Linkswende Monatszeitung für Sozialismus von unten
SCHIKANEN FÜR AUSLÄNDER, KAPUTTE BILDUNG: Nr. 167 Mai 2013 Spende 1,50 EUR Solidaritätsspende 2,00 EUR
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DAS HAT SYSTEM! von Manfred ECKER
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in sehr großer Teil der Bevölkerung ist sich der Missstände bewusst, die wir im Titel angesprochen haben, und lehnt sie rundweg ab. Aufklärung ist deshalb nicht die vorrangige Aufgabe, wenn man bei den katastrophalen Zuständen Änderungen herbeiführen will. Wer meint, es ginge darum die herrschenden Eliten zu bekehren, zu belehren oder über ihre Irrtümer aufzuklären, liegt ebenfalls daneben. Den Entscheidungsträgern ist nämlich sehr klar, was schief rennt, also wie sehr Migrant_innen benachteiligt werden und wie krank unser Bildungssystem tatsächlich ist. An sie zu appellieren, das ist vergebliche Liebesmüh oder um ein treffenderes Sprichwort zu gebrauchen: Perlen vor die Säue werfen. Anfang April wurde der jährliche Nationale Bildungsbericht präsentiert. Ein Teilnehmer berichtete uns, dass außergewöhnlich klare Worte für den Zustand des österreichischen Bildungssystems gefunden
wurden. Er sei darauf vorbereitet gewesen, die üblichen Weichspüler bei den Vorträgen zu hören, die sich um die Wahrheiten herumdrücken und so formulieren, dass die staatlichen Auftraggeber das nächste Mal nicht ein anderes Untersuchungsteam beauftragen. Nein, diesmal hieß es klipp und klar: Bildung kaputt! Aber bitte keine Illusionen. Nur weil die Fachleute mit ihrer Meinung nicht mehr hinter dem Berg halten, bedeutet das nicht, dass sich etwas verbessern wird. Die verantwortlichen Politiker spüren keinen Leidensdruck, wenn den Kindern ärmerer Familien der Aufstieg verwehrt wird. Den spüren die ärmeren Familien. Wie schlimm die Situation für Kinder aus Einwandererfamilien, in erster Linie aus der Türkei und ExJugoslawien sich darstellt, haben wir
schon des Öfteren kritisiert. Aber eben nicht nur linke Medien tun das, sondern auch hochangesehen Professor_innen der Wirtschaftsuniversität oder des Instituts für höhere Studien (IHS). Erkenntnisse und Scham werden die Verantwortlichen nicht dazu bewegen, die nötigen Schritte gegen Rassismus zu setzen. Rassismus wirkt in den Kindergärten, in den Schulen und beim Berufseinstieg. Überall bekommen diese Kinder und Jugendlichen das Gefühl des Nicht-WillkommenSeins zu spüren. Überall haben sie es schwerer und werden benachteiligt, wie wir etwa in unseren Mittelseite darstellen. Es beginnt schon damit, dass ihnen die automatische Einbürgerung verwehrt wird. „So weit kommt’s noch“, hört man es förmlich tönen, „dass wir ohne irgendwas zu verlangen, denen die Staatsbürgerschaft geben.“ Für rassistische Politiker (die Mehrheit)
bedeutete das einen Machtverlust, den sie nicht kampflos hinnehmen. Kampf und Angst vor größeren Niederlagen ist das Einzige, was Veränderungen bringen kann. Für Kämpfe gibt es schlechtere Zeiten und bessere Zeiten. Aktuell sind die Bedingungen gut: Die Empörung ist groß, die Kampfbereitschaft ist hoch, der Rückhalt durch die Mehrheit der Bevölkerung ist spürbar. Und es bildet sich eine neue Kampfformation, die Lust hat, etwas zu tun, und die verstanden hat, dass man nur durch Angriff die Leute hinter sich mobilisieren kann. SOLI (Solidarische Linke) ist eine Wahlformation und ein Netzwerk an der Uni Wien, die man unterstützen sollte, um die ersten Erfolge an den ersten Fronten einzufahren. Ausländische Studierende aus Drittstaaten dürfen zwar doppelte Studiengebühren bezahlen, aber sie dürfen nicht bei Wahlen zur Studienvertre-
DING DONG DIE HEX’ IS TOT
Über den vergessenen Widerstand gegen das NS-Regime schreibt Karin Wilflingseder
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>> Seite 12
Um die neoliberale Klassenkämpferin Thatcher braucht man nicht zu trauern
Um die öffentliche Meinung zu gewinnen gibt Israel Millionen aus – und verliert, schreibt Ludwig Sommer
>> SEITE 13
TWITTER-KRIEG
Foto: Scott AVK1 Vincent
FRAUEN GEGEN HITLER
tung antreten. Appelliert hat man an die zuständigen Behörden vom Innen- und Wissenschaftsministerium schon lange und schon oft. Verständnis wurde von deren Seite auch immer signalisiert. Geändert hat sich natürlich nichts. Deshalb will man sich nicht länger an der Nase herumführen lassen, sondern seine Kräfte sammeln und mit Protesten losschlagen. SOLI kann beide Themen – Rassismus und die Bildungskatastrophe – zusammen bringen und daraus Kämpfe entwickeln. Am 30. April geht es los. SOLI ruft zur Demonstration gegen die Schikanen für Flüchtlinge und ausländische Studierende auf und verbindet diesen Protest mit der zunehmenden Jugendarbeitslosigkeit in der EU. Denn eines muss auch klar sein: Die Schikanen und der Bildungsabbau haben System, ein System, das wir angreifen und letztendlich besiegen müssen.
BLUTIGER RASSISMUS >> Seite 5 In Griechenland schießen Aufseher auf Erdbeerpflücker, weil sie ihren seit Monaten ausständigen Lohn einforderen
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Mai 2013 Linkswende
Hongkong sammelt für streikende Hafenarbeiter
BRAUNAU
Demo gegen Hitler-Geburtstag
„Wir lieben Ausländer und hassen die Nazis!“
Strache fordert berittene Polizei für Wien.
„Anschlag auf die Souveränität Österreichs” FP-Chef Strache zur Abschaffung des Bankgeheimnisses
Abschaffung des Bankgeheimnisses? „Das ist für mich ein absolutes Muss!“ Karl Schnell widerspricht Strache auf www.neuwal.com
„Mir ist es allemal lieber, ich kriege Milliarden überwiesen, als ich kriege Milliarden Daten“ Finanzministerin Fekter sorgt sich um die Bewässerung der Steueroase Österreich
„Es trifft halt immer die Kleinen.“
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eit Ende März streiken im drittgrößten Containerhafen der Welt 500 Arbeiter_innen für 23% mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen. Während die Preise für Dinge des täglichen Bedarfs sprunghaft ansteigen, sind die Löhne seit 15 Jahren nicht gestiegen und wurden während der SARS-Epidemie 2003 sogar gekürzt. Unterstützung gibt es von der Bevölkerung, die am Hafen demonstriert und neben Lebensmittel und Wasser auch Geld spendet. Der Streikfonds soll inzwischen auf 5,6 Mio. Hong-
USA
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kong-Dollar (550.000 Euro) gewachsen sein. Außerdem machen 300 Kranführer_innen seit 4. April Dienst nach Vorschrift und LKW-Fahrer_innen meldeten sich aus Solidarität für einen Tag krank. Der Hafenboss und achtreichste Mann der Welt, Li Ka-Shing, überließ die Verhandlungen bis jetzt seinen Subunternehmern. Die Proteste wurden nun zu Ka-Shings Büros verlegt, vor denen über 200 Streikende campieren. Der Streik wird in China genau verfolgt, und könnte weitere Arbeitskämpfe entzünden.
„McStrike“ in New York
ber 400 Angestellte von Fast-Food-Ketten wie McDonald’s, Burger King, KFC oder Pizza Hut, verließen am 4. April an 70 Standorten ihren Arbeitsplatz und streikten. Gefordert werden ein Mindestlohn von 15$ und das Recht sich frei von Einschüchterungsmaßnahmen organisieren zu können. Der derzeitige Mindestlohn beträgt 7,25$ pro Stunde ohne Krankenversicherung, wobei manche auch bloß 4,65$ verdienen, weil ihrem
Gehalt erwartete Trinkgelder zugeschlagen werden. Der Streik fand am 65. Jahrestag der Ermordung Martin Luther Kings statt, der damals den historischen Streik der Müllabfuhr in Memphis unterstützte. An dem Streik von Fastfood Forward im November des Vorjahres beteiligten sich 200 Leute. Die jetzige Aktion hat Vielen Mut gemacht, die sich dieses Mal noch nicht beteiligt hatten, und wurde von Walmart-Angestellten aufmerksam beobachtet.
Arbeiterin Anita Gmeiner im Krone-Interview zur S chließung des Triumph-Werkes in Oberpullendorf trotz 2 Mrd. Franken Jahresumsatz
„Sie hat sich am Tod von Bobby Sands, dem irischen Hungerstreikenden, geweidet.“
600 Antifaschist_innen demonstrierten in Braunau gegen die FPÖ und rechte Gewalt.
„SGani und Christian am Protest,
trache ist ein Vollidiot!“, meinen
der unter dem Motto „Kein Platz für Nazis“ steht. Magamed, der mit anderen Schüler_innen vom Poly Braunau gekommen ist, ergänzt: „Strache kommt mit seiner Politik so weit wie ein Auto ohne Motor“. Eine sympathische Gruppe junger Frauen besteht darauf, dass alle genannt werden – Betzi, Sinah, Alisha, Nadia, Camilla, Jasmin, Martina und Kollege Ramzan beraten sich schnell, was sie sagen wollen: „Wir lieben Ausländer und hassen die Nazis!“ Der Vorsitzende des KZ-Verbandes Harald Grünn betonte in seiner Rede vor dem Geburtshaus Hitlers, dass sich dort „auf keinen Fall sich Neonazis niederlassen dürfen.“ ÖGJGewerkschafter Michael Trinko zog die Verbindung der zwischen FPÖ und rechtsradikaler Szene: „Heute sitzen [die Nazis] im Parlament mit Anzug und Krawatte.“ Weitere Redner sind SPÖ-Abgeordneter Harry Buchmayr und Buchautor HansHenning Scharsach. Zwei Schülerinnen haben aus Wien Auto gestoppt: „Wir wollten unbedingt dabei sein und wussten noch gar nicht, wie wir wieder heim kommen!“ Ein Simbacher reiste aus Deutschland an: „Wir haben ja grad die Zwickauer Zelle vor Gericht“. Diese
Rechtsradikalen „kommen auch gern nach Österreich. Daher bin ich solidarisch mit dem Protest hier.“ Skandalöserweise sieht die Polizei tatenlos zu, wie rechtsradikale Provokateure Böller auf die Demonstrierenden werfen. Gerade die oberösterreichische Polizei, die jahrelang Neonazis wie im Quartier 21 werken ließ, attackiert wenige Meter nach Abmarsch die Demo und reißt einen vermummten Antifaschisten mit brutaler Gewalt aus dem Zug. Scharsach verurteilt die völlig überzogene Polizeiaktion in einer Rede nach der Demo und erklärt sich mit allen Antifaschist_innen solidarisch.
Foto: Linkswende
„Polizeipferde wirken allein durch ihre Größe abschreckend auf Kriminelle.“
Foto: Linkswende
Foto: Left 21
CHINA
Das Bündnis „Braunau gegen rechts“ rief zur Demo auf.
Steve Hamill, einer der streikenden Bergarbeiter von 1984/85 über Magie Thatcher
„Ein gewöhnlicher Terrorist“ Maggie Thatcher über Nelson Mandela, der für den Widerstand gegen Apartheid inhaftiert war
IMPRESSUM Linkswende
Monatszeitung für Sozialismus von unten Herausgeber (für den Inhalt verantwortlich): Manfred Ecker. Redaktion: Tom D. Allahyari, Manfred Ecker, Daniel Harrasser, Peter Herbst, Hannah Krumschnabel, Oliver Martin, Ludwig Sommer. Post: Linkswende, Postfach 102, Kettenbrückeng. 5, 1050 Wien Telefon: 0650 452 24 73 Web: www.linkswende.org Email: redaktion@linkswende.org ZVR: 593032642
IM VISIER: Karl Schnell
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echtzeitig vor den Salzburg-Wahlen, ließ FPÖ-Landesparteiobmann Karl Schnell mit einem Interview in der Presse von sich hören. Er sei kein Rechtsradikaler und hätte auch nichts gegen Ausländer, aber dem zentralen Slogan der FPÖ „Recht auf unsere Heimat“ muss man nun mal gerecht werden. Bezug nehmend auf Andreas Mölzer: „In gewissen Bereichen gibt es diese Umvolkung. Dass man sich dagegen wehrt, hat nichts mit Rechtsradikalismus oder Fremdenfeindlichkeit zu tun.“ Da muss man sich um Parteichef Strache Sorgen machen, der Dinge hört, die Schnell gar nicht gesagt hat. So hätte Schnell klar verurteilt, was „die Schweine“ während der NS-Zeit gemacht haben. In der Sache würde er richtig liegen, auch wenn Strache statt Umvolkung das Wort „Bevölkerungsaustausch“ verwendet. Und auch bei Metapedia – der Neonazi-Alternative zu Wikipedia – wird beim Begriff
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„Umvolkung“ auf „Bevölkerungsaustausch“ verwiesen. Schnell hat er damit nicht überzeugt: „Bevölkerungsaustausch ist schon etwas sperrig, aber auch Umvolkung ist nicht richtig deutsch. Die Gutmenschen sollen mir sagen, welches Wort ich verwenden soll.“ Manche würden darauf antworten, dass er überhaupt kein Wort mehr verwenden soll. Schnell will jedoch „extreme Meinungen nicht in den Untergrund drängen“, sondern findet, dass „man in einer Demokratie offen darüber reden [muss]“. Wie zum Beispiel bei einem Kongress der rechtsextremen deutschen Partei Die Republikaner, wo er neben Rednern wie Filip Dewinter in Vertretung von Strache war. Dort übte er sich in ausgewogener Kritik und stellte fest, dass nicht Linke sondern „die sogenannten konservativen Rechtsparteien der Mitte wie CDU/CSU, ÖVP“ für „Fehlentwicklungen“ verantwortlich sind,
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etwa dass ein „Schwarzafrikaner in der Lederhosen“ in München die Maß Bier bringt. In den letzten Jahren ist es einsam geworden um Schnell, nachdem er seine politischen Weggefährten der Reihe nach absägte. Jetzt freut er sich über den politischen Nachwuchs RFJ, der versucht mit der FacebookSeite „Gerechte Strafe für die Täter von St. Johann“ Kapital aus einer schweren Körperverletzung zu schlagen und damit FacebookNeonazis wie „Lux Vel Ignis Dei“ anzieht, oder den RFJ-Finanzreferenten Jürgen Franzelin, der nichts dabei findet im „Nationalen Versandhaus“ zu bestellen.
Linkswende Mai 2013
EDITORIAL
Linkswende online
von Manfred ECKER
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ntirassist_innen tun gut daran, die Zusammenhänge ernst zu nehmen, unter welchen Rassismus gedeiht. Die Krise der Eurozone und die damit verbundenen Belastungspakete haben unmittelbar zu einer neuen Eskalation von Rassismus geführt. Die Schüsse auf streikende Erdbeerpflücker in Griechenland sprechen für sich. Wir widmen uns auf Seite 5 diesen Zusammenhängen und berichten auch über die Gegenwehr der antirassistischen Bewegungen. Überhaupt zeigen die jüngsten Entwicklungen, z.B. der Rücktritt des Linzer FPÖ-Klubobmanns Sebastian Ortner, wie wichtig diese Bewegungen und oft die einzelnen Aktivist_innen sind. Sein Rücktritt von allen Ämtern und Austritt aus der FPÖ ist nur den Aktivitäten von engagierten Aktivisten und Aktivistinnen zu verdanken. Auf den Seiten 2, 3 und 11 findest du Artikel die die Probleme der FPÖ aufzeigen. In der Serie Vergessene Geschichte auf Seite 13 werden diesmal die Frauen im Widerstand gegen das Naziregime gefeiert. Der Mythos besagt, die Nazis hätten die Zustimmung beinahe der gesamten Bevölkerung gefunden. Wenn man versteht, welchen außerordentlichen Mut es gebraucht hat, um sich aktiv im Widerstand zu betätigen, bekommt man eine Vorstellung davon, wie viele weniger wagemutige, aber genauso unzufriedene Nazigegner_innen in der Geschichte
niemals erwähnt wurden. Hunderttausende Menschen in England haben dem Establishment gezeigt, was sie von der verordneten Trauer um Maggie Thatcher halten, sie haben auf öffentlichen Plätzen gefeiert und haben „Ding Dong the witch is dead“ die iTunes-Hitparade stürmen lassen. „This is England“ ist hierzulande eine wenig bekannte englische TV-Serie, die wir zu diesem Anlass empfehlen möchten – mehr dazu im Kulturartikel auf Seite 14. Außerdem argumentieren wir auf Seite 11, dass die Wahl von Maggie Thatcher zur Premierministerin höchstens den reichen Frauen oder den Frauen der Reichen Vorteile verschaffte, aber sicher keinen Fortschritt für die Frauenbewegung dargestellt hat. Eine Demonstration für das uneingeschränkte Recht von ausländischen Studierenden und Jugendlichen zu arbeiten, hat uns zur Mittel- und Titelseite inspiriert. Mit Ausnahme der Betroffenen – Student_innen, Flüchtlingen, aber auch in Österreich aufgewachsenen Kindern mit migrantischer Herkunft – wissen nur wenige, welchen Schikanen diese jungen Menschen begegnen. Sehr inspirierend: An der Universität Wien tritt das neue Netzwerk „Solidarische Linke – SOLI“ bei den ÖH-Wahlen an und schließt sich mit den Flüchtlingen im Servitenkloster zusammen, um die nötigen Proteste gemeinsam auf die Straße zu tragen.
Besuche uns auch auf unserer Homepage: www.linkswende.org Dort findest du weiterführende Artikel, Analysen, Termine, Demoberichte und Links zu unseren internationalen Schwesterorganisationen und zu marxistischer Theorie, außerdem Fotos und Videos sowie ein umfangreiches, thematisch geordnetes Artikelarchiv. Viel Spaß beim Stöbern. Wir freuen uns auch über Feedback und Kritik: redaktion@linkswende.org Linkswende auf Facebook: www.facebook.com/ Linkswende.IST.Austria Linkswende auf youtube: www.youtube.com/ anticapitalista1917 Linkswende auf flickr: www.flickr.com/linkswende
FOTOBERICHT
Syrische Kämpferinnen aus einer Einheit, die sich nur aus Frauen rekrutiert, treten aus dem Schatten ihrer geheimen Kommandos. Die mutigen Frauen sind aus Aleppo, einer der wichtigsten Städte des Widerstands. Fotos: Sebastiano Tomada (SIPA USA)
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KOMMENTAR
Bostoner Anschlag:
Linke sollten seriös bleiben von Hannah KRUMSCHNABEL
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er „erste Terror-Anschlag auf amerikanischem Boden seit 9/11“ hat altbekannte Muster bei Freund und Feind der amerikanischen Politik hervorgebracht: Während die einen schon vor der Kenntnis der Verdächtigen eine Hexenjagd auf amerikanische Muslim_innen starteten, relativierten andere ohne Zögern die Tragödie, weil ihre Ausmaße nicht dem Horror des „Kriegs gegen den Terror“ entsprechen. Der US-amerikanische Journalist Doug Henwood, selbst links und einer der schärfsten Kritiker des Drohnenkriegs, twitterte zwei Tage nach dem Anschlag: „Ich könnte gut ohne den linken Reflex leben, immer dann, wenn ein schlimmes Ereignis Amerika trifft, schlimmeres Leiden anderswo anzuführen.“ Menschliches Leid ist nichts, was in Rankings darstellbar ist. Die Verletzungen und Verluste eines Amerikaners tun tatsächlich um nichts weniger weh als die einer Syrerin oder eines Afghanen, und sie alle haben bei tragischen Ereignissen unser Mitgefühl verdient. Wir Linken machen es uns damit oft zu leicht und geben dem Reflex nach, die USA bei jeder Gelegenheit in die Pfanne zu hauen. Doch so sehr es als Aktivistinnen und Aktivisten unsere Pflicht ist, an die vergessenen Opfer der Kriege und Krisen weltweit zu erinnern, so wenig heißt das, dass wir denjenigen, denen Sondersendungen gewidmet werden, mit Zynismus begegnen dürfen. Es muss aber auch selbstverständlich sein, dass keine voreiligen Schlüsse über die Motive der Täter gezogen werden. Ihr Onkel, von einer Meute Reportern belagert, meinte: „Ich glaube, dass das dahintersteckt: Verlierer zu sein, Hass auf diejenigen, die es geschafft haben, sich etwas aufzubauen... Alles andere, alles, was mit Religion zu tun hat, mit dem Islam, ist Schwindel.“ Ob er damit Recht behält, wird man vielleicht nie mit Sicherheit sagen können. Aber trotz allem müssen wir uns gerade in Zeiten, in denen antimuslimischer Rassismus mächtige Vorurteile schürt, darüber im Klaren bleiben, dass Terrorist-Sein und Moslem-Sein einander nicht begründen, und dass nicht jeder muslimische Terrorist auch aus islamistischen Beweggründen handelt. Für ihren Anschlag kommt genauso eine Bandbreite an politischen oder persönlichen Beweggründen wie bei Nicht-Muslimen in Frage. Es steht zu befürchten, dass sowohl die von dem Anschlag Betroffenen, als auch Muslim_innen in den USA und weltweit unter den Auswirkungen noch lange zu leiden haben – und das sollte für niemanden Anlass zur Häme sein.
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Mai 2013 Linkswende
Staat lässt arme Kinder im Stich
DEBATTE
Sehnsucht nach Schwarzblau
von Jakob STEIXNER
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er Nationale Bildungsbericht zeichnet ein düsteres Bild von der Chancengleichheit in Österreichs Schulen. In Österreich ist zwar die Zahl der Schulabbrecher nicht besonders hoch, das täuscht aber darüber hinweg, dass die „Kompetenzarmut“, also extrem niedrige Fähigkeiten in einem oder mehreren Bereichen, eine der höchsten in den Industrieländern ist. Besonders erschreckend ist dabei, dass wie kaum wo anders die soziale Schicht und das Bildungsniveau der Eltern vorgibt, was einmal aus den Kindern wird: 69% der Kinder aus Akademikerfamilien, aber nur 16% der Kinder, deren Eltern nur einen Pflichtschulabschluss haben, besuchen die AHS-Unterstufe. Ganz ähnlich sieht es beim Einkommen aus: 65% der Kinder aus dem reichsten Fünftel, aber nur 17% aus dem untersten gehen ins Gymnasium. Auch internationale Vergleichsstudien wie PISA, die die Medien in der Vergangenheit immer wieder gern dahingehend zitiert haben, dass österreichische Kinder im Schnitt besser abschnitten als deutsche, zeigen zugleich auch, dass ihn Österreich sehr viele Kinder – fast durchgehend mit niedrigem sozialen Hintergrund – bei allen Standards zurückbleiben. Im Schnitt (!) bleiben arme Kinder an ihren schulischen Fähigkeiten etwa zwei Jahre hinter den reichsten zurück. Die frühe Auswahl in Hauptschülerinnen und Hauptschüler, Gymnasiastinnen und Gymnasiasten verstärkt diese Unterschiede noch: Kinder aus armen Familien haben auch dann eine weit niedrigere Chance aufs
PRAXIS
Wahlkampf in Salzburg: Die ÖVP versucht die FPÖ zu reanimieren: Wilfried Haslauer (rechts) mit Karl Schnell (FPÖ).
von Manfred ECKER
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ie sorgt man dafür, dass sich die schwer angeschlagene FPÖ wieder erholen kann? Der Salzburger Vize-Landeshauptmann und ÖVP-Spitzenkandidat Wilfried Haslauer kennt ein Rezept. Man rehabilitiert sie genau dann, wenn die FPÖ ihr wahres Gesicht zeigt. Als aufgedeckt wurde, dass der Linzer Fraktionschef Ortner in den 80er-Jahren mit dem verurteilten Neonazi Küssel an Wehrsportübungen teilnahm, musste dieser zurücktreten. Die FPÖ weiß, wie sehr ihr ihre nachweisbare ideologische und personelle Verbindung mit dem rechten Rand schadet und versucht momentan krampfhaft den Anschein zu erwecken, sich zu distanzieren. Das ist freilich nur eine Farce in dieser Partei, deren Obmann Strache selbst Wehrsportübungen mit Küssel nachgewiesen wurden. Die dauernden Skandale – zuletzt etwa, als der Salzburger Landeschef Schnell von „Umvolkung“ in den Schulen sprach – zeigen, wie verankert die FPÖ in ihrem Kern in antidemokratischen, faschistischen Organisationen ist. Das Problem sind nicht einzelne Nazis in der FPÖ, die geoutet werden, sondern die so ausgerichtete FPÖ selbst, die in demokratischen Institutionen wie dem Parlament oder der Gewerkschaft nichts zu suchen hat. Ausgerechnet jetzt und zwei Wochen vor der Landtagswahl in Salzburg nennt nun Haslauer die FPÖ in Reaktion auf Schnells Sager „eine demokratische Partei“ und er sieht sie „im Rahmen des Verfassungsbogens“ stehen. Die KPÖ sei dagegen die einzige Partei, die nicht innerhalb des Verfassungsbogens stehe, sagt er im selben Atemzug – bei den Piraten kenne er sich zu wenig aus. Anders gesagt: wie weit rechts eine Partei steht ist ihm egal,
Hauptsache es profitiert nicht die Linke von den Skandalen der Landesregierung. Denn er weiß natürlich, dass er Wahlkampfhilfe betreibt, wenn er der FPÖ die Legitimation zurückgibt. Das erinnert uns an unser altes Dilemma: Wenn die FPÖ in der Vergangenheit stark wurde, hatte sie das mit Hilfe anderer Parteien geschafft. Wenn sie geschwächt wurde, hatte sie sich das immer ganz ohne Zutun der anderen selbst zu verdanken. Den spektakulärsten Stimmenzuwachs hatte die FPÖ Mitte bis Ende der 1990er-Jahre. Franz Vranitzky war dreimal hintereinander Bundeskanzler und setzte Sozialabbau und Kürzungen bei den Pensionen durch. Die Wut und Enttäuschung konnte Haider nutzen und die FPÖ wurde zweitstärkste Partei. Nach nur zwei Jahren in der Regierung aber ist die FPÖ abgestürzt und hat sich in der Folge gespalten. Haiders neue Partei, das BZÖ, war auch zu seinen Lebzeiten schon eine Enttäuschung für seine Anhänger. Zu befürchten ist, dass jetzt sogar die FPK wiederbelebt wird. Die Dreierkoalition aus SPÖ, Grünen und ÖVP hat sich zum Ziel gesetzt Kärnten zu sanieren, sprich Ausgaben zu kürzen bzw. die verhasste Sparpolitik zu betreiben, die seit 20 Jahren der FPÖ die Wähler zugetrieben hat. Zwei Hauptursachen gibt es für den aktuellen Absturz der FPÖ: Sie ist als Oppositionspartei unglaubwürdig geworden, weil sie so offensichtlich als Ganzes für Korruption anfällig ist. Außerdem hat sich die Partie rund um Strache im falschen Selbstbewusstsein zu weit nach außen gelehnt und ihre Gesinnung offen ausgestellt. Anstatt diese Schwäche zu nutzen, wird die FPÖ durch Haslauer rehabiliert.
ÖH-Wahlen:
SELBSTAKTIVITÄT STATT NUR VERTRETUNG
von Katharina LITSCHAUER
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Gymnasium zu kommen und in weiterer Folge die Matura zu erreichen, wenn sie in der Volksschule die gleichen Leistungen zeigen. Bei uns fallen also besonders viele Kinder durch den Rost – und das ohne dass sich Österreich im Ländervergleich dadurch Geld spart. Das Problem ist aber in erster Linie politisch und hausgemacht. Die Fachleute sind sich schon seit langem über Lösungsansätze einig. Doch sachliche Argumente, dass ein Ausbau der Kindergartenerziehung und eine Gesamtschule die Schere zwischen Bildungsarmen und Bildungs„reichen“ zu schließen helfen und jedem Kind unabhängig von der Herkunft die Chancen geben würde, die es verdient, zählen in Österreich wenig. Die ÖVP und andere tragen das Ziel der Erhaltung des selektiven Schulsystems, das Klassenunterschiede verfestigt, stolz vor sich her. Jeder noch so sachliche Vorgebrachte Verbesserungsvorschlag wird mit ideologischem Eifer abgewehrt. Reformistische linke Kräfte wissen zwar, was zu ändern wäre, schaffen es in ihrem Bemühen um friedliche Lösungen im Rahmen der Sozialpartnerschaft nicht, dem Eifer der Rechten etwas entgegenzusetzen. Nur ein lautes Aufbegehren der Betroffenen – Eltern, Kindergärtnerinnen und Kindergärtner, Pflichtschullehrerinnen und Pflichtschullehrer – selbst kann eine Veränderung erzwingen. Eine solche Bewegung ist zwangsläufig unberechenbar – und davor haben die sozialdemokratischen Gewerkschaften fast genau so viel Angst wie die Bürgerlichen.
evolutionäre Sozialist_innen treten immer wieder bei Wahlen an, haben jedoch einen ganz anderen politischen Anspruch hinter ihrem Engagement. Während es reformistischen Kräften in erster Linie darum geht, gewählt zu werden und politische Reformen für ihre Wähler umzusetzen, muss es Revolutionär_innen darum gehen, tatsächlich Politik mit den Menschen zu machen. Der unterschiedliche Zugang zu Wahlen erklärt sich aus der unterschiedlichen Einschätzung,
wie Veränderung möglich ist, und somit aus der Frage nach dem Subjekt der Veränderung. Anders gefragt: wer kann denn wirkliche Veränderungen herbeiführen, die politische Vertretung oder die Masse der Betroffenen? Als Revolutionär_innen haben wir Vertrauen in die Menschen und sind davon überzeugt, dass nur die Masse der Menschen eine gerechte Welt erkämpfen kann. Reformisten begreifen die Selbstaktivität der Masse der Menschen als Gefahr und sehen ihre Aufgabe in der Durchsetzung von Forderungen für die Masse – und
nicht mit ihr. Sie gehen von einer unveränderlichen „Natur des Menschen“ aus und sehen deshalb nicht wie sich Ideen und Bewusstsein verändern. Wir haben einen materiellen Zugang und begreifen die konkrete Situation von Menschen als ausschlaggebend für ihre Ideen. Wenn Studierende heute keine realistische Alternative zu „Ellenbogentaktik“ und Co sehen, gehen Ideen eines solidarischen Miteinanders zunehmend verloren. Aber Widersprüche zwischen dem, was wir glauben und dem, was wir erleben, rufen Widerstand hervor.
Werden Banken gerettet, während bei der eigenen Bildung gespart wird, wird dies als Ungerechtigkeit nicht mehr einfach hingenommen. Ebenso sehen wir, dass sich politisches Bewusstsein sehr sprunghaft entwickelt, und zwar dann, wenn Leute selbst aktiv werden, ihre eigenen Erfahrungen machen, alte Ideen infrage stellen und neue Ideen entwickeln. Während Unibesetzungen, auf Demos oder in revolutionären Prozessen, wie in Ägypten, ist eine derartige Dynamik stark spürbar. Deshalb setzen wir auf Aktivität statt Vertretung – wir sehen den Effekt des
In dieser Serie stellt Linkswende die neue Wahlliste SOLIDARISCHE LINKE vor.
„selber Politik machen“ auf Leute und wollen dies in jeder Situation unterstützen. Das ist der Grund, warum wir weiterhin versuchen müssen, Sympathisant_innen von SOLI in all unsere Aktivitäten – vom Flyern, über Planungstreffen, zu Demos und anderen Aktionen – einzubinden. So wie wir für Verbesserungen innerhalb des Systems eintreten, sehen wir auch den Antritt bei Wahlen als Beitrag zur Selbstaktivität und Steigerung des Selbstbewusstseins der Menschen und damit als Beitrag zur Überwindung dieses Systems.
Linkswende Mai 2013
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GRIECHENLAND
Flüchtlinge im Hungerstreik gegen Misshandlungen von Rafaela KUPFNER
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ber 2.000 Asylwerber_innen befinden sich bereits seit Anfang April im Hungerstreik. Sie protestieren damit gegen die unmenschlichen Bedingungen in griechischen Auffanglagern, welche in den vergangenen Monaten vermehrt aus dem Boden gestampft wurden, um die Flüchtlinge von der griechischen Bevölkerung zu isolieren. Auch Migrant_innen, die in Polizeistationen und andernorts festgehalten werden, haben sich dem Protest angeschlossen. Aktivist_innen der „Vereinten Bewegungen gegen Rassismus und die faschistische Bedrohung“ (KEERFA), welche die Proteste unterstützen, erklärten vergangene Woche auf einer Pressekonferenz, dass der Hungerstreik – neben den untragbaren Bedingungen in den griechischen Flüchtlingslagern – vor allem Misshandlungen und rassistisch motivierte Gewalt anprangert, die sowohl in den Lagern als auch auf Polizeistationen zum Tagesgeschäft gehöre. Ausgelöst wurde der Protest zudem von drei Selbstmordversuchen im Amygdaleza-Lager in Athen. Auch während des Hungerstreiks geht die Gewalt seitens der Lagerführung und der Polizei, sowie die Verzweiflung auf Seiten der Flüchtlinge weiter. Gerade erst versuchten sich wieder fünf Flüchtlinge im La-
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Flüchtlinge und Bevölkerung sollen voneinander isoliert werden
Foto: Welcome to Europe
ger Corinth das Leben zu nehmen, in dem sie sich vom Dach der Einrichtung stürzten. Einen Einblick in die Brutalität des Lebens im Amygdaleza-Lager bekommt man, wenn Abdul Safir Antalat aus Pakistan erzählt: Zellen mit über acht Personen, keine Seife, immer dieselbe Kleidung, ob Winter oder Sommer eiskaltes Wasser, Infektionen aller Art. Vor allem aber erzählt Abdul von Fällen wie dem seinen, in denen Flüchtlinge brutal misshandelt werden. Auf Intervention der pakistanischen Community und KEERFA konnte Abdul im Krankenhaus behandelt werden, wo er sich dazu entschloss, seine Geschichte zu erzählen, um so „die Stimme der Gepeinigten in den Konzentrationslagern“ zu werden. Dieser mutige Schritt hat nun dazu geführt, dass KEERFA und andere Organisationen gerichtlich gegen die Peiniger und die gesamte Lagerführung vorgehen und die Auffanglager vor allem von Seiten „Achtung! FRONTEX“: Im Hafen von Mytilini warnt ein der Gewerkschaft Graffiti vor den EU-Grenzschützern.
unter Druck geraten, ihre Tore für die Öffentlichkeit zu öffnen. Zeitgleich verkündeten die antikapitalistische Linke ANTARSYA, KEERFA und Gewerkschaften eine neue Kampagne gegen die Flüchtlingslager. Die Initiative fordert eine sofortige Schließung der Lager. Darüber hinaus kämpft sie für die Legalisierung der Immigrant_innen, das Recht auf Staatsbürgerschaft für alle Kinder und Asyl für alle Flüchtlinge. Dafür soll der „Zaun der Schande“ in Evros niedergerissen und die EUGrenzschutztruppe FRONTEX des Landes verwiesen werden. Der nächste wichtige Termin für die antirassistische und antifaschistische Bewegung in Griechenland wird nun der 1. Mai sein. „Rassismus wird von den Regierungen geschürt, um die Arbeiterklasse zu spalten“, so Petros Constantinou, Sprecher der Kampagne. „Deshalb ist es wichtig, dass alle Arbeiter, ob einheimisch oder zugewandert, gemeinsam kämpfen!“. Während sich das Justizministerium und die Polizei nicht zu den Vorfällen äußern, ist gemeinsamer Protest und Streik am Tag der Arbeit genau der richtige Schritt um den Druck zu erhöhen und den Kampf um mehr Rechte für Einwanderer in Griechenland voran zu treiben.
Stellungnahme von ANTARSYA (antikapitalistisches Parteibündnis in Griechenland)
NTARSYA verurteilt die mörderischen, mafiösen Angriffe von Schergen der Arbeitgeber in Nea Manolada in Griechenland. Diese benützten Gewehre, um kaltblütig und mit tödlicher Absicht auf 200 Arbeiter einer Erdbeerplantage aus Bangladesch zu schießen. Die Arbeiter hatten die Bezahlung ihres seit sechs Monaten ausständigen Lohns verlangt, ein ohnehin jämmerlicher Betrag, den sie unter elenden Arbeitsbedingungen verdient hatten. Der Terrorangriff der Arbeitgeber auf die Arbeiter aus Bangladesch war der bisherige Höhepunkt einer langen Reihe häufiger, brutaler und rassistischer Attacken der Schergen desselben Erdbeergroßhändlers in Nea Manolada. Es ist der alptraumhafte Ausdruck der von jeglicher Rechenschaft unabhängigen Arbeitgeber und der Toleranz und Mitschuld der Regierung. Diese schaffte kürzlich die Arbeitsinspektionseinheit in der Region ab. Der Angriff ist auch ein Resultat weit verbreiter Ausbrüche rassistischer und faschistischer Mordattacken gegen Migrant_innen, ein Effekt der von der EU-Troika dem Kapital und der Regierung verordneten Politik. Er ist ein Produkt der sich wie Cholera verbreitenden, von den Nazis inspirierten, faschistischen Partei Goldene Morgenröte und deren Unterstützung durch die Massenmedien. Es wird keine Mühe gescheut, die Arbeiter_innenklasse zu spalten und so die Politik der Regierung, der EU und des Internationalen Währungsfonds (IWF) freizusprechen.
Das ist die vom Premierminister versprochene „Entwicklung“: Profite für die Banken und das Kapital; Geld getränkt im Blut und Schweiß der griechischen und migrantischen Arbeiter_innen, die zu Armut und Elend verdammt werden. Dieses Verbrechen darf nicht ungesühnt bleiben. Die Immunität des bekannten Ausbeuters der Arbeiter_innen und seiner Schergen muss zerschlagen werden. Die Arbeiter_innenbewegung und die Gewerkschaften müssen die Migrant_innen genauso wie alle ausgebeuteten Griech_innen und ausländischen Arbeiter_innen mit offenen Armen aufnehmen. Sie müssen ihre Rechte verteidigen und verlangen, dass die Verbrecher bestraft werden. Niemand unter den Arbeiter_innen, Jugendlichen, Künstler_innen und Wissenschaftler_innen darf still bleiben. Die Bewegung der Arbeiter_innen und der Zivilgesellschaft, die politischen und gemeinschaftlichen Organisationen müssen die Initiative ergreifen und das Leben und die Würde der Migrant_innen schützen. Wenn die faschistische Ideologie, die behauptet, dass es Leute gibt, die keine Rechte verdienen, sich durchsetzt, dann wird sie nicht nur den Migrant_innen, sondern allen Arbeiter_innen, Arbeitslosen und armen Menschen aufgezwungen werden. Der Kampf für den antikapitalistischen Sturz der Regierung, der EU und des IWF ist die einzige Hoffnung auf ein lebenswertes Dasein für alle, Griech_innen und Migrant_innen.
von Manfred ECKER assive Proteste kombiniert mit der Angst vor einem „bank run“ haben eine Plünderung der Konten unter 100.000 Euro in Zypern verhindern können. Trotzdem steht ein Höllentrip bevor, wenn die Zypriot_innen den Deal mit der EU-Troika einhalten. „Jeder hier verliert eine Menge Geld, das Geld für das du dein Leben lang gearbeitet hast“, erzählte der Bank-
angestellte Marios Koullouros auf einer Demonstration in Nikosia den Journalisten unserer Schwesterorganisation. „Ich habe 27 Jahre für Laiki gearbeitet.“ Die Regierung versicherte zwar, dass die Pensionsfonds nicht verloren gehen, sondern an die Bank von Zypern übertragen würden, dennoch könnten sie einen Verlust von bis zu 60% erleiden. Menschen, die einen Kredit von 200.000€ für den Hausbau aufgenommen und auf einem Bankkonto deponiert haben, mussten bereits
„Merkel, du hast unsere Lebensersparnisse gestohlen“, protestiert ein wütender Zypriote.
zusehen, wie 100.000€ davon verloren gingen. Sie können jetzt weder ihr Haus bauen, noch wissen sie, wie sie die Kreditraten zurückzahlen sollen. Oft noch dramatischer ist die Situation für Zypriot_innen, die 30 bis 40 Jahre im Ausland gearbeitet und die Ersparnisse eines ganzen Lebens nach Hause gebracht haben. Tragisch ist der Fall eines Krebspatienten, der sich 300.000€ geliehen hatte um in den USA eine Krebsbehandlung anzutreten. Er wird seine Behandlung nicht antreten können und seine Hypothek bleibt offen – womöglich verliert er sein Haus. Die Bedingungen für die Gewährung eines 10 Milliarden Euro schweren Kredits an Zypern sind brutal: Die EU verlangt, dass Abertausende ihre Stellen im öffentlichen Dienst und in den Banken verlieren. 7,6 Milliarden Euro der Pensionsfonds werden enteignet. 400 Millionen an Währungsreserven müssen verkauft und Staatsbetriebe im Wert von 1,4 Milliarden verkauft oder privatisiert werden. Von den 23 Milliarden, die Zypern benötigt, um seine Staatsgeschäfte betreiben zu können, muss das Land 13 Milliarden selbst auftrei-
Foto: EnetEnglish.gr
Die Folgen der „Rettung“
ZYPERN
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Zu den mörderischen Angriffen auf die Arbeiter in Nea Manolada in Griechenland
28 Erdbeerpflücker aus Bangladesch wurden schwer verletzt.
ben, während EU und IWF nur 10 Milliarden beitragen werden. So viel zur europäischen Solidarität. Die EU-Kommission rechnet damit, dass das Bruttonationalprodukt dieses Jahr um 8,9% und kommendes Jahr um 3,9% schrumpfen wird. Die Inlandsnachfrage (Ausgaben für Löhne, Güter und Investitionen) wird 2013 um 13,9% fallen und 2014 um weitere 5,9% sinken. Die Investitionen – vital für zukünftiges Wirtschaftswachstum – werden um erschreckende 29,5% dieses und um weitere 12% nächstes Jahr zurückgehen. Die Szenarien der EU, wonach sich Südzypern ab 2015 wieder erholen wird, sind völlig unglaubwürdig, so hart wie der Abschwung werden wird. Für die Mächtigen galt die Insel lange als unsinkbarer Flugzeugträger und wurde als solcher missbraucht. Dann während der Zeit der großen Finanzspekulationen galt Zypern als
die unsinkbare Geldwaschmaschine für Hedge Fonds – und zwar nicht nur für russische Oligarchen. Welchen Unterschied macht es außerdem, ob russische Milliardäre ihr Geld in Zypern waschen oder westeuropäische in Österreich oder auf den Cayman-Inseln? Die „Rettung“ Zyperns ist eine brutale Angelegenheit, aber keine Lösung. Der einzige Ausweg wäre das Aussetzen der Schuldenrückzahlung und die Übernahme der Banken in öffentliche bzw. Arbeiterkontrolle. Dann könnten Geschäfte und Produktion finanziert und neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Die großen Inhaber der Schuldverschreibungen – andere Banken, russisches und westeuropäisches Kapital – würden warten müssen oder ganz verzichten. Dafür könnte Verarmung und Verelendung, wie es der EU-Plan in Kauf nimmt, hintangehalten werden.
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Mai 2013 Linkswende
Postfach
Die hier veröffentlichten Briefe und Berichte repräsentieren nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion von Linkswende.
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Schule: Mehrsprachigkeit wird als Problem gesehen
ie beiden Artikel „Staat lässt arme Kinder im Stich“ und „Bessere Kindergärten sind der Schlüssel“ kann ich nur voll und ganz unterstützen. Es ist bekannt, dass in Österreich die Bildungslaufbahn „vererbt“ wird. Kinder von Akademikern schaffen es meist, ebenfalls eine AHS zu besuchen, die Matura abzulegen und ein Studium zu absolvieren, Kindern aus der sozialen Unterschicht gelingt das hierzulande viel seltener. Das liegt aber nicht daran, dass alle diese Kinder weniger begabt wären, sondern es hat mit dem Schulsystem zu tun, das allzu früh selektiert und damit, dass bereits die Chancen der Schulanfänger von Anfang an ungleich verteilt sind. Hier müssten der Staat und die Schule etwas unternehmen, um das auszugleichen. Leider findet das im derzeitigen Bildungssystem allzu selten statt. Die Chancen auf den Erwerb einer guten Bildung und eine erfolgreiche Bildungslaufbahn beginnen
nicht mit dem Eintritt in die Schule, sondern bereits sehr viel früher. Die ersten Lebensjahre sind für ein erfolgreiches Lernen besonders bedeutend. Aus diesem Grund sind die Kindergärten zu einer so wichtigen Bildungseinrichtung geworden. Dabei geht es darum, die Kinder auf allen Ebenen zu fördern und ihnen möglichst viel für dieses Alter passendes Weltwissen, Anregungen zum Sprechen und Erleben der Welt zu bieten. Die Bedeutung vorschulischer Förderung ist von vielen Personen, darunter auch von vielen Politikern, erkannt worden. Die Forderungen, dass Kinder eine Menge an Sprachfertigkeiten beherrschen sollen und die Sprachkompetenz der Kinder vor dem Schuleintritt erfragt werden soll, macht wirklich Sinn. Leider wird aber allgemein mit „Sprachkompetenz“ etwas anderes gemeint. Es wird zwar von dieser gesprochen, von vielen wird sie mit der Deutschkompetenz verwechselt. Viele Kinder verfügen
Mietzins hat sich verdreifacht Liebe Leute,
Laut den Angaben von „wienerwohnen.at“, betrug im Jahre Was das Wohnen so teuer macht, 1998 der Zins 1,58 Euro und ist der Zins. Für die Mehrheit der seit ersten April 2012, beträgt der Bevölkerung wird der Zugang zu Zins 5,16 Euro pro Quadratmeeinem leistbaren Wohnen immer ter. Wenn man den Betrag 1,58 mehr erschwert. Als Beweis für um 326,6 Prozent erhöht, dann diese Behauptung, ziehen wir den kommt man auf den aktuellen durchschnittlichen Richtwert- Zins von 5,16 pro Quadratmeter. Mietzins für die 220 tausend Ge- Natürlich ohne der 10 Prozent meindewohnungen heran. Umsatzsteuer. Im Zeitraum von 14 Jahren hat sich also der Zins um 326,6 Prozent erhöht. Wie abgehoben erscheint da die EmpöLinkswende lebt von Kommentaren, rung der Genossen, Reaktionen und Berichten. Deshalb wenn sie den Zinswudie Bitte an dich: Schreib uns! Wir cher der privaten Hausfreuen uns über Post und drucken eigentümer beklagen. gerne die eingesendeten Beiträge ab. So als würde dagegen die Erhöhung des ZinE-Mail: redaktion@linkswende.org ses um 326,6 Prozent, den die Wiener SPÖ in den Gemeindebauten Post: Linkswende vollzogen hat, eine soziPostfach 102 ale Errungenschaft sein. Kettenbrückengasse 5 Gilbert Karasek 1050 Wien
SCHREIB UNS
Gastartikel von Shir KATZ
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or wenigen Wochen, am 20. März 2013, wurden 27 Schulkinder im Alter von sieben bis 15 Jahren in Hebron auf dem Schulweg von israelischen Soldaten verhaftet. Das Buch „Stolen Youth: The Politics of Israel’s Detention of Palestinian Children“ behandelt das Thema der Misshandlung und Verhaftung palästinensischer Kinder unter israelischer Besatzung. Es beschreibt (nach Rashid Khalidi) wie „…das Böse zur Routine wird“ und zeigt die Auswirkungen des palästinensisch-israelischen Konflikts auf eine der fragilsten
beim Schuleintritt über Mehrsprachigkeit, diese wird aber nicht immer als Potential gesehen, in sehr vielen Fällen sogar als Defizit. Kinder, die neben Deutsch noch eine „angesehene“ andere Sprache als Muttersprache sprechen, wie z.B. Englisch, Französisch oder Spanisch, haben es meist sehr viel leichter damit als Kinder, die eine der weniger angesehenen Sprachen als Muttersprache sprechen, wie z.B. Türkisch, Serbisch, Tschetschenisch oder eine der Romasprachen. Die letztgenannten werden oft sogar als Problem bezeichnet. Aber auch bei SchulanfängerInnen dieser Sprachen gibt es noch mehrere Möglichkeiten. Kinder, die munter darauflos sprechen, zwar Fehler machen, aber sich eher wenig darum kümmern, haben zumeist bessere Chancen, in eine erste Klasse zu kommen. Kinder, die darum bemüht sind, richtig zu sprechen, die wissen, dass ihre Deutschkenntnisse noch nicht so gut sind und die zwar recht viel verstehen, aber wenig reden, droht viel öfter, für eine Vorschulklasse eingeteilt zu werden. Als Grund wird genannt, dass ihre Sprachkompetenz nicht ausreicht, um dem Unterricht in der ersten Klasse folgen zu können. Damit bekommen sie den ersten Verlust in ihrer Schullaufbahn. Diese Verluste bringen mit sich, dass der Abschluss der Hauptschule oft nicht erreicht werden kann. Die Chancen, eine weiterführende Schule besuchen zu können sinken. Und für den Berufseinstieg in eine Lehre ist ein Abschlusszeugnis der Hauptschule Voraussetzung. Viel oder wenig auf Deutsch zu sprechen, sagt allein überhaupt nichts über die gesamte Deutschkompetenz aus. Noch weniger erkennt man daraus die Sprachkompetenz allgemein. Dazu gehören alle Kompetenzen in allen Sprachen, die jemand beherrscht. Und auf welchem Niveau diese Kinder ihre Erstsprache beherrschen, wie groß ihr Wortschatz darin ist, das erfährt man daraus auch nicht.
Das interessiert beim Schuleintritt meist auch kaum jemand. Es gibt leider auch viel zu wenige Personen, die diese Kompetenzen feststellen könnten. Die wenigsten LehrerInnen beherrschen eine der großen Migrantensprachen hier in Wien. In vielen Schulen Wiens gibt es zwar MuttersprachenlehrerInnen für Türkisch und Bosnisch/Kroatisch/Serbisch und einige andere Sprachen. Diese sprechen ihre Sprachen zwar ausgezeichnet und viele von ihnen beherrschen auch Deutsch sehr gut, aber eine Ausbildung in Bezug auf die Beurteilung der Sprachentwicklung haben die wenigsten von ihnen. In ganz Wien gibt es eine einzi-
ge Sprachheillehrerin, die auch Türkisch spricht und bei Bedarf und wenn es ihre übrige Arbeit erlaubt auch manchmal in Schulen kommt. Sie kann auf Grund ihrer Ausbildung über die Kompetenzen eines Kindes in Türkisch und Deutsch Auskunft geben. SchulpsychologInnen, die eine der großen Migrantensprachen beherrschen und sprechen, gibt es meines Wissens keine. Sich Unterstützung durch diese beiden Berufsgruppen holen zu können, wäre deswegen so wichtig, weil nicht die Kompetenz in Deutsch Auskunft geben kann, wie eine SchülerIn die Schullaufbahn schaffen kann. Das kann immer nur eine Momentaufnahme sein und ist von vielen anderen Faktoren abhängig. Viel mehr Hilfe könnte ein Gesamtbild über alle Sprachkompetenzen einer SchülerIn geben. Das Wichtigste für ei-
nen guten Erfolg und für rasches und gutes Erlernen von Deutsch sind die Fertigkeiten in der Erstsprache. Deutsch gut zu erlernen und gut zu beherrschen ist selbstverständlich für alle SchülerInnen wichtig. SchülerInnen müssen erlernen, ihr bereits in der Erstsprache erworbenes Weltwissen mit dem zu vernetzen, was sie in der Schule auf Deutsch lernen. Je genauer und differenzierter sie sich in der ihnen gewohnten Sprache ausdrücken können, umso besser wird diese Vernetzung gelingen. Kindern aus gut gebildeten Schichten fällt das üblicherweise leicht, schwieriger wird es für die Kinder aus Familien, die selbst wenig Bildung haben. Und genau in diesen Fällen sollten die Kindergärten, die Schulen, und außerschulische Einrichtungen diese Aufgaben übernehmen, die von der Familie nicht geleistet werden können. Bis vor nicht allzu langer Zeit gab es das Anrecht auf einen Kindergartenplatz nur dann, wenn beide Elternteile arbeiteten. Das verpflichtende Kindergartenjahr macht das nun leichter. Der Besuch einer Ganztagsschule ist nach wie vor nur in diesem Fall möglich. Auch bei der Anmeldung für eine öffentliche Kinderbetreuungseinrichtung am Nachmittag wird danach gefragt, ob beide Elternteile berufstätig sind. Die Einsicht, dass das für alle SchülerInnen möglich sein sollte, ist nicht überall vorhanden. Auch in einfachen, weniger gebildeten Familien gibt es begabte Kinder, die mit Unterstützung ebenfalls eine gute Bildung erwerben könnten, wenn sie nicht von Anfang an alleine gelassen würden. Aus der Sicht der betroffenen jungen Menschen sollte es nicht sein, dass so viele von ihnen auf der Strecke bleiben und mit wenig oder fast keinen Chancen auf einen Arbeitsplatz die Pflichtschule verlassen. Denn so dumm sind sie ganz bestimmt nicht! Eine Lehrerin (Name der Redaktion bekannt)
Israel verhaftet 7 bis 15-jährige Kinder in Palästina Gruppen der palästinensischen Gesellschaft. UNICEF hat im Februar 2013 einen Bericht über dieses Thema herausgebracht, in dem die Organisation aufs Schärfste gegen die Misshandlung palästinensischer Kinder protestiert. Kinder (8 bis 17-jährig, aber auch jünger) werden oft in der Nacht von schwer bewaffneten Soldaten geweckt und verhaftet, manchmal auch tagsüber auf der Straße. Sie werden beschuldigt, Steine auf Militärfahrzeuge geworfen zu haben, können aber auch ohne Grund verhaftet werden. Die Familien werden nicht darüber in-
formiert, wo oder für wie lange die Kinder in Haft bleiben. Weil die Gefängnisse sich in Israel befinden, bekommen die Familien im Westjordanland kaum die Erlaubnis, ihre Kinder zu besuchen. Kinder werden häufig auf der Fahrt ins Gefängnis physisch misshandelt. Entgegen Artikel 37(d) der „International Convention on the Rights of the Child” werden die Kinder verhört – ohne die Anwesenheit von Verwandten oder Anwälten – oft wird physische Gewalt verwendet, um Geständnisse zu erzwingen. Nach dem Verhör kommen die Kinder
gefesselt und in Gefängniskleidung vor ein Militärgericht, und können 4 bis 30 Tage in Militärhaft bleiben, die auf 188 Tage erweitert werden kann. Manche Kinder wurden sogar in Einzelhaft gesteckt, oft werden sie sexuell missbraucht. Schätzungsweise sind in den letzten zehn Jahren ca. 7000 palästinensische Kinder verhaftet worden. Diese brutalen Verhaftungen haben mit Kontrolle und Kollaboration zu tun (die Kinder werden ja oft durch Folter zur Kollaboration gezwungen, weil sie hoffen, früher entlassen zu werden) und haben danach
oft traumatische Folgen. Damit will Israel die palästinensische Gesellschaft zerstören oder schädigen und die Menschen auseinander dividieren – was der eigentliche Zweck von vielen ihrer illegalen Aktionen ist, kurzum, die Strategie von „Teile und Erobere“, die so oft von kolonialen Regimes verwendet wurde. Es ist zu hoffen, dass die Zivilgesellschaft in anderen Ländern dieses Handeln als das, was es ist, erkennt, und Israel endlich zwingen wird, ehrlich mit sich und mit der Welt zu sein und sich an die internationalen Menschenrechte halten wird.
Linkswende Mai 2013
UNI
Soziale Lage von Studierenden
Zwischen Campus und Call-Center als die Grenze der Armutsgefährdung. 80% der Studierenden sind armutsgefährdet. Noch dazu senkte die Regierung im Herbst 2010 die Altersgrenze für den Bezug der Familienbeihilfe von 26 auf 24 Jahre.
Foto: flickr-Andih
von Ludwig SOMMER
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ft hört man „Studierende in anderen Ländern geht es noch viel schlechter“, oder „Was soll die Kassiererin im Billa dazu sagen, die dein Studium mit ihren Steuern bezahlt?“ Doch diese Vergleiche verschleiern die wirklichen Ungerechtigkeiten und spielen nur den Herrschenden in die Hände. Sie sind es, die mit Sparmaßnahmen die soziale Lage der großen Mehrheit verschärfen, seien es Werktätige, Studierende, kranke oder alte Menschen. Eisernes Kalkül Es ist kein unerwünschter Nebeneffekt, kein Versehen, kein Unvermögen, kein Unwissen seitens der Regierung, dass sich die soziale Lage von Studierenden von Jahr zu Jahr ver-
schlechtert. Es ist ein eisernes Kalkül, eine Strategie, um neoliberale Reformen an der Universität zu erzwingen. Mit einer Salamitaktik verschärft die Regierung mal die Studiensituation, mal die soziale Lage der Studierenden. Studieren und Arbeiten Immer mehr Studierende müssen neben dem Studium arbeiten. Aus der Studierenden-Sozialerhebung 2011 geht hervor, dass nicht nur der Anteil der erwerbstätigen Studierenden ansteigt, und inzwischen bei 63% liegt, sondern auch die durchschnittliche Arbeitszeit zunimmt. Studieren macht arm Das Durchschnittseinkommen von Studierenden beträgt 867€. Das sind 200€ weniger
Sozialer Sprengstoff
Studierende müssen im Schnitt 43,6 Stunden in der Woche für Studium und Arbeit aufwenden. Verglichen mit 2009 ist der Gesamtzeitaufwand um eine weitere Stunde gestiegen. Wer sein Studium nicht in der vorgegebenen Zeit schafft, muss Studiengebühren zahlen. So entsteht ein regelrechter Teufelskreis. Wer neben dem Studium arbeiten muss, braucht länger, muss Studiengebühren zahlen, braucht noch länger, Beihilfen werden gestrichen, und so weiter und so fort. Das Studieren ist durch den Zeitstress längst zur „Fastfood-Bildung“ geworden, mit Bulimielernen und MultipleChoice-Tests. Stress
Studierende und Werktätige, eine Hand
47% der Studierenden gaben in der Befragung der Sozialerhebung an, unter „studienerschwerenden Stressfaktoren“ zu leiden. Die Dunkelziffer liegt mit Sicherheit noch höher. Laut der Studie zeigt „die Altersverteilung einen steigenden Anteil von Studierenden mit Existenzängsten, der zwischen 26 und 30 Jahren mit 26% Betroffenen den höchsten Wert erreicht. Diese Verteilung ähnelt jener von Studierenden mit finanziellen Schwierigkeiten. Eine ähnliche Altersverteilung zeigt sich auch für Studierende mit depressiven Verstimmungen.“
Noch nie gab es so viele Studierende in Österreich wie heute, das ist erst einmal großartig. Seit 1970 hat sich die Studierendenzahl verfünffacht. Noch nie war ein so großer Anteil der Studierenden erwerbstätig. Die Lebensbereiche und Erfahrungswelten von Werktätigen und Studierenden überschneiden sich zunehmend. Für die Herrschenden bedeutet das, dass es für sie schwieriger wird einzelne Gruppen gegeneinander auszuspielen. Wir merken zurzeit, wie groß die Solidarität mit ausländischen Studierenden ist, die von der Regierung am härtesten getroffen wurden. Wir erleben gute Zeiten, um solidarisch gemeinsam für Verbesserungen zu kämpfen.
Kein Platz für Kinder Unter den Studierenden mit Kindern bekom-
FIRMENSCHLIESSUNGEN
LEHRE
Lehre für Flüchtlinge: Was ist die Neuerung wert?
Unternehmer vernichten hunderte Jobs von Karin WILFLINGSEDER will gleichzeitig den US-Schmuckhersteller Chamilia schlucken. • Die Bank Austria schließt bis 2015 ein Drittel der Filialen. Seit zwei Jahren läuft ein Personalabbau. 400 Jobs wurden schon eingespart, bis 2015 sind weitere 400 geplant. Die Belegschaft wurde – im Gefolge der Fusionen von Zentralsparkasse, Länderbank und Creditanstalt – in den letzten zwölf Jahren schon fast auf die Hälfte reduziert. • Das in Nieder-Olm bei Mainz ansässige Unternehmen Eckes- Granini hatte „Pago“ im Dezember 2012 vom Bierkonzern Heineken/ Brau Union erworben. Ende 2013 steht die Produktion in Kärnten still und 120 Mitarbeiter_innen verlieren ihren Arbeitsplatz. • Der B üromöbelhersteller Bene entlässt 170 Leute. Das Unterneh-
von Oliver MARTIN
men aus Waidhofen an der Ybbs hat sich bereits mit den Banken an den Tisch gesetzt. Die Schulden belaufen sich auf 75 Mio. Euro. • Elektrohändler Niedermeyer hat Schulden von knapp 29 Millionen Euro. Insgesamt werden 53 (der insgesamt 98) Filialen aufgegeben. Fast 600 Arbeitnehmer_innen des Elektronikhändlers haben für März keine Löhne oder Gehälter erhalten. • Nachdem die AUA monatelang den Ausbau des Tyrolean-Standortes Innsbruck versprochen hatte, hat sie im März überraschend die Verlegung der Verwaltungszentrale von Innsbruck nach Wien angekündigt. 109 Mitarbeiter_innen vor Ort verlieren ihre Stellen.
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Foto: AMS
as AMS rechnet mit einem kräftigen Zuwachs bei der Arbeitslosigkeit, erklärte es Ende März 2013, und sie steigt bereits stärker als erwartet. Erst im Jahr 2016 könnte es nach Berechnungen einen Rückgang der Arbeitslosenzahlen geben. Hier einige Beispiele für den momentanen Arbeitsplatzabbau: • Der Wäschekonzern Triumph spricht von insgesamt 350 Beschäftigten, die ihren Arbeitsplatz verlieren sollen. Die Werke in Oberpullendorf und in Aspang werden zugesperrt. In der Zentrale in Wiener Neustadt verlieren 80 bis 100 Mitarbeiter ihre Jobs. • Der Kristallkonzern Swarovski baut heuer in der Produktion weitere 150 Arbeitsplätze ab. Vor fünf Jahren waren in der Tiroler Konzernzentrale noch mehr als 6.300 Mitarbeiter_innen beschäftigt, jetzt sind es 4.800. Swarovski
men laut der Studie nur neun Prozent einen Platz in einer Betreuungseinrichtung an ihrer Hochschule. Die soziale Lage der Studierenden zu verschärfen, ist die Methode der Regierung, um neoliberale Reformen zu erpressen. Doch mit dieser Vorgehensweise schafft sie sich einen gefährlichen Feind. Studierende, wie junge Menschen allgemein, sind oft Auslöser von sozialen Bewegungen und Keimzellen des Widerstands. Jugendliche ohne Vermögen, ohne festem „Zuhause“ und ohne Perspektive für die Zukunft haben nichts zu verlieren. Besondere Brisanz entsteht durch den Kontext der stark steigenden Jugendarbeitslosigkeit in Europa. Auch in Österreich nimmt die Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen zu. Viele fragen sich mit Blick auf Spanien (55,7%) und Griechenland (58,4%), wie es bei uns weitergeht.
Durchs Studium hetzen
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ür Freude hat im März die Ankündigung von Sozialminister Hundstorfer gesorgt, dass Asylwerber_innen, die nicht älter als 25 sind, in Zukunft eine Lehre machen dürfen. Doch warum war das bisher überhaupt verboten? Und kommt die Neuerung wirklich in der Realität an? Eigentlich darf, wer in Österreich um Asyl ansucht und sich während der Bearbeitung des Antrags legal im Land aufhält – zwar unter harten Bedingungen, aber immerhin doch – einer Beschäftigung nachgehen. Dazu zählt auch eine Berufsausbildung in einer Lehre. Das regelt das „Ausländerbeschäftigungsgesetz“ so. Doch 2004 hat der damalige Wirtschaftsminister Martin Bartenstein (ÖVP) eine Weisung erteilt: Darin verfügte er, dass Asylwerber_innen nur befristete Beschäftigungsbewilligungen als Saisonarbeitskräfte erhalten dürfen. Ob das legal war, ist zweifelhaft. Denn eigentlich darf ein Erlass geltenden Gesetzen nicht widersprechen; doch um ihn beim Verfassungsgerichtshof anzufechten, müsste der Erlass in negativen Bescheiden zitiert werden. Das passierte jedoch nie. Auch die nun geänderte Regelung hebt den „Bartenstein-Erlass“, wie er genannt wird, nicht auf. Statt-
dessen wurde eine neue Ausnahme geschaffen. Erst wurde, im Juni 2012, Asylwerber_innen unter 18 der Besuch einer Lehre erlaubt. Doch nur denselben harten Voraussetzungen, die im bis 2004 geltenden Gesetz vorgeschrieben sind: Es muss in der betreffenden Branche ein nachgewiesener Lehrlingsmangel herrschen; ob das so ist, entscheidet das AMS. Außerdem muss der Betrieb nachweisen, dass keine qualifizierten Bewerber_innen aus Österreich oder einem anderen EU-Staat zu finden waren. Schlussendlich muss auch noch der Regionalbeirat des AMS in jedem einzelnen Fall zustimmen. Das alles führte dazu, dass in den etwa zehn Monaten seit Asylwerber_innen unter 18 wieder eine Lehre besuchen dürfen, nur ganze 14 Personen dieses Recht auch in Anspruch nehmen konnten. Hundstorfer selbst beruhigt rechte Kritiker im Ö1-Interview damit, dass es sich „keinesfalls um ein Massenprogramm“ handle. Die im März erfolgte Ausweitung auf alle unter 25 ist zwar angesichts der Refugee-Protestwelle ein kleiner Erfolg, der sicherlich motivierend wirkt. Doch real wird sich dadurch die Situation nur für die wenigsten Asylwerbenden verbessern.
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Mai 2013 Linkswende
Rassismus am Werk
DEMO
ARBEITSLOSIGKEIT W UNTER AUSLÄNDISCHEN JUGENDLICHEN von Hannah KRUMSCHNABEL
75.000 SOLI (Solidarische Linke) ruft am Tag der Arbeitslosen (30. April) und Vorabend des Tages der Arbeit zur Demo für eine uneingeschränkte Arbeitserlaubnis und den Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit auf. Studierende aus Nicht-EU Ländern dürfen nur 10 Stunden pro Woche arbeiten. Die Arbeitserlaubnis erhalten sie immer nur für einen einzigen Job, gespickt mit Hürden und langen Wartezeiten. In der Regel müssen sie schlecht bezahlte Schwarzarbeit machen, wenn sie ein Auskommen finden wollen. Vollständiger Aufruf auf www.solidarische-linke.at
INNENPOLITIK
Schikane: Rot-Weiß-Rot-Card ich während des Studiums selbst zu erhalten ist für migrantische Studierende wegen ihres eingeschränkten Arbeitsrechts eine besondere Herausforderung. Doch auch nach dem Abschluss wird ihnen der Einstieg in den Arbeitsmarkt beinahe verunmöglicht. Eigentlich sollte die Einführung der Rot-Weiß-Rot-Card 2011 es gerade höher qualifizierten Migrant_innen und Schlüsselkräften erleichtern, in Österreich zu arbeiten. Die Regierung feierte sie als „flexibles neues Zuwanderungssystem“. In der Realität bindet und befristet sie für die meisten Arbeiter_innen ihren Aufenthalt an einen fixen Arbeitsplatz und belässt sie damit in einer permanenten Unsicherheit. Der Fall von Natalia Zambrano Jaramillo, einer Kolumbianerin, die in Österreich zwei Studien abgeschlossen hat, hat in den letzten Wochen die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, wie diese Farce in der Realität funktioniert. Um eine Rot-Weiß-RotCard zu erhalten – und damit eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis beschränkt auf je zwölf Monate – musste sie zuerst eine Fixanstellung mit einem Mindest-Bruttogehalt
von 1.1998€ finden – eine Summe, von der Berufseinsteiger_innen meistens leider nur träumen können. Mehrere, kurzfristige oder atypische Beschäftigungsverhältnisse waren nicht erlaubt. Besonders bizarr: Ein Bachelor-Abschluss ermöglicht wegen der zu kurzen Regelstudienzeit keinen Zugang zur Card, obwohl er von derselben Regierung als vollwertiger akademischer Abschluss beworben und wegen seiner Ausrichtung auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarkts angepriesen wird. In die Kritik gekommen diskutiert die Regierung nun darüber, diese Einkommensgrenze – die bei anderen Personengruppen noch weit höher liegt – zu senken und die Regelung auch an anderen Stellen zu erleichtern. Doch das Grundproblem, dass Nicht-EU-Bürger_innen, die in Österreich eine Hochschule absolviert haben und arbeiten wollen, Hürden in den Weg gelegt werden, bleibt bestehen. Und auch Arbeitsmigrant_innen mit RotWeiß-Rot-Card sind ihren Arbeitgebern weiterhin komplett ausgeliefert, weil sie die Card verlieren, wenn sie kündigen sollten.
Foto: Roman Icha (BMASK)
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junge Menschen zwischen 15 und 24 sind in Österreich zurzeit weder in Ausbildung noch angestellt. Die Jungendarbeitslosigkeit ist mit 7% und steigender Tendenz weit höher als die allgemeine Arbeitslosigkeit. Besonders dramatisch trifft sie aber Jugendliche, vor allem Frauen, mit Migrationshintergrund, unter denen 14% keinen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz finden. Sie kommen häufiger als Jugendliche ohne Migrationsgeschichte aus Arbeiterfamilien, in denen bereits die Eltern keine höhere Schulbildung haben. Dies wiederum verkompliziert den Einstieg in den Arbeitsmarkt, denn die besten – wenn nicht sogar die Mehrzahl – der Lehrstellen werden über private Kontakte vergeben und nicht über den offiziellen Weg des AMS. Finden sich im persönlichen Bekannten-
kreis weniger „große Fische“, ist die Arbeitssuche um vieles schwieriger. Oft liegen die Stolpersteine aber auch schon in der Schullaufbahn, wo Kinder aufgrund (anfangs) schlechter Deutschkenntnisse in die Sonderschule abgeschoben, nach der Volksschule automatisch in Hauptschulen geschickt werden oder sich bei Problemen die nötige Nachhilfe nicht leisten können. Noch dazu sinkt die Zahl an verfügbaren Lehrstellen in Österreich seit Jahrzehnten (in 20 Jahren um mehr als die Hälfte in Wien), denn die Firmen finden günstigere Wege zu neuem Personal. Es wäre aber verfehlt zu denken, dass allein Bildung und soziale Herkunft die Chancen der Jugendlichen einschränken. Rassismus am Arbeitsmarkt ist ein alltäglicher und besonders frustrierender Begleiter für jun-
ge Menschen mit „fremd“ klin men, dunkler Haut oder Kop 17-jährige Muslimin mit Ein erzählte Reportern von Ö1, Lehrstelle als Zahnarzthelferin Entscheidung ein Kopftuch zu hygienischen Gründen“ verl Eine andere ehrgeizige Schül die HTL abbrechen, weil sie m keinen Praktikumsplatz fand.
Staatsbürgerschaft
WEG MIT DEM RASSISTI
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n Österreich geborene Kinder gelten vor dem Gesetz als „Ausländer“! In anderen Ländern, wie den USA rufen solche unfassbaren Tatsachen nur ungläubiges Kopfschütteln hervor. Aber in Ländern, wo faschistische Regimes ihre Spuren im Gesetzbuch hinterlassen haben, wie Österreich, Deutschland oder Griechenland, herrscht tatsächlich noch das Blutrecht (ius saguinis). Kinder, die hier geboren sind, haben nicht automatisch dieselben
Rechte – sie erhalten nach dem Blutrecht die Staatsbürgerschaft eines Elternteils und können erst nach sechs Jahren einen Wechsel beantragen. Migrant_innen sind oft Jahrzehnte Bürger_innen in Österreich, bis ihnen nach Tests und Papierkrieg auch offiziell die Staatsangehörigkeit „verliehen“ wird. Seit Monaten vermittelt Integrationsstaatssekretär Kurz, er wolle diese Regelung verändern und wird dafür als liberaler Refor-
mer beklatscht. Doch seine Plä nicht wirklich einen Fortschr nach ihm, soll eine Einbür zwar schon nach sechs Jahren in Österreich möglich sein, ab man nie Sozialleistungen b ein Ehrenamt (= unentgeltli ausgeübt hat, sowie Deutsch Niveau (das ein großer Teil Österreicher“ nicht erreicht) Zehn Jahre sollen diejenigen
W I R S I N D D A!
Linkswende Mai 2013
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Jugendliche müssen Angehörige pflegen
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Kinder und Jugendliche übernehmen die Aufgaben des Sozialstaats.
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ngenden Napftuch. Eine nser-Zeugnis dass sie ihre n nach ihrer u tragen „aus loren hätte. lerin musste mit Kopftuch . Ein junger
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Serbe, der keinen Ausbildungsplatz bekam und nun in einer BFI-Maßnahme eine handwerkliche Lehre absolviert, berichtet, dass er trotz harter und verlässlicher (gratis) Arbeit in keiner Firma nach seinen Praktika eine Fixanstellung erhielt, während seine österreichischen Freunde bei Unzufriedenheit ohne Probleme die Lehrstelle wechseln. Diese privaten Erfahrungen der Jugendlichen lassen sich auch statistisch nachweisen: Junge Menschen mit
Türkmen
Migrationsgeschichte üben doppelt so oft als „Österreicher_innen“ berufliche Tätigkeiten aus, die unter ihrer schulischen Ausbildung liegen – und das zeigt sich bei denjenigen mit höherer Bildung sogar besonders signifikant. So wichtig eine Reform des Bildungswesens für die Erfüllung der Potenziale der „2./3. Generation“ also ist, eine „Integrationsdebatte“, die bei der Bildung stehen bleibt, und Rassismus nicht konfrontiert, ist nicht mehr als eine Alibi-Aktion.
ISCHEN BLUTRECHT
äne brächten ritt: Geht es rgerung nun n Aufenthalt ber nur wenn bezogen und iche Arbeit) auf Maturader „echten ) beherrscht. mit schlech-
teren Sprachkenntnissen und „Selbsterhaltungsfähigkeit“ warten. Das Prinzip lautet „Staatsbürgerschaft nach Leistung“, womit sich der Staat das Recht herausnimmt, nur ökonomisch Erfolgreiche einzubürgern – und am österreichischen Arbeitsmarkt als Migrant_in erfolgreich zu sein, ist dank rechtlicher und informeller Diskriminierung leichter gesagt als getan. Damit gehen Staatsrassismus und Neoliberalismus eine unheilvolle Ehe ein: wo Angewiesensein auf Sozialleistungen als „fehlende Eigenverantwortlichkeit“ verurteilt wird, bedeutet dasselbe für Migrant_innen den Rausschmiss. Man muss sich nur vorstellen, welchen Aufschrei es auslösen würde, wenn österreichischen Arbeitslosen sogleich die Staatsbürgerschaft aufgekündigt würde, um zu verstehen, welche Ungleichbehandlung Einwanderer_ innen hier erfahren. Ein Skandal ist am alten wie am geplanten Einbürgerungsrecht aber schon allein die
unterschwellige Botschaft, dass die Staatsbürgerschaft kein Anrecht sondern ein Privileg sei, das man sich erst verdienen müsse. Das ideologische Bild, das damit vermittelt wird, ist also immer noch weniger das eines Rechtsstatus als das einer ethnischen „Blutgruppe“, aus der man sich nur durch „Integration“ und Leistung befreien kann. Immerhin ist auch in der öffentlichen Diskussion ein „Migrationshintergrund“ über Generationen nicht abzuschütteln – da werden noch die (Ur-) Enkel der Gastarbeiter_innen als Türken bezeichnet. Diese Beobachtung wurde auch in Deutschland gemacht, wo sich seit der rotgrünen Regierung Jugendliche spätestens mit ihrer Volljährigkeit für eine Staatsbürgerschaft entscheiden können – und überraschend viele nicht die deutsche wählen. Je schwieriger das Leben durch rassistische Diskriminierung gemacht wird, desto größer sind natürlich die persönlichen Zweifel, ob man sich dann wirklich als „Deutscher“ oder „Österreicher“ identifizieren will. Deshalb ist es auch so problematisch, dass keine Möglichkeit auf Doppelstaatsbürgerschaft besteht, und damit in beiden Staaten partizipieren zu können. Hunderttausende Menschen, die den gesellschaftlichen Reichtum mit produzieren, haben so nach wie vor keine offizielle politische Möglichkeit, ihr Lebensumfeld mitzubestimmen, nur weil sie in die „falsche“ Familie geboren sind.
aut Schätzungen müssen ca. 42.700 Jugendliche und Kinder ihre Angehörigen, Eltern oder Großeltern pflegen. Thatcherismus hat eben auch in Österreich seine Wirkung entfaltet. Der Sozialstaat zieht sich weiterhin zurück und wälzt die Kosten auf Private ab, in dem beschrieben Fall auf Minderjährige. Meist gehen diese Kinder noch zur Schule und übernehmen ihre Pflichten vor und nach dem Unterricht. Und es sind erstaunlich viele Kinder von einem Phänomen betroffen, das man in einem der reichsten Länder der Welt gar nicht antreffen sollte; nämlich 4,5% der 10- bis 14-Jährigen. Den Kindern wird oft gar nicht bewusst, welch außerordentliche Leistung sie da vollbringen. Zwischen 14,20€ und 20,30€ kostet eine Stunde Pflege für Nicht-Diplompflegepersonal. Könnten diese Kinder
den Staat auf Entschädigung klagen, dann stünden ihnen mindestens 20.000€ pro Jahr zu, aber öfter über 30.000€ pro Kind und Jahr. Ihre Arbeiten bestehen aus Köperpflege, Kochen, An- und Ausziehen, in den Rollstuhl helfen, Botengänge machen, die kleineren Geschwister betreuen, und vieles mehr. Den Kindern entgeht aber nicht der Stundenlohn, sie verlieren durch die aufgebürdete Arbeit auch ein Stück ihrer Kindheit. Wer pflegende Kinder kennt, weiß welch reifen und erwachsenen Eindruck sie machen. Es sollten aber alle Kinder ein Anrecht auf freie Entfaltung und Spaß und auch Urlaub haben. Wenig überraschend spiegelt sich auch hier die Rollenverteilung der Erwachsenwelt wider, die auf die Kinder übertragen wird: mehr als zwei Drittel der pflegenden Kinder sind Mädchen.
STAATSRASSISMUS
Rassismus von oben
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enn in Österreich von Rassismus gesprochen wird, wird sein Ursprung meistens bei einer ungebildeten Schicht von „Ausländerfeinden“ gesucht. Das Argument lautet dann: Weil das Volk so anfällig für rechten Populismus ist, redet ihm die Politik nach dem Maul und erlässt immer noch brutalere Gesetze gegen Immigrant_innen. Doch beim Niederlassungsrecht und den vielen Steinen, die Migrant_innen in Österreich am Arbeitsmarkt in den Weg gelegt werden, geht der Rassismus vom Staat aus. Als Regierungen in ganz Europa 2010 im Schatten der Wirtschaftskrise immer härter gegen ihre Minderheiten vorgingen, meinte der französische Philosoph Jacques Rancière, es sei
Zeit, dieses Argument umzukehren: „Der Rassismus von heute ist… vor allem eine staatliche Logik und keine Leidenschaft des Volkes.“ Denn nicht zuletzt mit Rassismus „von oben“ gelingt es dem Staat, von sozialen Problemen abzulenken und einen Anschein von Kontrolle aufrechtzuerhalten. Nur in diesem Kontext ist es nachvollziehbar, warum die österreichische Regierung nach wie vor an Migrationsgesetzen festhält, die ihr wirtschaftlich sogar schaden. Und das ist keine Neuigkeit: In Österreich hatte etwa die nationalsozialistische „Reichverordnung über ausländische Arbeitskräfte“ noch bis 1976 Bestand, wenn auch ab den 1960er-Jahren nur mehr formal. Darin musste ein Arbeitgeber für jede einzelne Stelle erst nachweisen, dass kein „inländisches“ Arbeitskräfteangebot bestand, bevor dafür Arbeitsmigrant_innen eingestellt werden durften. Nur die Kontingente an „Gastarbeitern“ waren ab 1961 davon ausgeschlossen. Die damit verbundene „Inländer zuerst“-Prämisse hält aber gerade im Bereich des Arbeitsmarktes noch bis heute an. So wird etwa der Ausschluss von Bachelor-Absolvent_innen von der Rot-Weiß-Rot-Card (s. Nebenartikel) vom Innenministerium noch 2013 mit der schwierigen Arbeitsmarktlage für österreichische Absolvent_innen argumentiert.
10 Mai 2013 Linkswende
Grenzen des „mobilen“ Kapitals Kapitalisten versuchen ständig neu zu investieren, zu akkumulieren, ihre Konkurrenten zu unterbieten und die Produktionsinputs schnellstens in Profit zu verwandeln. Während das Kapital auf der Suche nach neuen Absatzmärkten und günstigeren Produktionsbedingungen dahin strebt, sämtliche Grenzen niederzureißen, muss es andererseits die räumlichen Distanzen zeitlich durch immer ausgeklügeltere Transportmittel und bessere Technologie verkürzen. Im 19. Jahrhundert haben Dampfschiffe, Kanäle, Eisenbahnen und Telegraphen die Kommunikation und die Beförderung von Rohstoffen und Gütern revolutioniert. Im 20. Jahrhundert sind mittels Flugzeugen, Computern und Satelliten geographische Barrieren abgebaut worden, während Containersysteme die Effizienz des Frachttransports entscheidend erhöht haben. Die Rede von einem „super-mobilen“ Kapital ist allerdings übertrieben. Erstens sind nur Teile des Kapitals tatsächlich mobil. Ganz wesentliche Bereiche des Systems sind völlig unbeweglich: der Bau und die Instandhaltung der Industrie, die Bereitstellung von Infrastruktur wie Flughäfen, Transport und Häfen, Energie und Telekommunikation, Bildungs-, Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen. Zweitens sind selbst jenen Teilen des Kapitals, die sich etwas freier
THEORIE
stärken die Organisation von Arbeiter_innen und ermöglichen einen Anstieg der Löhne, der die viel gepriesenen Profitaussichten zunichtemacht.
Den Mythen um super-mobiles Kapital, um den unaufhaltbaren Strom von Arbeitsplätzen in Entwicklungsländer und um Arbeiter_innen als passive Opfer des globalisierten Kapitalismus geht David ALBRICH nach.
China
Arbeitsteilung im
globalisierten
Kapitalismus
bewegen können, Grenzen gesetzt. Die teuren Fertigungsstraßen der Automobilherstellung können nicht einfach abgebaut und neu aufgestellt werden. Wenn große Autofirmen wie General Motors Teile ihrer Produktion in Länder wie Brasilien, Russland, Indien und China (BRIC-Staaten) verlagern, dann nicht wegen der geringeren Produktionskosten, sondern wegen der Erschließung neuer Absatzmärkte. Die BRIC-Staaten saugten 2009 ein ganzes Drittel der weltweiten Autoverkäufe auf. Die Hauptproduktion findet hingegen noch immer in den entwickelten kapitalistischen Ländern statt. Andererseits ist das Kapital in der Bekleidungs- und Schuhindustrie praktisch für jedes Entwicklungsland zugänglich, da
Förderungen aus. Ein leitender Angestellter von FIAT meinte 2008 in der Krise: „Bei den Unmengen an Geldern, die US-Bundesstaaten nach dir werfen, wärst du schön blöd, wenn du sie ablehnen würdest.“ Neben diesen Anreizsystemen nehmen Lobbies Einfluss auf die Politik, um günstige Konditionen für die Unternehmen, die sie vertreten, herauszuschlagen. Regierungen schützen ihre Industrien weniger wie noch vor Jahrzehnten über direkte Importzölle und Kontingentsbeschränkungen, sondern vielmehr über sogenannte Anti-DumpingZölle. Gemeint sind kurzfristige Zölle auf Exportartikel aus Ländern, die beschuldigt werden, ihre Waren im Ausland zu einem geringeren Preis als auf dem heimischen
Foto: Suntech
I
n den Debatten um die Globalisierung des Kapitalismus ist ein beliebtes Argument, es gäbe eine unaufhörliche Abwanderung von Arbeitsplätzen aus dem „globalen Norden“ in den „globalen Süden“. China und andere asiatische Länder wären Wirtschaftswunder, die auf magische Weise Auslandsinvestitionen und Jobs anziehen, zuungunsten von Arbeitsplätzen in den entwickelten kapitalistischen Ländern. Multinationale Konzerne präsentieren sich als allmächtige Unternehmen, die sich innerhalb kürzester Zeit an einem Ort niederlassen und ihre Produktionsstätten wieder auflassen können – immer auf der Suche nach den geringsten Lohnstückkosten. Die Argumente werden von Freund wie Feind verwendet, allerdings verbindet sie eines: Arbeiter_innen werden als passive Objekte, die dem globalen, mobilen Kapital unterworfen sind, abgetan. Die Dynamik des Systems Kapitalismus ändert ständig die Aufteilung der Arbeit in der Welt. In den letzten Jahren hat sich tatsächlich Vieles verändert: Die enorme Größe, auf die multinationale Konzerne gewachsen sind, ermöglicht es deren Vorständen und Managern, die weltweiten Wertschöpfungsketten zu dominieren. Sie können Produktionsbereiche auslagern („Outsourcing“) und sich auf die sogenannten „Kernkompetenzen“ konzentrieren. Kleinere Zulieferbetriebe werden gezwungen, die Güterherstellung durch „Just in Time“-Produktionsmethoden und immer kleinere Arbeitsschritte schneller zu machen. Dennoch wäre es falsch, von einem super-mobilen Kapital, von einer unaufhaltsamen Abwanderung von Arbeitsplätzen und von Arbeiter_ innen als passive Opfer der Globalisierung zu sprechen.
hauptung, die Abwanderung von Arbeitskräften und Kapital von den Hoch- zu den Niedriglohnländern wäre unvermeidbar oder unumkehrbar. Um maximalen Profit zu machen, müssen Manager und Vorstände ihre Unternehmen ständig durch Widersprüche am Weltmarkt lenken. Unterschiede zwischen den vorhandenen Arbeitskräften, Technologie, etc., und der momentanen Organisation des Betriebs und der Wirtschaft, sowie Widersprüche zwischen der Herstellung und dem Verkauf der Produkte auf den Märkten, sind die tägliche Herausforderung für die Kapitäne der Wirtschaft. Kurzfristig können einzelne Firmen auf diese Widersprüche reagieren,
Die Behauptung, die Abwanderung von Arbeitskräften und Kapital von den Hoch- zu den Niedriglohnländern wäre unvermeidbar oder unumkehrbar, ist zu vereinfacht. die Produktionskosten vergleichsweise niedriger sind. Die Kleiderherstellung verlagert sich allerdings nicht einfach auf China. Zwar ist der Export von Kleidung seit 2000 in China von 18 auf 34% gestiegen, aber auch Europa konnte von 28 auf 31% zulegen. Staat Das dritte und wichtigste Argument gegen ein angeblich super-mobiles Kapital sind die Staaten selbst. Sie sind die Grundlage für die Produktion von Profit. Staaten stellen die nötige Infrastruktur bereit (Transport, Energie) und regeln die Beziehungen zwischen den konkurrierenden Kapitalien (Kartellrecht, etc.) und zwischen Kapital und Arbeit (Arbeitsrecht, Kollektivverträge, etc.). Staaten konkurrieren auch untereinander, um ihren Unternehmen die besten Produktionsbedingungen zu bieten. Sie schaffen Anreize, geben Steuererleichterungen und zahlen
Markt zu verkaufen („dumping“). Interessant ist, dass nicht Europa oder die USA, sondern China am meisten Anti-Dumping-Zölle verhängt hat (853 zwischen 1995 und 2011), während die USA und die EU an die zweite und dritte Stelle als Beschuldigte kommen. Nicht zuletzt sind seit Ausbruch der Krise 2008 zahlreiche „Währungskriege“ zwischen Staaten ausgebrochen, hauptsächlich zwischen China und den Vereinigten Staaten, aber auch Brasilien ist eingestiegen. Über die Abwertung der eigenen Währung versuchen die Regierungen ihre Exporte im Ausland zu verbilligen und so die Wirtschaft anzukurbeln. Die Behauptung, Kapital wäre im globalisierten Kapitalismus supermobil, ist also tatsächlich übertrieben. Widersprüche in der Produktion Zu vereinfacht hingegen ist die Be-
indem sie Teile der Produktion auf der Suche nach billigeren Arbeitskräften verlagern, in neue, modernere Technologien wie Robotersysteme investieren oder neue Absatzmärkte erschließen. Allerdings werden andere Kapitalisten, wenn sie nicht aus dem Geschäft gedrängt werden wollen, dem Trend folgen. Was für den einzelnen Kapitalisten wie ein günstiger Vorteil aussieht, entpuppt sich für das gesamte System als toxisch. Je höher die Profitrate in einem Wirtschaftsbereich, desto eher werden andere Firmen in den lukrativen Sektoren investieren und desto schneller werden die günstigen Bedingungen durch den Zustrom von neuem Kapital vernichtet. Darüber hinaus verändern Investitionen die gesellschaftliche Struktur – neue Klassen von Arbeiter_innen werden in oft riesigen Betrieben zusammengepfercht. Arbeitskämpfe und Mangel an Nachschub von Arbeitskräften
Das „turbokapitalistische“ China ist das beste Beispiel. Chinas rasanter Aufstieg zur Weltmacht mit Wachstumsraten von jährlich zehn Prozent über die letzten 30 Jahre basierte auf dem schier endlosen Vorrat an Wanderarbeiter_innen aus den Binnenregionen für die Sonderwirtschaftszonen an der Küste. Doch der Zustrom aus dem Landesinneren ist zum Erliegen gekommen. Arbeiter_innen sind nicht mehr bereit, unter monotonen und erschöpfenden Bedingungen zu produzieren. Die Zahl der Stellenausschreibungen übersteigt das Angebot an neuen Arbeitskräften. Die Menschen erwarten sich bessere Arbeitsbedingungen, und alternative Jobs wie etwa im Handel erhöhen die Konkurrenz am Arbeitsmarkt, was zu einem Aufwärtstrend bei den Löhnen führt. In den letzten Jahren haben einige US-Firmen ihre Produktion wieder in die USA, vor allem in Südstaaten wie Alabama, Mississippi und South Carolina, zurückverlagert. Die höhere Produktivität, ein schwacher US-Dollar, günstigere Grundstückspreise und gewerkschaftsfeindliche Gesetze wiegen die Vorteile Chinas auf. Das bedeutet überhaupt nicht, dass alle Firmen aufhören, in China zu investieren und wieder das Land verlassen. Für manche Kapitalien bleiben die Entwicklungsländer immer noch vorteilhaft. Es zeigt allerdings, dass der Strom an Kapital und Arbeitsplätzen von den entwickelten kapitalistischen Ländern in die Entwicklungsländer kein Naturgesetz ist. Das Argument wird eher von Personaldienstleistern verbreitet, die sich dadurch Aufträge erhoffen, und es dient als Drohung gegenüber den Belegschaften, denen man mit dem Verlust des Arbeitsplatzes oder der Schließung des gesamten Betriebes Angst machen möchte. Solidarität statt Schuldzuweisung Die Dynamik des Kapitalismus verändert ständig die räumliche Verteilung der Produktion. Aus der Sicht des Kapitals bieten unterschiedliche Orte unterschiedliche Vorteile für die Herstellung und den Verkauf. Die organisatorischen Herausforderungen für die Unternehmensmanager sind gewaltig, bedenkt man ihre Abhängigkeiten von anderen Konkurrenten, Partnerfirmen und Lieferanten. Jedoch sind nur manche Teile des Kapitals mobil, und wenn, nur zu einem gewissen Grad. Staaten greifen ständig in die Wirtschaft ein, um die besten Bedingungen für ihre Unternehmen innerhalb ihres Einflussbereichs bereitzustellen. Weder sind Arbeiter_innen im „globalen Norden“ mitverantwortlich für die extreme Ausbeutung ihrer Kolleg_innen im globalen Süden, noch sind umgekehrt die Werktätigen Chinas und anderer Länder Schuld an der Abwanderung von Arbeitsplätzen. Nur wenn Arbeiter_ innen ihre gemeinsamen Interessen über Ländergrenzen hinweg erkennen, können wir das System, das ständig Existenzen und Wohl der Menschen vernichtet, loswerden.
Linkswende Mai 2013
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Thatcher brachte Frauen keinen Fortschritt! Anlässlich Thatchers Tod stürmte das Lied „Ding, Dong, the Witch is Dead“ die englischen Hitparaden. Bürgerliche wettern gegen Freudenfeste. Warum Arbeiterinnen und Arbeiter feiern, erklärt Karin WILFLINGSEDER.
„F
ür viele andere, mich eingeschlossen, ist sie... der Beweis, dass eine Frau alles werden kann, wenn sie sich dafür anstrengt.“ So schwärmt Amanda Foreman über die verstorbene Maggie Thatcher in der Zeitschrift „Die Welt“. Die feministische Autorin Natasha Walter argumentiert, dass Thatcher „weiblichen Erfolg normalisiert hat... Sie ist die große heimliche Heldin des britischen Feminismus.“ US-Präsident Obama nannte Thatcher eine Vorkämpferin für Frieden und Freiheit, ein Vorbild für seine Töchter. Thatcher war kein Vorbild, sondern ein abschreckendes Beispiel für eine neoliberale Klassenkämpferin, welche die Tory-Partei in die Schlacht geführt hat, um die mächtigsten Teile der Gewerkschaftsbewegung zu zerstören. Sie brachte schmerzhafte Verschlechterungen für die allermeisten Frauen in ihrer Heimat.
essiert: „Dem Kampf um Frauenrechte verdanke ich nichts.“ Thatcher betonte die Bedeutung der althergebrachten Familie. Dass Frauen in neue Bereiche vorgedrungen sind verdanken sie der von Thatcher bekriegten Frauen- und Arbeiter_innen-Bewegung. Ein Teil der Frauenbewegung nimmt an, dass Frauen irgendwie friedlicher als Männer wä-
ren. Dass sie falsch liegen, zeigen Angela Merkel oder Maria Fekter. Thatcher wäre ohne den Sieg des Falkland-Krieges 1983 nicht wieder gewählt worden. Sie genoss den Krieg sogar: „Wenn man die Hälfte seines politischen Lebens mit stumpfsinnigen Angelegenheiten wie der Umwelt zu tun hatte, ist es aufregend, eine richtige Krise an der Hand zu haben.“ Eine ih-
rer ersten Amtshandlungen war ein Tänzchen mit dem Diktator von Sambia. Thatcher gelang es Rhodesien 1979 bis 1980 in die Kolonialherrschaft Großbritanniens zurück zu zwingen. Sie unterstützte die südafrikanische Apartheid, Nelson Mandela war für sie ein „Terrorist“. Thatchers Erbe
Einige Feministinnen sahen Thatchers Wahl zur Parteivorsitzenden der „Tories“ (Konservativen) als Fortschritt für Frauen. Aber Thatcher wurde nicht gewählt, damit Frauen in Großbritannien größere Anerkennung finden. Sie erklomm die Spitze, weil sie die nötigen Führungsqualitäten hatte und die Niederlage der Arbeiter_innenbewegung herbeizuführen versprach. Thatchers gewaltsame Niederschlagung des Bergarbeiterstreiks im Jahr 1984/85 warf die Gewerkschaften, und die Position der Frauen der Arbeiter_innenklasse, weit zurück. Die eiserne Lady war an Frauenfragen nie inter- Proteste gegen Polizeibrutalität und Rassismus in Liverpool nach den „Toxteth Riots“ 1981.
#MuslimahPride versus Femen?
von Ludwig SOMMER
S
ÄGYPTEN
exismus ist die düstere Realität, mit der Frauen auf der ganzen Welt konfrontiert sind. In Tunesien protestierte Amina Tyler auf dieselbe Weise, wie Aktivistinnen von Femen. Sie stellte Bilder von sich online, wo sie mit nacktem Oberkörper und der Aufschrift „Fuck your Morals“ und „Mein Körper gehört mir und ist nicht Quelle von irgendjemandes Ehre“ zu sehen ist. Als konservative Prediger Peitschenhiebe und die Steinigung
der Aktivistin forderten, rief die Gruppe Femen zum internationalen Aktionstag „Topless Jihad Day“ auf. Femen Aktivistinnen stellten sich oben ohne mit den Aufschriften „Fuck your morals“, „Fuck Islamism“, „Arab Women Against Islamism“ und „Free Amina“ vor Moscheen. „Aus den Protesten sprechen Unkenntnis und Ignoranz“, kommentierte die Bloggerin und bekennende muslimische Feministin Kübra Gümüsay. Gümüsay kritisiert nicht die Aktionsform von Femen, sondern an wen sich der Protest richtet. Femen
Femen-Aktivistinnen vor der Ahmadiyya-Moschee in Berlin
wählte als Ort die Moschee aus, nicht aber beispielsweise das tunesische Konsulat, was ein Symbol staatlicher Macht ist. „Letztlich reiten die Femen-Frauen aber nur erfolgreich auf antiislamischen Ressentiments, gebrauchen rassistische und islamophobe Stereotype und vor allem: Sie zeigen jenen muslimischen Frauen, die sich seit Jahrzehnten für Frauenrechte in islamischen Ländern einsetzen, den großen Mittelfinger“, so Gümüsay. Sie hat Recht: auf ihrer Hompage schreiben Femen in einer Stellung-
nahme zu der Kritik am „Topless Jihad Day“, dass „ein islamischer Feminismus nicht existiert“ (siehe femen.org). Hunderte muslimische Frauen fühlten sich von Femen bevormundet und protestierten mit dem Hashtag #MuslimahPride auf Twitter, Facebook und in anderen sozialen Netzwerken. Sie stellten Bilder von sich online, auf denen sie mit Plakaten mit der Aufschrift zu sehen sind: „Du brauchst mich nicht befreien, ich bin schon frei“ oder „Das Kopftuch ist meine Wahl.“
Tags darauf: #Muslimahpride-Aktivistinnen vor derselben Moschee als Antwort auf die Aktion von Femen
Fotos: Kübra Gümüsay
FEMINISMUS
Foto: John Sturrock
Feministischer Irrtum
Thatcher ebnete an der Seite des damaligen US-Präsidenten Reagan den Weg für Angriffe auf den Sozialstaat und verlagerte Leistungen, die zuvor von den öffentlichen Diensten besorgt wurden, in die Familie, wo hauptsächlich Frauen diese Bürden auf sich nehmen. 1987 brachte sie die entsprechende Ideologie auf den Punkt: „So etwas wie Gesellschaft gibt es nicht. Es gibt individuelle Männer und Frauen, und es gibt Familien.“ Dieses Vermächtnis verbindet sie mit der heutigen Tory-Regierung und den Neoliberalen weltweit. Privatisierungen, die völlige Entfesselung des Finanzsektors, zu niedrige Löhne, längere Arbeitszeiten und schlechtere Arbeitsbedingungen – sie hat das nicht alles persönlich durchgesetzt, aber sie hat viele Voraussetzungen dafür geschaffen. Sie hat sich sehr bemüht, dass die Welt eine schlechtere wurde. Unter Thatcher als Premierministerin öffnete sich die Lohnschere zwischen Männern und Frauen weiter. Die Arbeitslosigkeit stieg dramatisch. Die Zahl der arbeitslosen Frauen verdreifachte sich bis zu Thatchers Abgang 1990.Thatcherismus sollte mitsamt seiner Begründerin begraben werden.
Aktivisten schwärmten aus, um koptische Christen zu verteidigen
S
ektiererische Schlägertruppen attackierten neulich koptische Christen während einer Beerdigung. Die Trauergemeinde gedachte der Opfer der sektiererischen Gewalt in der Stadt AlKhosous, als sie mit Steinen beworfen und beschossen wurden. Viele Menschen wurden verletzt und mindestens eine Person wurde ermordet. „Aktivisten der Revolution mobilisierten Leute, um die Kirche zu beschützen. Hunderte beteiligten sich an einem Solidaritätsmarsch“, berichtete Mostafa Bassiouny von den Revolutionären Sozialisten. Die Einheit zwischen Muslimen und Christen war in den ersten Tagen der Revolution unübersehbar. Diese Tradition gibt es in der revolutionären Bewegung immer noch. Soziale Krisen, aber auch die Taktik des Staates, zu teilen und herrschen, sind eine ernsthafte Bedrohung. vollständiger Artikel auf: socialistworker.co.uk
12 Mai 2013 Linkswende
Israels Twitter-Krieg
Linker
von David ALBRICH
Jonathan Littell
Notizen aus Homs Hanser Verlag Berlin 2012, 240 S., 19,50€, ISBN: 978-3446-24089-6, auch als E-Book erhältlich
Im März jährte sich der Aufstand gegen Syriens Diktator Baschar alAssad zum zweiten Mal. Der französische Autor und Journalist Jonathan Littell reiste mit einem Fotografen im Jänner 2012 „undercover“ mit Unterstützung der Freien Syrischen Armee (FSA) ins syrische Homs, das kurz darauf von Assads Armee in einem Blutbad ertränkt wurde. Beeindruckend und mitreißend schreibt der Autor seine ausführlichen Notizen über Gespräche mit Bewohner_innen, Kämpfer_innen und übergelaufenen Soldaten nieder. „Notizen aus Homs“ ist kein Roman, sondern der Abdruck eines Tagebuchs. Littell, der bereits aus anderen Krisenregionen wie Tschetschenien und Georgien berichtet hat, rechtfertigt die Veröffentlichung seiner Aufzeichnungen über die Tatsache, „dass sie Bericht erstatten über einen Moment, der quasi ohne Zeugen von außen stattgefunden hat“. Mit viel Sympathie und Verständnis für die gewöhnlichen Leute beschreibt Littell seine Erfahrungen. „Das Außergewöhnliche“, schwärmt er von Demonstrationen, „ist die Kraft, die von ihnen ausgeht. Eine kollektive, allgemeine Freude, eine Freude des Widerstands… Sie geben den Teilnehmern auch neue Energie, sie erfüllen sie täglich mit Kraft und Mut, mit denen sie die Morde, Verletzungen, die Trauer weiter ertragen können.“ Das Buch liefert Argumente aus erster Hand von Beteiligten gegen jene Verunglimpfungen, mit denen versucht wird, der Revolution zu schaden. So wehrt sich etwa ein stolzer Christ gegen die Darstellung der Revolution als religiösen Konflikt: „Wir leben seit über hundert Jahren zusammen. Baschar ist es, der... die Probleme zwischen uns geschürt hat. Damit Frankreich und die anderen Länder sagen: Wir müssen die Christen beschützen.“ Littell dokumentiert Auseinandersetzungen zwischen desertierten Offizieren, der Bevölkerung und den bewaffneten Rebell_innen. Der übergelaufene Offizier und FSA-Kommandeur Abderrazzaq Tlass etwa wird von anderen Kämpfer_ innen zurechtgewiesen. Die Forderung nach Dschihad, die in der Masse wenig Gehör findet und vom Westen über die Revolution gestülpt wird, kommt ausgerechnet von Leuten wie Tlass, der eine Militärintervention der NATO fordert. Littell wird im deutschsprachigen Raum von genau jenen Salon-Schreiberlingen, die niemals den Fuß in ein Kriegsgebiet setzen würden, dafür kritisiert, dass er Position bezieht und die Revolution unterstützt. Gerade die Ehrlichkeit, die man beim Lesen des Buches spüren kann, ist was Littells Buch so stark macht. Indem er sich keiner falschen journalistischen Neutralität unterwirft, steht Littell in der Tradition großer Journalisten und Kriegsberichterstatter wie George Orwell oder John Reed. Schriftsteller_innen eines Kalibers Littell würden den deutschsprachigen Journalismus ungemein bereichern.
von Ludwig SOMMER
F
ür Israels Unterstützer_innen ist gerade die militärische Nutzung von sozialen Netzwerken neben vielen anderen Propagandainstrumenten ein Grund stolz zu sein. Im vergangenen November setzten das israelische Militär und zionistische Lobbyorganisationen, während der sogenannten Operation Wolkensäule, gezielt Facebook und Twitter ein, um das achttägige Bombardement auf Palästinenser im Gazastreifen propagandistisch zu unterstützen.
Doch im Februar zeigte das israelische Militär unabsichtlich, wie wahnhaft seine Vorstellungen vom Propagandasieg tatsächlich sind. Sacha Dratwa, Leiter der militärischen Abteilung für Neue Medien, prahlte in den sozialen Netzwerken mit einem riesen Erfolg in Sachen Öffentlichkeitsarbeit während der Operation Wolkensäule. Aber wie begründet Dratwa diesen Erfolg? Seine Gründe dafür sind dünn gesät. Die Zeitung Times of Israel ist so versessen darauf der Prahlerei des Militärs zu helfen, dass sie dessen Optimismus teilt: „Experten der sozialen Medien sagen, dass Israel seine Schilderungen in nie dagewesener Weise vermittelte.“ Die zitierten „Experten“ waren zufällig dieselben Funktionäre, die die Operation Hasbara (hebr.: öffentliche Erklärung) leiteten. Plakat: IDF / Foto: Tomer Simon
Lesetipp
Schlimme Zeiten
Israels Militär warnt mit einem Plakat: „Soziale Medien können eine Waffe sein. Richte sie nicht auf uns.“
Um seine Aussagen zu untermauern, versicherte Dratwa, dass „es das erste Mal war, dass ausländische Medien sich mehr für unsere Twitter-Aktivitäten interessierte, als für unser Bombardement auf Gaza.“ Er verwies außerdem
auf „57 Millionen Aufrufe unserer Facebook Seite“ und „10 Millionen Aufrufe“ des YouTube-Kanals. Lustigerweise relativiert ausgerechnet Yoram Morad, Leiter der Abteilung „digitale Diplomatie“ des israelischen Außenministeriums, diese hohen Zahlen: „Wir haben drei Gruppen an Followers unserer Facebook Seite. Einige folgen uns nur, um uns zu verfluchen; andere folgen uns, indem sie zuhören, was wir zu sagen haben, und verfluchen uns dann; und die dritte Gruppe hört uns tatsächlich an, ohne uns zu verfluchen.“ Schlimme Zeiten sind das für die Hasbara-Truppe, wenn man darüber froh sein muss, einmal nicht verflucht zu werden. Im Kontrast zu Dratwas Mangel an Argumenten oder Daten für seine These, zeigt ein israelisches Forschungsergebnis, dass während der Operation Wolkensäule „die Aktivitäten der Hamas in sozialen Netzwerken effektiver waren, als die der israelischen Streitkräfte.“ Tomer Simon, ein Wissenschaftler an der Ben-Gurion Universität, erstellte eine umfassende Analyse der Hashtags die jeweils von beiden Seiten verwendet wurden. Er fand heraus, dass Israel unter härterer Kritik durch internationale Webnutzer stand. Der Hashtag #GazaUnderAttack erreichte 170.000 Erwähnungen an einem Tag, während #IsraelUnderFire nur 25.000 schaffte. Simons Schlussfolgerung war einfach: „Die Wahrnehmung, die den Online-Diskurs dominierte, war,
dass die israelischen Streitkräfte sich auf einen ungerechtfertigten Angriff einließen.“ Simons Untersuchungen wurden auch vom Technologiemagazin Wired aufgegriffen. In einer Ausgabe schrieb es: „Es schaut danach aus, dass der Versuch des israelischen Militärs, soziale Netzwerke für die Zwecke der Außenpolitik zu nutzen, scheitert.“ Während der Operation Wolkensäule waren es sowohl grundlegende Probleme, wie Fehler bei den Hashtags, als auch das Scheitern die öffentliche Meinung für sich zu gewinnen. Wired fand heraus, dass als die Zahl der Todesopfer stieg und immer mehr Bilder von getöteten palästinensischen Zivilist_innen auf Twitter veröffentlicht wurden, die Hasbara-Kampagne sinnlos erschien. Simons Forschungsergebnisse unterstützen kritische Stimmen, die zu jener Zeit zu hören waren, mit Berichten, dass Israels aggressive Befürwortung im Web einen Rückschlag erlebt. Ein Blogger der Washington Post formulierte es so: “Gazas Anliegen ist lauter und weiter zu hören als jenes der israelischen Streitkräfte – ein starkes Zeichen der Volksbewegung, die dahinter steht.“ Indem er unbegründet Erfolgsgeschichten erzählt, die in einem starken Widerspruch zu den wissenschaftlichen Untersuchungen, welche die Misserfolge der Hasbara während dem Angriff auf Gaza zeigen, beweist Sasha Dratwa, dass sein Urteilsvermögen nicht nur auf Facebook mangelhaft ist.
Syrien: Assad kämpft um Machterhalt Aber immer wieder ter fallen etwa Fahrzeuge, Funklaufen einfache Sol- geräte oder Schutzbekleidung). daten und Offizie- Doch es ist zu befürchten, dass re zur Revolution über die Auswahl der Empfänger über. So erhält die dieser Hilfe, und daran geknüpfdie Freie Syrische te Bedingungen Einfluss über die Armee (FSA) den Hintertür geübt wird. Großteil ihrer Aus- Militärisch scheint sich die Situarüstung. Auch die tion in Syrien seit Monaten kaum einfache Bevölke- signifikant zu verändern. Um sich rung unterstützt auf eine „Schlacht um Damaskus“ einzulassen sind die Rebell_inImmer wieder verübte Assads Militär Massaker die Aufständischen weithin; die Men- nen nicht stark genug, während schen haben Assad satt. in anderen Gegenden des Landes von Oliver MARTIN Das Regime versucht, die Kämpfe die Revolution bereits zu stark in us der täglichen Bericht- als religiösen Konflikt zwischen der Bevölkerung verwurzelt ist, als erstattung in den Medien Muslimen und Christen oder ver- dass die Regierungstruppen die ist der Aufstand in Syrien schiedenen islamischen Strömun- Kontrolle zurückgewinnen könnzwei Jahre nachdem er begann gen darzustellen. Doch Berichte ten. fast schon wieder verschwunden. von Augenzeug_innen zeichnen Assads Militär versucht mit drasORF-Korrespondent Karim El- ein anderes Bild: Angehörige ver- tischen Mitteln, Vororte von DaGawhary bemerkte kürzlich tref- schiedener Religionen kämpfen maskus zu halten bzw. zurückzufend in der TAZ, dass erst verletzte Seite an Seite, beschützen einan- erobern. Ende April massakrierte oder getötete Berichterstatter_in- der gegenseitig und wissen ganz es in Artouz, südwestlich von Danen dem Thema wieder zu Promi- genau, wer der genenz verhelfen. meinsame Feind Doch für die Syrer_innen ist die ist. Gewalt zur alltäglichen Realität Im Westen werden geworden. Die Armee von Dikta- die Forderungen tor Baschar al-Assad kämpft brutal lauter, die Opposigegen die Rebell_innen, diese leis- tion militärisch zu ten weiterhin tapfer Widerstand. unterstützen. EngMilitärisch betrachtet ist Assad land und Frankklar überlegen. Seine Truppen reich wollen das sind professionell trainiert und EU-Waffenembargut ausgerüstet – das vorhandene go aufheben, die Arsenal ist groß und die Verbün- USA stocken ihre deten Russland und Iran liefern nichttödliche Miliregelmäßig Nachschub. tärhilfe auf (darunAleppo: Vorhänge sollen die Blicke
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von Scharfschützen behindern.
maskus, 350 Menschen. Zuvor hatte sich die FSA zurückgezogen, um Zivilist_innen nicht zu gefährden. Doch die Armee stellte die Kampfhandlungen nicht ein, sondern nutzte diese Gelegenheit, um die Menschen für ihre Unterstützung der Revolution zu bestrafen. Auch aus anderen Städten wird von Massenhinrichtungen berichtet. Das staatliche syrische Fernsehen zeigte Bilder von jubelnden Soldaten, die Erfolge gegen die „Terroristen“ erzielt hätten. Ebenfalls mehren sich Behauptungen, dass mindestens eine der beiden Konfliktparteien chemische Waffen eingesetzt habe. Britische Militärs behaupten dafür eindeutige Beweise zu haben. In Anbetracht ähnlicher Meldungen im Vorfeld des Irakkriegs, die sich später als Lügen herausstellten, sind solche Aussagen natürlich mit Vorsicht zu behandeln. Spätestens dann, wenn sie als Vorwand für eine westliche Militärintervention hergenommen werden, sollten die Alarmglocken läuten. Doch angesichts der Brutalität, mit der Assad versucht sich an der Macht zu halten wäre es ihm durchaus zuzutrauen, zu solchen Mitteln zu greifen.
Linkswende Mai 2013
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VERGESSENE GESCHICHTE Frauen im Widerstand gegen Hitler Frauen hatten in sozialistischen und kommunistischen Widerstandsgruppen einen fixen Platz. Durch Tätigkeiten wie Kurierdienste, Ausspähen wichtiger Informationen und Schmuggeln von nötigem Material schufen Frauen erst jene Infrastruktur, ohne die ein organisierter Widerstand nicht möglich gewesen wäre, erzählt Karin WILFLINGSEDER. von Wien, statt. Die vorwiegend weibliche Belegschaft zwang die Nazis dazu, den Betriebsleiter abzuBetriebswiderstand setzen, 60% Bonus auszuzahlen und Einer der wenigen dokumentierten generell die Arbeitsbedingungen zu Streiks während der NS-Diktatur verbessern. Auch Sabotage, um den fand im November 1938 in einer Krieg zu behindern und dem ReFabrik für Hanfverarbeitung in gime zu schaden, war in Betrieben Neudorf an der Leitha, im Osten nicht selten. Ein Wiener SA-Führer schrieb am 1. Februar 1939: „Sehr unruhig ist die Arbeiterbevölkerung. Wir haben in den letzten vier Wochen eine Reihe von kurzen Streiks gehabt.“ Ein „Lagebericht“ vom 3. Juli 1939 schildert: „Während früher Streuzettel- und Schmieraktionen eine Seltenheit waren, sind sie heute in Wien und in den Industriestädten an der Tagesordnung... Ähnlich ist die Situation in den Betrieben. Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht Zwischenfälle provoziert werden.“ Durch den Zustrom ehemaliger Sozialdemokrat_innen wuchs die KPÖ zur zahlenmäßig stärksten Kraft im Widerstand. Die Rosa Grossmann wurde 1943 wegen Kontakten zu Op f e r b e re i t s c h a f t Fallschirmspringer und KPÖ-Funktionär Gregor Kerwar enorm. Bis Ende sche verhaftet. Um niemanden zu verraten, stürzte 1943 nahm die Gesie sich aus dem vierten Stock, überlebte jedoch schwer verletzt. stapo-Leitstelle Wien 6.300 Kommunist_ innen fest. Die KPÖ konnte dennoch wieFoto: DÖW
Unzählige Frauen haben in der NSZeit Widerstand geleistet.
T rotzkismus
von Manfred ECKER
„J
e dunkler die Nacht, desto heller der Stern!“ Mit diesem Titel für den vierten Band seiner Trotzki-Biographie (die Jahre 1927 bis 1940) hat Tony Cliff auf den Punkt gebracht, was an Trotzki so hervorragend war. Im Westen Europas scheiterten die Revolutionen und es triumphierte der Faschismus, zuerst in Italien, dann in Deutschland und Österreich. Im Osten vernichtete Stalin jedes Überbleibsel der russischen Revolution und ließ Millionen verhungern oder ermorden. Trotzki hatte seine besondere Rolle in der Geschichte als Gegenpol zu Stalin und als unermüdlicher Kämpfer gegen Faschismus bekommen. Stalin konnte sich zwar nach Lenins Tod an der Spitze der kommunistischen Partei durchsetzen, das Prinzip der Selbstbefreiung der Arbeiter und Arbeiterinnen verwarf er und tauschte es gegen das Prinzip der Allmacht der Partei. Trotzki hielt die Tradition der bolschewisti-
derholt, ein Netz illegaler Funktionärsgruppen aufbauen. Die Revolutionären Sozialisten (RS) organisierten lose, voneinander isolierte Zellen, die sich um Anführer_innen gruppierten. In ihrer Autobiographie „Ich war keine Heldin“ betonte Antonia Bruhas den Stellenwert von direkten Kontakten, erfundenen Kampfnamen und möglichst wenig Kenntnis über andere Mitglieder. So sollte die Aushebung der gesamten Gruppe bei einer Enttarnung vorgebeugt werden. Die Herstellung und Verteilung von illegalen Zeitungen und Flugzetteln oder die Spendensammlung für Angehörige von Verhafteten war riskant.
sich den Partisan_innen an. 20 KZGefangene hat Agnes insgesamt befreit. Der Frauenanteil war bei den bewaffneten Partisan_innen sehr hoch. Sie kämpften vor allem in Kärnten und der Steiermark. Solidarität im KZ Käthe Leichter, frühere Leiterin des Frauenreferats der Wiener Arbeiterkammer, kam ins KZ Ravensbrück. Sie wurde 1942 zusammen mit 1.500 Frauen bei einer „Probevergasung“ ermordet. Im KZ hatte sie wie auch Rosa Jochmann und einige Frauen noch andere gerettet. Trotz ständiger Bewachung und Bespitzelung gelang es, Solidargruppen auf-
zubauen. Viele Widerstandskämpferinnen wie Agnes Primocic oder Rosa Jochmann blieben politisch aktiv und mahnten die neue Generation: „Wehret den Anfängen!“ Rosa Jochmann, war eine der wenigen, die der Vorläuferorganisation der FPÖ, dem VdU schon 1949 entgegnete: „Für die Demokratie hat die österreichische Arbeiterschaft geblutet, und deshalb lautet unsere Devise: In Österreich die Demokratie – aber nur für Demokraten!“ Ein Tipp: Im Film „Küchengespräche mit Rebellinnen“ (Vertrieb Hoanzl) berichten vier Widerstandskämpferinnen berührend ihre Geschichte.
Partisaninnen und Flucht Die Kommunistin Agnes Primocic hielt im Bürgerkrieg 1934 die ersten Reden gegen die austrofaschistische Diktatur. Sie war Betriebsrätin in der Halleiner Tabakfabrik, in der vorzugsweise Mädchen für die staubige Arbeit eingesetzt wurden. In der Ständediktatur von 1934 bis 1938 war sie mehrfach inhaftiert. Trotzdem konnte sie die Bitte nicht ablehnen, KZ-Flüchtlingen das Leben zu retten und dafür ihr eigenes zu riskieren. Nach der von Agnes gut organisierten Flucht des Spanienkämpfers Sepp Plieseis aus dem Außenlager Hallein des KZ Dachau begann der Aufbau einer Partisanengruppe. Die gemischtgeschlechtliche „Gruppe Willy“ wurde von der Bevölkerung mit Geld und Lebensmitteln unterstützt. Immer mehr junge Männer kehrten nicht mehr an die Front zurück und schlossen
schen Revolution auch dann noch hoch, als Anfang der 1930er-Jahre in Russland (und in der Folge weltweit) die „linke Opposition“ gegen Stalin kollabierte. Diese Tradition, die sich als „Sozialismus von unten“ zusammenfassen lässt (Befreiung kann demnach nur durch Selbstemanzipation der Werktätigen erreicht werden), war Trotzkis praktisches Leitbild und er hielt es in seinen bedeutsamen theoretischen Schriften fest. Nach seiner Verbannung aus Russland 1928 schrieb er sein wichtigstes Werk, die „Geschichte der russischen Revolution“, ein Klassiker, der über jedem anderen marxistischen Geschichtswerk thront. Im Kampf gegen Faschismus war das zentrale Element in Trotzkis Strategie die Einheitsfront der Arbeiter_innen. Sozialdemokratie und Stalinisten versagten kläglich in einem Land nach dem anderen. Trotzki insistierte, dass die Arbeiter_innen erfolgreich den Aufstieg des Faschismus widerstehen, und dass sie damit auch die Voraussetzung für einen
Medizinstudentin Ella Lingens unterstützte untergetauchte Jüdinnen
Die Hilfsarbeiterin Elisabeth Hailing wurde 1942 wegen „Judenschmuggels“ verhaftet
In dieser Serie erklären wir Begriffe des Marxismus von A bis Z.
neuen Aufschwung der Arbeiter_innenbewegung schaffen könnten. Trotzkismus ist deshalb heute noch die lebendigste Tradition des revolutionären Sozialismus, weil sie immer die Hoffnung verkörpert hat, dass die Geschichte anders verlaufen kann, als sie uns beigebracht wurde. Trotzkisten sind aber auch für ihre Zersplitterung und Zerstrittenheit berühmt. Trotzki machte zu Lebzeiten Fehleinschätzungen, vor allem was die Natur des Staates unter Stalin betraf. Da sich die Abscheu gegenüber Stalin allenorts zu Antikommunismus auswuchs, vermied er es, Russland als nicht mehr sozialistisch einzustufen. Er meinte, Russland würde zwar von Bürokraten diktatorisch regiert, wäre aber im Kern noch ein Arbeiterstaat. Das Regime sei instabil und könnte von den Arbeiter_innen beseitigt werden. Nach Trotzkis Tod hielten die meisten trotzkistischen Organisationen an der Analyse fest und verteidigten den „Arbeiterstaat“ Russland. Je offensichtlicher die kapitalisti-
sche Natur Russlands wurde, umso absurder gerieten diese Verteidigungen. Es kann niemand verwundern, dass sich solche Fehler fortsetzen und zu Aufsplitterung führen. Den größten Anteil an den Schwächen hatten allerdings der lange Wirtschaftsaufschwung und die Boomjahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Nicht nur hatten Stalin und Hitler die revolutionären Traditionen beinahe ausgelöscht, Marx selbst schien widerlegt, solange Kapitalismus als krisenfest galt und man glauben konnte, die Marktwirtschaft werde früher oder später Wohlstand für alle bringen. Heute zweifelt die Krisenhaftigkeit von Kapitalismus niemand mehr an. Die arabischen Revolutionen und die Welle großartiger Generalstreiks in Südeuropa bringen auch die vergessene Macht – die Arbeiterinnen und Arbeiterbewegung – an vorderster Stelle auf die Bühne. Trotzkismus kann und muss eine Renaissance erleben, wenn wir Krisen auch als Chance begreifen.
14 Mai 2013 Linkswende
KULTUR / FILM
Jugendliche Proletarier in der Thatcher-Ära
FILM JUST THE WIND (2012), ORIGINALTITEL „CSAK A SZÉL”
derzeit in den Wiener Kinos
FILMREIHE VERBRANNTE BÜCHER Am 10. Mai 1933 fanden in 18 deutschen Städten Bücherverbrennungen statt. Zum 80. Jahrestag zeigt das Filmmuseum Verfilmungen verbrannter Bücher, unter anderem von Bert Brecht, Lion Feuchtwanger und Stefan Zweig, von zeitgenössischen Verfilmungen bis in die Jetztzeit.
12.06. bis 22.06.2013 Filmmuseum Augustinerstraße 1 (im Gebäude der Albertina)
POETRY-SLAM SLAM B Seit 2009 finden im Literaturhaus Poetry-Slam-Wettbewerbe statt. 12 Teilnehmer_innen, 5 Minuten Zeit, selbstverfasste Texte, keine Requisiten, zum Zuschauen oder selbst Mitmachen. Freier Eintritt.
14.06.2013, Beginn 20 Uhr Literaturhaus Wien Zieglergasse 26a
GALLERIE KUNST GEGEN DAS VERGESSEN Als Überlebender verarbeitete Adolf Frankl (1903–1983), den Holocaust in Zeichnungen, Aquarell, Öl im expressionistischen Stil. Sein Sohn Thomas stellt seit mehreren Jahren die Werke in Erinnerung an seinen Vater aus.
Dauerausstellung
Mo, Di, Do und Fr 11–18 Uhr Sonn- und Feiertage 13–18 Uhr Judenplatz 2
Die Miniserie „This Is England ‘86“ ist die Fortsetzung des Spielfilms „This Is England“. Wieder offenbart Regisseur Shane Meadows die Realität der Lebenswelt der proletarischen Jugend in der Thatcher-Ära, meint Daniel HARRASSER.
A
ls im Jahr 2006 der britische Regisseur Shane Meadows seinen intensiven, kontroversen und fesselnden Film „This Is England“ präsentierte, gelang ihm damit ein Überraschungserfolg des britischen Independentkinos. Vier Jahre später gelang es ihm erneut, die nahezu komplette Darstellerriege für eine Fortsetzung in Form einer Mini-Serie zu begeistern. „This is England ‘86“ spinnt die Geschichte um die aus dem Erfolgsfilm bekannte Clique weiter. Dazu wurde diesmal das TV-Serienformat gewählt, welches auf jeweils 45 Minuten die Story in Episoden fortführt. Die erste Episode startet mit einem Rückblick auf das Ende des Kinofilms, der mit einem dramatischen Finale schloss. Dann springen wir ein paar Jahre weiter und sehen unseren Hauptprotagonisten Shaun (dargestellt von Thomas Turgoose), welcher gerade seine letzte Schulklausur schreibt, und sich nun mit der Erwachsenenwelt auseinandersetzen muss. Shaun will einen Scooter – als Symbol von Freiheit. Seine Mutter will, dass er endlich einen Job findet. Aber Shaun ist nicht bereit für ein Leben in Gefangenschaft, denn genau so sieht er das entfremdete Dasein im tristen Alltag der Lohnsklaverei. Auch die anderen aus der Gruppe haben ihre Probleme. Lol (Vicky McClure) möchte ihren Langzeitfreund Woody (Joe Gilgun) heiraten, Milky (Andrew Shim) hegt aber
ebenfalls immer noch Gefühle für Lol, und die Freunde müssen lernen, dass das Leben nicht nur eine lange Party, sondern auch Verantwortung, Frust und Trauer mit sich bringt. Im Spielfilm zu 1983 war einiges noch anders. Shauns Freund, der Skinhead Woody, wehrte sich gegen die Dominanz des rassistischen und nazistischen Combo, einem älteren Mitglied der Bande, der gerade aus dem Gefängnis entlassen wurde und die Gruppe zu spalten drohte. Drei Jahre später hat Woody (Joe Gilgun) einen Bürojob und plant seine Langzeitfreundin zu heiraten. Seine größte Sorge ist es, wie seine Eltern zu werden. Auch sein Vater hatte als Jugendlicher einen Scooter,
Leo K’s Dizraeli and the Small Gods: Moving in the Dark
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Foto: knockengorroch.org.uk
er britische Rapper, Sänger und Slam-Poet Dizraeli wurde 2009 mit dem provokanten Song und Video „Bomb Tesco“ bekannt. Mittlerweile hat er mit den „Small Gods“ eine feine siebenköpfige Truppe um sich geschart, die von Beatboxing und scratchenden Turntables über Rhodes-Piano-Klänge und Irish-FolkChöre bis zum Balkan-Punk-Ensemble im Stile eines Gogol Bordello nahezu jedes Instrument und Genre abdeckt. Die Musik des neuen Albums „Moving in the Dark“ lässt sich dementsprechend auch in keine der genannten Schubladen einordnen. Der Sound von Dizraeli and the
Small Gods ist am ehesten als „FolkHop“ zu beschreiben, so als würden die Melodien und Arrangements der einstigen Folk-Heroes Bob Dylan und Joan Baez mit der Power des Hip-Hop unserer Tage verschmelzen. Inhaltlich geht es Dizraeli dabei weniger um die politische Kampfansage sondern eher um den sozialkritischen Kommentar und das (oftmals blumige) Beschreiben des Lebensgefühles der Jugend von heute. In jedem Fall macht es Sinn, das Album von Anfang bis zum Ende durchzuhören, um keines der verspielten Details zu versäumen, die in die einzelnen Songs eingestreut sind. „Moving in the Dark“ ist somit ein hochkarätiges und intelligentes Masterpiece, bei dem jedoch der Spaß nicht zu kurz kommt. Bassistin und Beatboxerin Belle ‚Bellatrix’ Ehresmann bringt es im song „Never mind“ auf den Punkt: „All that matters is you dance‚ coz it‘s a very, very short life“. www.dizraeli.com
wurde aber vom „jungen Wilden“ zu einem Spießer. Die Freiheitsversprechungen des Erwachsenenalters stellen sich als Farce heraus, die Realität ist ein Leben in Kompromissen – auch angesichts des Drucks einen Job finden und eine Familie gründen zu müssen. Lol drückt die Anti-Haltung zu dieser Spießbürgerlichkeit wie folgt aus: „Um dieses Schicksal zu vermeiden, sind wir Skinheads geworden“. Die Jugendkultur der Skinheads bietet ein Gefühl von Freiheit und Zugehörigkeit, wo die Familie nicht herankommt oder nicht erwünscht ist – angesichts der Vision einer Gesellschaft in Gefangenschaft und Zwang. Schonungslos zeigt Regisseur Meadows die Ohnmacht dieser
jugendlichen Proletarier_innen. Im Jahr 1986 gab es in England mehr als drei Millionen Arbeitslose und die Regierung Margaret Thatcher war Realität. Die Hoffnung auf eine Alternative schien für viele nicht mehr als Träumerei zu sein – angesichts der desillusionierenden Niederlage im Kampf der Minenarbeiter. Doch die Sehnsucht nach einer besseren Zukunft und das Bewusstsein der Verweigerung ist in den Charakteren der Serie nach wie vor spürbar – in einem Moment des Übergangs von Jugend in die Erwachsenenwelt ist die Wut auf Establishment und Angepasstheit ein zentrales Thema. Im Vergleich zum Spielfilm, der durch seine sich konsequent immer weiter aufbauende Dramaturgie auszeichnete, ist es in der Serie nicht so einfach realisierbar, in 45 Minuten einen ähnlichen Spannungsbogen zu erzeugen, zumal bei der hohen Anzahl an verschiedenen Charakteren jeder nur eine stark limitierte Darstellungsfläche erhalten kann. Somit lenkt der Regisseur schnell den Fokus auf Lol und ihre Geschichte, ohne dabei die anderen Geschichten zu stark zu vernachlässigen und versucht dafür die einzelnen Episoden jeweils inhaltlich abzuschließen. Die beeindruckende realistische Darstellung der Ereignisse und die authentischen Charaktere und Dialoge machen Film wie Serie zu einer wirklichen Empfehlung.
Musiktipps Feine Sahne Fischfilet: Scheitern und Verstehen
S
ie bezeichnen sich selbst ironisch als „Gefährlichste Band Vorpommerns“ und standen vor kurzem im Visier des deutschen Verfassungsschutzes. Die Rede ist von Feine Sahne Fischfilet, einer Punkband aus Greifswald, die 2007 von fünf Schülern gegründet wurde. In einer Region, in der Neonaziaufmärsche an der Tagesordnung stehen, und die NPD im Landtag sitzt, hat sich die Band als antifaschistisch exponiert. Wie viele andere linksorientierte Jugendliche ist fast jeder der Musiker von Feine Sahne Fischfilet schon einmal von Neonazis verfolgt oder verprügelt worden – soweit die eine Seite. Aufgrund des Stückes „Staatsgewalt“ aus dem Debütalbum „Backstage mit Freunden“ wurde von offizieller Seite ein Prüfverfahren der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien eingeleitet, da der Songtext „Gewaltbereitschaft bei den Hörern... fördert“. Eine Indizierung des Albums fand jedoch letztlich nicht statt. Das im November 2012 veröffentlichte neue Werk „Scheitern und Verstehen“ dokumentiert eine
Foto: infoladen-zittau.de
Ben Fliegaufs Milieustudie ist inspiriert von einer Serie rassistischer Anschläge in den Jahren 2008/09. Nachdem vier Nachbarfamilien ermordet wurden, versucht eine Roma-Familie durch den Tag zu kommen, isoliert und stets unter dem Eindruck einer latenten Bedrohung. Englisch mit Untertiteln
This Is England ‘86:
Foto: Warp Films
Kultur in Kürze
textliche und musikalische Weiterentwicklung der Band. Neben dem „klassischen“ Punk-Powerquartett (Gesang, Gitarre, Bass, Schlagzeug) gehören mittlerweile zwei Trompeter zum fixen Line-up, die dem Sound den nötigen Pep verleihen. „Scheitern und Verstehen“ besticht durch seine saubere Produktion und abwechslungsreiches Songmaterial. Neben den üblichen knallharten Streetpunk-Songs finden sich auch ruhigere, fast kitschige Lieder wie „Weit hinaus“ oder die poppige Indie-Ballade „Dreieinhalb Meter Lichtgestalt“. Herausragendster Track ist „In unseren Augen“, ein energiegeladener Protestsong: „Nazis morden weiter und der Staat schiebt fleißig ab, es ist und bleibt schlussendlich das gleiche Rassistenpack!“ feinesahnefischfilet.de
Linkswende Mai 2013
15
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Was wir wollen
Eine andere Welt. Heute lebt die Hälfte der Menschheit von weniger als 2 Dollar pro Tag, 67% der Reichtümer sind in den Händen von nur 2% der Bevölkerung. Weltweit sind Regierungen für krisengeschüttelte Unternehmen und Banken mit rund 6.000 Milliarden Euro in die Bresche gesprungen. Dieser Betrag würde ausreichen, um die weltweite Armut für ein halbes Jahrhundert zu beenden. Was heute produziert wird, würde schon ausreichen,
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um alle Menschen der Welt mit dem Grundlegendsten zu versorgen. Die Bedingungen für eine gerechtere Welt waren nie besser als heute. Demokratische Kontrolle. Wir wollen eine Gesellschaft, in der gezielt für die Bedürfnisse der gesamten Menschheit und mit Rücksicht auf die Natur produziert wird. Dafür ist eine wirklich demokratische Ordnung nötig, in der die werktätigen Menschen das Sagen haben, sie produzieren allen Reichtum
dieser Welt. Eine neue Gesellschaft ist nur vorstellbar, wenn sie die Produktion ihrer Reichtümer und ihre Verteilung kontrollieren. Um eine solche gerechte – eine sozialistische – Gesellschaft errichten zu können, müssen Arbeiter und Arbeiterinnen kollektiv gegen das herrschende System vorgehen, seine staatlichen Strukturen zerschlagen und kollektiv die Kontrolle übernehmen. Wir stehen für einen Sozialismus von unten, denn – wie Karl Marx sagte – »Die Befreiung der Arbeiterklasse muss das Werk der Arbeiterklasse selbst sein.« Internationalismus. Die Revolutionen im arabischen Raum und der internationale Aufschwung der Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung im Jahr 2011 demonstrieren, dass der Kampf nicht entlang von Ländergrenzen, sondern von Klassengrenzen stattfindet. Das Scheitern der Russischen Revolution mit der Machtübernahme Stalins hat uns
gezeigt, dass eine sozialistische Revolution nicht isoliert in einem Land erfolgreich sein kann. Der Kapitalismus ist ein internationales System, das nur international besiegt werden kann. Wir unterstützen das Recht aller unterdrückten Gruppen, sich zu ihrer eigenen Verteidigung zu organisieren. Wir unterstützen Befreiungsbewegungen, die sich gegen Unterdrückung durch imperialistische Staaten wehren. Gegen Unterdrückung. Als Sozialistinnen und Sozialisten bekämpfen wir jede Form der Unterdrückung. Wir stellen uns gegen alle Versuche der herrschenden Klassen, uns entlang von Staatsgrenzen, Hautfarbe, Religion, Geschlecht oder sexueller Orientierung zu spalten und damit zu schwächen. Wir treten für echte soziale, politische und ökonomische Gleichberechtigung von Frauen und für ein Ende aller Diskriminierungen von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender ein.
Gegen Rassismus. Wir wenden uns aktiv gegen alle Versuche, Menschen verschiedener Herkunft gegeneinander zu hetzen. Wir sind gegen jede Diskriminierung, gegen Einwanderungskontrollen, gegen Arbeitsverbote und für grenzüberschreitende Solidarität. Wir stehen für Solidarität mit der muslimischen Bevölkerung und für das volle Recht auf freie Religionsausübung. Revolutionäre Partei. Unsere Herrscher kontrollieren die Medien, die Justiz, Polizei und Militär. Um diese Macht zu konfrontieren, müssen sich auch die Lohnabhängigen organisieren. Wir glauben, dass diejenigen, die eine gerechte und solidarische Gesellschaft wollen, sich zusammentun müssen und die Entwicklung der Protestbewegungen nicht dem Zufall überlassen dürfen. Je stärker die revolutionäre Strömung innerhalb der Bewegung ist, desto mächtiger wird die Bewegung als Ganzes.
Linkswende Monatszeitung für Sozialismus von unten
Wiener Symphoniker „vertreiben“ Neonazis vom Heldenplatz
Mit Pauken und Trompeten gegen Nazis
von Manfred ECKER
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er Wiener Heldenplatz gehört am 8. Mai nicht mehr den Neonazis. Die Wiener Symphoniker werden dieses Jahr dort gratis auftreten und hoffentlich Tausende motivieren hinzukommen. Weder Strache noch sonst ein FPÖ-ler wird so blöd sein und versuchen, unter diesen Umständen die Heldenehrung und Totenrede mit den rechtsextremen Burschenschaften durchzuziehen. Eine weitere Niederlage für das rechte Lager! Aufgerufen wird vom Mauthausen Komitee, der IKG und vielen anderen.
Der 8. Mai war in der Zweiten Republik immer ein heftig umkämpfter Feiertag. Am Heldenplatz betrauerten alljährlich die Rechtsextremen „die totale Niederlage“ (Originalton der Olympia, der Burschenschaft, welcher der dritte Nationalratspräsident Martin Graf angehört). Denn am 8. Mai 1945 kapitulierte endlich die deutsche Wehrmacht. Wir Antifaschistinnen und Antifaschisten feiern am 8. Mai das Ende der Nazidiktatur und das Kriegsende und gedenken den Millionen Opfern und all jenen die Widerstand geleistet haben. Freilich zeigte sich an diesem Tag immer, auf welchen Seite sich im Zweifelsfall
die Polizei (der Staat) stellen würde. Seit im Jahr 2000 Schwarz-Blau an die Macht kam, nutzten die deutschnationalen Burschenschaften den 8. Mai um der Demokratie den Stinkefinger ins Gesicht zu halten. Beschützt von einem Riesenaufgebot der Polizei konnten sie in voller Montur aufmarschieren und ihren Kriegshelden huldigen. Es war eine wohlkalkulierte Demütigung unserer Seite. Den Tiefpunkt dieser Auseinandersetzung erlebten wir im Jahr 2002 anlässlich der Wehrmachtsausstellung. Drei Wochen vor dem 8. Mai, am 13. April 2002, riegelte die Polizei den Heldenplatz ab. 80 Rechtsextreme, zum
Teil Neonazis mit Glatze konnten ungehindert am Heldenplatz provozieren und wurden danach von der Polizei durch die Innenstadt geleitet, wo sie Neonazi-Parolen skandierten. Gegen die 4.000 antifaschistischen Gegendemonstrant_innen setzte die Polizei Wasserwerfer und Pfefferspray ein. Karl Öllinger, Abgeordneter der Grünen und langjähriger engagierter Antifaschist wurde wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt angezeigt und dann im Parlament regelrecht fertig gemacht. Peter Westenthaler von der FPÖ und ÖVP-Klubobmann Andreas Khol führten eine Hetzkampagne gegen ihn, die bis heute
beispiellos los ist. Anfang 2002 war Schwarz-Blau am Zenit der Macht. Das „Fest der Freude“, wie die Kundgebung samt Konzert von den Initiatoren genannt wird, trägt dazu bei, dass endlich ein Teil des Erbes der Schwarz-Blauen Regierungsperiode entsorgt wird. Nikki Kunrath, Mitarbeiter der Wiener Grünen und einer der Initiatoren wünscht sich, dass sich Menschen an diesem Tag extra frei nehmen um ihn zu feiern.
Wiener Heldenplatz 8. Mai ab 19:30
Demonstration im Juni 2009: Zumindest vom Heldenplatz werden die Ewiggestrigen heuer erstmals verbannt
Foto: Brunnbauer/face to face
Illustre Freunde der FPÖ
2010
tönte die Burschenschaft von FPÖ-Nationalratspräsidenten Martin Graf auf ihrer Homepage noch: „Jede Krise bringt ihre Revolution mit sich – laßt uns diese zu unserer werden!“ Drei Jahre später hat Graf bekanntgegeben, dass er seiner Partei eine weitere Amtszeit ersparen wird. Am Sessel von Barbara Rosenkranz wird beständig gesägt, Stefan Gotschacher, der Pressesprecher von FPÖ-Wien-Klubobmann Johann Gudenus trat zurück, nachdem bekannt wurde, dass er SS-Sprüche auf seiner Facebook-Seite gepostet hatte. Der Linzer FPÖ-Fraktionschef Sebastian Ortner trat zurück, nachdem ein Wehrsportvideo von ihm aufgetaucht ist. Die Recht-
fertigungsversuche von Strache für FPÖ-Salzburg-Chef Karl Schnell, der von einer „Umvolkung“ sprach, sind wirr und wirken trotzig. Nachdem das ewiggestrige Gedankengut die FPÖ nach unten zieht, fressen manche Weggefährten inzwischen Kreide. Jüngstes Ergebnis dieser Entwicklungen ist die Identitäre Bewegung Österreich. Aus Frankreich kommend, behauptet diese Bewegung von sich, sie wäre unideologisch und parteiunabhängig, geht jedoch mit Themen wie Asylanten und Islamisierung mit der FPÖ im Gleichschritt. Mit öffentlichen Aktionen wie „Zertanz die Toleranz“ versucht man witzig zu sein, unter der Oberfläche findet man dort grauslichste Rassis-
ten. Die Gemeinsamkeiten mit der FPÖ gehen über Ideologisches hinaus. Zudem halten die Identitären ihre Vortragsabende gemeinsam mit dem Wiener Akademikerbund ab. Ursprünglich eine ÖVPOrganisation, driftete der Wiener Akademikerbund nach rechts ab, stellte die Forderung nach einer Abschaffung des Verbotsgesetzes und schied schließlich aus der ÖVP aus. Veranstaltungsort jener Abende ist die Schlösselgasse 11 in Wien, eines jener Gebäude, das Martin Graf mit den Mitteln der Getrud Meschiar Stiftung erworben hat. In diesem ist auch Martin Grafs Homepage unzensuriert.at und der Swingerclub Traumland untergebracht – passend.
Blamage für OÖ-Sicherheitsrat
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berösterreichs Landeshauptmann-Stellvertreter Josef Ackerl (SPÖ) will nicht länger das „Feigenblatt“ des Landessicherheitsrats sein, und ist deshalb aus diesem ausgetreten. Da im Rat das Einstimmigkeitsprinzip gilt, konnte die FPÖ alle ihr gefährlichen Entscheidungen blockieren; unlängst etwa die Einbindung des Antifa-Netzwerks, des Mauthausen-Komitees und des Zeitgeschichte Museums Ebensee. Währenddessen ist der Verfassungsschutz Oberösterreich in Verdacht geraten, bei neonazistischen Umtrieben rund um das
„Objekt 21“ tatenlos zugesehen zu haben. Beschämend ist: die Grünen kritisieren Ackerl für seine Entscheidung. Bei der Ausladung von Hans-Henning Scharsach, Autor von „Strache im braunen Sumpf“ aus dem Presseklub ÖO schwiegen sie, wohl um den Koalitionspartner ÖVP nicht zu verärgern. Bei diesem gibt es weniger Berührungsängste mit ganz Rechts, besucht doch Landeshauptmann Pühringer gerne den deutschnationalen Burschenbundball, organisiert von der Arminia Czernowitz, die immer wieder einschlägig auffällt.