Linkswende Nr. 165

Page 1

Monatszeitung für Sozialismus von unten

Nr. 165 März 2013 Spende 1,50 EUR Solidaritätsspende 2,00 EUR

www.linkswende.org

10 Jahre Irak-Krieg: Imperialismus-Spezial >>> Seite 8/9

SOLIDARITÄT Unsere Waffe gegen die FPÖ enn man die FPÖ erfolgreich bekämpfen will, und die Zeiten dafür sind besser als in vergangenen Wahljahren, dann müssen wir uns unserer Stärken besinnen. Unsere stärkste Waffe ist die internationale Solidarität. Das ist viel mehr als eine Floskel, es ist eine potentielle Kraft, die wir immer weiter entwickeln müssen. Eine der Aufgaben, die vor uns stehen, ist die Entwicklung von Kollektivität, ohne die wir einzelnen Arbeiter_innen machtlos wären. Wir können das nur tun, indem wir aktiv kämpferische Bewegungen aufbauen. Aber wir müssen auch, wenn wir die Gefahr FPÖ konfrontieren, ganz nüchtern analysieren, was ihr Erfolgsrezept war. Sie hat wenig aus eigener Kraft zu ihren Wahlerfolgen beigetragen. Der rasante Aufstieg Haiders Mitte der 1990er-Jahre hatte zwei wichtige Standbeine: Erstens weit verbreiteten Rassismus, der nicht von ihr selbst erzeugt

NACHHALTIGKEIT Ludwig Sommer zeigt auf, was wirklich notwendig ist.

>> SEITE 4 Foto: ecosocialismcanada.blogspot.co

WOHLSTAND UND BILDUNG Seite 5

der Elterngeneration erfüllen und sich eine eigene Existenz aufbauen. Auf ihren Frust und Zorn nur mit dem erhobenen Zeigefinger zu reagieren, treibt sie oft der einzigen Partei zu, die radikale Oppositionspolitik betreibt und die auf ihre Art verspricht, dass sie mit allem „aufräumen“ wird. Was ihre wirklichen Ziele sind, musste die FPÖ bisher nie öffentlich auszusprechen. Eine außerparlamentarische Bewegung muss sich dieser Faktoren bewusst sein und richtig darauf reagieren. Sie muss Solidarität aufbauen und Rassismus bekämpfen. Sie muss eine soziale Bewegung gegen die Politik der großen

Koalition richten können und sie muss vor allem radikalen Widerstand mit einer linken Perspektive anbieten können, wenn sie der FPÖ etwas entgegensetzen will.

Foto: Daniel Weber

W

wurde. Die FPÖ hat ihn nur verstärkt, angeheizt und für ihre Zwecke ausgenutzt. Erzeugt wurde er in ganz großem Stil von den Regierungen der EU und Österreich. Hauptziele dieser rassistischen Welle, auf der die FPÖ erfolgreich gesurft ist, waren Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien und türkische Arbeiter_innen. Zweites Standbein war die notorische politische Krise, in die sich die große Koalition manövriert hat. ÖVP und SPÖ waren sich darin einig den österreichischen Sozialstaat drastisch zu beschneiden, doch die SPÖ konnte den gewerkschaftlichen Widerstand viele Jahre lang nicht überwinden. Das resultierende Schmierentheater, der Stillstand, die immer unterschwelligen Angriffe auf Pensionen und andere Errungenschaften produzierten Frustration und Aggressionen, die Jörg Haider gut zu nutzen wusste. Dazu kommen die Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf vor allem junge Menschen. Immer seltener können sie die Erwartungen

THEORIE: KAMPF GEGEN SEXISMUS Seite 10

WU: Eine neue Studie ­beleuchtet den Zusammenhang zwischen Herkunft und Bildungschancen.

KULTUR: ART BRUT Seite 14

Tine Bazalka ­erklärt die Rolle von ­Frauenunterdrückung im Kapitalismus. Foto: TeleSURtv

Foto: APA

Foto: Linkswende

von Manfred ECKER

Karin Wilflingseder berichtet vom ­künstlerischen Schaffen in Gugging.

Foto: Linkswende

Linkswende


2

März 2013 Linkswende GLOBAL

GRIECHENLAND

One Billion Rising

U

Innenministerin Mikl-Leitner. Ute Bock dazu: „Ich habe mich natürlich erkundigt, weil ich ja immer so etwas suche. Da sagte eine Angestellte vom Arbeitsamt zu mir: Machen Sie das nicht, das ist reine Sklavenarbeit. Die Arbeit ist im Marchfeld und die Erntehelfer kriegen 3 Euro pro Stunde. Sie müssen täglich 15 Stunden in der prallen Sonne arbeiten. Außerdem ist es oft von der Laune des jeweiligen Beamten abhängig, ob der Asylwerber den Saison-Job auch bekommt.“

„Natürlich. Die FPÖ wird auch immer ganz böse, wenn man die vielfachen Verbindungen zu NSSprüchen, -Inhalten und -Symbolen aufzeigt. Alles Missverständnisse, Zufälle, böse Unterstellungen, und außerdem: Was soll ein junger RFJ-Mann schon von Auschwitz wissen? (Außer dass es das gar nicht gegeben hat.)“ Hans Rauscher im Standard

„Die Radikalität der FPÖ, ihr lustvolles Spiel mit Versatzstücken der NSPropaganda, ihre Menschenfeindlichkeit und ihre Hetze gegen Religionen treten immer wieder offen zutage!“ Christian Deutsch, SPÖ Wien

IMPRESSUM Linkswende

Monatszeitung für Sozialismus von unten Herausgeber (für den Inhalt verantwortlich): Manfred Ecker. Redaktion: Tom D. Allahyari, Manfred Ecker, Daniel Harrasser, Peter Herbst, Hannah Krumschnabel, Oliver Martin, Ludwig Sommer. Post: Linkswende, Postfach 102, Kettenbrückeng. 5, 1050 Wien Telefon: 0650 452 24 73 Web: www.linkswende.org Email: redaktion@linkswende.org ZVR: 593032642

Frauen und Männer schwangen das Tanzbein vor dem Parlament.

I

n Griechenland werden die Maßnahmen der Regierung gegen die Bevölkerung immer verzweifelter. Nachdem in den Vorjahren streikenden Straßenreinigungskräften und Fernfahrer_innen mit Gefängnisstrafen gedroht wurde, waren im Jänner Streikende sollten zwangsverpflichtet werden. die U-Bahnfahrer_innen dran. Die hatte einen von unten organisierten Besetzung der U-Bahn-Einsatzzen- Mini-Generalstreik zur Folge, an trale wurde mittels Polizeigewalt dem sich Bahn- und Gemeindebebeendet und die Angestellten unter dienstete, Krankenhausangestellte Androhung von Gefängnishaft zur und Busfahrer_innen beteiligten. Arbeit gezwungen. Ebenso erging es Die Gewerkschaften, die mittlerden Fährenarbeiter_innen. Nach ei- weile von kämpferischen Arbeiter_ nem einwöchigen Streik wurden sie innen und der antikapitalistischen zum zivilen Militärdienst eingezo- Linken kontrolliert werden, riefen gen, bei Arbeitsverweigerung droht zu einem weiteren Generalstreik am eine fünfjährige Haftstrafe. Das 20. Februar auf.

ÖSTERREICH

DEUTSCHLAND

Erfolg gegen Nazis in Dresden

D

as Bündnis „Dresden Nazifrei“ konnte auch dieses Jahr einen Erfolg feiern. Die 600 Nazis, die zu einem „Trauermarsch“ angereist waren, kamen wieder kaum vom Bahnhof weg. Dafür sorgten 4.000 Ge g e n d e m o n s t r a n t _ i n n e n , die verschiedene Punkte in der Stadt blockierten. Eine breite Masse der Bevölkerung erteilte dem symbolhaften stillen Gedenken von CDU/CSU und

Stadtverwaltung eine Absage. Die Aktivist_innen ließen sich nicht von Repressionsmaßnahmen einschüchtern, wie etwa eine zweijährige Haftstrafe, zu der vor wenigen Wochen der Aktivist Tim H. ohne jegliche Beweise verurteilt worden war. Zum Erfolg mit beigetragen hat die Breite des Bündnisses, das aus linken Organisationen, Gewerkschaften und NGOs besteht.

A

Sozial wäre ein höherer Lohn

m 30. Jänner gingen in Öster- Durchschnitt, das bisher letzte Anreich 7.000 Beschäftigte aus gebot der Arbeitgeber mit 2,4% Sozial- und Pflegeberufen für eine Lohnsteigerung liegt unter der bessere Entlohnung auf die Straße. Inflationsrate und bedeutet einen In Wien waren es 3.000, in Linz Reallohnverlust. Deshalb wird die 2.200. Eine Betriebsrätin brachte Unternehmerseite zur Armutses auf den Punkt: „Viele Arbeitgeber bekämpfung unter ihren eigenen aus der Branche sind in Projekten zur Angestellten aufgefordert – mittels Armutsbekämpfung aktiv. Das gilt angemessener Löhne. leider nicht für die eigenen Angestellten. Die Beschäftigten können wegen der niedrigen Löhne im Winter nicht immer die Heizung einschalten und der Kühlschrank ist häufig nicht gerade voll! Wir haben 80 Prozent Teilzeitangestellte mit mickrigen Gehältern.“ Schon jetzt liegen die Einkommen im Sozial- und Pflegebereich um Arbeitgeber aus Branche Armutsbekämpfung 18% unter dem bekämpfen die Löhne ihrer Angestellten.

Foto: Linkswende

„… nach drei Monaten im Verfahren darf ein Asylwerber ja schon als Saisonnier, etwa in der Landwirtschaft oder im Tourismus, arbeiten. ... Aber die Flüchtlingsorganisationen müssen den Asylwerbern schon Unterstützung geben, dass sie Saisonjobs annehmen.“

Foto: Linkswende

Innenministerin Mikl-Leitner reagiert erwartungsgemäß auf den Protest der Flüchtlinge.

Frauen, die laut einer UN-Studie im Laufe ihres Lebens geschlagen oder vergewaltigt werden. In Österreich fanden sich 1.000 Teilnehmer_innen vor dem Parlament ein. Die Kundgebung war lautstark und lebhaft und lässt für den internationalen Frauentag am 8. März Gutes erhoffen.

Foto: Christian Jäger

„Strukturelle Änderungen im Asylwesen werden nicht stattfinden.“

nter dem Motto „One Billion Rising“ (www.onebillionrising.org) versammelten sich am Valentinstag auf der ganzen Welt Millionen Menschen in tausenden Städten um gegen Diskriminierung und Gewalt zu demonstrieren. Der Name bezieht sich auf die eine Milliarde

Der Kampfgeist ist ungebrochen

Erneut stellten sich Tausende dem Naziaufmarsch in den Weg.

IM VISIER: Alexander Markovics

W

as dabei herauskommt, wenn Rechtsextreme versuchen lustig zu sein, wurde einmal mehr von W.I.R. demonstriert (die „Wiener Identitäre Richtung“, intern auch „Weiß, Identitär, Revolutionär“). Bei ihrer „Besetzung der Besetzung“ in der Votivkirche gingen sie allerdings sehr geschickt vor: durch ihren Gymnasiastenhumor („Solidarität mit Sepp Unterrainer“) wirken sie bloß wie wohlstandsverwahrloste Pubertäre und nicht wie Neonazis, die sie ebenfalls sind. Davor traten sie am Floridsdorfer Schlingermarkt in Erscheinung, wo sie sich einer Caritas-Veranstaltung mit dem Titel „Tanz die Toleranz“ anschlossen. Mit Affen- und Schweinemasken maskiert war ihr eigenes Motto dabei allerdings „Zertanz die Toleranz“. (Kronen-Zeitung: „Dumme Affen störten Caritas-Veranstaltung“). Dabei ist jedoch nicht alles Spaß und Tollerei: Die Identitären sind ernsthafte junge Menschen mit schwerwiegenden Sorgen. Iden-

titären-Obmann Alexander Markovics hört bei Zuwanderung „die Totenglocken Wiens“ läuten, gehörte bislang zu den „stummen, entsetzten Zeugen einer solchen Seelenzerstörung“, setzt sich jedoch inzwischen „mit dem festen Glauben an unser Lebensrecht“ gegen „die herrschende Multi-Kulti-Clique“ zur Wehr. Denn „wer von Kulturen redet, darf von Völkern nicht schweigen“. Beendet werden muss das „Friedhofsschweigen unserer Identität, das vom Gelärm migrantischer Jugendlicher durchbrochen wird“: „Fast jeder einzelne von ihnen steht für ein abgetriebenes Kind von uns“. Und fast jede errichtete Moschee steht für eine nicht gebaute Kirche, und jedes verzehrte Döner Kebab steht für ein nicht gegessenes Leberkäs-Semmerl! Dazu muss man der „permanenten Feierlaune“ und dem „grassierenden Hedonismus den Kampf ansagen, wenn wir Wien auch ein drittes Mal verteidigen wollen“ und „letztlich das tun, was die Verteidiger Wiens 1683 taten“. Dabei

Foto :

W.I .R

.

dürfen sich die neuen Verteidiger Wiens „nicht von Rechtsextremismusvorwürfen einer linken Jagdgesellschaft ins Bockshorn jagen lassen. Wenn die krisenhaften Entwicklungen so weitergehen, wird nämlich genau diese herrschende, linke, egalitaristische, gleichmacherische Kulturelite unser geringstes Problem sein“. Derzeit ist sie noch das größte Problem, wie die FPÖ-Jugend- und Studentenorganisationen RFJ und RFS in einer Presseaussendung zur Votivkirchenaktion beklagten. Die W.I.R.ren entkamen jedoch laut eigener Aussage dem „Mob linksextremer Schlepperfans“, der „nach [ihrem] Blut gierte“ und könnten uns bald mit neuen Aktionen unterhalten.


Linkswende März 2013

EDITORIAL

O

ne Billion rising – eine Milliarde steht auf: Das war eine sehr gute und wichtige Initiative gegen die Gewalt, der Frauen auf der ganzen Welt ausgesetzt sind. Diese Gewalt hat Aspekte, die oft nicht wahrgenommen werden und denen wir uns deshalb verstärkt gewidmet haben. Im Theorie-Artikel auf Seite 10 haben wir Gelegenheit auf die politischen und wirtschaftlichen Zusammenhänge, unter denen Sexismus gedeiht, aber auch auf die sozialen Aspekte von Gewalt gegen Frauen einzugehen, die sonst gerne unter den Tisch gekehrt werden. Eine Studie über Mobilität von Bildung und Einkommen in Österreich hat Ergebnisse zutage gefördert, die wir sonst selten mit Zahlen belegen können. Klassengesellschaft, Sexismus und Rassismus hängen eng zusammen und werden durch politische Maßnahmen (bzw. die Mutlosigkeit der politischen Akteure) verstärkt. Auf Seite 5 findest du eine Zusammenfassung der Ergebnisse. Wir führen ab dieser Ausgabe eine neue „gendergerechte“ Schreibweise ein, den so genannten gender_gap. Es irritiert hoffentlich nicht, wenn man von Arbeiter_innen und Kämpfer_innen liest, aber wir wollen damit die Rolle von Frauen als aktive Akteure der Geschichte würdigen. Nicht weil wir der Vorstellung anhängen, damit das Bewusstsein unserer Leser_innen zu verändern (daran glauben wir nicht), sondern weil wir die Bemühungen aller Menschen schätzen, die um Frauenrechte kämpfen. Den

KOMMENTAR

Linkswende online

von Manfred ECKER Gefallen einer gendergerechten Schreibweise tun wir übrigens nicht allen: Putschisten, Faschisten und ähnliches Gesocks haben das nicht verdient. Da wir uns in einem entscheidenden Wahljahr befinden – vier Landtagswahlen und eine Nationalratswahl – findet ihr in dieser Ausgabe wieder einige Artikel zu dem leidigen Thema FPÖ, aber Wegschauen lässt die Gefahr nicht kleiner werden. Zum Kampf gegen den Faschismus gehört es sich mit seinen Opfern zu solidarisieren und die Hetzer zurückzudrängen. Rund um die Besetzung der Votivkirche hat sich viel bewegt. Vor zehn Jahren haben die USA unter fadenscheinigen Gründen den Irak überfallen und furchtbar verwüstet. Die Anti-Kriegs-Proteste am 15. Februar 2003 haben Millionen Menschen politisiert. Die Mittelseite widmen wir dem Imperialismus zehn Jahre nach dem Einmarsch in den Irak. Untrennbar verbunden mit Imperialismus sind auch die Revolutionen im arabischen Raum, allen voran Ägypten, wo vor zwei Jahren der Langzeitdiktator Mubarak gestürzt wurde. Unter anderem zeigt sich die befreiende Wirkung der Revolution anhand von Graffitis und anderen Formen von Straßenkunst – siehe Seite 16. Wie immer wollten wir so wichtige Themen wie Umweltschutz, Kunst, Artikel über Geschichte und vieles anderes nicht auslassen. Wir wünschen eine spannende Lektüre.

Aufschrei gegen Sexismus

Besuche uns auch auf unserer Homepage: www.linkswende.org Dort findest du weiterführende Artikel, Analysen, Termine, Demoberichte und Links zu unseren internationalen Schwesterorganisationen und zu marxistischer Theorie, außerdem Fotos und Videos sowie ein umfangreiches, thematisch geordnetes Artikelarchiv. Viel Spaß beim Stöbern.

von Hannah KRUMSCHNABEL

D

Wir freuen uns auch über Feedback und Kritik: redaktion@linkswende.org Linkswende auf Facebook: www.facebook.com/ Linkswende.IST.Austria Linkswende auf youtube: www.youtube.com/ anticapitalista1917 Linkswende auf flickr: www.flickr.com/linkswende

Foto: Daniel Weber

FOTOBERICHT

Am 10. Februar hatten neun Wirrköpfe einen peinlich-pubertären Auftritt in der Votivkirche um die protestierenden Flüchtlinge zu provozieren. Nicht nur waren sofort 200 linke Aktivist_innen zur Stelle, sondern nur einige Tage darauf gingen am 16. Februar gleich 2.500 Menschen auf die Straße um ihre Solidarität mit den tapferen Flüchtlingen und deren berechtigten Forderungen zu zeigen. Kämpferisch, gut gelaunt und laut zog die bunte Demonstration vom Westbahnhof zur Votivkirche.

3

ie auf Twitter unter #aufschrei veröffentlichten Äußerungen sprechen Bände: Der Hashtag ermöglicht es Frauen, ihre Erfahrungen und Meinungen zu sexueller Belästigung zu veröffentlichen. „Ein #aufschrei für alle Po-Klapse, schmierigen Witze, gaffenden Blicke und vor allem die Reaktion aufs Wehren mit: ‚Geh hab dich nicht so...‘“, wie es eine Teilnehmerin beschreibt. Über 50.000 Tweets kamen allein bis Mitte Februar zusammen. Fast ebenso haarsträubend wie die Geschichten über Grabscher und Co. sind allerdings die zahlreichen, vermeintlich lustigen oder einfach nur ekelhaften „Entgegnungen“, die inzwischen die Mehrzahl der Äußerungen ausmachen. Sie zeigen einmal mehr, wie üblich es ist berechtigten Protest von Frauen zu trivialisieren und lächerlich zu machen – und wie nötig Widerstand ist. Denn sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist weder selten noch auf wenige Branchen beschränkt. Tatsächlich fand die Internationale Arbeitsorganisation ILO heraus, dass umso mehr Übergriffe stattfinden, je schlechter ein Job bezahlt ist – und zusätzlich ist es im Niedriglohnbereich ungleich schwieriger, sich als Frau wirksam zu wehren. Nach Einschätzung der ILO häufen sich solche Vorfälle im Zuge der Wirtschaftskrise noch einmal mehr. Eine Studie der EU zeigt, dass (besonders unter 30-Jährige) Frauen am Arbeitsplatz ungleich häufiger von Mobbing oder Belästigung betroffen sind als Männer und dabei speziell von unerwünschter sexueller Aufmerksamkeit. Dass die Forderungen, die in der „Sexismus-Debatte“ diskutiert werden, nötig und richtig sind, steht deshalb außer Frage. Natürlich haben Frauen ein Recht darauf körperlich und psychisch unversehrt durch ihren Arbeitstag zu kommen – und zu definieren, was das für sie bedeutet. Der Leidensdruck, der durch alltägliche Belästigung entsteht, ist auch nicht einfach mit dem Argument wegzuwischen, dass diese Beschwerde nicht den Kern von Sexismus träfe. Umgekehrt: Es ist gerade deshalb so wichtig zu verstehen, wie tief Frauenunterdrückung seit Jahrhunderten in der Gesellschaft und in den Köpfen verankert ist. Sie ist eine Form des „Teile-und-Herrsche“-Prinzips der Klassengesellschaft, wahrscheinlich sogar die mächtigste unter ihnen. Sie zwängt Männer und Frauen in Rollen und schadet damit am Ende beiden. Ungleich verteilte Hausarbeit, niedrigere Löhne oder eben übergriffiges Verhalten sind brutale Erscheinungsformen dieses Machtverhältnisses und keine Lappalien. Der Aufschrei war längst überfällig und er hat es verdient den Medienhype zu überleben.


4

März 2013 Linkswende

DEBATTE

von Daniel HARRASSER

V

Nur 780 anstatt der kolportierten 2.000 Besucher kamen zum Akademikerball 2013. Im Bild: Johann Gudenus – bei der ­Burschenschaft ­Vandalia trägt er den Namen „Wotan“.

Bei den Wahlen 2013 dürfte die FPÖ schlecht abschneiden – es steht allerdings zu befürchten, dass die Medien diesen Umstand Stronach zuschreiben werden, und nicht den Schwächen der FPÖ und den Erfolgen antifaschistischer Arbeit, meint Manfred ECKER.

A

uf alle Fälle geht es der FPÖ aktuell ganz miserabel: Sie kann ihre Mitglieder nicht mobilisieren. Der Parteichef wagt sich nicht auf den von der FPÖ ausgerichteten Akademikerball und ranghohe Funktionäre werden reihenweise wegen krimineller Machenschaften verhaftet. Mit den Freiheitlichen geht es seit 2008 tendenziell bergab. Allerdings war ihr Abschneiden bei Wahlen immer sehr stark vom Verhalten anderer Parteien abhängig. Ihre Probleme sind erstens der permanenten Wühlarbeit von zähen Antifaschist_innen zu verdanken: die lange Serie von Verhaftungen in Oberösterreich hätten wir wahrscheinlich nicht erlebt, wenn der Verfassungsschutz ungestört hätte wegsehen dürfen. Das Antifa-Netzwerk Oberösterreich hat seit Jahren nicht locker gelassen und konnte die Neonazi-Umtriebe sowie die Verbindungen zwischen Neonazis und der FPÖ erfolgreich an die Öffentlichkeit bringen – ganz entgegen den Bestrebungen mancher Behörden. Dann ist neben dem unermüdlichen Karl Öllinger vor allem Hans-Henning Scharsach zu nennen, der mit seinem Buch „Strache: Im braunen Sumpf“ eine ungemeine Fülle skandalöser Entlarvungen geliefert hat. Diese Enthüllungen zusammen mit entscheidenden Fortschritten in der antifaschistischen Bewegung haben der Bloßstellung Straches im ORF und anderen wichtigen Medien den Weg geebnet. Er wird inzwischen viel seltener als ernst zu nehmender Gesprächspartner präsentiert (was uns immer schon zur Weißglut getrieben hat), stattdessen immer häufiger als die dubiose rechtsextreme Figur, die er tat-

sächlich ist. Zweitens hat der politische Charakter der Partei und die persönlichen Charaktere ihrer Mitglieder seine Wirkung entfaltet. Es ist ja kein Zufall, dass ein Maischberger, ein Grasser, ein Graf, die Scheuchs und die anderen unangenehmen Zeitgenossen alle in der FPÖ groß geworden sind. Elitäre Verachtung für Wahrheit, Anstand und Ehrlichkeit ist geradezu ein Grundmerkmal der FPÖ. Ein Blick auf die Gesinnung ihrer Kaderschmieden, den geheimbundähnlich organisierten Burschenschaften, reicht um zu erahnen wie viel Dreck da noch unter dem Teppich verborgen sein könnte. Drittens hat sich die Gesellschaft in den letzten Jahren stark radikalisiert – man denke nur an die Wirkung des Slogans der OccupyBewegung „We are the 99%“. Oder man erinnere sich an die Bleiberechtsbewegung und daran, wie viele Politiker_innen von lokalen Aktivist_innen dazu gezwungen wurden sich für Asylwerberfamilien einzusetzen. Die Bewegung und die durch sie erzeugte Stimmung konnte die Dynamik umdrehen, die Hetzer sind oftmals verstummt. Es ist wichtig, dass wir Antifaschist_innen nicht vergessen, dass die momentane Schwäche der FPÖ nicht vom Himmel gefallen ist. Wir dürfen nicht einfach die Hände in den Schoß legen, auch wenn die FPÖ bei den Wahlen dieses Jahres wie wir erwarten ihren Sinkflug fortsetzen wird. Stark ist sie immer durch die schlechte Politik ihrer parlamentarischen Gegner geworden. Die außerparlamentarische Bewegung ist jetzt gefordert die Schwäche der FPÖ auszunutzen.

Die linke Sicht der Dinge auf: von Ludwig SOMMER

1

% der Menschheit, sie gehören zur Kapitalistenklasse, verhindert eine nachhaltige Entwicklung unserer Gesellschaft. Die Kapitalisten nehmen katastrophale Konsequenzen – Millionen von Hungertoten, irreversible Umweltverschmutzung, Artensterben und einen unkontrollierbaren Klimawandel – mutwillig in Kauf. Eine nachhaltige Entwicklung können wir nur dann erreichen, wenn wir die Klassengesellschaft überwinden. Die öffentliche Debatte über Nachhaltigkeit und die zunehmende Forschung in diesem Be-

reich sind bedeutende Schritte im noch jungen 21. Jahrhundert. In der Praxis sehen wir von diesem Ideal rein gar nichts ernsthaft umgesetzt. Außerdem werden oftmals äußerst fragwürdige Schlussfolgerungen gezogen: „Die Welt leidet an Überbevölkerung. Wir leben alle über unseren Verhältnissen. Wir müssen auf unseren Wohlstand verzichten. Die Entwicklungsländer dürfen keinesfalls ein gleiches Wohlstandsniveau erreichen.“ Sozialist_innen müssen dem widersprechen. Es ist der Kapitalismus, die Organisation der Gesellschaft nach Profitinteressen, der einer nachhaltigen Entwicklung im Wege

Wiener Volksbefragung

om 7. bis 9. März werden die Wiener_ innen nach 2010 ein zweites Mal zu vier Bereichen der Stadtpolitik befragt. Neben den Fragestellungen zur Parkraumbewirtschaftung, zu einer möglichen Olympiabewerbung für 2028 und zu erneuerbarer Energie findet sich auch die folgende Frage: „Die kommunalen Betriebe bieten der Wiener Bevölkerung wichtige Dienstleistungen. Zum Beispiel Wasser, Kanal, Müllabfuhr, Energie, Spitäler, Gemeindewohnbauten und öffentliche Verkehrsmittel. Sind Sie dafür, dass diese Betriebe vor einer Privatisierung geschützt werden?“ In Wahrheit ist das Outsourcing in Wien längst Realität. In vielen kommunalen Betrieben hat das Stadtparlament längst keinen Einblick mehr, ein Gutteil der vier Milliarden Euro Schulden ist mit Zins- und Währungswetten an den Schweizer Franken gebunden. Und mit dem Cross-Border-Leasing-Engagement der Wiener Straßenbahnen hat man ebenfalls negative Erfahrungen gemacht! „Die SPÖ schützt vor Privatisierung“, wie auf vielen Plakaten jetzt in Wien zu lesen ist, wird wohl etwas zu wenig sein, um dem Privatisierungsdruck standzuhalten. Angesichts der aktuellen Vorstöße auf EU-Ebene ist es allerdings wünschenswert, ein deutliches Votum in dieser für die Lebensqualität in der Stadt so wichtigen Frage zu erreichen. Eine neue Richtlinie der EU-Kommission für „Bau- und Dienstleistungskonzessionen der öffentlichen Hand“ soll den Weg für private Übernahmen frei machen. Es droht die Liberalisierung und Privatisierung von wichtigen kommunalen Dienstleistungen, insbesonde-

re in den Bereichen Wasser, Verkehr, Energie und Sozialem. An die 145.000 Arbeitsplätze wären betroffen. Profiteure sind einige wenige private Großkonzerne, die in manchen EU-Staaten schon jetzt Bereiche wie die Wasserversorgung kontrollieren. Die Konsequenz: 40% des Trinkwassers versickern im Großraum London im Untergrund, weil private Konzerne lieber Aktionäre verwöhnen als in Leitungsnetze zu investieren. Dazu kommen horrende Preiserhöhungen bei gleichzeitiger Dividendenausschüttung von bis zu einem Viertel der ständig steigenden Wassergebühren an Dividenden. Nachdem die Konzerne ordentlich Kasse gemacht haben, muss der Staat bzw. die Steuerzahler_innen die Sanierung der maroden Infrastruktur schultern. Deshalb empfehlen wir den Leser_innen mit JA für den Schutz vor Privatisierung zu stimmen. Gleichzeitig empfehlen wir, die Frage „Soll sich die Stadt um die Austragung der Olympischen Sommerspiele 2028 bemühen?” mit NEIN zu beantworten. Die Kosten für eine Austragung sind immens. Die Olympischen Spiele von 2012 kosteten die Stadt London mehr als 12 Milliarden Euro. „Die Stadt gibt für die 2000 Sportvereine gerade einmal 900.000 Euro aus. Woher soll dann in Zeiten wie diesen das Geld für Olympische Spiele kommen?”, fragt sich zu Recht Werner Raabe vom ASKÖ Wien in einem Kurier-Interview. Während sich die öffentliche Hand verschuldet, profitieren bei sportlichen Großveranstaltungen vor allem Konzerne. Hinzukommen Preissteigerungen und öffentliche Überwachung, die uns über die Zeit der Olympischen Spiele hinaus erhalten bleiben würden.

Bild: SPÖ Wien

Schwäche der FPÖ: Nicht Stronachs Stärke

So wirbt die Wiener SPÖ – doch die Straßenbahnen (und nicht nur diese) gehören schon längst einem privaten Investor

NACHHALTIGKEIT

steht. Wir verfügen längst über Technologie und Produktionsmittel um nachhaltiges Wirtschaften und Wohlstand für alle Menschen garantieren zu können. Alle bisherigen Ansätze (aus dem bürgerlichen Lager) in Richtung Nachhaltigkeit, die versucht haben ohne einen radikalen Systemwandel auszukommen und auf einen „grünen Kapitalismus“ erhoffen, sind gescheitert. 18 Klimakonferenzen – gescheitert! Millennium-Entwicklungsziele (Millennium Development Goals) – gescheitert! Globale Abrüstung – gescheitert! Aufhalten des Artensterbens – gescheitert! Kosteninternalisierung (durch Monetarisierung) der Umwelt-

schäden – gescheitert! Nachhaltiger Konsum – gescheitert! Das Scheitern liegt darin begründet, dass die bürgerliche Strategie stets auf Individualismus setzt, „jede_r soll ein bisschen verzichten“, und von der irrigen Annahme ausgeht, dass „das Bewusstsein das Sein bestimmt“. Ein linker Ansatz für Nachhaltigkeit geht umgekehrt davon aus, dass „das Sein das Bewusstsein bestimmt“. Die Bedingung für eine nachhaltige Entwicklung ist die Überwindung von Kapitalismus durch das kollektive Eingreifen der Massen. Statt nachhaltigem Konsum brauchen wir nachhaltige Produktion und eine gerechte Verteilung des

Produzierten. Um dies gewährleisten zu können ist die Kontrolle der Produktion durch die Massen notwendig. Wir brauchen eine echte Demokratie, in der die Bedürfnisse der Mehrheit der Menschen auch im Bereich der Wirtschaft verwirklicht werden. „Selbst eine ganze Gesellschaft, eine Nation, ja alle gleichzeitigen Gesellschaften zusammengenommen, sind nicht Eigentümer der Erde. Sie sind nur ihre Besitzer, ihre Nutznießer, und haben sie als boni patres familias (gute Familienväter, Anm.) den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen.“ (Karl Marx: Das Kapital, III, 2, 309 MEW 25, S. 784)


Linkswende März 2013

Bessere Kindergärten sind der Schlüssel!

5

Wohlstand und Bildung: Geprägt von „Rasse“, Geschlecht und Klasse

ÖVP-Integrationsstaatsekretär Sebastian Kurz fordert separate Vorschulklassen für schulpflichtige Kinder mit Sprachproblemen. Die Ghetto-Bildung für Kinder mit Migrationshintergrund würde die enorme Chancenungleichheit im Bildungssystem verschärfen. Statt dieser Diskriminierung brächte die Aufwertung des Kindergartens Fortschritt im Bildungssystem. Der Kindergartenbesuch sowie dessen Qualität fördern spätere Bildungserfolge, meint Karin WILFLINGSEDER.

Eine neue, wirklich lesenswerte Studie zeigt wie stark das Bildungsniveau und das Einkommen in Österreich von ihrer Klasse, ihrer Herkunft und ihrem Geschlecht abhängen.

A

U

Foto: Ulrike Swennen-Schlick

llein im aktuellen Schul- gruppen werden oft hemmungslos der Einrichtung nicht ohne zwinjahr werden 23,9 Millionen ausgebeutet. Der Versuch einer gende Gründe gekündigt werden Euro und 440 Lehrerplan- Betriebsratsgründung wurde vom können – nicht einmal bei Zahstellen für „Sprachförderkursen für „Trägerverein der Wiener Kinder- lungsverzug. Lediglich ein Platzaußerordentliche Schüler_innen gruppen“ noch 2011 erfolgreich wechsel kann aus pädagogischen mit einer anderen Erstsprache als bekämpft. Gründen verordnet werden. Das Deutsch“ ausgegeben. Eine FolNiveau der Betreuungseinrichtunge der Chancenungleichheit und Mehr Staat, weniger Privat gen steigt, wenn sich das Personal Kompetenzarmut im österreichiden „schwierigen Kindern und Elschen Bildungswesen. In Dänemark wurden 1976 von der tern“ stellen muss, anstatt sie ausDie Gründe sind bekannt. Der linken Regierung die privaten Kin- zuschließen. Die Kindergärten sind von der EU empfohlene Betreu- dergärten abgeschafft. Zwei Drittel allerdings viel besser in die kommuungsschlüssel nale Kinder-Gevon 16 Kindern samtversorgung auf eine Pädagoeingebunden. gin (16:1) wird Sie bestehen aus mit 25:1 weit Pädagog_innen, verfehlt. KinderPsycholog_ingärten sind nicht nen und Sozialzentral geregelt, arbeiter_innen. sondern Ländersache. Es gibt Politischer auch keine einMut statt heitlichen StanBehübschung dards im Kinderder Tristesse garten – nicht bei Qualität, Der Neoliberanicht bei Quanlismus macht tität oder Kosten. auch vor DäÖffentliche und nemark nicht private Einrichhalt. Errungentungen bieten schaften werunterschiedliche Betreuungsschlüssel weichen meist von der empfohlenen Norm ab. den schrittweise Rahmenbedinzurück genomgungen für Personal, Eltern und der Einrichtungen sind „selvejen- men. Wir können aber aus dem Kinder. Die Betriebsrät_innen des de“ (selbständige) Einrichtungen, dänischen Modell lernen. Elementarbereiches fordern ein in denen häufig Eltern und manch- Gute Bildungspolitik braucht Bundesrahmengesetz. mal auch Vertreter_innen aus der Steuerungsmaßnahmen gegen soDie Öffnungszeiten belasten El- Kirchengemeinde im Vorstand ziale Selektion mit Eliten- und tern, vor allem Mütter: In Tirol sind. Zentral ist, dass die Einrich- Ghettobildung. Frauenpolitische sperren die meisten Kindergärten tungen nur den gesetzlichen Ver- Maßnahmen zur Unabhängigkeit schon ab 14 Uhr zu. Weit über pflichtungen, nicht mehr einer bedürfen Kindergärten, deren Öff200.000 Kinder sind in den Som- Trägerstruktur unterliegen. Mit der nungszeiten nicht an der Arbeitsremerferien ohne Betreuung. Reform von 1976 mussten in allen alität vorbei gehen. Auf das Drama reaktionärer Pä- Kommunen eine zentrale Platzan- Der Betreuungsschlüssel muss indagogik und mieser Rahmenbe- weisung eingerichtet werden, die dividuelle Förderung ermöglichen. dingungen reagierten Eltern der Einrichtungen konnten sich nicht Sprachförderung heißt sowohl die 1968er-Bewegung mit der Grün- mehr die Klientel auswählen. deutsche als auch die jeweilige Fadung selbstverwalteter Kinder- Die Erfahrungen der Kommune miliensprache der Kindergartengruppen. Die Kindergruppen sind Kopenhagen zeigen, dass die Qua- kinder zu fördern. Dafür brauchen bis heute mit ihren Betreuungs- lität der Pädagogik in kleinen Ein- wir mehr Kindergartenpädagog_ schlüsseln und Selbstverwaltung richtungen mit 15 bis 30 Kindern innen und mehr Kinderbetreuung für Eltern attraktiv. Leider blieben wesentlich unter jener von großen in den Muttersprachen. Eine bessedie Kindergruppen meist nur ei- Einrichtungen lag. Große Einrich- re pädagogische Ausbildung für Asner elitären Klientel zugänglich. tungen mit mehreren Gruppen sistent_innen und KindergartenpäNicht selten gibt es widerliche Aus- und dementsprechend viel Perso- dagog_innen werden die Qualität schlussdebatten an Elternabenden nal (und Fluktuation und Fortbil- ebenso absichern wie verpflichtenüber Kinder, deren Sozialverhalten dung) erreichen ein höheres Ni- de Reflektion, Vor- oder Nachbenicht in die heile Gruppe passen veau. Seit 1976 wird auch geregelt, reitungen und Weiterbildungen in würde. Angestellte in Kinder- dass Betreuungsplätze von Seiten der Arbeitszeit!

von Manfred ECKER

nter der Leitung von Professor Altzinger wurde die Studie „Intergenerationelle soziale Mobilität in Österreich“ an der Wirtschaftsuniversität Wien erstellt. Sie belegt, dass Menschen an den unteren und oberen Rändern besonders selten den Herkunftsverhältnissen „entkommen“. Kinder wohlhabender Eltern erreichen hohes Bildungsniveau und Wohlstand, Kinder armer Eltern „erreichen“ das Gegenteil. „Wer in finanziell schwierigen Verhältnissen aufgewachsen ist, findet sich selbst deutlich häufiger in den unteren Einkommensklassen wieder.“ Klassenzugehörigkeit wirkt auf Frauenunterdrückung und diese verstärkt wiederum Klassenunterdrückung. Frauen mit Herkunft aus Akademikerfamilien erreichen zu 60% selbst einen akademischen Abschluss – und schneiden damit besser ab als die männlichen Vergleichspersonen. Ganz umgekehrt ist es für Frauen aus armem Elternhaus mit nur Pflichtschulbildung. Sieschneiden deutlich schlechter ab als die männlichen Vergleichspersonen. Anders gesagt: arm aufzuwachsen ist schlimm, aber arm und als Frau aufzuwachsen verdammt mit höchster Wahrscheinlichkeit wieder zu Armut und niedrigem Bildungsniveau. Noch etwas drastischer gilt das für die eine andere Gruppen von Unterdrückten: Menschen mit Migrationshintergrund aus Nicht EU-Ländern (vor allem Türkei und ehemaliges Jugoslawien). Hier haben Kinder – selbst wenn

sie aus einem Haushalt mit solidem Einkommen stammen – nur ganz geringe Aufstiegschancen in eine höhere Einkommensschicht (14% gegenüber 32% bei Inländern). Die Chancen dem sozialen Standard armer „ausländischer“ Eltern zu entfliehen noch schlechter, nämlich nur mehr 11%. Hier schneiden Frauen um 1% besser ab als Männer. Allerdings schaffen Frauen aus armen „Ausländerfamilien“ mit niedrigem Bildungsniveau den Aufstieg auf ein höheres Bildungsniveau etwas schwerer als Männer. Dass diese Mechanismen nicht auf „Ausländer_innen“ aus EU-Ländern oder den USA wirksam werden, beweist unzweifelhaft, dass hier Rassismus am Werken ist. Und es zeigt wie Rassismus und soziale Klasse zusammenwirken, schließlich kommen Einwanderer aus Jugoslawien und der Türkei mehrheitlich aus sozial schwächeren und bildungsmäßig benachteiligten Schichten. Empfohlen wird von den Autor_innen ein Augenmerk auf die frühkindliche Erziehung – Kindergarten und Vorschule – zu legen. Nur hapert es in Österreich gerade hier ganz dramatisch – sowohl was die Verfügbarkeit als auch die Qualität der Einrichtungen anbelangt. Nicht willkommen sein oder abgelehnt werden hat wenig überraschend verheerende Auswirkungen. Integration als aktives Hereinholen in die Gesellschaft findet wie wir wissen kaum statt. Stattdessen werden mit Sonderklassen Ghettos für benachteiligte Kinder geschaffen. Und so verfestigen Sexismus und Rassismus die Klassenunterdrückung und umgekehrt.

Letzten Herbst demonstrierten Tausende Kindergärtner_innen in Wien.

Psychologie: Studierende gegen Zwangszuweisung von Daniel HARRASSER

B

ereits seit 2010 ist das Diplomstudium der Psychologie an der Uni Wien in ein Bachelorstudium umgewandelt. Ein Masterstudium gibt es aber aufgrund von Verzögerungen immer noch nicht. Nun soll ein Test darüber entscheiden, welchen Schwerpunkt Studierende des Masterstudiums machen können. Bachelor-Absolventen mussten deshalb bisher für ein „individuelles Masterstudium“ zugelassen werden. Ab dem Wintersemester

2013 soll es nun endlich ein reguläres Masterststudium geben. Die Studierendenvertreter sind mit den Plänen dafür aber mehr als unzufrieden. Ende Jänner wurde die Abstimmung darüber in der Sitzung der Curricula-Arbeitsgruppe, in der Studierende, Professoren und Vertreter des Mittelbaus sitzen, vertagt. Eine Einigung ist bisher nicht in Sicht. Zwangszuweisung Die Fakultät plant ein Studium mit drei Schwerpunkten. Die Studierenden sollen zwischen Angewand-

ter Psychologie (der Fokus liegt hier auf Arbeit, Bildung und Wirtschaft), Psychologischen Grundlagen (Thema sind Geist und Gehirn) und dem Schwerpunkt „Gesundheit, Entwicklung und Förderung“ (klinische Psychologie) wählen. Für jede Spezialisierung soll allerdings nur eine bestimmte Anzahl von Studierenden zugelassen werden. 45 Prozent der Plätze sind für die klinische Psychologie, 35 Prozent für angewandte Psychologie und 20 Prozent für den Schwerpunkt „Geist und Gehirn“ reserviert. Mithilfe eines „Zutei-

lungstests“, bei dem die Studierenden ihre Prioritäten für die Schwerpunkte angeben, wird entschieden, wer welche Spezialisierung machen kann. Unterschriftenaktion Die Studierendenvertreter sehen in den Tests eine Zwangszuweisung. Eine interne Umfrage, an der sich bisher 780 Studierende beteiligt haben, hätte ergeben, dass bis zu 60 Prozent der Studierenden den Schwerpunkt der Klinischen Psychologie wählen wollen. In zwei Tagen hat die Studierendenvertretung

bereits 800 Unterschriften gegen die Einführung der Quoten beim Masterstudium gesammelt. Die Universität hat von Anfang an die Studierenden vom Prozess der Profilbildung ausgeschlossen. Die Pläne der Universität würden deshalb die beruflichen Entscheidungsmöglichkeiten der Studierenden einschränken. Die Studierenden haben aber bereits angekündigt, den Quoten in der jetzigen Form nicht zustimmen zu wollen. Sollten die Studenten überstimmt werden, kommt es am 4. März zu einer Entscheidung im Uni-Senat.


6

März 2013 Linkswende

Postfach

Die hier veröffentlichten Briefe und Berichte repräsentieren nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion von Linkswende.

„Hoch den solidarischen Demonstranten“

I

ch war am 14.2. mit meiner Mutter und meiner Tochter bei der Solidaritätsdemonstration mit den Flüchtlingen der Votivkirche. Wir waren begeistert! Leider mussten wir bei einer Zwischenkundgebung weg, da meine Tochter Hunger bekam. Nach dem Essen haben wir noch die Demo gesehen und ich hab hinauf zu den Engeln gebetet, dass alles gut wird für die Menschen. Meine Tochter wollte nochmals mitmachen, nur meiner Mutter tat die Hüfte zu weh. Trotzdem: ich hatte sogar Tränen in den Augen, weil es eine Regierung gibt, die so mit Menschen umgeht. Ich bin schon gespannt wie es in der Sache Votivkirche weitergeht. Ich stehe wofür demonstriert wurde: Nieder mit der FPÖ, nieder mit Rassismus! Hoch den SOLIDARISCHEN DEMONSTRANTEN. Ich bin felsenfest überzeugt, dass wir es schaffen können, dass es wieder mehr Solidarität gibt. Dafür steckt in mir ein starker Wille.

Antifa-Protest: „Wir haben uns recht gut gehalten“ B M ei den WKR-Demos und -Blockaden übernahmen wir die Kreuzung am Schottentor. Ab und zu tauchten Taxis auf, die mussten allerdings einsehen, dass sie nicht an uns vorbei kamen. Einige Zeit später traf ein großer Polizeibus ein, aus dem ein paar Dutzend Polizisten ausstiegen. Nach ein paar Minuten des gegenseitigen Anstarrens ist die Polizei dann plötzlich gegen uns angestürmt. Wir haben Ketten gebildet und uns recht gut gehalten, dann haben sich die Polizisten aufgeteilt um uns in die Zange zu nehmen. Eine 14-jährige Freundin geriet zwischen Polizei und Kette. Die Polizei wollte sie mitnehmen, was Toni verhindern konnte, woraufhin er einen Schlagstock auf die Stirn bekam. Schließlich wechselte die Polizei von der Offensive in die Defensive und stand nur noch herum. Vito Baumüller, Schüler (15)

ein Name ist Anton Lugmayr. Ich bin 25 Jahre alt und mache eine Lehre zum KFZ-Techniker. Diese Geschichte begann am 2. Februar. Nachdem wir letztes Jahr erfolgreich mit Hilfe der Israelitischeschen Kultusgemeinde den WKR-Ball, auf dem sich Nazis aus ganz Europa schon seit Jahren treffen, mit einer Demo diskreditierten, wurde er erfolgreich verboten, doch Strache und seine FPÖ sprangen ein und machten daraus den Akademikerball. Ich wollte auch diesmal dabei sein und den Nazis eine Niederlage verpassen. Zur Demo riefen dieses Jahr drei Gewerkschaften auf, was absolut Hammer war, auch wenn der Aufruf ganz versteckt auf deren Homepages war. Gemeinsam im Linkswende/Revolution/ RSO-Block gingen wir in Richtung Hauptuni um den anreisenden Nazis die Straße zu versperren. Natürlich war das der Polizei ein Dorn im

Auge. Vielen von ihnen hat man ihre Abneigung gegen uns angesehen, man konnte dieses Abwarten endlich den Knüppel zu ziehen spüren. Aber dazu kommen wir später. Im Gegensatz zur Behauptung der Medien, das hier wäre eine reine Studentenaktion von deutschen Anarchos oder einem linksextremistischen Mob, kann ich nur sagen, dass das ein falsches Bild ist. Die Demonstranten hatten verschiedene Nationalitäten und kamen aus unterschiedlichsten Schichten. Besonders aufgefallen ist mir bei dieser Demonstration, dass viele Schüler dabei waren. Ein Freund brachte seine serbischen Kollegen aus der Berufsschule mit zur Demo. „Wenn alle Serben hier mitmachen würden, könnten die Nazis gleich scheißen gehen!“, sagte der Maurer-Lehrling und Nachwuchsrapper. Sogar mein Comicverkäufer rief via Facebook zur Demo auf. Als wir anfingen

Blockaden gegen den Akademikerball

LG Conny

Linkswende lebt von Kommentaren, Reaktionen und Berichten. Deshalb die Bitte an dich: Schreib uns! Wir freuen uns über Post und drucken gerne die eingesendeten Beiträge ab. E-Mail: redaktion@linkswende.org Post: Linkswende, Postfach 202, Kettenbrückengasse 5, 1050 Wien

2.500

Asylwerber: „Wir fordern unsere Rechte!“

Menschen demonstrierten am 16. Februar in Wien in Solidarität mit den hungerstreikenden Flüchtlingen in der Votivkirche. Der Protest war geprägt von Mitgefühl und Wut. Die teilnehmenden Flüchtlinge waren trotz des hohen Leidensdrucks richtiggehend euphorisch über die Welle der Solidarität. „Das habe ich noch nie erlebt. Die Stimmung war Wahnsinn. Alle kamen zum Infotisch und unterschrieben die Unterstützungserklärungen für die Flüchtlinge! Niemand ging vorbei.“ Das berichteten zwei Frauen, die erstmals allein einen Infotisch vor der Votivkirche betreuten. Während sie auf das Eintreffen der antirassistischen Demonstration warteten, erlebten die Frauen Wien von einer neuen Seite. Edith

erzählt: „Die Leute haben nicht nur unterschrieben. Sie haben für die Linkswende-Zeitung gespendet und wollten sich über linke, antirassistische Ideen informieren. Viele hinter-

fragen offensichtliche Widersprüche und sind offen für die Linke.“ Schon bei der Auftaktkundgebung am Europaplatz drehten sich die Gespräche um Kapitalismus, der

mit Ausbeutung, Krieg und Umweltzerstörung Menschen erst zu Flüchtlingen macht. Herta sucht für ihren Sohn eine Lehrstelle. Sie ist empört: „Die

Quelle: athensantifa19jan

DEMOBERICHT

Foto: Linkswende

SCHREIB UNS

Ketten zu bilden, damit die Nazis nicht zu ihrem Ball fahren konnten, kam ihr Chef mit einem arroganten Blick auf uns zu: „Fahrts eine!“ Und schon klappten die Bullen ihre Helme runter und kamen auf uns zu. Die Polizei machte Druck, aber unsere Kette hielt. Als ich sah wie ein Bulle eine Schülerin am Rucksack aus der Kette zerrte, löste ich mich aus der Kette und und zog sie an der Jacke zu uns. In dem Moment kam ein Bulle feig von hinten und schlug mir auf die Stirn. Wer weiß, was die noch mit mir gemacht hätten, wenn mich nicht ein Freund beschützt hätte. Als auf meiner Stirn eine riesige Beule wuchs, redete ich mit meinen Mitstreiter über die Polizeigewalt. ein Muster wurde deutlich: Opfer der Angriffe wurden vor allem junge Frauen, spärlich gebaute Männer und Leute, die sich zur Wehr setzten. Erst vor kurzem habe ich ein Interviev mit HansHenning Scharsach auf Youtube gesehen, wo er sagt, dass wir in Österreich einen antifaschistischen Konsens haben, der alle Spuren des Nationalsozialismus beseitigen sollte. In dieser Logik stehen Antifaschist_innen auf Seiten der Verfassung. Demnach sollte die Polizei eigentlich uns beschützen. Sollte ein Polizist diesen Leserbrief lesen, will ich, dass er sich nur eine Frage stellt: Warum bin damals zur Polizei gegangen? Wollte ich nicht etwas Gutes tun? Einen Beitrag für die Gesellschaft leisten? Eine Freundin wurde von einem Polizisten attackiert, nachdem sie den Demospruch „This is what democracy looks like“ gerufen hatte. Ernsthaft jetzt: Ihr Polizisten: Wie könnt ihr noch ruhig schlafen?

Front verläuft zwischen denen da oben und uns unten. Uns versuchen sie mit der rassistischen SündenbockPolitik falsche Feindbilder reinzuwürgen. Die verarschen uns!“ Jürgen kam extra aus Salzburg. Er rundet das Stimmungsbild ab: „Den armen Teufeln lassen sie nicht mal ihre Würde. Und die FPÖ mit ihrer brauen Brut wird hofiert. Grauslich!“ Die Menge skandiert: „Flüchtlinge bleiben – Strache vertreiben!“ Seit die Flüchtlinge am 24. November 2012 von Traiskirchen nach Wien marschiert sind, haben sie viel Öffentlichkeit für ihre berechtigten Anliegen erreicht. Die Mehrheit der Bevölkerung befürwortet inzwischen, dass Asylwerbende ein Recht auf Arbeit haben. Was nach wie vor fehlt ist Menschlichkeit in der Politik und das ist immer unerträglicher für viele! Bilder von der Demo: flickr.com/linkswende flickr.com/daniel-weber


Linkswende März 2013

Über die Lebenssituation von Asylwerbern in Österreich von Tom D. ALLAHYARI

D

lerhöchste Betrag, den ein Flüchtling in Östereich erhalten kann, ist 290 Euro im Monat, und das nur, wenn er oder sie davon Miete, Strom, Gas, Essen usw. selbst bezahlen muss. Der vergleichbare Betrag aus der Mindestsicherung für einen Österreicher liegt bei maximal 773 Euro. Unter bestimmten Umständen, zum Beispiel wenn der zweite negative Bescheid

as ewige Klagelied der FPÖ und anderer Rassisten behauptet, wie gut es den Flüchtlingen nicht gehe. „Denen wird doch vorne und hinten alles gegeben, während wir Österreicher immer weniger haben.“ Es stimmt zwar, dass es im reichen Österreich viel Armut gibt – der Sozialabbau der letzten Jahre macht sich natürlich bemerkbar. Die Wut „Kann sich irgendjemand vordarüber gegen die wenistellen, was mit euch geschieht, gen Flüchtlinge zu richwenn alle Träume, Hoffnungen ten, die es bis zu uns und Wünsche sterben? Vielleicht schaffen, ist falsch und schäbig. ein paar von euch, aber nur jene, Wenn rechte Hetzer deren Herz tage-, wochen-, movon Swimmingpools nate- und jahrelang gelitten hat. für Flüchtlinge und Dies ist das zweite Jahr, das ich Ähnlichem fantasieauf eine Asylgenehmigung warte. ren, ist es nötig auf die Alle Wünsche und Träume sind wahren Lebensbedinerloschen – bis auf den Wunsch gungen dieser Menkeine Wünsche mehr zu haben.“ schen hinzuweisen. Die relativ Glücklichen, die sich in der sogenannten kommt, wird dieses Geld Grundversorgung befinden, nicht mehr ausbezahlt. Aubekommen 180 Euro im ßerdem wird das Quartier Monat wenn sie als erwach- darüber informiert, dass keisen gelten. Wenn sie unter ne Miete mehr bezahlt wird. 18 Jahre alt sind, reduziert Der oder die Betroffene, sich die Summe auf 80 Euro Frauen, Kinder, ganze Fami– damit sollen 18-Jährige lien sitzen dann auf der Straauskommen? Für Miete kön- ße. Einzig in Wien werden nen dann noch bis zu 110 solche Fälle kulanter behanEuro dazukommen. Der al- delt, in den Bundesländern

wird das aber durchgezogen. Dann bleibt nur mehr die Hoffnung auf ein Notquartier einer NGO, der Caritas oder von Ute Bock. Frau Bock berichtet, dass sehr viele durch die traumatischen Erlebnisse in der Heimat und auf der Flucht mit enormen psychischen Problemen zu kämpfen haben. Diese Probleme werden dann hier durch Schikanen der Behörden und die drohende Abschiebungen oft noch verstärkt. Und Abschiebungen werden nach wie vor unmenschlich durchgeführt. Im Haus von Ute Bock gibt es den Fall eines älteren Mannes, der an Krebs leidet und dringend Behandlung bräuchte. Trotz aller Interventionsversuche wurde der Mann in die Ukraine abgeschoben, wo er niemanden kennt, über keinerlei Einkünfte verfügt und ganz sicher nicht richtig behandelt wird. Ebenfalls enorm belastend sind das lange Warten auf eine Entscheidung darüber, ob Asyl gewährt wird oder nicht und die jahrelange Ungewissheit wie das Leben weitergehen wird. Frau Bock erzählt vom Extremfall eines Afrikaners, der 14 Jahre lang auf seinen Bescheid warten musste.

7

Bleiberecht:

Tapfere Flüchtlinge kämpfen weiter tig. Wenn du deine Unterstützung zeigen willst, dann ie Flucht aus Krisenlänentwirf doch einfach Unterdern wie Afghanistan stützungserklärungen, oder oder Pakistan, das monatedrucke dir unsere Unterbzw. jahrelange Warten in schriftenliste aus (zu finden der Ungewissheit in einem unter www.linkswende.org) überfüllten Flüchtlingslager, und sammle Unterschriften in deinem Betrieb, an deiner Schule oder Universität, und bringe die Listen in der Votivkirche vorbei. Zwischen den Demos geben Solidaritätsbesuche den Flüchtlingen neuen Mut. Die Unterstützung hat in den Foto: Linkswende RedaktioSolidaritätsbekundungen sind leicht zu sammeln und machen es den nen bereits Flüchtlingen leichter die Besetzung durchzuhalten. zu einem Umdenken ein Marsch nach Wien, Wo- bei den Demonstrationen, beigetragen und ist auch ein chen des Ausharrens in Zel- dem Protest gegen die Na- Zeichen an die Verantwortten bei eisigen Temperaturen zis der Identitären Initiative lichen in der Politik, dass und schließlich die Flucht in oder dem Sammeln von Un- sie sich nicht alles erlauben die ebenso kalte Votivkirche terstützungsunterschriften sollten.vor und kündigte an, und ein Hungerstreik. Stets – allerorts zeigt sich Sym- UN-Flüchtlinkshochkombegleitet von der Hetze der pathie und Unterstützung. missar António Guterres FPÖ und der gehässigen Be- Und diese ist in Anbetracht vom Protest in der Votivkirrichterstattung in den Medi- der Situation auch bitter nö- che zu berichten.

von Peter HERBST

D

en. Ein großer Teil der Bevölkerung befürwortet jedoch die Anliegen der Flüchtlinge – trotz aller Anfeindungen von oben. Dort wo keine Gleichgültigkeit herrscht, findet man Solidarität. Ob

Neue Rechtsextreme: Die Identitären Am 10. Februar wurden die Flüchtlinge in der Votivkirche von neun Identitären gestört, die sich nach der Sonntagsmesse in die Kirche begeben hatten, um die „Besetzung zu besetzen“ und die Räumung der Votivkirche zu fordern. David HEUSER erklärt Entstehung und Wesen dieser rechtsextremen Strömung. nun die Jeunesses identitaires, welche dann die Jugendorganisation des 2003 gegründeten „Bloc identitaire“ bildete. Während sich die Unité radicale noch auf den Kampf gegen die sogenannte „jüdische

Weltverschwörung“ konzentrierte, hetzt der Bloc identitaire vor allem gegen den Islam. Es wurden neue Begriffe und Konzepte gesucht, um klassischen Rassismus gesellschaftsfähiger zu machen.

Rassistisch wurde durch ethnopluralistisch ersetzt, Rasse durch Kultur und völkisch durch identitär. Das Konzept des Ethnopluralismus besagt, dass Staaten von religiös und ethnisch homogenen Grup-

pen konstituiert werden sollten. Österreich solle nur von christlichen Österreichern bewohnt werden, die Türkei nur von muslimischen Türken, eine weltweite Apartheit. Ein weiteres Konzept der Identitären ist der Europäismus. Europa wird als christliche Einheit betrachtet, die es vor der Zuwanderung und dem Islam zu verteidigen gilt. Man sieht sich in der Tradition von Leonidas (führte die Spartaner im Krieg gegen die Perser), Karl Martell (kämpfte 732 in der Schlacht bei Poitiers gegen die Araber) und Prinz Eugen (österreichischer Feldherr gegen die Osmanen). Aus der Darstellung der Spartiaten in Frank Millers Comic „300“ haben die Identitären auch ihr Sympol (ein großes Lambda in einem Kreis). Als Kampfbegriff wird bei den Foto: Linkswende

Z

ur „Besetzung der Besetzung“, die dank der spontanen Intervention von Dutzenden solidarischen Menschen beendet werden konnte, bekannte sich „Wiens Identitäre Richtung“ (WIR). Selbige waren schon letzten Oktober durch eine rassistische Aktion aufgefallen, als sie mit einem „Tanz gegen Toleranz“ afro-haitianische Tänzer einer CaritasVeranstaltung belästigten. Geht man auf die Internetseite von WIR findet man zwar Kampfbegriffe wie „Islamisierung“, allerdings keine klassischen Nazi-Parolen. Die vielleicht 20 Identitären in Wien wären nicht weiter erwähnenswert, die Entwicklung dieser neueren Nazirichtung in anderen Ländern lohnt allerdings einen genaueren Blick. Den Anfang nahm die sogenannte Identitäre Bewegung in Frankreich. 2002 wurde eine Neonazigruppe namens „Unité radicale“ verboten, weil sie einen Mordanschlag auf den damaligen Präsidenten Jacques Chirac versuchten. Daraus entwickelte sich

Linke Demonstrant_innen zwangen die Rechten dazu, die Votivkirche zu verlassen

Identitären „Reconquista“ verwendet, der die christliche Rückeroberung der iberischen Halbinsel gegen die muslimische Herrschaft und die Vertreibung der Juden beschreibt. Als außerparlamentarische Nazigruppierung konzentrieren sich die Identitären auf Aktivismus. Auffallend ist dabei ihr poppiges Auftreten, das sich sehr von den klassischen Aufmärschen anderer Neonazis unterscheidet. Dieses Auftreten ist Teil des Gesamtkonzeptes, die Hemmschwelle für rassistische Politik herabzusetzen und ein neues Label für alte Naziideologien zu finden. In Frankreich konnte der Bloc identitaire relativ schnell wachsen. Seit 2012 haben wir nun einen kleinen Ableger davon in Österreich. Dass die Identitären in Frankreich so stark werden konnten, liegt vor allem an den Versäumnissen der dortigen Antifaschist_innen. Die Identitären wurden anfangs nicht konsequent genug konfrontiert.


8

März 2013 Linkswende

MALI – KRIEG GEGE

Ägypten: Proteste fordern Mursi heraus von Judith ORR (aus dem Englischen von Stefan KASTEL )

L

etzte Woche kamen 30 Menschen durch die ägyptische Polizei zu Tode, nachdem die Proteste in der Stadt Port Said ausgebrochen waren. Bis Redaktionsschluss wurden in Ägypten etwa 50 Menschen getötet. Die Demonstrationen hatten begonnen, nachdem 21 Fußball-Ultras des Mordes an 74 rivalisierenden Al-Ahly-Fans schuldig gesprochen worden waren. Daraufhin wurden sie zum Tode verurteilt. Von Seiten der Ultras hingegen hört man, dass die Polizei der wahre Täter ist. Aufgrund der anhaltenden Proteste verhängte Präsident Mursi (Muslimbruderschaft) den Notstand und weitere Ausganssperren über die Städte Port Said, Ismailia und Suez. Des Weiteren drängte er auf ein neues Gesetz, welches das Militär bevollmächtigen sollte, auch Zivilisten unter Arrest zu nehmen. Die Protestierenden trotzen ihm. Tausende füllten diese Woche die Straßen der drei Städte um die Missachtung der Ausgangssperre zu verdeutlichen. Sie riefen Mursi auf zurückzutreten. Offener Ungehorsam wurde auch in Ismailia praktiziert, als einige Leute vor dem Regierungsgebäude ein Fußballmatch starteten. Mostafa Fouly ist ein Mitglied der Ultras und der Revolutionären Sozialisten. Seine Meinung gegenüber den Vorkommnissen drückt er wie folgt aus: „Das Gericht hat nicht die wahren Verbrecher bestraft. Das Gericht hat nicht die Polizeioffiziere bestraft, welche mit den Kriminellen zusammengearbeitet haben, um die Al-Ahly-Märtyrer umzubringen. Der Militärrat war für die Planung und Durchführung dieses Massakers in Port Said verantwortlich.“ 2011 hatte die Revolution den verhassten Diktator Hosni Mubarak aus dem Amt katapultiert. Die Reste seines Systems scheinen allerdings noch immer vorhanden. Gefängnis

„Dem Staat ist es nicht gelungen uns zu trennen“ Die Ultras haben in der Revolution eine wichtige Rolle gespielt, haben der Unterdrückung der Exekutive ins Auge gesehen und sind ihnen ins Messer gelaufen. Das Massaker von 74 Fans letzten Februar war ein Anschlag des Staates, um die Ultras zu treffen und so die Leute auseinanderzubringen. Der revolutionäre Sozialist Haitham Mohamedain ist sich sicher, dass das nicht funktionieren wird: „Tut mir leid, Euer Ehren, wir werden unsere Märtyrer nicht vergessen“, sagte er. „Wir werden die Revolution weiterführen, bis unsere Ziele erreicht sind. Und eines Tages wird es euer Genick sein, welches am Galgenstrick hängt“.

Foto: Hossam el-Hamalawy

„Die ägyptische Judikative verurteilt noch immer keine Polizeioffiziere, Geschäftsmänner oder Militärs zu Gefängnisstrafen oder gar Exekutionen“, so Mostafa. „Die Gerichte opfern lediglich die Armen und Menschen aus der Arbeiter_innenklasse“. Der Gerichtsbeschluss kam einen Tag nach den Massendemonstratio-

nen, welche in ganz Ägypten stattgefunden hatten um den Start der Revolution von vor zwei Jahren zu markieren. Der sozialistische Revolutionär Hatem Tallima erklärte: „Die Menschen haben für die Forderungen in der Revolution gesungen, allerdings wurden sie bis jetzt nicht erfüllt. Die Protestierenden sind sehr militant. In einigen Orten haben sie auf Hauptquartiere und Polizeistationen gezielt“. Die Demonstrationen näherten sich letzte Woche am Tahrir-Platz in Kairo an. Bissan Kassab, eine revolutionäre Sozialistin, marschierte vom Bezirk Shubra. „Am Anfang hatten wir ungefähr 2000 Menschen“, sagte sie. „Aber als wir nach einiger Zeit den Tahrir Platz erreicht hatten, waren es zwischen 25.000 und 30.000. Während des gesamten Marsches stießen immer mehr Leute hinzu. Die Leute entdeckten ihre Freunde auf Balkons und forderten sie dazu auf mitzugehen.“ Auch viele Frauen schlossen sich an, ungeachtet davon, dass einige von ihnen auf brutalste Weise sexuell misshandelt wurden. „Die Frauen machten mehr als ein Drittel der gesamten Menschenmenge aus“, so Bissan. „Einen Slogan den wir sehr oft hörten war: Die Stimmen von Frauen sind keine Schande – die Stimmen von Frauen sind die Revolution“. „Es war ein Angriff auf jene Islamisten, welche meinen, dass Frauen weder gesehen noch gehört werden sollten“, so Bissan. Jetzt gehe es darum, diesen Moment aufrechtzuerhalten.

Shahid Ahmed Sami (Revolutionäre Sozialisten) wurde am 26. Jänner 2013 von Polizisten ermordet.

Als im Jänner tausende französische Soldaten nach Mali geschickt wurden, behauptete die französische Regierung, die Intervention sei nötig um die Demokratie vor islamistischen Rebellen zu schützen. In Wahrheit sollen diese Soldaten mit Waffengewalt die Interessen der französischen Eliten durchsetzen. von Tom D. ALLAHYARI

I

n Mali leben Minderheiten wie die Tuareg, die seit Jahrzehnten für ihre Unabhängigkeit kämpfen und arabisch-stämmige Menschen. Diese Gruppen werden nun zu den ersten Opfern der Intervention. So mussten nahezu alle 3.000 arabischen Einwohner_innen aus der Stadt Timbuktu fliehen, genauso wie die meisten Tuareg. Gleich nach dem Einmarsch waren arabische Geschäfte geplündert worden. Nach Angaben des Roten Kreuzes sind auch Tausende aus den Städten Kidal, Gao und Menaka geflohen, nachdem die französischen Kräfte dort die Kontrolle übernommen hatten. Amnesty International berichtet vom Verschwinden von Tuareg und deren Schikanierung. Weder die malische Regierung noch die französischen Truppen tun irgendetwas gegen diese ethnische Säuberung. Tuareg Die semi-nomadischen Tuareg leben seit dem 12. Jahrhundert in der Region und sind heute auf die Staaten Niger, Mali, Algerien, Libyen und Burkina-Faso verteilt. Im Niger wird genau im Lebensraum der Tuareg das Uranium für die französische Atomindustrie gefördert. Der letzte von vielen Tuareg-Aufständen gegen die malische Regierung endete 2009 mit einer Niederlage und etliche Tuareg-Kämpfer schlossen sich der Armee von Gaddafi in Libyen an. Nach dem Fall von Gaddafi kehrten viele von ihnen nach Mali zurück und kämpften in der MNLA (Azawad Liberation Movement) für eine befreite Region „Azawad“. 2012 eroberte die MNLA Städte im gesamten Norden Malis und schlug die malischen Regierungstruppen zurück. Ende April wurde der unabhängige Staat Azawad ausgerufen. Doch bald darauf wurden die Tuareg-Rebel-

len von drei verschiedenen islamistischen Milizen, die sich Kämpfe mit malischen Regierungstruppen lieferten, beiseite gedrängt. Kolonialismus Über Jahrhunderte war das Niger-Tal Zentrum einer Hochzivilisation und besonders Timbuktu ein Ort islamischer Gelehrsamkeit wie auch internationaler Handelsplatz. Doch Westafrika wurde zuerst durch die Sklavenjagd der Europäer (zwischen 9 und 13 Millionen Menschen wurden über den Atlantik entführt) und später durch den Kolonialismus zugrunde gerichtet. Ab 1892 machte sich Frankreich in der Region breit. Widerstand wurde brutal unterdrückt. In der Folge zogen die französischen Kolonialherren immer wieder neue Grenzen, benannten Staaten um und organisierten ihren „Besitz“ nach Gutdünken. Erst 1960 wurde Mali endlich die Unabhängigkeit gewährt. Imperialismus Für die imperialistischen Großmächte hat Afrika in den letzten Jahren insgesamt an Bedeutung gewonnen. Neben anderen Bodenschätzen sind es vor allem die Öl- und Gasvorkommen, die das Interesse der USA, der europäischen Staaten und Chinas wecken. Frankreich und Großbritannien sehen ihre

ehemaligen Kolonien im genen ökonomischen „H haben jetzt mit „Africom sches Militärkommando aleinheiten bilden Solda Region aus. Nach dem K fi-Regime in Libyen gest ten gut bewaffnete islam Libyen aus in die gesam destabiliserenden Wirku gen Gaddafi auf ganz No jetzt der Einmarsch in M dem Feindbild „Islamism

THEORIE

Lenins Antiimperialismus W

enn Revolutionär_innen für eine Niederlage der eigenen Nation eintreten und sogar praktisch dafür arbeiten, wird das als „revolutionärer Defätismus“ (vom französischen défaite für Niederlage) bezeichnet. Viele Widersprüche und himmelschreiende Ungerechtigkeiten wirkten im Ersten Weltkrieg zusammen und erschüttern die kriegführenden Nationen: Hunger und Elend waren allgegenwärtig, die Kriegsgesetzgebung war brutal. Die zuhause Gebliebenen hungerten, die eingezogenen Soldaten litten tagtäglich und starben zu Millionen. In den unterdrückten Nationen kam dazu noch der Hass auf die unterdrückerischen Nationen. Die Iren lehnten sich gegen die Engländer auf, die Tschechen gegen die Österreicher, und die Kaukasusrepubliken gegen das Regime des Zaren, usw. Lenin plädierte unmissverständlich dafür, dass alle Widersprüche und die daraus resultierenden Proteste

genutzt werden mussten um die eigenen Regierungen zu schwächen: Streiks, Demonstrationen in den Städten, Bauernunruhen am Land, Meutereien im Heer und nationale Aufstände. Sozialist_innen sollten auch das Selbstbestimmungsrecht der Völker unterstützen – auch und vor allem dann, wenn dadurch die eigene Nation geschwächt wird. Es ist wenig verwunderlich, dass nationale Aufstände oft religiös untermalt sind. Heute ist der Widerstand gegen den US-Imperialismus in der muslimischen Welt meist islamistisch geprägt. Der Aufstand der irischen Bevölkerung im Jahr 1916 gegen die Besatzungsmacht der (protestantischen) Engländer bezog sich stark auf den Katholizismus. Dieser nahm auch fundamentalistische Züge an, die für viele Sozialist_innen abstoßend waren. Ein irischer Unabhängigkeitskämpfer weigerte sich beispielsweise während einer Solidaritätskampagne am ­Podium neben einem englischen

Gewerkschafter zu sprechen, weil dieser geschieden war. So begingen einige Sozialist_innen den Kardinalfehler, den Aufständischen die Unterstützung zu entziehen. Aber ist es verwunderlich, wenn die so brutal unterdrückten Iren ihre Unterdrückung als eine religiöse Unterdrückung interpretierten? Genau so wenig darf es heute verwundern, wenn die Aufständischen im Irak oder anderswo den Schluss ziehen, dass die US-Regierung und ihre Kollaborateure „Kreuzritter“ und „Gottlose“ sind – dass es in ihren Augen um die Unterdrückung einer Religionsgemeinschaft durch eine andere geht.


Linkswende März 2013

EN ISLAMISMUS?

9

Der US-Imperialismus zehn Jahre nach dem Angriff auf den Irak Vor zehn Jahren bereiteten sich die USA unter George W. Bush, trunken von einem euphorischen Glauben an die eigene Allmacht, auf die Invasion des Irak vor. Wie steht es heute um die Macht der USA? Die allgemeine Ansicht ist, dass die USA bescheidener geworden sind und sich im Abstieg befinden. von Alex CALLINICOS

B

mmer noch als ihre eiHinterhöfe“, die USA m“ein eigenes afrikanio errichtet, US-Speziaten in der gesamten Krieg, der das Gaddatürzt hatte, schwärmmistische Kämpfer von mte Region. Zu der ung dieses Kriegs geordwestafrika kommt Mali – legitimiert mit mus“. Doch die ganze

Geschichte der Region zeigt, dass das Hauptproblem der Regimes in Mali, Niger usw. immer die widerständigen Tuareg und deren Separatismus waren. Dazu kommt eben noch, dass die Tuareg-Gebiete reich an Bodenschätzen sind. Wird aber der „Kampf gegen den Islamismus“ geführt, ist mit Unterstützung aus Europa, den USA usw. zu rechnen. Einige Quellen behaupten sogar, die malische Regierung hätte ganz bewusst islamistische Gruppen unterstützt, um die Tuareg damit zu treffen. Nachdem die US-trainierte malische Armee einen Staatsstreich unternommen

hatte, liefen die meisten Turaeg-Eliteeinheiten dieser Armee zu den Rebellen über. Hinter der französischen Militärintervention stecken also komplexe politische und ökonomische Beziehungen. Lokale Regimes manövrieren um an der Macht zu bleiben, während die großen kapitalistischen Staaten versuchen ihre Stellungen in einer Region zu stärken, die ökonomisch immer wichtiger wird. Auf der anderen Seite steht die Mehrheit der Afrikaner_innen, die unter schrecklichen Bedingungen leben müssen. Mit weiteren Explosionen ist zu rechnen.

ei einer Sendung auf „Radio 4 Today“ wurde diskutiert, ob die Entscheidung der USA sich aus dem Krieg in Mali herauszuhalten, als Frankreich handelte, ein Zeichen der Schwäche sei. Diese Ansicht ist nicht völlig falsch. Einige Leute, sogar einige Linke erkennen den Grad der geopolitischen Niederlage nicht, die die USA im Irak erlitten haben. Ja, der berühmte „Surge“ (Truppenaufstockung) 2007, 2008 und, noch wichtiger, die politische Kampagne, die auf die Ängste der sunnitischen Minderheitsbevölkerung vor einer Dominanz des schiitischen Teils der Bevölkerung setzte und den moderaten Flügel des Sunni-Aufstands kaufte, erlaubte es den USA die Situation im Irak wieder zu stabilisieren. Aber die USA waren im Irak politisch marginalisiert. Ihre ehemalige Klienten-Regierung unter Nouri elMaliki weigerte sich dem „Status of Forces Agreement“ zuzustimmen, das US-Militärangehörige über das Gesetz gestellt hätte. So war die ObamaRegierung Ende 2011 zu einem viel größeren Truppenabzug gezwungen als sie geplant hatte. In Asien konnten die USA ihre Niederlage in Vietnam noch kompensieren, dank der Konterrevolution von 1965 in Indonesien, die die indonesische kommunistische Bewegung zerstörte und dank Allianzen mit aufsteigenden Wirtschaftsmächten wie Japan, Südkorea und Taiwan. Doch im Nahen Osten hat sich das Kräfteverhältnis stetig gegen Washington verschoben. Maliki hat den Irak mit dem Iran, Syrien und der libanesischen Hisbollah verbunden. Diese Bindung wurde allerdings durch die syrische Revolution geschwächt. Doch die USA haben einen zentralen Verbündeten verloren, als der ägyptische Diktator Hosni Mubarak vor zwei Jahren gestürzt wurde und haben es jetzt auch mit einer viel selbstbewussteren Türkei unter Erdogan zu tun. Ostwärts

Irische Soldaten im Osteraufstand 1916.

Marxismus ist die Theorie der Widersprüche. Er begreift Kapitalismus als ein System, das auf Gegensätzen basiert. Diese Gegensätze sind kein momentaner Irrtum oder Unfall, sondern die innere Struktur von

Kapitalismus – und noch deutlicher prägen sie die im Kapitalismus entstehenden Kriege bzw. den Imperialismus. Deshalb ist Kapitalismus permanent anfällig dafür destabilisiert zu werden und zum Objekt revolutionä-

rer Transformation zu werden. „Wer eine reine soziale Revolution erwartet“, schrieb Lenin 1916, „der wird sie niemals erleben. Der ist nur in Worten ein Revolutionär, der versteht nicht die wirkliche Revolution.“

Begleitet wurden diese Entwicklungen von der Entscheidung der Obama-Administration Ressourcen und Aufmerksamkeit nach Osten zu verschieben um der Herausforderung zu begegnen, vor die sie China mit seinen rasch wachsenden wirtschaftlichen und militärischen Fähigkeiten stellt. Hillary Clinton sagte kurz vor ihrem Rücktritt als Außenministerin: „Wir werden Chinas Aufstieg weiterhin begrüßen – wenn es sich entscheidet eine konstruktive Rolle in der Region zu spielen.“ Die angedeutete Warnung ist klar genug. Clinton arbeitete emsig daran mit regionalen Rivalitäten zu spielen und die USA als Beschützerin aller Staaten darzustellen, die sich

London, 15. Februar 2003

vor der Ausweitung der chinesischen Macht fürchten. Die USA sind China weiterhin militärisch weit überlegen. China baut gerade einen ukrainischen Flugzeugträger für den eigenen Gebrauch um. Die USA verfügen über elf Flugzeugträger-Kampfgruppen, jede mit erschreckender Feuerkraft. In seinem Buch „A Contest for Supremacy: China, America, and the Struggle for Mastery in Asia“ (Ein Wettbewerb um Überlegenheit: China, Amerika und der Kampf um die Herrschaft in Asien) argumentiert der neokonservative Historiker Aaron Friedburg, dass Peking bald über genug RaketenKapazitäten verfügen könnte um die Kosten einer Anstrengung der USA zur Verteidgung Taiwans inakzeptabel hoch zu machen. Doch die Seewege, von denen China für den Export von Fertigprodukten und den Import von Nahrung, Rohmaterialien und HighTech-Produkten abhängig ist, werden noch für Jahrzehnte von der US-Navy kontrolliert werden. Es stimmt also, dass sich die USA im Nahen Osten weniger engagieren. George Friedman von STRATFOR (privates Institut, das geopolitischer Analysen anbietet) meint, das sei eine notwendige Korrektur zum Abenteurertum von George W. Bush, den er übrigens in dessen Amtszeit unterstützt hatte. Er sagt auch, dass wir in Obamas Entscheidung, Frankreich die „harte Arbeit“ in Mali machen zu lassen „sehen können, dass sich das amerikanische System selbst stabilisiert, indem es die Bedrohungen mildert, die nicht eliminiert werden können und indem es sich weigert in Auseinandersetzungen hineingezogen zu werden, die anderen überlassen werden können.“ Der US-Imperialismus wurde durch die Niederlage im Irak und den Sumpf, in den er in Afghanistan geraten ist, geschwächt. Aber er ist weit davon entfernt am Ende zu sein. Die herrschende Klasse der USA sitzt immer noch genau im Zentrum des globalen kapitalistischen Systems. Das macht sie besonders verwundbar durch die Krise dieses Systems in den letzten fünf Jahren. Aber die zentrale Rolle und die Ressourcen, über die der amerikanische Kapitalismus verfügt, bedeuten, dass er weiterhin die beherrschende imperialistische Macht bleibt.


10 März 2013 Linkswende

Zurückbrüllen Mit #aufschrei ist die Debatte um Sexismus und sexuelle Belästigung via einem ungustiösen FDP-Politiker auch im deutschsprachigen Raum angekommen. Auf Twitter und anderswo im Internet häufen sich die Berichte von Frauen über ihre ganz alltäglichen Erfahrungen mit Grapschern, Machos und Schlimmerem; am Arbeitsplatz, auf der Straße und zuhause. Über 15.000 Menschen haben sich auf Twitter an der Diskussion beteiligt; Fernsehen, Zeitungen und Politik haben sie aufgegriffen. Die Idee leitet sich von in den USA entstandenen Initiativen wie Hollaback! ab, die einerseits Frauen ein Forum bieten sich über die sexuelle Belästigung, die sie überallhin begleitet, auszutauschen, und andererseits auch konkrete Interventionen gegen Belästigungen im öffentlichen Raum durchführen. Natürlich melden sich dort wie hier auch die üblichen Verdächtigen zu Wort, die der Meinung sind, Frauen sollen sich von doch nur freundlich gemeinten Aufmerksamkeiten gefälligst geschmeichelt fühlen – sie

THEORIE

FRAUENBEWEGUNG Neuer Widerstand gegen alte Muster

Foto: Jezebel

T

ausende Demonstrant_innen lieferten sich um die Jahreswende in Indien nach der brutalen Vergewaltigung und Misshandlung einer jungen Studentin durch sechs Männer Schlachten mit der Polizei. Der Tod der Frau, die schließlich ihren Verletzungen erlag, steigerte die Heftigkeit der Proteste und die Dringlichkeit, mit der striktere Gesetze in der Verfolgung sexueller Gewalt und besserer Schutz von Frauen im öffentlichen Raum eingefordert wurde – und sie resultierten bereits in einigen legislativen Verbesserungen. In Ägypten organisieren sich Frauen und Männer zu zivilen Sicherheitspatrouillen, um die sexuellen Attacken und Vergewaltigungen, die während der Demonstrationen am Tahrirplatz passieren, zu verhindern. Sie glauben, dass die Angreifer, die manchmal zu hunderten eine einzige Frau bedrängen, schlagen und ausziehen, teilweise bezahlt werden, um den Frauen, die an Protesten teilnehmen, Angst einzujagen. Anstatt sich einschüchtern zu lassen, haben sie Notrufe und Twitterdienste eingerichtet. Der mediale Aufschrei im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf war riesig, als der Republikaner Todd Akin und einige seiner Kollegen in ihrem Kampf gegen Abtreibung die Meinung geäußert hatten, eine Schwangerschaft nach einer Vergewaltigung sei ohnehin selten – da Frauen, wenn sie nur wollten, eine Empfängnis verhindern könnten. Diese Aussage soll ihm einen Senatssitz und seiner Partei etliche Frauenstimmen bei der Präsidentschaftswahl gekostet haben. Diese drei Beispiele zeigen zwei Dinge: Einerseits, dass Gewalt gegen Frauen überall auf der Welt nach wie vor an der Tagesordnung ist. Eine von drei Frauen wird laut einer Statistik von UN Women zumindest einmal in ihrem Leben Opfer von Misshandlung oder Vergewaltigung. Andererseits zeigen sie aber auch, dass sich punktuell Widerstand gegen sexuelle Gewalt, sexistische Praktiken und Frauenfeindlichkeit regt, der eine Entschlossenheit an den Tag legt, die seit dem Niedergang der zweiten Frauenbewegung selten gesehen wurde.

Wie Gewalt gegen Frauen, Sexismus und Kapitalismus miteinander verwoben sind und welche Funktion Frauenunterdrückung für die Aufrechterhaltung des Systems hat, beschreibt Tine BAZALKA.

sind aber keineswegs in der Mehrheit. Und was auffällig ist: Das Argument, dass Frauen doch ohnehin längst gleichgestellt seien und das jetzt endlich einsehen und Ruhe geben sollten, das seit Jahren verwendet wird, um die Diskussion abzudrehen, zieht nicht mehr so gut. Denn tausende Mädchen und junge Frauen kommen zu dem Schluss, dass Gleichstellung am Papier nicht viel bringt, wenn es reicht vor die Tür zu gehen, um als Sexobjekt degradiert zu werden oder wenn man die Anzüglichkeiten des Chefs aus Furcht um den Arbeitspatz stillschweigend über sich ergehen lassen muss. Die Gesellschaft ist durchzogen von Sexismus, der vor allem dann zum Tragen kommt, wenn Abhängigkeiten bestehen und ausgenutzt werden. Wie ist rechtliche Gleichstellung vereinbar mit der Tatsache, dass Frauen in Österreich bei gleicher Arbeitszeit noch immer 20 Prozent weniger verdienen, 80 Prozent der Teilzeitbeschäftigten weiblich sind, die Hälfte der weiblichen Lehrlinge in drei der schlechtest bezahlten Berufssparten strömt und Frauen nach wie vor den Großteil der Hausarbeit und Kindererziehung versehen? Das Private und das Politische Frauenunterdrückung führt zu struktureller Benachteiligung. Diese wiederum ist die beste Voraussetzung für Sexismus, denn wer ökonomisch abhängig ist, kann sich schlechter wehren. Gewalt gegen Frauen und sexuelle Belästigung treten aber auch dort auf, wo wirtschaftliche Faktoren keine oder eine verschleierte Rolle spielen. Die Bedingungen, denen wir im Kapitalismus unterworfen sind, wirken sich auf jede unserer persönlichen Beziehungen aus. Es ist schwer sich

vorzustellen, wie wir frei von Stress, Geldsorgen und Schikanen am Arbeitsplatz miteinander umgehen würden; oder wie sich unsere sexuellen Beziehungen ohne das ständige Bombardement durch Bilder halbnackter Models, Pornos und romantischen Komödien gestalten würden. Das heißt natürlich nicht, dass wir nicht Macht über und Verantwortung für das Gestalten unseres sozialen Umfelds haben. Es heißt aber, dass wir alle Einflüsse, denen die Menschen in ihrem täglichen Leben ausgesetzt sind, in die Beschreibung ihrer Handlungen mit einbeziehen müssen. Der häufigste Schauplatz von Gewalt gegen Frauen bleibt die Familie. 20 Prozent der österreichischen Frauen, schätzen die autonomen Frauenhäuser, sind Opfer von Gewalt durch ihren Partner oder Ex-Partner. Die Familie, noch immer das Grundelement unserer Gesellschaft, ist der Ort, an dem sich aufgestaute Frustrationen am leichtesten Bahn brechen. Da die Familie aber für viele Frauen auch ein wirtschaftliches und emotionales Sicherheitsnetz darstellt, ist die Gewalterfahrung dort besonders traumatisierend und es ist schwer, ihr zu entkommen. Eine Gesellschaft, die Frauen in der öffentlichen Wahrnehmung vor allem als Sexualobjekte präsentiert, öffnet der Akzeptanz von sexueller Belästigung Tür und Tor. Von dort zu sexueller Gewalt ist es für manche Täter nur noch ein weiterer Schritt. Die sexuelle Revolution der 1960er- und 1970er-Jahre ist so ein zweischneidiges Schwert: Frauen brauchen sich für sexuelle Beziehungen zwar nicht mehr zu schämen, andererseits wird nun von ihnen erwartet, ständig begehrenswert und experimentierfreudig zu sein. Das wiederum spielt jenen in die Hände, die be-

haupten, Frauen würden mit ihrem Aussehen oder ihrem Benehmen sexuelle Übergriffe herausfordern oder hätten es nicht anders gewollt. Gegen diese Opfer-Täter-Umkehr kämpfen seit einigen Jahren die Organisatorinnen der Slutwalks. Die Interaktion zwischen Gewalttäter und -opfer reflektiert also gesellschaftliche Machtverhältnisse. Die volle Schuld für sein Handeln trägt dabei natürlich trotzdem der Täter. Eine wichtige Forderung etwa der Bewegung in Indien sind strikte Strafverfolgung und angemessene Strafhöhe für Vergewaltiger. Gerade solch unglaublich brutale Fälle wie jener in Indien, aber auch der des Josef Fritzl in Amstetten, machen es schwer über die Ebene der individuellen Psychopathie, des Macht- und Gewaltrausches hinauszusehen. Sie stellen aber nur die grausame Spitze eines Eisberges dar, dessen Basis fest in der kapitalistischen Gesellschaft verankert ist. Was spaltet, ist praktisch Obwohl sie so eng mit unserer heutigen Gesellschaft verwoben ist, ist Frauenunterdrückung natürlich keine Erfindung des Kapitalismus, sondern hat ihre Wurzeln im Aufkommen der Klassengesellschaft, also mit der Entstehung von Privatbesitz. Damit, schreibt Friedrich Engels in Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates (1884), stellt sich erstmals die Frage nach Vererbung und somit Zuordnung der Blutsverwandtschaft. Mit Beginn der Viehzucht wurde die wirtschaftliche Position der Männer, die für diese zuständig waren, gestärkt, womit ihnen die Möglichkeit zukam, aus dem ursprünglichen Mutter- ein Vaterrecht zu machen. Dies beschreibt Engels als den Ausgangspunkt der Frauenun-

terdrückung und die „weltgeschichtliche Niederlage des weiblichen Geschlechts“, diese „erniedrigte Stellung der Frau“ sei seitdem „stellenweise in mildere Formen gekleidet worden; beseitigt ist sie keineswegs.“ Auch im wandlungsfähigsten aller bisherigen Gesellschaftssysteme, im Kapitalismus, verändert sich die Natur der Frauenunterdrückung stetig. Sind Frauen noch heute großteils der Garant dafür, dass die Reproduktionsarbeit – das heißt Hausarbeit, Kindererziehung und Pflege – reibungslos und unbezahlt abläuft und damit das System aufrechterhält, so waren sie es früher noch viel mehr. Auch die rechtliche und politische Stellung der Frauen hat sich dank der Kämpfe von Frauenrechtlerinnen in den letzten hundert Jahren stark verbessert, ohne jedoch eine wirklich Gleichstellung herbeizuführen. „Die wahre Veränderung ist, dass Männer und Frauen in Bezug auf ihre Arbeit und ihr häusliches Leben näher zusammenrücken, aber dass sie es unter Bedingungen tun, die sie nicht selbst gewählt haben“, schreibt die britische Marxistin Lindsey German. „Im Hintergrund stehen nach wie vor Frauenunterdrückung und die intensivierte Ausbeutung von sowohl Männern als auch Frauen.“ Ähnlich wie bei Rassismus dient die Spaltung der Arbeiter_innenklasse in Frauen und Männer dazu, Wettbewerb zwischen den vermeintlich feindlichen Gruppen um die vermeintlich unzureichenden Ressourcen anzuheizen, um von den wahren Profiteuren des Systems abzulenken. „Die Gesellschaft spielt Frauen gegen Männer, Schwarze gegen Weiße und Katholiken gegen Protestanten aus. Wenn eine unterdrückte Gruppe etwas auf Kosten von jenen gewinnt, mit denen sie in Konkurrenz stehen sollen, löst das eine Krise aus“, beschreibt German. In Wahrheit ist keiner der Fortschritte, die Frauen gemacht haben, auf Kosten von Männern passiert. Aber wohin man schaut, wird der Eindruck vermittelt, die Geschlechter müssten sich bekämpfen um zu überleben: am Arbeitsmarkt, beim Pensionsalter, in der Kindererziehung. Die Frage, warum so viele mit einem so kleinen Teil des gesellschaftlichen Kuchens auskommen müssen, während sich wenige Glückliche am Rest laben, rückt dabei in den Hintergrund. Ein gutes Beispiel ist die jüngste Debatte um das Bundesheer: Anstatt darüber nachzudenken, ob Österreich überhaupt eines braucht, kam der Vorwurf auf, es sei ungerecht, dass Frauen keinen Wehrdienst verrichten. Bestehende Ungleichheiten in der Gesellschaft werden also von den Herrschenden zum machtpolitischen Taktieren ausgenutzt. Eine Variante davon ist der Versuch, frauenpolitische Forderungen für die eigenen Zwecke einzusetzen. Ein Beispiel ist der Einmarsch im Irak und in Afghanistan, der auch als „Befreiung der islamischen Frau“ beworben wurde. Ein jüngeres und näheres ist das Wiener Prostitutionsgesetz, wo unter dem Deckmantel des Frauenschutzes der Straßenstrich verboten und letztendlich weitaus gefährlichere Bedingungen geschaffen wurden. Dass der Gewalt gegen Frauen in beiden Fällen sogar noch Vorschub geleistet wurde, ist ein guter Hinweis darauf, dass Emanzipation nicht von oben übergestülpt, sondern nur von unten erkämpft werden kann.


Linkswende März 2013

11

„Freiheit“ für Schottland?

„I

hr englischen Hunde ihr, verweichlichte Huren seid ihr, küsst meinen schottischen Hintern und seid stolz darauf dies tun zu können, etwas Besseres kann einem jämmerlichen Engländer nicht passieren!“ Mit diesen Worten soll William Wallace kurz vor seinem Tod seine Peiniger verflucht haben. Wie Mel Gibson im Film „Braveheart“ hatte er die aufständischen Schotten Ende des 13. Jahrhunderts in den ersten Unabhängigkeitskrieg gegen England geführt. 1905 wurde Wallace des Hochverrats angeklagt und zum Tode verurteilt, weil er sich weigerte dem englischen König Eduard I. seine Treue zu schwören. Und das, obwohl er wusste, dass seine Hinrichtung grausam sein würde: Zuerst musste er mehrere Stunden lang nackt durch die Straßen Londons laufen, während man ihn mit Steinen bewarf. Anschließend wurde er gehängt und – noch lebend – kastriert und ausgeweidet, dann geköpft und gevierteilt. Sein Kopf wurde auf der London Bridge aufgespießt und seine Extremitäten im ganzen Land verteilt. Durch Mel Gibsons Film wurde William Wallace berühmt – und zur Symbolfigur für all jene, die für ein „freies“ bzw. unabhängiges Schottland eintreten. Wallace‘ Erben Heute sammeln sich die „politischen Erben“ von William Wallace vor allem in der linksliberalen SNP, der „Schottischen Nationalpartei“, die seit den Wahlen 2011 die absolute Mehrheit im schottischen Parlament innehat. Zwar erhielt die SNP die meisten ihrer Stimmen vor allem, weil sie soziale und ökologische Verbesserungen angekündigt und sich konsequent gegen Atomenergie und die Kriege in Afghanistan und im Irak eingesetzt hatte. Dass aber die Unabhängigkeit Schottlands oberstes Ziel der SNP

OBERÖSTERREICH

ist, hat Parteichef Alex Salmond im Wahlkampf unterstrichen, indem er ankündigte im Herbst 2014 ein Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands abhalten zu wollen, falls die SNP eine absolute Mehrheit erreiche. Nun, da 69 der 129 Sitze von SNP-Mitgliedern besetzt sind, stellt das schottische Parlament keine Hürde mehr dar. Der erste Versuch der SNP ein Referendum einzuleiten, war 2010 noch an der fehlenden Mehrheit im Parlament gescheitert. Am 15. Oktober 2012 einigte sich SNP-Chef Salmond mit Premierminister David Cameron auf die Abhaltung eines Unabhängigkeitsferendums im Jahr 2014. Im Anschluss daran sprach Salmond von „einem historischen Tag für Schottland“. Camerons Taktik Schaut man sich die getroffene Vereinbarung genauer an, offenbart sich jedoch die taktische Herangehensweise der britischen Regierung. David Cameron beharrte nämlich darauf, dass in dem Referendum nur eine einzige Frage gestellt werden darf – und zwar eine, die mit „Ja“ oder „Nein“ zu beantworten ist. Dadurch wurden die Erfolgschancen des Referendums drastisch reduziert. Laut aktuellsten Umfragen befürwortet nämlich nur rund ein Drittel der Schotten eine vollständige Unabhängigkeit. Mehr als die Hälfte spricht sich strikt dagegen aus. Zahlreiche Studien belegen, dass sich die meisten Schotten für eine umfassende Autonomie innerhalb des Vereinigten Königreichs aussprechen, in welcher nur die Landesverteidigung und äußere Angelegenheiten von London kontrolliert werden und nur noch dafür Steuergeld nach London fließt. Doch genau diese beliebteste Option ließ David Cameron aus dem Referendumsentwurf der SNP

Foto: Chris Newlove

Die schottische Regierung plant im Herbst 2014 ein Unabhängigkeitsreferendum abzuhalten. Wie der Kampf zwischen der separatistischen „Scottish National Party“ und Camerons Regierung ausgeht, ist noch offen. Dietmar MEISTER analysiert die Hintergründe.

29. September 2012: Unabhängigkeitsdemonstration in Edinburgh.

streichen. So bleibt nur noch die Wahl zwischen völliger Unabhängigkeit und dem Erhalt des Status Quo. Sollten sich – wie Cameron hofft – die Schotten mehrheitlich für den Verbleib im Königreich entscheiden, würde dies der Unabhängigkeitsbewegung einen schweren Dämpfer versetzen. Die Wirtschaft zählt Wichtiger als die Unabhängigkeit ist den meisten Schotten die wirtschaftliche Entwicklung. In der jahrhundertelangen Auseinandersetzung zwischen Schottland und England spielte die Wirtschaft immer wieder eine entscheidende Rolle. So ergab sich der heute bestehende Zusammenschluss zwischen den beiden Ländern aus dem gescheiterten Versuch eine schottische Kolonie in Mittelamerika einzurichten. Das ausgewählte Gebiet im heutigen Panama war malariaverseucht, die dort ankommenden Schotten wurden von spanischen Kolonia-

listen getötet, das investierte Geld war weg und Schottland bankrott. Um die schottische Wirtschaft zu sanieren, unterzeichnete man 1709 den Unionsvertrag, der die knapp 400-jährige Unabhängigkeit beendete und bis heute gilt. Aktuell würde nur jeder fünfte Schotte eine Loslösung vom Vereinigten Königreich unterstützen, wenn sich dadurch ökonomische Nachteile ergeben würden. Die SNP verspricht sich im Zuge einer Unabhängigkeit die Kontrolle über das Nordseeöl zu sichern und mit den Einnahmen die Staatskasse zu füllen. Da jedoch fast 90 Prozent der britischen Öl- und Gasvorkommen auf schottischem Hoheitsgebiet liegen, ist anzunehmen, dass die Regierung in London dabei nicht tatenlos zusehen wird. Horrorszenarien Die Unklarheit über die Folgen einer Unabhängigkeit nutzt David Cameron geschickt aus, um den Schotten ein Horrorszenario nach

dem anderen zu präsentieren. Die Regierung droht für den Fall einer Abspaltung unter anderem mit der Einführung von Grenzkontrollen zwischen Schottland und dem Restkönigreich. Cameron schwingt dazu auch noch die Nazikeule und warnt, dass man ohne ein Vereinigtes Königreich Hitler-Deutschland nie hätte besiegen können. Sicher ist, dass noch viele Manipulationsversuche folgen werden, bis es zum Referendum kommt – und zwar weil man in London weiß, dass ein „Ja“ für die schottische Unabhängigkeit den britischen Staat enorm schwächen würde. Was eine Abspaltung für Schottland bringen würde, ist derzeit nicht absehbar. Fest steht hingegen, dass die SNP nicht vorhat, ein sozialistisches Schottland zu errichten. Deshalb werden auch in einem unabhängigen Schottland schottische Bosse schottische Arbeiter_innen ausbeuten – dies nicht zu vergessen, unterscheidet Sozialist_ innen von Nationalist_innen.

Rechtsextreme unterwandern Verfassungsschutz von David ALBRICH

Foto: stopptdierechten.at

„B

Rechte Umtriebe werden gedeckt und Kritik verharmlost.

ravo. Wenn du über und über tätowierten, mit NS-Symbolen bedeckten Skinhead-Schlägern begegnest“, schreibt Standard-Kolumnist Hans Rauscher, dann ist das „vorwiegend nicht als politische Straftat zu werten“. Jahrelang konnte das Neonazi-Netzwerk „Quartier 21“ Sturmgewehre, Maschinenpistolen, Sprengstoff und andere Waffen sammeln, Brandstiften und Entführungen durchführen – unter der schützenden Hand von Polizei und Verfassungsschutz. Die Nazis „haben mir dann auch zu verstehen gegeben, dass sie mit der Exekutive unter einer Decke stecken und dort Freunde haben“, erklärt Erich Ruzowitzky, der das „Quartier“ vermietet hat. Polizisten haben die Nazis vor den Hausdurchsuchun-

gen gewarnt. Der Verfassungsschutz stellte die Ermittlungen ein und erklärte, die Delikte hätten nichts „mit politischen Aktivitäten“ zu tun. Für eine Erklärung des Wahnsinns muss man nicht lange suchen. Rechtsextreme haben die Rechtsextremismus-Abteilung des Landesamtes für Verfassungsschutz (LVT) in Oberösterreich übernommen. Einer der drei Beamten ist – wie der Linzer FPÖ-Stadtrat Detlef Wimmer – Mitglied der deutschnationalen Burschenschaft Arminia Czernowitz. Die Verbindung wirbt mit Plakaten der NSDAP für eine Veranstaltung mit dem Judenhasser Richard Melisch. Der Beamte hat sich außerdem, laut dem NaziAufdecker Uwe Sailer, mehrmals öffentlich für die Abschaffung des NS-Verbotsgesetzes ausgesprochen. Ein zweiter Beamter, im kleinen

Kreis gerne schwulenfeindlich und ausfällig gegen „Linksextremisten“, ist mit Erhard Weinzinger, FPÖBezirksgeschäftsführer in Ried, eng befreundet. Weinzinger organisiert die berüchtigten AschermittwochVeranstaltungen der FPÖ in der Rieder Jahn-Turnhalle. Sein Vater, Lutz Weinzinger, ist Mitglied der Burschenschaft Bruna Sudetia, die „vom großen Reiche aller Deutschen“ träumt. Die faschistische Unterwanderung des Staates ist eine echte Bedrohung: Rechte Umtriebe werden gedeckt und Kritik verharmlost. Erinnerungen an die Zwickauer NSUZelle, die zehn Menschen ermordet hat, werden wach. Es wurde endlich Zeit, dass diese Umtriebe aufgedeckt und veröffentlicht worden sind. Ob es Konsequenzen geben wird, wird sich erst zeigen.


12 März 2013 Linkswende

Michael Köhlmeier

Die Abenteuer des Joel Spazierer ISBN: 978-3-446-24178-7

Lüge und M­anipulation sind die g­roßen Themen dieses Buchs – und was im Feuilleton besonders gut ankommt: Der Kommunismus. So manche_r Kri­tiker_in freut sich über die „Abrechnung“ mit dem „realen Sozialismus“, den bürokratischen, staatskapitalistischen Diktaturen des „Ostblocks“. Und wirklich von Beginn an ist man hin- und hergerissen zwischen dem Entsetzen über die Foltermethoden der diversen „kommunistischen“ Staaten und der Erheiterung über die Skurilitäten, die so ein System hervorbringt. Jede Wendung der Parteilinie kostet Menschen die Freiheit oder das Leben. Die Geschichte des verlogenen, manipulativen und dabei höchst sympathischen Helden beginnt kurz vor Stalins Tod in Ungarn. Der vierjährige András Fülöp wird mehrere Tage in der großmütterlichen Wohnung völlig alleine gelassen, er genießt die Zeit in vollen Zügen und vermisst seine Familie gar nicht. Vielmehr entdeckt er eine unglaubliche Freiheit. „Wie Siegfrieds Körper durch das Bad im Blut des Drachen unverwundbar wurde, so sei meine Seele in jenen fünf Tagen und vier Nächten gestählt und immunisiert worden“, sagt er später. Schon als Siebenjähriger traut er sich das Reflexionsvermögen eines Erwachsenen zu. Die Familie flüchtet nach Wien, leider kurz vor dem Aufstand in Ungarn – und kommt so nicht in den Genuss der begeisterten Aufnahme durch die Einheimischen. In Wien entwickelt der Bub eine Fähigkeit die Menschen zu durchschauen, ihre kleinsten mimischen und körpersprachlichen Regungen zu interpretieren und ihnen dann das zu erzählen – oder vorzulügen – was sie hören wollen bzw. was seinen Interessen entgegenkommt. Er ist sich seiner Vorzüge wie – dem süßen Lächeln, den Sommersprossen und Locken – voll bewusst und setzt sie skrupellos ein. Schon in ganz jungen Jahren verdingt er sich als Stricher und erpresst gemeinsam mit seinem Strizzi-Freund die Freier. András, jetzt Andreas, entdeckt, wie schön es ist nicht nur zu lügen, sondern sich gleich ganze LügenIdentitäten aufzubauen. Einer seiner Lehrer auf diesem Gebiet wird ein ehemaliger ungarischer Folterknecht, der ebenfalls nach Wien geflüchtet ist und sich unter anderem als Passfälscher betätigt. Nach Stationen im Gefängnis und in der DDR, wo der Protagonist um politisches Asyl bittet und sich gekonnt bei hohen Bonzen einschmeichelt, endet die Geschichte im Wien der 1980er-Jahre, wo András seine Geschichte niederschreibt. Köhlmeier versteht es meisterhaft, eine Figur, die stiehlt, erpresst und sogar mordet, der jede Moral fremd zu sein scheint, durchgehend sympathisch zu schildern. Besonders das Hineinversetzen in das altkluge, immer beobachtende Kind ist äußerst gelungen. Mir erscheint Köhlmeiers Buch wie eine literarische Reaktion auf die Salonfähigkeit der Lüge in der heutigen Welt. Spazierer wäre der perfekte Politiker geworden.

von Ken OLENDE

D

er britische Sender Channel 4 News veröffentlichte unlängst Videos, die während des Massakers von den Polizisten selbst mit ihren Mobiltelefonen aufgenommen wurden. Ein Polizist filmte dabei den Lauf seiner Pistole, während man im Hintergrund sieht, wie ein zweiter Polizist Arbeiter dazu zwingt durch Gestrüpp zu kriechen. In einem anderen Video hört man einen Polizisten rufen: „Nicht schießen!“, jedoch folgen Schüsse und die Handykamera filmt die blutige Leiche eines Minenarbeiters. Ein Polizist prahlt: „Ich schoss mindestens zehn mal auf diesen verdammten Hurensohn.“

Die meisten der 34 getöteten Streikenden starben, als die Polizei in den Minen abseits der Fernsehkameras das Feuer eröffnete. Die Polizei beteuerte stets aus Notwehr geschossen zu haben. Ein Forscherteam der Universität Johannesburg interviewte Überlebende des Massakers. Sehr schnell häuften sich dabei Zweifel an der Version der Polizei. Das Filmmaterial zeigt Polizisten, die von Felsen auf am Boden liegende, teils verwundete, teils tote Minenarbeiter herabschauen. Mehr als 3.000 Arbeiter_innen hatten Lohnerhöhungen gefordert und waren aufgebracht darüber, dass die ihre Gewerkschaft, die National Union of Mine-

Die Überlebenden und die Familien der Opfer kämpfen gegen mächtige Gegner – die Konzerne, die Regierung und die Polizei.

Foto: Taurai Maduna Eyewitness News

von Tom D. ALLAHYARI

Schockierende Aufnahmen des Massakers von Marikana in Südafrika bestärken die Aussagen der Bergarbeiter über die Ereignisse gegen die Behauptungen der Polizei. Diese schoss während eines Streiks in der Lonmin's Platinmine im August 2012 auf 112 Minenarbeiter und tötete dabei 34.

Foto: Reuters

Lesetipp

„Ich schoss mindestens zehn mal auf diesen verdammten Hurensohn.“ workers (NUM), sich nicht ausreichend für ihre Interessen einsetzte. Viele wechselten deshalb zur militanteren AMCU Union. Die Arbeiter_innen campten auf einem Felsen. Sie waren auch noch dort, als die Polizei das Feuer eröffnete. Die Familien der Verstorbenen sagen, dass andere belastende Videos vernichtet wurden. Die Minenarbeiter_innen wurden eingeschüchtert und angegriffen um sie davon abzuhalten, Zeugenaussagen gegen die Polizei zu machen. Die Kommission wird in Zukunft Aussagen über das neue Filmmaterial anhören. Momentan laufen die Anhörungen der Repräsentativen der NUM. Jim Nichol repräsenttiert die

Bergarbeiter_innen in der Kommission. Er sprach mit „Socialist Worker“ über kürzliche Aussagen von Erick Gcilitshana, dem Verhandlungsführer der NUM in der Lonmin Mine. Gcilitshana akzeptierte, dass die Union sie bei den Vermittlungen nicht vertrat. Er wurde gefragt, ob die Gewerkschaft denn nichts für die verwundeten Arbeiter_innen tue. „I will say no, and will qualify,“ antwortete Gcilitshana. Er sagte, dass die Arbeiter_innen die Gewerkschaft normalerweise um Hilfe bitten, aber da das diesmal niemand tat, hatte er nicht reagiert. Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen, die Offenlegung weiterer erschreckender Details sind zu erwarten.

GRIECHENLAND

Fabrik Vio.Me beginnt mit Produktion unter Arbeiterkontrolle

V

Foto: biom-metal.blogspot.gr

Linker

Filmmaterial offenbart Horror des Massakers von Marikana

SÜDAFRIKA

„Wir denken, dass das die Zukunft der Arbeiter_innenkämpfe ist.“ Makis Anagnostou, Vertreter der Betriebsgewerkschaft von Vio.Me

io.Me ist eine Fabrik in Thessaloniki, die Baustoffe herstellte und in der im Mai 2011 die Produktion eingestellt wurde. Seither wurden die Arbeiter von Vio.Me nicht mehr bezahlt, Eigentümer und Manager verließen die Fabrik. Bei einer auf fast 30% gestiegenen Arbeitslosigkeit, sinkenden Löhnen, abgespeist mit leeren Worten, Versprechungen und Steuererhöhungen, erfolglosen Interventionen bei verschiedenen Ministerien, haben sich die Arbeiter_innen nach einer Reihe von Vollversammlungen entschlossen, die Fabrik gemeinsam wieder in Betrieb zu nehmen. Sie haben die Fabrik und die für die Produktion benötigten Maschinen besetzt und geschützt. Sie haben

sich außerdem mit anderen Arbeiter_innen und Kollektiven aus ganz Griechenland vernetzt und dadurch große Unterstützung erhalten. Dienstag, der 12. Februar war der erste offizielle Tag der Produktion in Selbstverwaltung unter Arbeiter_innenkontrolle von Vio.Me. Das heißt, eine hierarchisch organisierte, von Bossen diktierte Produktion wurde durch eine von der Arbeiter_innenvollversammlung in direkter Demokratie geplante Produktion ersetzt. Petition zur Unterstützung von Vio.Me unter: bit.ly/YemESp Weitere Infos unter: viome.org

*BESETZEN*! *WIDERSTAND LEISTEN*! *PRODUZIEREN*!

SOLIDARISCHE ÖKONOMIE KONGRESS

Eine Veranstaltung von akw [Freund_innen von analyse&kritik in Wien], www.akweb.de Wo? W23 – Wipplingerstrasse 23, 1010 Wien, Wann? Freitag, 22.2., 20 Uhr Die Veranstaltung mit Makis Anagnostou von Vio.me findet in englischer Sprache statt. wipplinger23.blogspot.co.at

Im Rahmen vom Solidarische Ökonomie Kongress 2013 findet auch ein Workshop mit Kolleg_innen aus Griechenland, Serbien und Argentinien zum Thema statt: „Wenn du sie betreibst, solltest du sie kontrollieren. Der Kampf um Arbeiterselbsverwaltung“. Wo? Universität für Bodenkultur Wann? Samstag, 23.2., von 12 bis 13 Uhr solidarische-oekonomie.at


Linkswende März 2013

13

VERGESSENE GESCHICHTE Abraham Lincoln und der Amerikanische Bürgerkrieg

W

ie so oft in der Geschichte werden Entwicklungen, die von Millionen Menschen getragen werden, auf die Leistungen eines einzelnen Mannes reduziert. Das Ende der Sklaverei war das Ergebnis eines Krieges mit revolutionärem Inhalt. Das Versprechen, das System der Sklaven-Plantagen im Süden zu beenden, riss die schwarze Bevölkerung an der Seite des Nordens in den Krieg, der vier Jahre andauern sollte und 600.000 Opfer forderte. Schon lange vor dem Krieg hatten sich weiße und schwarze „Abolitionist_innen“ für die Befreiung der Schwarzen eingesetzt. Lincoln selbst war vielmehr von äußeren Umständen, den Bewegungen der Massen, getrieben als in Büchern und Filmen dargestellt. Hintergründe des Bürgerkriegs 1861 begann der amerikanische Bürgerkrieg. Äußerer Anlass war die Wahl Lincolns gewesen, eines führenden Mitglieds der republikanischen Partei. Die Ironie der Geschichte ist, dass die Republikaner damals die fortschrittliche, mehr oder weniger Anti-SklavereiPosition vertraten, während die „Demokraten“ die Partei der Sklavenhalter waren. Auch der Streit um die Rechte der einzelnen Bundesstaaten war nicht der wirkliche Grund für den Krieg. In Wahrheit

prallten zwei völlig unterschiedliche Arten der Gesellschaftsorganisation aufeinander. In den Nordstaaten entstanden große Industriebetriebe und eine breite Arbeiter_innenklasse, die Landwirtschaft war von kleinen Betrieben dominiert. Der Süden dagegen wurde von sklavenhaltenden Großgrundbesitzern beherrscht. 1860 produzierten vier Millionen Sklav_innen, die unter den grausamsten Bedingungen lebten, eine Million Tonnen Baumwolle für den Weltmarkt. Abraham Lincoln, obwohl von der europäischen Linken und Karl Marx beeinflusst, war zu Beginn seiner Präsidentschaft alles andere als einer der radikalen Sklavereigegner seiner Zeit. Er verkündete, er werde sich nicht in die Institution der Sklaverei, wo sie existiert, einmischen. Trotzdem traten immer mehr südliche Staaten aus der „Union“ aus. Nachdem Südstaaten-Truppen Fort Sumter angegriffen hatten und Lincoln daraufhin in den Nordstaaten mobil machen ließ, spalteten sich weitere ab. Sklaverei: Lincoln zögert Während Lincoln selbst noch versuchte, den „Demokraten“ und den Sklavenhaltern entgegenzukommen, verbreitete sich im Norden die Stimmung gegen die Sklaverei. Die Menschen strömten zu den Reden von Abolitionisten wie dem befreiten Sklaven Frederick Douglass. Der sah voraus, dass der Krieg, egal was die Herrschenden wünschen, um das Ende der Sklaverei geführt werde. Die Abolitio-

R eproduktion

von Hannah KRUMSCHNABEL

N

ahrungszubereitung, Instandhaltung des Lebensraums, Hygiene, Kinderbetreuung, etc.: Nur um zu überleben, sich selbst zu „reproduzieren“, verrichtet der Mensch tagtäglich Arbeit. Für das meiste davon sind wir allerdings auf Hilfsmittel angewiesen, Dinge also, die wir zur Befriedigung unserer Bedürfnisse produzieren müssen. Das kann der Getreideanbau sein, das Bauen von Häusern und Abwasserkanälen, die Fertigung von Textilien und Möbelstücken. Die Erhaltung unseres eigenen Lebens und die Erzeugung der Dinge, die wir dafür brauchen, wurde jedoch in der Geschichte jeweils unterschiedlich organisiert. Marx hat in seiner Analyse des Kapitalismus beschrieben, wie dieser die Sphäre der Produktion und die Sphäre der Reproduktion der Arbeitskraft voneinander trennt. In früheren Gesellschaftsformen war die „Fa-

Foto: (c) Library of Congress

Abraham Lincoln (1809-1865) war von 1861 bis 1865 der 16. Präsident der USA. Am 14. April 1865 schoss ein fanatischer Südstaatler auf Lincoln, der am nächsten Tag verstarb. Er gilt bis heute als der Präsident, der die Sklaverei in den USA beendet hat, meint Tom D. A ­ LLAHYARI.

Etwa 186.000 afroamerikanische Männer kämpften im Unionsheer für ihre Freiheit.

nist_innen forderten, dass endlich die Befreiung aller Sklav_innen verkündet werden müsse und dass Schwarze in die Armee des Nordens rekrutiert werden sollten. Lincoln gab dem erst nach, als in der Praxis schon längst viele entflohene Sklaven in dieser Armee dienten. Zum Endes des Krieges bildeten Schwarze zehn Prozent der Unionstruppen. Erst 1863, nachdem er erkannt hatte, dass der Krieg anders nicht zu gewinnen war, verkündete Lincoln die Befreiung aller Sklaven. Der gemeinsame Kampf gegen die Sklaverei veränderte und verstärkte das Selbstbewusstsein der ehemaligen Sklaven. Die „gemischte“ Unionsarmee führte einen Feldzug

milie“ vor allem eine Produktionsgemeinschaft, in der gemeinsam Handwerk oder Landwirtschaft betrieben wurde. Der Aufstieg des Kapitalismus aber war durch das Aufkommen großer Fabriken davon geprägt, dass immer mehr Menschen aus ländlichen Gegenden zu den neuen Produktionsstandorten strömten um Arbeit zu finden. Sie arbeiteten nun „außer Haus“, die bekannten sozialen Strukturen zerbrachen und Marx und Engels sagten deshalb bereits das Ende der Familie in der neuen Arbeiter_innenklasse voraus. Doch sie erkannten bald ihren Fehler, denn im Gegenteil war eine neue Form der Familie dringend nötig, um die Reproduktion der Arbeitskraft zu gewährleisten. Nun, da die Produktion öffentlich und unter dem Prinzip der Lohnarbeit stattfand, musste die Familie der Ort werden, der das Fortbestehen des Lebens an sich sicherte – wo die nächste Generation der Arbeiter_innen erzogen wurde, bis sie selbst in den Produktionsprozess

gegen die mächtigen Sklavenhalter und befreite die Schwarzen. Hunderttausende flohen von den Plantagen und schlossen sich den Unionstruppen an. Ideen verändern sich Der Kampf selbst hatte Lincolns Ideen verändert. Von einem, der einst gesagt hatte, er tue nur, was dem Erhalt der Union nutze, auch wenn das die Aufrechterhaltung der Sklaverei wäre, wurde er zu einem radikalen Gegner der „südlichen Lebensart“. Doch das Ende der Sklaverei ist nicht diesem einzelnen „großen“ Mann zu verdanken, sondern den Millionen Menschen, Schwarzen und Weißen, die sich an einem revolutionären Krieg

beteiligt hatten. Ein Krieg, den Karl Marx für das wichtigste Ereignis des Jahrhunderts hielt und den er mit seiner „Internationalen Arbeiterassoziation“ nach Kräften unterstützte. Traurigerweise muss noch gesagt werden, dass der Landbesitz im Süden nicht wirklich umverteilt wurde. Ehemalige Sklaven mussten sich bei den alten Herren Arbeit suchen. Nach dem Rückzug der Unionsarmeen waren die Schwarzen dem Terror des KuKlux-Klans ausgeliefert. Erst in den 1960-ern konnte das Wahlrecht für Schwarze durchgesetzt werden. Bis heute ist Rassismus ein integraler Bestandteil des US-Kapitalismus.

In dieser Serie erklären wir Begriffe des Marxismus von A bis Z.

eintrat; wo sich die Arbeiter_innen selbst versorgen und bei Alter oder Krankheit gepflegt werden sollten. Das Fortbestehen des Systems beruhte also geradezu darauf, dass Reproduktion „privatisiert“ wurde, und das bürgerliche Ideal der Kleinfamilie verpflichtete vor allem die Frauen dazu. Marx‘ Schlüssel zum Verständnis des kapitalistischen Systems lag jedoch in der Sphäre der Produktion, in der Wert entsteht und Mehrwert von den Kapitalisten abgezweigt wird. Deshalb entstand aus feministischer Perspektive die Kritik am Marxismus, dieser würde den Stellenwert der Reproduktion – und damit auch die Rolle der Frau – unterschätzen. Immerhin verlässt sich der Kapitalismus zu einem großen Teil auf deren unbezahlte Hausarbeit, Kinderbetreuung und Pflege. Denn auch wenn „Reproduktionsarbeit“ theoretisch auch komplett außerhalb der Familie stattfinden könnte, so ist eine solche Entwicklung unter den Bedingungen des freien Marktes

in der Praxis höchst unwahrscheinlich und würde schon an der Konkurrenz zwischen den Kapitalisten scheitern. Kinderbetreuung, Hausarbeit etc. sind teuer, wenn sie entlohnt werden müssen. Warum und wie sollte ein einzelner Unternehmer oder auch eine ganze nationale kapitalistische Klasse diese riesigen Investitionen riskieren, wenn alle anderen nach wie vor von unbezahlter Reproduktionsarbeit profitieren? Es war und ist deshalb eine wichtige Weiterentwicklung des Marxismus im 20. Und 21. Jahrhundert, die gegenseitige Abhängigkeit von Produktion und Reproduktion anzuerkennen und zu erforschen. Auch wenn der „ökonomische Muskel“ der Arbeiter_innen ihre stärkste Waffe ist, so ist Widerstand nicht allein darauf beschränkt. Umgekehrt kann ein Kampf gegen die Unterdrückung der Frau nur dann erfolgreich sein, wenn ihn im Zusammenhang mit kapitalistischen Klassenverhältnissen und Produktionsbedingungen versteht.


14 März 2013 Linkswende

„NERVEN BRUCH ZUSAMMEN – EVERYTHING WILL NOT BE FINE“ Eine Österreicherin, die unbedingt wieder Kontakt zu ihren beiden Söhnen sucht. Eine in Belgrad geborene Ingenieurin, die plötzlich Stimmen hört und eine Syrerin, deren Mann verschwindet und sie und ihr Kind alleine lässt. Behutsam und wie auf leisen Sohlen begleitet die Kamera den Alltag dieser und anderer Frauen im Kampf um ihr Recht und vermittelt ein Gefühl für ihr Leben und ihr Schicksal.

Kinostart 1. März

Buchvorstellung MICHAEL KÖHLMEIER:DIE ABENTEUER DES JOEL SPAZIERER Buchpräsentation und Gespräch mit Michael Köhlmeier und Klaus Nüchtern. Ein funkelndes Meisterwerk über die dunklen Seiten der Existenz: Joel Spazierers atemberaubende Lebensreise durch das 20. Jahrhundert.

Freitag, 01.03.2013 | 20.00 UhrAkademietheaterKarten 1030 Wien, Lisztstraße 1

Film kinokis mikrokino ALGERIEN René Vautier ergriff mit seinem aktivistischen „Cinéma militant“ Partei für die Unabhängigkeitsbewegungen. Anschließend Gespräch in englischer Sprache mit Kader Benamara, Soziologe, Ökonom, Mitarbeiter des IWF und verschiedener UNOTeilorganisationen, Fritz Keller, Geschichtsarbeiter und Publizist

DEPOT 21. März 2013, 19.00 Breite Gasse 3

Art Brut steht für unverbildete Kunst. Als solche versteht sich das künstlerische Schaffen, das im „Haus der Künstler“ im ehemaligen Sanatorium Maria Gugging ausgestellt ist. Karin WILFLINGSEDER hat sich die aktuelle Ausstellung angesehen.

D

er Schrecken des Zweiten Weltkriegs in Europa und die Wunden der Sklaverei und „Rassentrennung“ in den USA haben die Kunstwelt verändert. Im 1949 herausgegebenen Katalog definierte der französischen Maler Jean Dubuffet die von ihm begründete „Art Brut“ als subversive, alternative Kunstform abseits der erstickenden „kulturellen Künste“. „Wir sind der Ansicht, dass die Wirkung der Kunst in allen Fällen die gleiche ist, und dass es ebenso wenig eine Kunst der Geisteskranken gibt wie eine Kunst der Magenkranken oder der Kniekranken." Art Brut ist die Bezeichnung für das spontan und unreflektiert Geschaffene, etwa bei Geisteskranken, Kindern oder Laien. 1948 gründete Debuffet zusammen mit dem Surrealisten André Breton und Anderen die Compagnie d’Art Brut. Kommerziell erfolgreich In den angloamerikanischen Ländern feierte die Kunstrichtung unter der Bezeichnung „Outsider Art“, erfunden von Roger Cardinal, ihren Siegeszug in den bekannten Galerien. Die Außenseiter-Kunst wurde chic. Werke von ehemaligen Sklav_ innen, Gefängnisinsassen oder Behinderten galt es auszustellen und zu besitzen. Mittlerweile spezialisiert sich ein eigenes Segment des Kunsthandels mit internationalen

Messen auf „Art Brut“. Große Wirkung Anerkannte Künstler wie Arnulf Rainer und Alfred Hrdlicka unterstützten die Gugginger Künstler_innen. Hier ein Auszug aus dem Text von Arnulf Rainer zu den „rätselhaften Paradoxien des heutigen Künstlerstatus“ aus dem Jahr 1978: Wenn es einem debilen Außenseiter gelingt, durch die Qualität seines künstlerischen Werkes 99 Prozent der professionellen Maler zu degradieren, wenn es Infantilität ermöglicht so intensiv zu gestalten, dass Werke von hohem Rang entstehen, die die gebildete Kunst in manchen Aspekten überholen, hat das Konsequenzen sowohl für des Künstlers Selbstbewusstsein als auch für das Problem seines sozialen Status, seiner eigenen Rollendefinition. Intelligenzquotient und Bildungsniveau soll man sowieso im Zusammenhang mit der künstlerischen Kreativität vergessen. Gugging im Wandel der Zeit Mit dem kulturellen Anerkennungsprozess einher ging die Förderung von künstlerischem Arbeiten zu therapeutischen Zwecken. Der Psychiater Leo Navratil begann 1954 im Künstlerhaus Gugging in Klosterneuburg bei Wien die Patienten zeichnen zu lassen. 1965 schreibt Navratil sein erstes Buch „Schizophrenie und Kunst“. 1970 kommt es zu den ersten Verkaufsausstellungen der Kunstwerke seiner Patienten. Navratil strebte getrieben vom Integrationsgedanken mit der Veröffentlichung der Werke eine zumindest künstlerische Gleichberechtigung an. Der Erfolg übertraf alle Erwartungen. August Walla, Oswald Tschirtner, Johann Hauser und weitere renommierte Künstler aus Gugging wurden im Rahmen des Art BrutBooms weltberühmt. Die Zeiten der

Leo K`s Momus: Musikalische Parallelwelt Nicholas Currie, bekannt unter seinem Künstlernamen Momus (nach dem griechischen Gott des Spottes und Tadels) ist ein schottischer Musiker, Blogger und RomanAutor. Seit seinem Debüt „Circus Maximus“ (1986) veröffentlichte er mehr als zwanzig Alben mit schrulligen, verspielten Folksongs, einige davon auch in Zusammenarbeit mit anderen Musiker_innen. Abgesehen vom Hit „The Hairstyle of the Devil“ (1989) blieb Momus jedoch eine Kult-Figur der Avantgarde. Sein Stil ist – inspiriert von David Bowie und der Philosophie der Frankfurter Schule – progressiv und genreüberschreitend. Hinter den oft harmlosen Melodien verbergen sich griffige, manchmal äußerst explizite Texte in denen er eine Lanze für Vielfalt

Foto: coolmusiccentral blogspot com

Foto: Kunstforum Bank Austria

Film

Art Brut: Künstler in Gugging

KULTUR

Oswald Tschirtner

Kunsttherapie sind längst vorbei, die Kunst aus Gugging ist auf dem Markt vollständig etabliert. Wenige Jahrzehnte zuvor wurde unter der Nazi-Herrschaft in der Gugginger Anstalt „unwertes Leben“ gefoltert und ermordet. Die Wiedergeburt einer künstlerischen Strömung, die es bereits in den 1920ern gab, entstand dort wo sie buchstäblich von den Nazis umgebracht wurde. Neuer Ansatz Die Kunst, nicht die Krankheitsgeschichte, steht für Navratils Nachfolger Johann Feilacher im Vordergrund. Der Psychiater und Bildhauer hat für seinen neuen Weg das einstige „Zentrum für Kunst-

und Psychotherapie“ in „Haus der Künstler“ umbenannt. Feilacher sagt über seinen Vorgänger: „Er hat immer nur von Patientenkünstlern gesprochen. Da war ich dagegen. Patient bin ich auch von meinem Zahnarzt, meinem Internisten etc. Das ist die Privatsache jedes Einzelnen. Entweder ich bin Künstler oder nicht.“ Das künstlerische Schaffen sollte nicht auf das Krankheitsbild oder den sozialen Hintergrund der Künstler_innen reduziert, sondern gleichberechtigt wie jede andere Kunst betrachtet werden. Und im „Haus der Künstler“ in Maria Gugging entstehen seit 25 Jahren großartige Kunstwerke. Hinfahren, anschauen!

Musiktipps Tocotronic: Wie wir leben wollen

und Respekt gegenüber dem Fremden und Anderen bricht. Momus stellt dabei einserseits herkömmliche Beziehungsmuster in Frage, kritisiert andererseits jedoch auch die übersexualisierte Gesellschaft unserer Tage, dies jedoch auf spöttische Weise ohne erhobenen Zeigefinger, so z.B. im Song „David Hamilton“, den er für die japanische Sängerin Kahimi Karie komponiert und produziert hat. Getreu seinem Motto (einem abgewandelten Andy-Warhol-Zitat) „On the web everyone will be famous to fifteen people“ betreibt Momus eine aufwendig gestaltete Website für seine kleine aber feine Fan-Gemeinde und veröffentlicht neues Material neuerdings vorwiegend auf seinem youtube-Kanal. Momus’ aktuelles, gemeinsam mit David McClymont produziertes Album „MOMUSMCCLYMONT“ verweist mit dem Song „Parallel“ auf seinen Roman „Book of Jokes“ (2009), dessen Untertitel lautet: „Every lie creates a parallel world, the world in which it is true.“ imomus.com

S

elten hat ein Tocotronic-Album bereits im Vorfeld für so viel Kontroversen gesorgt: Kritiker_innen werfen der Band zum zwanzigjährigen Bestehen u.a. vor, die einstmals kämpferischen Texte seien zu „Leerformeln für selbstzufriedene Bobos“ geworden (Die Presse, 07.02.2013 zum Konzert im Wiener Burgtheater). „Wie wir leben wollen“ ist jedoch ohne Wenn und Aber das Meisterstück einer gereiften Band. Die siebzehn neuen S o n g s schweben irgendwo zwischen Wehmut, Courage und Gelassenheit. Es ist ihnen wohltuend anzumerken, dass sie mit analogem Equipment eingespielt worden sind. Inhaltlich geht es die Band um Dirk von Lowtzow ein wenig differenzierter an als früher. Wenn es etwa in „Neue Zonen“ zum Thema Asylpolitik heißt „Europas Mauern werden fallen…“, macht sich eher Endzeit- denn Aufbruchstimmung breit. Titel wie „Die Revolte ist in mir“ sprechen nach wie vor für sich selbst. Auch in „Abschaffen“ geht es um die Revolution, die (in

Foto: wewantmedia.de

Kultur in Kürze

idealisierter Weise) die Welt singen und die Einsamen und Entfremdeten wieder Gesellschaft finden lässt. Tocotronic gehören seit ihren Anfängen Mitte der 1990er Jahre zur aktiven linken Szene unter den deutschen Künstlern. Im Rahmen der Proteste gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm im Juni 2007 beteiligten sich Tocotronic mit einem Remix von „Aber hier leben, nein danke!“ (vom Album „Pure Vernunft darf niemals siegen“) am Sampler „Move against G8“. Im Rahmen der kommenden EuropaTournee werden Tocotronic dreimal in Österreich auftreten: 07.04.2013 Graz (Orpheum), 09.04.2013 Wien (Gasometer), 10.04.2013 Linz (Posthof ). tocotronic.de


Linkswende März 2013

15

VERANSTALTUNG

Gewalt gegen Frauen: Mehr als Leid und Unterdrückung Ein Blick auf die gesellschaftlichen Machtverhältnisse Vergewaltigung und sexuelle Gewalt gegen Frauen sind Teil unserer Gesellschaft. Aber in den letzten Monaten regt sich vermehrt Widerstand, von Indien über die USA bis Ägypten. Die Debatte um Sexismus und sexuelle Belästigung ist auch im deutschsprachigen Raum angelangt. Dass Ursachen und Funktion von Sexismus in der kapitalistischen Gesellschaft vielfältig sind und nicht in der Natur des Mannes liegen, darüber wollen wir in dieser Veranstaltung diskutieren.

Mittwoch | 6. März, 19 Uhr | Amerlinghaus Stiftgasse 8, 1070 Wien

Mach mit bei Linkswende! KONTAKT

Gruppentreffen: Stadtgruppe: Jeden Do. um 19 Uhr, Amerlinghaus (7., Stiftg. 8) Unigruppe: Jeden Mi. um 19 Uhr, Powi-Institut im 2. Stock des NIG (1., Universitätsstr. 7) Für Interessierte, die mit uns politisch diskutieren wollen, keine Anmeldung erforderlich.

Internet: linkswende.org linkswende@linkswende.org

Infotische: Stadtgruppe: Jeden Sa. von 14-15 Uhr, Mariahilferstr., vor dem Generali Center. Unigruppe: Jeden Do. 13 bis 14 Uhr, Unieck: Universitätsstraße 1, Schottentor Während den Uni-Ferien finden Infotische u. Gruppentreffen gemeinsam mit der Stadtgruppe statt.

Telefon: 0650 452 24 73

Verpasse nie eine Ausgabe: Linkswende jetzt abonnieren!

Die Zeitung Linkswende hat es sich zur Aufgabe gemacht, DIE Zeitung für Aktivistinnen und Aktivisten zu sein. Mit dem Kauf eines Abonnements leistest du einen Beitrag, damit es uns auch weiterhin gibt. Bestell dir ein Abo und du hast monatlich die Linkswende in deinem Postkasten! Homepage: www.linkswende.org Email: redaktion@linkswende.org Persönlich: Kontakt – siehe links. 1-Jahres-Abo (10 Ausgaben): ab 25€ (ohne Solidaritätsspende) 2-Jahre-Abo (20 Ausgaben): ab 50 € (ohne Solidaritätsspende) Gerne nehmen wir zusätzliche Spenden entgegen, die du an dein Abonnement koppeln kannst. Diese sehen wir als Zeichen der politischen Unterstützung unserer Arbeit.

Was wir wollen

Eine andere Welt. Heute lebt die Hälfte der Menschheit von weniger als 2 Dollar pro Tag, 67% der Reichtümer sind in den Händen von nur 2% der Bevölkerung. Weltweit sind Regierungen für krisengeschüttelte Unternehmen und Banken mit rund 6.000 Milliarden Euro in die Bresche gesprungen. Dieser Betrag würde ausreichen, um die weltweite Armut für ein halbes Jahrhundert zu beenden. Was heute produziert wird, würde schon ausreichen,

ABONNEMENT

um alle Menschen der Welt mit dem Grundlegendsten zu versorgen. Die Bedingungen für eine gerechtere Welt waren nie besser als heute. Demokratische Kontrolle. Wir wollen eine Gesellschaft, in der gezielt für die Bedürfnisse der gesamten Menschheit und mit Rücksicht auf die Natur produziert wird. Dafür ist eine wirklich demokratische Ordnung nötig, in der die werktätigen Menschen das Sagen haben, sie produzieren allen Reichtum

dieser Welt. Eine neue Gesellschaft ist nur vorstellbar, wenn sie die Produktion ihrer Reichtümer und ihre Verteilung kontrollieren. Um eine solche gerechte – eine sozialistische – Gesellschaft errichten zu können, müssen Arbeiter und Arbeiterinnen kollektiv gegen das herrschende System vorgehen, seine staatlichen Strukturen zerschlagen und kollektiv die Kontrolle übernehmen. Wir stehen für einen Sozialismus von unten, denn – wie Karl Marx sagte – »Die Befreiung der Arbeiterklasse muss das Werk der Arbeiterklasse selbst sein.« Internationalismus. Die Revolutionen im arabischen Raum und der internationale Aufschwung der Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung im Jahr 2011 demonstrieren, dass der Kampf nicht entlang von Ländergrenzen, sondern von Klassengrenzen stattfindet. Das Scheitern der Russischen Revolution mit der Machtübernahme Stalins hat uns

gezeigt, dass eine sozialistische Revolution nicht isoliert in einem Land erfolgreich sein kann. Der Kapitalismus ist ein internationales System, das nur international besiegt werden kann. Wir unterstützen das Recht aller unterdrückten Gruppen, sich zu ihrer eigenen Verteidigung zu organisieren. Wir unterstützen Befreiungsbewegungen, die sich gegen Unterdrückung durch imperialistische Staaten wehren. Gegen Unterdrückung. Als Sozialistinnen und Sozialisten bekämpfen wir jede Form der Unterdrückung. Wir stellen uns gegen alle Versuche der herrschenden Klassen, uns entlang von Staatsgrenzen, Hautfarbe, Religion, Geschlecht oder sexueller Orientierung zu spalten und damit zu schwächen. Wir treten für echte soziale, politische und ökonomische Gleichberechtigung von Frauen und für ein Ende aller Diskriminierungen von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender ein.

Gegen Rassismus. Wir wenden uns aktiv gegen alle Versuche, Menschen verschiedener Herkunft gegeneinander zu hetzen. Wir sind gegen jede Diskriminierung, gegen Einwanderungskontrollen, gegen Arbeitsverbote und für grenzüberschreitende Solidarität. Wir stehen für Solidarität mit der muslimischen Bevölkerung und für das volle Recht auf freie Religionsausübung. Revolutionäre Partei. Unsere Herrscher kontrollieren die Medien, die Justiz, Polizei und Militär. Um diese Macht zu konfrontieren, müssen sich auch die Lohnabhängigen organisieren. Wir glauben, dass diejenigen, die eine gerechte und solidarische Gesellschaft wollen, sich zusammentun müssen und die Entwicklung der Protestbewegungen nicht dem Zufall überlassen dürfen. Je stärker die revolutionäre Strömung innerhalb der Bewegung ist, desto mächtiger wird die Bewegung als Ganzes.


Linkswende Monatszeitung für Sozialismus von unten

Die bunten Spuren der ägyptischen Revolution von Tine BAZALKA

Foto: Screenshot von „The Noise of Cairo“

W

enn die Ägypterinnen und Ägypter heute, mehr als zwei Jahre nach dem Sturz des Diktators Hosni Mubarak, auf die Straße gehen um für die Weiterführung ihrer Revolution zu kämpfen, stoßen sie an jeder Ecke auf Erinnerungen an vergangene Auseinandersetzungen. Street Art und Graffiti, vor dem Jänner 2011 die Kunstform einiger weniger, die mit Repression von Seiten der Polizei und Unverständnis von Seiten der Bevölkerung rechnen mussten, findet man nun überall. Die Slogans und Bilder, die die Wände vor allem in den großen Städten Kairo und Alexandria zieren, waren von Anfang an politisch, und an ihnen lässt sich der Verlauf der Kämpfe gut ablesen. Richteten sie sich zunächst gegen Mubaraks Regime, drückten sie schon bald nach dessen Sturz die Unzufriedenheit mit der Übergangsregierung, dem Militärrat, aus und fordern nun Präsident Mohammed

Mursi und seine repressiven Taktiken heraus. Aber auch kollektive Erinnerung an die Märtyrer der Revolution und gesellschaftspolitische Themen werden über das Medium Wand ausgedrückt und verhandelt. Immer wieder versucht der Staat dem Phänomen Herr zu werden, schwärzt Bilder oder übermalt sie. Und auch andere politische Gruppen haben sich in die Auseinandersetzung um den öffentlichen Raum eingeschaltet: Die Muslimbrüder nehmen mittlerweile ebenfalls Pinsel oder Spraydose in die Hand, um ihre Botschaften zu verbreiten. Die eindringlichsten Werke und deren Künstler sind inzwischen national und international bekannt und treten – anonym oder nicht – in Ausstellungen, Artikeln und Dokumentarfilmen in Erscheinung. Die Eroberung des öffentlichen Raums ist aber nicht ihr Verdienst allein, sondern das Werk Tausender, die ihrer Wut, ihren Ängsten und Hoffnungen Ausdruck verleihen oder einfach ihre Botschaft mit der Welt teilen wollen.

Mural in Mohamed-Mahmoud-Straße ie Mohamed Mahmud Straße ist ein zentraler Ort der Revolution in Kairo. Sie führt vom Tahrirplatz zum Innenministerium und war in den letzten Jahren immer wieder Schauplatz heftiger Auseinandersetzungen zwischen Revolutionärinnen und Revolutionären und der Staatsmacht. Sie ist gesäumt von unzähligen Slogans, Bildern und Stencils, das bekannteste ist wohl das Mural der Märtyrer des Massakers von Port Said von Alaa Awad (Bild ganz unten). Es wurde, wie so vieles andere, mittlerweile übermalt. Nicht zu übersehen war lange Zeit auch das Porträt von Mubarak/ Tantawi (ehemaliger Vorsitzender des Militärrats), das die Kontinutität zwischen altem Regime und Übergangsregierung zum Ausdruck brachte (Bild rechts). Nachdem es übermalt wurde, entstand an der Stelle ein Bild, das die Auseinandersetzung zwischen Polizei und Graffitiszene symbolisiert (Bild rechts).

Mehr Bilder und Hintergründe: http://bit.ly/XCMJZn http://bit.ly/yHZy7k

Foto: Mona Abaza

D

„No Walls“

„Castration awaits!“

Fußballfans

D

ie Ultras der ägyptischen Fußballclubs erwiesen sich während der Revolution als gut organisierte und effektive Kämpfer. Ihren Forderungen verleihen sie nicht nur im Stadion und auf der Straße, sondern auch auf den Wänden Ausdruck. Auf diesem Mural in Alexandria verlangen die Ultras des Klubs Al-Ahly Gerechtigkeit nach dem Massaker an 79 Fans ihres Clubs in Port Said im Februar 2012.

Foto: Hossam el-Hamalawy

ie Seitenstraßen der Mohamed Mahmud Straße wurden im Februar 2012 von der Armee mit Betonblöcken versperrt, um Protestierende vom Innenministerium fernzuhalten. Als Antwort darauf erschufen Künstlerinnen und Künstler im Zuge des No Walls Projekts in oft tagelanger Arbeit detaillierte Straßenszenen auf den Blockaden. Mehr Bilder und Hintergründe: bit.ly/GFZvlP

F

Foto: Karim El-Gawhary

Foto: suzeeinthecity.wordpress.com

D

rauen sind ein lebendiger Teil der ägyptischen Street Art Szene. Wie ihre männlichen Kollegen sehen sie Wände als Medium, um mit der Öffentlichkeit zu interagieren. „Mit Graffiti kann man Menschen darauf aufmerksam machen, was passiert“, sagt die 25-jährige Hend Kheera in einem Interview mit Rolling Stone. Ihr Stencil mit den Worten „Achtung! Nicht anfassen, oder Kastration erwartet Dich!“ ein Beitrag zur Kampagne gegen sexuelle Belästigung. Mehr Bilder und ­Hintergründe: http://bit.ly/U4XRjl


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.