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Demos gegen den Iran

Die Iranerin Mitra Romina Karimi (38) organisiert in der Schweiz Demos und Mahnwachen gegen das Mullah-Regime. Und hofft, ihre Verwandten damit nicht zu gefährden.

Aufgezeichnet von: Rahel Schmucki Bild: Milad Perego

Das Regime im Iran behält mich sicher im Auge

In meinem Pass steht der Name ‹Mitra›. Früher war das für mich einfach ein Name, denn alle nennen mich Romina. Aber der Tod von Mahsa Amini hat alles verändert. Die junge Kurdin wurde im September 2022 von der Sittenpolizei getötet, weil sie ihr Kopftuch nicht korrekt getragen hatte. Ihre Geschichte, die Bilder der trauernden Eltern und die darauffolgenden Proteste im Iran haben mich sehr mitgenommen. Da wurde mir wieder bewusst, welche Geschichte hinter meinem Namen steckt: ‹Mitra› war der Name einer 18jährigen Iranerin, die mit meiner Mutter eine Gefängniszelle teilte und wegen einer kleinen Geldspende an die Opposition vom iranischen Regime erschossen wurde. Sie bat meine Mutter, ihre erste Tochter nach ihr zu benennen.

Für mich war schnell klar, dass ich die Demonstrierenden im Iran von der Schweiz aus unterstützen will. Menschen werden noch immer festgenommen, gefoltert und zu langen Haftstrafen oder gar zum Tode verurteilt. Die Journalistin, die Mahsa Aminis Geschichte veröffentlicht hat, sitzt bis heute im Gefängnis. Es ist sehr wichtig, dass die Proteste, die Verhafteten und die zum Tod Verurteilten nicht in Vergessenheit geraten. Für mich ist das zu meinem neuen Lebensinhalt geworden. Mit anderen Iranern und Iranerinnen organisiere ich Demonstrationen, Mahnwachen, Lesungen und Kunstveranstaltungen in der Schweiz.

Auch wenn bei unseren Veranstaltungen in der Schweiz ‹nur› 2000 Menschen kommen, schaffen wir damit Aufmerksamkeit in der ganzen Welt. Am 7. Januar wurden im Iran zwei regimekritische Männer gehängt. An diesem Tag haben wir in Zürich eine Performance veranstaltet, um darauf aufmerksam zu machen. Die Bilder schafften es in die deutsche ‹Tagesschau›, die BBC News und gar die ‹Washington Post›. Überall wurde über die Hinrichtungen und den Aufstand berichtet, was den Menschen im Iran sehr hilft.

Ich bin damit aufgewachsen, dass man sich gegen Ungerechtigkeit wehrt. Meine Mutter hat als Rechtsanwältin gearbeitet, und das Regime hat sie überwacht und sie immer wieder ins Gefängnis gesteckt. Auch mein Vater setzte sich gegen das Regime ein und wurde politisch verfolgt. Als ich fünf war, floh er nach Konstanz (D) und erhielt Asyl.

Bis zum Alter von zehn Jahren wohnte ich mit meinen zwei Geschwistern bei der Mutter in Teheran. Als wir eines Abends nach Hause kamen, klebte ein Siegel über der Tür unserer Eigentumswohnung. Das Regime hatte die Wohnung versiegelt und all unsere Sachen konfisziert. Wir zogen in die Anwaltskanzlei, später wohnten wir bei Freunden im Keller. Dann entschied meine Mutter, dass wir Kinder den Iran verlassen sollten. Sie sagte: Weggehen ist schlimm, aber Bleiben

Mitra Romina Karimi (vorn) beim Protest auf dem Helvetiaplatz in Zürich am 7.Januar. Die Bilder haben es bis in die «Washington Post» geschafft.

schlimmer. Wir reisten, begleitet von meiner Grossmutter, nach Konstanz zum Vater. Meine Mutter wollte nachkommen. Bei der Ausreise erfuhr sie, dass sie den Iran nicht verlassen darf. Erst acht Jahre später durfte sie zu uns nach Deutschland kommen.

In der neuen Heimat konnte ich das Gymnasium besuchen und die neu gewonnene Freiheit als Mädchen geniessen. Ich musste kein Kopftuch mehr tragen, durfte in der Öffentlichkeit laut lachen und hatte einen Freund, der in einer Punkband spielte.

Aber es war auch ein Kulturschock. Seit der 1. Klasse wurde mir eingeredet, die Einschränkungen für Frauen seien zu meinem Besten. Das Kopftuch sei ein Schutz vor den bösen Blicken der Männer. Wenn man das so oft hört, glaubt man es. Ich fühlte mich sicher unter meinem Kopftuch. In Deutschland musste ich zwei Wochen nach der Ankunft zum Schwimmunterricht – zusammen mit Jungs. Ich fühlte mich in meinem Badeanzug so nackt und schämte mich. Daran musste ich mich erst gewöhnen. Später studierte ich in München Modedesign, vor zehn Jahren kam ich nach Zürich, um am Schauspielhaus als Kostümbildnerin zu arbeiten. Hier in der Schweiz habe ich viele Menschen aus dem Iran kennengelernt. Wir sind gut vernetzt, und viele kommen zu den Protesten oder setzen sich dafür ein. Viele haben Angst, dass sie vom iranischen Regime überwacht werden und ihren Verwandten zu Hause deswegen etwas passieren könnte. Deshalb kommunizieren wir hier nur über sichere Kanäle wie Signal. Es gibt aber auch ein paar Menschen in meinem Umfeld, die aus Angst ihre Meinung nicht äussern, nicht an Protesten teilnehmen. Oder solche, die sich auf die Seite des Regimes stellen. Ich kann das nicht verstehen, und es verletzt mich. Einige Beziehungen habe ich deswegen beendet.

Auch ich habe noch viele Verwandte und Bekannte im Iran. Ich denke aber nicht, dass ich sie mit meinem Engagement gefährde. Dafür bin ich zu wenig wichtig. Wenn ich mit den Menschen im Iran kommuniziere – falls sie mal eine Internetverbindung haben –, sprechen wir nicht über politische Dinge. Aus Sicherheitsgründen weiss ich von niemandem im Iran, wer sich an den Protesten beteiligt oder wer welche politische Meinung hat.

Das Regime im Iran behält mich sicher im Auge, weiss, wo ich wohne, und wird auch diesen Artikel lesen. Ich musste mir deshalb gut überlegen, ob ich mich in der Zeitung exponieren will. Spätestens jetzt kann ich nicht mehr in den Iran reisen, ohne eine Gefängnisstrafe zu riskieren. Aber ich hätte es mir nie verziehen, diese Chance zu verpassen, auf unsere Situation aufmerksam zu machen.

Das passiert im Iran

Seit die iranische Sittenpolizei am 16.September 2022 Mahsa Amini verhaftet und getötet hat, ist das Land in Aufruhr. Frauen schneiden sich öffentlich die Haare ab und gehen ohne Kopftuch auf die Strasse. Bei den Demonstrationen sind laut Amnesty International (AI) bis heute mindestens 200 Menschen gestorben, andere Quellen sprechen von über 500 Toten. Zwischen 15000 und 19000 Personen wurden festgenommen, gefoltert und in unfairen Prozessen vor Gericht gestellt. Mindestens 21 Menschen wurden laut AI zum Tode verurteilt, vier bereits gehängt. Die EU hat Sanktionen gegen mehrere iranische Personen und Organisationen verhängt. Die Schweiz hat diese bisher nicht übernommen.

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