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WIE FÜHREN WIR BEZIEHUNGEN? ÜBER "TOXISCHE ROMANTIK" UND "RADIKALE ZÄRTLICHKEIT"

FOREVER YOURS?

Keine Frage – diese Form der romantischen Zweisamkeit kann erfüllend sein und Sicherheit vermitteln. Sie ist aber nicht per se der Schlüssel zu Glück, Harmonie und Freiheit. Vielmehr ist ihre Ausgestaltung so intensiv von Wertvorstellungen überlagert, dass sie gleichzeitig auch vom Ausleben anderer Bedürfnisse abhält. In ihrem Buch „Radikale Zärtlichkeit“ spricht Autorin und Journalistin Şeyda Kurt in diesem Zusammenhang von „toxischer Romantik“. Toxisch wird es dort, wo Liebe als unanfechtbare Rechtfertigung für Einschränkungen verwendet wird.

Die Wissenschaftlerin Bell Hooks schreibt in ihrem Werk „Alles über Liebe“, dass viel zu oft Abhängigkeit und Fürsorgearbeit als Liebe missverstanden werden. Besser sollten wir Liebe als Handeln sehen, „das das eigene Recht und das des anderen auf Freiheit und die bestmögliche Entfaltung seiner Möglichkeiten zum Ziel hat“. Diese Version von Liebe ist in vielfältigen Kontexten möglich: hetero, queer, monogam, polygam oder polyamor.

Indem wir unsere festgefahrenen Vorstellungen von Liebe und Beziehungen aufbrechen und alternative Wege erkunden, können wir Raum schaffen für neue Formen der Intimität und der Zärtlichkeit. Şeyda Kurt betont, wie wichtig es ist, eine Kultur des Zuhörens, des gegenseitigen Respekts und der Freiheit zu schaffen. Nur so sei es möglich, über den gesellschaftlichen Druck hinwegzusehen und individuelle Bedürfnisse und Wünsche in Bezug auf Liebe und Beziehungen anzuerkennen. Indem wir aus patriarchalen Kontexten hervorgebrachte Normvorstellungen hinterfragen, können wir viel leichter Beziehungen schaffen, die auf Gleichberechtigung, Freiwilligkeit und Liebe basieren. Glücklicherweise sind Beziehungsnormen nicht statisch, sondern dynamisch, gesellschaftlich gemacht und von uns veränderbar.

Würden wir andere Formen von Verbindungen eingehen, wenn es keinerlei gesellschaftliche Erwartungen gäbe? Die meisten Menschen stellen die Bedürfnisse ihrer romantischen Beziehung vor Freundschaften. Monogam zu leben, ist die Norm. Aber muss das immer so sein und ist es wirklich die beste Art, Beziehungen zu anderen Personen zu leben?

Beziehungen sind politisch. Sie sind intim und gleichzeitig öffentlich, weil sie staatlicher Regulierung und gesellschaftlichen Normen unterliegen. Beziehungen als politisch zu denken, macht den Rahmen, in dem wir sie leben, aber auch veränderbar. Das gibt uns Handlungsmacht und gleichzeitig Verantwortung. An historischen Beispielen dafür mangelt es nicht. Das Eherecht war lange Zeit von patriarchalen Vorstellungen geprägt, die Frauen in eine untergeordnete Rolle zwangen. Erst 1958 wurde das Gesetz zur Gleichberechtigung in der Ehe in Deutschland eingeführt. Bis dahin konnten Frauen ohne Zustimmung ihres Ehemanns nicht arbeiten oder ein eigenes Vermögen besitzen. Das ist in Deutschland zwar mittlerweile Geschichte, aber dennoch nicht allzu lange her. Auch heute noch werden Hetero-Kleinfamilien politisch bevorteilt, Strukturen des Zusammenlebens juristisch geregelt und Co-Abhängigkeiten in privaten Beziehungen weitergetragen.

Während sich Politik und Gesellschaft in langsamen Schritten der Realität queerer Paarbeziehungen öffnen, thront das Ideal der Monogamie weiterhin auf dem Sockel sozialer Normvorstellungen und bestimmt, wie wir leben und lieben. Die Akzeptanz queerer Beziehungen ist durchaus bemerkenswert, doch ob homo oder hetero – die Gesellschaft romantisiert weiterhin das Konstrukt einer Beziehung zu zweit.

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