzustellen. Spiel mit hohen Einsätzen Trotz dieser sehr realen Probleme ist Game of Thrones eine fesselnde Untersuchung von Macht und Krise. Schon früh empfängt Ned Stark einen wichtigen Rat: „Wenn du das Spiel der Throne spielst, gewinnst du, oder du stirbst.“ Ähnlich wie „Sozialismus oder Barbarei“ ist das eine Lektion, an die sich jeder erinnern sollte, der die Welt zum besseren verändern will – denn das ist ein Spiel mit hohen Einsätzen.

Musiktipps

Stand Up, People – Gypsy Pop Songs from Tito's Yugoslavia (1964 – 1980)

S

weiß: „Das Haus, dass die Familie an erste Stelle stellt wird jenes Haus, dass die Launen seiner Söhne und Töchter voranstellt, immer besiegen.“

Irie Révoltés Allez

Foto: livingconcerts.de

Seit 1955 findet der World-PressPhoto-Wettbewerb statt. Wesentliche Kriterien für die Fotos des Jahres sind neben dem Nachrichtenwert eines Bildes die spezifische Wahrnehmung und Herangehensweise.

I

rie Révoltés wurden im Jahr 2000 in Heidelberg gegründet. Ihre Songtexte sind in einer charmanten französisch-deutschsprachigen Mischung abgefasst, und befassen sich mit sozialkritischen Themen, die Musik wird von den Genres Reggae, Dancehall, HipHop und Ska geprägt, doch tragen Irie Révoltés neuerdings auch eine ruppige Punk-Attitude zur Schau. Die Band tritt regelmäßig auf Demonstrationen und Benefizveranstaltungen auf, um politische und soziale Projekte zu unterstützen und ihren Inhalten und Anliegen dadurch Nachdruck zu verleihen. Unter anderem unterstützen Irie Révoltés das Projekt „Respekt!“, das sich „gegen Vorurteile, Rassismus, Homophobie und Sexismus“ wendet und verwenden gerne das „Kein Mensch ist illegal“-Banner als Bühnendeko. Das neue Album „Allez“ wurde in Kritikerkreisen bereits als „der Soundtrack für alle, die 2013 etwas bewegen wollen“ gefeiert. Die Songs

„Résisdance“ und „Partout!“ sind gute Beispiele dafür. Die beachtliche musikalische Bandbreite der Irie Révoltés zeigt sich jedoch nach dem Anhören von „Tout Casser“ (Punk in Reinkultur) und „Ensemble“ (ein fast ruhiger Rocksong mit schöner Hookline). Sänger Mal Élevé im O-Ton: „…(wir sind) so gewachsen, dass wir immer noch in der linken Subkultur verwurzelt sind und dennoch die großen Bühnen rocken. Nur so können unsere kreativen und auch politischen Anliegen noch weitere Kreise ziehen.“ Live Tipp: Nach erfolgreich absolvierter Sommer-Tournee (u.a. zum Auftakt von „Music and Politics“ in Wien) treten Irie Révoltés am Samstag, 05.10.2013 in der Szene, 1100 Wien, Hauffgasse 20:00 Uhr auf.

irie-revoltes.com


Linkswende September 2013

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Demo gegen das FPÖ-Wahlkampffinale am Stephansplatz

Fr, 27.9. 16:30 Oper U1/U2/U4 Karlsplatz

Plattform „Keine Stimme dem Rassismus“ | rassismus-stoppen.at | facebook.com/rassismus.stoppen

Mach mit bei Linkswende! KONTAKT

Gruppentreffen: Stadtgruppe: Jeden Do. um 19 Uhr, Amerlinghaus (7., Stiftg. 8) Unigruppe: Jeden Di. um 19 Uhr, Powi-Institut im 2. Stock des NIG (1., Universitätsstr. 7) Für Interessierte, die mit uns politisch diskutieren wollen, keine Anmeldung erforderlich.

Internet: linkswende.org

Infotische: Stadtgruppe: Jeden Sa. von 14 bis 15 Uhr, Mariahilferstr., vor dem Generali Center. Unigruppe: Jeden Do. von 12 bis 13 Uhr, ­ „Uni-Eck“, Schottentor Während der Uni-Ferien finden Infotische und Gruppentreffen gemeinsam mit der Stadtgruppe statt.

Telefon: 0650 452 24 73

linkswende@linkswende.org

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Was wir wollen

Eine andere Welt. Heute lebt die Hälfte der Menschheit von weniger als 2 Dollar pro Tag, 67% der Reichtümer sind in den Händen von nur 2% der Bevölkerung. Weltweit sind Regierungen für krisengeschüttelte Unternehmen und Banken mit rund 6.000 Milliarden Euro in die Bresche gesprungen. Dieser Betrag würde ausreichen, um die weltweite Armut für ein halbes Jahrhundert zu beenden. Was heute produziert wird, würde schon ausreichen,

ABONNEMENT

um alle Menschen der Welt mit dem Grundlegendsten zu versorgen. Die Bedingungen für eine gerechtere Welt waren nie besser als heute. Demokratische Kontrolle. Wir wollen eine Gesellschaft, in der gezielt für die Bedürfnisse der gesamten Menschheit und mit Rücksicht auf die Natur produziert wird. Dafür ist eine wirklich demokratische Ordnung nötig, in der die werktätigen Menschen das Sagen haben, sie produzieren allen Reichtum

dieser Welt. Eine neue Gesellschaft ist nur vorstellbar, wenn sie die Produktion ihrer Reichtümer und ihre Verteilung kontrollieren. Um eine solche gerechte – eine sozialistische – Gesellschaft errichten zu können, müssen Arbeiter und Arbeiterinnen kollektiv gegen das herrschende System vorgehen, seine staatlichen Strukturen zerschlagen und kollektiv die Kontrolle übernehmen. Wir stehen für einen Sozialismus von unten, denn – wie Karl Marx sagte – »Die Befreiung der Arbeiterklasse muss das Werk der Arbeiterklasse selbst sein.« Internationalismus. Die Revolutionen im arabischen Raum und der internationale Aufschwung der Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung im Jahr 2011 demonstrieren, dass der Kampf nicht entlang von Ländergrenzen, sondern von Klassengrenzen stattfindet. Das Scheitern der Russischen Revolution mit der Machtübernahme Stalins hat uns

gezeigt, dass eine sozialistische Revolution nicht isoliert in einem Land erfolgreich sein kann. Der Kapitalismus ist ein internationales System, das nur international besiegt werden kann. Wir unterstützen das Recht aller unterdrückten Gruppen, sich zu ihrer eigenen Verteidigung zu organisieren. Wir unterstützen Befreiungsbewegungen, die sich gegen Unterdrückung durch imperialistische Staaten wehren. Gegen Unterdrückung. Als Sozialistinnen und Sozialisten bekämpfen wir jede Form der Unterdrückung. Wir stellen uns gegen alle Versuche der herrschenden Klassen, uns entlang von Staatsgrenzen, Hautfarbe, Religion, Geschlecht oder sexueller Orientierung zu spalten und damit zu schwächen. Wir treten für echte soziale, politische und ökonomische Gleichberechtigung von Frauen und für ein Ende aller Diskriminierungen von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender ein.

Gegen Rassismus. Wir wenden uns aktiv gegen alle Versuche, Menschen verschiedener Herkunft gegeneinander zu hetzen. Wir sind gegen jede Diskriminierung, gegen Einwanderungskontrollen, gegen Arbeitsverbote und für grenzüberschreitende Solidarität. Wir stehen für Solidarität mit der muslimischen Bevölkerung und für das volle Recht auf freie Religionsausübung. Revolutionäre Partei. Unsere Herrscher kontrollieren die Medien, die Justiz, Polizei und Militär. Um diese Macht zu konfrontieren, müssen sich auch die Lohnabhängigen organisieren. Wir glauben, dass diejenigen, die eine gerechte und solidarische Gesellschaft wollen, sich zusammentun müssen und die Entwicklung der Protestbewegungen nicht dem Zufall überlassen dürfen. Je stärker die revolutionäre Strömung innerhalb der Bewegung ist, desto mächtiger wird die Bewegung als Ganzes.


Linkswende Monatszeitung für Sozialismus von unten

Schleppen kann Leben retten! von Karin WILFLINGSEDER

M

itglied einer Schlepperbande wird man nach österreichischem Recht schnell. Jemand, der einem Flüchtling Nahrung oder ein Bett zum Schlafen gibt oder selbst der Taxilenker, der den ganz normalen Taxitarif für eine Fahrt vom Flughafen Schwechat zum Westbahnhof verlangt, ist nach den geltenden rassistischen Gesetzen ein „Schlepper“. Ein zusätzlicher Paragraph, in dem es um Meldeadressen geht, ist direkt auf den Verein Ute Bock zugeschnitten: Frau Bock stellt obdachlosen Asylwerbenden gratis Meldeadressen zur Verfügung, damit diese ihre offiziellen Schriftstücke per Post erhalten können, doch nun sollen sich die Flüchtlinge bei der Polizei registrieren und dort Post abholen. Diese rassistischen Gesetze sollen jede Unterstützung für Flüchtlinge verhindern und kriminalisieren hilfsbereite Menschen. Schlepperei ist derzeit ein Lieblingsthema des Innenministeriums. Flüchtlinge haben Proteste gegen die Unmenschlichkeit des österreichischen Asylsystems aufgebaut. Nun schlägt der Staat zurück. Acht Flüchtlinge aus dem Servitenkloster wurden verhaftet, vier von ihnen bereits abgeschoben. Das Bundeskriminalamt erklärte, man ermittle gegen eine „große kriminelle Organisation“ mit einem Umsatz von „mindestens drei Millionen Euro“. Die medial verbreiteten und meist bereits wiederlegten

Vorwürfe erinnern an die „Operation Spring“. Im Jahr 1999 verhaftete die Polizei 127 Afrikaner_innen, die nach dem Mord am Asylwerber Marcus Omofuma demonstrierten. Als „Mitglieder der nigerianischen Drogenmafia“ wurden die meisten von ihnen in einem skandalösen Monsterprozess zu jahrelangen Haftstrafen verurteilt.

menhängen brachte kürzlich Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International Österreich: An der Küste Westafrikas leben 1,5 Millionen Fischer von der kleinen Küstenfischerei. Sieben Millionen Menschen sind von der Existenz dieser Fischerei abhängig – im Bootsbau, Verkauf, Transport und bei der Verarbeitung der Fische. Nach der Überfischung in Europa verlagern aber auch spanische und Ein Produkt von brutalen Verhältnissen portugiesische Fangflotten ihre Schiffe. Die 45,2 Millionen Menschen waren 2012 laut EU zahlte zwischen 2006 und 2012 etwa UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR auf der 142,7 Millionen Euro für Fischereirechte vor Flucht. 81% der Mauretanien und Flüchtlinge haben Marokko. Über Zuflucht in armen 90% davon wurden Die Hilfeschreie der Entwicklungslänmit Steuergeldern ­vergewaltigten Frauen und die dern gefunden. Die Artilleriegefechte hämmerten Tag finanziert. 56 traIndustrienationen ditionelle mauretaund Nacht in seinen Ohren. bekämpfen Flüchtnische Pirogenboolinge und schaffen te bräuchten ein gleichzeitig mit ganzes Jahr, um die unseren Steuergeldern Fluchtgründe. Die EU- Fischmenge zu fangen, die ein europäisches Grenzschutzagentur Frontex schützt die Fes- PFA-Schiff an einem einzigen Tag fängt und tung Europa. Für multinationale Einsätze vor verarbeitet. Einheimische Fischer, die von der der afrikanischen Küste stellen die EU-Staaten Fischerei nun nicht mehr leben können, veraus öffentlichen Mitteln Überwachungsanla- kaufen schließlich ihre Boote an Flüchtlinge gen, Schiffe, Hubschrauber und Flugzeuge. oder an Schlepper und die EU gibt wieder Die Hauptfluchtursache ist laut UNHCR Unsummen aus, um diese abzufangen bevor Krieg. Reiche Staaten bomben, plündern Res- sie ihre Küsten erreichen können. sourcen, unterstützen Diktaturen und sind Die Fluchtgeschichte eines Überlebenden hauptverantwortlich für den globalen Klimawandel. Ein gutes Beispiel dafür, wie die 2012 billigte das Pentagon den Kauf von RüsWirtschaftspolitik der EU und Flucht zusam- tungsgütern um 41 Millionen für Uganda,

Burundi und Kenia, die Truppen in Somalia haben. Im selben Jahr wurden nach Angaben der UNHCR 270.000 Somalier wegen Dürre und Bürgerkrieg in die Flucht getrieben. Ali, ein somalischer Infanterie-Soldat, warf schon im Jahr 1990 sein Gewehr weg. Er ertrug die ständigen Leichenberge nicht mehr. Ali verzweifelte auch über den Hungertod von Menschen, die den Kugelhagel überlebten. Die Hilfeschreie der vergewaltigten Frauen und die Artilleriegefechte hämmerten Tag und Nacht in seinen Ohren. Ein Bekannter gab ihm einen Tipp, wo er einen Schlepper finden könne. Der Schlepper verlangte 2.000 Dollar, welche Ali von Familie und Freunden erbettelte. Ohne Geld, Nahrungsmitteln, Wasser und Schuhe marschierte Ali 200 Kilometer zur Grenze nach Äthiopien. Die Flucht nach Europa führte über Istanbul und Ungarn zur österreichischen Grenze. Ali landete für drei Monate im Asyllager Traiskirchen. Er konnte sich, dank des Schleppers, vor Hunger und Tod retten. Ali sagt: „Gebrochene Menschenrechte, nicht Schlepper, sind das wahre Problem.“ Nicht alle Schlepper sind eine Rettung für Verzweifelte. Es gibt grausame Menschenhändler, Zuhälter und brutale Profiteure. Diese Verbrecher harren aber nicht verarmt und auf ihre Abschiebung wartend im Servitenkloster aus. Wollten Entscheidungsträger Schlepperei echt abschaffen, müssten sie nur ihre rassistischen Gesetze ändern und außerdem Fluchtgründe statt Flüchtlinge bekämpfen.


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