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40 JAHRE FÜR DEN FEMINISMUS IM GESPRÄCH MIT ELISABETH BROCK

Elisabeth Brock ist Feministin. Sie bestärkt und unterstützt Frauen in verschiedenen Funktionen. Vom Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales wurde sie jüngst als starke Frau Bayerns ausgezeichnet. Im Interview erzählt die Kemptenerin, was für sie eine starke Frau ausmacht, was sie von ihrer kürzlich erhaltenen Auszeichnung hält und welches Herzensprojekt sie gerne umsetzen möchte.

Was bedeutet es Ihnen, zu den zehn vom Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales ausgezeichneten Frauen zu gehören?

Dass ich mich dort einreihen darf, ist für mich eine Überraschung, aber auch eine große Ehre. Wenn ich mich allerdings mit den anderen ausgewählten Frauen vergleiche, denke ich, die haben viel mehr geleistet als ich.

Finden Sie es schade, dass es im 21. Jahrhundert noch so eine Auszeichnung braucht?

(Lacht) Im Angesicht von 5.000 Jahren Patriarchat brauchen wir uns keine Illusionen machen. Es braucht Zeit für einen Wandel, aber ich dachte immer, wir fangen schon mal an, tun, was wir können. Wir haben viel erreicht, aber viel fehlt auch noch. Die nächste Generation trägt das weiter, verschleudert hoffentlich nicht die errungenen Rechte.

Was ist für Sie eine starke Frau?

Obwohl ich mich mit dem Begriff etwas schwer tue, da er zu inflationär gebraucht wird, tritt für mich eine starke Frau für ihre Rechte ein und engagiert sich über ihre Kernaufgaben hinaus gesellschaftlich. Sie lässt sich nicht den Mund verbieten, in ihren Möglichkeiten beschneiden und toleriert keinerlei Übergriffe. Wichtig ist auch: für eine finanzielle Unabhängigkeit zu sorgen. Es ist essenziell, sich als Frau abzusichern, auch im höheren Alter oder als verheiratete Frau.

Im Jahr 1989 gründeten Sie mit Mitstreiterinnen die Kempt´ner Frauenliste. Was ist das genau?

Wir fanden, es müssen im Stadtrat mehr Frauen politisch aktiv sein. Damals waren es nur knapp ein Viertel Frauen. Mit der Frauenbewegung sind viele Initiativen entstanden. Andernorts genauso, das ist ja keine Erfindung aus Kempten. Wir wurden von unserer damaligen Partei – DIE GRÜNEN – nicht ausreichend mit Listenplätzen berücksichtigt. Wir wollten mehr: die ersten zehn Listenplätze für Frauen! Das wäre ein massives Zeichen dafür gewesen, dass wir aufholen.

Sie waren 20 Jahre lang im Stadtrat. Haben Sie in dieser Zeit einen Wandel gespürt?

Ein Bewusstseinswandel ist ja nicht direkt messbar. Ich hatte schon den Eindruck, dass die gröbsten Dummheiten nicht mehr öffentlich geäußert wurden. Und ich bin mit Respekt behandelt worden, den ich mir allerdings auch errungen habe. Vieles, was ich damals gefordert habe, ist mittlerweile zum Glück Mainstream geworden; deswegen gibt es auch die Frauenliste nicht mehr. Frauen und Männer sind im Rat jedoch heute noch nicht paritätisch vertreten. Ich denke, es ist nicht nur wichtig, dass Frauen im Stadtrat sind, sondern auch eine Partei vertreten, die für ein modernes Frauenbild eintritt. Frausein alleine ist ja kein Parteiprogramm.

Was bedeutet Feminismus für Sie persönlich?

Es ist schön, dass der Feminismus gesellschaftlich mehr Gewicht bekommen hat. Uns stehen mittlerweile viele Türen offen, wobei die bezahlte und unbezahlte Arbeit immer noch ungerecht verteilt ist. Ein wichtiges Thema, das alle Frauen betrifft, ist der Paragraph 218 (Anmerkung der Redaktion: Der Paragraph 218 regelt den Schwangerschaftsabbruch), der immer noch im Strafgesetzbuch steht. Das Bewusstsein, im Zweifelsfall nicht frei über den eigenen Körper verfügen zu dürfen, legt sich wie Mehltau auf alle Errungenschaften der zweiten Frauenbewegung. Man muss nur die Zeitung aufschlagen, dann sieht man noch mehr Defizite: Jeden dritten Tag wird eine Frau durch ihren Partner oder Ex-Partner ermordet. Man muss sich mal überlegen, was diese Zahlen für ein gesellschaftliches Klima bedeuten. Die Frauenhäuser sind voll; es gibt zu wenige und sie sind unterfinanziert. Oder das Thema Kinderpornografie: ein Männerthema. Auch das vergiftet die Gesellschaft.

ICH MÖCHTE EINE GERECHTE SPRACHE.

EINE SPRACHE, DIE FRAUEN SICHTBAR MACHT.

Ihnen ist als freie Übersetzerin und Journalistin eine gendergerechte Sprache sehr wichtig. Was würden Sie gerne Kritiker:innen sagen?

Ich benutze das Wort „gendern“ nicht. Ich möchte eine gerechte Sprache. Eine Sprache, die Frauen sichtbar macht. Und nicht mehr das generische Maskulinum, bei dem wir uns „mitgemeint“ fühlen sollen. Es gibt zig Untersuchungen dazu. Fragt man: „Nennen Sie fünf berühmte Sportler“, listen die Leute fünf berühmte Männer auf und wenn man sagt: „Nennen Sie fünf berühmte Sportlerinnen oder Sportler“, dann werden auch Frauen genannt. Dieser Zusammenhang kann nicht geleugnet werden.

Sie haben eine Vorschlagsliste eingereicht mit Namen von bekannten Frauen für die Benennung von Kemptener Straßen. Wurde diese umgesetzt?

(Lacht) Diese Liste ist fünf Seiten lang! Sie wurde ansatzweise umgesetzt. Meine Vorstellung von einer gerechten Verteilung wäre, dass die nächsten 150 Jahre keine Straße mehr nach einem Mann benannt wird, bis wir 50/50 haben. Jetzt gerade ist es eher ein Reißverschlussverfahren. Meine größte kommunalpolitische Errungenschaft war, dass eine Straße nach Elisabeth Selbert benannt wurde. Ihr haben wir den Paragraph 3 im Grundgesetz zu verdanken: Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Wir müssen trotzdem aufholen, im Moment sind wohl höchstens zehn Prozent der nach Menschen benannten Straßen Frauen gewidmet.

Sie haben sich in Ihrem Leben immer wieder neu erfunden, an den unterschiedlichsten Orten mit den verschiedensten Tätigkeiten, wie die Gründung des Frauenbuchladens in Kempten. Was hat Sie am meisten geprägt?

Mein feministisches Engagement hat mich am meisten geprägt. „Mich neu erfunden“ habe ich eigentlich nicht, ich war immer die gleiche, nur in verschiedenen Funktionen. Alles ungeplant, wie das Leben so spielt. Generell bin ich auf alle Themen stolz, die ich angepackt habe und mit denen ich mehr oder minder erfolgreich war. Ich habe immer das gemacht, was in meiner intellektuellen Reichweite und in meinem Lebensumfeld mit drei Kindern möglich war.

Haben Sie Pläne, Projekte, Ziele für Ihre Zukunft?

Ich werde als freie Übersetzerin solange arbeiten, wie ich Aufträge bekomme. Ich übe meinen Beruf sehr gerne aus und sorge damit für meine finanzielle Unabhängigkeit. So spare ich mir auch das systematische Gedächtnistraining! Im Hintergrund werde ich auch weiterhin feministisch aktiv bleiben. Ein Projekt würde mir sehr viel Freude bereiten: Ich habe ein riesiges Archiv über die Frauenbewegung der letzten 40 Jahre. Da habe ich unheimlich viel Literatur gesammelt, auch mit Bezug zu Kempten. Eine Ausstellung wäre schön. Dafür bräuchte ich aber Profis an meiner Seite. Vielleicht liest das hier ja jemand und kommt auf mich zu, das würde mich sehr freuen. Ich sammle schön weiter, ich bin ja erst 78.

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