Linkswende Monatszeitung für Sozialismus von unten
HETZT DIE HETZER! Nr. 169 Juli/August 2013 Spende 1,50 EUR Solidaritätsspende 2,00 EUR
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FPÖ-Wahlkampf wird rassistisch
Unser Beitrag zum Wahlkampf heißt: Rassismus bekämpfen
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eien wir nicht naiv. Wenn Strache zur Eröffnung des Wahlkampfs versichert, er habe noch nie einen Ausländerwahlkampf gemacht, dann erwartet uns ein besonders rassistischer Wahlkampf. Wobei Ausländerwahlkampf nicht wirklich zutrifft, schon eher ein „Türkenwahlkampf“ oder ein „Muslimewahlkampf“ und ein „Asylantenwahlkampf“, aber das traut man sich dann doch nicht in aller Offenheit so verkünden. Denn die FPÖ drischt nicht auf alles Fremde ein, sondern nur auf jene, die besonders verletzlich sind. Die FPÖ wird bei den Nationalratswahlen nicht gut abschneiden. Von ihren Wähler_innen aus dem Jahr 2008 werden sich viele ganz von der FPÖ abwenden, andere werden sich schwer motivieren können überhaupt wählen zu gehen, obwohl sie der FPÖ die Treue halten. Um diese zu mobilisieren werden Strache und seine Mannschaft auf die Sorte Rassismus setzen, die bei gewissen Menschen Schenkelklopfen auslösen soll. Die Frage ist für die Blauen: wenn sie in der Mitte verlieren, wie mobilisieren sie wenigstens am rechten Rand? Eine verzweifelte FPÖ wird wahrscheinlich hässlichere Ausländerfeindlichkeit einsetzen als eine FPÖ, die sich, wie 2008, zutrauen durfte, den anderen Parteien Stimmen weg-
Foto: Tips
BLEIBERECHT
Das Dorf Stadl-Paura kämpft gegen die Abschiebung einer tschetschenischen Flüchtlingsfamilie
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zunehmen. 2008 wuchs der Stimmenanteil der FPÖ von 11,0% auf 17,5% an. Hat die FPÖ Zulauf von Wähler_innen, dann erfüllt ihr Rassismus zum Teil andere Funktionen. Er soll Menschen fester ans rechte Lager binden, die es zum ersten Mal betreten haben. 2013 erfüllt Rassismus für die FPÖ vor allem Mobilisierungszwecke. Dieser Wahlkampf wird polarisieren und auf Widerstand treffen. In einer Presseaussendung beschwerte sich Ende Mai die Freiheitliche Partei im 10. Wiener Gemeindebezirk über Angriffe durch „drei türkischstämmige Jugendliche“ auf einen Informationsstand der Favoritner Freiheitlichen. Man sei bedroht worden, ein Freiheitlicher sei geschlagen worden, ein anderer getreten, so die Bilanz der Blauen. Wie glaubwürdig das ist, sei dahingestellt, aber es zeugt davon, dass „den Türken“ längst bewusst geworden ist, dass eine Partei im Besonderen gegen sie hetzt, vom „Türkenproblem“ redet und sie zum Feindbild macht. Wer mit uns gegen Rassismus im Wahlkampf antreten möchte, wird diese Umstände nicht ignorieren können. Wir müssen die türkische Community in Österreich ansprechen und sie in unsere Mobilisierungen einbinden. Und wir müssen standhaft gegen Islamfeindlichkeit und Rassismus gegen Flüchtlinge auftreten. Wir hoffen, dass besagter Angriff durch türkischstämmige Jugendliche keine bloße Erfindung der Freiheitlichen war, sondern
Ausdruck eines erstarkten Selbstbewusstseins bei der migrantischen Jugend und einer stärkeren Politisierung. Dafür spricht eigentlich alles: Migrantische Jugendliche haben in den letzten Jahren eine zunehmend aktive Rolle beim Aufbau von Bewegungen gespielt; etwa bei den Protestbewegungen gegen die Kriege im Irak, in Afghanistan und Palästina, bei Protesten wegen Polizeigewalt gegen Flüchtlinge oder bei den Demos an den Universitäten. Dazu kommt die globale Komponente dieser
Entwicklungen: Muslimische Jugendliche haben im Zuge der Revolutionen und Aufstände im Iran, Tunesien, Libyen, Ägypten und nicht zuletzt der Türkei eine neue Wahrnehmung von sich selbst und der Rolle entwickelt, die sie in Protestbewegungen spielen können. Sie sind eine entscheidende Kraft, an die wir uns wenden müssen, wenn wir der FPÖ weh tun wollen. Man muss die Bedrohung durch die Hetze der Freiheitlichen ernst nehmen, aber man kann ihnen auch die Schneid abkaufen.
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Auf der Straße wird unsere Stärke gegen die FPÖ sichtbar.
TÜRKEI
ÖKOLOGIE
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Über die Motivation der türkischen Demokratiebewegung und die Mythen, die sie begleiten, schreibt David Albrich
Ludwig Sommer appelliert für eine marxistische Lösung der ökologischen Krise
Foto: Linkswende
ÜBERWACHUNG Foto: links.org.au
von Manfred ECKER
>> Seite 12 Die Hintergründe des Datenskandals hat Peter Herbst recherchiert Foto: Wikipedia
Juli/August 2013 Linkswende WIEN
Die Erfahrungen zwischen 2000 und 2006 – die Zusammenarbeit mit Gesinnungstätern, Kriminellen und Idioten – haben die Volkspartei nicht immunisiert. Christian Rainer im Profil über eine erneute Koalitionsregierung mit der FPÖ
Das ist wie im Krieg. Die jagen die Leute durch die Straßen und feuern gezielt mit Tränengasgranaten auf die Menschen. Die deutsche Grünen-Politikerin Claudia Roth als Augenzeugin in Istanbul
Ich habe heute einen Fenerbahçe Fan gesehen, der vor den Polizisten, denen du den Befehl zum Angriff gegeben hast, zu Boden gestürzt ist und dem – von einem Galatasaray Fan – auf die Beine geholfen wurde. kurdisch- und türkischstämmige Menschen, die Hand in Hand laufen. Aykut G’s Facebook-Botschaft an Präsident Erdoğan
Was hier passiert, haben bisher nur Diktatoren gemacht. Haben Sie schon mal von einer Demokratie gehört, in der handstreichartig alle öffentlich-rechtlichen Sender geschlossen werden? Yannis Darras, langjähriger Mitarbeiter des staatlichen griechischen Rundfunks, der von der Regierung überraschend abgedreht wurde.
Polizei in Wien „eingebläut“. Rassisten, Schläger, Verurteilte. David Ellensohn, Klubobmann der Wiener Grünen
IMPRESSUM Linkswende
Monatszeitung für Sozialismus von unten Herausgeber (für den Inhalt verantwortlich): Manfred Ecker. Redaktion: Tom D. Allahyari, Manfred Ecker, Daniel Harrasser, Peter Herbst, Hannah Krumschnabel, Oliver Martin, Ludwig Sommer. Post: Linkswende, Postfach 102, Kettenbrückeng. 5, 1050 Wien Telefon: 0650 452 24 73 Web: www.linkswende.org Email: redaktion@linkswende.org ZVR: 593032642
AKH: Leiharbeiter wollen Anstellung
Foto: Initiative Übernahme
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m AKH kämpfen fast 1.000 Leih- und Zeitarbeiter_innen der Leiharbeiterfirma AGO für faire Arbeitsbedingungen. Als Abteilungshilfe, OP-Gehilf_innen, in der EDV oder als Reinigungskraft leisten sie seit über acht Jahren großteils das gleiche wie die Gemeindebediensteten, jedoch bei schlechterer Bezahlung, ohne Kündigungsschutz und ohne Personalvertretung vor Ort. Ihr Betriebsrat ist gegenüber dem AKH benachteiligt und sie können jederzeit spontan für einen Dienst eingeteilt oder von einem Dienst abgezogen werden.
Jetzt will die Stadt Wien den Vertrag mit AGO auslaufen lassen, und die Beschäftigten werden über ihre Zukunft im Unklaren gelassen. Solidaritätsbekundungen kamen bislang vom Pflegepersonal, aus der Ärzteschaft und der Gewerkschaft. Außerdem fand am 25. Juni eine Kundgebung vor dem Rathaus statt, um den Gemeinderat aufzufordern, in Verhandlungen zu treten, und die Leiharbeiter_innen als Gemeindebedienstete anzustellen, um für die gleiche Leistung die gleichen Arbeitsbedingungen zu gewährleisten.
DEUTSCHLAND
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Postangestellte streiken wieder
W
ährend erwartet wird, dass die Geschäftsführung der Crown-Postämter ein Rekordergebnis präsentiert und dafür Bonuszahlungen kassiert, sind die Gehälter der Belegschaft seit 2011 nicht erhöht worden. Nach einschneidenden Kürzungsmaßnahmen in den letzten Jahren sollen zudem weitere 73 Filialen auslagert oder geschlossen werden. Die Gewerkschaft der Angestellten fordert
USA
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Arbeitskampf bei Amazon geht weiter
ei Amazon in Bad Hersfeld und Leipzig wurde zum dritten Mal innerhalb von drei Wochen die Arbeit niedergelegt. 1.000 Beschäftigte hielten einen eintägigen Warnstreik ab, und forderten eine Übernahme in den Versandhandel-Kollektivvertrag. Amazon bezahlt nach dem niedriger entlohnten Kollektivvertrag für Logistikunternehmen, was im ersten Berufsjahr bis zu 9.000 Euro weniger bedeuten kann. Für Ende Mai hatte Amazon Bundes-, Landes- und Kommunalpolitiker nach Bad Hersfeld eingeladen,
ENGLAND
lud diese jedoch wieder aus, nachdem für den Tag ein Streik angekündigt worden war. Einige Politiker_innen kamen trotzdem und zeigten sich bei der Aktion „Outdoor-Meeting 2.0/Politiker kommen – wir auch“ solidarisch mit den Streikenden, unter anderem Kanzlerkandidat Steinbrück und Fraktionsführer Steinmeier von der SPD. Beim jüngsten Streik wurde für eine Stunde die LKW-Einfahrt blockiert. VerdiStreikleiter Heiner Reimann erklärt: „Wir wollen eskalieren“ – in Zukunft seien auch mehrtägige Streiks möglich.
Historischer Streik bei Wal-Mart
nfang Juni ließen sich die WalMart-Bosse beim jährlichen Treffen von Stars wie Hugh Jackman und Tom Cruise feiern. Mit anwesend waren neben Aktionären allerdings auch Aktivist_innen von OUR Walmart, die von der Führung forderten, den Angestellten Vollzeitbeschäftigung zu ermöglichen, sowie ein jährliches Mindestgehalt von umgerechnet 18.725 Euro. 100 streikende Wal-Mart-Angestellte waren aus Florida, Massachusetts und Kalifornien angereist, um gegen Repressionsmaßnahmen Wal-Marts zu demonstrieren. Der
IM VISIER: Andreas Mölzer
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ausende Schwulen- und Lesbenhasser gingen am 26. Mai gegen die Einführung von gleichgeschlechtlichen Partner_innenschaften in Paris auf die Straße. An deren Spitze: der freiheitliche EU-Abgeordnete Andreas Mölzer und der außenpolitische Sprecher der FPÖ Johannes Hübner. Frankreichs Konservative erzeugen seit Monaten eine homophobe Welle, auf der „die gemeinsamen Freunde“ von Mölzer (Front National von Marine Le Pen) surfen können und Rechtsradikale Selbstbewusstsein tanken. Der 18-jährige Antifaschist Clément Méric wurde eine Woche darauf von französischen Neonazis so schwer verprügelt, dass er kurz darauf verstarb. Mölzer ersehnt sich eine solch „beeindruckende bürgerliche und konservative Manifestation gegen zeitgeistige Umtriebe“ auch für Österreich. Dem Organisator des Lifeballs
deshalb eine Rücknahme dieses Planes, sowie eine Gehaltserhöhung von 3,5%. Angeboten wurde bislang eine Einmalzahlung von umgerechnet ca. 1.650 Euro, mit weiteren Zahlungen abhängig von Leistungsvorgaben. Deshalb wurde mit einer Mehrheit von 90% der sechste und siebte Streik seit Ostern beschlossen. An diesem werden sich 4.000 Angestellte in 373 Geschäftsstellen beteiligen.
Streik, der am 25. Mai begann, ist zwar klein, dafür aber der längste in der Geschichte des Unternehmens. Die in der Versammlung präsentierten Resolutionen – von der Führung natürlich abgeschmettert – erhielten viel Zustimmung aus dem Publikum. Kalpona Akter aus Bangladesch forderte von Wal-Mart die Einlösung des Versprechens besserer Arbeitsbedingungen. Wal-Mart ist eines der wenigen Unternehmen, das ein industrieweites Übereinkommen ablehnt, das rechtlich verbindliche Schutzmaßnahmen für Textilarbeiter_innen vorsieht.
Foto: ourwalmart
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Gery Keszler, von Mölzers rechtsextremer Wochenzeitung Zur Zeit als „Berufsschwuchtel“ bezeichnet, richtete er aus Paris aus, dass es ihm als „Bürger und Mensch“ lieber wäre, wenn der Ball von der öffentlichen Bildfläche verschwinden würde. „Vor allem aber muss Schluss sein“, so Mölzer, mit der Förderung von „Homosexuellen, die naturgemäß keinen Beitrag zur höheren Fertilität leisten können.“ Mölzer, für den es „persönlich eine Katastrophe gewesen wäre“, wenn einer von seinen Söhnen schwul wäre, beklagt sich, dass deutsche (und deutsch-österreichische) Mütter zu wenige Kinder bekommen würden. Was nach der Nazi-Diktion um das „Mutterkreuz“ für „gebärfreudige Frauen“ klingt, ist auch als Antwort auf die vermeintliche „Homosexualisierung“ und „Islamisierung“ zum Schutze der „christlich-abendländischen Kultur“ gemeint.
APA
Mölzers feuchte Träume von Massendemos von Schwulenhassern sind wie Seifenblasen auf der diesjährigen Regenbogenparade geplatzt. 80 Homosexuellengegner – Altersdurchschnitt 70 plus – trugen in der Wiener Innenstadt in einer armselig anmutenden Prozession ein Kreuz à la Strache vor sich her, umringt von 150.000 kunterbunten Schwulen, Lesben und anderen Menschen auf der Wiener Ringstraße, die Mölzer nur allzu gern ihren Allerwertesten zeigen wollten. Herr Mölzer: Wien bleibt andersrum.
Linkswende Juli/August 2013
EDITORIAL
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as war wirklich der politisch wichtigste Moment des letzten Monats? Die Schlachten um den besetzten Gezi-Park in Istanbul? Die Besetzung des Öffentlichen Rundfunks in Griechenland? Die furchtbare Nachricht vom Eingreifen der libanesischen Hisbollah in den syrischen Bürgerkrieg? Oder der Aufstand der migrantischen Jugend in den Vororten von Stockholm? Instabilität ist die wahrscheinlich dominierende Eigenschaft unserer Zeit. Es gab langweiligere Zeiten – etwa die 80er- und 90er-Jahre, als sich Staatschefs noch in aller Öffentlichkeit zeigen konnten und keine Heerscharen von Demonstrierenden sie vertrieben. Seit sich die globale Wirtschaftsentwicklung und der Niedergang der US-Macht gegenseitig verstärken, ist Raum für neue Entwicklungen frei geworden. Protestbewegungen sprießen allerorts. Diktaturen, die Jahrzehnte stabil waren, sind mit massivem Widerstand konfrontiert und stehen vor dem Untergang, wenn sie nicht schon gestürzt wurden. Das „Aufbrechen der starren Verhältnisse“ haben sich die Linken über Jahrzehnte herbeigesehnt, aber es sieht in der Praxis nicht so einfach und romantisch aus, wie uns manche Mythen der 60er-Jahre weismachen. Wenn stabile Verhältnisse aufbrechen, entstehen ständig neue Bruchlinien und daraus neue Fronten, so dass man unentwegt gefragt ist, sich zu positionieren. Un-
KOMMENTAR
Linkswende online
von Manfred ECKER sere Zeitung soll ein Leitfaden zur Positionierung sein. Als Syrien zur Zielscheibe der USA und des Westens wurde, musste man sich gegen die Propaganda der Achse des Bösen stellen, die zur Rechtfertigung von Krieg diente. Man kann das Regime aber auf keinen Fall bei der Unterdrückung des eigenen Volkes unterstützen, und schon gar nicht bei der Niederschlagung einer Revolution. Man konnte die Hisbollah unterstützen, als es den Widerstand gegen den israelischen Überfall auf den Libanon 2006 anführte. Mit der Unterstützung für Assad hat die Hisbollah alles vertan und sich zu den Gegnern des arabischen Frühlings gesellt – Mubarak, Gaddafi und Co. Linkswende nennt sich „Monatszeitung für Sozialismus von unten“, und es ist diese Perspektive aus dem Blickwinkel der einfachen Leute, die unsere Zeitung auszeichnen soll. Wir hoffen, wir halten diese Haltung konsequent durch, auch wenn sich die Entwicklungen überschlagen. Viele von euch werden von selbst auf dieselben Schlussfolgerungen wie wir gekommen sein. Aber die Propagandamaschinerie der herrschenden Eliten verändert den Blick und verzerrt viele Dinge. Deshalb ist es wichtig seine Beobachtungen und Rückschlüsse mit einer lebendigen Theorie abzugleichen. Viel Vergnügen mit der Sommerausgabe wünscht das Redaktionsteam von Linkswende.
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Neues Lehrerdienstrecht:
Gewerkschaften unterstützen – trotz allem!
Besuche uns auch auf unserer Homepage: www.linkswende.org Dort findest du weiterführende Artikel, Analysen, Termine, Demoberichte und Links zu unseren internationalen Schwesterorganisationen und zu marxistischer Theorie, außerdem Fotos und Videos sowie ein umfangreiches, thematisch geordnetes Artikelarchiv. Viel Spaß beim Stöbern.
von Karin WILFLINGSEDER
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it dem neuen Lehrer_innendienstrecht will die Regierung eine Anhebung der Unterrichtsverpflichtung von 20 bis 22 auf 24 Stunden. Das neue Gesetz will Kanzler Faymann notfalls gegen die Gewerkschaft im Parlament durchsetzen. Er droht: „Ich habe gesagt, ich wünsche mir eine Verhandlungslösung, aber ich stelle fest, das ist ein Gesetz, das auch das Parlament alleine beschließen kann.“ Dass sein Parteifreund, Gewerkschaftsbund-Präsident Erich Foglar, erklärt hatte, er stehe im Zweifel auf der Seite der Lehrer_innengewerkschaft, scheint Faymann nicht sehr zu beeindrucken. Mehr Anwesenheitszeit an den Schulen und höhere Einstiegsgehälter hören sich ja in der Öffentlichkeit gut an. Die Tageszeitung Österreich wettert: „Die Regierung geht mit den Lehrer-Gewerkschaftern viel zu nobel um. Lehrer gehören nicht 24, sondern in Wahrheit 38 Stunden in die Klasse.“
Wir freuen uns auch über Feedback und Kritik: redaktion@linkswende.org Linkswende auf Facebook: www.facebook.com/ Linkswende.IST.Austria Linkswende auf youtube: www.youtube.com/ anticapitalista1917 Linkswende auf flickr: www.flickr.com/linkswende
Regierung attackiert Lehrer In Wien gründet sich eine „Initiative für ein faires LehrerInnendienstrecht“ aus Junglehrer_innen, Unterrichtspraktikant_inn en und Lehramtsstudent_inn en, um sich gemeinsam gegen die geplante Erhöhung der Arbeitszeit zu wehren. Sie fürchten Mehrarbeit bei einer Senkung des Lebenseinkommens. Die Forderungen der Gewerkschaft nach dringend benötigten Hilfskräften, Schulsozialarbeiter_innen und -psycholog_innen und einer Aufstockung um 13.000 Posten ignoriert die Regierung. Laut TALIS-Studie bildet Österreich bei der Versorgung sowohl mit pädagogischen Unterstützungskräften (Psychologen, Sozialarbeiter, Logopäden, Freizeitpädagogen etc.) als auch mit administrativem Personal (Administratoren, Sekretariatskräfte etc.) das Schlusslicht unter den 17 untersuchten EU-Ländern. Ministerin HeinischHosek hat die Personalforderung angesichts des Einstellungsstopps im Bund als „illusorisch“ zurückgewiesen.
FOTOBERICHT
Gewerkschaft unterstützen
Als die türkische Polizei den TaksimPlatz in Istanbul mit Tränengas, Schlagstöcken und Wasserwerfern in ein Schlachtfeld verwandelte, trotzten nicht nur die Demonstrierenden dem Staatsterror: Einzelne KebabStände blieben geöffnet – denn selbst die härtesten Aktivist_innen brauchen ab und zu eine Stärkung!
Foto: socialistworker.co.uk
„Kebab Taksim Style“
Foto: Dimiter Kenarov
Diesem katastrophalen neuem Lehrer_innendienstrecht steht eine Gewerkschaft gegenüber, die schon viele progressive Reformen verhindert hat. In den frühen Jahren der Elementarpädagogik begründet sich die spätere Bildungsentwicklung. Aber gerade da blockiert die ÖVP-nahe Gewerkschaftsfraktion FCG. Der unlängst bekannt gewordene Vorschlag der ÖVP bedeutet ein Festhalten an einer Zweiklassenpädagogik. Im Interesse der Bildungschancen aller Kinder und im Interesse der Pädagog_ innen müsste die Gewerkschaftsspitze für progressive Bildungsreformen eintreten. Die konservative FCG setzt aber auf Standestünkelei. Das heißt aber nicht, dass Fortschrittliche aus Wut über die FCG-Haltung nun den Pädagog_innen Verschlechterungen zumuten dürfen. Volle Solidarität mit der Gewerkschaft gegen die Angriffe der Regierung!
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Juli/August 2013 Linkswende
Warum wir Rechte auf Demos nicht tolerieren dürfen
Die „Reformpartnerschaft“ von SPÖ-Landeshauptmann Franz Voves beschert dem Land Steiermark bereits das zweite Sparpaket in Folge. Zwischenzeitlich hat die Bewegung an Schwung verloren. Nun soll eine Kampagne gegen den Pflegeregress die Landesregierung zur Rücknahme von Sozialabbau bewegen, berichtet Katharina NAGELE.
von Tom D. ALLAHYARI ertreter_innen rechter Ideologien versuchen in letzter Zeit immer öfter, sich „unauffällig“ als Teil von Protestbewegungen zu präsentieren. Gerade die Ablehnung von „Politik“, besonders die Ablehnung von linker Ideologie und ganz besonders von linken Organisationen, wie sie auch bei vielen, eigentlich fortschrittlichen Menschen eine Rolle spielt, öffnet ihnen die Türe. Wenn etwa „alle gegen Monsanto zusammenhalten müssen, egal aus welcher politischen Ecke sie kommen“, verstehen Rechte das als Einladung. Offensichtlich politische Anliegen zu vertreten, und dabei „die Politik raushalten“ zu wollen, führt in der Praxis leider oft dazu, dass so eine politikfreie Zone keine Abwehrkräfte gegen Faschisten und Rassisten hat. Auf der Demonstration gegen Monsanto am 25. Mai war, besonders durch diverse Reden bei der Auftaktkundgebung, der Eindruck entstanden, die gesamte Demo stünde unter dem Motto des Kampfes gegen diverse Weltverschwörungen. Viele Teilnehmer_innen konnten nicht verstehen, warum rechte, rassistische Ideologien auf so einer Demonstration nichts zu suchen haben.
Einige wenige, mit denen wir gesprochen haben, sahen eine jüdische Weltverschwörung hinter der Macht der Konzerne. Diese rechte Prägung der Demo wirkte so stark und wurde von den Organisator_ innen so gar nicht konfrontiert, dass wir es als Organisation nicht verantworten konnten, diese Kundgebung weiter zu unterstützen. Wenn wir auf Demonstrationen und Kundgebungen um die ideologische Ausrichtung zu kämpfen, dann deshalb, weil rechte Ideen unsere Bewegung schwächen und sie spalten. Die Spaltung durch die Rechten war offensichtlich. Ziemlich angewidert sind viele Leute nicht mitgegangen, die alle zur Kundgebung kamen um sie zu unterstützen. Das war sicher kein leichter Entschluss. Das ideologische Einfallstor für die Rechten bildet dabei oft eine undifferenzierte, rückwärtsgewandte Fortschrittsfeindlichkeit, die sich prinzipiell gegen neue
Unter die Demo gegen ACTA mischten sich im Februar 2012 auch BZÖ und EU-Austrittspartei. Engagierte Aktivist_innen konfrontierten und vertrieben die Rechten von der Demo.
S Foto: arbeit-zukunft.de
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Steirisches Sparpaket Zu früh gefreut, Voves!
DEBATTE
Technologien wendet und implizit von einer „guten alten Zeit“ vor dem modernen Kapitalismus träumt, als alles noch besser war. Als Marxist_innen sehen wir das Problem vor allem darin, dass neue Technologien nicht zu unserem Nutzen eingesetzt werden, nicht um unsere Arbeitszeiten zu verkürzen, nicht um die Umwelt zu schützen, nicht um unser Leben zu verbessern (für eine genauere Auseinandersetzung mit dem Thema siehe Technologie und Fortschritt aus Marxistischer Perspektive). Es bleibt zu hoffen, dass „österreichische“ Ableger von Bewegungen wie der gegen Monsanto oder auch „Occupy“ mehr Bewusstsein entwickeln für den Zusammenhang zwischen rechten Ideologien und den Dingen, die sie angeblich bekämpfen wollen. Als Linke und überzeugte Antifaschist_innen werden wir nicht mithelfen, der FPÖ und verwandten Gruppen zu ermöglichen, sich als Teil einer fortschrittlichen Protestbewegung zu präsentieren.
teirerblut ist kein Himbeersaft. Das erlebten SPÖ-Landeshauptmann Franz Voves und sein ÖVP-Vize Hermann Schützenhöfer, als im Frühjahr 2011 an die 10.000 Menschen gegen das 1-MilliardenEuro-Sparpaket für 2011 und 2012 demonstrierten. Zur Erinnerung: Neben Kürzungen im Spitalsbereich wurde vor allem bei der Behindertenbetreuung massiv gekürzt, sowie im Kulturbereich. Die Plattform 25, ein Zusammenschluss aus über 500 Organisationen, machte dagegen mobil. Selbst die steirische SPÖ-Gewerkschaftsfraktion musste sich entrüstet zeigen.
und der Vorsprung gegenüber der ÖVP ist weg. „Vertrauen in den Staat erschüttert“
Mit einem Stillhalten der Bevölkerung kann Voves jedenfalls nicht rechnen. Frau S. etwa erzählt, sie zahlte zweimal Regress: Ihr erwachsener, behinderter Sohn ist in einer Tageswerkstätte untergebracht. Ihre Mutter ist nach einem Unfall stark pflegebedürftig und daher in einem Heim. Für ihre Mutter zahlt Frau S. monatlich 291 Euro, für ihren Sohn bis zu 400 Euro, in Summe also bis zu 700 Euro. Frau S.: „Meinen Sohn haben schon die Kürzungen im Jahr Kämpfen lohnt sich 2011 schwer getroffen, seither Doch zwischenzeitlich gibt es kaum noch FördermaßFoto: Fotolia Krechowicz sah es so aus, als wäre die Taktik, nahmen, nur mehr Aufbewahrung.“ bei denen zu sparen, die sich am schlechtes- Frau Berger muss ebenfalls für ihre Eltern ten wehren können, aufgegangen. Im Herbst im Pflegheim 240 Euro Regress zahlen, ihre 2012 wurde ein zweites Sparpaket von 200 Schwester trotz vier Kindern sogar 500 Euro. Millionen Euro für 2013/2014 beschlossen. Sie beklagt: „Unser Vertrauen in den Staat ist Das zweite Sparpaket ist fünfmal kleiner als erschüttert, weil nicht für alle dieselben Gesetze das erste, die Demonstration dagegen war gelten. Nur in der Steiermark besteht diese Remit 500 Menschen 20 mal so klein wie 2011. gelung, obwohl der Personalschlüssel und damit Einen dicken Strich durch die Rechnung der die Qualität der Pflege bei uns weit unter dem SPÖ-ÖVP-Sparkoalition könnte allerdings Standard anderer Bundesländer liegt.“ die Langzeitwirkung ihrer sogenannten ReAchillesferse: Bündnispolitik formen machen. Vor allem der Regress, wodurch Angehörige pflegebedüftiger Menschen Der Ärger der Menschen ist also keineswegs oder solcher, die Mindestsicherung beziehen, abgeflaut, im Gegenteil. Mit Demonstratioeinen Teil der Kosten tragen müssen, trifft nen alleine kann die Rücknahme der unsoziaimmer mehr Menschen. Die steirische KPÖ len Kürzungen aber nicht erreicht werden. Es startete am 2. Mai eine Kampagne gegen den braucht eine Beteiligung der Gewerkschaft. Pflegeregress, setzt damit nach ihrem Erfolg Einem reinen KPÖ-Projekt wird sich die bei der Grazer Gemeinderatswahl weiterhin SPÖ-dominierte ArbeitnehmerInnenverkonsequent auf soziale Themen und wird für tretung trotz allem Ärger über Voves jedoch die SPÖ zur Gefahr. Denn nur ein Prozent- nicht anschließen. punkt weniger bei der nächsten Landtagswahl
RE REVOLUTIONÄ
Revolutionäre S I PRAX in bürgerlichen Wahlen? von Ludwig SOMMER
K
önnten Wahlen etwas verändern, dann wären sie verboten. Das stimmt: Grundsätzliche Veränderungen werden nicht über das Parlament kommen. Aber Wahlen deshalb zu ignorieren, wäre Unsinn. Wahlen sind für die meisten Menschen eine der wenigen Gelegenheiten, wo sie die politischen Entwicklungen beeinflussen können. Wenn wir aus der radikalen Linken sie nutzen können, sollten wir das ganz einfach tun. Die radikale Linke war in Österreich seit Jahrzehnten nicht mehr im Parlament vertreten und wird voraussichtlich auch 2013
den Sprung nicht schaffen. Wenn doch, dann gäbe es riesige Aufmerksamkeit für eine solche Truppe und ihre Beweggründe. Sonst agieren wir meist unterhalb der Wahrnehmungsgrenze. Wenn Protestbewegungen in die Öffentlichkeit drängen, dann spielen wir eine wichtige Rolle, aber nicht in der Alltagspolitik. Neue Linksparteien wie SYRIZA in Griechenland, die LINKE in Deutschland, die NPA in Frankreich oder der Linksblock in Portugal haben diese Hürde schon genommen. Arbeiter_innen haben dort eine Alternative zu den sozialdemokratischen Parteien, die sich samt und sonders der Um-
In dieser Serie erarbeiten wir uns das Rüstzeug für revolutionären Aktivismus
setzung des EU-Spardiktats verschrieben haben. Das ist ein erster großer Fortschritt gegenüber der österreichischen Situation. Aber die Wirtschaftskrise hat sich so schnell verschärft, dass alle diese Formationen auf die Probe gestellt werden. In Griechenland geht es längst nicht mehr um gerechtere Behandlung durch die Troika, sondern um eine Alternative zur herkömmlichen Politik und Wirtschaftsform. Dort gehen Arbeiter_ innen daran, stillgelegte Betriebe selbst weiter zu führen. SYRIZA hinkt mit seinen Vorstellungen nach Neuverhandlungen mit der Troika der Realität der betroffe-
nen Arbeiter_innen schon wieder hinterher. Es reicht also nicht, eine Partei links der Sozialdemokratie zu haben, sie muss auch mutig und radikal genug sein, mit dem System zu brechen. Zur Wahl antreten? Wo die wirtschaftliche Situation noch so stabil erscheint, wie in Deutschland, stehen Linksparteien vor eigenen Herausforderungen. Dort brechen noch keine großen Protestbewegungen los, aber die Unzufriedenheit mit „dem System“ ist trotzdem riesig. Hier geht es mehr darum, den Protest sichtbar zu machen. In Wien konnten
wir am 1. Mai 2013 beobachten, dass die Reihen der Gewerkschaften immer noch sehr geschlossen waren. Ein Linksprojekt zu starten und bei Wahlen als linke Alternative anzutreten, macht erst dann Sinn, wenn wir Ablösungsprozesse innerhalb der Sozialdemokratie beobachten können. Ob man zu Wahlen antritt, läuft also nicht einfach auf eine „Ja, immer!“ bzw. „Nein, niemals“ Antwort hinaus. Es kommt darauf an, ob wir mit einem Wahlantritt die politischen Verhältnisse beeinflussen können, und ob wir dadurch die Bewegung gegen Rassismus und Sozialabbau stärken.
Linkswende Juli/August 2013 SCHWEDEN
ÖSTERREICH
Krawalle in Stockholm sind Teil der globalen Proteste Jugendkrawalle sind zu einer regelmäßigen Erscheinung unserer zeitgenössischen Protestkultur geworden. Die Proteste in den Vorstädten Stockholms sind wie die Aufstände in den Banlieus von Paris oder die Riots in London Teil derselben Bewegung, behauptet Manfred ECKER.
„Z
umindest hören uns jetzt alle zu“, so fasste ein Jugendlicher aus Husby die Stimmung am fünften Tag der Jugendaufstände in den Vororten von Stockholm zusammen. Er räumt ein, dass Autos zu verbrennen zwar noch keine Probleme löst, aber: „Wir wollen nur eines sagen: Behandelt uns wie den Rest von Schweden. Wir wollen wie alle anderen behandelt werden.“ Die Krawalle in den Vororten Stockholms sind keine unverständlichen „Ausschreitungen“, oder gar „Hooliganismus“, wie es der schwedische Regierungschef Fredrik Reinfeldt angewidert nannte, sondern eine Reaktion auf die Politik genau jenes Premierministers. Seit über sechs Jahren regiert die Mitte-Rechts Koalition in Schweden. Viermal wurden die Steuern für die Reichen gesenkt und die Unterstützungen für die Ärmeren gekürzt. In Husby, wo die Jugendproteste ausbrachen, ist die Arbeitslosigkeit doppelt so hoch und das Durchschnittseinkommen 40 Prozent niedriger als in den anderen Teilen Stockholms. 40 Prozent der 18- bis 25-Jährigen sind weder in Ausbildung, noch in Arbeit. Der Anteil von Sozialhilfebeziehern ist auf Rekordniveau. Wie in London 2011 und Paris 2005 wird die Wut auf die sozialen Ungerechtigkeiten noch durch
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Rassismus und Polizeiwillkür angeheizt. Beinahe jeder Jugendliche hat schon Erfahrungen mit demütigenden Durchsuchungen auf offener Straße oder weiteren Schikanen am Polizeiposten gemacht. Auslöser für die Proteste war der Tod eines 69-jährigen Einwanderers, der in der Woche zuvor in seiner Wohnung von der Polizei erschossen worden war. Sein Tod wurde erst genauer untersucht, als die Proteste die Öffentlichkeit alarmierten. Derselbe Polizeirassismus hat das seinige getan, um die Proteste noch weiter zu eskalieren. Die Beamten sollen Vermittlungsversuche durch Nachbarn und Eltern mit Beschimpfungen wie „Affen“, „Ratten“ und „Neger“ beantwortet haben. Jugendliche erleben die Wirtschaftsentwicklung der letzten Jahrzehnte aus einer eigenen Perspektive. Nur relativ wenige von ihnen werden es schaffen, denselben sozialen Aufstieg hinzulegen wie die Genration vor ihnen. Vor
allem, wenn sie sozial benachteiligt sind und ein schlechteres Bildungsniveau haben, stehen ihre Chancen extrem schlecht – wie zahlreiche Studien auch für Österreich belegen. Die Erwartungen in sie sind riesig, die Enttäuschung, die damit einhergeht diese nicht zu erfüllen, ist schmerzhaft. Gleichzeitig entwickeln sich um sie herum Protestbewegungen, welche die Ungerechtigkeiten des modernen Kapitalismus grundlegend angreifen. Seit 1999 sind es Jugendliche und vorwiegend junge Menschen, die die Proteste tragen. 1999 haben sie in Seattle den Gipfel von Weltwährungsfonds und Weltbank gesprengt und dann 2000 in Prag und 2001 in Salzburg
und in Genua den Mächtigen das Fürchten gelehrt. Ob in den Antikriegsprotesten seit 2002 oder im Arabischen Frühling, Jugendliche spielen überall eine wichtige Rolle. Auch die Besetzung des TaksimPlatzes ist eine sehr jugendliche Bewegung. Das ist wichtig und das ist gut so. Wir messen die Attraktivität von Protestbewegungen auch daran, wie gut sie Jugendliche mobilisieren können. Ein Blick nach Stockholm und Istanbul sagt uns: Diese Bewegungen sind immer noch frisch, sie können bei jedem neuen Anlauf neue Generationen bewegen und politisieren. Sobald diese Dynamik und die Kraft der Arbeiter_innenbewegung zusammenkommen, wie es in Südeuropa zum Teil schon der Fall ist, kann daraus etwas Mächtiges entstehen.
Bleiberecht für Familie Asarkaev Die Gemeinde Stadl-Paura in Oberösterreich kämpft für das Bleiberecht der Tschetschenin Iman Asarkaeva und ihrer zwei Kinder, berichtet Hannah KRUMSCHNABEL. Die ganze Familie von Iman wird in Tschetschenien politisch verfolgt, ihr droht dort akute Lebensgefahr. Ihr Mann und vier seiner Brüder sind in Haft ermordet worden bzw. nach ihrer Verhaftung vor zehn Jahren vermisst. Zuvor waren sie brutal gefoltert worden, unter anderem mit Elektroschocks und Hundebissen. Die Mutter von Iman, sowie ihre Geschwister und ihr Neffe haben deshalb in verschiedenen europäischen Ländern Asyl bekommen – Österreich aber hat den Antrag der Frau und ihrer 12- und 17-jährigen Kinder abgelehnt. Ihr Fall oblag im Asylgerichtshof dem berüchtigten Frauensenat, der sich mit Anträgen von Frauen nach sexueller Gewalt befasst und seit seinem Bestehen noch nie (!) Asyl gewährt hat. Nun droht der Familie nach Ausschöpfung aller rechtlichen Mittel unmittelbar die Abschiebung. Doch sie werden von ihren Nachbar_innen in Stadl-Paura unterstützt, die innerhalb von wenigen Tagen über 800 Unterschriften gesammelt haben, 400 davon kommen direkt von Bekannten im Ort und in der Schule. Mutter und Kinder haben im Dorf ein stabiles soziales Umfeld, Iman sogar zwei fixe Arbeitsplatzzusagen. Asyl in Not hat nun gemeinsam mit Einwohner_innen eine Kampagne gestartet, um ein Bleiberecht zu erreichen, das aber nur das Land Oberösterreich erteilen kann – um Mails an Landeshauptmann (lh.puehringer@ooe.gv.at), Innenministerin (johanna.mikl-leitner@ bmi.gv.at) und in Kopie an Asyl in Not (office@asyl-in-not.org) wird gebeten.
FRANKREICH
Tausende gedenken des französischen Antifaschisten Clément Méric
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ber 5.000 Antifaschist_innen gingen Anfang Juni in Paris und anderen französischen Städten in Gedenken an Clément Méric unter dem Motto „Niemals vergeben, niemals vergessen“ auf die Straße. Der Student und Aktivist Clément war an den Folgen einer Attacke von faschistischen Schlägern gestorben. Er und seine Freunde sind 5. Juni auf ihrem Weg aus einem Bekleidungsgeschäft angegriffen worden und zu Tode geprügelt worden. Daraufhin kamen mehr als 200 Menschen unmittelbar zum Krankenhaus, um dort ihre Unterstützung zu zeigen. Die Polizei hat fünf Personen wegen der Tötung festgenommen. Vier davon gehören der Hardcore-Faschistengruppe Revolutionäre Nationalistische Jugend (JNR) oder ihrer Mutterorganisation
Dritter Weg an. Die Wurzeln dieser gewalttätigen, rassistischen Vereinigungen lassen sich Jahrzehnte zurückverfolgen. Doch erst dieses Jahr haben sie dank der Demonstration gegen die Homosexuellenehe neue Bekanntheit erreicht. Profitiert haben sie von der rassistischen Atmosphäre, die die letzten Regierungen mit ihren Massendeportationen von Roma und ihren antimuslimischen Gesetzen geschürt haben. Premierminister Jean-Marc Ayrault möchte die JNR verbieten – eine Forderung, die in der Nacht des Mordes ursprünglich die Linkspartei von JeanLuc Mélenchon erhoben hat. Das gab Jean Franҫois Copé, dem Anführer der rechten Opposition die Gelegenheit, zu fordern, auch die „Extremisten“ der Linken sollten verboten werden. Faschistische Organisationen existie-
ren, um Freiheiten abzuschaffen und demokratische Organisation zu zerstören. Sie haben kein Recht, sich in Frieden zu organisieren. Aber die kleinsten Gruppen gesetzlich aufzulösen, wird die Bedrohung nicht verschwinden lassen. Die bei weitem größte faschistische Organisation in Frankreich, der Front National (FN) unter Marine LePen, hat es geschafft, sogar viele auf der Linken mit dem Anschein von Legitimität zu täuschen. Doch Vertreter_innen aller wichtigen linken Parteien und einiger Gewerkschaften haben bei den Demonstrationen für Clément gesprochen. Sein tragischer Tod kann die Gelegenheit sein, wieder eine antifaschistische Bewegung aufzubauen, die es mit dem Nazidreck – und dem Klima von Bigotterie, das ihn speist – aufnehmen kann.
Bild: AFP
Der Mord an Clément Méric ist das Ergebnis eines gefährlichen Klimas von Rassismus und Homophobie, das den Faschisten Selbstbewusstsein gibt, schreibt Dave SEWELL.
Juli/August 2013 Linkswende
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Die hier veröffentlichten Briefe und Berichte repräsentieren nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion von Linkswende.
Pure Solidarität am Taksimplatz! S
Foto: anarcho-punk.net
Milizen der faschistischen Jobbik terrorisieren in Ungarn Roma.
Roma – Das Prinzip „Recht des Stärkeren“
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ch möchte euch gern ein paar Dinge zu meiner Sicht auf die Situation der Roma geben. Als erstes ist mir wichtig, dass die Probleme der Roma eigentlich Teil eines viel größeren Problems sind, nämlich dass wir in einer Welt leben, in der prinzipiell die Starken die Schwachen beherrschen und oft auch niederhalten. Dazu muss man sich nur anschauen, wie starke Staaten mit Schwächeren umgehen. Als Rom gehört man zu einer der schwächsten Gruppen in Europa, zu einer Gruppe, mit der man praktisch alles machen kann. Wir haben kein Land, kein Geld und keine wirksame Lobby. Leute wie Rudko Kawczynski, der uns bei der EU vertritt, gewöhnen sich leider schnell an die Privilegien so eines Jobs und mir kommt vor, er hat schnell vergessen, für wen er eigentlich arbeiten sollte. Es ergeht uns wie anderen Gruppen, zum Beispiel Flüchtlingen oder Leuten ohne Papiere. In den NGOs, die sich dankenswerterweise um die Belange der Roma kümmern (ich habe selbst bei "Romano Centro" gearbeitet) dominieren dann oft "Weiße". Über die Geldvergabe und Subventionen werden die Roma-Vereine kontrolliert und oft auch gegeneinander aufgehetzt. Es ist eigentlich unmöglich hier die ganzen Angriffe und Ungerechtigkeiten aufzuzählen. In Frankreich werden Roma einfach abgeschoben, in Bulgarien zum Beispiel weigern sich privatisier-
te Wasserwerke einfach Wasser in Roma-Siedlungen zu leiten, in Mazedonien (und anderswo) müssen die Rom neben giftigen Müllplätzen leben, wo sie krank werden. In Ungarn und der Slowakei gibt es schon seit "kommunistischen" Zeiten den Brauch, dass Schlägertrupps Roma-Kinder vor den Schulen abfangen und verprügeln. Manchmal habe ich das Gefühl, mein Volk soll absichtlich dumm gehalten werden. Es klingt wahrscheinlich zynisch, aber ich höre aus Ungarn so viele Geschichten von Angriffen auf Rom, dass ich fast nur mehr aufschrecke, wenn es wieder einmal Tote gibt. In Budapest, im achten Bezirk, einer Roma-Wohngegend, in die jetzt immer mehr ziehen, weil sie sich dort sicherer fühlen, wohnen Verwandte von mir. Wenn ich zu Besuch bin, sagen sie mir, dass ich in viele Teile der Stadt nicht gehen sollte, weil es dort gefährlich für Roma ist. Gute Bekannte von mir sind wie viele Rom großartige Musiker. Als sie in einem Lokal im achten Bezirk gespielt haben, stürmten bewaffnete Skinheads herein und haben alle zusammengeschlagen, dem Bassisten haben sie beide Hände gebrochen, er wird wohl nie wieder spielen können. Ich denke, der unmenschliche Umgang mit den Rom spiegelt einfach den Zustand unserer Gesellschaft wieder.
eit 28. Mai dauert der Widerstand am Taksim an. Die ereignisse, die mit dem Gezi-Park begonnen haben, sind zu einer ernsthaften Bedrohung für die Regierung geworden, weil das Volk aufgestanden ist. Haben die Leute zuerst nur für den Gezi-Park gekämpft, so kämpfen sie jetzt für die Freiheit, für die Meinungsfreiheit. Nicht nur Istanbul, sondern viele Städte sind inzwischen im Widerstand: Ankara, Izmir, Adana, Mersin, Trabzon, Edirne, Eskişehir, Bolu, Tarsus, Antakya, Sivas, Samsun, Antalya, Çanakkale, Diyarbakır, Bursa, Niğde, Kocaeli, Bartın sind dabei. Die Bevölkerung lehnt die Diktatur entschlossen ab. Alle rufen „Es lebe die Brüderlichkeit der Völker!“ Es gibt hier pure Solidarität! Kommunist_innen, Anarchist_innen, Sozialist_innen, Kurd_innen, revolutionäre Muslime, Feminist_ innen, Arbeiter_innen haben sich gegen Faschismus verbündet. Sie alle bemühen sich, einander zu verstehen und sich selbst zu informieren. Die Leute sind unglaublich produktiv und die Besetzung des Gezi-Parks weitet sich immer mehr aus. Sie teilen alles, was sie haben, sei es ihr Essen oder ihre Erfahrungen im Konflikt mit der Polizei. Eine öffentliche Bibliothek und ein Spielplatz für die Kinder wurden aufgebaut. Künstler_innen, die die Bewegung unterstützen, stellen ihre Werke aus. Die Gewerkschaft DİSK hat sich hart gegen Erdoğan positioniert. Sie haben gesagt: „Die Regierung ist die Architektin der neoliberalen Zerstörung , von der Bildung bis zur Gesundheit. Diese Regierung will
bestimmen, wie viele Kindern die Frauen haben sollen, was das Volk essen, trinken und anziehen soll. Von der staatlichen Einmischung in die Privatsphäre bis zur der Zerstörung des Rechts auf Meinungsfreiheit und des Rechts auf Selbstverteidigung hat diese Regierung viele Entscheidung getroffen. Hochnäsig und ohne das Volk zu verstehen, beleidigt sie verschiedene ethnische Kulturen und Gruppen.“ Mit dieser Erklärung unterstützt DİSK den Widerstand in Istanbul, in der ganzen Türkei. Ankara solidarisiert sich mit Istanbul. Mehr als 3.000 Aktivist_innen sind im Kuğu-Park. Obwohl die Polizei an einem Tag die Zelte abgerissen haben, wurde der Park am Abend gleich wieder besetzt. Und jede Stunde kommen neue Unterstützer_innen dazu. Die Angriffe der Polizei auf sie waren übertrieben brutal und völlig inakzeptabel. Die Polizei setzte Pfefferspray, Wasserwerfer und unverhältnismäßige Gewalt ein. Die Aktivist_Innen organisieren sich jeden Tag besser. Die Polizei hat Angst von uns. Am Samstag, dem 1. Juni, hat sich die Polizei vom Taksim zurückgezogen. Aber wir wartetenn immer mit unseren Gaskmasken auf die Angriffe der Polizei. Zivilpolizisten versuchen mit vielen komischen Spielen Aktivist_innen festzunehmen. Aber sie vergessen, dass wir sind klüger sind als sie und viele ihrer Gesichter schon kennen, deswegen sind sie nicht erfolgreich. Sie sagen uns, wir sollen die Masken wegwerfen, versuchen uns zu fotografieren oder uns über unsere Pläne auszuhorchen, fragen zu welcher Grup-
pe wir gehören, wer die Ärzt_innen sind. Das Volk wird sich seiner Macht bewusst und Ministerpräsident Tayyip Erdoğan hat seine Macht verloren! Er ist hilflos und wegen der Hilflosigkeit spricht er dummes Zeug. Er lügt jeden Tag und versucht, die Menschen für sich zu gewinnen. Er lässt Leute bezahlen, die zu seinen Kundgebungen kommen, vielen droht er mit dem Verlust des Arbeitsplatzes, wenn sie nicht für Erdoğan demonstrieren. Einige haben auf die SMS-Aufforderung, auf die AKP-Kundgebung zu kommen, geantwortet: „Tut mir leid, ich bin bei den Protesten.“ Doch das alles bringt ihn keinen Schritt weiter. Wir glauben, dass er es einfach nicht versteht. Ich habe Istanbul noch nie so wie jetzt gesehen. Der Taksimplatz ist immer voller Leute und die Leute sind immer laut. Das Gebäude des Atatürk-Kultur-Zentrums wurde mit Fahnen und Transparenten ausgestattet. Es gibt da auch eine Fahne von Abdullah Öcalan. Und das ist überhaupt kein Problem, weil die Nationalisten keine Chance haben, weil wir alle Brüder und Schwetern sind. In den Straßen um den Taksim sind Wände voller Graffiti. Und die Leute sehen endlich glücklich und hoffnungsvoll aus. Viele möchten Revolution! Viele Prominente haben sich schon mit dem Volk gegen die Polizeigewalt solidarisiert. Meltem aus Istanbul Anmerkung: Der Leserbrief wurde vor der Park-Räumung geschrieben)
Ambrol Stoika
SCHREIB UNS Linkswende lebt von Kommentaren, Reaktionen und Berichten. Deshalb die Bitte an dich: Schreib uns! Wir freuen uns über Post und drucken gerne die eingesendeten Beiträge ab. E-Mail: redaktion@linkswende.org Post: Linkswende Postfach 102 Kettenbrückengasse 5 1050 Wien
Foto: Linkswende
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Der massive Polizeiterror in der Türkei hat Menschen weltweit auf die Straße gebracht. Hier eine Solidaritätskundgebung im Wiener Stadtpark am 6. Juni 2013.
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Aufstand in der Türkei:
Es geht um Demokratie, nicht um Religion In der Türkei herrscht eine fantastische Aufbruchsstimmung, die dem Verlangen nach mehr Demokratie und Freiheit der arabischen Revolutionen um nichts nachsteht. David ALBRICH rückt einige der Falschinterpretationen ins rechte Licht.
Mythos 1: Islamismus gegen Säkularismus
Mythos 3: Fortschritt gegen Rückschritt
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estliche Medien beschreiben die Massenproteste in der Türkei gerne als Auseinandersetzung zwischen Islamismus und Säkularismus. Unter der Schlagzeile „Aufstand gegen islamische Regierung“ schrieb die Kronenzeitung über die Proteste: „Seit Jahren klagt die türkische Opposition über die schleichende Islamisierung, die von dem immer rücksichtsloser agierenden Premier Erdoğan und seiner AKP durchgesetzt wird.“ Aktivist_innen vor Ort widersprechen dieser Darstellung. Zeyno Üstün, eine Demonstrantin der ersten Stunde, sagt gegenüber der Wochenzeitung The Nation: „Zu sagen, es ginge um Säkularismus oder Religion geht völlig an den Tatsachen vorbei.“ An den Protesten nehmen gläubige Menschen genauso teil wie Umweltschützer_innen, LGBT-Aktivist_ innen, Fußballfans, etc. Die Proteste sind, so die Assistenzprofessorin Asli Bâli an der Kalifornischen Universität in Los Angeles (UCLA), „Ausdruck umfassenderer Frustration über den arroganten und respektlosen Umgang des Ministerpräsidenten mit allen Formen des Widerspruchs.“ Die Menschen demonstrieren gegen den Polizeiterror und für mehr Demokratie. In einer sehr umfassenden Studie mit über 4.000 Befragten gab jeder Zweite an, er habe sich den Protesten angeschlossen als er die Bilder der rohen Polizeibrutalität gesehen hat. 58% nehmen an den Demonstrationen teil, weil sie sich in ihren Freiheit eingeschränkt fühlen. Die Menschen in der Türkei haben autoritäre Regimes und diktatorische Führungsstile satt und schreien nach mehr Freiheit. Die Proteste als Konflikt zwischen Islamismus und Säkularismus zu betrachten spielt jenen Nationalisten in die Hände, die die Proteste für einen Militärputsch kapern wollen.
ans Rauscher bezeichnete Erdoğan im Standard als „Atatürk im Retourgang“. Die kemalistische CHP warnt seit Regierungsantritt der AKP im Jahr 2002 unermüdlich vor der Rückkehr ins „dunkle, islamische Mittelalter“. Eine andere Formulierung, die das gleiche meint, sieht einen Spalt zwischen den fortschrittlichen „Weißen“ in den Städten und rückständigen „Schwarzen“ auf dem Land. Der Chef der AKP mag wie seine Partei konservativ und bürgerlich sein. Aber anstatt der erwarteten Islamisierung und der Beschneidung demokratischer Freiheiten wurden viele Dinge umgesetzt, die man nur einer fortschrittlichen Partei zugetraut hätte. Um sich gegen den drohenden Militärputsch zu verteidigen musste sich die AKP wie eine reformistische Partei verhalten, ähnlich einer westlichen sozialdemokratischen Partei. Weite Teile der Wählerschaft der AKP wollen Veränderungen und unterstützen Erdoğan, weil sie glauben, dass er diese Veränderungen bringen kann: Den Ausschluss des Militärs von der Politik, eine friedliche Lösung in der Kurdenfrage und Verbesserungen in der sozialen Gerechtigkeit. Für die Demokratiereformen gab es Applaus von der Bevölkerung: Von 34% (2002) kletterte der Stimmenanteil für die AKP auf 43% (2007) und 50% (2011). Auf dem Taksim-Platz und anderswo in der Türkei prallen ihre Hoffnungen auf mehr Demokratie mit der harten Realität der Tränengasnebel und Polizeiknüppel aufeinander. Die Bevölkerung der Türkei hat sich spontan mit den Aktivist_innen im Gezi-Park solidarisiert, weil sie keine autoritäre Regierung mehr dulden und weil es der Bewegung bisher gelungen ist, die Unterstützung von Teilen der „Schwarzen“ zu gewinnen – darin besteht gerade der Fortschritt der Bewegung.
Foto: Occupy Gezi
Mythos 2: AKP ist der Staat
lättert man Zeitungen durch, entsteht der Eindruck, die AKP-Regierung und der Staatsapparat scheinen perfekt zusammenzuspielen. Die Berichte missverstehen oder ignorieren allerdings die Natur des Staats in der türkischen Republik. Zwischen dem türkischen Staat – vor allem dem kemalistischen Militärapparat – und der AKP-Regierung gibt es große und ernsthafte Auseinandersetzungen. Die Generäle hatten mehrfach Pläne die AKP zu stürzen. 1980 bis 1983 führte ein Putsch zur offenen Diktatur, in der viele Linke und Oppositionelle flüchten mussten. Nicht ohne Grund sprach sich die überwiegende Mehrheit (80%) in einer Umfrage in der Bewegung gegen eine Intervention des Militärs aus. Die AKP hat sich bisher gegen alle Putschversuche erfolgreich gewehrt. Eine Annäherung an eine friedliche Lösung in der Kurdenfrage oder Bewegung in der Anerkennung des Genozids an der armenischen Bevölkerung lässt Erdoğan nicht deshalb zu, weil er ein fortschrittlicher Demokrat wäre. Vielmehr braucht er in der Auseinandersetzung mit dem kemalistischem Staat die Unterstützung der Massen. Zu ihrer Mobilisierung musste er seine Politik öffnen. Die Zerrissenheit an der Spitze der Gesellschaft ermöglicht eine Neuformierung einer demokratischen und linken Opposition, die von verfrühten Regierungsansprüchen absieht, sich um die Gewinnung von enttäuschten AKP-Wähler_innen und um die Einbindung von Minderheiten wie den Kurd_innen bemüht.
Foto: AFP
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Foto: Occupy Gezi
Rund um den Taksim-Platz errichten Menschen meterhohe Barrikaden und verteidgten sich gegen die Polizei.
Festival der Unterdrückten im Gezi-Park ersten Tag an hier, als die Bulldozer kamen“, erzählt ein junger Homosexueller. Als ein Armenier, ebenfalls stolzer Besetzer des ersten Tages, bittet keine diskriminierende Sprache mehr zu verwenden, erhält er Applaus. Kurd_innen mit Fahnen des PKK-Führers Abdullah Öcalan werden inmitten der Menge gefeiert. Die meisten unter ihnen waren noch nie zuvor besonders an Politik interessiert. „Ich sitze nur zuhause, sage meinen Kindern sie sollen ihre Zimmeraufräumen und ihr Geschirr abwaschen. Ich koche und putze“, erzählt eine Pensionistin. „Die Regierung fragt: Wer sind die Protestierenden? Laut meinem Pass bin ich türkische Staatsbürgerin. Genauso bin ich armenisch, kurdisch, lasisch, zazaisch, zirkasisch. Ich identifiziere mich mit allen!“ Solidarität. Jeden Versuch die Bewegung
Als der erste Sieg gegen die mächtige türkische Polizei am Samstag, dem 1. Juni 2013, errungen ist, verwandelt sich die Atmosphäre in Istanbul in ein Festival der Unterdrückten.
„D
ie Polizei ist stark, aber wir sind stärker“, ist sich Mücahit sicher, als hunderttausende Menschen in der Türkei Tränengas-Smog trotzten und in einem heldenhaften Widerstand gegen den Polizeiterror der Staatsgewalt eine Niederlage verpassten. Die Stimmung ist so elektrisierend, dass manche tausende Kilometer quer durch die Türkei fahren, um sich selbst ein Bild der Ereignisse in Istanbul zu machen. Befreite Welle. Die Bewegung bricht den Damm voll mit aufgestauter Wut und Unterdrückung. Erstmals gibt es Hoffnung. In herzzerreißenden Reden sprechen Menschen auf Volksversammlungen. Lesben, Schwule, Transgender stellen sich mutig in die Mitte der Proteste. „Wir waren vom
zu spalten beantwortet die Bewegung mit Solidarität und demonstrativer Einheit. Den Tag nachdem Erdoğan behauptete, muslimischen Frauen würde der Schleier vom Kopf gerissen werden, organisierten Aktivist_innen einen gemeinsamen Protest aus Frauen – mit und ohne Kopftuch. Als der Ministerpräsident drohte den Park mit Polizeigewalt zu räumen und er die Mütter bat, ihre Kinder von den „Extremisten“ fernzuhalten, marschierten Frauen zu hunderten auf die Straßen und bildeten eine Menschenkette um den Gezi-Park. Die Erfahrung, die die Menschen gemacht haben, kann ihnen niemand mehr wegnehmen. Eine Frau spricht aus, wofür sich die Herrschenden am meisten fürchten sollten: „Wir werden unseren Kampf mit einem revolutionären Bewusstsein fortsetzen. Keine Frage, dass das hier noch nicht zu Ende ist.“ Video von einer Volksversammlung: http://youtu.be/VQ1UKAyVqZI
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n e t f a h c s k Gewer D
niedrige Steuern und Lohnnebenkosten. Das FPÖ-Wirtschaftsprogramm fordert: „Unternehmensverfassungen im Sinne betrieblicher Partnerschaft zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern gebührt eine Aufwertung gegenüber zentralistischbürokratischen Kollektivvereinbarungen.“ Die Idee knüpft an die „Volksgemeinschaft“ der Nazis an. Apropos: Die FPÖGewerkschaftsfraktion AUF kritisiert die Kosten für die KZ-Gedenkstätte Mauthausen.
Foto: Linkswen
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er Europäische Gewerkschaftsbund rief zum Protest gegen das EUSpardiktat und zügellose Finanzmärkte. Strache polterte: „Die Gewerkschaften – und auch jene aus Österreich, die sich an diesem Aufmarsch beteiligen – machen Politik für die Sozialistenlobby.“ Im KurierInterview sagte Strache: „Ich bin gegen eine Reichensteuer.“ Die FPÖ will stattdessen private Pensionsvorsorge, flexible Betriebsvereinbarungen und Arbeitszeiten, Exportorientierung, Einsparungen im öffentlichen Bereich,
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r e d n ä l s u A
m die Kernwählerschaft und solche Zeitgenossen, die nur mit Rassismus zu motivieren sind, zu mobilisieren, setzt die FPÖ voll auf Hetze gegen Ausländer. Im Wahlkampf wird das „Handbuch für freiheitliche Politik“ aus dem Jahr 2011 eingesetzt werden – ein Leitfaden für Parteifunktionäre, der das Zuwanderungsthema als Hauptmotiv im Wahlkampf festlegt. Die FPÖ zitiert dabei aus einer ihr eigenen Publikation, wo ein gewisser Jan Mahnert (Enkel des SS-Sturmbannführers Klaus Mahnert, einem Mitbegründer der FPÖ) wiede-
Frauen S
WO DIE FPÖ HINTRI
trache nennt Frauen „Hasen“ und fordert ein „Müttergehalt“, das Frauen vom Erwerbsleben fernhält: Das Frauenbild der FPÖ schwankt zwischen Discohäschen und Mutterkreuz. FPÖ-Vorzeigefrauen sind die 10fache Mutter Kellernazi Barbara Rosenkranz, die verurteilte Hetzerin Susanne Winter oder die Abtreibungsgegnerin Anneliese Kitzmüller. Nur 6 von 37 FPÖ-Mandaten haben Frauen inne. Parlamentarier Johannes Hübner begründet das damit, dass die meisten Frauen vom „Nestbauinstinkt“ geprägt seien. Sie suchen den „Löwenmann, der dann im Nest sitzen soll.“ Das wolle der Löwenmann aber nicht, deshalb gäbe es so viele Scheidungen. Verhöhnt werden Schutzräume für Frauen in Not: „Frauenhäuser zerstören Ehen.“ Die FPÖ attackiert die „Scheidungsindustrie“ und „Kampfemanzen.“ Die Gebärmutter sei, wegen dem Recht auf Abtreibung der „gefährlichste Ort in Österreich.“ Der stellvertretende FP-Chef Klement gruselt sich: „Wir müssen uns vor Feministinnen und Homos fürchten“. Die Plakate der rassistischen Frauenfeinde sagen dann: „Freie Frauen statt Kopftuchzwang.“
rum einen britischen Text heranzieht, um ungestraft behaupten zu dürfen: Ausländer seien für steigende Mieten verantwortlich, für Umweltverschmutzung, für Kriminalität, für Rassenkonflikte, für Mängel im Gesundheitssystem und sie würden Krankheiten wie Tuberkulose einschleppen. Im Handbuch empfiehlt die FPÖ den wahlkämpfenden Funktionären deshalb folgende Formulierung: „Ziel muss es daher sein, nach dem Prinzip der „Minus-Zuwanderung“ in Österreich aufhältige Ausländer wieder in ihre Heimat zurückzuführen.“
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LGBT
uf der Facebook-Seite der FPÖ Linz hat der FPÖ-Funktionär Wolfgang Kitzmüller gepostet: „Ab mit den Schwuchteln hinters VOEST-Gelände.“ Gernot Wartner, Vereinssprecher der HOSI Linz machte klar: „Wir alle wissen, dass es im Dritten Reich zwei KZ-Nebenlager auf dem Gelände der VÖEST gegeben hat.“ Bei der rechten Großdemonstration gegen die in Frankreich eingeführte gleichgeschlechtliche Partner_innenschaft waren zwei FPÖ-Mandatare. Europaabgeordneter Andreas Mölzer und Außenpolitik-Sprecher Johannes Hübner marschierten „gemeinsam mit Freunden von der Front National“ wie Marine Le Pen „an der Spitze der Großdemonstration“. Eine solche „beeindruckende bürgerliche und konservative Manifestation gegen zeitgeistige Umtriebe“ wünscht sich Mölzer auch für Österreich. FPÖ-Bundesparteiobmann Strache poltert gegen gleichgeschlechtliche Partner_innenschaften: „Wir brauchen in Österreich keine Förderung von Beziehungen nur aufgrund der Sexualität. Ich bin Katholik und Christ, auch die Kirche spricht von der Krankheit Homosexualität!“
Muslime I
m „Handbuch für freiheitliche Politik“ findet sich eine Auflistung beliebiger Blödheiten über den Islam. Auf Seite 56 findet sich das berühmte Märchen der muslimischen Weltverschwörung: „Der Islam ist eine Religion, die die Welt als Kriegsschauplatz ansieht – und zwar solange, bis die gesamte Menschheit islamisch ist.“ Die Vorgehensweise der islamophoben Rassisten ist in ganz Europa dieselbe: Man stilisiert den Kampf gegen den Islam als Selbstverteidigung, bzw. als Überlebenskampf der westlichen Zivilisation: „Wie Siegesstatuen sprießen Minarette als Sinnbild und Zeichen des Sieges des Islam gegenüber Anders- beziehungsweise Ungläubigen aus dem Boden.“ Das ist aber nur ein Teil der Propaganda. Die islamfeindliche Hetze der FPÖ konzentriert sich nämlich schon seit Jahren auf die Gruppe der türkischen Zuwanderer. Strache meinte 2009 es gebe kein „Ausländerproblem“, sondern ein „Türkenproblem“. Ganz ähnlich wird es 2013 tönen – Mahlzeit!
Die FPÖ attackiert im Wahlkampf die wegung, Randgruppen und sozial Sch nimmt die FPÖ ins Visier und argume
hr Modell für die Sozialpolitik findet die FPÖ in (einem fikitiven) Asien: Dort, so scheint man in der FPÖ zu denken, haben die Leute große Familien, die sich umeinander kümmern und den Staat bei Pensionen, Arbeitslosengeld und Sozialausgaben schonen. Außerdem würden die Menschen viel arbeiten, weshalb die Wirtschaft kräftig wachse. Niedrige Steuern für Unternehmer sollen im Fernen Osten das Wirtschaftswachstum ankurbeln und Entzug von Unterstützungen für Arbeitslose und Niedrigverdiener das Übrige leisten. Bei den Debatten um das Budget 2013 durfte sich ein Newcomer der FPÖ, der Landesobmann des RFJ Tirol, Mathias Venier, im Parlament profilieren: „In Asien betrachtet man den Wohlfahrtsstaat mit realistischen Augen als das, was er ist, nämlich ein Entwicklungshindernis, und versuchen, diesen so gering wie möglich zu halten… während wir uns mit Überalterung, Überschuldung, auch Islamisierung, höchsten Steuern, dichtesten Regulierungen herumschlagen müssen!“ Dass die FPÖ hinter Veniers Ausführungen steht, beweist sie regelmäßig: Der Ring Freiheitlicher Wirtschaftstreibender forderte Ende 2009 ein „Notgesetz“ mit dem Sozialpartner und Arbeitszeitgesetz ausgeschalten werden könnten. Die FPÖ will die Geringfügigkeitsgrenze anheben, was bedeutet, dass alle Menschen, die (nach Stand 2009) zwischen 5.000€ und 7.000€ im Jahr verdienten, aus der Krankenversicherung, der Pensionsversicherung und der Arbeitslosenversicherung fallen würden. Den Unternehmen hilft sie auf diese Weise, die Bezahlung von Sozialversicherungsbeiträgen zu sparen. Es verwundert auch wenig, dass sie die Sozialcharta des Europarats ablehnt und damit gegen Schutz vor Lohn- und Sozialdumping stimmt. Soziale Rhetorik kann man von der sozialen Heimatpartei FPÖ jederzeit vernehmen, dahinter versteckt sich aber eine beinhart neoliberale Partei.
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e Arbeiter_innenbehwache. LINKSWENDE entiert für Solidarität.
Juden
Foto: MJÖ
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ntisemitismus hat in verschiedenen Variationen den Zweiten Weltkrieg überlebt. In seiner dümmsten Form, mit rassischen Unterscheidungen zwischen Juden und Ariern, ist er fast nur mehr in den nationalen Burschenschaften und Neonazizirkeln zu finden. Beide Kreise üben großen Einfluss auf die FPÖ aus. Die Burschenschaften halten nach wie vor den „Arierparagraphen“ am Leben, wonach „die Mitgliedsvereinigungen nur solche Bewerber aufnehmen (können), die geeignet sind, jederzeit für das deutsche Volk und Vaterland einzutreten. Die Mitgliedsvereinigungen können daher grundsätzlich nur Bewerber aufnehmen, die dem deutschen Volk angehören.“ Als Botschaft an diesen Teil der FPÖ-Basis verstehen wir die regelmäßig auftauchenden antisemitischen Äußerungen oder Publikationen aus den Reihen der FPÖ. Der Antisemitismus hat auch als Rechtfertigung der Vernichtungspolitik der Nazis in der FPÖ seinen Platz. Führende FPÖ-Politiker organisieren und besuchen Nazi-Heldengedenken. Sie machen bei Gedenkveranstaltungen mit, wo menschliche Bestien wie Irmfried Eberl, der Lagerkommandant des KZ Treblinka, oder Ernst Kaltenbrunner, der Chef des Reichssicherheitsamtes, verehrt werden. Sie und viele andere Nazikriegsverbrecher stammen aus den Reihen der bis heute in der FPÖ höchst aktiven und besonders radikalen österreichischen „deutschen Burschenschaften."
kriminalität fällt der FPÖ nur eine fast komödiantisch anmutende Liste von gewünschten Strafmaßnahmen ein, wie „Schnupperhaft“ von bis zu zwei Wochen oder „Aufenthalte in gesicherten Internaten“. Die Abschiebung ganzer Migrantenfamilien mit straffällig gewordenen Kindern ist da nur eine von vielen unglaublichen Ideen.
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• Nachdem 2009 Polizisten in Krems einen unbewaffneten 14-Jährigen erschossen hatten, hatte die FPÖ nichts besseres zu tun als die Polizisten zu verteidigen und gegen „Jugendliche aus sozialen Randschichten“ zu hetzen. • Bei der Reform des Bildungssystems hat die FPÖ nichts anzubieten, außer für pädagogisch sinnlose Maßnahmen wie Sitzenbleiben zu kämpfen oder Videoüberwachung in Schulen zu fordern. • Auch wenn die FPÖ mit vermeintlichen Besserungen bei der Lehre wirbt, begünstigt sie mit ihren Vorschlägen vor allem die Unternehmer. So will sie die Wiedereinführung des BlumBonus, der lediglich die Ausbeutung der Lehrlinge als billige Arbeitskräfte gesteigert hat. Dass die FPÖ zusätzlich etwa die erlaubte Nachtarbeitszeit für Lehrlinge verlängern will, passt da gut ins Bild. • Zum Thema Jugend-
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Foto: Linkswen
Soziaal che schw
Linkswende Juli/August 2013
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ie weit die Verachtung der FPÖ für Arme geht, zeigt sich an ihrer absolut unmenschlichen Haltung zu Obdachlosen. • In Wien-Donaustadt wollte die FPÖ die Errichtung eines Vinzi-Dorfes, wo Obdachlose voraussetzungslos schlafen, essen und sich waschen können, verhindern. • Im 13. Bezirk machte die FPÖ gegen ein Übergangsquartier des Obdachlosenheims Neunerhaus mobil. • Am Praterstern ruft die FPÖ zum Kampf gegen „Alkoholleichen und aggressiv auftretende Bettler“, sowie gegen die sie betreuenden Sozialarbeiter_innen. • Bei der geplanten Umgestaltung des Schwedenplatzes will Georg Fürnkranz, FPKlubobmann in der Innenstadt, darauf
achten, dass ja keine neuen, womöglich überdachten, Bänke aufgestellt werden, auf denen könnten es ja „die Sandler gemütlich haben und die Jugendlichen in Ruhe vorglühen“. • Die FPÖ will ein bundesweites, verschärftes Bettelverbot. Der Wiener Parteichef Johann Gudenus sprach in einer Pressekonferenz im März – gemeinsam mit dem Obmann des Vereins der Kaufleute der Mariahilferstraße – von „Abschreckung der Kundschaft“ und einem „Bild des Grauens“, das Bettler_innen bieten würden. Generalsekretär Villimsky will sogar das stille Betteln in ganz Österreich strafrechtlich verbieten.
e g i g n ä h b a Drogen • FPÖ fordert Zwangstherapien für Abhängige. • FPÖ will Drogendealer mit bis zu lebenslänglichen Freiheitsstrafen bestrafen. • Substitutionsprogramme sollen eingeschränkt und nur mehr von Amtsärzten durchgeführt werden, um „Missbrauch“ zu vermeiden. • Öffentlich finanzierte Beratungsstellen und Drogenkonsumräume bezeichnet die FPÖ als „Frechheit“ und „Verharmlosung.“ • Im 4. Bezirk hetzt die FPÖ mithilfe einer
„Bürgerinitiative“ gegen ein Betreuungszentrum für Suchtkranke. • Eine Legalisierung von weichen Drogen wie Cannabis lehnt die FPÖ strikt ab. • Einen Vergleich von Alkohol mit illegalisierten Drogen verbittet sich der Wiener FP-Gemeinderat Gerhard Haslinger, denn „Folgeerkrankungen wie Hepatitis B oder C, HIV und psychische Beeinträchtigungen sind beim Alkohol nicht zu erwarten.“
10 Juli/August 2013 Linkswende
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Grüner Kapitalismus? Warum ein grüner Kapitalismus nicht funktionieren kann, können wir an den verzweifelten Maßnahmen, den Klimawandel zu verhindern, erkennen. Seit 18 Jahren werden jährlich Klimakonferenzen abgehalten und eine nach der anderen ist gescheitert. Der Weltklimarat, kurz IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change), veröffentlicht regelmäßig Klimaberichte. Mit Klimamodellen berechnen sie verschiedene Szenarien. Wir bekommen ständig neue Daten, die in die Modelle eingerechnet werden. Und Jahr für Jahr müssen wir feststellen, dass die Entwicklung die schlimmsten Szenarien sogar weit überholt. Warum Kapitalismus und Umweltschutz im krassen Widerspruch zueinander stehen, können wir aus einer marxistischen Perspektive erkennen. Keine isolierte Krise Marx beschreibt ökologische Probleme nicht als isoliert von anderen Krisen. Die Ausbeutung von der Natur geht Hand in Hand mit der Ausbeutung von Menschen. Im Gegensatz dazu ist die Wissenschaft und Forschung im Kapitalismus extrem spezialisiert. Für ein Problem wird gerne ein Experte, oder eine kleine Epert_innen-Gruppe, herangezogen. Doch die ökologische Krise erfordert wegen der Komplexität, die sie mit sich bringt, eine fächerübergreifende Herangehensweise. Materialismus Als Marxist_innen gehen wir davon aus, dass „das Sein das Bewusstsein bestimmt“ und wir daher, wenn wir die Lebensbedingungen verändern, auch das Bewusstsein verändern. Umweltaktivist_innen neigen leider eher dazu zu sagen, dass die Menschen umdenken müssen und sich informieren sollen, wie sie nachhaltig leben können. Sie versuchen dann, über Aufklärung und Information die Leute zu erziehen. „Weil du dich nicht richtig bemühst umweltbewusst zu leben, werden Wälder gerodet und Tierarten sterben aus.“ Dabei ist der Wissensstand über die Bedrohungen für das Weltklima erstaunlich hoch und sehr viele Menschen ändern deswegen bereits ihre Lebens- und Essgewohnheiten. Wir denken, es wäre viel effektiver, alle Energien in die Überwindung
THEORIE
Der Ökologische Bruch
Daher machen Strategien wie Konsumverzicht, oder nachhaltiger Konsum nicht besonders viel Sinn. Konsumverzicht wird den gewaltigen Müllberg nicht kleiner machen. Einen nachhaltigen Konsum wird es im Kapitalismus auch deshalb nicht geben, weil Unmengen an Geld investiert werden, um den Konsum als Ganzes zu steigern. In den USA wird eine Billion USDollar allein für die Vermarktung von Produkten, für Werbung, ausgegeben.
Warum wir Kapitalismus loswerden müssen, wenn wir die Umwelt retten wollen, schreibt Ludwig SOMMER.
des Systems zu stecken und damit wirklich die Möglichkeit zu eröffnen, die Geschicke des Planeten demokratisch zu steuern. Gebrauchswert und Tauschwert. Die Grundlage der politischen Ökonomie von Marx bildet das Konzept von Gebrauchswert und Tauschwert. Was ist ein Gebrauchswert? Luft, beispielsweise, hat einen sehr hohen Gebrauchswert. Wir alle brauchen Luft zum Atmen. Schmuck hingegen hat einen geringen Gebrauchswert. Man kann ihn nicht essen oder trinken, man kann ihn aber tauschen. Da Schmuck aus seltenem Materialien wie Diamanten, Gold und Silber besteht, hat er einen hohen Tauschwert. Der Tauschwert hängt also von der Knappheit eines Gutes ab, während der Gebrauchswert von der Nützlichkeit einer Ware bestimmt wird. Die Gebrauchswerte bilden die Lebensgrundlage der Menschen, während die Tauschwerte die Grundlage für den Reichtum weniger Menschen bilden. Ökonomen zur Zeit von Marx, z.B. Riccardo, sagten, dass Kapitalismus Allgemeingüter wie Wasser, Boden oder Wälder, verschmutzt und zerstört, und damit Gebrauchswerte zerstört. So würde eine Knappheit erzeugt, die den Tauschwert der knappen Güter erhöht. Verknappung von Gebrauchswerten bedeutet eine Verarmung der meisten Menschen, und gleichzeitig eine Anhäufung von Reichtum bei wenigen Menschen. Ökologischer Bruch Marx leitete daraus ab, dass das System Kapitalismus einen „unheilbaren Riss“ in ökologischen Kreisläufen verursacht: „Es erzeugt dadurch Bedingungen, die einen unheilbaren Riss hervorrufen in dem Zusammenhang des gesellschaftlichen und durch die Naturgesetze des Lebens vorge-
schriebenen Stoffwechsels, infolge wovon die Bodenkraft verschleudert und diese Verschleuderung durch den Handel weit über die Grenzen des eignen Landes hinausgetragen wird.“ Dieses Konzept wird in der heutigen marxistischen Ökologie als „Ökologischer Bruch“ („metabolic rift“, ein Begriff von John Bellamy Foster) bezeichnet. In seiner Analyse war Marx stark von dem Chemiker Justus Liebig beeinflusst. Liebig nannte die industrielle kapitalistische Landwirtschaft ein räuberisches System, das den Nährstoffkreislauf kollabieren lässt und die Böden erschöpft. Marx entwickelte daraus eine Kritik am Kapitalismus. Kritik am Kapitalismus Mit dem Konzept des ökologischen Bruchs fügte er die gesellschaftliche Dimension hinzu. Zu diesem Bruch gehört beispielsweise auch die Trennung von Stadt und Land. Marx forderte dass der Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur wieder hergestellt werden muss. Das könne nur von den „assoziierten Produzenten“, der vereinten Arbeiterklasse, gemacht werden, meinte Marx. Er entwickelte die wahrscheinlich radikalste Definition der Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit Er schreibt im dritten Band des Kapitals: „Vom Standpunkt einer höheren ökonomischen Gesellschaftsformation wird das Privateigentum einzelner Individuen am Erdball ganz so abgeschmackt erscheinen wie das Privateigentum eines Menschen an einem andern Menschen. Selbst eine ganze Gesellschaft, eine Nation, ja alle gleichzeitigen Gesellschaften zusammengenommen, sind nicht Eigentümer der Erde. Sie sind nur ihre Besitzer, ihre Nutznießer, und haben sie als boni patres familias (gute Familienväter) den nachfolgenden
würden unseren Hausmüll in unseren Wohnungen behalten, dann wäre der Abfallberg auf der Müllhalde um nur 2% kleiner. Es wäre mit dem bloßen Auge kein Unterschied zu erkennen. 98% des Mülls entstehen folglich in der Industrie, im Produktionsprozess. „Man muss verrückt sein, wenn man glaubt, dass das ein effizientes System ist. Wir arbeiten uns zu Tode um diesen nutzlosen Schrott herzustellen, und müssen uns dann auch noch als Klimasünder beschimpfen lassen, weil wir angeblich zu viel konsumieren“, meint dazu John Bellamy Foster. Nachhaltiger Konsum?
Grüne Technologien? Foto: Nejron
ür immer mehr Menschen ist es klar, dass wir auf eine ökologische Katastrophe zusteuern. Sehr viele kennen die Probleme wie Klimawandel, Verschmutzung der Weltmeere, Artensterben und Rückgang der Biodiversität, Zunahme von Wüstenregionen, Erschöpfung der Böden, Süßwasserengpässe, usw. Man ist sich einig, dass wir es mit gewaltigen ökologischen Problemen zu tun haben. Wo es aber weniger Einigkeit gibt, ist, wie die Menschheit darauf reagieren soll. Unter den grünen Parteien, NGOs, Umweltorganisationen, und Umweltaktivist_innen träumen viele von einem grünen Kapitalismus. Sie meinen: „Wir brauchen nur an ein paar Rädchen drehen, ein paar neue Gesetze machen, und unseren maßlosen Lebensstil einschränken, dann haben wir einen grünen nachhaltigen Kapitalismus.“
Generationen verbessert zu hinterlassen.“ Radikal daran ist, dass er das Eigentum an natürlichen Ressourcen infrage stellt: Natur darf kein Privatbesitz sein. Im Kapitalismus wird aber Eigentum aufs Äußerste verteidigt. Kapitalismus kann auch nicht reguliert werden, da er einem Mechanismus von ständigem Wachstum folgt. Akkumuliert, akkumuliert! Kapitalismus ist eine, wie Marx es formulierte, „Akkumulation um der Akkumulation, Produktion um der Produktion willen.“ Produktion orientiert sich nicht an den Bedürfnissen von Menschen, sondern an der Erzeugung von Profiten und neuem Kapital, das angehäuft wird. Gleichzeitig gibt es immer mehr Güter, die keinen oder kaum Gebrauchswert haben. Denken wir an die Verpackung von Produkten, wo das eigentliche Produkt nur noch einen kleinen Teil davon ausmacht. Ein extremes Beispiel sind Rüstungsgüter, die keinen Gebrauchssondern einen Zerstörungswert haben. Sie zerstören Kapital, damit wieder neu akkumuliert werden kann. All das treibt den ökologischen Bruch weiter auseinander. Müll Müll wird zum essentiellen Bestandteil der Wirtschaft. Alles Mögliche an Gelump wird produziert, das nach kurzer Zeit nur noch Schrott ist, und weggeworfen wird. Das Produktionssystem im Kapitalismus ist völlig irrational und in keiner Weise nachhaltig. Eine Studie hat ergeben, dass 80% der Produkte in den USA spätestens nach einem Jahr Schrott sind. Der Großteil des Mülls entsteht im Produktionsprozess und nicht im Konsum. Der individuelle Konsum macht gerade einmal 2% aller Abfälle aus. Stellen wir uns vor, wir
Ein anderer Irrglaube ist, dass sogenannte Grüne Technologien die Lösung seien. Das werden sie aber innerhalb des Kapitalismus niemals sein können. Denn die Technologien, die im Kapitalismus entwickelt und eingesetzt werden, dienen nur dazu, den Umsatz von Energie-, und Materialflüssen zu steigern. Sie dienen nur dazu, Profite zu maximieren. Die Intensivierung des Energieverbrauchs ist die grundlegende Strategie der Profitmaximierung. Das heißt nicht, dass wir den Ausbau Grüner Technologie und die Schaffung von „Green Jobs“ nicht überall einfordern sollten, wo immer Betriebe geschlossen und Leute entlassen werden. Das weist immerhin auf die Möglichkeit hin, Wirtschaft nachhaltig und in unserem Sinn zu planen. Ökologische Revolution Kapitalismus ist das erste Gesellschaftssystem, das eine globale Dimension erreicht hat, wo die Auswirkungen dieser Wirtschaftsweise, dieses Stoffwechsels mit der Natur ökologische Katastrophen vom Nordpol zum Südpol erzeugen, bis in die tropischen Regenwälder und in den urbanen Dschungel der Megacities, und vom Meeresgrund bis in die obersten Schichten der Erdatmosphäre. Dann zu glauben, man könnte mit individuellen Strategien, oder mit kleinen Inseln der Nachhaltigkeit (mit Ökodörfern) die Umwelt retten, ist einfach irrational. Die Kontrolle der Produktion durch die Mehrheit der Menschen ist die Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung und für eine rationale Regulierung des Stoffwechsels mit der Natur. Arbeiter_innen auf der ganzen Welt können diesem Teufelskreis ein Ende setzten. Eine sozialistische Revolution wird die Anhäufung von Kapital einbremsen und schon allein damit die Umwelt entlasten, wie sie auch die Menschen entlasten wird. Eine sozialistische Revolution wird also gleichzeitig auch eine ökologische Revolution sein.
Linkswende Juli/August 2013
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Gefährdete Revolution in Syrien Im Moment ihrer schlimmsten Krise versucht der Westen die syrische Revolution zu kapern, analysiert Tom ALLAHYARI.
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ehrere Faktoren wirken zusammen und stellen eine tödliche Bedrohung für den Kampf gegen das Assad-Regime dar: Militärische Erfolge der regimetreuen Truppen, die Gefahr einer wie immer gearteten westlichen Intervention, und die bereits beginnende Überlagerung des Aufstands durch Rivalitäten zwischen Sunni-Aufständischen und anderen Gruppen entlang religiöser Fronten.
Sunni – Schia Der islamische Glaube teilt sich in zwei große Strömungen, die sich an der Frage, wer Nachfolger des Propheten Mohammed sein darf, gespalten haben. Für die Schiiten ist das der Schwiegersohn Mohammeds, Ali, den auch Alawiten und Aleviten verehren. Das führt dazu, dass die syrischen Alawiten, aus denen sich die Eliten des Landes rekrutierten, als „Verwandte“ der Schiiten wahrgenommen werden. Die Konflikte in der Region, vom Irak bis nach Syrien, werden von vielen im arabisch-islamischen Raum vor allem als Konflikte zwischen diesen beiden Religionsgruppen gesehen. Als Verteidiger der sunnitischen „Seite“ sehen sich vor allem die Golfstaaten,
aber auch Ägypten. Den „Schiitischen Halbmond“ bilden Bahrain, Iran, Nordirak und Libanon. Verkompliziert wird die Lage noch durch starke schiitische Minderheiten in den „sunnitischen“ Golfstaaten oder auch sunnitische Minderheiten in Teilen des Iran. Wie schon im Irak hat der Krieg diese religiösen Spaltungen stärker zur Geltung gebracht. Von Anfang an hat das Regime alles daran gesetzt, die Opposition und die religionsübergreifenden Demonstrationen als rein sunnitischen Aufstand und als Bedrohung für die alawitische Minderheit darzustellen. In den letzten Monaten hat die Realität diese Propaganda beinahe eingeholt. Menschen wurden durch die chaotischen Zustände auf ihre ethnischen und religiösen Zusammenhänge zurückgeworfen. Das Eingreifen der schiitisch dominierten Hisbollah aufseiten des Regimes und der wachsende Einfluss sunnitisch-islamistischer Gruppen sowohl innerhalb als auch außerhalb der FSA haben diese Entwicklung dramatisch beschleunigt.
Hisbollah
Die Hisbollah hat wohl eher aus strategischen Gründen (das Assad-Regime war immer ihr Unterstützer und Verbündeter) als aus religiösen Gründen in die Kämpfe eingegriffen. Dennoch sieht es für viele so aus, als würden Schiiten ihren „Verwandten“, den Alawiten, zur Hilfe kommen. Obwohl gerade die Hisbollah immer die Einheit aller Muslime beschworen hat und gelobte, ihre Waffen nur zur Assad unterstützte die Hisbollah – jetzt hält sie ihm die Treue Verteidigung gegen
Israel einzusetzen (womit sie 2006 erfolgreich war), haben ihre gut ausgebildeten Kämpfer unter anderem entscheidend dazu beigetragen, dass Regierungstruppen die Schlacht um den strategisch wichtigen Ort al-Qusair gewinnen konnten. Eine weitere Folge des HisbollahEngagements in Syrien ist die Ausweitung des Konflikts auf den Libanon, wo nach Jahren des Bürgerkriegs ein heikles Gleichgewicht zwischen sunnitischen, schiitischen und christlichen Einwohner_innen besteht. Doch schon wurden Hisbollah-Gebäude in Beirut beschossen und Al Jazeera meldet, dass sunnitische Rebellen Raketen auf schiitische Dörfer im Libanon abgeschossen haben.
al-Nusra
Aufständischen. Eine weiterer Aspekt ist, dass die sunnitischen Staaten wie Saudi-Arabien an der Seite des Westens stehen, während sich schiitisch/alawitische Regimes wie die im Iran und in Syrien weigern, sich dem Westen völlig zu unterwerfen. So ist z.B. Saudi Arabien, das den krudesten Fundamentalismus in der ganzen Region verbreitet, gleichzeitig ein Hauptverbündeter der USA.
Intervention Nach den Erfahrungen im Irak und in Libyen ist jegliche westliche Intervention abzulehnen. Nicht nur verstärken Interventionen die religiösen Spaltungen, sie würden in Syrien das Erreichen der Ziele der Revolution, wie soziale Gerechtigkeit und ein endgültiges Ende des Assad-Regimes, unmöglich machen. Die Lage der Revolution ist gefährdet wie nie, politisch und militärisch. Wir wünschen ihr, trotz aller Probleme, weiterhin den Sieg. Die Zusammensetzung des Widerstands können wir, ähnlich wie etwa im Gazastreifen, nicht beeinflussen. Ein Sieg des Regimes wäre aber eine Katastrophe und hätte auch negative Auswirkungen auf den arabischen Frühling.
Die sunnitisch-islamistischen Gruppen in Syrien sind bei weitem nicht so einheitlich, wie in den Medien oft dargestellt. Die al-Nusra hat zwar enge Verbindungen zum „Islamischer Staat Irak“, der Schirmorganisation al-Qaidanaher Gruppen im Irak, verweigert aber die Vereinigung mit diesen. Andere islamistische Milizen sind neben säkularen Gruppen innerhalb der FSA aktiv. Während einige für ein islamisches Syrien kämpfen, sehen andere das Ziel in einem Kalifat, das sich über den gesamten Mittelmeerraum erstrecken soll. Die sunnitischen Milizen sind besser ausgerüstet als die übrigen, da sie aus dem Emirat Katar und Saudi-Arabien mit Geld und Waffen versorgt werden. Die Kombination aus entschlossenem Kampf gegen Regierungstruppen und der Möglichkeit, die Bevölkerung etwa mit Lebensmitteln zu versorgen, hat diesen Gruppen eine enorme Ausweitung ihres Einflusses erlaubt. Die erlittenen Rückschläge führen aber zu in- Das Gewehr im Logo der Hisbollah erschießt eine in neren Spannungen zwischen den den Farben der syrischen Revolution gekleidete Frau
SYRIEN
Golan: Bundesheer-Abzug ist Dämpfer für Israel Alle Parteien des österreichischen Parlaments sind sich einig, dass das UN-Mandat für die „Beobachtermission“ auf den Golanhöhen nicht mehr zu halten gewesen ist. Doch das Bundesheer hat nicht einfach einen „schmalen Landstrich zwischen Israel und Syrien beobachtet“, sondern von Israel im Sechstageskrieg 1967 erobertes Gebiet für Israel verwaltet, schreibt David ALBRICH.
Fotos: EPA
weitergab, machte Israel die größte Stadt Quneitra dem Erdboden gleich und vertrieb seine 37.000 Einwohner_innen. Israel bezieht ein Drittel seines Wassers aus den Golanhöhen, beutet systematisch die Rohstoffe und den natürlichen Reichtum aus und baut illegal Siedlungen. Anfang dieses Jahres hat die israelische Regierung Öl- und Gasbohrungen
Israelische Truppen bei einem Manöver am Golan
genehmigt. Der Golan ist außerdem wegen seiner günstig hohen Lage für Artillerie von militärstrategischer Bedeutung. Die Hisbollah, die sich in der Vergangenheit blutige Gefechte mit Israel um die Schebaa-Farmen auf den Golanhöhen lieferte, greift aufseiten von „Israels Lieblingsdiktator“ Assad (Tageszeitung Haaretz), in den syrischen Bürgerkrieg
ein und stabilisierte damit in einer völligen Kehrtwendung Israels Position in der Region. Die arabischen Revolutionen mischen die Karten in der Region allerdings neu und inspirieren Palästinenser_ innen, ihren Kampf gegen Israel wieder aufzunehmen. Weder das österreichische Bundesheer, noch die UNO oder Israel haben auf den Golanhöhen etwas verloren.
Fotos: Diaa Hadid/AP
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m Zuge des Krieges gegen Ägypten, Jordanien und Syrien besetzte Israel den Gazastreifen, das Westjordanland und die Golanhöhen und unterdrückt seither die dortige palästinensische Bevölkerung. Im Krieg 1973 wurde die israelische Armee teilweise zurückgedrängt. Bevor sie sich endgültig zurückzog und das Gebiet zur Verwaltung an die UN
Graffiti in der Stadt Majdal Shams: „Hört auf das syrische Volk zu töten“
O
Vom Westen nichts Neues
bama hat am G8-Gipfel zum X-ten Male Waffenhilfe für die syrischen Rebellen angekündigt. Die Rebellen schenken dem keinen Glauben, da sie seit drei Jahren mit solchen Versprechungen hingehalten werden. Lediglich islamistische Verbände werden gut von ihren Unterstützern in den Golfstaaten ausgerüstet. Westliche Staaten verlangen von den Rebellen der Freien Syrischen Armee (FSA) ihre Waffen gegen die islamistischen Verbände zu richten und auch einen Drohnenkrieg gegen die Dschihadisten zu unterstützen. Das hieße eine Niederlage herbeiführen. Die Dschihadisten sind dank ihrer Ausrüstung oft die einzigen Kräfte, die eroberte Städte und Dörfer auch erfolgreich vor der Rückeroberung durch die Truppen Assads halten können. Solange Waffenhilfe des Westens an solche Bedingungen geknüpft sind, müssen sie abgelehnt werden. Bedingungslose Waffenlieferungen wird es aber nicht geben. Deshalb wird es bald nur noch zwei Optionen geben: Entweder siegt das Regime mithilfe der Hisbollah. Oder der Aufstand siegt – auch dank der Rolle der Islamisten! Deshalb ist zu befürchten, das Obama auf die afghanische Option (Bürgerkrieg von 1991 bis 2001) setzt und seine Versprechungen nur Hinhaltetaktik sind.
12 Juli/August 2013 Linkswende
Linker
USA / NSA
Lesetipp von Peter HERBST
T.C. Boyle
América
dtv, ISBN-10: 3-423-20935-6, 388 Seiten, 9,20€, von 13.-16.9. gratis bei „Eine Stadt. Ein Buch“
„América“ ist der bislang erfolgreichste Roman T.C. Boyles. 1995 erschienen, hat er nichts von seiner Aktualität eingebüßt. Der Originaltitel des Buches, „The Tortilla Curtain“, ist eine Anspielung auf den Eisernen Vorhang und bezeichnet die über 3.000 km lange Grenze zwischen Mexiko und den USA. Wie Millionen andere überqueren auch Cándido und América diese illlegal, im festen Glauben an den „American Dream“. Das erste Aufeinandertreffen mit der dritten Hauptperson des Buches, Delaney Mossbacher, ereignet sich auf der ersten Seite, als Cándido von Delaney angefahren wird. Als freundliche Geste erhält Candido, ohne Aufenthaltsgenehmigung und daher rechtlos, von Delaney 20 Dollar. Während an Delaney unterschwellige Schuldgefühle nagen, muss sich Cándido, unter freiem Himmel und ohne Arzt, von den Folgen des Unfalls erholen. Von da an leben sie nebeneinander her, bis sich ihre Wege schließlich wieder unweigerlich kreuzen. Hervorragend recherchiert, wird der Roman von den starken und glaubwürdigen Charakteren getragen. Auf der einen Seite die illegalen Einwanderer América und Candido, die mit ihrem Optimismus, ihrer Einsatzbereitschaft und Eigenständigkeit die US-amerikanischen Werte schlechthin verkörpern und scheinbar nicht unterzukriegen sind. Auf der anderen Seite (des Zaunes) lebt die gut situierte Mittelschichtsfamilie Mossbacher in einer Gated Community. Delaney, ein Liberaler ohne Verständnis für soziale Verhältnisse, schreibt pathetische Aufsätze für ein Naturmagazin und driftet ob seiner Naturverbundenheit langsam in den Rassismus ab. Seine Frau Kyra ist eine überspannte Immobilienmaklerin, die von „richtiger Ernährung“ besessen ist. Ihr Sohn Jordan bringt seine Tage vor einer Videospielkonsole zu. Um sie herum ist das Buch zum Bersten voll mit Symbolik, die sich nahtlos in die Erzählung einfügt und auf die Gesellschaft als Ganzes weist. Alles dies macht „América“ zu einer hervorragenden Wahl für die Aktion „Eine Stadt. Ein Buch.“ vom 10. bis 13. September: 100.000 Exemplare werden in Wien gratis verteilt.
Prism: Whistleblower Edward Snowden entüllt Überwachungsskandal
von Peter HERBST
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ie von Edward Snowden veröffentlichten PowerPoint-Folien haben eine lebhafte Diskussion über Überwachung und Grundrechte angestoßen. Der Angestellte von Booz Allen Hamilton konnte seine Arbeit für den US-Nachrichtendienst NSA nicht länger mit seinen Werten vereinbaren, also beschloss er Informationen zu „PRISM“ zu veröffentlichen und außer Landes zu flüchten. Ein, angesichts seines privilegierten Lebens auf Hawaii und des Schicksals Bradley Mannings, bemerkenswerter Schritt. Derzeit versuchen Leute wie der Director of National Intelligence James Clapper, die Berichte über PRISM ins Unglaubwürdige zu ziehen, indem sie gewagte Behauptungen angreifen, die der Journalist Glenn Greenwald aufgestellt hat. Tatsächlich sind die bisher veröffentlichten Powerpoint-Folien mehrdeutig und das tatsächliche Ausmaß von PRISM lässt sich nur schwer einschätzen. Fest steht jedoch, dass die Geheimdienstler nur das zugeben, was sich nicht mehr abstreiten lässt. Repräsentantin Loretta Sanchez, die von der NSA unterrichtet wurde, sagte, dass das bislang Veröffentlichte nur die Spitze des Eisbergs sei. Bereits 2006 enthüllte Mark Klein die Existenz von Raum 641A, einer geheimen Überwachungseinrichtung in San Francisco, die das Telekommunikationsunternehmen AT&T für den NSA eingerichtet hatte. Ehemalige NSA-Mitarbeiter wie William Binney meinen, dass die Überwachung inzwischen drastisch ausgeweitet wurde. Sämtlicher Datenverkehr der USA würde in riesigen Anlagen abgespeichert, um diesen bei Verdacht auswerten zu können. Verdachtsmomente könn-
POLIZEIGEWALT
Demonstrant_innen marschieren vor das US-Konsulat in Hong Kong.
te zum Beispiel der Provider Verizon liefern, der verpflichtet wurde, sämtliche Verbindungsdaten seiner Kunden an die NSA herauszugeben, also mit wem wie lange telefoniert wurde. Das entspricht der Vorratsdatenspeicherungen hierzulande, bloß dass sie in den USA bis vor kurzem geheim gehalten wurde und in die Öffentlichkeit gelangte. Friedensnobelpreisträger Obama verteidigt inzwischen Maßnahmen, für die er Bush noch vor fünf Jahren angegriffen hatte und meinte gereizt, dass man nicht 100%-ige Sicherheit bei 100%-iger Freiheit haben könne. Fragt sich, wer tatsächlich an 100%-ige Sicherheit glaubt, oder sich diese wünscht. Gerichtliche Bewilligungen sind nicht mehr nötig, die Geheimdienste müssen bloß noch ein Geheimgericht informieren. Die Kongressabgeordneten, die Kontrolle ausüben sollten, sind großteils
uninformiert und desinteressiert. So erschienen bei einem Treffen mit Geheimdienstlern 27 von 100 Senator_innen. Da auch die Inhalte des Treffens unter Geheimhaltung stehen, beschränkten sich Politiker_innen im Anschluss auf ominöse Andeutungen. In Europa legte sich die Empörung unter Politikern rasch und man gab sich mit halbgaren Erklärungen zufrieden. Hierzulande dürfte das Heeresnachrichtenamt mit der NSA zusammenarbeiten. Diese ganze Geheimhaltung führt dazu, dass Gesetze großzügig interpretiert werden. Drastischstes Beispiel sind die sogenannten „Torture Memos“, die während George W. Bushs TerrorKrieg den Einsatz von Foltermethoden wie Waterboarding rechtfertigten. Da die Existenz von Gefängnissen wie Abu Ghraib gegenüber der Öffentlichkeit geheim blieb, konnten dort die Genfer Kon-
ventionen ignoriert werden. Der Folterskandal flog erst auf, nachdem Fotos auftauchten, die von den folternden Soldaten und der Soldatin selbst geschossen worden waren. Die rangniederen Soldaten, die auf den Fotos zu sehen waren, wurden unehrenhaft entlassen und erhielten Haftstrafen. Die CIA-Angehörigen, deren Beteiligung unter den Teppich gekehrt wurde, kamen ungeschoren davon. John Yoo, Autor der „Torture Memos“, war damals Berater des Generalbundesanwalts und ist heute Professor in Berkeley. Dasselbe gilt für die Geheimhaltung von Überwachungsmaßnahmen. Wo es keine Kontrolle gibt, kennen die Behörden keine Zurückhaltung und Korruption feiert fröhliche Urstände. Indem man Angst vor Muslimen und Migranten schürt, versucht man Überwachungsmaßnahmen durchzubringen, um die Bevölkerung als Ganzes gängeln zu können. In der EU arbeitet man zu diesem Zweck momentan daran, mit INDECT die totale Überwachung einzuführen.
Prügel und Tränengas können uns nicht aufhalten
von Manfred ECKER
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n Istanbul: Ein Polizist mit Tränengaskanister sprüht einer jungen Frau direkt ins Gesicht, ein anderer prügelt so hart auf einen Rollstuhlfahrer ein, dass auch hartgesottenen Betrachtern der Atem stockt. In Stockholm: Ein psychisch kranker Mensch wird erst von der Polizei in seiner Wohnung erschossen, die dann auf Jugendliche eingeprügelt, als diese deswegen auf die Straßen gehen. Auch in Griechenland, Portugal und Spanien stehen schwere Misshandlungen von Demonstrant_innen an der Tagesordnung. In Athen sind offensichtlich Polizisten an Überfällen der Faschisten auf Einwanderer beteiligt. Seit bald 15 Jahren sind es wir es nun gewohnt, dass Polizisten in einer Montur aufmarschieren, die für eine Comic-Figur, den Robocop, entworfen wurde. Marschieren sie in Wien auf Demonstrantionen los, dann klopfen die Robocops
gerne auf ihre Schilder, um die Gegner_innen einzuschüchtern – in einer Art und Weise, wie wir sie ebenfalls nur aus Hollywood kannten. Aber Jugendliche aus Arbeitervierteln aller Großstädte berichten über Schikanen und Übergriffe, die der breiteren Öffentlichkeit völlig verborgen bleiben. Jugendliche aus Wien-Simmering erzählen, dass sie regelmäßig von der Polizei angehalten und durchsucht werden. Wann immer sie alleine oder in Grüppchen auf der Simmeringer Hauptstraße flanieren, können sie
„von den Bullen gefilzt“ werden. In London und Paris ist das um Dimensionen schlimmer als in Wien, aber dennoch dieselbe Jugendpolitik. Dahinter steckt keine Häufung von Zufällen, sondern systematische Vorbereitung. Nicht nur die Uniformen der Robocops gleichen sich von Seattle über Moskau bis London und Wien. Auch die Strategien der Regierungen sind auffällig ähnlich. Als im Jahr 2000 die neuen Protestbewegungen über den Globus schwappten, gingen die Staaten mit voller Brutalität gegen die Leute vor. In Genua wurde ein Demonstrant, Carlo Giuliani, erschossen, in Göteborg wurden drei angeschossen. In Salzburg wurde 2001 bei den Protesten gegen das Weltwirtschaftsforum ein junger Mann vor laufenden Kameras gewürgt bis er blau wurde, auf
einen anderen richtete ein Polizist die Pistole. Diese Aufzählung ließe sich noch sehr lange fortsetzen, die wichtigste Beobachtung bleibt: Nachdem die Mächtigen an verschiedenen Orten erkennen mussten, dass Repression die Bewegungen nicht zurückzudrängen vermochte, suchten sie neue Wege. Doch die Vereinnahmung der Bewegung (man denke nur an Bono von U2 und George W Bush) hat meist nicht besser funktioniert als sie zu ignorieren. Weiterhin fürchten die herrschenden Eliten den Widerstand der Bevölkerung. „Ich schließe nicht aus, dass wir Gefahr laufen, eine soziale Revolution zu erleben“, sagte Luxemburgs Regierungschef Jean-Claude Juncker im März dieses Jahres. Robocops und Prügelorgien sind unerfreulich und brutal, aber vor allem sind sie ein Zeichen der Schwäche und Ratlosigkeit aufseiten der Herrschenden.
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VERGESSENE GESCHICHTE Der Marsch auf Washington 1963 Der „March on Washington“, der sich im August zum 50. Mal jährt, war nicht nur ein Meilenstein in der Bürgerrechtsbewegung, sondern auch die größte Versammlung von Gewerkschaftsmitgliedern in der Geschichte der USA, erinnert Hannah KRUMSCHNABEL.
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as Jahr 1963 hatte für die Bürgerrechtsbewegung bereits intensiv begonnen: Im Kampf gegen die Segregation in der Ku-Klux-Klan-Hochburg Birmingham organisierten Bürgerrechtsorganisationen Massenproteste und einen disziplinierten Boykott der Geschäfte der Stadt. Die Aktivist_innen waren mit massiver Polizeigewalt konfrontiert, Martin Luther King selbst wurde wie 4.500 andere verhaftet, doch die Aktion war erfolgreich Nun folgten hunderte ähnliche Boykotte in den Südstaaten. Jobs and Freedom
So radikal wie nie zuvor Die offiziellen Forderungen des Marschs unterstützten Präsident Kennedys BürgerrechtsGesetzesvorlage, doch sie gingen weit darüber hinaus: Alle öffentlichen Schulen sollten bis Ende des Jahres die Segregation aufheben;
Staaten die keine Bürgerrechte gewährten, sollten ihre Vertretung im Kongress reduzieren müssen; diskriminierende Wohnbauprojekte sollten keine Subventionen mehr erhalten und gegen institutionelle Diskriminierung sollten effektive Gesetze erlassen werden. Doch die Organisator_innen der Demonstration betonten vor allem: Diese Maßnahmen gegen Rassismus seien so lange ineffektiv, solange nicht der Mindestlohn erhöht, das Arbeitsrecht verbessert und ein Programm zur anständig bezahlten Beschäftigung aller arbeitslosen Schwarzen installiert würde. Als von der Tribüne schließlich der ganze Katalog der Forderungen vorgelesen wurde, meinte ein Journalist: „Niemals zuvor wurde eine Äußerung, auch nur ein Zehntel so radikal, von so vielen Amerikanern gesehen oder gehört.“ Eine Viertel Million auf der Straße Die Demonstration am 28. August wurde mit mindestens 250.000 Teilnehmer_innen bis heute einer der größten Erfolge der US-amerikanischen Linken. Es waren vor
Foto: Magnum Photos (Brigitte Freed)
Doch von Anfang an kämpfte die Bewegung nicht nur gegen die Rassentrennung, sondern auch für soziale Gerechtigkeit. Neben der Bewegung gegen Segregationim Süden , deren Führungsfigur Martin Luther King war, plante das „Negro American Labor Council“, eine Organisation schwarzer Gewerkschafter,
einen „Marsch nach Washington für Arbeit“. Ihr Anführer A. Philip Randolph wollte damit gegen ökonomische Unterdrückung protestieren. Doch nun befürchteten viele Aktivist_innen, man würde damit der Bürgerrechtsbewegung im Süden Ressourcen und Aufmerksamkeit entziehen. Schließlich überzeugte die Feministin Anna A. Hedgeman Randolph, sich mit King zu treffen und eine Demonstration zu planen, die beides angreifen sollte: Ökonomische Probleme und Bürgerrechte. Beide Flügel einigten sich auf eine breite Koalition unter dem Slogan „Für Arbeit und Freiheit“.
Auf den Schildern: „Wir fordern Gleichberechtigung, menschliche Wohnverhältnisse, Arbeit für alle, ein gerechter Lohn, und zwar sofort!“ „Wir marschieren gemeinsam, Katholiken, Juden, Protetanten: Für Würde und Brüderlichkeit“
Vergesellschaftung
von Peter HERBST
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enn Vergesellschaftung mit Verstaatlichung verwechselt wird, so liegt das nicht zuletzt an deren Gleichsetzung durch die Nomenklatura der Sowjetunion, sowie durch die Sozialdemokratie im Westen. In der Sowjetunion wurden die Produktionsmittel juristisch zum Eigentum der Bevölkerung erklärt, praktisch übte die Kontrolle jedoch eine bürokratische Elite aus. Die Sozialdemokratie stellte hingegen Verstaatlichungen als Erfolge auf dem Weg zu einer sozialistischen Gesellschaft dar. Dazu meinte Friedrich Engels in „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft“: „Der moderne Staat, was auch seine Form, ist eine wesentlich kapitalistische Maschine, Staat der Kapitalisten, der ideelle Gesamtkapitalist. Je mehr Produktivkräfte er in sein Eigentum übernimmt, desto mehr wird er wirklicher Gesamt-
kapitalist, desto mehr Staatsbürger beutet er aus. Die Arbeiter bleiben Lohnarbeiter, Proletarier. Das Kapitalverhältnis wird nicht aufgehoben, es wird vielmehr auf die Spitze getrieben.“ Im Gegensatz dazu bedeutet Vergesellschaftung im marxistischen Sinne, die Inbesitznahme der Produktionsmittel durch die Arbeiter_ innen selbst, um gemeinschaftlich darüber zu verfügen. Der erste Schritt dazu war immer die Besetzung einer Fabrik, einer Bahnlinie oder auch einer TV-Station durch die Belegschaft und die Weiterführung des Betriebs in Eigenregie. Zu Vergesellschaftung wird diese Inbesitznahme dann, wenn sie im Rahmen größerer gesellschaftlicher Prozesse passiert – wenn etwa zu Kriegsende die Brotproduktion von den Arbeiter_innen organsiert wurde. Oder wenn in Petrograd besetzte Fabriken Waffen für die Revolution herstellen, und ähnliche Fälle. In einer siegreichen Revolution sollte sich diese Entwicklung soweit vertiefen,
allem Gewerkschafter_innen, darunter viele Fabriks- und Farmarbeiter_innen, Hausangestellte und öffentlich Bedienstete, die den Protest trugen. Bekannt (und von Moderaten und Konservativen vereinnahmt) wurde vor allem Martin Luther Kings ergreifende Rede „I have a dream“, die die Zukunftsvision eines friedlichen Landes von gleichberechtigten Schwarzen und Weißen zeichnet. Tatsächlich war King Angriffen ausgesetzt, er sei zu milde. Malcolm X und viele andere Linke veurteilten deshalb gleich den ganzen Marsch als harmlos. Doch vergessen sind heute viele der anderen, kämpferischen Reden. So meinte etwa der Studentenführer John Lewis: „Lasst uns nicht vergessen, dass wir Teil einer sozialen Revolution sind“. Als er dafür als Kommunist angegriffen wurde, stärkte ihm das Organisationskomitee der Demonstration den Rücken. Black Power Für die erstarkende Bewegung war der Marsh on Washington ein Kulminationspunkt, von da an sie sich nur noch weiter ausbreitete und zuspitzte. 1968 wollte Martin Luther King, der sich in den vorangegangenen Jahren stark radikalisiert hatte, an die Errungenschaften des Tages anschließen und einen neuen March on Washington organisieren – einen „Marsch der armen Leute“. Bevor seine Pläne konkret wurden, wurde er heimtückisch von einem Rassisten, wohl in Kooperation mit dem FBI, erschossen. TIPPS: • An die ganze radikale Geschichte des March on Washington erinnert William P. Jones (W W Norton & Co, 24,99€) • Ho Che Andersons Graphic Novel „Martin Luther King“ über das Leben des Bürgerrechtlers. (Carlsen, 30,80€) • Faszinierende Dokumentation „Black Power Mixtape“, Originalaufnahmen von 1967 bis 1975 (DVD, 19,99€ / vollständig auf YouTube abrufbar)
In dieser Serie erklären wir Begriffe des Marxismus von A bis Z.
dass eine Regierung der Werktätigen planen und entscheiden kann, was produziert wird und wie es verteilt wird. Vergesellschaftung ist ein zentraler Bestandteil einer zukünftigen sozialistischen Gesellschaft. Verstaatlichungen im gegenwärtigen System dienen hingegen meist dazu, kränkelnde Banken oder Fabriken aufzufangen, die andernfalls Pleite gehen würden. Heute werden meist Gewinne privatisiert, aber das Risiko, die Verluste und die Schäden werden sozialisiert – in anderen Worten: der Gesellschaft aufgebürdet. In Branchen wie der Ölindustrie kommen Unternehmen nur zu einem Bruchteil für die von ihnen verursachten Schäden auf. Die Schäden übersteigen die Gewinne um ein Vielfaches und sind kaum wiedergutzumachen. So ist die Küste am Golf von Mexiko über drei Jahre nach der Explosion der Bohrinsel „Deepwater Horizon“ nach wie vor verseucht und die Fischer ihrer Existenz-
grundlage beraubt. Gründe für eine Verstaatlichung können, neben einer unmittelbaren Zwangslage, auch strategische Erwägungen sein. Engels formulierte es in der Streitschrift Anti-Dühring treffend: „... wenn Bismarck ohne jede ökonomische Notwendigkeit die Hauptbahnlinien Preußens verstaatlichte, so waren das keineswegs sozialistische Schritte, direkt oder indirekt, bewußt oder unbewußt.“ Ziel war die Vereinheitlichung der Eisenbahn zu militärischen Zwecken. Während bei mit einer Verstaatlichung also die Interessen der herrschenden Klasse verfolgt werden und sich für die Lohnabhängigen nichts ändert, bedeutet eine Vergesellschaftung die grundlegende Umgestaltung der bestehenden Wirtschaftsordnung. Statt eines möglichst hohen Profites für eine Minderheit, ist das Ziel ein möglichst hoher Nutzen für die Mehrheit.
14 Juli/August 2013 Linkswende
Hunter S. Thompson
KULTUR
SKA „TWO DAYS A WEEK“ FESTIVAL
Festivalgelände Wiesen Burgenland
FILM DIE WERKSTÜRMER Mit Michael Ostrowski, Regie Andreas Schmied. Eigentlich eine romantische Komödie spielt der Film vor dem Hintergrund von Werksschließungen in der Steiermark und dem Kampf der Arbeiter gegen Aussperrung und Streikbrecher. Als Lohnverhandlungen scheitern, die Gewerkschaft versagt, verliert Stahlarbeiter Patrick seine Freundin, Fußballverein und Job …
Filmstart: 25. Juli 2013
FILM WEEKEND Von der Kritik als schönste Liebesgeschichte der letzten Jahre bezeichnet, erzählt „Weekend“ vom Aufeinandertreffen zweier sehr unterschiedlicher Männer, die auch sehr unterschiedlich mit ihrer Homosexualität umgehen, in einem Club. Nach einem One-Night-Stand loten sie die Möglichkeiten für eine Beziehung aus – und haben dafür nur ein Wochenende Zeit.
Filmstart: 26.Juli 2013
HIP HOP KRS-ONE „Woop woopp, it's the Sound of the Police“
11. Juli, WUK, Währingerstraße 59 1090 Wien
xzessiver Drogenkonsum, ein Faible für Waffen und Sprengstoff, das sind die Assoziationen, die viele mit dem Erfinder des „Gonzo-Journalismus“ Hunter S. Thompson verbinden. „Ich hasse es, Drogen, Alkohol, Gewalt und Irrsinn gegenüber jedem zu vertreten, aber für mich haben sie immer funktioniert“ meinte der Mann mit der berühmten Zigarettenspitze. Diese Darstellung Thompsons greift allerdings viel zu kurz und ignoriert den politischen Autor Hunter S. Thompson.
Für Thompson selbst war die schwarze Bürgerrechtsbewegung immer wieder Thema. Seine Kritik richtete sich gegen die, wie er es nannte, „weißen Machtstrukturen“. Zeit seines Lebens engagierte sich Thompson aber auch für die Legalisierung von Drogen. „Schau dir die Prohibition an“ schrieb er, „alles was sie erreicht hat, war einen Haufen Krimineller reich zu machen“. In seinem wohl berühmtesten Werk Fear and Loathing in Las Vegas findet sich ein berührender Nachruf auf die 60er: „Da gab es ein fantastisches universelles Gefühl, dass richtig war, was immer wir taten, dass wir am Gewinnen waren. Wir hatten die Dynamik; wir ritten auf dem Kamm einer hohen und wunderschönen Welle. Und jetzt, weniger als fünf Jahre später, kannst du auf einen Hügel in Las Vegas steigen und nach Westen schauen, und mit den richtigen Augen kannst du fast die Hochwassermarke sehen, den Punkt, an dem die Welle schließlich gebrochen ist und zurückrollte.“
Gegenkultur
Gonzo
Thompson ist ein prominentes Beispiel für das, was man in den 60er und 70ern „Gegenkultur“ nannte. Die mächtige Bewegung gegen den amerikanischen Krieg in Vietnam, die Kämpfe der Schwarzen und Latinos für Gleichberechtigung, die Frauenbewegung prägten die US-amerikanische Gesellschaft für einige Jahre und brachten von der Musik über Malerei bis zum Film eine eigene, gegen das „Establishment“, also die herrschenden Eliten und ihre Ideale gerichtete Kultur hervor. Entgegen den Darstellungen, die 60er in den USA wären nur die Zeit friedlich kiffender Hippies gewesen, sah Thompson sehr wohl die politischen Auslöser. „In den 60ern ging es um Redefreiheit, lange bevor es um die Blumenkinder ging, ich war mehr Teil dieser Bewegung als Teil des Acid (=LSD)Clubs“. Im Artikel „The Hashbury is the Capital of the Hippies“ kritisiert er schon 1967 hart den Verlust der Ideen der „Neuen Linken“ in der Bewegung.
„Gonzo-Journalismus“, eine völlig subjektive, fast manische Schreibweise hat seinen festen Platz in der Welt des Journalismus. Als totaler Gegenentwurf zum angeblich objektiven, über allem stehenden Stil der etablierten Medien waren seine Artikel, die zumeist im Rolling Stone erschienen, aus eigener, persönlicher Perspektive geschrieben. Der Reporter wird selbst zum Akteur. Ein glänzendes Beispiel dafür ist sein Buch über die gefürchtete Rockerbande Foto: Al Satterwhite „Hells Angels“. Diese wurden gegen Ende der 60er von vielen als Teil der Gegenkultur betrachtet, als romantische Outlaws, die man gerne als Security bei Musik-Festivals einsetzte. Thompson verbrachte Zeit mit ihnen (wobei er mehrmals schwer verprügelt wurde) und entlarvte sie in seinem Bericht als die gewaltverliebten, rassistischen, frauenverachtenden Schläger, die sie waren. Der zuerst in der linken The Nation veröffentlichte Text ist so wirkungsvoll, weil er eben aus der Innenperspektive der Gang
Foto: Michael Ochs
Die großartige linke Skapunkband „Ska-P“ tritt im Rahmen des „Two Days a Week“-Festivals gemeinsam mit den genialen Deftones und Irie Revoltes auf. Ska-P sind besonders wegen ihres eindeutigen Engagements für Palästina („Intifada“) in Diskussion. Ska-P singen und spielen gegen den Kapitalismus, gegen Stierkämpfe oder für die GrasLegalisierung.
von Tom D. ALLAHYARI
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Leo K’s
Tricky False Idols
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Foto: bellanaija.com
(2010) wird Femi Kuti auch auf der neuen Veröffentlichung „No Place for my Dream“ seinem Ruf als Meister des Afrobeats gerecht: Tanzbare Rhythmen, treibende Bässe, röhrende Hammond-Orgel und funky Gitarrenriffs, dazwischen immer wieder das Stakkato der Bläser, fast könnte man dabei vergessen, wie ernst die Dinge sind, über die Femi Kuti da singt. Und neuerdings richtet sich sein Blick nicht mehr nur auf Afrika: „The World is Changing“ handelt davon, dass die Krise längst im wohlständigen Norden angekommen ist (Zitat: „Now the rich they cry, but the poor still die from poverty…“). Weitere Anspieltipps sind der geniale Opener „Nothing To Show For It“, der Titelsong und natürlich „Carry On Pushing On“ - der Optimismus dieses Songs ist Programm. „Femi Kuti and the Positive Force“, so der offizielle Bandname, knallen explizite Botschaften auf den Dancefloor, denen sich niemand auf Dauer entziehen kann. myspace.com/femikuti
Politik Der brutale Prügeleinsatz gegen Antikriegsaktivist_innen, die gegen den Parteitag der Demokraten 1968 in Chicago demonstrierten, war ein entscheidender Moment in Thompsons Entwicklung, auch wenn sein Bericht darüber nie erschien. Ebensowenig wie ein Artikel über den Tod des mexikanischamerikanischen Journalisten Ruben Salazar, dem Polizisten in Los Angeles während einer AntikriegsHunter S. Thompson mit demo von „Chi- „seinem Anwalt“, dem canos“ (mexika- Aktivisten Oscar Zeta Acosta nisch-stämmige Leute) eine Tränengaspatrone aus nächster Nähe an den Kopf geschossen hatten. Für seine Nachforschungen traf sich Thompson mit dem mexikanischen Anwalt und Aktivisten Oscar Zeta Acosta. Gemeinsam reisten sie nach Las Vegas. Die Basis für Fear and Loathing in Las Vegas bildeten also weniger lustige Erlebnisse mit psychotropen Substanzen als die Solidarität mit einer unterdrückten Bevölkerungsgruppe. Obwohl sich Thompson nie einer bestimmten politischen Strömung anschloss, beweisen zahlreiche Briefe seine Sympathie für die radikale Linke. Die „Industrial Workers of the World“ hielt er für „das letzte humane Konzept in der amerikanischen Politik“. Sein Kommentar zu Karl Marx: „Das System der freien Marktwirtschaft ist das größte, einzelne Böse in der Geschichte menschlicher Grausamkeit.“ 2005 nahm sich Hunter S. Thompson 67-jährig das Leben. Mit einer Kanone schossen Freunde seine Asche in die Luft.
Musiktipps
Femi Kuti No Place for My Dream er Sohn des nigerianischen Afrobeat-Erfinders Fela Kuti ist längst aus dem Schatten seines berühmten Vaters getreten. Femi Kuti versteht es perfekt, Songs zu produzieren, die in die Beine gehen und die Menschen zum Tanzen bringen, andererseits den Benachteiligten und Rechtlosen seiner Heimat eine Stimme zu geben. In den Texten werden kämpferisch die perspektivlosen Lebensbedingungen in Afrika und die rücksichtslose Ausbeutung der Ressourcen durch multinationale Konzerne angeprangert. Wie auf dem Vorgängerwerk „Africa for Africa“
geschrieben ist, weil Thompsons Urteile aus dem täglichen Zusammenleben mit den Rockern entstehen und nicht mit dem soziologischen Blick von außen.
ehr als 18 Jahre sind seit dem Debutalbum „Maxinquaye“ vergangen, nun läuft der Mitbegründer des Genres „Trip-Hop“, der diesen Begriff gar nicht mag, wieder zu absoluter Bestform auf. Der Titel verrät bereits, dass Tricky diesmal den Starkult des Youtube-Zeitalters ins Visier genommen hat und vor falschen Idealen und mangelnder Originalität warnt. Sich selbst zählt er (zu Recht) zu den Originalen, und um dies zu unterstreichen, und sich von der Musikindustrie ein wenig unabhängiger zu machen, hat Tricky unlängst auch das gleichnamige Plattenlabel „False Idols“ ins Leben gerufen, das jungen Künstler_innen eine Chance geben soll. Tricky’s neue Veröffentlichung „False Idols“ ist bei aller gewohnter Düsternis ein durchwegs abwechslungsreiches Album geworden, geprägt von der Mitwirkung zahlreicher Mitmusiker_innen, darunter Francesca Belmonte und Fifi
Rong aus London, Nneka aus Nigeria und Peter Silberman (The Antlers). Bereits der erste Track beinhaltet mit „Jesus died for somebody’s sins but not mine“ ein legendäres Patty Smith Zitat, „Nothing‘s Changed“ erinnert mit seinem jazzigen Groove an Tricky’s Anfänge bei „Massive Attack“ in den frühen Neunziger Jahren. Musikalisch sind also durchaus Parallelen zum eingangs erwähnten Debutalbum erkennbar, doch atmet „False Idols“ ohne wenn und aber den Zeitgeist des 21.Jahrhunderts. Herausragend sind jene Momente, wo Tricky sich aus dem gewohnten Dunkel wagt und z.B. mit „Chinese Interlude“ (feat. Fifi Rong) überraschend leichte Kost im besten Sinn darbietet. trickysite.com
Foto: bilitzgigs.de
Kultur in Kürze
Linkswende Juli/August 2013
15
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Was wir wollen
Eine andere Welt. Heute lebt die Hälfte der Menschheit von weniger als 2 Dollar pro Tag, 67% der Reichtümer sind in den Händen von nur 2% der Bevölkerung. Weltweit sind Regierungen für krisengeschüttelte Unternehmen und Banken mit rund 6.000 Milliarden Euro in die Bresche gesprungen. Dieser Betrag würde ausreichen, um die weltweite Armut für ein halbes Jahrhundert zu beenden. Was heute produziert wird, würde schon ausreichen,
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um alle Menschen der Welt mit dem Grundlegendsten zu versorgen. Die Bedingungen für eine gerechtere Welt waren nie besser als heute. Demokratische Kontrolle. Wir wollen eine Gesellschaft, in der gezielt für die Bedürfnisse der gesamten Menschheit und mit Rücksicht auf die Natur produziert wird. Dafür ist eine wirklich demokratische Ordnung nötig, in der die werktätigen Menschen das Sagen haben, sie produzieren allen Reichtum
dieser Welt. Eine neue Gesellschaft ist nur vorstellbar, wenn sie die Produktion ihrer Reichtümer und ihre Verteilung kontrollieren. Um eine solche gerechte – eine sozialistische – Gesellschaft errichten zu können, müssen Arbeiter und Arbeiterinnen kollektiv gegen das herrschende System vorgehen, seine staatlichen Strukturen zerschlagen und kollektiv die Kontrolle übernehmen. Wir stehen für einen Sozialismus von unten, denn – wie Karl Marx sagte – »Die Befreiung der Arbeiterklasse muss das Werk der Arbeiterklasse selbst sein.« Internationalismus. Die Revolutionen im arabischen Raum und der internationale Aufschwung der Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung im Jahr 2011 demonstrieren, dass der Kampf nicht entlang von Ländergrenzen, sondern von Klassengrenzen stattfindet. Das Scheitern der Russischen Revolution mit der Machtübernahme Stalins hat uns
gezeigt, dass eine sozialistische Revolution nicht isoliert in einem Land erfolgreich sein kann. Der Kapitalismus ist ein internationales System, das nur international besiegt werden kann. Wir unterstützen das Recht aller unterdrückten Gruppen, sich zu ihrer eigenen Verteidigung zu organisieren. Wir unterstützen Befreiungsbewegungen, die sich gegen Unterdrückung durch imperialistische Staaten wehren. Gegen Unterdrückung. Als Sozialistinnen und Sozialisten bekämpfen wir jede Form der Unterdrückung. Wir stellen uns gegen alle Versuche der herrschenden Klassen, uns entlang von Staatsgrenzen, Hautfarbe, Religion, Geschlecht oder sexueller Orientierung zu spalten und damit zu schwächen. Wir treten für echte soziale, politische und ökonomische Gleichberechtigung von Frauen und für ein Ende aller Diskriminierungen von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender ein.
Gegen Rassismus. Wir wenden uns aktiv gegen alle Versuche, Menschen verschiedener Herkunft gegeneinander zu hetzen. Wir sind gegen jede Diskriminierung, gegen Einwanderungskontrollen, gegen Arbeitsverbote und für grenzüberschreitende Solidarität. Wir stehen für Solidarität mit der muslimischen Bevölkerung und für das volle Recht auf freie Religionsausübung. Revolutionäre Partei. Unsere Herrscher kontrollieren die Medien, die Justiz, Polizei und Militär. Um diese Macht zu konfrontieren, müssen sich auch die Lohnabhängigen organisieren. Wir glauben, dass diejenigen, die eine gerechte und solidarische Gesellschaft wollen, sich zusammentun müssen und die Entwicklung der Protestbewegungen nicht dem Zufall überlassen dürfen. Je stärker die revolutionäre Strömung innerhalb der Bewegung ist, desto mächtiger wird die Bewegung als Ganzes.
Linkswende Monatszeitung für Sozialismus von unten
Besetzer des griechischen Rundfunks:
„Wir sind hier, um zu gewinnen!“ Die Nachricht von der Besetzung des staatlichen Rundfunks ERT dominierte am 12. Juni 2013 die griechischen Schlagzeilen. Journalist_innen quer über die Medienlandschaft Griechenlands solidarisierten sich mit der Besetzung, berichtet Dave SEWELL.
S
Foto: SEKonline.gr
eit die Regierung am Dienstag die Schließung verkündete – inklusive des Verlusts von 2.700 Arbeitsplätzen – besetzen die Angestellten das Gebäude und arbeiten Tag und Nacht um ERT auf Sendung zu halten. Bis zu 10.000 Menschen versammelten sich in jener Nacht vor dem Hauptgebäude in Athen. Arbeiter_innen des öffentlichen Dienstes bereiten sich in ganz Griechenland auf einen Generalstreik am Donnerstag vor. Die ERT-Journalistin Maria Kodaxi erzählt: „Als wir die Nachricht bekommen haben, dass wir zusperren sollen, war das der schlimmste Moment in meinem Leben. Aber die letzten Tage in dieser Besetzung waren die besten. Wir waren auf Sendung und erzählten, was wir tatsächlich denken und fühlen. Viele Journalisten, Techniker und Kamerateams blieben ebenfalls im Haus. Wir haben sämtliche Gewerkschaften und die Menschen auf unserer Seite, die uns freundlichst unterstützen. Wir arbeiten mit Energie und Leidenschaft, um zu zeigen, dass das öffentliche Fernsehen den Menschen gehört – und nicht der Regierung.“ Eine Maßnahme, die das Sparprogramm der Regierung wieder auf Kurs bringen sollte, schlägt auf spektakuläre Weise in die Gegenrichtung aus. Die Troika aus EU, EZB und IWF verlangt von der griechischen Regierung bis zum Ende des nächsten Jahres den Verkauf von staatlichen Vermögenswerten und die Vernichtung von 15.000 Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst. Dagegen gibt es allerdings heftigen Widerstand der Arbeiter_innen. Eine hoch gehandelte Ausschreibung für den Verkauf des
staatlichen Gaskonzerns scheiterte Anfang dieser Woche. Arbeiter_innen der ERT haben eine militante Geschichte. Sie haben sich gegen jede der letzten griechischen Regierungen gewehrt. Als sie zuletzt die Nachricht über die Schließung bekamen, hielten sie ein Gewerkschaftstreffen ab und beschlossen Widerstand zu leisten. „Wir wussten, dass die Schließung unfair war“, meint Maria. „Das ist eine Angriff auf die Demokratie und freie Meinungsäußerung, sowie ein Angriff auf uns. Der Minister sagte, dass die Angestellten das Problem seien. Doch die Regierung arbeitet nur für die Troika, nicht für die Menschen. Also haben wir beschlossen hier zu bleiben. Wir werden die Arbeit nicht einstellen, solange sie uns nicht mit Gewalt hinaus zerren.“ Die Regierung hat die ERT-Frequenz blockiert, doch die Arbeiter_innen übertragen weiter über das Internet. Der Kampf der ERT-Arbeiter_innen hat Medienangestellte auf der ganzen Welt erreicht. Sie wurden mit Unterstützungserklärungen von Medien – ORF-Arbeiter_innen eingeschlossen – regelrecht bombardiert. Die versuchte Schließung des ERT hat den Spalt innerhalb der zerbrechlichen Regierungskoalition vertieft. Führende Größen der Jugendorganisationen der Koalitionsparteien verurteilen die Entscheidung. Der Schritt hat eine neue Welle des Zorns der Arbeiter_innen entfesselt. „Alle sind hier um zu gewinnen“, sagt Maria. „Die Regierung dachte, sie kann mit uns machen, was sie will. Wir haben jedoch gezeigt, dass die Werktätigen die Macht haben – und wir werden diesen Kampf bis zum Ende führen.“
Die ERT-Arbeiter_innen im besetzten Rundfunkhaus bekamen überwältigende Unterstützung auf der Straße und wurden mit Solidaritätsbekundungen überhäuft.
Christine Lagarde (IWF) gesteht Fehler ein:
Oops! Da sterben ja Menschen Die Verfechter der Sparpolitik gaben zu, dass aufgrund ihrer Politik in Griechenland Menschen sterben müssen. Warum man von einer intellektuellen Bankrotterklärung sprechen kann, argumentiert David ALBRICH.
C
Alles nicht so schlimm in Griechenland, meinte Christine Lagarde vor einem Jahr. Jetzt gesteht sie massive Fehler ein.
hristine Lagarde, die Präsidentin des Internationalen Währungsfonds (IWF) hat ein Schuldeingeständnis gemacht, das noch oft zitiert werden wird: Zu exzessives Sparen führe zum Schrumpfen der Wirtschaft und man müsse von der Austerität abrücken. Der IWF war sogar imstande in Griechenland eine „außergewöhnlich hohe Arbeitslosigkeit“ festzustellen! Das kam aus dem Mund jener Frau, die im Mai 2012 Sorgen um griechische Schulkinder mit der Bemerkung abgetan hat: „Ich denke mehr an die kleinen Kinder in der Schule eines kleinen Dorfes in Niger.“ (In Griechenlands Schulen fallen hungrige Kinder in Ohnmacht. Laut dem für Kinderschutz zuständige Ombudsmann Giorgos Moschos arbeiten rund 100.000 Kinder illegal.) Noch Anfang Mai dieses Jahres meinte Lagarde – in Anlehnung an die neoliberale Klassenkämpferin Margaret Thatcher –, es gäbe keine Alternative zur Sparpolitik. Inzwischen kletterte in Griechenland die Jugendarbeitslosigkeit auf unglaubliche 63%. Eine HIV-Epidemie
breitet sich aus, Mediziner_innen können sich keine Handschuhe, Mäntel und Hygienematerial mehr leisten und die Selbstmordrate schießt in die Höhe. „Ganz offen gesagt“, schreibt die englische Tageszeitung Guardian, hat der IWF zugegeben, „dass die soziale Krise nicht so verheerend hätte ausfallen und nicht so viele Menschen hätten sterben müssen.“ Erst im April ist eine wichtige ideologische Säule eingebrochen, auf der die Spardiktate der Eurozone berechnet wurden. Die angesehen Ökonomen Reinhart und Rogoff behaupteten, wenn sich der Schuldenstand eines Landes über eine bestimmte Grenze hinausbewege, stürze das Land in eine tiefe Krise. Doch die beiden haben sich auf skandalöse Weise verrechnet und ihre Statistiken verfälscht. Diese Enthüllung bedeutete ein gewaltiger Dämpfer für die Verfechter der Sparpolitik. Lagardes öffentliches Schuldeingeständnis dazugerechnet darf man getrost von einer intellektuellen Bankrotterklärung der Neoliberalen sprechen. Die Sparpolitik wird aber weiter geführt: Bis Ende 2014 muss Athen 15.000 Staatsbedienstete entlassen. Allerdings bietet die Krise des Neoliberalismus den Menschen Angriffsflächen. Wenn die Ideen der Reichen und Mächtigen zusammenbrechen, schauen sich die Menschen nach alternativen Konzepten um.