Linkswende Nr. 168

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Linkswende Monatszeitung für Sozialismus von unten

Nr. 168 Juni 2013 Spende 1,50 EUR Solidaritätsspende 2,00 EUR

www.linkswende.org

DAS TUT DEN FASCHISTEN WEH!

FPÖ stürzt weiter ab von Manfred ECKER

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is zu den kürzlich geschlagenen Landtagswahlen in Tirol, Salzburg, Kärnten und Niederösterreich wollten viele eingeschworene Feind_innen der FPÖ nicht glauben, dass es wirklich bergab geht mit Strache und Co. Zu lange hat man sich in der Rolle des Gegners eingelebt, der nicht nur dem ständig wachsenden FPÖ-Wählerzustrom machtlos gegenüber stand, sondern auch den Helfern der FPÖ in Justiz und Polizei ausgeliefert war. Widerstand lohnt sich Aber dieses Wahljahr beschert uns eine neue Entwicklung: Die FPÖ und ihre Freunde

in den schlagenden Burschenschaften wurden von den Symphonikern am 8. Mai vom Heldenplatz vertrieben – quasi mit Pauken und Trompeten. Mit 68-jähriger Verspätung beginnt endlich die Intoleranz gegenüber den Nazi-Nostalgikern. Und die FPÖ stürzt bei den Wahlen ab. Wer diese Entwicklungen herunter spielt, der will entweder vor einer Verharmlosung der faschistischen Bedrohung durch die FPÖ warnen. Das wäre ein guter Grund! Oder man ist nicht imstande die positiven Entwicklungen wahrzunehmen, und damit die Chancen, die sich für die antifaschistische Bewegung aus dem FPÖ-Absturz ergeben – das ist ein sehr schlechter Grund. Faschismus wird meist als etwas Unaufhaltsames dargestellt, Hitlers und Mussolinis Machtergreifungen als unvermeidliche Er-

MUSIC SYRIEN & POLITICS 1960-er Protestsongs gegen den ­Vietnamkrieg, ­Drahdiwaberl und muslimischer ­Hip-Hop. Leo Kienmandl empfiehlt das Wien Museum

>> SEITE 14

>> Seite 7 Oliver Martin macht deutlich, wieso die ­Rebellen über Israels ­Angriffe so erzürnt sind

eignisse, aber das ist komplett falsch. Beide hätten aufgehalten werden können, wenn sich ihre Gegner_innen auf eine Zusammenarbeit einigen hätten können. Soziale Bewegung gegen den Faschismus Das falsche Geschichtsbild von einer unüberwindlichen Kraft des Faschismus hemmt auch heute noch die Gegner_innen der FPÖ. Denn es beruht unter anderem auf dem Bild einer dummen Masse von Menschen (vor allem der Ungebildeten), die den Faschisten zugelaufen waren und es heute wieder tun wollen. Der Masse wird in erster Linie mit Misstrauen begegnet. Wir müssen aber verstehen, dass die „ungebildeten Massen“ überhaupt nicht die Basis der faschistischen Bewegungen gebildet haben, sondern vielmehr Akademiker und

SCHULSCHWÄNZER >> Seite 9 Das ist eine verständliche Reaktion auf ein schlechtes ­Schulsystem schreibt Karin Wilflingseder

relativ gebildete Kleinbürger. Außerdem haben diese Kleinbürger die Massen nur deshalb für sich gewinnen können, weil die Gegenseite, die Linken, dies verabsäumt haben. Um die Mehrzahl der Menschen für sich zu gewinnen, muss die Linke den Widerstand gegen das Spardiktat in Europa auf die Straßen tragen und sichtbar machen. Und sie muss dafür sorgen, dass die FPÖ noch tiefer abstürzt als sie es ohne unser Zutun machen würde. Das heißt in anderen Worten: Wir müssen soziale Bewegungen aufbauen, Bewegungen gegen Rassismus und gegen Faschismus. Wir brauchen eine aktive Linke, wenn wir die Gelegenheiten nutzen wollen, die sich aus der Krise für uns ergeben.

GRIECHENLAND RADIKAL >> Seite 11 Panagiotis Sotiris meint, in Griechenland sollte man zum Bruch bereit sein und radikale ­Lösungen ­anvisieren


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Juni 2013 Linkswende USA

Streikende Streikbrecher

ASIEN

Proteste in Bangladesch

N „Totalversagen“ der Sicherheitsbehörden, es wurde nicht „ergebnisoffen“, sondern „ressentimentbehaftet“ und „vorurteilsbeladen“ ermittelt. Ergebnis des U-Ausschusses des Bundestags zu den NSU-Ermittlungen. Jahrelang hatten die Behörden über die „türkische Mafia“ geschwafelt

„Schwarze Nacht für ­Freiheitliche“ ORF-Online zur ÖH-Wahl

„perverses Drecksvolk“, „Judenpack“, „jüdische Kinderblutsauger“, „Islamdreck“, „Parasiten“ und „Inzuchtdebile“ „Ausrotten !!! – Viehwaggons und Ab !!!“ Eine polizeilich gesuchte Faschistin und Facebook-Freundin des Oberösterreichischen FP-Klubobmanns Günther Steinkellner

„Ich finde Thatcher war eine beeindruckende Frau, die für Großbritannien viel geleistet hat.“ Claudia Gamon von den Jungen Liberalen auf die Frage, ob Thatcher ein Vorbild für sie sei.

„Heinz-Christian Strache fliegt die FPÖ um die Ohren. Es kracht an allen Ecken und Enden.“ Michael Völker im „Standard“

„Weil ich steuerlich so ungebildet bin.“

Foto: detroit15.org

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achdem schon seit letztem Jahr in New York, Chicago und St. Louis Fast-Food-Ketten bestreikt wurden, gingen nun auch in Detroit 400 Arbeiter_innen auf die Straße. Die Hauptforderungen sind eine Anhebung ihres Lohnes auf 15 Dollar, was für viele eine Verdopplung ihres Mindestlohns von 7,40 Dollar bedeuten würde, sowie das Recht sich ungehindert organisieren zu können. Einer der Höhepunkte des Streiks war, als Streikbrecher die zu einer McDonald’s-Filiale gerufen worden waren, selbst in den Streik traten. Die Streiks werden in sämtlichen Unternehmen der Branche ausge-

rufen, egal wie viele Angestellte in einer Filiale organisiert sind. Ziel ist es, Unorganisierten Mut zu machen sich zu beteiligen. Um das Risiko von Kündigungen zu minimieren, werden die Streiks bloß für einen Tag ausgerufen, bei der Rückkehr an den Arbeitsplatz werden die Streikenden teilweise von Politikern und Geistlichen begleitet. Seit Ausbruch der Krise wurden die besser bezahlten Arbeitsplätze größtenteils durch Jobs im Fast-Food-Bereich und im Handel ersetzt. In der einstigen „Motor City“ Detroit sind heute doppelt so viele in FastFood-Restaurants beschäftigt als bei Autoherstellern.

ach gewalttätigen Protesten hunderttausender Arbeiter_ innen in Dhaka und Chittagong, wurden in Bangladesch Besitzer der eingestürzten Textilfabrik, leitende Angestellte und korrupte Beamte festgenommen. 1.127 Menschen starben bei dem Einsturz am 24. April. Nachdem Bosse attackiert, Fabriken in Brand gesetzt und Straßen blockiert wurden, blieben auch andere Fabriken am Wochenende

nach dem Einsturz geschlossen. So konnten die dort beschäftigten Arbeiter_innen bei der Rettungsaktion mithelfen. Am 2. Mai wurde ein landesweiter Generalstreik ausgerufen, am 7. Mai blockierten hunderte Demonstrant_innen den Dhaka-Chittagong-Highway um ausstehende Gehälter und Entschädigungszahlungen einzufordern. Jetzt sollen die Mindestlöhne erhöht und die Arbeitsbedingungen verbessert werden.

DEUTSCHLAND

SÜDAMERIKA

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Bolivianische Pensionsreform

eit dem 6. Mai streiken Bergleute, Lehrer und Angestellte für höhere Pensionen. Der Gewerkschafts-Dachverband Central Obrera Boliviana (COB) fordert 8.000 Bolivianos (890 Euro) für Minenarbeiter die 35 Jahre gearbeitet haben und 5.000 Bolivianos (560 Euro) für Beschäf-

tigte in anderen Sektoren. Die Regierung bietet 450 und 370 Euro. Wichtige Minen werden bestreikt, Brücken und Straßen werden blockiert oder gesprengt. Boliviens Präsident Evo Morales steht stark unter Druck. Während die Regierung 30 Bergleute freiließ, halten die Streikenden noch immer drei Polizisten als Geiseln. Die COB war bereits am Kampf gegen die Wasserprivatisierung in Boliviens drittgrößter Stadt Cochabamba beteiligt, und unterstützt die Wiederverstaatlichung wichtiger Industrien.

Weltweit erster Streik bei Amazon

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azi-Securities, die Leiharbeiter_innen kontrollieren, Überwachung noch eines jeden Toilettenganges, Mobbing älterer Mitarbeiter, Wege von 20 Kilometer pro Tag bei nur einer halbstündigen Pause und das Verbot Lebensmittel und Getränke mitzubringen. Die Arbeitsbedingungen in den Versandlagern von Amazon riefen vor kurzem Empörung hervor. Nach einem Warnstreik am 8. April an dem sich 500 beteiligten, hielt die Gewerkschaft Verdi in Leipzig und am größten deutschen Standort in Bad Hersfeld Urabstimmungen ab, bei denen sich über 97% für Streik-

maßnahmen aussprachen. Gefordert wird ein Tarifvertrag nach den Bedingungen des Einzel- und Versandhandels, Amazon betrachtet sich als Logistikunternehmen. Bei einem eintägigen Streik Anfang Mai beteiligten sich an drei Standorten 1.500 von 5.000 Beschäftigten. In Deutschland hat Amazon insgesamt acht Versandlager und 9.000 Beschäftigte. Bislang zeigte Amazon kein Entgegenkommen, Verdi konnte am Streiktag jedoch einige Dutzend Neubeitritte verzeichnen und die Stimmung in der Belegschaft ist weiterhin kämpferisch.

Ex-Finanzminister Grasser blamiert sich vor dem Staatsanwalt

„Wir nehmen nicht wahr, dass die rechte Szene insgesamt aktiver wird.“ Die Münchner Polizei kommentiert eine Welle von rechtsradikalen Übergriffen im Zusammenhang mit dem NSU-Prozess.

IMPRESSUM Linkswende

Monatszeitung für Sozialismus von unten Herausgeber (für den Inhalt verantwortlich): Manfred Ecker. Redaktion: Tom D. Allahyari, Manfred Ecker, Daniel Harrasser, Peter Herbst, Hannah Krumschnabel, Oliver Martin, Ludwig Sommer. Post: Linkswende, Postfach 102, Kettenbrückeng. 5, 1050 Wien Telefon: 0650 452 24 73 Web: www.linkswende.org Email: redaktion@linkswende.org ZVR: 593032642

IM VISIER: Wolfgang Jung „DFreude. Das ist die einzig richtige Deuer 8. Mai ist ein Tag der Freiheit und der

Strache sich wegen des anwachsenden antifaschistischen Widerstand nicht mehr zum Totung, es gibt keine andere Interpretation“, er- tengedenken traute, sprang Jung als Redner klärte heuer Verteidigungsminister Gerald ein. Jung ist bekannt für kühne GeschichtsKlug (SPÖ) und verhinderte den Aufmarsch verdrehungen. Das zeigte sich auch nachdem der Ewiggestrigen mit einer ganztägigen Eh- ein Neonazi den ehemaligen SPÖ-Politiker renwache des Bundesheeres. „Diese Repressi- Albrecht Konecny, nach der Demonstration von Seiten des Heeres gab es zuletzt in der­ on gegen den WKR-Ball 2012, mit einem 1. Republik und wir alle wissen, wie diese Schlagring niedergeschlagen hatte. In einem Provokation schlussendlich geendet habe.“ Die Nazi-Forum fragte ein User namens „Prinz Presseaussendung des Wiener Gemeinderat Eugen“ danach den User „Eispickel“: „Hast und Landtagabgeordnete Wolfgang Jung zeigt du dich an der alten roten Sau vergriffen?“ Eisdas bedrohliche, verfälschte Geschichtsbild pickel darauf: „Nein, ich war‘s diesmal nicht, der FPÖ. aber weiß, wer‘s war. Du kennst ihn auch.“ (Im Jährlich hielt der Wiener Korporations-Ring Küssel-Prozess wurde der Username „Prinz (WKR) am Jahrestag der Kapitulation Hitler- Eugen“ dem zweitangeklagten Felix Budin zuDeutschlands sein „Totengedenken“ auf dem geordnet.) Jung erklärte nach dem brutalen, Heldenplatz ab. Am 8. Mai 2004 war Bur- nachweisbar rechten Überfall: „Vermutlich schenschafter HC Strache (Vandalia Wien) wurde er auch verwechselt und von den linken der FPÖ-Redner. Unter den Zuhörenden war Anarchos niedergeprügelt.“ der verurteilte Neonazi Gottfried Küssel. Als Die ewiggestrige Gesinnung Jungs – er hält

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etwa Deserteure der N S -We h r macht für „schäbig“ – war weder für das Heeresnachrichtenamt noch für das Verteidigungsministerium ein Hinderungsgrund, den rechten Militär-Hardliner zu beschäftigen. Jung kritisierte im ORF, dass der Ermordung der sechs Millionen Jüdinnen und Juden öffentlich gedacht werden könne, während das Andenken an das Leid der „Volksdeutschen“ nicht zugelassen werde. Kritik hält er für das „Schwingen der Faschokeule“ von „linken Gesinnungsträgern“. „Wer nicht links ist, ist in dieser Stadt offenbar vogelfrei“, warnt der FPÖler selbst vor der Wiener Polizei. Er verkörpert die Defensive der FPÖ im Wahljahr 2013.


Linkswende Juni 2013

EDITORIAL

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ie zu erwarten, ist diese Ausgabe stark von den Entwicklungen geprägt, die durch die Landtagswahlen sichtbar geworden sind. Die FPÖ stürzt weiter ab, die Grünen wollen regieren und werden es wohl auch dürfen und die Roten verlieren immer mehr an Farbe. Dass die Grünen regieren dürfen, empfinden wir gar nicht als positiv. Sie gehen dafür als Partner in möglichen Protestbewegungen verloren und sie werden nach rechts rücken. Auf Seite 5 schreiben wir darüber, wie sich Regierungsparteien dem in der EU üblichen Rassismus kaum entziehen können. Außerdem auf Seite 5: ein Artikel über die Verbindungen zwischen FPÖ, esoterischen Verschwörungstheoretikern, Scientology und Sexualstraftätern. Die Mittelseite widmen wir wieder der Uni-Politik. Schließlich hat sich Linkswende zum ersten Mal an einer Hochschülerschaftswahl beteiligt und die ist soeben zu Ende gegangen (siehe Kommentar Seite 3). Wir verstehen Politik aber als einen Prozess, der die aktive Beteiligung der Menschen an der Basis verlangt, und genau darauf zielen wir diesmal wieder ab: Unterstütze den Aufbau von Protesten gegen Zugangsbeschränkungen an der Universität und unterstütze Migrant_innen gegen die allgegenwärtige Diskriminierung an den Unis. Noch besser: Mach mit bei Linkswende und ge-

KOMMENTAR

Linkswende online

von Manfred ECKER stalte aktiv mit, wie diese Bewegungen aussehen werden. Sehr wichtig ist uns der aktuelle Theorieartikel auf Seite 10. Darin analysieren wir, wie sich die Klassenkämpfe in Europa entwickeln. Viele Linke, die sich stärkeren Widerstand erwartet haben, sind bitter enttäuscht über das Niveau der Kämpfe und übersehen dabei, was wirklich vor sich geht. Schließlich ist der Widerstand nirgendwo in den „Krisenländern“ zusammengebrochen, obwohl sich die herrschenden EU-Eliten mit ihren Sparplänen oft durchgesetzt haben. Auf Seite 7 widmen wir uns der syrischen Revolution, die eine enorm schwierige Phase durchmacht. Assads Truppen hatten wieder Teilerfolge, das heißt die massakrierten tausende Zivilisten. Manche eroberten Städte oder Dörfer mussten wieder aufgegeben werden und gleichzeitig werden Waffen für die Rebellen immer schwieriger zu beschaffen. Die USA setzen in dieser Situation die Rebellen unter Druck und wollen erreichen, dass sie zuerst die Islamisten in ihren Reihen bekriegen anstatt alle Kräfte auf den Sturz Assads zu konzentrieren. Schließlich möchte wir dir auch den Kulturartikel ans Herz legen, der diesmal ganz vom Themenschwerpunkt der Wiener Festwochen „Music and Politics“ geprägt ist. Viel Vergnügen beim Lesen!

Nach den ÖH-Wahlen:

Alles in linker Hand

Besuche uns auch auf unserer Homepage: www.linkswende.org Dort findest du weiterführende Artikel, Analysen, Termine, Demoberichte und Links zu unseren internationalen Schwesterorganisationen und zu marxistischer Theorie, außerdem Fotos und Videos sowie ein umfangreiches, thematisch geordnetes Artikelarchiv. Viel Spaß beim Stöbern.

von David ALBRICH

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Wir freuen uns auch über Feedback und Kritik: redaktion@linkswende.org Linkswende auf Facebook: www.facebook.com/ Linkswende.IST.Austria Linkswende auf youtube: www.youtube.com/ anticapitalista1917 Linkswende auf flickr: www.flickr.com/linkswende

Foto: socialistworker.co.uk

FOTOBERICHT

Gesänge in Bengali hallten am 28. April durch Manolada im Westen Griechenlands. Rund 2.000 migrantische „illegale“ Arbeiter und ihre Unterstützer_innen widerstanden der brutalen Repression (zuletzt wurde scharf auf sie geschossen) und marschierten durch das Dorf Manolada. „Mein Boss ist ein Vollidiot“ sagt Koasier Farooq. „Wir sollen arbeiten und arbeiten, bekommen kein Geld und keine Papiere. Ich will, dass sich etwas verändert.“

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ie Linken bauen ihre Hochburg auf den Universitäten bei den ÖH-Wahlen aus. Der VSStÖ und die GRAS können an einigen Hochschulen stark zulegen, während der prophezeite Coup der ÖVP-nahen Aktionsgemeinschaft und der Jungen Liberalen (JuLi) ein frommer Wunsch konservativer Kommentator_innen blieb. Der rechtsextreme RFS bestätigt die Krise der FPÖ und verliert beinahe überall. Die linke Stimmenmehrheit ist ein Schlag gegen Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle, der kurz vor den Wahlen seine Empfehlung für JuLi aussprach, die einzige Fraktion, die flächendeckende Studiengebühren forderte. Die Solidarische Linke (SOLI) fährt aus dem Stand mit 495 Stimmen (3,0 Prozent) an der Universität Wien ein solides Ergebnis ein – gerade einmal 21 Stimmen fehlten auf den Einzug in die Universitätsvertretung (UV). Mit der Gründung von SOLI haben die Organisationen KSV, Young Struggle und Linkswende einen für die universitäre Linke enorm wichtigen Schritt getan und im Kampf gegen Bildungsabbau einige ideologische Hürden niedergerissen. Üblicherweise heben Linke ihre Differenzen hervor und verzetteln sich gerne in Kleinkriegen. Gerade in Zeiten, in der die Regierung zum Frontalangriff auf die Universitäten ausholt – der freie Hochschulzugang soll bis 2019 abgeschafft werden – muss die Linke erkennen, wie wichtig es ist zusammenzuarbeiten. SOLI macht genau das und konnte so die Politik im Wahlkampf entscheidend mitprägen und die Diskriminierung von Drittstaatsangehörigen als zentrales Thema positionieren. Bis nach rechts außen – der RFS ausgenommen – sprachen sich die Fraktionen nacheinander gegen die diskriminierenden doppelten Studiengebühren für Ausländer_innen aus. Eine parlamentarische Bürgerinitiative könnte demnächst das diskriminierende Wahlrecht kippen, das Drittstaatsangehörige von der Kandidatur ausschließt. SOLI schickte Berk und Meltem aus der Türkei als Spitzenkandidat_innen ins Rennen – die Wahlkommission strich beide von der Liste. Die Protestkandidatur erhöhte den Druck auf die Entscheidungsträger_innen. Die ÖH sprach davon, dass die Wahlen „von Diskriminierung überschattet“ sind und dieser „Missstand möglichst schnell zu beseitigen“ ist. SOLI präsentierte sich als aktionsorientierte Fraktion und organisierte in der kurzen Zeit ihres Bestehens erste Proteste. SOLI-Aktivist_innen waren dort wo sie auftraten die sichtbarsten und aktivsten Kräfte. Die höchsten Stimmanteile entfielen auf jene Institute, in denen SOLI auch in den Hörsälen zu Studierenden gesprochen hat. Gefehlt hat es noch an der Zahl der Aktivist_innen. SOLI muss ein breiteres Protestnetzwerk werden, Aktivist_innen die einfache Teilnahme ermöglichen und zur Anlaufstelle für Studierende werden, die sich gegen Bildungsabbau wehren wollen. Zum anderen muss SOLI zur unübersehbaren Aktivist_innengruppe werden. Die 2.000 gesammelten Unterschriften gegen die doppelten Studiengebühren für Drittstaatsangehörige und die Aktivität im Wahlkampf spiegeln sich noch nicht im Wahlergebnis wider. Dazu muss die Fraktion beweisen, dass Organisation „von unten“ einen entscheidenden Unterschied machen kann. Nur über kontinuierliche Arbeit in den nächsten Wochen und Monaten kann SOLI zu einem entscheidenden Faktor an den Universitäten werden.


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Juni 2013 Linkswende

Zwiespältig:

DEBATTE

Der Staat und die Nazis von Manfred ECKER

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Foto: Reuters

Foto: Linkswende

er 8. Mai 2013 war ein Wendepunkt: Erstmals wurde der Tag der Befreiung – am 8. Mai 1945 kapitulierte die deutsche Wehrmacht – ohne Naziaufmarsch am Heldenplatz gefeiert. Aber es war nicht die offizielle Republik, die den Heldenplatz besetzt und die Neonazis am Aufmarsch gehindert hat – der Bundeskanzler und Co. kamen auf Einladung des Mauthausenkomitees. Die „Befreiungsfeiern“ hinterließen einen zwiespältigen Eindruck: einerseits muss man sich freuen, dass alten Nazis und Neonazis nach 68 Jahren endlich der Raum genommen wird, und sie nicht mehr Selbstbewusstsein tanken können. Die FPÖ konnte gedeihen weil Entnazifizierung in Österreich extrem oberflächlich vorgenommen wurde. Hierzulande gab es viel mehr Kriegerdenkmäler als Gedenken an die Opfer der Nazis und den Widerstand. So gesehen waren die Achte-Mai-Feiern als Befreiungsfeiern mit dem Konzert der Symphoniker nichts weniger als ein riesiger Fortschritt. Zwiespältig waren sie dennoch und zwar, weil das Geschichtsbild, wonach die Alliierten einen antifaschistischen Krieg geführt hätten, weiter vertieft wurde. Die Soldaten der Alliierten waren tatsächlich vom Kampf gegen Faschismus motiviert, aber die Alliierten haben Hitler, Mussolini und Franco so lange zugesehen – bis ihre eigenen Interessen bedroht waren. Sie haben im spanischen Bürgerkrieg eher zu Franco gehalten denn zur Republik. Auch Stalin war dem Antifaschismus nicht gerade förderlich. In Spanien beendete die Politik der KP die Revolution, und in Deutschland hätte Hitler wohl verhindert werden können, hätten die Kommunisten nicht so eine feindselige Linie ge-

genüber der SPD verfolgt. In Griechenland halfen die Alliierten Partisanen zu verfolgen und in Spanien und Portugal (diese Aufzählung lässt sich fortsetzen) ließen sie die Diktaturen unangetastet weiter ihr tödliches Werk ausüben. Was wir aus der offiziellen Geschichtsschreibung folgern sollen: es war erstens keine andere Befreiung möglich als die Befreiung von oben durch imperialistische Armeen. Wir schulden daher dem Imperialismus etwas (vor allem dem westlicher Prägung) und Antiimperialismus hat etwas Anrüchiges und Kritik an der Außenpolitik der USA ist zumindest verdächtig. Zweitens sollten wir gar nicht darüber nachdenken unter welchen Bedingungen Faschismus auch besiegt werden hätte können; nämlich durch den fortgesetzten Widerstand in den besetzten Gebieten und den Widerstand zuhause, der sich wegen der verheerenden Wirtschaftsprobleme entwickelt hätte. Die Armeen Nazideutschlands hätten nämlich kein stabiles Regime in den eroberten Gebieten installieren können. Trotz all des Terrors waren der Balkan und auch Russland nicht zu beruhigen. Es ist keine Frage, dass die Befreiung von Hitlers Terrorregime am 8. Mai 1945 höchst willkommen war, es ist nur falsch zu glauben, dass imperialistische Armeen notwendig sind, um den Triumph von Faschismus verhindern zu können. Wir sehen auch heute, dass Kapitalismus, vor allem die Krise in die er die Menschheit schleudert, zum Aufstieg faschistischer Bewegungen führen kann. Wir sehen auch, dass die staatlichen Institutionen uns keinen oder nur miserablen Schutz vor Faschismus bieten. Antifaschist_innen sollten deshalb nicht Imperialismus als Retter verstehen, sondern als Teil des Problems.

Warum Stronach die FPÖ kaum schwächt

Foto: APA/Robert Jaeger

von Manfred ECKER

Die Schwächung, die der FPÖ echt an die Substanz geht

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Erstens ist die Glaubwürdigkeit der FPÖ als Partei der kleinen Leute weg. Kärnten wurde von den rechten Recken und ihren korrupten Geschäftsfreunden wie ein Selbstbedienungsladen abgeräumt. In die Kärntner Hypo Alpe Adria flossen bisher zwei Milliarden Euro Steuergelder. Keine Regierung hat so viele Korruptionsskandale zu verantworten wie von ÖVP/FPÖ. Wenn die FPÖ in die Nähe von Macht kam, haben sich ihre Funktionäre unverschämt und teilweise kriminell bereichert – das ist klar sichtbar geworden. Zweitens klebt ein Neonazi-Image gut sichtbar an der FPÖ. Beim „Fest der Freude“ am 8. Mai feierten heuer über 10.000 Antifaschist_innen die Niederlage des NS-Regimes. Verteidigungsminister Klug verhinderte mit einer ganztägigen Mahnwache den Trauerzug der deutschnationalen Burschenschafter und FPÖlern. Antifaschismus ist nicht, wie Jahrzehnte lang seit dem 2.Weltkrieg, nur mehr Sache der radikalen Linken. Die FPÖ ist endlich mit dem antifaschistischen Grundkonsens konfrontiert. Als Reaktion macht die FPÖ Rückzieher beim allzu einschlägigen Führungspersonal. Der 3.Nationalratspräsident und Olympe Martin Graf muss seinen Posten räumen. Fans von Barbara Rosenkranz treten aus der FPÖ aus. Sie verstehen nicht, dass Strache seine einstige Frontfrau opfert um das Neonazi- und Verlierer-Image etwas loszuwerden. Gleichzeitig jagt ein Neonazi-Skandal von FPÖlern den anderen. Die FPÖ hat im Wahljahr 2013 breiten antifaschistischen Widerstand und öffentliche Demaskierung nichts entgegenzusetzen.

rstens bedeutet ein Stärke Stronachs keinen Bruch mit rechter Ideologie. Die Zersplitterung des Dritten Lagers, seit Haiders FPÖ-Abspaltung mit dem BZÖ umfasst auch das Team Stronach. Von den ersten zehn Namen der damaligen BZÖ-Liste Haiders ist ein Drittel der Mandatsanwärter sind mittlerweile zu Stronach oder zur FPÖ gewechselt. Erst als der Verfassungsschutz gegen Alois Wechselberger wegen einschlägiger Online-Texte zu ermitteln begann, distanzierte sich das Team Stronach von ihm und vier seiner Mitstreiter. Es zerschlägt nicht das dritte Lager, sondern ist ein Teil davon. Zweitens führen Stimmen für Stronach zu keinen Veränderung beim Protestverhalten. Rechte Proteststimmen kriegt der Milliardär vor allem, weil über die Missstände poltert. Ein Stronach-Wähler ist mehrheitlich ein frustrierter Mann. Der Politologe Peter Filzmaier erklärt: „Subjektiv sieht er eine sehr negative Entwicklung des Landes – und eine Verschlechterung seiner Lebenssituation.“ Stronachs Wähler haben erst an Jörg Haider, dann an HC Strache geglaubt. Nun sind sie enttäuscht und hoffen auf den Industriellen als heilbringenden Führer. Drittens sind Rassismus und Chauvinismus nicht durch Stronach einzudämmen. Als Eckpunkte der Position des Team Stronach nannten die ehemaligen BZÖler Elisabeth Kaufmann-Bruckberger und Christoph Hagen im Parlament unter anderem: kein Asyl für Wirtschaftsflüchtlinge, nur eine einmalige Antragstellung auf Asyl, die jährliche Verifizierung der Situation im Heimatland der Flüchtlinge und sofortige Aberkennung des Asylstatus bei Straffälligkeit. Auch wenn Stronach nicht vordergründig auf Rassismus setzt, niemand – weder seine Funktionäre noch die Wählerschaft – muss mit Rassismus brechen.

Tausende Besucher kamen zum „Fest der Freude“ am Heldenplatz

PRAXIS

Nach den ÖH-Wahlen:

ÖH-POLITIK EINMAL ANDERS

von Ludwig SOMMER

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In dieser Serie stellt Linkswende die neue Wahlliste SOLIDARISCHE LINKE vor.

OLI-Aktivist_innen werden oft gefragt, „was unterscheidet euch von anderen linken Fraktionen, was würdet ihr anders machen?“ Der entscheidende Unterschied besteht darin, dass SOLI auf Selbstaktivität statt nur Vertretung setzt, wie in der letzten Ausgabe beschrieben (Nr.167/S.4). Studierende in die Aktivität zu bringen und die Bewegung gegen Bildungsabbau zu stärken liegt der Politik von SOLI zu Grunde. Während des Wahlkampfs wurden viele Probleme thematisiert. Doch

wie können nach den Wahlen konkrete Verbesserungen erreicht werden? Nach den Wahlen ist bisher leider immer zu beobachten gewesen, dass sich die ÖH-Faktionen in den Elfenbeinturm der ÖH-Politik zurückziehen und weitab von den Studierenden versuchen, stellvertretend deren Interessen umsetzen wollen. SOLI wird nach den Wahlen weiter sichtbar sein und Proteste aufbauen. Aus diesen unterschiedlichen Herangehensweisen, resultiert auch eine andere Einschätzung der Bildungsbewegung. Während die bisherige ÖH Stellvertreterpolitik betreibt,

entgeht ihr die Stimmung der Studierenden, die mit der Situation an den Unis nicht zufrieden sind und selber aktiv werden wollen. Schnell wird dann der Schluss gezogen, dass Studierende zurzeit nicht mobilisierbar seien und es im Moment gar keine Bildungsbewegung gäbe. Doch im letzten Jahr wehrten sich Studierende gegen die Studieneingangs- und Orientierungsphase (StEOP), gegen autonome Studiengebühren und gegen die Abschaffung des Bachelorstudiums Internationale Entwicklung. SOLI-Aktivist_innen können im Gegensatz zur anderen ÖH Fraktio-

nen die Stimmung auch abseits der sichtbaren Proteste wahrnehmen, weil sie durch Gespräche an ihren Infotischen, auf Demonstrationen und im eigenen Umfeld Erfahrungen machen, welche für eine ÖH im Elfenbeinturm im Verborgenen bleiben. Auf die Frage wie man etwas verändern kann findet die bisherige ÖH nur die Antwort, dass man mehr Transparenz, mehr Vernetzung der politischen Akteure, mehr Aufklärung der Studierenden und mehr Expertise in der ÖH-Politik braucht. Sie trifft sich mit dem Wissenschaftsminister in einem schönen

Cafe, versucht ihm ihren „alternativen Hochschulplan“ schmackhaft zu machen und hofft auf sein „gütiges“ Wohlwollen. Kurz gesagt hat sie sich von der Möglichkeit der radikalen Veränderung durch eine Bildungsbewegung verabschiedet. SOLI hingegen geht es um einen radikalen Wandel der politischen Kultur auf den Unis und möchte diejenigen stärken, die sich für rebellische Unis einsetzen. Daher sucht SOLI nicht das Gespräch mit dem Ministerium, sondern mit Studierenden, Lehrenden und Werktätigen. SOLI steht für eine Veränderung von unten.


Linkswende Juni 2013

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RASSISMUS

FPÖ: Verurteilte Sexualstraftäter, Scientology und Verschwörungstheoretiker

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ie FPÖ ist eine Sammelbewegung verschiedener rechter Strömungen; vom akademischen Neonazi bis zum esoterischen Dorfverschwörungstheoretiker treffen sich seltsame Gestalten in der Freiheitlichen Partei. Ein verurteilter Sexualstraftäter schreibt völlig wirren Schwachsinn über Türken, die sich in Österreich angeblich mit Genehmigung der Justiz an Kindern vergehen dürfen, und gleich drei FPÖ-Ortsgruppen aus Niederösterreich übernehmen die Falschmeldung mit dem Titel „Türken dürfen Kinder ­vergewaltigen“. FPÖ – Hauptsache rassistisch Drei Ortsgruppen der krisengebeutelten FP-Niederösterreich, die FPÖ-Lichtenwörth, die FPÖGmünd und die FPÖ-Heidenreichstein haben auf ihren Facebook-Seiten eine Geschichte verbreitet, die aus einem Kronenzeitungsartikel

fabriziert wurde. 2012 wurde ein türkischer Mann von einem österreichischen Gericht von dem Vorwurf des sexuellen Missbrauchs an seinem Sohn freigesprochen. Das Schöffengericht konnte keinerlei Hinweise auf Missbrauch feststellen. Zumindest eine Tageszeitung war da weniger vorsichtig und empörte sich zuvor darüber, dass der Mann im August 2011 lediglich auf freiem Fuß angezeigt wurde. Ob als direkte Reaktion auf die Kronenzeitungsartikel oder nicht, der Mann wurde daraufhin tatsächlich inhaftiert. Eine Supermarktkassiererin hatte Fotos zu Gesicht bekommen, auf denen der Mann seinen Sohn abbusselt ... und daraufhin Anzeige erstattet.

funden worden. Der Wolfsberger Verein hat Versionen der Geschichte übernommen, die von deutschen Webseitenbetreibern gesponnen wurde. Die vermengten zwei Geschichten, die eine aus Niederösterreich, die andere aus Osnabrück. Die deutschen Betreiber sind der Kopp-Verlag („Die Evolutionslüge: Dr. Zillmer weist nach, dass es keine Evolution gab ...“), und der „Galaxiengesundheitsrat“ vom „Staatenbund Königreiche Wedenland“. Der selbsternannte König von Wedenland, anerkennt die Gesetze und die Gerichtsbarkeit der Bundesrepublik Deutschland nicht und will die „wedrussischen Stämme“ (gemeint sind arische Volksstämme) wieder zusammenführen.

Obskure Vereine

Antisemitismus und Kampf gegen „muslimisches Grillen“

Die Geschichte der Kronenzeitung wurde von drei seltsamen Akteuren weiter aufgebauscht. Einer ist der Vorsitzende eines Vereins mit Sitz in Wolfsberg in Kärnten, namens „Int. Network of Human Rights“, mit der Homepage www. inhr.net, die einen gewissen Hang zu schrillen Verschwörungstheorien, dem Fall Kampusch, den Bilderbergern und vergewaltigenden Muslimen hat. Besagter Vereinsvorsitzender ist auch als Gutachter für Scientology tätig und wie schon erwähnt 2011 höchstgerichtlich des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen und des Die FPÖ Lichtenwörth teilt ein Bild der Facebookeines Seite „Midgard Nachrichten die unsere Regie- Missbrauchs rung verschweigt“. Die „germanische“ Symbolik Autoritätsverhältnisist eindeutig. ses für schuldig be-

Die FPÖ Ortsgruppen haben die Falschmeldung noch mit irren Schimpftiraden gespickt. Das Ganze klang dann so: „Ihr Dreckschweine !! Dann sind wir die Hetzer??? Es handele sich bei der Kindesvergewaltigung um eine »jahrelange Familientradition«. Das Kind habe sich nicht gewehrt, weil es die Gefühle seines Vaters nicht verletzen wollte. Also ist doch alles in Ordnung, oder?! Sagt ein Österreichisches Gericht !! Was ist los mit dieser verschiessenen arschkriecherischen Justiz. Sind die noch bei Trost????“ Andere Postings auf der Seite der FPÖ-Lichtenwörth vervollständigen das Bild: Eines unterstützt den „Kampf gegen muslimisches Wildgrillen“ von SOS-Heimat. Ein anderes verlinkt auf eine Anzeige der „Wahrheitsbewegung“ gegen den Rothschild- und den Rockefeller Clan wegen unfassbarer Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Explizit angeführt wird dabei der „Betrug gegen das amerikanische Volk wegen Gründung der „USA“ durch Freimaurer“!

FPÖ bereitet rassistischen Wahlkampf vor von Tom D. ALLAHYARI alls sich jemand Hoffnungen gemacht hat, die FPÖ würde bei den kommenden Nationalratswahlen, vielleicht aus taktischen Gründen, einen etwas weniger wi-

derlichen Wahlkampf führen, wird vom neuen „Handbuch für freiheitliche Politik“, einem Leitfaden für Funktionäre, eines besseren belehrt. Darin wird beispielsweise eine „Mi-

nuszuwanderung“ gefordert, ein anderes Wort für Zwangsdeportationen. Denn Integration sei sowieso unmöglich. Migrant_innen werden in dem rassistischen Machwerk offen zu Sündenböcken gemacht, sie sollen für Arbeitslosigkeit und Kriminalität verantwortlich sein, aber auch für hohe Immobilienpreise und die Verbreitung von Krankheiten (!). Man muss kein eingefleischter Feind der FPÖ sein, um die Parallelen mit der antisemitischen Propaganda der Nazis zu erkennen. Antifaschist_innen hätten den Blauen einen Wandel sowieso nicht abgenommen, so aber wird die radikal-rassistische Parteilinie auch viele neue Gegner_innen der blauen Krawallbrüder motivieren. Wir freuen uns auf einen vielfältigen und entschlossenen Widerstand gegen die Wahlkampf der FPÖ.

Mikl-Leitner wollte ja nur bei rassistischer Hatz mitmachen von Manfred ECKER

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sterreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner gestand öffentlich und ohne einen Hauch von Scham ein, dass sie eigentlich keinen Grund hatte, eine Romafeindliche Initiative der Innenbzw. Einwanderungs-Minister von Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien zu unterstützen – aber dabei sein wollte sie. Die vier Minister_innen, inklusive Mikl-Leitner, unterzeichneten einen Brief in dem sie verlangen, dass Anfang Juni der EU-Innenrat darüber diskutiert, wie die Reisefreiheit eingeschränkt werden könnte, und als Exempel ziehen sie den sozialschmarotzenden Osteuropäer heran, der die Personenfreizügigkeit der EU ausnutzen wolle. Sie schreiben von einer erheblichen Belastung durch bestimmte Zuwanderer aus anderen Mitgliedstaaten – gemeint sind damit Roma, wie man aus den öffentlichen politischen Diskussionen aus Deutschland schlussfolgern darf. Dass Neuankömmlinge aus Osteuropa denselben Zugang zu Sozialleistungen haben wie Einheimische, gehe nicht an. Das sei ein „Verstoß gegen den gesunden Menschenverstand“. In deutschen Großstädten wie Mannheim, Frankfurt oder Duisburg würden tausende Zuwanderer Sozialhilfe beziehen und so das deutsche Budget massiv belasten. Rassismus gegen Osteuropäer Mikl-Leitner gestand auf Nachfrage ein, dass das Problem in Österreich nicht existiere, aber sie wollte ihren Kollegen aus den drei Ländern einen Gefallen tun. Das Ganze ist ein kleines Lehrstück darüber, wie ein spezieller EU-Rassismus konkret entstanden ist und weiter entstehen kann. Anfang 2014 fallen die Beschränkungen für den freien Personenverkehr für Menschen aus Rumänien und Bulgarien. Mikl-Leitner ist sich

bewusst, dass sich daraus keine Belastung des Sozialstaats ergeben wird. So sagte sie dem „Kurier“: „Diese Sorge gab es bei den anderen neuen Mitgliedsländern wie Tschechien oder der Slowakei auch. Die Sorge hat sich nicht bestätigt. Es wird auch bei Rumänien und Bulgarien kein Problem werden. Wir haben gute Regelungen.“ Und genau das ist typisch für den in Westeuropa so typischen Rassismus gegen Osteuropäer_innen: Diejenigen, die ihn schüren, wissen, dass die verbreiteten Vorbehalte jeglicher Grundlage entbehren. Aber die erzeugte Stimmung erfüllt mehrere Zwecke. Vor allem kann sie von den größten Widersprüchen innerhalb der EU ablenken. Die EU verspricht Wohlstand und Freiheit für alle. Tatsächlich entwickelt sich in den Teilnehmerstaaten eine zunehmende Ungleichheit zwischen Arm und Reich. Die richtigen Fragen zu diesem realen Widerspruch muss lauten: Wieso, wenn genug für Alle da sein müsste, habe ich weniger und die da Oben um so viel mehr? Wieso, wenn wir gleiche Chancen für Alle haben, gibt es welche, von denen ich immer schon wusste, dass sie es nicht schaffen werden! Rassismus bietet imaginäre Lösungen für reale Widersprüche an. Und er bietet eine Art Kompensation für erfahrenes Unrecht an. Wer den Unfug Mikl-Leitners wiederholt, darf sich zum gerechten Teil der Gesellschaft zählen, der zu Recht auf die hinab schaut, die zu Unrecht „unsere“ Sozialleistungen beziehen. Und Rassismus wird von geübten Politikern noch sehr vielseitig für das Alltagsgeschäft eingesetzt. Im Falle von Deutschlands Hans-Peter Friedrich und Österreichs Mikl-Leitner ist es Wählermobilisierung. Sie wollen ganz einfach Rassisten und Ängstliche mobilisieren. Regieren im Kapitalismus ist notgedrungen ein dreckiges Geschäft; davon ist allen progressiven Kräften, auch den Grünen, nur abzuraten.

Bild: Blutgruppe HC Negativ

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Rothschild und Rockefeller: Verschwörungstheorien rund um einzelne bekannte Familien sind bei Rechten beliebt.

Mikl-Leitner mit ihren Kollegen aus Deutschland und Holland


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Juni 2013 Linkswende

Postfach

Die hier veröffentlichten Briefe und Berichte repräsentieren nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion von Linkswende.

Doppelte Studiengebühren:

„Welcher rassistische Idiot hat sich das ausgedacht?“

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ch als migrantischer Student bekomme aus der Türkei, wo ich herkomme, keinerlei staatliche Unterstützung und muss neuerdings über ca. 740 Euro Gebühren bezahlen und das nur weil ich Ausländer bin. Welcher rassistische Idiot hat sich das ausgedacht? Wir Studierenden werden nichts von diesem Geld sehen, vielleicht kauft sich der Rektor einen neuen Schreibtisch oder renoviert sein Büro. Warum gerade gegen die Ausländer? Nein, wir dürfen das auf keinen Fall zulassen. Wir müssen zusammenhalten. Die wollen uns die Bildungsmisere ausbaden lassen und dazu wollen sie die Studie-

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rende spalten. Wir sollten gegen Studiengebühren demonstrieren, österreichische und migrantische Studierende gemeinsam. Wenn österreichische Studierende nicht jetzt gemeinsam mit Migranten kämpfen, werden sie früher oder später mit denselben Problemen wie wir zutun haben. Mit SOLI gibt es eine Möglichkeit, dass wir zusammenarbeiten können, die sollten wir nutzen. Ich würde mich wie immer freuen mit den Österreicher_innen zusammenzuarbeiten. Hoch die internationale SOLI! Ferhat

Freunde-Schützen-Haus: Bitte um Unterstützung

as Freunde-Schützen-Haus vom Verein Purple Sheep braucht dringend Unterstützung! Purple Sheep beherbergt im Moment mehr Familien denn je, darunter drei schwerstbehinderte Kinder. Unterstützt werden Menschen, die wegen einer fehlerhaften Entscheidung der Beamten kurz vor der Abschiebung stehen und deswegen keinen Anspruch auf staatliche Unterstützung mehr bekommen, rechtlich, menschlich und sozial. Und das mit durchaus großem Erfolg: Seit der Eröffnung des Hauses im Jahr 2010 konnte in mehr als 400 Fällen die Entscheidung ins Positive gekehrt und das Unrecht aufgehoben werden! Gerade eben erst ist eine somalische Familie, eine Großmutter mit ihren vier Enkeln, die zwischen vier und 14 Jahren alt sind, eingezogen, die Eltern sind nicht mehr am Leben. Die Großmutter konnte mit den Kids gerade noch dem Bürgerkrieg in Somalia entkommen. Alle Spenden kommen direkt den Betroffenen zu Gute, die Mitarbeiter arbeiten alle ehrenamtlich und unentgeltlich. DRINGEND UND REGELMÄSSIG benötigt werden haltbare Lebensmittel,

Foto: Julia Sobieszek

Fahrscheine, Windeln in Größe 6 und 7 sowie Toilettartikel. Das größte Problem sind jedoch die hohen Stromkosten, da Heizung und Warmwasser damit betrieben werden. Wenn Ihr mit Energie unterstützen wollt, könnt Ihr das über das Spendenkonto tun: Spendenkonto: Verein Purple Sheep Raiffeisen Landesbank NÖ-W Konto: 11.680.808 BLZ: 32000

Lehrlinge verdienen Respekt! „Mhalten:

an muss sich eines vor Augen Ich bekomme fürs nicht arbeiten fast genauso viel bezahlt wie fürs arbeiten. […] Und in welchem der 10 Gebote steht, dass Du fürs Nichtarbeiten etwas bekommst?“ Diese an Arroganz kaum zu übertreffende Aussage stammt vom Starkoch Mario Plachutta. Tja, mit Nichtstun kennt sich der Mario aus, als Kind von Starkoch Ewald Plachutta wurde ihm ein goldener Löffel in den Mund gelegt, womit er schon mit 24 Jahren ein Gasthaus aufsperren konnte. Sein Vater Ewald hingegen ging nach der Schule in die Lehre und gewann bei der Kocholympiade eine Goldmedaille und sogar einen Sonderpreis. Das war 1968, eine Zeit zwischen wirtschaftlichem Aufschwung und politischer Hoffnung – Fremdworte für die heutige Zeit. Mittlerweile sind wir in der Wirtschaftskrise angekommen und die Ideale der 68er liegen in Trümmern am Boden. Den Erfolg unserer Eltern können wir nicht erreichen, und immer mehr Jugendliche sehen in Rassismus und Nationalismus Formen des Protestes. Letztendlich sehe ich das Problem in unserer Stellung. Ich habe es selber erlebt, dass ein Berufsschullehrer, mit dem man sich gut über Che Guevara unterhalten kann, die Schüler mit Arroganz und Ekel behandelt; mit ihm kann man wenigstens über ernsthafte Themen reden, die meisten Lehrer wollen auf persönlicher Ebene überhaupt nichts mit uns zu tun haben und gehen Gesprächen konsequent aus dem Weg. Zu dieser Zeit war ich in der Berufsschule täglich mit Wiederbetätigung konfrontiert, die von den Lehrern ignoriert wurde. Nachdem ich gesehen habe wie ein Lehrer offen antisemitisch wurde und die Schüler bei einem Ausflug in eine NS-Verfolgungsausstellung Naziwitze machten und die Lehrerin wegsah (nicht das erste Mal), schrieb ich eine E-Mail an Andre-

as Salcher (Der talentierte Schüler und seine Feinde) mit der Frage, ob er mir nicht weiterhelfen könne. Wenige Tage später rief er mich an und meinte, was für ein Riesenskandal das wäre. Er würde mir eine Psychologin und einen Interviewer vom Kurier schicken. Diese Geschichte würde durch ganz Österreich gehen, versprach er mir. Als er mich nach dem Namen der Schule fragte und ich ihm antwortete, sagte er „Ach! Das ist eine Berufsschule? Ich dachte das wäre eine höhere Schule?“ „Nein, nein“, sagte ich, „das ist eine Berufsschule für Automechaniker.“ Er antwortete: „Oh, ach so, ich melde mich dann bei ihnen, versprochen!“ Das war das letzte Mal, dass ich was von ihm hörte. Weder der Interviewer noch die Psychologin meldeten sich bei mir. Diese Überzeugung, dass das bei uns eh normal ist, weil wir halt so primitiv sind, sehe ich überall. Auch wenn ich in meinen Familien- und Bekanntenkreis über das Problem geredet habe, wurde nur geredet dass halt „so ist“ und dass sie einfach deppert seien. Diese Jugendlichen sind nicht deppert! Ich habe viele kennengelernt, die sich mit Technik, Informatik und Automechanik um ein mehrfaches besser als die Lehrer auskennen. Viele haben ein richtiges Talent, andere zum Lachen zu bringen; oder komponieren stundenlang Musik für ihre Freunde am PC. Manche beschäftigen sich mit Graffiti und könnten genauso gut Designer sein. Auch dass wir faul seien stimmt nicht, die Mehrheit wollte lieber in die Arbeit zurück, oder wollten mehr Zeit in der Werkstätte verbringen, weil sie mit körperlicher Arbeit mehr anfangen konnten als stundenlanges Abschreiben und Zuhören. Ein kreatives Potenzial gibt es immer, unsere Schulen haben es aber perfektioniert dieses auszutreiben. Zurück zum Thema Plachutta: Mario meinte letztes Jahr, dass Lehrlinge nur „unbrauchbare Analphabeten“ wären. Die Gewerk-

schaft vida mobilisierte daraufhin eine Demonstration: Ich wollte diesmal nicht nur als LinkswendeMitglied hingehen. Es war auch eine persönliche Sache, denn ich wusste, so etwas wie Respekt bekommt man als Lehrling nicht – von niemandem! Zusammen mit einem Malerlerhrling und zwei Arbeitslosen Damen malten wir am Vortag bis in die Nacht ein Transparent mit der Aufschrift „Studenten und Lehrlinge – wir fordern Respekt!“ Ich war sehr stolz darauf und habe auch viel mobilisiert. Auf der Demo selbst war eher ein kleiner Haufen, der hauptsächlich aus Funktionären bestand. Die Sprecher waren gut, aber sie waren eben keine Lehrlinge; diese hielten sich im Hintergrund auf. Und anstatt die Bildungspolitik von links zu kritisieren, lobten sie den Notendurchschnitt bis zum gehtnichtmehr. Immerhin besteht jeder fünfte Lehrling die Lehrabschlussprüfung nicht. Und gute Noten habe ich für Fächer bekommen, in denen ich mich gar nicht ausgekannt habe, bzw. wo wir fast nichts durchmachten. Am Schluss klopften wir uns alle auf die Schulter und wollten noch ein Foto machen. Da kam die Fotografin zu mir und meinte, ich solle mit dem Transparent nach hinten gehen, für die Leute die hier alles organisierten. Ich dachte mir, „Was soll das? Ich bin sowohl Lehrling als auch Gewerkschaftsmitglied! Außerdem habe ich genauso mitmobilisiert wie ihr.“ Ein Kollege reagierte genau richtig: „Was ist denn das für eine Scheiß-Solidarität?“ Die Fotografen reagierten darauf indem sie zuerst alle Demoteilnehmer hinter die vida-Transparenten baten und uns auf den Fotos einfach wegschnitten. Jetzt wirkte der kleine Haufen auf der vida-Homepage noch viel kleiner! Ich hätte nicht gedacht, dass ich nicht einmal hier respektiert werden würde! Anton Lugmayr

Karin Klaric Verein Purple Sheep

SCHREIB UNS Linkswende lebt von Kommentaren, Reaktionen und Berichten. Deshalb die Bitte an dich: Schreib uns! Wir freuen uns über Post und drucken gerne die eingesendeten Beiträge ab. E-Mail: redaktion@linkswende.org Post: Linkswende Postfach 102 Kettenbrückengasse 5 1050 Wien Foto: Linkswende


Linkswende Juni 2013

Seit mehr als zwei Jahren kämpft die syrische Bevölkerung gegen Diktator Assad und seine Armee. Warum die jüngsten Angriffe Israels dabei nicht erwünscht sind erklärt Oliver MARTIN.

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er syrische Präsident Baschar al-Assad stellt sich gerne betont Israel-kritisch und als „Bollwerk gegen den Imperialismus“ dar. Nachdem Anfang Mai israelische Kampfjets Waffenlieferungen Assads an seine Verbündeten im Libanon bombardierten, verwundert es also wenig, wenn nun viele – vom iranischen Regime, das mit Assad verbündet ist, bis hin zu Teilen der Linken – bestätigt sehen, was sie immer schon wussten: Die Rebell_innen seien Marionetten des Westens, von Israel und den USA gesteuert. Doch so einfach ist es nicht. Assads antiimperialistische Rhetorik ist nur ein dünner Schleier, der seine wahren Interessen verbergen soll. Denn diese überschneiden sich trotz der verbalen Angriffe des öfteren mit denen Israels und seiner Verbündeten. Vielmehr spielt Assad mit der Tatsache, dass Israel in der syrischen Bevölkerung verhasst ist. Das Gerede von einem äußeren Feind half ihm lange Zeit, die eigene Bevölkerung ruhig zu halten und Forderungen nach Demokratie und Freiheit zu ersticken. Israels vorgebliches Interesse in Syrien: Es will unbedingt verhindern, dass die chemischen Waffen des Regimes in die Hände von Islamist_innen fallen. Und auch Assad setzt auch auf die „Angst vor den Islamisten“-Karte. Die Forderung nach Dschihad findet nämlich – im Unterschied zu der nach Ende der Diktatur – wenig Anklang in der syrischen Bevölkerung. Die teilweise vorhandene Sympathie für die Islamist_innen rührt anderswo her: Sie sind als einzige Gruppe unter den Rebell_innen gut ausgerüstet, da ihre Gönner sie ernsthaft unterstützen. Die syrischen Revolutionär_innen sind alles andere als erfreut über den israelischen Angriff. Israel macht sich das zunehmende Chaos in Syrien zunutze. Assad selbst hat nach dem israelischen Angriff wieder sein Widerstandsregime ge-

priesen und davon palästinensische Gruppen vom Golan aus Israel angreifen zu lassen. Am Morgen nach dem Angriff haben seine Bomber wieder Territorien der Aufständischen angegriffen und Artillerie hat das palästinensische Flüchtlingslager Yarmouk und Armenviertel in Damaskus beschossen. Nicht zufällig bezeichnete die liberale israelische Zeitung Haaretz Assad als „Israels Lieblingsdiktator“. Sein Sturz käme sehr ungelegen. Er und vorher sein Vater haben zwar Jahrzehnte lang antiisraelische Rhetorik benutzt, aber gleichzeitig im Interesse Israels gehandelt. Beispielsweise bezeichnet Israel die Golanhöhen als seine sicherste Grenze – die syrische Armee half dort, einen palästinensischen Aufstand zu verhindern. Assad versucht, die syrische Bevölkerung entlang von Stammes- und Religionsgrenzen zu spalten. Zu diesem Zweck ließ er Milizen aufbauen, die sich „Volkskomitees“ nennen und von tausenden Hisbollah-Kämpfern aus dem Libanon verstärkt werden. In Homs, einer der Geburtsstädte der Revolution, verrichten diese Milizen blutige sektiererische Massaker. Zwei Dinge will er damit erreichen: Die sunnitische Mehrheit soll verängstigt werden und die Revolution aufgeben. Die alawitische Minderheit, zu der Assad gehört, soll in die Ecke gedrängt werden und keine andere Wahl sehen, als Assad zu unterstützen, wenn sie überleben will. Assad stilisiert sich sowohl als „Kämpfer gegen den Imperialismus“ als auch als „Bollwerk gegen den Islamismus“. Dass es mit beidem nicht weit hergeholt ist zeigt die Wahl seiner Verbündeten. Wie beschrieben betätigt er sich als Handlanger Israels gegen die Palästinenser_innen. Auf der anderen Seite wird er von der islamistischen Hisbollah unterstützt – die einst in der arabischen Bevölkerung geschätzte Widerstandsorganisation begeht damit politischen Selbstmord.

Raqqa, März 2013: Assads Portrait zieht Kugeln auf sich

Hungerstreik in Guantanamo

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as Gefangenenlager in Guantanamo zu schließen war eines der Versprechen von Barack Obama vor seiner ersten Wahl im Jahr 2008. Kurz danach hätte er die Gelegenheit dafür gehabt, solange die Demokraten sowohl im Kongress als auch im Senat die Mehrheit stellten. Seither blockieren die Republikaner fast jeden Gesetzesantrag. Somit Demonstration vor dem Weißen Haus bleibt Guantanamo bestehen. Als Reaktion darauf traten einige Berichten eines Häftlings zufolge Häftlinge in den Hungerstreik. verbesserten sich aber zumindest die Mittlerweile beteiligen sich daran Haftbedingungen, seit Obama Prä- mehr als 100 der 166 Häftlinge. sident wurde. Doch Anfang dieses Bei dem Protest geht es nicht mehr Jahres begannen die Wärter wieder, nur um den konkreten Anlassfall, zu den alten Methoden zurück- sondern insgesamt gegen die Politik zukehren. Überwachungskameras der Obama-Regierung. Die Gefanwurden in Räumen installiert, die genen haben längst jede Hoffnung für vertrauliche Gespräche mit An- verloren, ihre Freiheit jemals wiewält_innen vorgesehen sind. Die derzuerlangen. Manche von ihnen Gefangenen verhängten sie mit wurden sogar schon offiziell für unKartons – daraufhin wurden per- schuldig erklärt – trotzdem müssen sönliche Gegenstände konfisziert, sie im Lager bleiben, weil die USA darunter Decken, Zahnbürsten, nicht wissen, wo sie sie hinschicken Familienfotos und Anwaltsbriefe. sollen: Manche Länder, darunter der Auch der Koran wurde geschändet. Jemen wo viele der Häftlinge herstammen, werden als Sicherheitsrisiko angesehen. Andere wollen sie nicht aufnehmen. Erst kürzlich bestätigte ein hoher Beamter aus dem US-Verteidigungsministerium, dass der „Krieg gegen den Terror“, wie die USA ihre Foto: Brian Godette Militäreinsätze seit Was aussieht wie ein Löwenzwinger aus dem 9/11 nennen, noch vorigen Jahrhundert, ist in Wahrheit der Freizeitbereich für die Gefangenen mindestens zehn bis

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zwanzig weitere Jahre dauern wird. Mit anderen Worten: Dieser „Krieg“ wird in absehbarer Zeit nicht aufhören. Die Hungerstrei­kenden werden mithilfe von Schläuchen zwangsernährt. Häftlinge berichten, dass dafür zu große und unsterilisierte Schläuche verwendet werden. Während der Prozedur, die mehrere Stunden dauern kann, sind sie an einen Stuhl gefesselt. Wegen der vielen Streikenden nimmt das so viel Zeit in Anspruch, dass extra Personal nach Guantanamo gebracht werden musste. Der Hungerstreik ist der größte Akt des Widerstands in der Geschichte des Lagers. „Ich habe noch nie [einen Protest] dieses Ausmaßes gesehen, der so lange andauerte“, bestätigte das sogar der frühere oberste Guantanamo-Staatsanwalt.

Foto: Brian Godette

Syrien: Rebellen wütend über Israels Bombardement

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Auf diesem „Folterstuhl“ werden die Hungerstreikenden zwangsernährt

Obama: Nichts blieb von der Hoffnung

ls mit Barack Obama 2008 zum ersten Mal ein Schwarzer für das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten kandidierte, waren die Erwartungen groß. Seine Wahlsprüche waren Hope und Change – also Hoffnung und Veränderung. Nach seinem Wahlsieg erhofften sich Millionen Schwarze und Latinos, die trotz der formellen Gleichstellung immer noch häufig diskriminiert werden und überproportional von Armut betroffen sind, endlich echte Verbesserungen. Menschen auf der ganzen Welt erhofften sich ein Ende der Kriege im Irak und in Afghanistan, die Schließung des Gefangenenlagers in Guantanamo wurde angekündigt. Umso größer ist nach mehr als vier Jahren Amtszeit die Enttäuschung. Obama konnte nur wenige seiner Versprechen umsetzen. Der Irakkrieg ist nominell zwar vorbei, trotzdem sind noch tausende Soldaten und private Söldner zur Unterstützung der irakischen Armee dort. In Afghanistan sind sogar noch mehr amerikanische Truppen als unter Bush. In Pakistan vervielfachten sich die Angriffe mit Drohnen, also unbemannten, ferngesteuerten Flugzeugen. Sogar amerikanische Staatsbürger_innen ohne Prozess umzubringen sieht Obama als legitim an – das war bisher immer ein großes Tabu. Gutantanamo ist

noch immer in Betrieb, die Bedingungen dort verschlechtern sich sogar. Vor seiner ersten Wahl kündigte Obama an, besseren Schutz für Whistleblower – also Aufdecker_innen – einzuführen. Jetzt sitzt Bradley Manning, der größte Informant von Wikileaks, seit über 1.000 Tagen im Militärgefängnis. Im Juni beginnt der Prozess. Einzig die Reform des Gesundheitssystems konnte Obama durchsetzen. Doch obwohl es hier tatsächlich Verbesserungen gab, geht die Reform weit weniger weit als erwartet: Die Versicherungen sind immer noch alle privat, die Profite der Gesundheitsbranche bleiben gigantisch. Noch immer gibt es viele Amerikaner_innen ohne Versicherung. Auch an der Diskriminierung hat sich wenig geändert. In den Gefängnissen sitzen immer noch weit mehr Schwarze als Weiße. Anreiz, die höchste Gefangenenrate der Welt zu vermindern, besteht nicht: Die privaten Gefängnisbetreiber haben Verträge, die eine Mindestauslastung garantieren. Die Hoffnung der Wähler_innen auf echte Veränderung ist enttäuscht worden. Mittlerweile wird der ehemalige Wahlspruch „Change we can believe in“ – Veränderung an die wir glauben können – hauptsächlich sarkastisch verwendet.

Gleichzeitig gab Obamas Wahl und Wiederwahl trotzdem den Arbeiter_innen Mut zu kämpfen. Denn noch immer gelten die Demokraten als die „linke“, fortschrittlichere der beiden Großparteien. So wurde beispielsweise 2011 das Parlament von Wisconsin besetzt, und immer wieder kommt es zu Streiks, wie aktuell in Fast-Food-Ketten (siehe Seite 2). Die Hoffnung die in einen Demokratischen Präsidenten gesetzt wurde ist verloren – stattdessen beginnen Menschen, die sich an Protesten und Streiks beteiligen, ihre eigene Stärke zu erkennen.

„Nope“ statt „Hope“: Von der Hoffnung ist nicht viel übrig


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Juni 2013 Linkswende

Parlamentarische Initiative unterzeichnen:

Recht auf Kandidatur für Ausländer

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rittstaatsangehörige zahlen den vollen ÖH-Beitrag und dürfen nicht bei ÖH-Wahlen antreten. Berk und Meltem kandidierten für die Solidarische Linke (SOLI), allerdings wurden sie von der Wahlkommission aus der Liste gestrichen, weil sie aus der Türkei kommen. Beide erklärten: „Wir fordern die gleichen Rechte für migrantische Studierende und wollen auch bei Wahlen antreten können!“ Die Protestkandidatur von Berk und Meltem hat die politischen Scheinwerfer auf diese Ungerechtigkeit gerichtet. Die ÖH startete eine parlamentarische Bürgerinitiative zur Änderung dieses diskriminierenden Gesetzes. Geregelt wird das Wahlrecht nämlich vom Parlament. SOLI unterstützt die Initiative und forderte alle auf, diese zu unterzeichnen. Die Hochschülerschaft sollte eine unabhängige Interessenvertretung sein, und

Foto: SOLI

dennoch kann die Regierung mittels parlamentarischer Mehrheit über das Wahlrecht der Studierendenvertretung bestimmen und einzelne Gruppen von diesem Recht ausschließen. Keine freie Gewerkschaft lässt sich vom Klassenfeind diktieren, wer zur Wahl eines Betriebsrates aufgestellt werden darf. Das Wahlrecht muss schleunigst geändert werden – immerhin werden gerade ausländische Studierende massiv von der Regierung angegriffen. Genauso wichtig ist es, für eine wirklich unabhängige Interessensvertretung zu kämpfen, die Spaltung zwischen Studierenden und dem gesamten Universitätspersonal zu überwinden, und für ein uneingeschränktes Streikrecht für Studierende einzutreten.

WIDERSTAN Hannah KRUMSCHNABEL erinnert daran wie schnell aus kleinen Protesten riesige Bewegungen werden können und behauptet „Widerstand leisten macht Sinn.“

Parlamentarische Initiative: tinyurl.com/ayhzhwx

Spitzenkandidaten Berk und Meltem mit der eingereichten Wahlliste. Beide wurden von der Liste ­gestrichen.

KEIN BOCK AUF SCHULE Schulschwänzen kann künftig nach dem Ende April im Parlament beschlossenen Gesetz eine Verwaltungsstrafe von bis zu 440 Euro kosten. Solche Maßnahmen zeugen von Ignoranz und haben nichts mit Pädagogik zu tun, schreibt Karin WILFLINGSEDER.

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s wäre höchste Zeit, dass die ignoranten Bildungs- und Sozialpolitiker_innen in der Bildungswissenschaft des 21. Jahrhundert ankommen, anstatt mit grausamen Rohrstaberl-Methoden das Leid zu verschärfen. Schulverweigerer, Leistungsverweigerer oder auch Minderleister sind Bezeichnungen für Kinder, die häufig Schulschwänzen. Die Psychologie unterscheidet zwischen vorübergehender Schulunlust und längerer Leistungsverweigerung. Im schlimmsten Fall schaffen Jugendliche keinen Schulabschluss und sind stark armutsgefährdet. Das Gemeinsame an den verschiedenen Problemkindern ist ihre schlechte Befindlichkeit und keine Begabungsschwäche. Zu hoher Leistungsdruck und Repression kann dem Kind oder Jugendlichen und seiner Familie nicht helfen. Fast immer steht am Anfang nicht der Leistungseinbruch, sondern die Unterrichtsverdrossenheit und/oder widerspenstiges Verhalten, entweder oppositionell

Foto: URBAN ARTefakte

oder resignierend. Wer schlicht Regelverhalten einfordert, verschlechtert den Zustand dieser Kinder und ignoriert die dahinter liegenden Probleme. Hilfe statt Leistungsdruck

Parlament pfeift auf Erkenntnisse

Oft ist Überforderung der Grund für Schulverweigerung, manchmal auch Unterforderung von „Hochbegabten“. Nicht selten sind es auch außerschulische Probleme, die Kinder und Jugendliche zermürben. Manchmal ist es schlicht eine vorübergehende pubertäre Entwicklungsphase. Ginge es um die Zukunft der Kinder würden nicht Symptome bekämpft, sondern deren Ursachen beleuchtet werden. Jede Handlung hat eine Ursache, natürlich auch Schulverweigerung. Flüchtet das Kind vor etwas, dem es sich nicht aussetzen will, müssen die Gründe für die Flucht (­an-)­ erkannt werden. Ängste und Rückzugsversuche von Kindern können nicht mit Strafen weggewischt werden. Gut ausgebildete ­ Pädagog_innen, Schulpsycholog_innen und Sozialarbeiter_innen sind nötig. Unser Bildungs- und Sozialsystem sollte Kindern nicht die Lust am Lernen und Leben vermiesen, sondern sie fördern. Antoine de SaintExupery schrieb in „Der kleine Prinz“ sehr treffend: „Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer, um Holz zu beschaffen..., sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten endlosen Meer.“

Eine Woche fehlen Schüler_innen laut Bildungsministerium im Durchschnitt pro Halbjahr. 14 Prozent fehlen zwei bis vier Wochen und fünf Prozent fehlen mehr als vier Wochen. Ein Viertel aller Fehlzeiten sind unentschuldigt. Man dürfe „die Sache nicht bagatellisieren“, warnte die ÖVP. Die SPÖ machte mit, weil sie im Gegenzug eine Erleichterung für das Nachholen der Facharbeiterprüfung mit Unterstützung der Berufsschulen bekam. Wie schon der Unterrichtsausschuss nahm auch das Nationalratsplenum den Antrag parteiübergreifend einstimmig an. Den Rechtsaußenparteien ging das Gesetz aber nicht weit genug: FPÖ-Bildungssprecher Walter Rosenkranz wollte bei anhaltendem Schulschwänzen gar die Familienbeihilfe streichen! Auch das BZÖ forderte bei fortgesetzter Verletzung der Schulpflicht eine verringerte Familienbeihilfe. Stronachs Happelmänner kritisierten einzig die Kosten der Maßnahme und stimmten mit. Strafen für Schulschwänzen geht zielgerichtet in die falsche Richtung. Die Blödheit der Konservativen und die Zahnlosigkeit der Sozialdemokratie verschärfen Leid und Armut.

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chleichend und ohne großen Aufschrei hat die Regierung im letzten Jahr eine ganze Reihe an Verschlechterungen für die Universitäten beschlossen: Die Studiengebühren sind nun für einen großen Teil der Studierenden wieder Realität (und treffen Migrant_innen doppelt), der freie Hochschulzugang wird durch die „Studienplatzfinanzierung“ de facto abgeschafft. Dass diese lange gefürchteten Einschnitte nun Realität sind und nicht aufgehalten werden konnten, lässt viele zweifeln, ob es überhaupt noch Sinn macht, sich zu wehren. Doch dieser Gedanke an Kapitulation ist gefährlich und vorschnell – gerade mit einer schwächelnden Regierung im Wahlkampf als Gegner. Der Kampf um freie Bildung ist noch lange nicht ausgestanden. Gleich aufgeben? Es mag verlockend sein, vor diesen scheinbar unaufhaltsamen Verschlechterungen einzuknicken. Selbst Studierende, die sich in der Vergangenheit schon in den zahlreichen Bewegungen für eine bessere Uni eingesetzt haben, machen entmutigende

Erfahrungen Beobach Eindruck, dass die w den sich überhaupt der Zustände interessi einmal 30% wählen unbestreitbare Tatsac heute – zwischen Anw Mindeststudienzeiten politische Aktivität an sehr einschränkt. Gle Weg in Richtung flä gangsbeschränkungen bühren vom Minister dass viele den Kampf verloren erklären.

2009: Überraschung

So nachvollziehbar di für jeden sein muss, d ben seit Bologna, ST erlebt hat, so schlimm Ausgerechnet die pro tischsten Studierende sogar jene in der ÖH auf. Der Pessimismu die eine Bewegung m und ihren organisato


Linkswende Juni 2013

ND! DIRENIŞ!

htungen: Da ist der wenigsten Studierenfür eine Änderung ieren – ja dass nicht gehen. Da ist die che, dass Studieren wesenheitspflichten, n und Nebenjobs – n den Unis sowieso eichzeitig wirkt der ächendeckender Zun und Studiengerium so vorgeebnet, f von vornherein für

g für Pessimisten

ieser Gedankengang der das StudentenleTEOP und Co mitm sind seine Folgen: ogressivsten und krien – und viel zu oft H – geben kampflos us bei genau denen, mit ihrer Erfahrung orischen Fähigkeiten

Diskriminierung von Drittstaatsangehörigen

Doppelte Studiengebühren abschaffen

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eit diesem Semester ist ein neues Studiengebührengesetz in Kraft, das vor allem Drittstaatsangehörige diskriminiert. Studierende, die aus sogenannten Drittstaaten kommen (Länder, die keinen Vertrag mit dem Europäischen Wirtschaftsraum EWR haben), müssen pro Semester doppelte Studiengebühren bezahlten – 730 Euro ab dem ersten Studiensemester. Die Gebühren sind eine unerträgliche Mehrbelastung. Yeliz aus der Türkei erzählt: „Ich konnte mir dieses Semester die Gebühren nicht leisten, also habe ich gar nicht inskribiert.“ Die Solidarische Linke (SOLI) sammelte in kurzer Zeit auf Infotischen und in Hörsälen über 2.000 Unterschriften gegen die doppelten Gebühren. Viele wissen von dieser Diskriminierung noch nicht, zeigen sich aber schnell solidarisch. Die doppelten Gebühren betref-

fen auch alle anderen Studierenden. Der Regierung geht es darum, eine gewisse Akzeptanz für höhere Studiengebühren für alle zu bekommen. Nicht umsonst rief Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle bei den ÖH-Wahlen dazu auf, die Jungen Liberalen (JuLi) zu wählen, die offen für Studiengebühren eintreten. In naher Zukunft könnten die Studiengebühren auf das höhere Niveau angeglichen werden (siehe Artikel zu England unten). SOLI hat die ersten Unterschriften in einer kleinen Protestaktion dem Rektorat der Universität Wien übergeben, und lediglich den Kommentar geerntet, wenn man das Geld für Studiengebühren nicht habe, sollte man sich beurlauben lassen. Wir brauchen größere und lautere Proteste für die Abschaffung der doppelten Studiengebühren.

Foto: Su Sultan Akülker

Nur Beharrlichkeit bringt Chancen Wichtig aber ist aus heutiger Sicht: Diese Demonstration, auf die die wenigsten wirklich Hoffnungen gesetzt haben, hat damals stattgefunden. Nur weil Aktivist_innen, weil einzelne Studienrichtungen und Studierende, nach einem Jahrzehnt an frustrierenden Kämpfen gegen schwarz-blaue Studiengebühren und die Einführung des Bologna-Systems immer wieder neue Anläufe starteten, fruchtete

schließlich einer davon in einer großen Chance auf wirkliche Veränderung. Inzwischen ist mehrheitlich schon eine neue Generation von Studierenden an den Unis. Und auch wenn sie noch mehr als ihre Kolleg_innen vor vier Jahren durch ihre Studienbedingungen eingeschränkt werden, bringen auch sie eine Menge an Energie und Veränderungswillen mit – wie man letztes Jahr bei den Aktionen gegen die Abschaffung des IE-Bachelors oder die STEOP gesehen hat. Nichts zu verlieren – viel zu gewinnen Wie damals kann auch heute niemand versprechen, dass eine neue riesige Unibewegung entstehen oder gar siegen kann. Aber Beispiele in Deutschland, wo Studiengebühren beinahe flächendeckend wieder abgeschafft wurden, zeigen uns, dass wir durchaus etwas zu gewinnen haben. Die Leichtigkeit, mit der Töchterle und die Rektoren Verschlechterungen als gegeben hinstellen, hängt auch damit zusammen, dass sie zu wenig Gegenwind spüren. Dass Studierende diesen produzieren können, haben sie oft bewiesen.

Foto: SOLI

1.500 Unterschriften gegen die doppelten Studien­ gebühren wurden bereits an den Rektor übergeben.

stärken könnten, wird so selbst zum größten Hemmschuh. Denn dass die scheinbare Gleichgültigkeit der Mehrheit ganz schnell kippen kann, zeigt das noch recht junge Beispiel der Audimax-Bewegung. Noch Tage bevor im Oktober 2009 eine Massenbewegung die öffentliche Aufmerksamkeit des ganzen Landes auf sich zog, war man sich in Aktivistenkreisen sicher: „Bei uns wird eh nix passieren.“ Als dann aus einer kleinen Demo eine Besetzung von Tausenden wurde, wurden die Pessimisten (Linkswende mit eingerechnet) eines Besseren belehrt – und waren mangelhaft vorbereitet.

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GROSSBRITANNIEN

Zuerst zahlten „Ausländer“, jetzt blechen alle Studis 9.000 Pfund von Peter HERBST

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n Großbritannien begann 1998 die Einführung von Studiengebühren mit einem Betrag von 1.000 Pfund pro Jahr. Im selben Jahr wurden Stipendien für Lebensunterhaltungskosten größtenteils gestrichen und durch Kredite ersetzt. Inzwischen haben Universitäten die Möglichkeit, von EU-Bürgern bis zu 9.000 Pfund (10.650 Euro) pro Jahr einzuheben, wovon dieses Jahr 94 Universitäten auch Gebrauch machen. Drittstaatenangehörige zahlen schon seit Längerem je nach Universität bis zu 18.000 Pfund. Seit Februar 2012 gilt die Begrenzung der Studiengebühren nicht mehr für jene Studierende, die um Asyl angesucht haben und deren Aufenthalt geduldet wird, sie zahlen das Maximum. Sowohl die sozialdemokratische Labour-Partei, als auch die konservativen Torys gaben in der Vergangenheit grünes Licht für Studiengebühren. Die Liberalen, die derzeit mit den Torys eine Regierung bilden, unterschrieben vor den Wahlen Gelöbnisse gegen Studiengebühren. Bei der Abstimmung zur Erhöhung von 3.000 auf 9.000

Pfund, fiel jedoch die Hälfte der Unterhausmitglieder um. Proteste konnten die Anhebung nicht verhindern, allerdings wurde den Studierenden aus der Bevölkerung viel Solidarität entgegengebracht. All diese Maßnahmen zeigen Wirkung: Letztes Jahr begannen 51.000 oder 12 % weniger ein Studium. Das führt dazu, dass die Beiträge für die Verbliebenen erhöht werden. Beihilfen für sozial Schwächere sind unterdessen bloß ein Tropfen auf den heißen Stein, wie etwa die zwei Jahre an bezahlten Studienbeiträgen für jene die Gratis-Mahlzeiten beziehen. Von dieser Gruppe gingen 45 nach Oxford und Cambridge – die kleine Privatschule St. Paul entsendet doppelt so viele Schüler auf die Eliteuni. Während auch Klagen vor Gericht gegen Diskriminierung durch Studiengebühren nichts halfen, stimmt der Norden Großbritanniens zuversichtlich. Schottland nutzte seine Autonomie dazu, Studiengebühren für Ansässige (wer dort arbeitet oder mind. drei Jahre dort lebt) abzuschaffen und Proteste der Studierenden sorgten bislang dafür, dass dies auch so blieb.


10 Juni 2013 Linkswende

THEORIE

Seit Ausbruch der Wirtschaftskrise stehen Streiks, Besetzungen & Co. wieder an der Tagesordnung. Livia GRESTENBERGER analysiert die Zusammenhänge.

So militant kann Klassenkampf sein: Streikende spanische Bergarbeiter feuern selbstgemachte Raketen auf die Polizei

Krise und Revolution Marxist_innen sind sich des Zusammenhangs zwischen ökonomischen Krisen und sozialen Revolutionen beziehungsweise Revolten bewusst. Von einem Automatismus kann man allerdings nicht ausgehen. Krisen kommen im Kapitalismus immer wieder vor, sind ein Teil des wirtschaftlichen Systems. Doch nicht jede Krise führt auch zu einer Revolution. Die Arbeiter_innenklasse kann nämlich auch mit Lähmung und Passivität darauf reagieren, dass sie die wirtschaftliche Last der Krise zu tragen hat. Es sind vielmehr die Unsicherheiten, die durch Instabilität eines Wirtschafts- und Gesellschaftssystems entstehen, die die Arbeiter_innen auf die Barrikaden bringen. Diese Instabilität wird häufig von einer wirtschaftlichen Krise ausgelöst oder begleitet. Ähnlich wie die Wirtschaftskrise der 1930er geht auch die heutige Situation auf einen längerfristigen Prozess zurück; durch den Anstieg von Investitionen in so genannte „tote Arbeit“, also in Maschinen und Rohmaterial, in den letzen Jahrzehnten, ergab sich ein Ungleichgewicht zu „lebender Arbeit“, also den Arbeiter_innen. Dies brachte uns zum dem Punkt an dem Wirtschaftswachstum nur mehr durch eine Entwertung des Kapitals möglich war. Diese Tendenz bedeutet allerdings nicht eine endgültige Krise des Kapitalismus, die zwangsläufig zu einem Systemsturz führen muss. Vielmehr kommt es zu einer Umverteilung der Machtverhältnisse. Die Kapitalisten sehen sich in einer solchen Situation gezwungen auch gegeneinander zu kämpfen, wenn sie die Krise überstehen wollen. Dies kann sich zwischen verschiedenen Konzernen, Banken oder auch Nationen, wie etwa im Fall von Deutschland und Griechenland, abspielen. Dieser Konkurrenzkampf wird ebenfalls auf dem Rücken der Arbeiter_innen ausgetragen. Solche Aktionen zur Rettung des kapitalistischen Systems haben aber auch den Effekt die Krise zu verlängern. Da man sich auf die Rettung von Banken und Unternehmen

Klassenkampf in Europa

konzentriert, wird die gesamte Last der Krise auf die Arbeiter_innenschaft abgewälzt, was die Kaufkraft einschränkt und die Krise so weiterführt. Dies führt allerdings auch zu der oben erwähnten Instabilität, die die Voraussetzungen für soziale Proteste schafft. Diese Instabilität bedeutet nicht nur materielle Unsicherheit sondern auch ideologische. Die Arbeiter_innen vertrauen der „alten Ordnung“, die sie in die Krise geführt hat, nicht mehr und die herrschende Klasse ist nicht mehr fähig diese Ordnung in derselben Weise wie vor der Krise aufrecht zu erhalten. Folglich entwickeln sich neue Ideen, die sich von der Ideologie der Herrschenden unterscheiden. Eine ideologische Radikalisierung ist die

aber nicht lange halten. Sobald sie an der Regierung sind, wird klar, dass auch diese Parteien in der Krise auf Seiten der Kapitalisten stehen. Dadurch ergibt sich eine Nachfrage für Parteien, die links von der Sozialdemokratie stehen, wie sie sich auch in einigen europäischen Ländern gebildet haben. Die griechische Syriza ist beispielsweise eine radikal linke Koalition, die im Juni 2012 27 Prozent der Stimmen gewinnen konnte. Wenn es also eine linke Alternative gibt, ist die Bevölkerung durchaus für diese zu gewinnen. Trotz unterschiedlicher Zusammensetzungen solcher Parteien, muss man die momentanen linksradikalen Parteien in Griechenland, Frankreich, usw. doch alle als re-

Foto: picturechina.com.cn

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ie ökonomischen Auswirkungen der globalen Krise des Kapitalismus haben bewirkt, dass der Begriff des Klassenkampfes seinen Weg zurück in den Alltag der europäischen Staaten gefunden hat. Dies zeigte sich auch in einer drastischen Zunahme von Streiks und anderen Formen des Widerstands, wie etwa der Occupy Bewegung, in den letzten Jahren. 2011 bezeichnete den vorläufigen Höhepunkt dieser Kämpfe; die Revolten in den arabischen Ländern beflügelten den europäischen Widerstand. Die politische Praxis der Platzbesetzungen setzte sich in europäischen Ländern, wie etwa Spanien, mit großen Erfolgen fort. Diese verschiedenen europäischen Widerstandsbewegungen haben in den letzten Jahren sowohl Erfolge erkämpft als auch Niederlagen erlitten, sind aber bis jetzt noch in keinem Land völlig niedergeschlagen worden. Ihr weiterer Fortgang sowie ihre Aktionsweisen hängen von den jeweiligen politischen und ökonomischen Gegebenheiten in den einzelnen Ländern ab.

onsformen findet. Etwa wie im Falle der Platzbesetzungen der OccupyBewegung, die eine Verbundenheit mit anderen sozialen Gruppen – Studierende, Arbeitslose, etc – und über nationale Grenzen hinaus ermöglichte. Der öffentliche Sektor Ein weiteres Beispiel ist die große Bedeutung von Angestellten des öffentlichen Dienstes – z.B. Bildungsund Gesundheitssektor – in der momentanen Situation. Dies zeigt auch eine Veränderung im kapitalistischen Gefüge in den letzten paar Jahrzehnten, in denen die Ausbeutung von Bildung für den Konkurrenzkampf immer wichtiger wurde. Durch das Abnehmen von „lebender Arbeit“ wurde der öffentliche

Die Arbeiter_innen vertrauen der „alten Ordnung“, die sie in die Krise geführt hat, nicht mehr und die herrschende Klasse ist nicht mehr fähig diese Ordnung in derselben Weise wie vor der Krise aufrecht zu erhalten. Folge; diese kann sich allerdings in verschiedene Richtungen entwickeln, abhängig von den gegebenen politischen Voraussetzungen. Radikalisierung Neben dem revolutionären Potential von Krisensituationen gibt es auch die Gefahr einer breiten rechten Radikalisierung, wie sie derzeit in einigen europäischen Ländern zu beobachten ist. Rechtsradikale Parteien erleben einen Aufschwung – wie zum Beispiel in Griechenland – und auch die rechtsradikale Präsenz auf den Straßen und rassistische Attacken nehmen zu. Neben den rechtsradikalen Parteien können aber auch bürgerlich-liberale oder reformistische sozialdemokratische Parteien von der Situation profitieren, solange sie sich in der Opposition befinden. Da sie keine wirklichen Lösungen bieten, sondern lediglich Reformen die etwas sozialer ausfallen als die der Regierungsparteien, kann sich ihr Erfolg

formistisch betrachten, auch wenn sich ihre Forderungen von denen bürgerlicher Parteien vielleicht radikal unterscheiden. Ihr Anliegen ist es nicht das kapitalistische System zu stürzen, sondern zu reformieren und zu einem Zustand der Stabilität zurückzukehren. Trotzdem sind diese Parteien ein wichtiger Schritt in der Radikalisierung der Massen; sie nehmen den rechtsradikalen Parteien den Wind aus den Segeln und heben die Erwartungen und das Selbstbewusstsein der Arbeiter_innenklasse. Der politische Diskurs wird dadurch noch ein Stück weiter nach links gerichtet. Das Auftreten neuer linker Parteien bedeutet allerdings keine automatische Radikalisierung der Arbeiter_innen, auch wenn sie dazu beitragen können. Wichtiger ist, dass die Arbeiter_innenklasse ein neues Selbstverständnis und Selbstbewusstsein durch neue politische Kampfhandlungen und Organisati-

Sektor immer wichtiger zum Erhalt des Systems. Deshalb haben Arbeiter_innen in diesen Bereichen nun auch die Macht, gemeinsam mit Arbeiter_innen aus anderen Bereichen, durch Streiks Druck auf ihre Regierungen auszuüben. Streiks von Lehrer_innen oder Bediensteten im öffentlichen Verkehr können bewiesenermaßen ein ganzes Land lahm legen. Weiters ist besonders im öffentlichen Sektor die Zahl der gewerkschaftlich Organisierten bedeutend höher als in den meisten anderen Berufsgruppen. Sozialdemokratie und Gewerkschaft Wie bereits oben erwähnt, bedeutet die kapitalistische Krise keine automatische Radikalisierung; es ist eher wahrscheinlich, dass die Arbeiter_innen zumindest anfangs den traditionellen reformistischen „Arbeiterparteien“ treu bleiben, wie in Österreich der SPÖ. Dies geht auf die Tradition der Zusammenar-

beit zwischen Gewerkschaftsfunktionär_innen und Sozialdemokratie zurück. Die Funktionäre versuchen bei Verhandlungen mit den Arbeitgebern für die Arbeiter_innen wenigstens so viel herauszuholen, dass diese nicht das Vertrauen in sie verlieren und ruhig bleiben. Die Sozialdemokrat_innen liefern dazu die Forderungen nach sozialen Reformen, die sich jedoch selbst nicht erfüllen. Die Arbeiter_innen können sich aber sehr wohl aus dieser Passivität befreien, sobald sie ihre eigene Kraft in Arbeitskämpfen und Streiks erfahren. Dadurch steigert sich ihr Selbstbewusstsein und sie stellen Forderungen, die reformistische Gewerkschaftsfunktionäre bald nicht mehr erfüllen können. So kann es passieren, dass die Gewerkschaftsbasis an ihrer Führung vorbeizieht. Trotzdem ist es nicht völlig unwichtig für die Arbeiter_innen wie ihre Gewerkschaftsführung aufgebaut ist. Bei einer linken Führung kann es sehr gut vorkommen, dass sich diese ihrer radikalen Basis in einer solchen Situation anschließt. Eine rechtsgerichtete Führung wird dies wohl eher nicht tun. Die Rolle der radikalen Linken Der Zusammenhang zwischen Wirtschaftskrise und Widerstand lässt sich nicht einfach zusammenfassen, viele verschiedene Faktoren sind zu berücksichtigen: die Art und das Ausmaß der Krise, die politischen Gegebenheiten, die Geschichte der Arbeiter_innenbewegung, die Strukturierung der Gewerkschaften, sowie die bestehenden revolutionären Strukturen im jeweiligen Land. Somit gibt es auch für revolutionäre Sozialist_innen keinen vorgegebenen Aktionsplan, man muss sich den jeweiligen Gegebenheiten anpassen. Allerdings lässt sich sagen, dass im Moment der Widerstand in Europa genauso sehr auf politischer wie auf wirtschaftlicher Ebene geführt wird. Da die europäische Arbeiter_innenklasse auf keine signifikanten Erfolge im Arbeitskampf der jüngeren Vergangenheit zurückblicken kann, fehlt ihr teilweise die Erfahrung und das Selbstbewusstsein, um den Kampf mit rein ökonomischen Mittel, wie etwa Generalstreiks, zu führen. Deshalb ist es wichtig, dass die Arbeiter_innenklasse den aktiven Kampf weiter betreibt und neue Erfahrungen sammelt. Daher ist auch die Rolle von Sozialist_innen, sich in diese Kämpfe einzubringen und sie zu unterstützen. In den Jahren seit 2008 konnten wir einen ständigen Kampf von Teilen der europäischen Arbeiter_innen beobachten – etwa in Griechenland, Frankreich oder Italien – der allerdings nicht kohärent verlief; es gab sowohl Erfolge als auch Niederlagen. Vermutlich wird sich dies auch in Zukunft fortsetzen. Allerdings muss man auch berücksichtigen, dass dieser Widerstand zu keiner Zeit völlig abebbte. Er wurde nur von Zeit zu Zeit von ideologischen Kämpfen und Rückschlägen überschattet. Für die Zukunft lässt sich somit keine genaue Prognose stellen, allerdings ist es wichtig den Widerstand voranzutreiben und ihn in weniger reformistische, sondern zunehmend revolutionäre Bahnen zu lenken.


Linkswende Juni 2013 GRIECHENLAND

„Ein radikaler Bruch muss her!“

Gastartikel von Panagiotis SOTIRIS

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lexis Tsipras, Vorsitzender von Syriza, dem griechischen Wahlbündnis der radikalen Linken, forderte kürzlich wieder das „Ende der Austeritätspolitik in der Eurozone“ ein. Im Besonderen forderte er einen neuen „Marschallplan“ für Europa, sowie einen Schuldenerlass in der Größenordnung jenes, der Deutschland auf der Londoner Konferenz im Jahr 1953 zugebilligt wurde. Ist das eine gangbare Strategie für die Linke? Glauben wir wirklich, dass wir uns unter den derzeitigen Umständen Lösungen ausdenken können, die die unmittelbaren Forderungen der unteren Klassen mit der langfristigen Stabilität des internationalen Kapitalismus auf einen Nenner bringen?

facht. Kritiker führen an, dass es die Gefahr eines neuen Nationalismus birgt. Zum Teil bezweifeln sie auch die Möglichkeit, ein solches radikal antikapitalistisches Programm in nur einem Land zu bewerkstelligen. Meiner Meinung nach kann man den Kampf für den Austritt aus dem „eisernen Käfig“ einer extrem neoliberalen sozialen Versuchsreihe kaum als nationalistisch brandmarken. Zur Frage der „Isolierung“ meine ich, dass sich soziale und politische Bewegungen nicht den Luxus leisten können, einfach abzuwarten, bis es zu

einem paneuropäischen Aufstand kommt.

Gelegenheit beim Schopf packen Historische Bedingungen sind nie „reif“, man kann bestenfalls die „günstige Gelegenheit“ beim Schopf packen, wenn das Zusammenspiel von sozialer Krise, kollektivem Kampf und das veränderte Selbstbild der Menschen die Möglichkeit radikaler Änderung eröffnen. Wenn wir hingegen darauf beharren, dass die Situation noch nicht reif genug sei, dann beschränken wir unser Denken auf die Forderung

Foto: ergatiki.gr

Das soziale Desaster lässt sich nur vermeiden, wenn wir einen radikalen Bruch mit dem bestehenden Kurs ins Auge fassen. Griechenland muss sich von der monetären und finanziellen Architektur der Eurozone lösen. Ziel dieser Strategie sind die Wiedererlangung der Geldsouveränität, der sofortige Stopp von Kreditrückzahlungen, die Verstaatlichung der Banken und Schlüsselindustrien, die Umverteilung des Reichtums zugunsten der arbeitenden Bevölkerung und nicht zuletzt Schritte in Richtung Arbeiterkontrolle und Selbstverwaltung. Innerhalb der griechischen Linken und darüber hinaus hat sich eine lebhafte Debatte über ein solches radikales Programm ent-

10. Mai 2013: Lehrpersonal protestiert gegen die geplanten Kündigungen

Spaniens Höllentrip

Die Politik der Bankenrettung und sozialen Massaker lässt Spanien in eine große Depression stürzen, meint Daniel HARRASSER.

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panien ist die viertgrößte Volkswirtschaft in der Eurozone und steckt tief in der Krise. Der spanische Staat ist der größte Staat im Kreise jener, die in Brüssel um finanzielle Unterstützung angefragt haben, um seine Banken vor der Pleite zu „retten“. Dieselben Banken, welche die spanische Krise so forciert haben. Spanien stürzte aufgrund des Zerplatzens der riesigen Immobilienblase in die Krise. Die Arbeitslosenrate liegt aktuell zum ersten Mal seit Beginn der Aufzeichnungen bei 27%. Das bedeutet: Von 47 Millionen Spanier_innen sind sechs Millionen ohne Arbeit. Die Langzeitarbeitslosigkeit

nach einer etwas humaneren und gerechteren Eurozone. Es ist nicht so, dass solche Vorschläge irrational oder wirklichkeitsfremd wären. Nur unterschätzen sie sowohl die Aggressivität des „real existierenden Neoliberalismus“ als auch die politische Logik der Konfrontation, für die sich die Kräfte des Kapitalismus entschieden haben. Sie bevorzugen die disziplinierende Wirkung von Austerität und Arbeitslosigkeit gegenüber dem wirtschaftlichen Nutzen, den eine frühzeitige Abkehr von der Austeritätspolitik bringen würde.

Regierungsbeteiligung ist eine Falle

Schuldenrückzahlung beenden

SPANIEN

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hat sich seit 2008 verdoppelt. Die Jugendarbeitslosigkeit (15 bis 24 -Jährige) hat astronomische 55% erreicht. Bislang übertrifft diesen Wert nur Griechenland. Massenauswanderung Die Arbeitslosenquote wäre sogar noch höher, wenn nicht zehntausende Spanier_innen das Land verlassen würden, um anderswo in Europa oder auch in Lateinamerika Arbeit zu suchen. Die Rate der Netto-Auswanderung hat mittlerweile 250.000 pro Jahr erreicht, darunter viele gut ausgebildete Arbeitskräfte und Akademiker_innen. Auch die Löhne sanken im Jahr 2012 dra-

matisch um fast 6%. Zieht man die Inflation hinzu, kommt man um einen Reallohnverlust von fast 9%. Gleichzeitig boomt der spanische Aktienmarkt und die Kurse der Staatsanleihen haben sich schnell erholt. Unterstützt durch die Millionengelder der EZB an Spaniens Banken fallen die Zinsen. Während am Finanzmarkt eine neue Blase wächst, werden etwa Klein- und mittleren Unternehmen keine Kredite gewährt. Noch schwerer haben es kleine und mittlere Unternehmen bislang nur in Griechenland. Die Umstrukturierung und Rekapitalisierung der spanischen Banken kostete 56 Milliarden Euro. Die

Wenn eine linke Regierung versucht, die Austeritätsvorgaben mit EU und IWF neu zu verhandeln, wird sie sich dabei nur in ihren eigenen Verpflichtungen gegenüber der Eurozone und der Notwendigkeit von Rettungspakten verheddern. Das daraus resultierende Versagen, Veränderungen herbeizuführen, wird den Weg für noch reaktionärere Lösungen frei machen – wie sich gegenwärtig in Griechenland zeigt: Mit dem Aufstieg der neofaschistischen Goldenen Morgenröte verwandelt sich die dortige Rechte in ein Versuchslabor zur Schaffung eines Zwitterwesens aus wirtschaftlichem Neoliberalismus, sozialem Konservativismus, knallhartem Rassismus und Obrigkeitsstaatlichkeit. Die griechische Gesellschaft macht seit Jahren einen Prozess der Selbstfindung durch. Nichts ist wie es vorher war. Originalartikel auf marx21.de. Panagiotis Sotiris ist Mitglied des linken Bündnisses ANTARSYA

darauffolgende Verschuldung der öffentlichen Hand hatte massive Auswirkungen auf den öffentlichen Sektor. Drakonische Sparmaßnahmen, erhöhte Massensteuern, Lohnkürzungen und Stellenabbau führten zu einem sozialen Massaker. Nun sieht es so aus, als ob noch mehr Geld für die Banken nötig wäre. Die spanischen Unternehmen sind die am meisten verschuldeten im Vergleich mit den großen europäischen Volkswirtschaften. Viele können ihre Kredite nicht mehr abbezahlen. Die Forderungsausfälle betragen aktuell in der Industrie 8%, in der Baubranche 26% und im Immobiliensektor 30% aller Kredite. Diese ernste Entwicklung lässt die Hoffnung auf wirtschaftliche Erholung zerplatzen. Das erklärte Ziel der Austeritätspolitik ist es, die Profitabilität von nationalen

Volkswirtschaften wiederherzustellen. Das ist die herrschende kapitalistische Lehrformel, nach der die Troika (EU, EZB, IWF) schon in Griechenland die Politik diktiert. Depression nach Bankenrettung Die Politik der Bankenrettungen und sozialen Massaker funktioniert nicht. Die spanische Wirtschaft ist am Boden. Die Regierung kann ihre finanzpolitischen Ziele trotz immer mehr Sparmaßnahmen nicht erfüllen. Die EU erlaubte der Regierung Rajoy nun, ihre finanzpolitischen Ziele etwas zu entspannen. Doch die Prognosen für die nächsten Jahre sind bitter. Spanien ist nach Griechenland der zweite Marker für das Scheitern der Austeritätspolitik. Wenn diese Politik fortgeführt wird, dann stürzt Spanien in eine große Depression.

Solidarität kann Zwangsräumungen aufhalten

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ank der Kampagne „Plataforma de Afectados por la hipoteca“ (Plattform der von Hypotheken Betroffenen zur Verhinderung von Delogierungen) konnten bisher rund 650 Zwangsräumungen gestoppt werden. „Die Menschen kommen zu unseren Versammlungen und erklären uns ihre Situation“, sagte

Albert. „Wir fordern die Menschen auf sich während einer Zwangsräumung vor dem Haus zu versammeln. Wir bekommen 200 oder 300 Leute und tun, was notwendig ist. Diese Aktionen sind sehr beliebt. Die Menschen wollen das Gefühl haben, dass sie Austeritätspolitik und Neoliberalismus wirklich stoppen können.“

Fotos: PAH

Albert PORTILLO aus Barcelona sprach erzählt über die ­Bewegung für das Recht auf Wohnen in Spanien.


12 Juni 2013 Linkswende ÖKOLOGIE

Lesetipp von Hannah KRUMSCHNABEL

Schiffsdiebe

Heyne-Verlag, ISBN 978-3-453-529199, 349 Seiten, 15,50€

Wir befinden uns in einer Welt, in der die Klimakatastrophe schon längst Realität ist: Die Polkappen sind geschmolzen, der Meeresspiegel angestiegen und selbst das, was von den überfluteten Küstenstädten wie New Orleans noch übrig ist, wird regelmäßig von „Städtekillern“ – riesigen Hurricanes – heimgesucht. Metalle oder gar Erdöl sind zur umkämpften Mangelware geworden. Es sind Überreste der alten Welt, aus der „Zeit der Beschleunigung“, die die Massen der Armen an den Stränden des Golf von Mexiko aus den überall gestrandeten Schiffswracks holen: „Über jedes Einzelne der gewaltigen Schiffe schwärmten wie Fliegen Kolonnen von Plünderern. Nagten an dem Fleisch und den Knochen aus Metall.“ Der junge Nailer ist ein solcher „Schiffsbrecher“, und weil er klein und geschmeidig ist, wird er in die Schächte der alten Frachter geschickt, um dort Kupferkabel oder Stahlteile zu bergen. Während er und seine minderjährigen Kolleg_innen hungern und jeden Tag ihr Leben riskieren, um die Quote zu schaffen, wird ihre Ausbeute über zahlreiche Zwischenhändler weiterverkauft und bringt den letzten Großkonzernen, den „Blutriesen“, riesige Profite. Als Nailer und seine Freundin Pima nach einem besonders schweren Sturm entdecken, dass ein Luxusschiff aufgelaufen ist, finden sie darin ausgerechnet die überlebende Erbin eines solchen Blutriesen. Sie müssen sich entscheiden: Sollen sie Nita umbringen, um sich mit den Reichtümern des Schiffes ein anderes Leben leisten zu können, oder geben sie dem „Bonzenmädchen“ eine Chance? Paolo Bacigalupi hat in diesem Auftakt zu einer Jugendbuch-Triologie einer verstörende, aber sehr realistische, zukünftige Welt entworfen, in der die Masse der Armen dazu gezwungen ist, sich wegen ein wenig Nahrung gegenseitig zu verraten und als Sklaven gezüchtete „Halbmenschen“ – Mutationen aus Mensch, Hund, Tiger und Hyänen – die Drecksarbeit der Mächtigen übernehmen sollen. Nailer, der Held der Geschichte, kämpft ums Überleben, aber auch um den Erhalt seiner Menschlichkeit in einer völlig ausgehungerten Gesellschaft. Das Genre der „Young Adult Literature“, also der Literatur für junge Erwachsene, boomt, besonders im englischsprachigen Raum. Der unverkrampfte Umgang mit schwierigen Stoffen und gerade dystopischen Themen hat auch bei „älteren“ Erwachsenen eingeschlagen und die Jugendliteratur zum Ort hochpolitischer und kritischer Romane, z.B. der zu recht zum Mega-Bestseller gewordenen Triologie der „Tribute von Panem“, werden lassen. Auch auf „Schiffsdiebe“ sollen noch zwei weitere Bände folgen, und obwohl der Roman gerade gegen Ende ein bisschen gar versöhnlich daherkommt, verspricht die Geschichte um Nailer eine so erschütternde wie spannende Auseinandersetzung mit den Konsequenzen des Raubbaus an der Erde.

Ohne Phosphor kein Fressen. Ludwig SOMMER schreibt über die Gefahr einer Phosphorkrise, erinnert an Marx‘ Konzept des metabolischen Spalts und berichtet von der Rolle tunesischer Phosphorbergarbeiter_innen in der Revolution von 2011.

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chlimm genug, dass im Kapitalismus trotz Überschüssen an Lebensmitteln Millionen Menschen verhungern müssen und mit Nahrung spekuliert wird? Nein, die Gier nach Profiten gefährdet auch noch die zukünftige Welternährung und nimmt eine ökologische Verwüstung des Planeten in Kauf. Phosphor zählt zu den nicht-erneuerbaren Ressourcen und könnte in naher Zukunft zum bitter umkämpften Rohstoff werden. Es ist ein chemisches Element das für das Wachstum von Pflanzen nicht fehlen darf. Durch den massiven Einsatz von PhosphatDüngern wurde die „grüne Revolution“, eine gewaltige Steigerung der Lebensmittelproduktion, ermöglicht. Doch die kapitalistische Produktionsweise gefährdet gleichzeitig die natürlichen Kreisläufe. Der Kampf um die Kontrolle des Erdöls hat schon zahlreiche Konflikte ausgelöst. Doch im Gegensatz zum Erdöl, das durch andere Energiequellen ersetzt werden kann, gibt es zu Phosphor keine Alternativen. Wir können davon ausgehen, dass Nationalstaaten alle Mittel bis zum Krieg einsetzen werden, um diesen profitablen Rohstoff für sich zu beanspruchen. Doch betrachten wir zunächst, wie die Phosphorkrise entstanden ist. Phosphor zu Marx Zeiten Marx interessierte sich sehr für die Arbeiten des Chemikers Justus Liebig. 1840 identifizierte Liebig Phosphor als das Element, das als knappster Nährstoff im Boden das Pflanzenwachstum einschränkt. Im natürlichen Kreislauf wird Phosphor in ausreichender Menge von abgestorbenen Pflanzen wieder an den Boden abgegeben, aber wenn die Pflanzen dem Boden entnommen werden, dann ist diese Rückführung unterbunden. Die rasant wachsenden Städte seiner Zeit führten zu einem gewaltigen Nährstofffluss vom Land in die Stadt. Weil dieser Prozess nicht umkehrbar ist, nannte Marx ihn den irreparablen metabolischen Spalt. Marx sah diesen Spalt nicht nur auf nationaler Ebene, sondern erkannte auch die Zusammenhänge zwischen Raubbau und Imperialismus. Er schrieb: „[Man] vergesse […] nicht, daß England seit eineinhalb Jahrhunderten den Boden von Irland indirekt exportiert hat, ohne seinen Bebauern auch nur

Foto: arte.tv

Paolo Bacigalupi

Kapitalismus stört Phosphorkreislauf

Phosphatmine in Tunesien, Kef Eddour

die Mittel zum Ersatz der Bodenbestandteile zu gönnen.“ Aber Kapitalismus ist für sein zerstörerisches Werk auf die Ausbeutung von Arbeiter_innen angewiesen, und diese können den Spieß umdrehen, die Kontrolle über Abbau und Verwertung selbst übernehmen, sprich im Zuge einer Revolution selbst die Macht übernehmen. Wenn die Arbeiter_innen selbst an der Macht sind und Profitmaximierung nicht mehr regiert, dann wird Nachhaltigkeit ein Kriterium dafür sein, wie die Nahrungsmittel produziert werden. Kapitalistische Produzenten machen sich keine Gedanken darüber, was es uns kostet, dass Phosphor aus den Fäkalien und Abfällen vernichtet anstatt verwertet wird. Phosphor heute Um dem metabolischen Spalt entgegenzuwirken und die Produktion zu erhöhen wird massenweise Phosphat- und Nitrat-Dünger in der modernen Landwirtschaft eingesetzt. Dadurch wird heute Phosphor verbraucht, der sich über Jahrmillionen in Gesteinsschichten gesammelt hat. Doch fossiler Phosphor ist knapp und kann nur in wenigen Regionen der Welt abgebaut werden. Phosphorarbeiter in der Revolution Tunesien ist eines der wenigen Länder mit

Phosphorvorkommen. Bis zur Revolution bestimmte die herrschende Familie Ben Ali über den Phosphorabbau und kassierte die Gewinne. Tunesische Bergarbeiter_innen erkannten ihre Machtposition und streikten mehrmals, sodass der Export von Phosphor im Jahr 2011 verglichen zum Vorjahr um 40% einbrach. Sie schwächten damit das Regime empfindlich und leisteten einen wichtigen Beitrag zur Revolution. Zentral ist die Arbeitermacht Der Kapitalismus lebt von der Ausbeutung von Mensch und Natur. Die schwerwiegendsten ökologischen Probleme entstehen dort, wo der Kapitalismus die größte Dynamik entwickelt, sei es die Ölindustrie, der Handel mit seltenen Erden oder die Agrarindustrie. Aber genau dort sind es die Werktätigen, die die Schätze der Natur fördern und ihren ökonomischen Wert realisieren. Das tunesische Beispiel zeigt, wie Arbeiter_innen Einfluss auf die Geschichte nehmen können. Um den ökologischen Problemen eine nachhaltige Entwicklung entgegenzusetzen, ist die Arbeiter_innenmacht unumgänglich. Filmtipp: Die Phosphor-Krise Dokumentation, BRD 2013 online auf arte.tv

EMISSIONSHANDEL

Das 6-Billionen Spiel mit dem Klimawandel

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Foto: thinkprogress.org

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pekulanten wetten darauf, dass Länder ihre im KyotoAbkommen zugesagten Emissionsziele nicht einhalten werden. Die sogenannte „Carbon Bubble“ ist das Ergebnis einer Überbewertung von Firmen, die Vorkommen an Öl, Kohle und Gas besitzen. Mindestens zwei Drittel dieser Reserven sollten in der Erde bleiben, wenn die international vereinbarten Emissionsziele eingehalten werden, die notwendig sind, um einen unkontrollierbaren Klimawandel zu verhindern. Soll das Klimaziel erreicht werden, dürften diese Reserven nicht verbrannt werden und sind da-

durch für die Wirtschaft wertlos, was zu riesigen Verlusten dieser Firmen an den Märkten führen würde. Die Carbon Bubble hat bereits ein Volumen von sechs Billionen US Dollar. An den Märkten wird gewettet, dass die Länder ihre Klimaziele eh nicht erfüllen werden, weil die Regierungen nicht den Willen und Mut haben um die notwendigen Maßnahmen gegen die Interessen der Kapitalisten durchzusetzen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir eine Alternative zu den Plänen der herrschenden Eliten präsentieren und uns ihnen in den Weg stellen.


Linkswende Juni 2013

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VERGESSENE GESCHICHTE The real Inglourious Basterds

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ei der Verfolgung von NSVerbrechern zeigte sich die Justiz in Österreich nicht gerade enthusiastisch. Etwa im Fall des „Schlächters von Vilnius“, Franz Murer, der trotz erwiesener Schuld 1963 freigesprochen wurde, und dessen Söhne jüdische Zeugen beim Prozess verhöhnten. Seinen Lebensabend beschloss er als ÖVPFunktionär. Heinrich Gross, Täter am Spiegelgrund, wurde zwar in den 80er-Jahren aus der SPÖ ausgeschlossen, blieb jedoch lange Zeit hoch dekoriert und gut bezahlt. Die Kameraden von Chaim Miller beschlossen, dieser Entwicklung in einigen Dutzend Fällen zuvorzukommen. Miller wurde 1921 als Alfred Müller in eine Wiener Arbeiterfamilie geboren. Mit dem Erstarken des Antisemitismus wandte er sich dem Zionismus zu und konnte im Februar 1939 nach Israel entkommen. Seine Eltern blieben zurück und wurden ermordet. Er meldet sich

zur jüdischen Brigade und wird für ein Himmelfahrtskommando ausgebildet. Hinter feindlichen Linien sollte er, als Deutscher verkleidet, Sabotageaktionen durchführen. Nachdem die Deutschen bei El Alamein zurückgeschlagen wurden, erübrigte sich dieser Plan jedoch. Als die Brigade schließlich ihren Marschbefehl erhält und im Mai 1945 in Europa eintrifft, ist der Krieg bereits vorbei. Da die Briten Racheaktionen befürchten, werden sie in Italien stationiert. Durch die Berichte vorüberziehender Holocaustüberlebender, können Miller und seine Kameraden erahnen, was mit ihren Familien passiert ist. Auf eigene Faust beschließen sie, Nazis für ihre Verbrechen büßen zu lassen. Bei einem Ausflug auf den Großglockner treffen sie zufälligerweise auf zwei SSler, die sie aufgrund ihrer Tätowierungen erkennen und in eine Gletscherspalte stoßen. Weitere Namen und Adressen erhalten sie von jugoslawischen Partisanen und

Chaim Miller mit Kippa am Kopf und Hakenkreuz-Binde am Arm (oben) und mit Angehörigen der Jüdischen Brigade in Palästina. (Aus Chaim Millers ­Fotalbum)

Urkommunismus von David ALBRICH Die längste Zeit der Geschichte lebten die Menschen ohne Konkurrenz, Ungleichheit und Unterdrückung. Archäologische Funde und anthropologische Studien von Gesellschaften in verschiedenen Teilen der Welt, die bis in das 19. und frühe 20. Jahrhundert bestanden, zeichnen eine Welt, die von der heutigen nicht verschiedener sein könnte. Unsere Spezies – der Homo sapiens – ist mindestens 200.000 Jahre alt. 95 Prozent dieser Zeit lebte der Mensch im Urkommunismus. Viele dieser Jäger- und Sammlergesellschaften überlebten bis vor wenigen Jahrhunderten und einzelne existieren immer noch, so dass Wissenschafter_innen sie heute studieren können. Die Menschen lebten in losen Gruppen von 30 bis 40 Menschen, manchmal schlossen sich Gruppen bis zu 200 Menschen zusammen. Herrscher, Chefs oder Klassenteilung gab es nicht. Die Wissenschafterin Eleanor Burke Leacock fasst ihre Studie der Montagnais-Naskapi

Foto: ORF Andreas Kuba

Die Geschichte Chaim Millers hat sich tatsächlich zugetragen und ähnelt stark Quentin Tarantinos Inglourious Basterds. Doch trotzdem SS-Schergen die in Gletscherspalten gestoßen wurden und Gestapo-Offiziere ihr eigenes Grab schaufeln mussten, macht ­Peter HERBST auch kritische Anmerkungen.

Mitarbeitern amerikanischer und britischer Geheimdienste. Bei der Aktion „Nakam“ (hebräisch für Rache) werden zwischen 100 und 300 Nazis liquidiert. Ein einziges Mal wird jemand laufend gelassen, da bei ihm keine Beteiligung festgestellt werden kann. Miller bedauert bis heute, „dass wir nicht mehr gemacht haben“. Und man muss zugeben: diese Geschichte der wahren Inglorious Bastards befriedigt die Rachegelüste, die man schon als Kind seit den ersten Erzählungen von NaziGräueln entwickelt hat, ein bisschen. Es tut wohl zu wissen, dass nicht alle Nazikriegsverbrecher so gut davongekommen sind, wie es ihnen die Republik Österreich nach 1945 erlaubt hat. Anderer-

auf Labrador zusammen: „In auf Gleichheit beruhenden Bandgesellschaften wurden Nahrung und andere Notwendigkeiten von allen körperlich gesunden Erwachsenen besorgt oder hergestellt und unmittelbar von ihren Produzenten verteilt.“ Ähnliche Ergebnisse erzielte der Anthropologe Richard Lee, der die !Kung „Buschmenschen“ der Kalahari-Wüste studierte. Gemeinschaftlicher Besitz von Land und Ressourcen, Geben und Nehmen in der Verteilung von Nahrungsmitteln und gleichwertige politische Beziehungen waren die Grundlage dieser Gesellschaften. Die !Kung entwickelten eine Reihe wichtiger kultureller Praktiken um die Überheblichen und Arroganten zurechtzustutzen und den Schwächeren zu helfen. Hierarchien konnten sich dennoch in bevorzugten Gegenden herausbilden, wenn reiche Fischgründe oder zusätzliche Nahrungsgrundlagen hinzukamen und damit Sesshaftigkeit möglich wurde. So gab es an der Nordwestküste der heutigen USA sesshafte Jäger und Sammler Gesellschaften die schon

seits hinterlässt die Erzählung einen seltsamen Beigeschmack, weil sie darüber hinwegtäuscht, dass die zionistische Bewegung als Ganzes keine gute Rolle im Widerstand gegen Faschismus gespielt hat. Bereits 1912 meinte Chaim Weizmann, Präsident der Zionistischen Weltorganisation: „Deutschland hat bereits zu viele Juden.“ Antisemitismus, der Juden nach Israel treiben sollte, war stets ein willkommener Partner des Zionismus. Deshalb biederten sich auch verschiedene zionistische Organisationen bei Hitler an. So erklärte die Zionistische Föderation Deutschlands am 21. Juni 1933, dass Boykott-Aufrufe gegen Deutschland unzionistisch wären, und sich die Juden an Hitlers Weg ein Beispiel nehmen müssten. Die

„Vereinigung deutscher Zionisten“ warb 1936 darum, als Alleinvertretung der Juden in Deutschland anerkannt zu werden. 1941 war die Untergrundorganisation Lechi noch ein wenig konsequenter. Sie bot den Nazis ein Bündnis gegen die Briten an, die damals die Mandatsmacht in Israel waren und der Staatsgründung im Weg standen. Uri Avnery, ein ehemaliges Mitglied der Lechi, meinte rückblickend: „Den ganzen Krieg hindurch unternahm die zionistische Führung kaum Anstrengungen, um den Juden zu helfen… Viele denken, dass man etwas hätte tun können: Hunderte von Haganah- und Irgunkämpfern hätte man beispielsweise mit dem Fallschirm in Europa abspringen lassen können.“

In dieser Serie erklären wir Begriffe des Marxismus von A bis Z.

Formen von Privatbesitz kannten. Eine permanente Trennung zwischen Jägern und Sammlern war den Urkommunist_innen fremd – Kinder erlernten von klein auf alle Tätigkeiten. Die Arbeitsteilung wurde von regionalen und klimatischen Besonderheiten, der gesellschaftlichen Struktur und den vorhandenen Werkzeugen bestimmt. Im Winter jagte manchmal die ganze Gruppe, während sie in der frostfreien Zeit Früchte, Nüsse und andere Nahrung sammelte. Männer dominierten nicht über die Frauen. Im Urkommunismus waren mehr Hände beim Jagen und Sammeln wichtiger als viel Nachwuchs zu bekommen – die Rolle der Frau für die Reproduktion wurde erst später mit der Sesshaftigkeit im Neolithikum wichtiger. Frauen und Männer trafen die Entscheidungen gemeinsam, etwa wenn man ein Lager verlegen oder sich einer anderen Gruppe anschließen wollte. Die ehelichen Verbindungen waren lose, man konnte seinen Partner verlassen ohne die eigene Existenz oder die

der Kinder aufs Spiel zu setzen. Schließlich kannten urkommunistische Gesellschaften kein Privateigentum. Die Nahrungssuche war meist auf den täglichen Bedarf beschränkt. Die Gruppen mussten oft den Ort wechseln, wenn die Versorgung knapp wurde. Die hohe Mobilität der Jäger und Sammler konnte nur funktionieren, wenn alles einfach transportierbar war. Einzelne Stammesmitglieder häuften sich keine Reichtümer an. Es gab also keine fixe Arbeitsteilung zwischen Männer und Frauen, Jägern und Sammlern, und kein Privateigentum und keine Herrscher. Das funktionierende Zusammenleben erforderte Kooperation und Uneigennützigkeit und dementsprechend wurde die Arbeit kollektiv organisiert und geteilt – daher sprechen wir von der Urform des Kommunismus. Erst als die Werkzeuge und Produktionstechniken den Menschen erlaubten, sesshaft zu werden und Nahrungsmittel zu horten, war die Grundlage für die Entstehung der Klassengesellschaften geschaffen.


14 Juni 2013 Linkswende

Kultur in Kürze

KULTUR

Into the City – Music and Politics

Leo K. über den diesjährigen Themenschwerpunkt der Wiener Festwochen

ZEICHNEN GEGEN DAS VERGESSEN Kohlezeichnungen, von Kindern und Jugendlichen, die zu Opfern des NaziTerrors wurden. Manfred Bockelmann: „Ich zeige keine Märtyrer, keine Leichenberge und keine geschundenen Kreaturen, deren Gesichter von Hunger, Krankheit und Erschöpfung gekennzeichnet sind, die ihrer Individualität beraubt wurden. Ich zeige Individuen, denen das Martyrium noch bevorsteht.“

Bis zum 2.September im Leopoldmuseum, MuseumsQuartier Wien

FILM „NO“ VON PABLO LARRAÍN Nach „Tony Manero“ (2008) und „Post Mortem“ (2010) - der dritte Teil einer Trilogie über die Pinochet-Diktatur in Chile. Ein glatter Werbefritze stellt für die Bewegung gegen den Diktator im Zuge der Volksabstimmung 1988 Werbefilme her und wird darüber zum politischen Aktivisten. Auf U-Matic ­Video gedreht wirkt „No“ selbst wie ein Werbefilm aus den 80ern. Coca-Cola-Ästhetik als Waffe der Unterdrückten?

U.a. im Votivkino, Künstlerhaus, Cine Center

KABARETT LAUGH IN PEACE Azhar Usman - „America´s funniest Muslim“ macht politische Stand-upComedy gegen den Mainstream. Seine Tour quer durch die USA nannte er „Allah made me funny“. In Wien tritt er im Rahmen von „Into the City“ auf. Gespräch mit Dirk Stermann und anschließend Kabarett-Programm „Citizen of the World“

31.Mai, 18.30 Wien Museum Karlsplatz Karlsplatz 8, 1040 Wien

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ls vor fast 35 Jahren auf dem Wiener „Blutrausch“Sampler erstmals 3 Lieder von Stefan Webers Skandaltruppe „Drahdiwaberl“ auf Vinyl veröffentlicht wurden, hätte sich in der damaligen Kulturlandschaft niemand träumen lassen, dass dereinst im Rahmen der Wiener Festwochen eine Ausstellung über Drahdiwaberl stattfinden würde. Die PolitUnderground-Band ist mit ihrem gezielten Aktionismus seit nunmehr vier Jahrzehnten fester Bestandteil der Wiener Alternativszene geworden. Beim Eröffnungskonzert wurde einmal mehr Stefan Weber’s „Weltrevolutions-Spektakel“ dargeboten, und er gehört mit besagter Ausstellung zu den Protagonisten von „Into the City – Music and Politics“. Dieser sehr ambitionierte Themenschwerpunkt der Wiener Festwochen 2013 befasst sich mit Musik als Spiegel der Gesellschaft. Von den Anti-Vietnam-War-Songs der 1960er-Jahre bis zum Rap der 1990er- und 2000er-Jahre spannt sich der Bogen, im Vordergrund steht dabei die zeitgenössische Protestkultur, z.B. Rap und Satire als kreative Widerstandsformen in Syrien, eine Performance von Rapper Thxa Soe zum Thema aktuelle Musik und Zensur in Burma oder die „Allah Made Me Funny-Tour“ von US-Comedian Azhar Usman, um nur einige Höhepunkte zu nennen. Zu den jeweiligen Themen finden Diskussionsveranstaltungen mit den beteiligten Künstler_innen statt, im Anschluss daran gibt es in der „Nightline“ Live-Performances (siehe Programmkasten). Libanon und Palästina Der 25. Mai beispielsweise steht ganz im Zeichen des aktuellen Aktivismus in Libanon und Palästina.

Star des Abends ist Shadia Mansour, die „Queen of Arab Hip-Hop“. Im Song „The Kufiyyeh is Arab“ singt sie „You can take my falafel and hummus, but don’t f***ing touch my kufiyyeh“ und reagiert damit auf Modetrends, die das „Palästinensertuch“, missbrauchen. Sie ist Teil des Teams, das die „Existence in Restistance“Tour mit Rappern und DJs in den besetzten Gebieten durchführt. Mit ihr diskutieren wird einer der prominentesten Produzenten und DJs im arabischen Raum, Hussein Mao Atwi aka DJ Lethal Skillz. Er gründete 1994 in Beirut die 961 Underground Crew, um Streetart -Disziplinen wie Producing, Rap, Graffiti und Beatbox zu fördern. Weitere Talk-Teilnehmer sind Hassane Dennaoui aka Big Hass, Gründer des ersten HipHop-Online-Radio-Senders „Re-Volt“ in Saudi-Arabien, und Jean-Christophe Victor, Gestalter der renommierten ARTE-Reihe „Mit offenen Karten“.

Foto: port-magazine.com

Weblinks:

intothecity.at myspace.com/shadiamusic

Genau genommen war in den „Roaring Sixties“ nichts unpolitisch: Viele Songzeilen wurden als Botschaften verstanden. Doch abgesehen von der politischen Folkszene um Bob Dylan, Phil Ochs und The Fugs (die als eine der ersten Bands offen gegen den Vietnamkrieg Stellung nahmen) entstand Protestmusik die es in die Hitparaden schaffte und dadurch eine Breitenwirkung entfachte. „Say It Loud – I’m Black and I’m Proud“ von James Brown wurde beispielsweise zu einer Hymne der Black Power-Bewegung. Die 1959 verstorbene Jazz-Sängerin Billie Holiday ist eine der Wegbereiterinnen dafür, dass für Frauen eine Karriere im Musikgeschäft überhaupt denkbar wurde. Sie war Vorbild für die

Steve Mason Monkey Minds In The Devil‘s Time

er ehemalige BETA BAND Sänger Steve Mason überrascht auf seinem zweiten Solo-Album mit Facettenreichtum und einer Stil-Vielfalt aus Country, Folk, Gospel, Dub und Rap um nur einiges zu nennen. Inhaltlich inspiriert von der Occupy-Bewegung und den Londoner Unruhen des Jahres 2011 präsentiert sich der Songwriter als wandlungsfähiges und experimentierfreudiges Chamäleon: Eingängige Pop-Melodien („Oh My Lord“) reihen sich an Avantgarde-Klänge („Never Be Alone“) und Hip Hop-Rhymes („More Money, More Fire“). Zwischen den

Wolfgang Kos gestaltet zu diesem Themenkreis am 29. Mai die Diskussionsveranstaltung „Popmuseum“. Die politische Dimension von „Into the City“ kann nicht hoch genug geschätzt werden. Einerseits werden historische Zusammenhänge und der Zeitgeist einer bis heute prägenden Epoche dargestellt, eine Chance die z.B. zuletzt bei an sich gelungenen Filmen wie „Johnny Cash – Walk the line“ verabsäumt wurde, andererseits greifen die Veranstalter_innen und Initiator_innen durchaus „heiße Eisen“ wie die aktuelle Situation im Nahen Osten auf.

Absolutely free - Musik und Politik in den 60er Jahren

Leo K’s

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60er Hippie-Ikone Janis Joplin und für Nina Simone, die mit Liedern wie „Strange Fruit“ und „Mississippi Goddam“ gegen die Rassentrennung kämpfte. Bis in die 1960er Jahre war es sogar unvorstellbar, dass Schwarze mit weißen Bands auftraten. Frank Zappa and the Mothers of Invention oder MC5 waren Exponenten eines „anderen weißen Amerika“, das keine diesbezüglichen Berührungsängste kannte und außerdem heftige Kritik an den Lebensformen des Establishments übte. Binnen kürzester Zeit wurden aus diesen Underground-Acts Rockstars, die Konzerthallen füllten und revolutionäre Alben veröffentlichten („Absolutely free“, „We’re only in it for the money“, „Kick out the Jams“). Der Historiker

Foto: intothecity.at

MANFRED BOCKELMANN

Musiktipps Kidcat Lo-Fi Love, Hate, Rock & Roll

Songs sind Soundclips eingestreut, die dem Werk das Flair eines Konzeptalbums verleihen, sowie Schnipsel aus Interviews und Ansprachen, wie zum Beispiel Tony Blair, der von „Libya as a gold mine of a country“ spricht. Die leicht melancholische Grundstimmung, die sich durch das gesamte Album zieht, macht gegen dessen Ende einem trotzigen Optimismus Platz: Mit „Fight Them Back“ findet sich auf „Monkey Minds In The Devil‘s Time“ Steve Mason’s bislang politischster Song. Hinter dem zu Beginn unauffälligen Groove braut sich ein Proteststurm zusammen, der zum Widerstand gegen ein krankes und korruptes System aufruft. „People have all the Power - they just have to remember it“, so lautet die aktuelle Botschaft. Dass diese in teilweise sehr gefällige Songs verpackt wurde tut der Sache gar keinen Abbruch. stevemasontheartist.com

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as selbstbetitelte Debutalbum von Kidcat Lo-Fi, dem Projekt um die Singer/ Songwriterin Katrin Wieser ist alles andere als platte und leichte Kost, auch wenn der Name es vermuten lässt. Der Gegensatz aus musikalischer Leichtfüßigkeit und bissigen Inhalten, Unbeschwertheit und Kummer, ins Ohr gehenden Songs und einer ungewöhnliche Bühnen-Präsenz zeichnen Kidcat Lo-Fi aus. Die bereits im Dezember 2012 veröffentlichte Vorab-Single „The Killing Smile“ konnte sich erfolgreich im Programm von fm4 und goTV behaupten, nun liegen zwölf Songs voll Love, Hate und Rock & Roll vor: Eine gehörige Prise (feministisch motivierter) Protest, dann und wann ein Augenzwinkern, all das verpackt in süße Melodien, sehr reduziert arrangiert und getragen von akustischer Gitarre und Ukulele. Kidcat Lo-fi spricht in „The Wake up

Foto: enemy.at

AUSSTELLUNG

Song“ vielen von uns aus der Seele, wenn es da etwa heißt: „I woke up today, I feel like shit“. Spätestens jedoch beim „Oh Oh Oh“ des Refrains hat sie es geschafft, eine optimistische Sichtweise zu verbreiten, der ideale Soundtrack also zum Energie tanken für arbeitsreiche Tage voll unerfreulicher Nachrichten. Weitere Anspieltipps: „I Will Not Marry Or Reproduce“ und „Life Sucks“. Live-Tipp: Kidcat Lo-Fi tritt am 27.Mai 2013 im B72, Hernalser Gürtel 72-73, 1080 Wien als support von „Der Nino aus Wien“ auf (ab 20:00 Uhr).

facebook.com/pages/ Kidcat-Lo-fi/281742255212646


Linkswende Juni 2013

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Linkswende fährt auch dieses Jahr wieder nach London zum Marxism-Festival. Wenn du mitkommen möchtest, melde dich einfach bei uns (0650 452 24 73, linkswende@linkswende.org).

Mach mit bei Linkswende! KONTAKT

Gruppentreffen: Stadtgruppe: Jeden Do. um 19 Uhr, Amerlinghaus (7., Stiftg. 8) Unigruppe: Jeden Di. um 19 Uhr, Powi-Institut im 2. Stock des NIG (1., Universitätsstr. 7) Für Interessierte, die mit uns politisch diskutieren wollen, keine Anmeldung erforderlich.

Internet: linkswende.org

Infotische: Stadtgruppe: Jeden Sa. von 14 bis 15 Uhr, Mariahilferstr., vor dem Generali Center. Unigruppe: Jeden Do. von 12 bis 13 Uhr, ­ „Uni-Eck“, Schottentor Während der Uni-Ferien finden Infotische und Gruppentreffen gemeinsam mit der Stadtgruppe statt.

Telefon: 0650 452 24 73

linkswende@linkswende.org

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Was wir wollen

Eine andere Welt. Heute lebt die Hälfte der Menschheit von weniger als 2 Dollar pro Tag, 67% der Reichtümer sind in den Händen von nur 2% der Bevölkerung. Weltweit sind Regierungen für krisengeschüttelte Unternehmen und Banken mit rund 6.000 Milliarden Euro in die Bresche gesprungen. Dieser Betrag würde ausreichen, um die weltweite Armut für ein halbes Jahrhundert zu beenden. Was heute produziert wird, würde schon ausreichen,

ABONNEMENT

um alle Menschen der Welt mit dem Grundlegendsten zu versorgen. Die Bedingungen für eine gerechtere Welt waren nie besser als heute. Demokratische Kontrolle. Wir wollen eine Gesellschaft, in der gezielt für die Bedürfnisse der gesamten Menschheit und mit Rücksicht auf die Natur produziert wird. Dafür ist eine wirklich demokratische Ordnung nötig, in der die werktätigen Menschen das Sagen haben, sie produzieren allen Reichtum

dieser Welt. Eine neue Gesellschaft ist nur vorstellbar, wenn sie die Produktion ihrer Reichtümer und ihre Verteilung kontrollieren. Um eine solche gerechte – eine sozialistische – Gesellschaft errichten zu können, müssen Arbeiter und Arbeiterinnen kollektiv gegen das herrschende System vorgehen, seine staatlichen Strukturen zerschlagen und kollektiv die Kontrolle übernehmen. Wir stehen für einen Sozialismus von unten, denn – wie Karl Marx sagte – »Die Befreiung der Arbeiterklasse muss das Werk der Arbeiterklasse selbst sein.« Internationalismus. Die Revolutionen im arabischen Raum und der internationale Aufschwung der Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung im Jahr 2011 demonstrieren, dass der Kampf nicht entlang von Ländergrenzen, sondern von Klassengrenzen stattfindet. Das Scheitern der Russischen Revolution mit der Machtübernahme Stalins hat uns

gezeigt, dass eine sozialistische Revolution nicht isoliert in einem Land erfolgreich sein kann. Der Kapitalismus ist ein internationales System, das nur international besiegt werden kann. Wir unterstützen das Recht aller unterdrückten Gruppen, sich zu ihrer eigenen Verteidigung zu organisieren. Wir unterstützen Befreiungsbewegungen, die sich gegen Unterdrückung durch imperialistische Staaten wehren. Gegen Unterdrückung. Als Sozialistinnen und Sozialisten bekämpfen wir jede Form der Unterdrückung. Wir stellen uns gegen alle Versuche der herrschenden Klassen, uns entlang von Staatsgrenzen, Hautfarbe, Religion, Geschlecht oder sexueller Orientierung zu spalten und damit zu schwächen. Wir treten für echte soziale, politische und ökonomische Gleichberechtigung von Frauen und für ein Ende aller Diskriminierungen von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender ein.

Gegen Rassismus. Wir wenden uns aktiv gegen alle Versuche, Menschen verschiedener Herkunft gegeneinander zu hetzen. Wir sind gegen jede Diskriminierung, gegen Einwanderungskontrollen, gegen Arbeitsverbote und für grenzüberschreitende Solidarität. Wir stehen für Solidarität mit der muslimischen Bevölkerung und für das volle Recht auf freie Religionsausübung. Revolutionäre Partei. Unsere Herrscher kontrollieren die Medien, die Justiz, Polizei und Militär. Um diese Macht zu konfrontieren, müssen sich auch die Lohnabhängigen organisieren. Wir glauben, dass diejenigen, die eine gerechte und solidarische Gesellschaft wollen, sich zusammentun müssen und die Entwicklung der Protestbewegungen nicht dem Zufall überlassen dürfen. Je stärker die revolutionäre Strömung innerhalb der Bewegung ist, desto mächtiger wird die Bewegung als Ganzes.


Linkswende Monatszeitung für Sozialismus von unten

Türkei: Alles verändert sich Die türkische Regierungspartei AKP hat sich dem Neoliberalismus verpflichtet und der Ausweitung des Einflusses der Türkei in der Region. Aber auch das Verhältnis zwischen Gesellschaft, Staat und dem einst allmächtigen Militär ist neu gestaltet worden, schreibt der türkische Sozialist Roni MARGULIES.

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ur auf den ersten Blick scheint alles so zu sein, wie man sich es vorstellt: eine Art islamische Partei regiert das Land und diese „Gerechtigkeitsund Fortschritts-Partei“ (AKP) ist konservativ und neoliberal und inakzeptable Dinge geschehen: Kurden, Journalisten und Anwälte werden regelmäßig verhaftet; der Tod von 34 unschuldigen Kurden durch Bomben der türkischen Luftwaffe bleibt unbestraft; die Mörder eines armenischen Zeitungsherausgebers bleiben, bis auf einen Sündenbock, auf freiem Fuß; regierungskritische Journalisten werden gefeuert, es wird ständig auf nationale und familiäre Werte gepocht. Die sozialdemokratische Oppositionspartei CHP prophezeit eine dunkle Zukunft – das „islamische, dunkle Mittelalter“ – für die Türkei und meint, dass jeden Tag alles schlechter wird. Die CHP, längst eine Partei der oberen Mittelklasse schürt Angst und Verachtung für alles, was auch nur vage mit Islam zu tun hat. Das Militär spielt traditionell eine zentrale Rolle in der türkischen Politik. Wir wissen heute, dass während der Amtszeit der AKP, besonders zwischen 2002 und 2007, viele Pläne für einen Militärputsch ausgeheckt wurden und daran gefeilt wurde, unter welchen Bedingungen die Mehrheit der Bevölkerung einen Militärputsch willkommen heißen würde. Ein Staat gegen das Volk Die AKP ist nun elf Jahre an der Macht. Anstatt der von westlichen Journalisten erwarteten Islamisierung und der Beschneidung demokratischer Freiheiten sind viele Dinge umgesetzt worden, die man nur einer fortschrittlichen Partei zugetraut hätte.

Zuerst müssen wir verstehen, was der Aufstieg der AKP überhaupt bedeutet. Die heutige Türkei wurde als türkisch-sunnitischer, muslimischsäkularer Nationalstaat geründet. Die Gründerväter, angeführt von Kemal Atatürk, wollten einen ethnisch reinen Staat, er sollte nur von muslimischen Türken bewohnt werden, er sollte säkular sein, was hieß, dass Religiosität verpönt war, und er sollte „zivilisiert“, also westlich, sein. Allerdings war die Bevölkerung nicht rein türkisch und nicht rein muslimisch; circa jeder fünfte war Kurde und es gab viele andere, kleinere Volksgruppen. Es gab viele Armenier (selbst nach dem spät-osmanischen Genozid noch über eine Million), Griechen und Juden, sowie kleinere Gruppen von Assyrern und anderen. Außerdem waren viele der Muslime Aleviten (vergleichbar mit iranischen Schiiten) und keine Sunniten. Und zu guter Letzt entsprach auch die sunnitisch-türkische Mehrheit nicht dem kemalistischen Bild einer modernen Bevölkerung. Sie waren einfach zu religiös und zu „östlich“. Das Vermächtnis von Atatürk Unter Atatürk als Diktator fuhr der Einparteienstaat damit fort, die Bevölkerung in seine eigenen Vorstellungen zu zwängen. Muslimische Kurden sollten assimiliert und „türkifiziert“ werden. Ihre Existenz wurde geleugnet, ihre Sprache verboten. Jeder Widerstand gegen die Assimilation wurde rücksichtslos niedergeschlagen. Nicht-türkische und nicht-muslimische Minderheiten wurden gezwungen, das Land zu verlassen. Heute sind in der Türkei nur noch kleine Gemeinschaften an Nicht-Muslimen übrig. Verbrochen wurde das von einem „fortschrittlichen“, militant säkularen, nationa-

Ein kurdisches Mädchen demonstriert mit einem Foto des inhaftierten PKK-Anführers Abdullah Öcalan

listischen Regime. Die sunnitisch-türkische Mehrheit machte im kemalistischen Staat ebenfalls eine harte Zeit durch. Die traditionelle Kopfbedeckung (der Fes) wurde verboten, keine Frau konnte in Reichweite des Staates ein Kopftuch tragen, kein Mann die typische islamische Bartmode oder bäuerliche Kleidung. Es war ein ungeschriebenes Gesetz, zeitweise wurde es sogar offiziell vorgeschrieben, dass Kopftücher in der Öffentlichkeit verboten sind, und Frauen mit Kopftuch nicht im öffentlichen Sektor arbeiten dürfen oder, wie bis vor kurzem, nicht die Schule oder Universität besuchen durften. Und das in einem Land, wo gut die Hälfte der Frauen immer, auf die eine oder andere Weise, ihren Kopf bedeckt hatten. Am gravierendsten ist, dass ein Großteil der Bauern und der religiösen Bevölkerung vom politischen und gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen wurde. Sie wurden verspottet und von der städtischen Elite rund um die kemalistische Bü-

rokratie bevormundet. Demokratie und Militär Ein Staat, der praktisch mit all seinen Einwohnern im Konflikt steht, sei es, weil sie nicht türkisch, muslimisch, sunnitisch oder zu muslimisch sind, kann sich nur durch einen repressiven, undemokratischen Machtapparat aufrecht erhalten. An der Spitze dieses Apparates stand immer das Militär, der Wächter der „modernen, säkularen, nationalistisch-kemalistischen“ Republik. 1950 wurden die ersten demokratischen Wahlen in der Türkei abgehalten. Die große Mehrheit stimmte gegen die CHP, der Partei des kemalistischen Staates und des Militärs. Die Partei, die gewählt wurde, wurde 10 Jahre später durch einen Militärputsch gestürzt. Nach demselben Muster wurde 1971, 1980 und 1997 geputscht. 1996 wurde das erste Mal eine offen islamische Partei gewählt, 1997 wurde sie gestürzt. 2002 kam ein Abkömmling jener Partei, die AKP, an die Macht. Die AKP-Regierung konnte sich einer Reihe von Entmachtungsversuchen erwehren, die Präsidentschaft behaupten, und von 34% der Stimmen auf 43% zulegen. Haufenweise wurden die bislang unantastbaren Generäle und Offiziere, sowie ihre zivilen Unterstützer wegen der Vorbereitung eines Putsches gegen die Regierung und wegen zahlreicher anderer „schwarzer Operationen“ zu Haftstrafen verurteilt.

Foto: dppimages

Konservative als Reformer?

Der Staatsapparat fördert seit Jahrzehnten einen Kult um Staatsgründer Kemal Atatürk.

Erdogan und seine Partei sind konservativ und religiös. Sie ist die Partei des Großkapitals und das komplette neoliberale Wirtschaftsprogramm wurde unbeirrt umgesetzt. Aber die AKP konnte nicht in Ruhe regieren.Als der kemalistische Staat versuchte mit seinem Militär und seiner Bürokratie die Regierung zu stürzen, war die AKP gezwungen sich zu verteidigen und um die Massen hinter sich zu vereinen, nahezu wie Reformer zu handeln. In den

letzten zehn Jahren wurden Punkte in die politische Agenda aufgenommen, die in den ersten 80 Jahren der Republik nicht einmal erwähnt werden durften: Die Anerkennung des Genozides an den Armeniern, die Rückgabe des beschlagnahmten griechischen, jüdischen und armenischen Eigentums, Militärpersonal vor zivilen Gerichten, die Arbeit an einer neuen Verfassung, in der die ersten drei „unangreifbaren“ Artikel verändert werden, und vieles mehr. Was ist mit der Kurdenfrage? Hauptpunkt der atemberaubenden Veränderungen des letzten Jahrzehnts ist die Bewegung in Richtung einer Lösung der Kurdenfrage. Dadurch, dass die jetzige Regierung die Oberhand gegen das Militär gewonnen hatte, wurde ein Abkommen möglich. Und dafür konnten sie sowohl die Unterstützung des Großkapitals als auch der Bevölkerung gewinnen, die eines Kriegs müde war, der mindestens 40.000 Menschen das Leben kostete. Es gilt als beinahe sicher, dass die Hauptforderungen der Kurden – die Anerkennung ihrer nationalen Identität, gleiche Bürgerrechte, Schulen in ihrer Muttersprache, Stärkung der Lokalregierung, Rücknahme der Betonung auf das „Türkische“ in der Verfassung – Bestandteil des Friedensvertrages werden. Widerstand dagegen und gegen andere Veränderungen kommen von der „sozialdemokratischen“ CHP und von Teilen der Linken! Wie auch immer sie ihre Opposition rechtfertigen, sie fußt auf kemalistischem Nationalismus. Wenn man eine linke Opposition in der Türkei aufbauen möchte, muss sie die Friedenspläne der AKP und ihren Umgang mit dem Militär genau so unterstützen, wie sie ihre neoliberale Politik, ihren Konservatismus und ihre imperialistischen Bestrebungen bekämpfen muss. Ungekürzter Originalartikel auf: www.linkswende.org


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