Linkswende Nr. 185

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Linkswende 25. Februar 2015 | Nr. 185 Spende 1,50 €

NACH #NOPEGIDA:

ISLAMOPHOBIE DER POLITISCHEN ELITEN ANGREIFEN

Foto: Offensive gegen Rechts

Monatszeitung für Sozialismus von unten


Foto: Ecoba Libera (Flickr)

SYRIZA UND DER STAAT

Alex Callinicos nimmt die Herausforderungen für die griechische Linksregierung Syriza unter die Lupe

Foto: Linkswende

>> Seiten 6

KULTURPOL. ASCHERMITTWOCH

Ried im Innkreis: Über politische Gegenmaßnahmen zum Aufstieg der FPÖ berichtet David Albrich

Foto: klem@s (Flickr)

>> Seite 12

KLIMAWANDEL

Die Panik über den Klimawandel erreicht auch die Elite, schreibt Olga Weinberger

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uch wenn man eine Schlacht gewonnen und Grund zum Feiern hat, sollte man möglichst nüchtern bleiben, und sich ansehen wie sich dadurch die Kräfteverhältnisse verändert haben. Wir – aus Sicht der antifaschistischen Bewegung – haben alle Versuche von Rechtsextremen und Neonazis, als Pegida getarnt auf den Straßen zu marschieren, erfolgreich verhindert. Einmal in Wien und zweimal in Linz. Wir analysieren diese Zusammenhänge auf den Seiten 14 und 15. Das große Aber betrifft die ideologische Grundlage von Pegida, das ist die in der bürgerlichen Mitte so verfestigte Islamfeindlichkeit. Wenn wir dieses Phänomen nicht erfolgreich zurückdrängen, dann können wir die Rechtsextremen nicht dauerhaft isolieren. Das ist die große Herausforderung der nächsten Zeit (siehe Leitartikel auf der nächsten Seite). Ein fürchterliches Beispiel dafür, wie abschätzig muslimische Menschen behandelt werden, führt uns die unterschiedliche Behandlung des politischen Mords an drei jungen Muslim_innen in Chapel Hill (USA) im Vergleich zu dem Anschlag auf Charlie Hebdo vor Augen. Die Chapel Hill-Morde waren in den europäischen Medien so gut wie nicht präsent. Ob sie ohne Twitter und Facebook überhaupt Eingang in die Berichterstattung gefunden hätten, ist fraglich. Wir schreiben auf Seite 26 dar-

über und haben einen bemerkenswerten Leserbrief dazu bekommen – auf Seite 10 zu finden. Der amerikanischen Ikone im Kampf gegen Rassismus Malcolm X widmen wir zum 50. Todestag den Theorieartikel auf den Seiten 18 bis 20. Den Kampf gegen Faschismus hat die Arbeiterbewegung Deutschlands und Österreichs in den 1930er-Jahren verloren, und damit droht auch die Erinnerung daran verloren zu gehen, wie wir ihn hätten gewinnen können. Die Rote Ruhrarmee ist eine grandiose Inspiration und wir haben ihr den Artikel aus der Serie Vergessene Geschichte gewidmet, auf Seite 22. Bekannt ist, dass Griechenland fürchterlich unter der Besetzung durch Nazideutschland gelitten hat, weniger bekannt ist dass die Befreier Griechenlands, die Partisan_innen, von den Briten bombardiert wurden, um sie von der Regierungsmacht fernzuhalten. Über das sehr fragwürdige Verhältnis zwischen Imperialismus und den griechischen Eliten schreiben wir auf Seite 9 und auf den Seiten 6 bis 8 geht es um Syriza und ihren Kampf gegen das Spardiktat der EU. Nicht weniger fragwürdig ist das Verhältnis zwischen Imperialismus und dem neuen Diktator Ägyptens. Über einen gezielten Mord an der bekannten Aktivistin Shaimaa El Sabbagh hat uns eine Leserin geschrieben und wir haben auf Seite 11 recherchiert, wie brutal das Regime al-Sisis die Konterrevolution durchführt.

FOTOBERICHT

Foto: Voice of America

>> Seite 21

von Manfred ECKER

MAVIS STAPLES

Die Fortsetzung der Artikelserie über „Women of Soul“ von Pierluigi Avorio

Foto: Berklee Valencia Campus

>> Seite 24

CHAPEL HILL SHOOTING

Von der Ermordung dreier Muslim_innen in North Carolina erzählt Tom D. Allahyari

>> Seite 26

Ein Mangel an Material hält auch die Widerstandskämpfer_innen der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) nicht auf. Sie bauten ein provisorisch bewaffnetes Panzer-Auto aus alten MetallPlatten. In der zurückeroberten syrischen Grenzstadt Kobane sind die Spuren des heftigen Kampfes der kurdischen Milizen gegen die Terrorgruppe „Islamischer Staat“ und die Einschläge der USBombardemets noch deutlich zu sehen.


Foto: ÖVP Penzing

Die Innenministerin Mikl-Leitner rechtfertigt die Aufrüstung der Polizei mit Angst vor Dschihadismus

Das Problem ist Islamfeindlichkeit aus der Mitte Pegida konnte sich in Österreich nicht etablieren, der Widerstand war zu groß. Jetzt muss sich die antirassistische Bewegung dem größeren Problem zuwenden, das ist der islamfeindliche Rassismus aus der politischen Mitte. von Manfred ECKER

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ie FPÖ oder Pegida oder die Identitären sind nicht die Erfinder von islamfeindlichem Rassismus. Er wurde von Parteien der politischen Mitte zuerst aufgegriffen und er wurde zu einem Mainstream-Phänomen bevor Rechtsextreme erkannten, welches Geschenk ihnen da gemacht wurde. Islamfeindlichkeit gab es schon vor den Anschlägen am 11. September 2001. Aber dort nahm die aktuelle Welle ihren Ausgang. Stolz auf Rücksichtslosigkeit Einige Beispiele dafür, wie normal und akzeptabel islamfeindlicher Rassismus in unserer Gesellschaft ist: Erstens die Selbstverständlichkeit mit der die islamfeindlichen Karikaturen von Charlie Hebdo oder des Jyllands Posten als ein Recht der Mehrheitsgesellschaft verteidigt werden, über einen Teil der Gesellschaft herzuziehen. Es ist allen bekannt, dass diese Karikaturen die muslimische Bevölkerung verletzen und beleidigen, dennoch werden sie gutgeheißen, wie Klaus Hödl in einem Debattenartikel der

Salzburger Nachrichten ganz richtig hervorhebt. Es ist inzwischen allgemein akzeptiert, dass man auf die Empfindungen der Roma und Sinti Rücksicht nimmt und sie nicht als Zigeuner beleidigt. Dieselbe Rücksichtnahme gilt für Menschen afrikanischer Herkunft, man bezeichnet sie nicht als Neger, weil sie es als beleidigend empfinden. Man weiß auch, wie die besagten Karikaturen auf Muslim_ innen wirken und veröffentlicht sie erst recht, und zwar schenkelklopfend. Wenn Muslime dann darauf reagieren, egal ob selbstbewusst empört oder empfindlich bedrückt, dann wird ihnen das als Rückständigkeit ausgelegt, und zwar im arrogantesten Tonfall, etwa durch den Profil-Herausgeber in einer TV-Diskussionssendung. Islamgesetz: Bewusster Affront Zweitens die Einführung des Islamgesetzes. Die Novellierung des Islamgesetzes von 1912 wurde als dringend notwendige Maßnahme gegen eine vorgebliche Radikalisierung der muslimischen Bevölkerung der Öffentlichkeit vorgestellt. Diese Argumentation,

nämlich Muslimen eine Radikalisierungstendenz zu unterstellen, ist an sich schon ein rassistischer Diskurs. ÖVP-Klubchef Lopatka nannte den Gesetzesentwurf eine „entsprechende Antwort auf den Islamismus“. Die Vorgehensweise der Regierung, in dem Fall der Minister Kurz und Ostermayer, zeugte von derselben Respektlosigkeit gegenüber einer Bevölkerungsgruppe, wie die oben genannte Veröffentlichung beleidigender

Die Argumentation, Muslimen eine Radikalisierungstendenz zu unterstellen, ist an sich schon ein rassistischer Diskurs.

Karikaturen. Es wurde nämlich der Entwurf zuerst der Öffentlichkeit präsentiert und in der Öffentlichkeit diskutiert, mitsamt der verächtlich machenden Stimmungsmache, bevor die offizielle Vertretung der muslimischen Bevölkerung dazu Stellung nehmen konnte. Zusätzlich wurde ihr die Begutachtungsfrist von acht auf

fünf Wochen verkürzt. Verharmlosung Rechtsextremer Drittens die Verharmlosung des radikal islamfeindlichen Rassismus der Pegida-Bewegung, oder auch der FPÖ als lediglich „islamkritisch“. Damit holt man diese Bewegungen mit offenen Armen in die politische Mitte und verschafft ihnen eine gewisse Respektabilität. Die FPÖ verbreitete im Wahlkampf 2006 Slogans wie „Daham statt Islam“ und „Pummerin statt Muezzin“. Strache behauptet zwischen dem Islam und westlichen Ländern tobe ein „Kampf der Kulturen“. Der Islam sei nicht nur eine Religion, sondern ein totalitäres Rechts- und Gesellschaftssystem und der Islamismus der „Faschismus des 21. Jahrhunderts“. Die Linke war erfolgreich in der Bekämpfung der offen rassistisch auftretenden Pegida. Unsere Aufgabe ist es jetzt den islamfeindlichen Rassismus, der in der Mitte der Gesellschaft so allgegenwärtig ist, zu bekämpfen. Wir haben auch dabei schon Fortschritte gemacht. Die Herausforderung ist, Islamfeindlichkeit so wirksam als Rassismus zu brandmarken, dass rechtsextreme Rassisten nicht mehr entschuldigt und verniedlicht werden, sondern völlig isoliert dastehen.

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Dossier: Den Hass von Breivik und Strache vergleichen FPÖ-Chef Strache hat Linkswende geklagt, weil wir seinen Hass auf politische Gegner mit jenem des norwegischen Massenmörders Anders Breivik verglichen haben. In dieser Serie stellen wir einige Parallelen vor.

Breiviks FPÖ-Quellen: SabaditschWolff und „Nikolo-Verbot“ Breiviks wiederkehrende Feindbilder – Marxismus, Multikulturalismus und Islam – finden sich nahezu übereinstimmend bei Strache und der FPÖ wieder. von David ALBRICH

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nders Breivik zitierte in seinem Manifest Texte der ursprünglich ÖVP-nahen Politikerin Elisabeth SabaditschWolff. Sie veröffentlichte die Texte auf der islamfeindlichen Internetseite Gates of Vienna. Breivik verwies an 88 Stellen auf Gates of Vienna. Sabaditsch-Wolff referierte in Seminaren des Freiheitlichen Bildungsinstitutes über „den Islam“. Sie indoktrinierte FPÖJungwähler: „Der Islam ist feindselig. Der Koran ist böse. Muslime hassen uns und befinden sich im Dauerkrieg mit uns ... Muslime vergewaltigen Kinder wegen der Religion“ und der Prophet Mohammed hätte einen „relativ großen Frauenverschleiß“ und „gerne mit Kindern ein bisschen was“ gehabt. Sabaditsch-Wolff wurde (nicht rechtskräftig) wegen Herabwürdigung religiöser Lehren verurteilt.

neuen Ära eines alten Kriegs.“ „Fjordman“ Neben Sabaditsch-Wolff schrieb auch der rechtsextreme norwegische Blogger „Fjordman“, den Breivik in seinem Manifest als seinen hauptsächlichen „Lieblingsschriftsteller“ zitierte, zahlreiche Beiträge für Gates of Vienna. „Fjordman“ lobte Sabaditsch-Wolff für ihre Standhaftigkeit gegen die „Islamisierung“, als diese wegen Verhetzung angezeigt wurde: Sabaditsch-Wolff stehe „an der Spitze eines Kampfes gegen die fortschreitende Zerstörung des Westens und wir alle sind als Nächste an der Reihe. Aus diesem Grund sollten wir ihr unsere volle Unterstützung geben, moralisch wie auch finanziell, und wir sollten die österreichischen Behörden für ihren Betrug und ihre unverfrorene Unterwerfung unter muslimisches Drängen beschämen.“

Die Broschüre Das Dossier Breivik-Strache. Fachisten auf Kreuzzug gegen den Islam ist erhältlich unter linkswende@linkswende.org

Alle Jahre wiederholt die FPÖ das längst widerlegte Lügenmärchen von einem Nikoloverbot in den Wiener Kindegärten. „Nikolo-Verbot“ Strache schrieb in einer Aussendung im November 2006: „Das Nikolausverbot in den Wiener Kindergärten stellt eine Bankrotterklärung der Wiener Integrationspolitik dar.“ Nun würden „irgendwelche dahergelaufenen Pädagogen“ den Kindern den Nikolaus „rauben“. Attentäter Breivik nahm in seinem „Manifest“ direkt Bezug auf die Wiener „Nikolo-Verbots“Lüge: „In Wien, Österreich, wurde im Dezember 2006 der Nikolo aus den Kindergärten entfernt. Gemeindevertreter behaupteten beharrlich, dass sich die Kinder vor dem Anblick eines fremden, bärtigen Mannes an der Eingangstür fürchten würden, allerdings sind sie von vielen Beobachtern beschuldigt worden, einen Kniefall vor einer

wachsenden muslimischen Bevölkerung zu machen.“ SOS Abendland Aufgrund dieses „Nikolo-Verbots“ gründeten Strache und der Südtirol-Terrorist Helmut Golowitsch im Jänner 2007 den Verein SOS Abendland, zur APA „Bewahrung und Pflege der Foto: angestammten, einheimischen Volkskultur unter Einbeziehung der Volkskulturen der autochthonen Sprachkulturen“. Der Verein versteht sich als „Schutzverein“ und fordert in seinem Mitgliedsformular die „ernsthafte Verteidigung und Pflege unserer Traditionen“ gegen die Auswirkungen von „Globalisierung, der einheimischen Geburtenarmut und der modernen Völkerwanderung“. Strache bejubelte die Vereinsgründung von SOS Abendland beim FPÖ-Neujahrstreffen im Jänner 2007. Im Vereinsvorstand sitzen seit 2011 ausschließlich FPÖ-Politiker.

Auf Gates of Vienna sehnt sich Sabaditsch-Wolff nach jemanden, der die nötige Härte im Kampf gegen den Islam aufbringt: „Das ist keine Aufgabe, die jeder von uns gewählt hätte, aber es ist nun einmal die Aufgabe, die sich uns gestellt hat. Unser Kinder und Kindeskinder werden uns niemals vergeben, wenn wir versagen jetzt zu handeln.“ Das ähnelt schon sehr einem Täterprofil Breiviks. Der Name der Internetseite, Gates of Vienna ist eine Anspielung auf die „Tore Wiens“ zu Zeiten der sogenannten Türkenbelagerung im Jahre 1683. Gates of Vienna schreiben auf ihrer Startseite: „In der Türkenbelagerung von Wien im Jahre 1683 schien der Islam das christliche Europa zu überschwemmen. Wir befinden uns in einer

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Foto: Günter Hentschel (Flickr)

Gates of Vienna

Die FPÖ verbreitet seit 2006 die Lüge von einem angeblichen „Nikolo-Verbot“. Damals hatte Wiens Vizebürgermeisterin Grete Laska lediglich angeordnet, dass keine kindergartenfernen Darsteller mehr in die Rolle des Nikolaus schlüpfen dürfen, sondern dass Kindergartenpersonal und Eltern die Aufgabe übernehmen sollten, damit Kinder dem Nikolaus „ohne Angst“ begegnen können.


Foto: Linkswende

FPÖ-Einzelfall Nr. 354.773 von Karin WILFLINGSEDER

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ast wäre Helmut Purzner FPÖ-Gemeinderat im Bezirk Mödling geworden. Er hielt es wohl für passend, auf Facebook von Amokläufen zu träumen und Sprüche wie „das korrupte Pack in unseren Parlamenten exekutieren, bevor noch größeres Unheil

Die FPÖ trennt sich von Purzner und Seinesgleichen, weil sie muss. Die strategischen Köpfe der FPÖ setzen auf Wahlzugewinne und wollen eine Massenbewegung aufbauen, dafür müssen

über uns hereinbricht“ oder „eine Bombe gegen alles –islamische“ auf Facebook zu posten. Die Medien berichteten darüber – Purzner musste zurücktreten. Die Liste mit ungeduldigen FPÖHasspredigern ließe sich lange fortsetzen: Heute hier ein SS-Zitat, morgen dort ein Hitlergruß.

sie Kreide fressen. Immer wieder opfern sie dafür Kameraden, die zu blöd oder ungeduldig sind die Strategie mitzutragen. Die bekanntesten Beispiele sind der wegen NS-Wiederbetätigung verurteilte Ex-Mandatar John Gudenus und der wegen Verhetzung verurteilte Ex-FPÖ-Generalsekretär Klement. Strache und Kickl wissen, dass die

FPÖ-Führung weiß auch, ohne echten Gegenwind erholt sich die FPÖ von Skandalen relativ schnell. Wir brauchen daher eine noch viel breitere antifaschistische Bewegung, die nachhaltig Einfluss

ständigen hausgemachten Skandale der FPÖ an der Wahlurne mehr schaden als die Gegnerschaft der anderen Parlamentsparteien. Die

auf die politischen Entwicklungen nehmen kann und den Charakter der FPÖ ständig offenlegt und bekämpft.

Burschenschafter-FPÖ Folgenlose Provokationen wie das Tragen der blauen Kornblume (der symbolische Ersatz der illegalen Faschisten in der Zwischenkriegszeit für das verbotene Hakenkreuz) der FPÖ-Abgeordneten zur Angelobung im Parlament zeigen, wie zahnlos ihre Gegner im Parlament sind und wie zahnlos das Verbotsgesetz ist.

IM VISIER: Hans Jörg Schelling

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ans Jörg Schelling (ÖVP) verstieg sich in der ZIB2 am 16. Februar zu einer Behauptung, die, sagen wir, zumindest uninformiert ist. „Es ist nicht zuzumuten, dass mit Mitteln anderer Länder in Griechenland die Pensionen erhöht werden, obwohl die Pensionen in anderen Mitgliedsländern vielleicht die Hälfte dessen betragen, was in Griechenland ausbezahlt wird“, so Österreichs Finanzminister. Wie Schelling errechnet hat, dass es EU-Mitgliedsstaaten gibt, wo die Pensionen nicht einmal die Hälfte dessen betragen, was in Griechenland ausbezahlt wird, ist unklar. Über die Höhe der Pensionen schweigt sich das europäische Statistikamt Eurostat ebenso aus, wie es das Pensionsantrittsalter breit tritt. Auch sonst finden sich nir-

gendwo Zahlen zur Pensionshöhe im europäischen Vergleich. Die OECD hat in ihrem Bericht „Pensionen auf einem Blick 2013“ wenn auch nicht die Höhe der Pensionen, so doch die Einkommen der Menschen ab 65 Jahren veröffentlicht. Also Pensionen inklusive allfällig notwendiger Nebenjobs etwa. Obwohl es fünf Länder in der EU gibt, in denen die Einkommen ab 65 Jahren niedriger als in Griechenland sind, gibt keinen OECD-EU-Staat, wo das Einkommen weniger als die Hälfte beträgt. Bleiben nur mehr Bulgarien und Rumänien, die in dieser Statistik fehlen, weil keine OECD-Länder. Von diesen beiden Ländern war trotz intensiver Recherche die Höhe der Pensionen der Einkommen nicht zu

Spenden gegen Strache

Empfänger: Linkswende IBAN: AT08 1400 0047 1066 0102 BIC: BAWAATWW

S c re

ermitteln. Mag sein, dass sie ein Staatsgeheimnis sind, das nur Schelling kennt. Vor allem aber kommen wir der Absicht hinter Schellings Neiddebatte näher: solange die Menschen in Griechenland nicht mindestens so arm sind, wie in den zwei ärmsten EUStaaten, müssen sie Federn lassen. Bleibt die Behauptung, Griechenland würde Pensionserhöhungen mit den EU-„Hilfs“-Geldern bezahlen. Wahr ist vielmehr: mit diesen „Hilfs“-Geldern werden die Schulden an den Internationalen Währungsfonds (IWF), die Europäische Zentralbank (EZB) und die EU-Staaten zurückbezahlt. Und warum hat Griechenland diese Schulden gemacht? Um Schulden an französische und deutsche Banken zurückzuzahlen.

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Die sogenannte Griechenland„Hilfe“ mit Steuergeld war nichts als ein Rettungspaket für deutsche und französische Banken, keine Finanzierung des griechischen Sozialstaats. Der wurde seit den 1990er-Jahren schrittweise abgebaut, wie überall anders auch, während die Militärausgaben des Landes an der EU-Außengrenze dank deutscher Waffenimporte von 2000 bis 2009 von 9,74 auf 11,53 Milliarden Euro gestiegen waren.

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Syriza und der Staat Alex CALLINICOS wirft einen Blick auf die Herausforderungen für die neue linke Regierung in Griechenland – und die Ideen hinter ihrer politischen Strategie.

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er Wahlsieg der griechischen Linkspartei Syriza ist auch ein Sieg aller, die in den letzten Jahren gegen Kürzungspolitik auf die Straße gegangen sind. Doch der neuen linken Regierung stehen mächtige Gegner gegenüber. Die historische Bedeutung des Wahlsiegs der radikal linken Partei Syriza in Griechenland ist kaum zu überschätzen. Nicht zum ersten Mal stand die Linke in Griechenland kurz vor der politischen Machtübernahme. Am Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Kommunistische Partei (KKE) aufgrund ihrer entscheidenden Rolle im Widerstand gegen die brutale deutsche Besetzung an die Spitze einer breiten nationalen Koalition gespült. Doch dann griffen erst Großbritannien und später die USA ein, um im Verlauf eines blutigen Bürgerkriegs wieder eine Monarchie zu errichten. Anfang der 1960er-Jahre entwickelten sich Studierendenproteste und Arbeiterstreiks zu einer Massenbewegung gegen die Monarchie. Auch diesmal hatte die KKE großen Einfluss auf den Verlauf der Ereignisse. Im April 1967 ergriff die Armee die Macht, um einen Sieg der Linken zu verhindern. Und nun regiert eine Partei, die aus mehreren Abspaltungen der KKE hervorgegangen ist. Wird das griechische und internationale Kapital dieser linken Regierung diesmal eine Überlebenschance einräumen, statt wie früher linke Bewegungen zu zerschlagen?

Die Medien stellen den Sieg von Syriza hauptsächlich als ein Resultat des Charismas, der Professionalität und der Disziplin von Alexis Tsipras dar. Aber soziale und politische Erdbeben haben tiefere Wurzeln. Die griechische Gesellschaft war bereits durch die Traumata der Besatzung, des Bürgerkriegs gespalten, als sie in die neoliberale Ära eintrat. Massenproteste In den vergangenen dreißig Jahren erlebte Griechenland die schärfsten gesellschaftlichen Kämpfe in Europa, sowohl unter Mitte-links-

Die historische Bedeutung des Wahlsiegs der radikal linken Partei Syriza in Griechenland ist kaum zu überschätzen.

Regierungen (Pasok) als auch unter Mitte-rechts-Regierungen (Nea Dimokratia, ND). Sie erreichten in den Jahren 2010 bis 2012 angesichts der Durchsetzung einer brutalen Sparpolitik auf Geheiß der „Troika“, bestehend aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF),

Angela Merkel und JeanClaude Juncker zwingen die Syriza-Regierung dazu dieselbe katastrophale Sparpolitik fortzusetzen wie bisher Foto: EPP

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ihren Höhepunkt. Über dreißig Generalstreiks, Platzbesetzungen und Massenproteste stürzten Griechenland in Turbulenzen. Syriza verdankt ihren Aufstieg von einer eher unbedeutenden zu einer Regierungspartei binnen zwei Jahren diesen Massenbewegungen. Die sozialdemokratische Partei Pasok, die seit den 1980er-Jahren die politische Landschaft in Griechenland beherrschte, hat ihre soziale Basis weitgehend verloren. Syriza wurde zur wichtigsten Partei der städtischen Arbeiter_innenklasse. Nur aufgrund massiv geschürter Ängste konnte die ND unter Antonis Samaras damals 2012 noch einmal stärkste Kraft werden und erneut eine Regierung der Sparpolitik bilden. Seit den 1930er-Jahren hat kein entwickeltes kapitalistisches Land mehr ein solches, durch die Sparpolitik erzeugtes, materielles Elend erfahren. Diese Entwicklung ließ das Pendel umso mehr zugunsten der Linken ausschlagen. Hinzu kamen entschlossene Kämpfe, etwa gegen die faschistische Goldene Morgenröte oder Samaras’ Versuch, den öffentlichen Staatssender ERT zu schließen. Gemeinsam erreichten die Stimmen für die Linke fast 42,5 Prozent, einschließlich der KKE und der „Antikapitalistischen Front“ (Antarsya), die einen beträchtlichen Einfluss in der Arbeiter_innen- und Studierendenbewegung haben. Syriza trat mit einem Maßnahmenprogramm an, das die schlimmsten Auswirkungen der Sparpolitik rückgängig machen soll. Die neue Regierung steht jedoch vor einem strategischen Problem: Griechenland befindet sich aufgrund der „Absichtserklärungen“, die die diversen griechischen Regierungen in den Jahren 2010 bis 2012 mit der EU vereinbart haben, in einer Zwangsjacke. Ursprünglich hatte Syriza erklärt, sie wolle diese Absichtserklärungen aufkündigen, die Eurozone aber nicht verlassen. Neuerdings jedoch haben ihre Sprecher – zum Beispiel der neue Finanzminister Yanis Varoufakis – dieses Versprechen fallen lassen. Sie betonen stattdessen die Neuverhandlung der Rückzahlungsmodalitäten für

die griechischen Schulden. Viele bürgerliche Ökonomen unterstützen diesen Kurs. Allgemein wird anerkannt, dass die Staatsverschuldung mit 175 Prozent des nationalen Einkommens zu hoch ist, um zurückgezahlt zu werden. Gesellschaft mobilisieren Das jedoch lehnen EU-Präsident Jean-Claude Juncker, Bundeskanzlerin Angela Merkel und andere wichtige Personen in der EU strikt ab. Für die deutsche herrschende Klasse ist die Sparpolitik eine Möglichkeit, ihr Wirtschaftsmodell der hohen Exporte bei niedriger Inflation aufrechtzuerhalten. Merkel wird besorgt sein, dass ein Zugeständnis an Griechenland ähnliche Forderungen aus anderen europäischen Ländern zur Lockerung der Sparpolitik laut werden lässt. Podemos, die neue, aufstrebende Partei im spanischen Staat, hofft, dem Beispiel Syriza folgen zu können. Und auch Mainstream-Politiker in Portugal, Italien und sogar Frankreich würden sich darüber freuen, wenn der Griff Deutschlands in der Eurozone geschwächt wird. Die Regierung Tsipras ist also großem Druck von außen ausgesetzt. Wie kann sie dem begegnen? Der marxistische Politologe Stathis Kouvelakis, eine führende Person des linken Flügels von Syriza, argumentiert, dass „wir in Griechenland die Bestätigung der


Foto: Joanna (Flickr)

Gramsci-Poulantzas-Option sehen: die Macht durch Wahlen erringen und gleichzeitig die Gesellschaft mobilisieren“. Weiters erklärte er: „Der Staat muss von innen wie von außen erobert werden, von oben wie von unten.“ Nicos Poulantzas, ebenfalls ein griechischer marxistischer Politologe, war Ende der 1970er-Jahre ein Verfechter des „Kampfs innerhalb des Staats“. Auf diese Weise würden die „inneren Widersprüche des Staats zugespitzt

Die Linke wird sich daran messen lassen müssen, wie erfolgreich sie die Selbstorganisation, das Selbstbewusstsein und die Schlagkraft der Arbeiter_innen stärkt.

und zu einer tiefgreifenden Transformation des Staats führen, unterstützt durch Strukturen direkter Basisdemokratie“. Zwei Probleme werden bei einer solchen Strategie aufgeworfen: Als Erstes gibt es Grenzen, was die „inneren Widersprüche des Staats“ betrifft. Insbesondere benötigt ein

lebensfähiger kapitalistischer Staat den Repressionsapparat – die Armee, Polizei, Sicherheits- und Geheimdienste –, um die bestehende Ordnung aufrechterhalten zu können. Inzwischen wissen wir, dass es bei der Polizei viele Anhänger der faschistischen Goldenen Morgenröte gibt. Alternative Machtformen Revolutionäre Marxisten wie Antonio Gramsci, Lenin oder Leo Trotzki sind deswegen immer für eine andere Antwort eingetreten: Die einzige Möglichkeit, diesen Zwangsinstitutionen des Staats etwas entgegenzusetzen, besteht darin, dass Arbeiter_innen im Verlauf ihres eigenen Kampfs alternative Formen der Macht aufbauen. Das führt zu einem zweiten Problem: Typischerweise blockieren linke Regierungen diesen Prozess, um ihre eigene Autorität zu erhalten und ihren Verhandlungsspielraum mit der herrschenden Klasse zu erweitern. Zum Beispiel stellte sich die Volksfrontregierung Salvador Allendes in Chile im Vorfeld des Militärputsches im September 1973 gegen die Bildung von „Cordones“ – von Aktivisten der Arbeiter_innenklasse geschaffene Koordinationskomitees. Seit Anfang 2012 haben in Erwartung einer Regierung unter Tsipras Streiks und Proteste in Griechenland dramatisch abgenommen. Syriza-Unterstützer_innen haben im Mai 2013 einen Streik von

Lehrpersonal verhindert, der die Anti-Sparpolitik-Bewegung hätte wiederbeleben können. Kouvelakis gibt zu: „Wir haben keine ... starken und stabilen Organisationen der unteren („subalternen“) Klassen, die in Situationen zugespitzter Konfrontation kämpfen können.“ Hinzu kommt die ungewöhnliche Grundlage dieser neuen Regierung: eine Koalition mit der rechten Partei Unabhängige Griechen (Anel), die ebenfalls die Austeritätspolitik ablehnt. Das lässt eine weitere Demobilisierung erwarten. Gerechtfertigt wird diese Entscheidung als ein Weg, eine stabile Regierung für Syriza zu schaffen, der zwei Sitze zur parlamentarischen Mehrheit fehlen. Aufbau von Gegenmacht Dem widerspricht aber, dass Syriza sich auf die Unterstützung oder Stimmenthaltung von 15 kommunistischen Abgeordneten ver-

lassen könnte. Die Bildung dieser Koalition war nicht nur unnötig, sondern sie brachte eine Partei in die Regierung, die vor allem den „harten Kern“ des Staatsapparats schützen will. Ihr Führer, Panos Kammenos, ein Homophober und Antisemit mit Verbindungen zu den großen Reedern Griechenlands, sitzt nun einer Sektion dieses „harten Kerns“ als Verteidigungsminister vor. Mit ihr wird es sehr viel schwieriger werden, Einheit zwischen den „Urgriechen“ und den zugewanderten Arbeiter_innen herzustellen, wie es mit den antirassistischen Kampagnen versucht worden ist. Inzwischen weiß man, dass es in der Polizei viele Goldene Morgenröte-Anhänger gibt. Obwohl ihr Führer eingesperrt wurde, ist die Goldene Morgenröte noch lange nicht erledigt. Sie wurde bei den Wahlen mit 6,3 Prozent drittstärkste Partei, das ist nur etwas weniger, als sie 2012 erreicht hat. Syriza ist also mit mächtigen Gegenspielern von außen wie von innen konfrontiert. Sie wird diese nicht dank des Charmes ihrer Minister oder ihres Verhandlungsgeschicks überwinden können. Die Stärke der Linken in Griechenland hängt von dem Wiederaufleben und der Ausdehnung der Massenbewegung ab, die sich in den Jahren 2009 bis 2012 Bahn brach. Linke sollten den Sieg der neuen Regierung feiern und die fortschrittlichen Maßnahmen unterstützen, die sie ergreift. Aber die gesamte Linke Griechenlands wird sich daran messen lassen müssen, wie erfolgreich sie die Selbstorganisation, das Selbstbewusstsein und die Schlagkraft der Arbeiter_innen stärkt. Nur so kann der Sparpolitik ein Ende gesetzt werden. Alex Callinicos ist Professor für Europäische Studien am King’s College London und führendes Mitglied der Socialist Workers Party (SWP)

In ganz Europa konnte Syriza begeistern

Foto: Die Linke

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Der neue griechische Finanzminister Yanis Varoufakis muss mit der Troika verhandeln

Die Politik von Merkel und der Verfechter von Austeritätspolitik (die Kombination von Sozialabbau, Sparpolitik und Privatisierung öffentlicher Dienste) gegenüber Griechenland aus der Sicht der Arbeiter_innen zu kritisieren ist eine Sache. Sie erscheint schlichtweg brutal und hemmungslos antisozial. Wenn man Austerität nach den Maßstäben der bestimmenden EUPolitiker beurteilt, dann scheint sie vor allem die Währungsunion zu gefährden und alle Projekte, die daran hängen. chischen Steuerzahler_innen.

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Ende der Währungsunion?

er Euro war ein ehrgeiziges Projekt von Deutschlands und Frankreichs Eliten mit dem Ziel, mit den USA und Asien am Weltmarkt konkurrieren zu können. Eine gemeinsame Währung von Regionen mit verschieden starker Wirtschaftskraft ist aber nicht billig und hat zur Voraussetzung, dass man einen Ausgleich schafft, sonst kann eine Währungsunion nicht funktionieren. Die schwächeren Regionen würden mit dem Verlust ihrer eigenen Währung auf viele Möglichkeiten verzichten, ihren Staatshaushalt zu steuern und müssten sich stattdessen immer stärker verschulden, weil sie ja weiterhin alle ihre öffentlichen Ausgaben finanzieren müssen, sowie Investitionen tätigen, usw. In den Boomjahren 2002 bis 2007 wäre es leichter gefallen einen Ausgleich zu schaffen als seit Ausbruch der Krise. Stattdessen bauten vor allem Deutschland und Frankreich ihren Vorteil noch aus. Im Falle Griechenlands kam noch hinzu, dass Korruption der europäischen Wirtschaftseliten die Finanzlage verschlimmert hat. Unter Anleitung der großen internationalen Finanzinstitute wurden die Börsenkontrollen gelockert und über Griechenland konnten Unsummen in sehr riskante Geschäfte in Russland und anderen Ländern des Ostens investiert werden. Die Verluste waren gewaltig und büßen müssen dafür die grie-

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Das Verhalten gegenüber Griechenland, und zuvor Portugal oder Irland wird die Euroskeptiker in den gefährdeten Volkswirtschaften Europas in ihren Sorgen bestätigen. Als lehrreiches Beispiel dafür, wie eine ernst gemeinte Währungsunion aussehen müsste, ist die deutsche Wiedervereinigung. Laut dem Kölner Institut der deut-

die europäische Währungsunion müsste einen solchen Weg gehen, wollte sie überleben, wie vor allem Merkel und ihrem Finanzminister Schäuble bewusst sein muss. Stattdessen verlangt man von den ärmeren Volkswirtschaften, sie sollen sich über Kredite finanzieren und die Schulden durch Einsparungen ableisten. Das kann schwerlich gutgehen und wirft Fragen über die Prioritätensetzung der deutschen Regierung und der

Suppenküchen: Das sind die Folgen der Austeritätspolitik

schen Wirtschaft Köln (IW) zahlten westdeutsche Arbeitnehmer über den Solidaritätszuschlag auf ihre Lohnsteuer in 20 Jahren über 1,9 Billionen US-Dollar an Transferleistungen nach Ostdeutschland. Umgekehrt übersiedelten 2 Millionen Arbeitskräfte in den Westen. Dabei blieb man nicht stehen, sondern die Steuereinnahmen aus ganz Deutschland werden gesammelt und über den Länderfinanzausgleich verteilt. Auch

Europäischen Zentralbank auf! Wir wollen hier nicht zur Rettung der europäischen Währungsunion aufrufen! Aber es sind die mächtigsten EU-Politiker, welche ihre antisoziale Politik damit rechtfertigen, dass es ihnen um den Erhalt der Währungsunion gehe. Die weiteren Folgen „Wenn die Bundesregierung jetzt nicht nachgibt, muss Griechenland den Euro verlassen. Ich würde für

Foto: Commons

von Manfred ECKER

diesen Fall einen massiven Finanzschock erwarten – einen, der um ein Mehrfaches größer ist als der, der durch den Kollaps der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers im Jahre 2008 verursacht wurde“, schreibt Wolfgang Münchau, ein Kolumnist beim Spiegel und der Financial Times. Der Austritt Griechenlands aus der Eurozone ist eine Schreckensvision für das Kapital weltweit, das seit Ausbruch der „Großen Depression“ 2008 (Michael Roberts) keine wirkliche Erholung erlebt hat und jederzeit wieder abstürzen kann. Aus der Warte des Kapitals ist Merkels Strategie trotzdem nicht völlig irrational. Die Kapitalisten werden erst dann wieder im großen Maßstab zu investieren beginnen, wenn sie genügend Profite erwarten können. Sie wollen um jeden Preis die Arbeitskosten oder Lohnstückkosten senken und die Beiträge, welche die Unternehmer dem Staatshaushalt zuführen müssen. Dazu gehört die Beschneidung der Rechte von Gewerkschaften, Senkung der Pensionen und Arbeitslosengelder und mehr Privatisierungen. Nur arbeiten griechische Arbeiter_innen heute schon mehr Stunden als andere Arbeiter_innen in Europa. Wenn sich Merkel durchsetzt und Syriza dazu bringt, ihre Bedingungen anzunehmen, dann wird das den Lebensstandard der Menschen weiter senken. Ob das den europäischen Kapitalismus rettet, steht überhaupt nicht fest.

Foto: Icommons/Robert Crc

Merkel-Kurs ist Angriff auf Lohnabhängige in ganz Europa


Foto: Ministerium für aus für auswärtige Angelegenheiten

Eine Geschichte der Einmischung in griechische Politik Im Jahr 1821 erkämpfte sich Griechenland die Unabhängigkeit von der Türkei. Trotz seiner Lage gelang es der griechischen Monarchie, sich dem russischen Machteinfluss zu entziehen. Dafür musste es eng mit England zusammenarbeiten. England brauchte Griechenland wegen des kurzen Handelswegs zu seiner wichtigsten Kolonie Indien. Aufgrund seiner geografischen Lage wurde das Land immer wichtiger.

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ngland und die USA taten alles, um ihren Machteinfluss über Griechenland aufrechtzuerhalten. Dementsprechend intervenierten sie mehrfach in die griechische Politik. Gemeinsam mit den herrschenden Eliten in Griechenland führten sie einen blutigen Kampf gegen die Kommunistische Partei. So wurde mit der gesamten Gewalt des Staatsapparates eine kommunistische Regierung verhindert. Faschisten gegen Arbeiter 1936 ernannte König Georg II. den Faschisten Metaxas zum Regierungschef, um einem Generalstreik vorzubeugen. Metaxas verhaftete um die 50.000 Mitglieder der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE). Er sah sich als den einzig wahren Faschisten: „Wenn Hitler und Mussolini wirklich für die Ideologie kämpfen würden, die sie predigen, würden sie Griechenland unterstützen“. Trotzdem marschierte die Wehrmacht in Griechenland ein. Die deutsche Besatzung Griechenlands war brutal, rund 550. 000 Menschen wurden ermordet. Die wesentlichen Widerstandsgruppen waren die EAM bzw. ihre

merhin Teil seiner Internationalen war, im Stich. Fehlende Linksregierung

1964 wurde die bis dato regierende rechte Partei ERE abgewählt und die Zentrumsunion kam an die Macht, die für soziale Vermilitärische Organisation ELAS besserungen kämpfte. Die Löhne England akzeptert Bürgerkrieg und die EDES. Die EAM/ELAS stiegen und politische Gefangene war ein breites Bündnis zwischen Nach dem Rückzug der Deut- wurden freigelassen. Die StaatsSozialdemokraten, Christen und schen übernahm die EAM die maschinerie (Armee, Polizei, Jusder KKE. Kontrolle über weite Teile Grie- tiz) blieb weiterhin unter Kontrolchenlands. Es entwickelte sich le der Rechten. Diese wollten die Alliierte verraten Widerstand ein Bürgerkrieg zwischen Mon- Veränderung nicht hinnehmen. Im Gegensatz zu den Tito-Parti- archisten und den Kommunisten, Deshalb planten Militärs einen sanen in Jugoslawien wurden die der bis 1948 dauerte. Die Briten Putsch. Wie viel der König und griechischen Partisanen von den bombardierten die Partisan_in- die Amerikanische Diplomatie Alliierten bekämpft. In Teheran nen der ELAS, marschierten ein, von den Putschplänen wussten, ist schlossen Stalin und Churchill ein entmachteten die EAM und in- umstritten. Fakt ist aber, dass die Abkommen über die Aufteilung haftierten tausende Partisanen. CIA gute Kontakte zum Führer Europas ab. Jugoslawien sollte Durch die militärische und finan- des Putsches Papadopoulos hatzur russischen, Griechenland zur zielle Unterstützung Englands ge- te. Fakt ist auch, dass sich weder englischen Einflusszone kom- wannen die Monarchisten. Stalin der König noch die USA oder men. Churchill fürchtete die Be- hielt sich gemäß des Abkommens die Nato gegen die Putschisten liebtheit der Partisanen und den zurück, und lies die KKE, die im- stellten. Am 21. April 1967 rollstarken Einfluss der Kommuten Panzer durch die Straßen nisten. Als sich die deutsche Athens und potenzielle GegNiederlage im Verlauf des ner_innen des Putsches, JourKrieges abzeichnete und Grienalisten, Gewerkschafter und chenland für die Wehrmacht, Kommunisten, wurden verhafwegen des Widerstands der tet. Schon am 23. Januar 1968 Partisanen, zu verlustreich erkannte die USA die Putschwurde, stellte der deutsche regierung an. Griechenland Sonderbevollmächtigte Herdiente den USA einerseits als mann Neubacher fest: „Die Einflussgebiet am Balkan gegen Alliierten sehen tatenlos zu, wie die Sowjetunion, andererseits wir unsere Truppen aufs Festals Brückenkopf zum Nahen land verlegen ..., aber sie moOsten. Die 6. U.S.-Flotte hatte bilisieren Truppen gegen unsere ab 1971 ihren Hauptstützpunkt Rückzugsrouten, sie wollen unin Griechenland. Gestürzt wursere Truppen solange am griede das Regime erst im Zuge des chischen Festland halten, bis sie Der griechischer König (Mitte) umringt Aufstands und der Protestbeweselbst einmarschieren können, so von den Führern des Putsches gung von 1973 bis 1974. Foto: Olga Constantine

von David REISINGER

wollen sie eine Revolution verhindern“. Diese Vermutung wird von britischen Beamten bestätigt: „Es würde uns schaden, wenn die Deutschen in Griechenland kapitulieren, bevor unsere Truppen in der Lage sind in Griechenland einzumarschieren. Das nützt nur der EAM.“

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Die hier veröffentlichten Briefe und Berichte repräsentieren nicht

zwangsläufig die Meinung der Redaktion von Linkswende.

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hapel Hill – obwohl ich noch nie vor Ort war, wird mir der Name dieser Stadt wohl ewig in Erinnerung bleiben. Sie ist für mich zum Synonym für Ungerechtigkeit und Scheinheiligkeit geworden. Es war Mittwoch, der 11. Februar als ich in einem sozialen Netzwerk auf den ersten Artikel stieß. Das war ein Tag nach dem Attentat, bei dem der US-Amerikaner Craig Hicks, bekennender Anti-Theist, in Chapel Hill, North Carolina, den 23-jährigen Deah Shaddy Barakat, seine Frau Yusor Mohammad Abu-Salha, 21, und deren Schwester Razan Mohammad Abu-Salha, 19, mit jeweils einem Kopfschuss kaltblütig hingerichtet hat. An die Schlagzeile kann ich mich nicht mehr wortwörtlich erinnern; „Muslim students killed in Chapel Hill shooting“, oder so ähnlich. Das Gefühlschaos in diesem Moment war jedoch enorm. Es ist fast unbeschreiblich. Seit dem Vorfall von Charlie Hebdo passiert mir das bei fast jeder negativen Schlagzeile. Es ist Trauer und Angst und Leid. Trauer um unschuldige Leben, Angst vor den nächsten Auswüchsen. Und ich bin es leid, dass von mir ständig von Politikern,

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Muslim, bist du keine Schlagzeile wert, wirst nicht in einer Rede eines Politikers erwähnt, sehen es die meisten Menschen nicht als erforderlich an einer Mahnwache teilzunehmen.Auch wenn der Hashtag #AllLivesMatter in den sozialen Netzwerken seine Runde gemacht hat, sind wir in der Realität noch weit davon entfernt. Asalamu alaikum, Ismail Koc

Es gibt kein Zurück in Ägypten

ch werde oft gefragt, ob es Hoffnung für den Erfolg der ägyptischen Revolution gibt? Die Ermordung von Shaimaa El Sabbagh am 4. Jahrestag des Beginns der ägyptischen Revolution ist ein Zeichen für uns, als Ägypter und als Verteidiger der Menschenrechte: unser Kampf für Brot, Freiheit und sozialer Gerechtigkeit, muss weitergehen. Deswegen ist es der Jahrestag einer anhaltenden Revolution und nicht einfach eine Erinnerung an die 18 Tage Sit-In am Tahrir-Platz. Als wir vor vier Jahren die Straßen eroberten, wussten wir, dass der Kampf gegen Jahrzehnte der Korruption und Mangel an Verantwortlichkeit, nicht schnell oder einfach sein wird und dass wir einen enormen Preis dafür bezahlen werden. Doch, was den

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Medien, ja sogar Arbeitskollegen, Nachbarn und Bekannten erwartet wird, ich soll mich distanzieren. Warum und wie soll ich mich von etwas distanzieren, das meiner Überzeugung so fern ist, dass ich es eigentlich als tiefe Beleidigung empfinde, ständig in einen Topf mit Terroristen geworfen zu werden? Außerdem war ich angewidert von der Scheinheiligkeit der Politik und der Medien. Angewidert von der Scheinheiligkeit vieler Menschen. Vergeblich habe ich nach Berichten zu diesem Vorfall in deutschsprachigen Medien gesucht. Erst nach einigen Tagen fand ich in Onlinezeitungen kurze Beiträge, immer mit der Betonung das Motiv des Täters sei noch unklar, es handle sich womöglich um einen Parkplatzstreit. Seien wir doch ehrlich. Wäre der Täter gläubiger „Muslim“ gewesen, so würde die Polizei nicht nach einem konkreten Auslöser für die Tat suchen und darüber spekulieren, ob es sich womöglich um einen Parkplatzstreit handeln könnte. Keine Spur von Objektivität. Keine Spur von Qualität. Kein Ansatz von Gerechtigkeit, ein Wert in dessen Namen der Westen sogar Kriege führt. Wirst du kaltblütig ermordet und bist

Foto: privat

#AllLivesMatter – aber nicht in unserer Welt!

Kampf am Laufen hält, speziell für junge Menschen wie ich einer bin, ist die Eskalation des Blutvergießens und der Ungerechtigkeit, gegen jeden, Aktivisten eingeschlossen, und auf der anderen Seite die steigende Armutsrate und die Verschlechterungen der Dienstleistungen.

Wir haben in dieser Konterrevolution Leben verloren, jedoch gleichzeitig mehr Menschen für die revolutionäre Seite gewonnen und decken weiter die unvermeidlichen Konsequenzen der nicht-demokratischen Regime der letzten Jahre auf. Der Kampf für die Revolution muss weitergehen, weil es kein Zurück gibt. Wir können die Toten nicht wieder lebendig machen. Sie haben den Preis bezahlt und die Straßen erobert, im Bewusstsein darüber, eingesperrt oder getötet zu werden. Ich habe gelesen was Shaimaa auf ihrer Facebook-Seite geschrieben hat. Sie wusste sehr gut, dass ihr Protest ge-

SCHREIB UNS Linkswende lebt von Kommentaren, Reaktionen und Berichten. Deshalb die Bitte an dich: Schreib uns! Wir freuen uns über Post und drucken gerne die eingesendeten Beiträge ab. E-Mail: redaktion@linkswende.org Post: Linkswende Kettenbrückengasse 5/102, 1050 Wien

gen das „Anti-Protest“-Gesetz in Ägypten gefährlich ist und trotzdem wollte sie ihre Blumen in Tahrir niederlegen, nicht nur für jene die gestorben sind. Für mich war es wie eine Erinnerung an alle, dass der Kampf weitergeht. Lasst Shaimaa und hunderte Andere, die ihr Leben im Namen der Freiheit und für ein besseres Leben geopfert haben, nicht fallen. Es gibt Hoffnung, solange das Bewusstsein der Revolution, die Leute in Solidarität zusammenbringt, der Korruption und Ungerechtigkeit, mutig und unerschöpflich entgegenzutreten. Evronia Azer

Menschenrechtsaktivistin aus Alexandria, Ägypten


Foto: Sherif9282 (Wiki Commons)

Koptische Christen nahmen während der Revolution eine zentrale Stellugn ein und wurden von Muslimen verteidigt, während sie, wie hier am Tahrir-Platz im Februar 2011, gebetet haben

Ägypten: Konterrevolution und Widerstand von Tom D. ALLAHYARI

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um Entsetzen aller fortschrittlichen Beobachter wurde der ehemalige Diktator und Massenmörder Mubarak freigelassen. Das konterrevolutionäre Regime schlägt gegen Revolutionär_innen los, sperrt Blogger und Linke und Aktivist_ innen zu Tausenden ein und lässt sie brutal foltern. Sind diese Folterungen in den „offiziellen“ Gefängnissen schon extrem grausam, so sind die Zustände in Geheimgefängnissen wie Maskar Zaqaziq unbeschreiblich. In den Gefängnissen der Armee werden „Verschwundene“ und Zivilist_innen mit heißem Öl und Elektroschocks bearbeitet. Menschenrechtsgruppen und Opfer sind sich einig: Unter al-Sisi sind Repression und Folter schlimmer als unter Mubarak. Rache an den Ultras Nun rächte sich das Regime an den Ultras – Fussballfans, die 2011 in den revolutionären Kämpfen in den Straßen eine Speerspitze gegen die Polizei bildeten. Die Revolutionären Sozialisten in Ägypten schrieben in einem Statement: „Das Massaker an den Ultras Ahlawy in Port Said war ein Racheakt der Polizei gegen die Jugend, die ihr in der Januarrevolution eine

harte Lektion erteilt hat. Heute passiert dasselbe mit den ZamalekFans. Der Ruf der Ritter in den Stadien: ‚Freiheit in unserem Land, wir sind keine Sklaven ... Zwischen dem Staat und der Revolution ist das Blut der Freiheitskämpfer!‘ hat das dumme Regime nicht verstanden.“ Taktiken der Konterrevolution Der ägyptische Sozialist Haitham Muhammadain verfasste einen „Brief an die revolutionäre Jugend“ über die Taktiken des Regimes: „Der erste Schachzug der Militärführung war, sich mit Mubaraks Absetzung einverstanden zu erklären. Die Platzbesetzungen brachen zusammen, auch weil keine revolutionäre Partei vorhanden war, die helfen hätte können, die Massen zu überzeugen, die Besetzungen aufrecht zu erhalten, bis das Regime vollständig gefallen ist. Das Regime griff daraufhin gewaltsam die kleine Minderheit an, die noch am Tahrir-Platz ausharrte und begann gegen streikende Arbeiter_innen vorzugehen. Danach begann eine beispiellose Medienkampagne gegen die Arbeiter_innenbewegung, die ‚selbstsüchtig die nationale Wirtschaft bedrohe.‘“ Der Militärjunta unter dem Vorsitzenden des Obersten Militärrates Hussein Tantawi gelang es, einige Gewerkschaftsführer zu

bestechen, später griff man zu direkter Repression, indem ein Gesetz eingeführt wurde, das Streiks zu kriminellen Akten erklärte. Beschuldigte wurden vor Militärgerichtshöfe gestellt. Die zweite Taktik, die das Militärregime anwandte, war, die Massenbewegung zu fragmentieren, indem man die Armen und Unterdrückten auf der Basis von Religion spaltete. Die koptische Minderheit Die koptisch-christliche Minderheit litt und leidet unter der gleichen Armut und Unterdrückung wie die Muslime. Als zu Beginn der Revolution Mubaraks Innenministerium Anschläge auf Kirchen organisierte, gingen die Kopten auf die Straße. Sie demonstrierten nicht gegen Muslime, sondern gegen die Verwicklung der Polizei in die Anschläge. Ihre Beteiligung machte die revolutionäre Bewegung erst komplett.

Die Jännerrevolution vereinte Studierende, Arbeiter_innen, die Christen und die Frauen in ihrer Forderung nach Freiheit, sozialer Gerechtigkeit und menschlicher Würde. Das Verfassungsreferendum im März 2011 diente dem Ziel der Generäle, diese Einheit zu sprengen. Für die Kopten sah es bald so aus, als hätte die Revolution damit geendet, dass Ägypten als „rein islamisch“ definiert wurde. Der Höhepunkt der Spaltungspolitik des Regimes war das MasperoMassaker am 9. Oktober 2011, bei dem Soldaten und Salafisten Christ_innen töteten. Dieses traurige Ereignis trieb die christliche Minderheit zuerst in die Isolation der Kirchen und wenig später in die Arme des Regimes, das sich zynisch als Beschützer der religiösen Minderheiten präsentierte. Statements der Revolutionären ­Sozialisten: www.global.revsoc.me

Foto: English Al Ahram

Der neue ägyptische Diktator al-Sisi ist willkommener Gast im Vatikan, Davos, Paris und bei der UN-Generalversammlung. Nirgendwo fiel ein Wort über die vielen Folterberichte, die aus den Geheimgefängnissen seines Regimes dringen.

Das Militärregime rächt sich an revolutionären Fußballfans

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Foto: Kulturpol. Aschermittwoch

von links nach rechs: Willi Mernyi, Uwe Sailer, Blonder Engel, Fabian Grabner und Karl Öllinger

Es lebe der Kulturpolitische

Foto: Linkswende

1993 zum ersten Mal abgehalten, begeisterte der Kulturpolitische Aschermittwoch als Gegenpol zur FPÖ hunderte Besucher_innen in Ried im Innkreis. 2014 wurde die Veranstaltung nach mehrjähriger Pause wiederbelebt. Vor 400 Zuschauer_innen trieben heuer der „Angstgegner der FPÖ“ Uwe Sailer, Aufdecker Karl Öllinger, der Vorsitzende des Mauthausen-Komitees Willi Mernyi und der Musiker und Kabarettist „Blonder Engel“ ihre Scherze mit den Freiheitlichen. Eine Reportage von David ALBRICH mit Auszügen aus den Reden. Die Reden gibt es auf dem Youtube-Kanal von Linkswende „Linkswende Österreich“ zu sehen.

Karl Öllinger ist ehemaliger Abgeordneter der Grünen und Betreiber der Website „Stoppt die Rechten“

Karl Öllinger: „NS-Führerschein für Freiheitliche“

„Heut mach’ ich mir eine Hetz’ aus dem Strache ... Der Verkehrsminister hat vor wenigen Tagen eine Novelle zum Verbot von Nazi-Codes bei KFZ-Kennzeichen angekündigt ... Soweit eine sehr gute Idee, aber ich rege an, es wäre eigentlich notwendig eine Gesetzesinitiative zum Verbot von NS-Codes bei der FPÖ und vorher eine Verpflichtende Einschulung für freiheitliche Politiker zu machen. So etwas wie eine NS-Führerscheinprüfung für freiheitliche Politiker. Wer sich blöd stellt, und nicht weiß, was ‚88‘ (Code für ‚Heil Hitler‘, Anm.) bedeutet, der fliegt raus. Ich sage euch, da hätten wir einige Freiheitliche weniger.“ Strache musste in mehreren Interviews wie in der ORF-Pressestunde rechtfertigen. „[Strache:] Was 88 heißt ist mir nicht bekannt, und was da interpretiert wird für Unsinnigkeiten, das ist ja alles ein Wahnsinn. [Hans Bürger:] Aber dass Sie nicht wissen, dass ‚H‘ der achte Buchstabe im Alphabet ist und zwei Mal 8 ‚HH‘ heißt, und das in den einschlägigen Kreisen „Heil Hitler“, haben Sie wirklich noch nie darüber gehört? [Strache:] Na schauen Sie, die Zahl 8 hat also unterschiedliche , ist ja eine mystische Zahl wie Sie wissen, die in allen Religionsgemeinschaften und in allen Mythen auch eine Bedeutung hat...“ „Wie wichtig die NS-Führerscheinprüfung wäre, zeigt aber auch ein aktueller Vorfall. 2014 ging aus dem FPÖ-Klub eine Presseaussendung des Abgeordneten Deimek hinaus: ‚Die Sanktionskeule scheint zum 88 (sic!) bestimmenden Werkzeug der europäischen Außenpolitik zu werden.‘ ... Der für die Pressestelle verantwortliche Kickl erklärte: ‚Das ist alles längst geklärt. Die kleine Tochter des Pressereferenten hat zwei Mal die 8 gedrückt.‘“

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„Wir wollen Ried von der blauen Vereinnahmung befreien“ David ALBRICH hat mit dem Sprecher und Moderator des Kulturpolitischen Aschermittwochs Fabian GRABNER gesprochen. Wofür steht der Kulturpolitische Aschermittwoch?

Fabian Grabner: Das Ziel der Veranstaltung ist zum einen Ried im Innkreis am Aschmittwoch von der blauen Vereinnahmung zu befreien. Zum anderen geht es darum, den Menschen, gerade an diesem Tag, an dem Strache in der Stadt ist, auf dessen immer wiederkehrenden Verstrickungen in Rechtsextreme Kreise hinzuweisen. Der Kulturpolitische Aschermittwoch ist 2003 eingeschlafen, da nach der Trennung BZÖ/FPÖ auch in Ried kein bundespolitischer Spitzenpolitiker anwesend war und die Veranstaltung damit ihren Sinn verloren hatte. Strache macht sich wie Haider auf Kosten der Kleinen und Unterdrückten mit billigen Schmähs lustig. Wie bedrohlich ist das?

Strache ist gefährlich, äußerst gefährlich. Seine Politik funktioniert nur durch das Hintreten auf Minderheiten und Schwächere. Er schürt Ängste und er schürt vor allem Hass. Dass einer seiner Zuhörer oder eine Zuhörerin, aufgestachelt durch ihn, nach der Veranstaltung einem Migranten

oder einem politisch Andersdenkenden tätlich angreift, ist bereits vorgekommen und kann wieder vorkommen. Es tut gut, den Kulturpolitischen Aschermittwoch in Ried zu sehen, weil damit die Hetze nicht unwidersprochen bleibt.

Es gab lange die Überlegung, ob der Strache-Veranstaltung mit einer Gegendemonstration getrotzt werden sollte. Der Zugang, der von uns dann allerdings gewählt wurde, war der, dass es vor allem auch nötig ist, die denkende Gesellschaft im Innviertel dahingehen zu informieren, um was es bei diesem Strache eigentlich geht, wie diesen Problemen begegnet werden kann und dass vor allem die künstlerische Crème de la Crème kritisch dieser Gesinnung gegenübersteht. So verbinden wir Unterhaltung mit politischen Input und sind eben: Kulturpolitisch. Fabian Grabner ist Sprecher der parteiunabhängigen Initiative Kulturpolitischer Aschermittwoch und geschäftsführender Bezirksvorsitzender der SPÖ in Ried im Innkreis


Hintergrund Der Kulturpolitische Aschermittwoch in Ried im Innkreis fand erstmals 1993 statt und war unmittelbar gegen die FPÖ und Rassismus gerichtet. Künstler_innen wie Josef Hader und Otto Schenk gaben seither auf der Bühne ihr Bestes. Ried hat eine schwere Vergangenheit. Bereits 1921 wurde dort die erste NSDAP-Versammlung abgehalten. Ernst Kaltenbrunner, der Chef der zentralen Tötungs- und Terrormaschine der Nazis (Reichssicherheitshauptamt, RSHA) stammte

aus Ried im Innkreis. In diese Stadt zog 1992 Jörg Haider ein, dessen Vater für die illegalen Nazis gekämpft hatte, und veranstaltete den ersten politischen Aschermittwoch der FPÖ in der JahnTurnhalle. Haiders Aufstieg schien seit der Übernahme der Freiheitlichen 1986 ungebremst. Die Hetzreden gegen Ausländer_innen und unterdrückte Minderheiten verunsicherten viele. Im Jahr 2001 sagte Haider über den damaligen Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Ariel Muzicant, dass er „nicht verstehe, wie

jemand der Ariel heißt, so viel Dreck am Stecken habe“. Im Jahr des Anti-AusländerVolksbegehrens der FPÖ, 1993, organisierten lokale Kulturinitiativen den ersten Kulturpolitischen Aschermittwoch gegen die blaue Vereinnahmung. Die Veranstaltung machte vielen Menschen Mut und fand bis 2003 durchgehend statt. Nach 2003 löste sich die Bewegung mehr oder weniger auf. Auf Initiative verschiedener Organisationen von den Grünen über die SPÖ bis zu Gewerkschaften wurde die Veranstaltung 2014 wiederbelebt.

Uwe Sailer: „Das ‚Volk‘ krakeelt heute in der Jahnturnhalle“

Foto: Kulturpol. Aschermittwoch

Aschermittwoch in Ried „Sammelbecken der österreichischen Rechtsextremen und Neonazis ist die FPÖ. Wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen mehr denn je, dass diese Partei nur formalrechtlich, nicht aber inhaltlich demokratisch aufgestellt ist. Die FPÖ lehnt grundsätzlich die Gleichheit der Menschen ab. Sie reduziert diese Gleichheit mitsamt ihrer demokratischen Einrichtungen auf den Begriff ‚Das Volk‘. Und dieses Volk krakeelt heute in der Jahnturnhalle.“ „‚Wir sind das Volk‘, ruft Pegida. Strache verkündet: ‚Die FPÖ ist Pegida.‘“ Auf der Uwe Sailer ist Datenforensiker Pegida-Demonstration in Linz waren „FPÖ- und RFJ-Funktionäre. Begleitet wurden sie von Krawattennazis, die sich gerne als Bürger der Mitte ausgeben und von schla- und unterstützt den Aufdeckergenden Burschenschaftern, die mit den Schmissen in ihren Gesichtern. Letztere gel- Blog „Heimat ohne Hass“ ten als die Wiederentdecker der Wortschöpfung ‚Lügenpresse‘, die nur dem System diene. Schon im ersten Weltkrieg wurde dieses Wort zur Diffamierung ausländischer Medien missbraucht. In der NS-Zeit galt es Kritikern, sozialistischen und kommunistischen Medien. ‚Ungehemmter denn je führt die rote Lügenpresse ihren Verleumdungsfeldzug durch‘, vermerkte Joseph Goebbels einst in seinem Tagebuch. Und heute, heute hören wir es wieder. ‚Die Presse lügt!‘, skandierte ‚das Volk‘ und fordert Demokratie, um diese nach ihren Vorstellungen zu formen. Und die anderen, sind die nicht das Volk, jene, die sich diesen Hetzern entgegenstellen? Sie werden beschimpft und bedroht. Ihnen wird schon mal der Strick gewunschen oder eine Dusche ohne Rückkehr. Kennen wir das nicht alles?“

Foto: Linkswende

Willi Mernyi: „Unterschätzen wir Rechtsextremisten nicht“

„Unser erster Fehler ist die Präpotenz. Ich kann das nicht mehr hören, wenn einer sagt, der HC Strache ist ja nur ein Zahntechniker. Mit dieser Präpotenz verlieren wir. Sein Job hat nichts mit dem zu tun, was er ist. Er ist ein Rechtsextremist.“ „Was machen Rechtsextremisten und Demagogen? Hass schüren, Neid schüren. Sie wiegeln die Bevölkerung auf ... Diskutiere einmal mit einem Menschen, der Willi Mernyi ist Vorsitzender des überzeugt ist, dass er immer Recht hat. Das beste, spannendste, vom Inhalt trieMauthausen Komitees und hält fendste Argument, was du kennst, ist ihm: wurscht.“ Wie soll man mit DemagoWorkshops passend zu seinem gen umgehen? Beim Zusammentreffen „geht es um seinen Sieg und um deine Buch „Demagogen entzaubern“ Niederlage. Es ist das Wesen eines Demagogen, dass er versucht zu vernichten ... Zuerst muss man seinen Redefluss stoppen, erst dann kann man seine Argumente und Fakten auspacken.“ „Manchmal musst du schauen, dass der, der angreift – primitiv und meistens rechtsextrem – ausgelacht wird. Wenn er ausgelacht wird, das verträgt das Führerimage nicht ... Wenn einer meint, er muss Politik machen, dann müssen wir ihm Paroli bieten.“ „Wir können auch von Demagogen etwas lernen... Es kann doch nicht sein, dass wir, die die Inhalte haben, die knackigen Sätze denen überlassen, die hetzen. Der Gescheitere gibt nach? Nur, das bedeutet, dass dann die Depperten die Welt regieren. Darum bin ich nicht dafür, dass er Gescheitere nachgibt.“

Foto: Enno Lenze (Flickr)

Wiener Neustädter Grüne mit FPÖ und ÖVP im Boot von Manfred ECKER

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ie Wiener Neustädter Grünen stimmen gemeinsam mit der Liste Haberler, der Liste Sluka-Grabner und der FPÖ für einen ÖVP-Bürgermeister und sorgten für die Ablöse der langjährigen SPÖ-Stadtregierung. Der neue ÖVP-Bürgermeister Klaus Schneeberger kam auf 22 von 40 Mandaten. Das eine Mandat der Grünen war nicht ausschlaggebend. Der Grüne Matija Tunjic, der nicht mit Rechtsextremen zusammenarbeiten wollte, stimmte ungültig. Die Fraktionsobfrau, die gleichzeitig Nationalratsabgeordnete ist, Tanja Windbüchler, stimmte für Schneeberger und diente der rechten Koalition als Verschönerung. Der Lohn dafür ist lächerlich: der Vorsitz im Kontrollausschuss. Sie argumentierte das damit, dass sie einen „autofreien Hauptplatz“ erreichen könnte. Doch diesem Vorschlag hat bis jetzt nur die ÖVP zugestimmt, zusammen mit den Grünen sind das aber zu wenig Stimmen. Der ehemalige Abgeordnete der Grünen Karl Öllinger meinte dazu: „Die sind das fünfte Rad am Wagen und glauben, sie können die Koalition irgendwie anschieben.“ Schnittmenge Islamophobie Die Zusammenarbeit mit der ÖVP bringt den Wiener Neustädter Grünen nichts außer den schlechten Ruf, dass sie auch mit Rechtsaußen kooperieren würden. Wolfgang Haberler (Liste Haberler) schrieb mit dem verurteilten Holocaustleugner Gerd Honsik in den 1980er-Jahren für die rechtsextreme Zeitung Gesellschaft der Völkerfreunde. Die Liste Sluka-Grabner meinte in einer Presseaussendung: „Alleine der Umstand, dass wir es soweit gebracht haben, dass mitten in unserer Stadt offensiv Islamisierung betrieben wird, ist besorgniserregend.“ Dass die Liste den Kampfbegriff der Pegida „Islamisierung“ verwendet, zeigt eindeutig wo sie politisch einzuordnen ist.

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Die schöne blaue Kornblume musste als Symbol der antisemitischen Schönerer-Bewegung und später als Erkennungszeichen der illegalen Nazis der Zwischenkriegszeit herhalten. Freiheitliche Parlamentarier tragen sie deutlich sichtbar zur Angelobung im Parlament als Stinkefinger an ihre demokratischen Gegner gerichtet Foto: Rudolf Schäfer (Flickr)

Pegida aufgehalten, Stärke der FPÖ brechen Der freiheitliche Parteiobmann hielt seine Partei, „die wahre Pegida“, vom Parlament aus auf Distanz zu den szenetypischen Schlägernazis, die sich auf der PegidaDemonstration tummelten. von David ALBRICH

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iemand geringerer als der Freiheitliche Martin Graf stand beim Wiener Pegida-Aufmarsch mitten unter einem Haufen klassischer „Stiefelnazis“. Heinz-Christian Strache dürfte mit dem unverbesserlichen Burschenschafter Graf nicht sehr viel Freude gehabt haben. Pegida wurde erfolgreich blockiert. Tausende Menschen, darunter viele Muslim_innen, machten dem neuerlichen Versuch des außerparlamentarischen rechten Flügels, auf der Straße Fuß zu fassen, einen Strich durch die Rechnung. Die „Ungeduldigen“ haben es dennoch seit der Gründung der FPÖ immer wieder mit Straßenaktivitäten versucht. Das war auch in anderen Ländern zu beobachten, die österreichische Besonderheit war allerdings immer die FPÖ. Die Massenpartei hatte bei deren Formierung von Anfang an die Finger im Spiel, und saugte diese Bewegungen auch früher oder später wieder auf. Die „Ungeduldigen“ Die Terroristen um den ersten Obmann des Rings Freiheitlicher Studenten (RFS) Norbert Burger wüteten in den 1960er-Jahren mit Bombenanschlägen in Südtirol.

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Weil ihnen die FPÖ zu „moderat“ war, gründeten Südtirol-Aktivisten und aus der FPÖ Ausgetretene kurz darauf die Nationaldemokratische Partei (NDP, 1967-1988), die in den 1970er-Jahren mehrere Anschläge auf Antifaschist_innen verübten. Deren erster Obmann Rudolf Watschinger landete wieder bei der FPÖ. Auch vergleichbare Projekte wurden später wieder von der FPÖ inhaliert: Die Aktion Neue Rechte (ANR, gegründet von FPÖ-Funktionären, 1973-1981), Gerd Honsiks Nationale Front (1984) oder Gottfried Küssels Volkstreue Außerparlamentarische Opposition (VAPO, 1986-1994). Nach den großen VAPO-Prozessen in den 1990er-Jahren tauchten viele „Ungeduldige“ vermehrt in deutschnationalen Burschenschaften unter. Ähnliche Schicksale werden wohl auch die Identitären (2012-), die Arbeitsgemeinschaft für demokratische Politik (1973-) und Unsterblich Wien (2008-) ereilen.

Freiheitliche Kader wie Strache, Herbert Kickl oder Johann Gudenus scheinen ein besseres Gespür als Martin Graf dafür zu haben, dass die Zeit noch nicht reif für die Straße ist. Im November organisierte die FPÖ in der Hysterie um den „Islamischen Staat“ und im Zuge der deutschen Hogesa-Auf-

Die FPÖ kommt nicht aus ihrer Deckung, solange die Krise nicht tief genug ist.

märschen (Hooligans gegen Salafisten) eine Kundgebung gegen eine Imam-Schule in Wien. Als man merkte, dass die Mobilisierung nicht über die üblichen rechtsextremen Kreise hinaus gehen würden, schaltete man auf Sparflamme, sagte bereits angekündigte Reden von FPÖ-Funktionären ab und kürzte ein ZweistundenProgramm auf eine halbe Stunde.

Zeit nicht reif

Parlamentsflügel gefährlich

Die FPÖ hält sich von diesen Projekten fern, weil ihr das paramilitärische Auftreten, der Gedenkkult an ehemalige Nazis und die immer gleichen, szenetypischen Outfits der klassischen „Schlägernazis“ Wählerstimmen und respektables Ansehen kosten.

Die Identitären, gegründet von FPÖ-nahen Kreisen, plagt dasselbe Problem. Ihr Aufmarsch im Mai 2014 ging nicht über die eigens herangekarrten internationalen Rechtsextremisten hinaus. Nun beteiligten sie sich an den Pegida-Aufmärschen in Wien und

Linz – allerdings nicht in ihrem charakteristischen Auftritt mit schwarzgelben Fahnen. Nach dem gescheiterten Pegida-Aufmarsch in Linz beteuerte FPÖ-Vizeparteichef Manfred Haimbuchner: „Ich kann die Glatzen in der ersten Reihe nicht mehr sehen.“ Der russische Revolutionär Leo Trotzki hat beharrlich davor gewarnt, die Nazis im Parlament zu unterschätzen. Der Terror, den sie ausüben, wenn sie erst einmal die Zügel der Macht übernommen haben, wäre mit nichts zu vergleichen, was man bis dahin gesehen hätte. Hitler tarnte den unvermeidlichen Bürgerkrieg vor seinen Widersachern. Trotzki schrieb über Hitlers „Kriegslist“: „Er will den Gegner durch die langfristige Perspektive des parlamentarischen Wachstums der Nazis einschläfern, um in einer günstigen Minute den Todesstoß gegen den eingeschläferten Widersacher zu führen.“ Die FPÖ kommt bisher noch nicht aus ihrer Deckung. Die Krise in Österreich geht noch nicht tief genug, aber die Wirtschaftsprognosen sind düster und die Regierungsparteien tun mit ihrer katastrophalen Sparpolitik alles dazu, den Boden für eine faschistische Straßenbewegung zu bereiten. Sozialist_innen sollten auf der einen Seite, wo es geht, den Kampf gegen Kürzungen und Arbeitslosigkeit aufnehmen, und auf der anderen Seite der FPÖ ihre respektable Maske vom Gesicht reißen.


Pegida führt zu Gewalt

Pegida in Wien – das waren keine besorgten Bürger, sondern großteils aktive Rechtsextreme, die ihre Gesinnung nicht versteckt haben Foto: unbekannt (über Kurier.at)

Rund um die Pegida-Demonstration kam es zu brutalen Angriffen auf junge Frauen und zu Übergriffen und Drohungen gegenüber Muslim_innen. In Deutschland ist ebenfalls ein Rechtsruck zu beobachten, der sich durch vermehrte Gewalt von Rechtsextremen äußert. von Tom D. ALLAHYARI

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in kläglicher Haufen, zu einem großen Teil aus dem schlimmsten Abschaum inund ausländischer Nazi-Schläger bestehend, versuchte den „Erfolg“ ostdeutscher Pegida-Mobilisierungen in Wien zu wiederholen. Eine riesige Gegendemo und entschlossene Blockaden ließen die Rechten keinen Meter machen. Um gegen die ständigen Hitlergrüße vorzugehen war die Polizei entweder zu feige oder zu gleichgültig. Schon Wochen zuvor hatten Nazis in ihren Foren geplant, Antirassist_innen zu überfallen. Auch der Polizei dürfte bekannt sein, dass einige Hooligan-Gruppen sehr wohl in der Lage sind, Überfälle zu organisieren. Schon kurz nach Ende der Großdemo kamen die ersten Twitter-Meldungen und SMS, dass Nazis am Schwedenplatz muslimisch aussehende Menschen attackierten. Frauen mit Kopftuch gehörten zu den ersten, die angegriffen wurden. Aktivistin berichtet Etwa zur gleichen Zeit kam es zu einem Überfall von ca. 40 Nazis

auf eine Gruppe von Aktivist_innen. Magdalena, die sich in dieser Gruppe befunden hat, berichtet: „Wir waren mit ca. 12 Leuten unterwegs zu einem genehmigten Kundgebungsort der „Offensive gegen Rechts“ an der Tuchlauben. Am Kundgebungsort wurden wir von Polizisten bedrängt und schikaniert. Wir haben dann gehört, dass die Pegida-Versammlung aufgelöst war, aber der Polizeikessel noch aufrecht war. Wir sind daraufhin zum Stephansplatz und von dort aus sind dann einige Leute in Richtung Freyung gegangen. An der Ecke Judenplatz/Wipplingerstraße haben dann ca. sieben Nazischläger auf uns gewartet und sofort begonnen, uns mit Flaschen zu bewerfen. Zu diesem Zeitpunkt standen mehrere PolizeiBusse in ca. 100 Meter Entfernung. Ich bin zu denen hin und habe die Beamten auf die gefährliche Situation aufmerksam gemacht. Die haben desinteressiert und gelangweilt reagiert, haben mich von einem Wagen zum nächsten geschickt, um am Schluss einfach davonzufahren. Kurz darauf stürmte eine Horde von etwa 40 Nazi-Schlägern – wir vermuten, von der kleineren Gruppe alarmiert – brüllend auf uns zu

und wir entschlossen uns angesichts der Kräfteverhältnisse zur Flucht. Ich bin mit einer Gruppe die Stiegen Richtung Maria am Gestade hinunter. Zum Glück konnten wir uns in einen Hauseingang zurückziehen. Die alarmierte Polizei ließ sich Zeit. Erst später habe ich erfahren, dass bei dem Angriff eine Aktivistin verletzt worden ist, sie hat im Laufen einen Faustschlag ins Gesicht abbekommen und musste ins Krankenhaus eingeliefert werden, Mitglieder einer trotzkistischen Organisation, die versucht haben, ihr zu helfen, wurden ebenfalls verletzt. Ich kann immer noch nicht fassen, dass die hunderten Polizisten derartige Übergriffe zugelassen haben. Wir werden uns aber nicht einschüchtern lassen und weiter offensiv gegen die Rechten bleiben.“ Polizei schaut tatenlos zu Der direkt am Ort des Geschehens geparkte Bus der FPÖ„Gewerkschaft“ AUF (FPÖ-Chef Strache hatte die Pegida ja als seine Brüder bezeichnet), lässt auch den Verdacht aufkommen, dass nicht wenige Beamte mit dem rechten Wahn sympathisieren. Vielleicht lässt sich damit erklären, warum die hunderten Polizisten in der inneren Stadt große Gruppen grölender Neonazis unbehelligt durch die Stadt ziehen ließen, die dann Passant_innen und linke Aktivist_ innen brutal angriffen.

Der direkte Zusammenhang zwischen rechten Aufmärschen (oder auch Aufmarsch-Versuchen) und Gewalt gegen Minderheiten und Linken ist mehr als offensichtlich. Pegida und etablierte Politik In Deutschland befindet sich Pegida in Auflösung. Trotzdem hatten die rechten „Spaziergänge“ schlimme Folgen: Angriffe auf Asylheime nahmen dramatisch zu. Zwischen Oktober und Dezember wurden 67 „rechtsextrem motivierte Delikte“ gemeldet. Im gesamten Jahr 2014 wurden damit 150 solcher Attacken gezählt, dreimal mehr als im Jahr zuvor. Experten sind sich einig, dass die enorme Zunahme solcher Taten mit der Pegida zusammenhängt. „Die menschenfeindliche Stimmung führt nicht automatisch zu Taten, aber sie motiviert gewaltbereite Personen und Gruppen und wird von den Tätern zur Rechtfertigung herangezogen“, erklärt der Bielefelder Gewaltforscher Andreas Zick dem deutschen Tagesspiegel. Bei aller, auch medialer, Empörung über Pegida, sollte nicht vergessen werden, welche Rolle die etablierte Politik, der Staat, spielt. Tatsächlich fällt die erste Verdoppelung der Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte 2013 in eine Zeit, in der die Berliner Regierung einen angeblichen „Missbrauch des Freizügigkeitsrechts“ in der EU öffentlich anprangerte.

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Solidarität mit Hande Öncü

Gegen eine transphobe Asylpolitik In Wien wurde Ende Jänner Hande Öncü, eine transsexuelle Asylwerberin aus der Türkei tot aufgefunden. In Solidarität mit Hande demonstrierten hunderte Menschen gegen transphobe Asylpolitik und für ein Ende der Gewalt gegen Transsexuelle. Parallel fand die Veranstaltung „One Billion Rising“ statt, bei der weltweit Menschen ein Zeichen gegen Gewalt an Frauen setzen. von Olga WEINBERGER

Hande Öncü wurde Opfer eines transphoben Mordes Foto: Facebook

aus der Türkei, die im Juli 2014 nach Österreich flüchtete und dort im Flüchtlingslager Traiskirchen untergebracht wurde.

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underte Menschen marschierten von der Rosa Lila Villa bis zum Sigmund-Freud-Park. Die Demonstration gegen transphobe Asylpolitik am 14. Februar wurde unter anderem von der Rosa Lila Villa, Homosexuellen Initiative Wien (HOSI), Têkoşîn (Solidaritätsgruppe für LGBTI-Asylant_innen und Migrant_innen), ORQOA und TransX organisiert. Der Tod der transsexuellen Prostituierten Hande Öncü führte nicht nur in der LGBT-Community, wo von einem Hassmord ausgegangen wird, zu einem Aufschrei. Hande Öncü war eine Transfrau

Asylgrund Geschlechtsidentität „Eine Person, die aufgrund von transphober Gewalt fliehen muss, kommt in ein Land, wo man davon ausgehen sollte, dass sie in Sicherheit ist. Dort kommt sie in ein Massenlager, wo es keine adäquate Betreuung gibt, kein Verständnis und wird wieder Opfer des Systems“, beschreibt Paul, ein Mitarbeiter bei peerconnection (Teil der HOSI Wien), die Zustände für Transgender-Menschen in den Flüchtlingslagern. Hande verließ ihre Heimat wegen der permanenten Gewalt und

Diskriminierung, unter der sie aufgrund ihrer sexuellen Orientierung täglich litt. „Wenn man flüchtet, ist man prinzipiell hilfeund schutzbedürftig. Doch Menschen, die hierher kommen, werden kriminalisiert und ausgeschlossen vom gesellschaftlichen Leben. Es ist die strukturelle Gewalt, die bis zum Tod führen kann, wie im Fall von

Hande Öncü“, so eine solidarische Demonstrantin. Mariam von queeramnesty Wien fordert: „Man muss anerkennen, dass sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität Asylgründe sind und dass diese Menschen anders behandelt werden müssen, weil sie durch ihre sexuelle Orientierung enorm viel Hass durch andere Menschen ausgesetzt sind.“

Foto: privat

ÖBB kündigt Angestellten für Zivilcourage am Arbeitsplatz

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üksel Yilmaz war Schaffner bei den ÖBB. Er wurde gekündigt, nachdem er dem Vorstand rassistische und sogar neonazistische Schmierereien so wie ein aufgemaltes Hakenkreuz gemeldet hatte. Er wurde sogar vor diesem Schritt gewarnt, hat sich aber nicht davon abhalten lassen. Nur wenige Wochen danach, nachdem seine Vorwürfe öffentlich bekannt wurden, wurde er dienstfrei gestellt und dann ohne Angabe von Gründen fristlos entlassen. Martin Borger hat den Mann, der türkische Wurzeln hat, persönlich getroffen und eine ausführliche Reportage über den Fall geschrieben. Yilmaz wurde seither mit Anschuldigungen eingedeckt. Er kämpft aber tapfer gegen die

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Entlassung, was ihn finanziell und emotional zu zermürben droht. Er ist arbeitslos und muss sich gegen die Anwälte eines der größten Unternehmen in Österreich stellen. Letztendlich musste der Konzern Kündigungsgründe nennen, und die Tonwahl ist empörend. Borger schreibt, Yilmaz sei entlassen worden, weil er ein „schwieriger Charakter“ gewesen sei und davon „besessen gewesen“ wäre, „Vorgesetze und Kollegen grundlos zu melden“. Weiters: „Er ist der Täter und nicht das Opfer, als das er sich darzustellen versucht.“ Yilmaz’ Anwalt brachte eine Klage auf Motivkündigung gegen das Eisenbahnunternehmen ein, denn in Yilmaz’ Personalakte wären keine Hinweise auf fehlerhaftes Verhalten oder unzureichenden Arbeitseinsatz zu finden. Seit über einem Jahr verteidigt sich Yilmaz im Prozess gegen die ÖBB – und nicht etwa andersherum, so wie es sein sollte. Mit diesem Vorgehen wird die ÖBB nur eines erreichen: mehr Selbstvertrauen bei etwaigen Rassisten innerhalb der Kollegenschaft.

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FPÖ gegen Filmpiraten: Haltet den Dieb!

ie Filmpirat_innen sind ein Videokollektiv aus Erfurt und machen seit Jahren GraswurzelJournalismus. Zum Prozess gegen den Antifaschisten Josef S. in Wien veröffentlichten sie zwei Videobeiträge. FPÖ-TV strahlte daraus im Juni 2014 Teile unter dem Titel „Wie gut läuft die Integration“ aus. Ab Minute 4:59 berichtete FPÖTV über den Prozess, benutzte laut Information der Filmpiraten umfangreich und ungefragt die Videomaterialen des Kollektivs. Deren Anwältin schickte außergerichtlich eine Unterlassungserklärung und Abmahnung an die FPÖ, mit der Aufforderung das Material nicht zu verwenden. Die mit reichlich Steuergeldern ausgerüstete FPÖ versucht nun via Klage den kleinen Verein mundtot zu machen und wirft den Filmpiraten in diesem Zusammenhang „falsche Behaup-

tungen“ vor. Obwohl noch keine Verhandlung stattfand, entstanden schon hohe Anwaltskosten. Auf die gleiche Strategie setzen Freiheitliche gegen Linkswende. Ende Jänner 2015 startete der Verein eine Spendenkampagne mit dem Titel „Sei unser Held – FPÖ kostet Nerven und Geld!“ Am 6. Februar wurde die 5.000 Euro-Marke durchbrochen. Das Videokollektiv freut sich über die Spender_innen: „Vielen vielen Dank dafür. Ihr macht uns Hoffnung, dass wir den Kampf mit der FPÖ doch überstehen können.“ Außerdem hat sich der Verein mit österreichischen FPÖ- Klagsopfern wie Linkswende, Uwe Sailer oder Heimat ohne Hass vernetzt und kann mit deren Solidarität rechnen. Spenden an: Filmpiratinnen e.V. IBAN: DE56 4306 0967 6027 8194 00 BIC: GENODEM1GLS GLS Bank


Protestsongcontest: Widerspruch des Sein und Schein von Karin WILFLINGSEDER

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nser eigentlicher Sieger des Abends war das Musiktheater-Projekt Geschichten im Ernst mit dem Beitrag „Aufruf“, einer Vertonung eines Texts des österreichischen Widerstandskämpfers Richard Zach. Das Publikum vergab begeistert online die meisten Punkte an die Combo mit der umwerfenden Sängerin Iris Stern, im Brotberuf auch kämpferische Betriebsrätin. FM4-Juror Martin Blumenau analysierte das Lied zu Unrecht als „etwas, das mit dem hier und jetzt gar nichts zu tun hat“ und behauptete, dass eine als „Geschlecht poetisierte Klasse, die in der Nazizeit verfolgt und getötet wurde, in dieser Form hier und heute nicht (mehr) existent ist und sich in eine amorphe Schicht gewandelt hat, die für den Aufstieg populistischer Macht zumindest mitverantwortlich ist“. Dem sehr aktuellen Rechtsruck in Europa und Österreich widmeten sich zwei weitere, sehr empfehlenswerte Songs „Augen auf“ vom Duo FS2 und „Spielen mit Verstand“

der Rapperin Nora. Gewonnen hat die SpaßguerillaBand Rammelhof mit einem Song gegen Putin und den Wunsch nach der Führerfigur. Knapp dahinter lag Wiener Blond mit fettem Beatbox gegen die Wohlstandswünsche der eigenen Generation „Kaana Waas Warum“. Dritte wurden Er ist tot, Jim mit einem mitreißenden Live-Auftritt zu „Rebellion“. Ein lebendiges Zeichen der heimischen Musik-Szene lieferten alle zehn angetretenen Bands mit

unterschiedlichen Anliegen im bummvollen Rabenhof. Es entstand der Eindruck JuryMitglieder wären nicht im selben Raum, wenn gelangweilt beklagt wurde, dass es im heutigen Österreich keinen echten leidvollen Protest gäbe. Denn als „Entschädigung“, dass sie im Vorjahr nicht gewählt wurden, traten heuer die Refugees und das Fight Rap Camp außer Konkurrenz in der

Pause auf. Die gute Stimmung nach manchen eher beleidigenden Kommentaren der Jury war neben den Bands auch der Schlagfertigkeit von Moderator Michael Ostrowski zu verdanken. www.protestsongcontest.net geschichtenimernst.blogspot.co.at

umgangssprachlich leerer Bauch. Der Film spielt in der Wirtschaftskrise der 1930er-Jahre und handelt von einer Zeltkolonie in der Nähe von Berlin, in der sich Arbeitslose trafen um gemeinsam Zeit zu verbringen (Sport, Motorradfahrern usw.). Wolfgang Kramplhuber ist dabei auch in Wien einen Kuhle Wampe-Club aufzubauen, und hat schon einige Mitglieder gewonnen. „Wir wollen alle ansprechen die sich politisch links interessieren, Jeder ist willkommen, Alter, Geschlecht, Religion, sexuelle Ausrichtung ist gleich/ wurscht. Unsere Initiative will sich mit gleichgesinnten Organisationen vernetzen und verbünden, auf allen Ebenen: Demonstrationen, Vorbereitungsarbeiten für Vorträge, Feste, Diskussionen – und auch Feste feiern!“

Showdown auf den Protesten gegen die Castor-Transporte

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Foto: Wolfgang Kramplhuber

er deutsche Motorradclub Kuhle Wampe, der vor 40 Jahren gegründet wurde, ist ein Motorradclub für Linke. Neben Motorradfahren steht auch das Engagement in antifaschistischen und sozialen Bereichen auf der Tagesordnung. „Wir wollen dem Treiben alter und neuer Nazis nicht einfach zusehen. Der MC Kuhle Wampe unterstützt antifaschistische Aktionen und Initiativen und wird auch in vielen Fällen selbst aktiv. Der braune Terror darf in unserer Welt keinen Platz mehr haben!“ Der Name geht auf den Film Kuhle Wampe oder wem gehört die Welt zurück (Drehbuch Bert Brecht) zurück und bedeutet

Foto: Yasmina Haddad (werk-x.at)

Biker gegen Nazis

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Foto: Rabenhof

Die Gruppe „Geschichten im Ernst“ hat mit der Vertonung eines Texts von Widerstandskämpfer Richard Zach begeistert

Proletenpassion 2015

ie Proletenpassion ist mehr als ein „Must See“ des modernen Musiktheaters – und sie ist wieder da: im Wiener Theater Werk X. Während die übliche Geschichtsschreibung von Königen und mächtigen Regierungen handelt, erzählt die Proletenpassion eine „Geschichte von unten“, aus Perspektive der Unterdrückten und Werktätigen. Die Texte von Heinz Rudolf Unger waren Wegbereiter für Generationen, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Das Stück, geschrieben von der Musikgruppe Die Schmetterlinge, wurde auf den Wiener Festwochen 1976 im stillgelegten Großschlachthof St. Marx uraufgeführt. Nach der letzten Vorstellung wurde die „Arena“ besetzt. Die Proletenpassion war ein spätes Kind der 1968er-Bewegung. Die Schmetterlinge um Willi Resetarits tourten

durch den deutschen Sprachraum, unzählige Platten und CDs sind erschienen. Die neue Inszenierung von Christine Eder, aufgeführt von der Rockband Gustav um Eva Jantschitsch, erstreckt sich von den Bauernkriegen, über die Pariser Kommune und die Russische Revolution bis zu den Schrecken des Nationalsozialismus und in die Gegenwart des Neoliberalismus. Unterstützt von den Schauspieler_innen Claudia Kottal, Bernhard Dechant und Tim Breyvogel erzählen sie uns Geschichte als eine Geschichte von „Verteilungskämpfen zwischen den Klassen“ und rühren wort- und stimmgewaltig die Trommel für die einfachen Arbeiter_innen und Revolution. Spieltermine und Kartenreservierung: www.werk-x.at

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MALCOLM X DER WEG ZUR REVOLUTION einfach als Rassenkonflikt zwischen Schwarzen und Weißen oder als ein rein amerikanisches Problem zu betrachten. Was wir heute erleben, ist vielmehr eine globale Rebellion der Unterdrückten gegen den Unterdrücker, der Ausgebeuteten gegen den Ausbeuter.“ Malcolms Fähigkeit so viele Menschen ansprechen zu können, war es, was ihn als Redner, Aktivist und Revolutionär ausgemacht hat. Sein kompromissloser Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit brachte ihm den Respekt von radikalisierten Menschen auf der ganzen Welt ein – in einer Zeit, die durch antikoloniale Aufstände geprägt war. Seine revolutionären Ideen waren ihm allerdings nicht angeboren. Sie formten sich Hand in Hand mit seinen persönlichen Erfahrungen und im Schoß einer Bewegung, die reale materielle Verbesserungen, Demokratie und Gleichheit einforderte.

Bild: Ed Ford in Library of Congress

Klima rassistischer Gewalt

Malcolm X, eine der großen Ikonen der Black PowerBewegung, spornte eine ganze Generation an, sich dem Rassismus „mit allen erforderlichen Mitteln“ zu widersetzen. Sein Leben lang rang er um Ideen. Dem institutionellen Rassismus und der Segregation begegnete er mit Taktiken, die sich parallel zum Kampf um Bürgerrechte entwickelten.

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alcolm X prophezeite einer Rede im Jänner 1965, einen Monat vor seiner Ermordung, soziale Erhebungen und eine globale Revolution in naher Zukunft: „Ein Zusammenstoß zwischen den Unterdrückten und jenen, die die Unterdrückung zu verantworten haben,

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ist in meinen Augen unausweichlich. Ich glaube, dass es zu einem Zusammenstoß kommen wird zwischen jenen, die Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit für alle wollen, und jenen, die das Ausbeutungssystem aufrechterhalten wollen ... Es ist falsch, die Rebellion des Negers („Negro“ im Original, Anm.)

Geboren als Malcolm Little im Jahr 1925 in Omaha, im Staat Nebraska, wuchs er in einem Klima rassistischer Gewalt auf. Seine Eltern wurden wegen ihrer Unterstützung für Marcus Garveys Universal Negro Improvement Association (UNIA), die für eine Verbesserung der Lage der Schwarzen weltweit eintrat, regelmäßig von rassistischen Mobs angegriffen. Nachdem sein Vater tot aufgefunden wurde (wahrscheinlich wurde er von Rassisten ermordet), erlitt Malcolms Mutter einen Nervenzusammenbruch. Der junge Malcolm wanderte durch mehrere Institutionen, bevor er schließlich bei seiner Schwester in Harlem, New York einzog. Mit Anfang Zwanzig betätigte er sich als Kleinkrimineller, bis er wegen Einbruchs ins Gefängnis kam. Dort geriet er unter den Einfluss der Nation of Islam. Diese Erfahrungen prägten seine Ansichten über Rassismus und das Wesen der amerikanischen Gesellschaft. Die Nation of Islam war eine aus-

schließlich schwarze Organisation ohne Anbindung an die Hauptströmungen des Islam. Sie vertrat die Meinung, die Weißen seien das Produkt eines genetischen Experiments und ihre Zeit auf Erden neige sich dem Ende zu. Die Schwarzen hätten die Pflicht, sich von der weißen Gesellschaft abzusondern und sich auf das Jüngste Gericht vorzubereiten – und in der Zwischenzeit schwarze Unternehmen zu gründen. Netzwerk der Unterstützung Malcolm X erklomm schnell die Leiter der Organisation und wurde 1963 vom Anführer Elijah Muhammed zum Sprecher der Organisation ernannt. Während er die „Schwarze Muslimbewegung“, wie er sie nannte, von innen umkrempelte, wurde die US-Gesellschaft

Malcolm X war Redner, Aktivist und Revolutionär.

draußen von einer aufsteigenden Flut erfasst. Es begann im Juni 1953 mit einem Boykott der örtlichen Busgesellschaft von Baton Rouge, einer segregierten Stadt im Südstaat Louisiana, wegen der dort praktizierten Trennung von weißen und schwarzen Passagieren. Diese Aktion war der Zündfunke für weitere niedrigschwellige Kampagnen gegen die so genannten Jim CrowGesetze, die die Rassendiskriminierung zementierten. White Power-Organisationen wie der Ku Klux Klan (KKK) bekämpften erbittert jeden Integrationsschritt. Systematischer Terror war dabei ihr Mittel der Wahl. Im Ghetto In den Nordstaaten, in denen die Sklaverei 1863 durch die Emanzipations-Proklamation abgeschafft


Malcolm missbilligte die Taktik der Gewaltlosigkeit und trat für das Recht auf Selbstverteidigung ein.

Im Dezember 1955 wurde Rosa Parks, eine junge Schwarze aus Montgommery, Alabama, verhaftet, weil sie sich geweigert hatte, ihren Sitzplatz im Bus für einen Weißen freizugeben. Mit ihrem couragierten Akt begann eine bescheidene Kampagne, die binnen eines Jahres zu einer bundesweiten, millionenstarken Bewegung heranwuchs. Taktik der Gewaltlosigkeit

gung spielten die schwarzen Kirchen der Südstaaten und Geistliche wie Martin Luther King eine zentrale Rolle. Mit dieser auf mehr Legitimität zielenden Taktik der Gewaltlosigkeit sollte die Bewegung verbreitert werden. Die Bilder friedlich protestierender Schwarzer, die von Südstaaten-Cops mit grausamer Gewalt traktiert werden, zeugen vom Mut der Bürgerrechtler. 1964 sah sich der US-Kongress schließlich gezwungen, das Bürgerrechtsgesetz zu verabschieden, das rassistische Diskriminierung und die Jim Crow-Segregation ächtete. Es änderte aber nichts am Alltagsrassismus, der die Mehrheit der schwar-

Foto: Marion S. Trikosko, United States Library of Congress

Während der Bürgerrechtsbewe-

Bild: Commons

worden war, hatten es die Schwarzen leichter. Zwischen 1910 und 1970 zogen mehr als 6,6 Millionen Schwarze vom Süden in den industrialisierten Norden auf der Suche nach Arbeit und einem Leben ohne Rassismus. Im Norden war die Segregation zwar formell abgeschafft, aber der Rassismus und die rassistische Gewalt grassierten auch hier.

zen Menschen marterte. „Der Hass, der Hass hervorrief“ Diese Sackgasse bildete den Hintergrund für Diskussionen über die richtige Strategie. Das Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC), das die jüngeren Elemente der Bürgerrechtsbewegung zusammenfasste, radikalisierte sich zusehends. Die Black Panther Party wurde gegründet, die für bewaffneten Widerstand gegen den Polizeirassismus eintrat. Trotz des Aufschwungs der Bürgerrechtsbewegung verordnete die Nation of Islam ihren Mitgliedern, sie konsequent zu meiden, weil sie vom Endziel einer getrennten schwarzen Gesellschaft ablenke. Malcolm X war der wortgewandteste Vertreter dieser Absonderung. Bei seinem Auftritt in der TVDoku „Hate That Hate Produced“ („Der Hass, der Hass hervorrief“) sagte er: „Wenn jemand mir ein Messer neun Zoll tief in den Rücken stößt, um es danach wieder sechs Zoll wieder raus zu ziehen, tut er mir doch keinen Gefallen. Er hätte mich gar nicht erst abstechen dürfen ... In der Epoche der Sklaverei haben sie uns 310 lange Jahre äußerst bestialisch misshandelt, um unseren Willen zu brechen, und dann zaubern sie so eine Emanzipationserklärung hervor ... Und heute läuft der weiße Mann herum und bildet sich tatsächlich ein, er würde den Schwarzen einen Gefallen tun.“ Recht auf Selbstverteidigung

Martin Luther King und Malcolm X (Washington, 1964)

Malcolm missbilligte die Taktik der Gewaltlosigkeit und trat für das Recht auf Selbstverteidigung

ein. „Bleib friedlich, sei artig, achte das Gesetz, zeige vor jedem Respekt, aber wenn jemand Hand an dich legt, befördere ihn ins Grab ... Wenn wir auf weißen Rassismus gewaltsam reagieren, ist das in meinen Augen kein schwarzer Rassismus. Wenn du mir einen Strick um den Hals legst und ich erhänge dich dafür, ist das für mein Dafürhalten kein Rassismus. Dein Tun ist Rassismus, aber meine Reaktion darauf hat nichts mit Rassismus zu tun.“ Sein Kampfgeist und sein beharrliches Insistieren auf dem Standpunkt, dass alle weißen Menschen „Teufel“ seien, sonderten ihn von der Bürgerrechtsbewegung in ihren Anfangsjahren ab. In dem Maße aber, wie die neue radikalisierte Generation sich von ihrer pazifistischen Führung immer mehr entfremdete, gewann er immer mehr Anhänger für seine Ideen. Malcolm wurde zur radikalen Stimme der Kampagne gegen Polizeigewalt, Slumlords und Ausbeuterbetriebe im Norden wie auch gegen den institutionellen Rassismus im Süden. Auf unzähligen Veranstaltungen und in zig Interviews artikulierte er die Wut und die Entfremdung der Schwarzen. Die Profiteure des Rassismus Als die Bewegung auf immer mehr Sympathie und Unterstützung auch unter Weißen stieß, entbrannte eine Diskussion über das Wesen des Rassismus und darüber, wer Teil des Kampfs dagegen sein könne. Die Politik der Absonderung basierte auf der Annahme, dass die Unterdrückung der Schwarzen den gesamtgesellschaftlichen

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Foto: Tony Fisher

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Die Erinnerung an Malcolm X wird allerorts am Leben gehalten

Machtverhältnissen geschuldet war, in denen alle Weißen Agenten des Rassismus seien – ob in Gestalt von rassistischen Sprüchen in der Öffentlichkeit, von Richtern und Polizeibeamten, die Schwarze als Kriminelle behandelten, von Misshandlung und Gewalt durch Individuen oder durch White Power-Organisationen. Diese Analyse ist nachvollziehbar, berücksichtigt aber nicht, wer vom

Der Kampf gegen Rassismus muss den Kampf gegen das ihn hervorrufende System einschließen.

Rassismus profitiert. Weiße Arbeiter werden zu der rassistischen Einstellung fehlgeleitet, sie hätten mehr mit ihren weißen Bossen gemein als mit ihren schwarzen Kollegen und Kolleginnen. Der Kapitalismus beruht jedoch auf der Ausbeutung von Arbeitern aller Farben. Arbeiter und Arbeiterinnen haben das Potenzial, die Kapitalisten in die Knie zu zwingen, indem sie die Produktion zum Stillstand bringen. Als Klasse werden sie aber zugleich unter ein ideologisches Trommelfeuer genommen, um ihre Einheit zu brechen und mit immer neuen

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Spaltungen die Unterdrückung aufrechtzuerhalten. Im März 1964 verkündete Malcolm seinen formellen Bruch mit der Nation of Islam. Fortan warf er sich in die Aktivitäten der Bürgerrechtsbewegung. Ihm war bewusst, dass sie für mehr als nur gesetzliche Veränderungen kämpfen musste. Radikalisierung Malcolms Ideen unterlagen einem Wandel, und radikalisierten sich weiter mit seinem Beitritt zum sunnitischen Islam und seiner Wallfahrt nach Mekka. Was er dort erlebte, erschütterte seinen Glauben an den „weißen Teufel“: „Ich sprach mit dem algerischen Botschafter, ein wahrer Kämpfer und Revolutionär ... er war Afrikaner, zugleich aber Algerier, und nach seinem Äußeren ein Weißer.“ Er hatte Begegnungen mit afrikanischen Revolutionären, die unter dem Banner der nationalen Selbstbefreiung gegen den Kolonialismus gekämpft hatten. Ihm gefiel der Umgang mit einer neuen Generation von politischen Führern wie Kwame Nkrumah in Ghana und Gamal Abdel Nasser in Ägypten. Die Befreiungsbewegungen, die zu jener Zeit in allen Weltteilen aufkamen, waren gekennzeichnet durch Massenaufstände und Guerillakrieg, oft unter der Führung von Mittelschichten und mit dem Ziel staatlicher Unabhängigkeit und eines Endes der Kolonialherrschaft. Das von den neugegründeten Staaten verwaltete System unterschied sich jedoch

nicht wesentlich vom alten. Daher blieb Malcolms Analyse des Staats und was es erfordert, die Macht zu übernehmen und zu behalten, fragmentarisch. Imperialismus überwinden Malcolm begegnete Menschen aller sozialen Schichten, die das gemeinsame Ziel der Überwindung des Imperialismus vereinte. Diese Erfahrung erschwerte die Identifizierung jener Klasse mit dem

Potenzial zur wirklichen Veränderung nicht nur in Afrika, sondern weltweit. Nach seiner Rückkehr in die USA gründete Malcolm die Organisation für Afro-Amerikanische Einheit (OAAU) mit dem Ziel, alle Menschen afrikanischer Herkunft zu vereinen. In seinem letzten Lebensjahr predigte Malcolm regelmäßig revolutionäre Praxis und den Kampf für eine bessere Welt. Das machte ihn zusehends verdächtig in den Augen des Staats. Während seiner Zeit in der Nation of Islam, als er noch Rassentrennung predigte, erschien er diesem Staat bloß als eine Randfigur und er ließ ihn frei gewähren. Tragischerweise wurde Malcolm ermordet, bevor er seine Vorstellung von Revolution weiterentwickeln konnte. Die Jahre nach seiner Ermordung waren eine Zeit Aufständen – auch in den nördlichen Ghettos – die Malcolm hatte kommen sehen. Malcolm X’ Vermächtnis am 50. Jahrestag seiner Ermordung besteht in der Erkenntnis, dass der Kampf gegen Rassismus den Kampf gegen das ihn hervorrufende System einschließen muss. aus dem Englischen von Dave ­Paenson. Zuerst erschienen im ­britischen Magazin Socialist Review

Malcolm X war ein scharfer Redner, der die mediale Öffentlichkeit gekonnt für die Bewegung gegen die Segregation ausnutzte Foto: Herman Hiller, Library of Congress


Foto: Michael Bulholzer (Flickr)

Klimapanik erfasst die Eliten

Offensichtlich in Angst vor der Klimaerwärmung strömten die Superreichen Ende Jänner in 550 Privatjets zum Weltwirtschaftsforum nach Davos. Inzwischen wurden zwar zahlreiche Maßnahmen zur Klimarettung angekündigt, aber davon kann keine greifen, wenn man zukünftig die fossilen Brennstoffe nicht unter der Erde lässt. von Olga WEINBERGER

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eim World Economic Forum in Davos in den Schweizer Bergen stellte Al Gore, der ehemalige Vizepräsident der Vereinigten Staaten, drastisch dar, wie sehr der Klimawandel und die daraus resultierenden Umweltkatastrophen menschengemacht sind. Durch die Verbrennung von fossilen Brennstoffen werden alle 24 Stunden 110 Millionen Tonnen Schadstoffe in die Atmosphäre geblasen. Als Lösungsansätze nennt er erneuerbare Energien wie Wind- und Solarenergie. Offensichtlich hat auch die wohlhabende Elite mittlerweile begriffen, dass uns eine gewaltige Klimakatastrophe bevorsteht. Das hindert sie allerdings nicht daran, weiter mit Vollgas Richtung Abgrund zu rasen. Denn einzig und allein der Verzicht auf Verbrennung von fossilen Brennstoffen, Öl, Gas und Kohle, wird den Temperaturanstieg bremsen. Der Weltklimarat warnte im Oktober 2014 eindringlich, dass 80% der heute bekannten Vorkommen für immer unangetastet bleiben müssten, wenn sich der Temperaturanstieg bei dem Wunschziel von zwei Grad einpendeln soll. Obama vs. climate sceptics Am 21. Jänner hielt US-Präsident

Barack Obama eine Rede an die Nation. Er erklärte, dass er 7,4 Milliarden Dollar in die Finanzierung von Klimaschutz-Maßnahmen und in die Förderung von erneuerbaren Energien investieren wolle. Damit auch die einzelnen Bundesstaaten einen Anreiz erhielten, die Reduktion von CO2Emissionen in die Tat umzusetzen, würde er auch diese mit einigen Milliarden Dollar unterstützen. An dem Fakt, dass die unzähligen Naturkatastrophen der letzten

Solange noch ein kapitalistisches Regime herrscht, wird der Klimawandel kein Ende nehmen.

Jahre Folgen der globalen Erwärmung sind, gäbe es nichts zu rütteln. „Keine Herausforderung stellt eine größere Bedrohung unserer zukünftigen Generationen dar als der Klimawandel“, so Obama in seiner Rede, die auch als Seitenhieb auf die Klimawandel-Leugner aus den Reihen der Republikaner gedacht

war. Im November 2014 vereinbarte der amerikanische Präsident öffentlichkeitswirksam eine Abmachung mit China, die Treibhausgas-Emissionen in den nächsten zwei Dekaden einzudämmen. Die dazu notwendigen Maßnahmen wurden bezeichnenderweise ausgeklammert. Im Gegenteil, Obama hat angekündigt, Lizenzen für Ölbohrungen im atlantischen Ozean vor den Küsten Virginias und Georgias zu erteilen. Erdgas ist das neue Öl Die neue Studie von BP über zukünftigen Energieverbrauch bzw. –bedarf geht davon aus, dass der weltweite Energiebedarf bis zum Jahr 2035 um 37% und der CO2 Ausstoß um 29% steigen wird. Die Nachfrage für Bodenressourcen wie Erd- und Schiefergas, die bald die Hauptenergielieferanten unter den fossilen Brennstoffen sein werden, erhöht sich um 1,9% pro Jahr. Vor allem die in Nordamerika und Kanada liegenden Schiefergas-Vorräte machen Nordamerika bald zum größten Gas-Exporteur und könnten 2035 drei Viertel der gesamten GasProduktion abdecken. Eine Studie des Potsdam-Instituts für Klimaforschung (PIK) prognostiziert, dass der Meeresspiegel durch die erhöhten Temperaturen noch in diesem Jahrhundert um bis zu 37

Zentimeter ansteigen wird. Bereits jetzt beträgt der Anteil des Abschmelzens der Antarktis am globalen Meeresspiegelanstieg 10%. Dabei befürchten Experten, dass das Abgleiten der großen Schelfeisplatten der westlichen Antarktis nicht mehr aufzuhalten ist. Verzicht auf Bodenressourcen Auch wenn Politiker_innen und Regierungen inzwischen die Ergebnisse der zahlreichen Studien zur Kenntnis genommen haben, das eigentliche Problem zu bekämpfen ist ihnen unmöglich. Um die Verbrennung fossiler Brennstoffe zu beenden, bräuchte es drastische Veränderungen. Personen- und Güterverkehr gehört auf die Schiene. Nachhaltige Energieproduktion muss im globalen Maßstab koordiniert werden. Warenproduktion und Verteilung müsste in einer demokratisch geplanten Wirtschaft organisiert werden. Solange „Freie Marktwirtschaft“, also Konkurrenz um Profite, das Handeln bestimmt, ist fortschreitender Klimawandel wahrscheinlich nicht aufzuhalten. Es braucht eine revolutionäre Massenbewegung, die das kapitalistische System überwindet. Weshalb fällt es den meisten leichter, sich die Zerstörung des Planeten vorzustellen als ein Ende des Kapitalismus?

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VERGESSENE GESCHICHTE

Um zu beweisen, dass die NSDAP fähig war, die alleinige Regierungsposition zu beanspruchen, organisierte Hitler einen 100.000 Mann starken SA-Aufmarsch in Braunschweig Bewaffnete Rotarmisten 1920 in Dortmund im Kampf gegen die Freikorps Foto: Commons

Die glorreiche Geschichte der Roten Ruhrarmee

Ein Putschversuch in Deutschland 1920 führte zum Generalstreik und zur Gründung einer „Roten Armee“. Diese hatte atemberaubende Erfolge verzeichnen können und dient uns als eine wichtige Lektion für alle Zukunft. von Anton LUGMAYR

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s war gerade erst eineinhalb Jahre her, dass Deutschland eine Republik geworden war. Die Novemberrevolution von 1918/19 war von der Sozialdemokratie verhindert worden und die Anführer_innen der Revolution, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, waren von paramilitärischen Einheiten, den „Freikorps“, ermordet worden. Die sozialdemokratischen Führer und die Gewerkschaftsbürokraten konnten noch so streikfeindlich sein und ihren Widersachern entgegenkommen. Sie wurden durch den Kapp-Putsch letztendlich in die Offensive gedrängt und dazu gezwungen, noch am Tag des Putschversuches einen Generalstreik auszurufen. Innerhalb von 24 Stunden waren seine

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Auswirkungen überall zu spüren. Die Züge fuhren nicht und es gab weder Strom noch Gas. In spontanen Massenaktionen bewaffneten sich beispielsweise die Hager Arbeiter und brachten das Stadtzentrum unter ihre Kontrolle. Die reguläre Armee besiegt General Watter, der die Freikorps befehligte, entsandte zwei Brigaden unter Hauptmann Hasenclever um die Arbeiter Hagens zu entwaffnen. Damit begann ein Kampf, der in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung einzigartig war. Mit nur wenigen Gewehren griffen die Arbeiter an und brachten Hasenclever zu Fall. Ebenso wurde die Hauptmacht der Freikorps in Dortmund zwei Tage später in einem mehrstündigen Gefecht geschlagen. „Was als Reihe isolierter Aufstände

begann, hatte sich in weniger als fünf Tagen zu einer direkten Konfrontation zwischen zwei Armeen entwickelt - der Reichswehr und der Roten Armee“, schreibt Chris Har-

Die bewaffneten Arbeiter verjagten die Polizei und die Truppen, nahmen sich ihre Waffen und schufen eine richtige Arbeitermacht.

man in seinem Buch „Die verlorene Revolution.“ Die Rote Ruhrarmee war ein 80.000 Mann starkes Arbeiterheer und verfügte über modernste Waffen inklusive Artillerie. Kampferfahrung hatten die Arbeiter aus den Erlebnissen an den Fronten des Ersten Weltkriegs

gesammelt. Die Reichswehr wurde vernichtend geschlagen und die Rote Ruhrarmee blieb die einzige Macht im Ruhrgebiet. Trotz der militanten Arbeitermacht, ist der Begriff „Armee“ aber nicht ganz richtig, denn es gab keinerlei zentrale Kommandostruktur. Die bewaffneten Arbeiter verjagten die Polizei und die Truppen, nahmen sich ihre Waffen und schufen eine richtige Arbeitermacht. Die Rote Armee besaß die Kontrolle an den Fronten während Vollzugsräte die lokale Ordnungsmacht organisierten, die Versorgung garantierten, politische Gefangene befreiten und die Tätigkeit der örtlichen Behörden überwachten. Aber das Fehlen einer zentralen Koordination wurde zum entscheidenden Manko, sobald die Frage aufkam: Was soll als nächstes geschehen? Demoralisierte Bewegung Die Arbeiter wollten Garantien gegen einen weiteren Angriff der Generäle. So schlug der Gewerkschaftsführer Legien eine gemein-


Linker

Lesetipp

Buchtipp Chris Harman

von Dave PAENSON

Die verlorene Revolution: Deutschland 1918-1923

Isaac Babel:

Mein Taubenschlag

1. Auflage veröffentlicht in 1982, Bookmarks Publications London, deutsche Ausgabe in 1998, edition aurora, Frankfurt am Main, 414 Seiten; 14, 95 Euro, ISBN 978-3980601931; Chris Harman beschreibt die revolutionären Massenbewegungen, die nach dem ersten Weltkrieg und der russischen Oktoberrevolution international entbrannten und analysiert, warum diese nicht zum Sieg führten.

Carl Hanser Verlag, 864 Seiten 39,90 Euro, ISBN 978-3446243453

übte er grausame Vergeltung. Die nationale Armee stellte die „Ordnung“ durch Massenerschießung wieder her. Der gescheiterte Hitlerputsch Drei Jahre später wagten Adolf Hitler und Erich Luddendorf einen neuerlichen Putschversuch. Diesmal jedoch ließen die Militärs auf die Putschisten schießen. Sie hatten Angst wie in1920 durch den Kapp-Putsch einen Arbeiteraufstand und die Bildung einer Roten Armee zu provozieren. Hitler wurde 1933 erst die Macht ausgehändigt, als die Herrschenden keine Alternative mehr sahen und eine vereinigte, rebellierende Arbeiterklasse zwar möglich, aber mangels revolutionärer Führung eher unwahrscheinlich war. Wir Revolutionärinnen und Revolutionäre sollten uns umso mehr vor Augen halten, wie wichtig es ist, die Einheit der Arbeiterinnen und Arbeiter im Kampf gegen Faschismus zu wahren. Wenn wir uns diese Lehre zu Herzen nehmen, sind die Helden der Roten Ruhrarmee nicht umsonst gestorben.

Foto: Commons

same „Arbeiterregierung“ aus allen drei Arbeiterparteien und Gewerkschaften als Bedingung zur Arbeitsaufnahme vor. Diese Arbeiterregierung hätte sowohl eine Falle als auch eine Chance für die revolutionäre Bewegung sein können. Erfolg und Niederlage hingen von einer konkreten Antwort der Linken ab, doch zum Unglück blieb diese aus. Was fehlte, war eine feste Organisation und Führung innerhalb der Arbeiterklasse, die dazu fähig gewesen wäre, das Bewusstsein, welches der Widerstand gegen den Putsch hervor brachte, in Taten umzusetzen. Diese Verunsicherung führte zur Demoralisierung der Streikbewegung. Die Folgen der verpassten Gelegenheit wurden bald deutlich und die Regierung übertrug Kanzler von Seeckt volle Befugnis, eine militärische Schreckensherrschaft einzurichten. Im Ruhrgebiet verwandelte sich jetzt einer der größten Siege der deutschen Arbeiterklasse in eine ihrer schlimmsten Niederlagen. Als Watter am 4. April erneut ins Ruhrgebiet einmarschierte,

Sämtliche Erzählungen

Die Freikorps verwendeten ab 1918 das Hakenkreuz und wirkten als Truppen der Konterrevolution gegen die Arbeiterbewegung in Deutschland

„Ivan fasste sich an die Mütze, schob sie zurück und setzte sich. Die Stute schleifte den Hörnerschlitten zu ihm her, streckte die Zunge heraus und wölbte sie zu einem Röhrchen. Das Pferd war trächtig, sein Bauch ragte steil nach beiden Seiten. Spielerisch schnappte die Stute nach der wattierten Schulter ihres Herrn und schüttelte sie. Ivan ... beugte sich vor, zog die Axt heraus, hielt sie einen Augenblick lang hoch erhoben in der Schwebe und hieb sie dem Pferd auf die Stirn. Das eine Ohr sprang ab, das andere fuhr hoch und legte sich an, aufstöhnend raste die Stute los.“ Der Bauer Ivan bringt sein eigenes Pferd um, nachdem ihm der Gerichtsvollzieher verkündet hat, dass er nicht genügend Steuern bezahlt habe und sein Hof nun requiriert und er selbst deportiert würde. Die Erzählung „Kolyvuška“ verfasste Isaak Babel im Frühjahr 1930, inmitten der katastrophalen stalinistischen Zwangskollektivierung. Zum ersten Mal bringt der Hanser-Verlag sämtliche Erzählungen des russisch-jüdischen Autors Isaak Babel in einer Neuübersetzung von Bettina Kaibach und Peter Urban heraus. Babels Geschichten umspannen die Zeit seiner Kindheit in Odessa Ende des 19. Jahrhunderts bis zu seiner Hinrichtung durch den russischen Geheimdienst Anfang 1940. Babel beschreibt in den Monaten unmittelbar nach der Oktoberrevolution die Notlage der Erste Hilfe-Stationen Petrograds: „Im Büro der Station herrscht großes Schweigen. Es gibt lange Räume, blitzende Schreibmaschinen, Papierstapel, sauber gefegte Fußböden. Dann gibt es noch ein verschrecktes Fräulein, das vor drei Jahren angefangen hat, Papierchen und Kladden vollzuschreiben, und aus reiner Gewohnheit nicht aufhören

kann. Dabei würde es nicht schaden, damit aufzuhören, denn die Papierchen und Kladden braucht schon lange keiner mehr. Außer dem Fräulein gibt es niemanden. Das Fräulein ist die Belegschaft.“ (9. März 1918). Der Grund: Es gibt keine Pferde mehr, um an Unfallorten zu eilen, kein Benzin für die Krankenwagen, keine Ärzte mehr. Die Pferde werden alle massenweise geschlachtet, um daraus Fleisch zu machen, während den normalen Schlachtereien die Zufuhr an Tieren vollkommen versiegt ist. Es sind aber auch Kindheitserinnerungen wie in „Bei der Großmutter“: „Dann hörte mich Großmutter ab. Sie sprach im Übrigen miserabel Russisch, entstellte die Wörter auf ihre eigene, besondere Weise, indem sie die russischen mit politischen und jiddischen vermischte. Russisch lesen konnte sie natürlich nicht, und das Buch hielt sie verkehrt herum.“ Der Sammelband ist mit einem großzügigen Anhang von fast 200 Seiten versehen, der dem Leser, der Leserin hilft, in die damalige Zeit einzutauchen. Eine faszinierende Lektüre. „Sein Werk wird bleiben. Und bleiben wird die Legende ... vom Dichter, der nicht lügen wollte“, wie es Marcel Reich-Ranicki formulierte.

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Einige beredte Titel von Kompositionen der Staples, die in die Geschichte eingingen, waren „Long walk to D.C.“ (Langer Marsch nach D.C.), „Washington we're watching you“ (Washington, wir beobachten dich), „Freedom Highway“, „Why (am I treated so bad)“ (Warum werde ich so schlecht behandelt), „When will we be paid (for the work we've done)“ (Wann werden wir bezahlt – für die Arbeit, die wir getan haben).

Women of Soul

Mavis Staples Mavis Staples, der kleine Vogel mit der Stimme eines Löwen, hat eine entscheidende Rolle in der Verbindung der schwarzen Musik mit der Bürgerrechtsbewegung gespielt. Immer fähig, ihre Karriere neu zu erfinden und die Botschaft zu verbreiten, hat es nicht den Anschein, als würde die heute 75-jährige Sängerin bald aufhören wollen.

M

avis (ein afrikanischer Name für einen Singvogel) wurde 1939 in Chicago, Illinois geboren. Ihr Vater, Roebuck „Pops“ Staples, war ein ehemaliger Baumwollpflücker aus Mississippi, der gemeinsam mit seinem Freund Howlin’ Wolf vom Meister des Blues Charlie Patton gelernt hatte, Gitarre zu spielen. Er war mit Größen wie Robert Johnson, Son House und Patton selbst aufgetreten. Nachdem er nach Chicago gezogen war, um für zehn Cent am Tag in einer Fabrik zu arbeiten, gründete er eine Gospelgruppe, die Trumpet Jubilees, in der er sang und Gitarre spielte. 1948 gründete Pops eine neue Gruppe mit seinen Kindern; er lehrte ihnen das Lied „Will the Circle be Unbroken“. Zur allgemeinen Überraschung hatte die jüngste Tochter, die achtjährige Mavis, die tiefste Stimme und übernahm die Bassstimme. Nach zwei Jahren der Vorbereitung war die Gruppe eingeladen, in einer nahegelegenen Kirche ein Lied zu singen. Die Reaktion war überwältigend, und am Ende bekamen sie sieben Dollar, so viel wie Pops in zwei Monaten verdiente. So

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entschied er, dass sie Singen zum Beruf machen sollten. Die neugeborenen Staple Singers hatten ihren ersten Schritt in die lokale Gospelszene gemacht, wo sie in den nächsten Jahren regelmäßig auftreten sollten. Ihre Auftritte waren sensationell, weil die meisten Leute zuerst nicht begriffen, dass die Solistin mit der tiefen Stimme ein zierlicher Teenager war und kein Mann oder eine größere Frau. In den 50er-Jahren begann sie, aufzunehmen und hatten 1956 mit dem Hit „Uncloudy Day“ den Durchbruch, angeführt von Mavis’ tiefem Alt.

Gruppe auf dem Marsch von Selma nach Montgomery teilgenommen hatte. „Ich mag die Botschaft dieses Mannes, und ich denke wenn er sie predigen kann, können wir sie singen“, sagte Pops und sie wurden zu regelmäßigen Unterstützern auf Demonstrationen und Märschen, unter den Fittichen ihrer Mentorin, der lebenden Legende Mahalia Jackson. Einmal kamen sie ins Gefängnis, ohne zu erfahren warum.

Außerdem hatten sie eigene Versionen der Lieder anderer, wie zum Beispiel von Buffalo Springfield's „For what it's worth“ und Bob Dylan's „Masters of war“. In den späten 60ern ging die Familie bei Stax Records unter Vertrag und hatte gewaltige Hits wie „I'll take you there“, „Respect yourself“ und „(If you're ready) Come go with me“ – sozial bewusste Lieder und bis heute wichtige Aufnahmen. Sie traten bei zwei der wichtigsten Konzerte der Soulmusik auf: 1972 beim Wattstax-Musikfestival und beim Soul to Soul Festival in Ghana. Bei Stax machte Mavis auch ihre ersten Schritte allein als Soul-Künstlerin. Ihre zwei LPs für die Plattenfirma aus Memphis verkauften sich zwar nur mäßig, zeigen aber ihr Potential als Solokünstlerin, das später voll aufblühte. Stax ging bankrott und die Staples zogen weiter zu Curtis Mayfields Curtom Plattenfirma, wo sie ihren Erfolg mit dem Filmsoundtrack „Let’s do it again“ erneuerten. Beginn der Solokarriere Mavis hatte auch solo ein erfolg-

An der Seite von MLK Unverwechselbarer Gitarrenklang mit einem charakteristischen Tremolo, knappe und rohe Vokalharmonien basierend auf fast minimalistischen Strukturen, zwei sehr unterschiedlich klingende Solisten (Pops’ sanfter Tenor und Mavis’ rauer Alt), Gospellieder mit einem Blues- und CountryEinschlag: Sie schlugen eine entgegengesetzte Richtung zur Tradition ein, um neues Terrain zu betreten, und auch Protestlieder kamen in ihr Repertoire. Pops und Martin Luther King, Jr. wurden enge Freunde, nachdem die

Die amerikanische Gospelband Staples Singers bestand aus Roebuck "Pop" Staples und seinen Töchtern Cleotha, Pervis, Yvonne und Mavis

Foto: blogs.theprovince.com

von Pierluigi AVORIO

Foto: Jalylah Burrel

Singen über Ungerechtigkeit


Leo K’s Musiktipps

reiches Album, „A piece of the action“, ebenfalls Filmmusik. Später, aufgrund interner Probleme bei Curtom, stagnierte die Plattenkarriere der Familie und sie konzentrierten sich mehr auf Auftritte, mit Höhepunkten wie dem Erscheinen im Film „The Band“ im Jahr 1978. Seit den 1980er-Jahre hörten sie auf, als Gruppe aufzunehmen. Zu dieser Zeit intensivierte Mavis ihre So l o b e s t re b u n g e n unter der Aufsicht von Prince, der zwei ihrer Alben produzierte. Eins davon war das politische „The Voice“, das Lieder über Politiker, die Kindsmord in Auftrag geben und über vorenthaltene Rechte enthält. Sie wurde zu einer der ge-

Kendrick Lamar: The Blacker The Berry Der U.S.-amerikanische Rapper und Songschreiber, der seit 2009 Mitglied des Hip-HopKollektivs Black Hippy ist, arbeitet zur Zeit an seinem dritten SoloAlbum, das im Laufe des Jahres 2015 erscheinen soll. Angeblich wurden dafür bereits vierzig Songs aufgenommen, die beiden Vorab-SingleVeröffentlichungen „i“ und „The Blacker The Berry“ klingen auf jeden Fall mehr als vielversprechend. Für „i“ erhielt Kendrick Lamar vor kurzem bei den Grammy Awards 2015 die Auszeichnung für die beste Rap-Darbietung des Jahres. Die rüde Attitude und rhythmische Eindringlichkeit des Songs kommt nicht von ungefähr und erinnert ein wenig an Eminem und Snoop Dog, mit denen Kendrick Lamar in der Vergangenheit zusammengearbeitet hat.

In eine ähnliche Kerbe schlägt „The Blacker the Berry“, das von der Ermordung des Afroamerikaners und HighschoolSchülers Trayvon Martin in Sanford (Florida) durch einen „Nachbarschaftswachmann“ im Februar 2012 erzählt. Der Todesfall und seine Umstände lösten in den USA eine landes-, wenn nicht sogar weltweite Rassismusdiskussion aus, vor allem weil sich der Täter auf angebliche Notwehr berief und letztlich freigesprochen wurde. Der Song-Titel ist dem eines Romans aus der sogenannten Harlem Renaissance aus dem Jahr 1929 entliehen, der das rassistische Klima in den USA gekonnt auf den Punkt bringt und einmal mehr daran erinnert, dass Foto: quellepopsugar.com sich an diesem Klima – fünfzig Jahre nach Martin Luther King und im siebenten Jahr der Amtszeit Obamas – bis heute nichts geändert hat. www.kendricklamar.com

Fatima Spar & The Freedom Fries

Übersetzung von Tine Bazalka

Die in Hohenems geborene Nihal Şentürk alias Fatima Spar gehört zu den derzeit fleißigsten Jazz-Musikerinnen Österreichs und arbeitet mit zwei unterschiedlichen Formationen. Sie schreibt ihre Songs in türkischer, englischer und

Foto: muslib.ru

suchtesten Gastsängerinnen: Ihre Stimme hört man auf Aufnahmen von Aretha Franklin, Ray Charles, Abbey Lincoln, Bob Dylan, Bonnie Raitt, Maria Muldaur, Natalie Cole, Nona Hendryx und unzähligen anderen. Zum Gospel kehrte sie 1996 mit einem Tributalbum für Mahalia Jackson zurück und später, 2013, mit „Have a little faith“. Letzteres zeigte eine Rückkehr zum Klang der Staple Singers und wurde so gut aufgenommen, dass die nächste CD, „We’ll never turn back“ – eine Sammlung von Protestliedern der Bürgerrechtsära – von Ry Cooder persönlich produziert wurde. Kritiker_innen und das Publikum waren begeistert und drei weitere Alben und ausgiebige Touren folgten. Über eine Karriere, die sechs Jahrzehnte lang gedauert hat, hat Mavis nie ihren sozialen und politischen Glauben verraten und bis heute ist sie eine der Ikonen, die niemals den Kampf aufgegeben haben.

deutscher Sprache. Ihr Stil wechselt zwischen Swing, Balkan Brass, Calypso und orientalischer Musik. Auf dem Debut-Album „Zirzop“ ihrer Band The Freedom Fries (2006) fand sich unter anderem der Song „Istanbul darf nicht Wien werden“, mit dem die Sängerin einen Strache-Slogan ad-absurdum führte und klare Position gegen Ausgrenzungsmechanismen und Zuwanderungs-Paranoia bezog. Sie wurde für den Amadeus Austrian Music Award und den BBC World Music Award nominiert und war Botschafterin des „Europäischen Jahres des Interkulturellen Dialogs 2008“. Mit den Freedom Fries veröffentlichte Fatima Spar in diesem Jahr außerdem das vielbeachtete Album „Trust“, das ein wenig mehr in Richtung tanzbarem Pop geht und dennoch den Pfad der kritischen Beobachtung der Wiener Befindlichkeit zum Thema Rassismus und Islamophobie nicht verlässt. Ehe Fatima Spar im Mai ihr neues Projekt mit dem Jazzorchester Vorarlberg (JOV) präsentieren wird – die experimentierfreudige Kombo hat gerade erst u.a. mit Mieze Medusa das Album „Morphing“ eingespielt – tritt sie mit den Freedom Fries in der Wiener Arena auf. Das Konzert bildet die Abschlussgala des diesjährigen Akkordeonfestivals und findet am 21. März 2015 statt, Beginn 19:00 Uhr. www.fatimaspar.com

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Religionshasser ermordet Muslime in Chapel Hill Die Opfer des Mordanschlags von Chapel Hill – Yusor Mohammad Abu-Salha, ihr Mann Deah Shaddy Barakat und ihre Schwester Razan Mohammad Abu-Salha – sind österreichischen Medien kaum einen Bericht wert gewesen. Von der öffentlichen Empörung mit TV-Diskussionen und Hintergrundberichten wie nach dem Anschlag auf Charly Hebdo war keine Spur. Diese Diskrepanz macht viele Muslime traurig und wütend – zurecht.

C

raig Stephen Hicks, 46, hat die drei Studierenden in ihrer Wohnung überfallen und durch Kopfschüsse getötet. In den USA nehmen intelligente liberale Medien wie das Magazin Salon den Mordanschlag zum Anlass, auf ein Phänomen aufmerksam zu machen, das oft ignoriert wird. Wütende weiße Männer, oft von diversen rechten Ideologien beeinflusst, stellen die größte Terrorgefahr in den USA dar. Der Täter von Chapel Hill, ein Waffenfan, der schon lange „nicht mochte, wie die muslimischen Frauen sich kleideten“, passt

Foto: privat

von Tom D. ALLAHYARI Die Opfer: Yusor Mohammad Abu-Salha, Razan Mohammad Abu-Salha und Deah Shaddy Barakat

in dieses Profil des „einheimischen gewalttätigen Extremisten“. Sogar CNN berichtete vor kurzem, dass seit dem Anschlag vom 11. September „Extremisten, die sich einer Vielzahl weit rechts stehenden Ideologien zugehörig fühlen, Rassisten („White Surpremacists“), Abtreibungsgegner und Anti-Regierungs-Militante mehr Menschen in den USA umgebracht haben als die spärlichen Extremisten, die von der al-Qaida-Ideologie motiviert sind.“ Es ist für den Durchschnittsame-

rikaner wie auch für MainstreamMedien schwer zu verkraften, aber das Gesicht des Terrorismus in den USA des letzten Jahrzehnts ist hauptsächlich weiß – und nicht muslimisch. Weiß, männlich, US-Bürger Eine Studie der angesehenen New America Foundation führt an, dass von 448 extremistischen Angreifern zwischen 2001 und 2015 die überwiegende Mehrheit Weiße mit US-Staatsbürgerschaft waren.

Als der Rechtsradikale Timothy McVeigh 1995 einen verheerenden Bombenanschlag auf das Federal Building in Oklahoma verübte, begannen die Behörden sich für diese Tätergruppe zu interessieren. Leider nur kurzfristig, denn nach 9/11 richtete sich der Fokus auf Terrorgruppen mit islamistischer Ideologie. Der Hass und die Frustration diverser Rechtsradikaler ist inzwischen aber gewachsen. Die Frage ist nicht ob, sondern wann und wo sie wieder zuschlagen.

Mahnwache in Wien für muslimische Terroropfer Nach den Anschlägen von Chapel Hill rief das Netzwerk Muslimische Zivilgesellschaft (NMZ) zu einer Mahnwache gegen den Terror und antimuslimischen Rassismus auf. An der Kundgebung am Wiener Graben beteiligten sich fast ausschließlich Muslim_innen, etwa 400 an der Zahl. Im Gegensatz zur Mahnwache für Charlie Hebdo, zu der die gesamte politische Elite aufrief, fand es hier kein österreichischer Politiker nötig, sich zu zeigen. Medien waren abgesehen von Linkswende und Haber Journal nicht vor Ort. Auf der Mahnwache gab es Reden, Gebete und eine Schweigeminute für die Opfer. Eine Rednerin verglich die feigen Morde in der USA mit der

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Ermordung der Ägypterin Marwa El-Sherbini in Dresden. Diese wurde 2009, von einem Rechtsextremen, in einem Gerichtssaal erstochen. Der Mörder stach 16 Mal auf die Schwangere ein, erst dann konnte er von der Polizei weggezerrt werden. Auch über diesen Anschlag wurde in den westlichen Medien verhältnismäßig wenig berichtet. Ein Erfolg der Mahnwache war, dass Passant_innen die zufällig am Graben spazierten, zu uns kamen um sich zu informieren. Kaum jemand hatte von den Anschlägen gehört.

Durch die Mahnwache gelang es uns wenigstens eine wenig Aufmerksamkeit für die Opfer zu

bekommen und zu zeigen dass es keine Toleranz für antimuslimischen Rassismus und Terror geben darf.

Foto: Haber Journal

von David REISINGER


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Linkswende Monatszeitung für Sozialismus von unten Herausgeber (für Inhalt verantwortlich): Manfred Ecker Redaktion: Tom D. Allahyari, Manfred Ecker, Hannah Krumschnabel, Judith Litschauer, Oliver Martin, Ludwig Sommer, Olga ­Weinberger, David Albrich, David Reisinger. Post: Kettenbrückeng. 5/102, 1050 Wien Telefon: 06504522473 Web: www.linkswende.org Email: redaktion@linkswende.org ZVR: 593032642

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Internationalismus. Kapitalismus ist ein ­internationales System, das nur international besiegt werden kann. Wir unterstützen das Recht aller unterdrückten Gruppen, sich zu ihrer Verteidigung zu organisieren. Gegen Unterdrückung. Als Sozialist_innen stellen wir uns gegen alle Versuche uns entlang von Staatsgrenzen, Hautfarbe, R ­eligion, Geschlecht oder sexueller O ­ rientierung zu spalten. Wir treten für echte soziale, ­politische und wirtschaftliche Gleichberechtigung von Frauen und für ein Ende aller Diskriminierungen von LGBT ein. Revolutionäre Partei. Diejenigen, die eine gerechte und solidarische Gesellschaft wollen, müssen sich zusammentun und dürfen die Entwicklung von Protestbewegungen nicht dem Zufall überlassen.

Revolutionäre Organisation • die auf Aktivität setzt, Proteste aufbaut und Widerstand organisiert. Über unsere Zeitung lernen wir Aktivist_innen kennen und schaffen uns ein festes Netzwerk. • die sich mit der politischen Situation auf ­regelmäßigen Treffen auseinandersetzt. • die in der Tradition revolutionärer Bewegungen steht und das „Gedächtnis“ der Arbeiter_innenklasse werden will. Wir machen Theorieund Öffentlichkeitsarbeit. • die gewährleistet, dass Demokratie auch handlungsfähig wird. Wir diskutieren ­ wichtige Fragen ausführlich und setzen Entscheidungen gemeinsam um. • die unabhängig agieren will. Wir finanzieren den Aufbau von Linkswende über Mitgliedsbeiträge und ­Spenden.

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Im Jänner luden Heimat ohne Hass-Sprecher Manfred Walter, Datenforensiker Uwe Sailer und Linkswende zur Pressekonferenz über die Klagen freiheitlicher Politiker. Sie waren sich einig: „Wir lassen uns nicht einschüchtern!“

STRACHE UND FPÖ MISSBRAUCHEN JUSTIZ W

ir haben uns in der Vergangenheit durch Jörg Haiders Klagen bremsen lassen und Kritik für Jahre nicht mehr in der nötigen Härte gebracht, weil es für uns vor 14 Jahren nicht leistbar war, die Anwalts- und Gerichtskosten zu bezahlen. Die FPÖ war in der Regierung und stellte den Justizminister. Schließlich haben wir aber beschlossen, die FPÖ wieder in aller Schärfe zu kritisieren. Und wir machen unsere Sache gut. Strache klagt uns, weil wir ihn auf Demonstrationsschildern neben dem norwegischen Naziterroristen Breivik abgebildet haben. Der Text zu den zwei Portraits lautete: „Verschiedene Gesichter – derselbe Hass“. Wir werden durch alle Instanzen gehen und uns auf keinen Vergleich einlassen, sondern den Wahrheitsbeweis antreten. Unsere Antwort finden Sie als Broschüre oder im Zeitungsinneren als Artikelserie. Ohne Spenden läuft nichts Es hat wahrscheinlich noch kein

Medium vor uns versucht auf FPÖ-Klagen mit Spendenkampagnen zu reagieren. Wir können es nur empfehlen! Die Art und die Menge an Kleinspenden die wir von Euch, liebe Leserinnen und Leser, bisher erhalten haben, ist wirklich atemberaubend. Sie sind auch weiterhin notwendig, weil wir wie andere Klagsopfer von FPÖ-Politikern, keine Steuergelder zur Verfügung haben. Strategie: Finanziell ruinieren Die Strategie der FPÖ-Politiker ist es ihre Gegner mit Klagen einzudecken, die zwingend Anwaltskosten verursachen, so genannte anwaltspflichtige Verfahren. Selbst wenn sie mit völlig absurden Klagen kommen und man eigentlich nur vor Gericht vorsprechen wollte, um zu erklären, was für ein Blödsinn sie sich zusammengereimt haben, bleibt man auf Anwaltskosten von über 1.000 Euro sitzen. Außer der Kläger wird zu einer Buße von über 3.000 Euro verurteilt, was ganz selten der Fall ist.

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Verwendungszwec Natürlich hat e gegen Strache Spend auch der FPÖPolitiker dabei Empfänger: Linkswende Kosten, aber die IBAN: AT08 1400 0047 1066 0102 FPÖ kassierte BIC: BAWAATWW aus Steuergeldern alleine 2014 Zusätzmindestens 12,5 Millionen Euro, lich werden den Filmpirat_innen dazu kommen die Publizistikför- 2.698,13 Euro in Rechnung gederungen für ihre unsäglichen stellt. In der Klage wird der Verein Blätter, Gehälter für Abgeordne- aufgefordert innerhalb einer Frist te, Bundesräte, Landespolitiker, Stellung zu nehmen.“ Gemeinderäte und vieles mehr. Der Aufdecker Uwe Sailer wurde über 70 Mal von FPÖ-Politikern Solidarität zwischen Opfern verklagt, hat kein einziges Mal Das jüngste Beispiel der Klage verloren und musste dennoch gegen die Filmpiraten spricht schon über 10.000 Euro bezahBände. FPÖ-TV hat Filmmaterial len. Wir Klagsopfer brauchen der Filmpiraten verwendet ohne weiterhin Eure Spenden. Die die Bedingungen der lizenzfreien FPÖ missbraucht unser aller Weitergabe einzuhalten. Deshalb Steuergeld für ihre miese Strategie haben die Filmpiraten die FPÖ und wir dürfen sie damit nicht außergerichtlich aufgefordert das durchkommen lassen. zu unterlassen. Die Reaktion der FPÖ war eine Klage gegen die Spendet weiter! Ihr könnt uns auch Filmpiraten: „Sie werfen dem Ver- unterstützen, indem ihr Gewerkschafein vor, falsche Behauptungen zu ten, NGOs und andere Netzwerke von stellen und damit die Meinungs- unserem Fall informiert. Sendet uns freiheit der FPÖ zu behindern. Der Unterstützungserklärungen an linksStreitwert beträgt 35.000 Euro. wende@linkswende.org.


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