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Verkehrte Welt

Wieso gibt es so viele freie Stellen?

Kaum Arbeitslose, viele offenen Stellen – trotz Teuerung und Energiekrise brummt die Schweizer Wirtschaft. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Text: Barbara Scherer

Die Arbeitslosenquote lag im Gesamtjahr 2022 mit 2,2 Prozent so niedrig wie seit über 20 Jahren nicht mehr. Wie geht das?

Eigentlich ganz einfach: Es gibt mehr Jobs. Denn die Schweizer Wirtschaft boomt. Dabei können weder der Ukraine-Krieg noch die Inflation diese positive Entwicklung nennenswert abbremsen. «Die Teuerung ist hierzulande sehr gering, darum kaufen die meisten Menschen weiterhin gleich viel ein, das kurbelt die Wirtschaft an», sagt Ökonom Yngve Abrahamsen von der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich. Der allgemein hohe Lebensstandard helfe dabei – es gebe gesamtschweizerisch nur wenig armutsbetroffene Menschen, die schon bei kleineren Preissteigerungen den Gürtel enger schnallen müssen. Elektromonteure werden neben Pflegefachkräften am meisten gesucht.

In welchen Branchen gibt es die meisten freien Stellen?

Per Mitte Dezember 2022 waren in der Schweiz über 250000 Stellen offen. Pflegefachkräfte und Elektromonteure werden dabei am meisten gesucht, wie eine Auswertung des Personalunternehmens X28 zeigt. «Die Pandemie hat das Gesundheitswesen stark strapaziert, darum haben viele Personen den Job gewechselt», so Abrahamsen. Unter Corona hat auch die Gastronomiebranche gelitten: Viele Serviceangestellte haben deshalb ihren Job an den Nagel gehängt oder sind zurück in ihr Heimatland gezogen.

Wo gibt es zurzeit am wenigsten Jobs?

Vor allem bei Zulieferern. Aufgrund der lange aufrechterhaltenen Coronaregeln in China wurden Lieferwege blockiert, weshalb nun viele Waren fehlen. Allgemein haben es zurzeit Exportunternehmen schwerer, sie stellen darum wohl eher weniger Personal ein», so der KOF-Ökonom. Aber auch die Baubranche schwächelt. Grund: die hohen Preise für Rohstoffe und die steigenden Zinsen. «Die Hypotheken sind daher teurer, das schwächt die Nachfrage nach neuen Immobilien.» Laut Personalvermittler Adecco werden wegen der Pandemie auch plötzlich weniger Führungskräfte gebraucht. Denn ohne Fachkräfte an der Basis braucht es auch keine Führungskräfte. Zudem sind durch Homeoffice geschäftliche Hierarchien abgeflacht.

Welche Lehrstellen sind dieses Jahr besonders gefragt und welche nicht so?

Spitzenreiter unter den beliebtesten Lehrstellen ist seit Jahren Kaufmann oder Kauffrau, wie das Lehrstellenportal Yousty.ch bestätigt. Auf dem zweiten Platz der gefragtesten Lehren landet dieses Jahr Informatikerin oder Informatiker. Auf wenig Nachfrage stossen unter anderen handwerkliche Lehrberufe wie Industriepolsterer, Unterlagsbodenbauerin oder Isolierspengler. Grund für das geringe Interesse sind laut Yousty.ch meist niedrige Löhne und unregelmässige Arbeitszeiten. Aber auch veraltete Berufsbilder wirken sich negativ aus. Es sei daher wichtig, dass sich Lehrbetriebe gut um die Lernenden kümmern und dass Karriereoptionen in solchen Berufen attraktiv sind.

Bleibt die Arbeitslosenquote auch in Zukunft tief?

Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) geht davon aus, dass die Arbeitslosenquote dieses Jahr nur leicht auf 2,3 Prozent ansteigen wird. Diese These unterstützt auch Yngve Abrahamsen. Denn die Wirtschaft dürfte weiter gut laufen. Die einzige Unsicherheit zurzeit sei der Ukraine-Krieg. Dieser habe die Schweizer Wirtschaft aber bisher kaum negativ beeinflusst. Auch die Inflation scheint hierzulande auf einem tiefen Niveau zu verharren.

Wie viele Jobs und Lehrstellen sind bei der Migros frei?

Bei der Migros sind zurzeit 1839 Stellen frei. Zusätzlich sind 988 Lehrstellen offen. Dabei trifft der Fachkräftemangel das Unternehmen in fast allen Berufsbildern, Funktionen, Hierarchiestufen und Regionen: Von Informatik über die Logistik bis hin zur Fleischtheke fehlt Personal. Betriebliche Einschränkungen mussten deshalb aber noch keine getroffen werden. Was macht die Migros, um trotzdem Mitarbeitende zu finden? Sie fördert gezielt die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben und setzt sich für die Weiterentwicklung der Mitarbeitenden ein, um diese auch langfristig engagieren zu können.

Bild: Getty Images

Welche Jobs werden zukünftig Roboter übernehmen?

Die fortschreitende Automatisierung und Digitalisierung bedroht vor allem Berufe, die repetitive Tätigkeiten beinhalten. «Diese werden immer öfter von Maschinen ausgeführt», so der KOF-Ökonom. Weil etwa Zahlungsabwicklungen inzwischen automatisiert getätigt werden, sind viele Sachbearbeitungsstellen in den vergangenen Jahren weggefallen. Auch körperlich schwere Arbeiten in der Baubranche könnten in Zukunft vermehrt durch Maschinen getätigt werden. «Neue Medikamente, etwa gegen Alzheimer, dürften zudem dazu führen, dass intensive Pflegefälle wegfallen und es irgendwann weniger Gesundheitspersonal braucht», so Yngve Abrahamsen.

Lehrstellen bei der Migros: migros.ch/berufsbildung Offene Stellen bei der Migros: migros.ch/jobs

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