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LEBEN, LIEBEN UND KOMPONIEREN
In ANDEREN
Sphären
Zwischen Romy-Preisverleihung, Weinviertel und „Zauberberg“ am Landestheater Niederösterreich: ein Gespräch mit dem musizierenden und komponierenden Ehepaar Clara Luzia und Catharina Priemer-Humpel über Glaube, Schicksal und Blasmusik.
Die Frage war nicht zwingend geplant. Die Überlegung war: Darf etwas so Privates gefragt werden, wenn das Interesse durch eine zufällige Information geweckt wurde? Clara
Priemer-Humpel war sich nicht ganz sicher, ob der Interviewtermin passte:
Ihre Frau sei im Schweigekloster und gerade nicht erreichbar, hatte sie gesagt.
Doch als wir Wochen später im lauschigen Garten des Café „Augustin“ sitzen, entfährt es mir, der Autorin dieser
Zeilen, wie ferngesteuert: „Wieso warst du im Schweigekloster?“ – „Ups“, sagte
Clara, als Catharina sie überrascht ansah. „Ups“, dachte ich, kämpfte gegen die
Schamröte und wollte schon die Frage zurücknehmen. Da zaubert sie aus einem unangenehmen Augenblick einen magischen Gesprächseinstieg …
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Catharina Priemer-Humpel: Das ist eine schöne Frage, mal abseits der Musik. Es war das zweite Mal, dass ich im Kapuzinerkloster Irdning war; was ich dort mache, nennt sich kontemplative Exerzitien. Es hat mich schon beim ersten Mal nachhaltig berührt. Es wird gesungen und gebetet, es gibt alle zwei Tage kleine Austauschrunden und die Möglichkeit für Begleitgespräche. Sonst ist es ruhig: Es wird nicht geredet, nicht gelesen, das Handy wird abgeschaltet, man ist auf die innere Einkehr gerichtet.
NIEDERÖSTERREICHERIN: Machst du das, um Kraft zu tanken?
Catharina: Es ist mehr. Ich glaube, bei mir steckt eine Sehnsucht nach Gott dahinter, zum Schweigen allein könnte ich in die Berge gehen.
Clara, wäre das auch etwas für dich?
Clara Luzia: Nein. So lange schweigen, kein Buch lesen, nicht schreiben dürfen wären große Hindernisse für mich. Auch das Katholische muss ich nicht haben. Ich finde es aber super, dass Cathi das macht.
Redet ihr über den Glauben betreffende Themen?
Clara: Ja. Das kann man nennen, wie man will. Mit Kirche hat das wenig zu tun, wir reden über das Leben.
Mit den großen Fragen des Menschseins beschäftigt sich Thomas Manns „Der Zauberberg“; ihr werdet damit im Landestheater Niederösterreich auf der Bühne stehen. Was dürfen wir darüber erfahren? (siehe auch S. 11)
Catharina: Das ist eine wunderbare Geschichte und ein sehr dickes Buch, aber Sara Ostertag gelingt es sehr gut, zur Essenz zu kommen.
Clara: Sie ist eine Wahnsinnsregisseurin! Sie hat sehr klare Vorstellungen und ist gleichzeitig so generös, dass sie auch das zulässt, was man ihr bringt. Den „Zauberberg“ destilliert sie auf eineinhalb Stunden; wichtig wird dabei die Gesamtstimmung; die Stimmung des drohenden Verfalls.
Was macht ihr bei der Produktion?
Catharina: Musik und Soundästhetik. Clara spielt Klavier, singt, hat für einzelne Figuren Motive mit Streichern
FAMILIE. Ehepaar Clara Luzia (li.) und Catharina Priemer-Humpel mit Hund Figl
Wenn ich Musik schreibe, fühle ich mich ident und verstehe die Welt ein bisschen.
Clara Luzia
KURZBIO
Clara Humpel wurde 1978 geboren und wuchs in Oberretzbach auf. 2006 gründet sie alias Clara Luzia das Plattenlabel „Asinella Records“; zuletzt erscheinen u. a. das bereits siebente Album „When I Take Your Hand“ (2018) und die EP „4+1“. Bemerkenswert: Sowohl das Ö3- als auch das FM4- und Ö1-Publikum lieben ihre Musik. Sie macht zudem Film- und Theatermusik; viele Preise säumen ihren Weg – wie kürzlich die Romy „Beste Filmmusik“ („Waren einmal Revoluzzer“). Schlagzeugerin Catharina Priemer wurde 1984 geboren, war u. a. Gründungsmitglied von „SheSays“ und trat mit dem namhaften Jazzmusiker Wolfgang Puschnig auf. Clara und Catharina heirateten 2014, spielen in Claras Band und bei „Familie Lässig“ (Bild) zusammen und intensivieren zuletzt ihre Kollaboration fürs Theater: 2021 schreiben und performen sie für „Alles was glänzt“ (Kosmos Theater), „Der Zauberberg“ (Landestheater St. Pölten) und „Konsum – Ein Musical“ (werkX Wien, Villach).
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programmiert, ich spiele Schlagzeug und Synthesizer; einiges haben wir gemeinsam komponiert und vorproduziert.
Wie geht es euch damit, dass ihr Privatleben und Beruf verknüpft?
Clara: Anfangs haben wir nur gemeinsam in meiner Band gespielt, dann kam „Familie Lässig“ dazu; die Theaterarbeit und das Produzieren vom Album ist jetzt die nächste Stufe („Familie Lässig“ ist ein Musikkabarett-Projekt u. a. mit Manuel Rubey und Gerald Votava. Das neue Album kommt im Dezember 2021.). Mittlerweile machen wir alles gemeinsam.
Catharina: Und das funktioniert! Ich hab‘ jetzt zwei Lieder angefangen, da waren Textfetzen, Melodien und Akkorde und Clara hat es sofort aufgefasst und weitergeschrieben.
Clara: Ich schreibe sonst immer allein, wir haben erst vor Kurzem gemerkt, wie gut wir das zusammen können.
Du wolltest eigentlich keine Beziehungen innerhalb deiner Band.
Clara: Mit Cathi ist alles möglich. Ich arbeite wahnsinnig gerne mit ihr.
Catharina: Wir ergänzen uns sehr gut, weil wir andere Dinge können. Clara kann Lieder und Texte schreiben, das passiert gar nicht verkopft, das ist eine Gabe. Dafür kann ich gut Dinge konkretisieren und arrangieren. Ihr seid seit 2013 ein Paar. Schicksal? Beide: Ja!
Clara: Cathi kam in den Probenraum, da hat‘s geknallt. Drei Monate später habe ich sie gefragt, ob wir heiraten. Ich hätte sie schon nach der ersten Woche fragen können, aber das wäre ein bisschen creepy gewesen (lacht).
Deinen Songs und deiner Biografie entnimmt man, dass du eine sensible, aber kritische Rebellin bist. Wieso so etwas „Traditionelles“ wie heiraten?
Clara: Ich war davor gegen das Heiraten, aber das zwischen uns war so groß, da musste eine große Geste her.
Wie ist das Eheleben?
Catharina: Sehr ruhig. Wir sind aufs Land gezogen, in die Nähe von Retz – mit Garten und Hühnern. Ich liebe es; wir haben eine irrsinnig nette Nachbarschaft und wir sind zur Blasmusik gegangen.
Wie kam das?
Clara: Irgendwann lag ein Flyer im Postkastl: Bläserklasse für Erwachsene, für Leute, die immer schon ein Instrument lernen wollten. Cathi wollte als Kind Trompete spielen; ich hab‘ gesagt: Das ist deine zweite Chance. Aber sie wollte zuerst nicht …
Catharina: Arbeit und so, keine Zeit.
Clara: Aber ich hab‘ mich angemeldet und bin hin. Da konnte man verschiedene Instrumente ausprobieren und wurde je nach Talent zugewiesen. So kam ich zum Horn. Ich hätte mir das nicht ausgesucht, jetzt liebe ich es! Cathi hat dann gesehen, wie mir das taugt …
Catharina: … und bin ein Jahr später dazugekommen und spiele Trompete!
Wie seid ihr aufgewachsen?
Clara: Mit zwei älteren Geschwistern, am Land … (überlegt) Unspektakulär und schön. Die Musik war immer präsent: Wir haben alle Instrumente gelernt und dann war da noch die riesige Plattensammlung im Haus meiner besten Freundin. Ich hab‘ schon in Freundebücher geschrieben, dass ich Popsängerin werde. Damals hab‘ ich noch nichts Großartiges dafür getan, aber mit der Pubertät und der Verzweiflung kamen dann die traurigen Lieder … (lacht)
Wurde die Musik dein Ziel?
Clara: Nein, Ziele formuliere ich nie. Es kommt so, wie es passt. Ich habe zu-
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Ich habe viel gezweifelt, aber heute fühle ich mich in der Musik sehr gut angekommen.
Catharina Priemer-Humpel
IM AUGUSTIN. Das schöne Café im 15. Wiener Gemeindebezirk gehörte Catharinas Großmutter.
erst Politikwissenschaft und eine Fächerkombi aus Frauenforschung und Zeitgeschichte studiert; das hat mir getaugt. Irgendwann wurde klar, dass es sich neben der Musik nicht ausgeht. Ich hab‘ das Studium kurz vor Ende geschmissen, dem trauere ich noch ein bisserl nach.
Catharina, du hast mit vier mit Schlagzeug begonnen. Woher kam das?
Catharina: Ich weiß es nicht, Schicksal. Meine Mama ist Ärztin, mein Papa und meine Großmutter, ihr gehörte dieses Lokal, kamen aus der Gastronomie; niemand hat ein Instrument gespielt. Aber wir haben viel Musik gehört: Klassik, Schlager, Pop, Rock, Jazz. Mir hat das Schlagzeug so viel Freude gemacht, ich hab‘ gespielt, gespielt, gespielt. Dann kamen die Schulband, eigene Bands und noch mehr Projekte. Eine Zeit lang habe ich Jazz studiert, aber ich habe mich in Konservatorien nie zu Hause gefühlt; ich habe nicht verstanden, dass man Musik wie Mathematik unterrichten kann. Für mich war Musik magisch; schon mit 16 haben wir als Jazztrio Miles Davis gecovert und ich hab‘ halbe Stunden soliert. Ich war zuerst Autodidaktin, später gab es auch sehr gute Lehrer, die mich positiv geprägt haben.
War der Weg zur Musik klar für dich?
Catharina: Nein. Ich hab‘ viel gezweifelt. Aber die Musik wurde mehr, mit Clara noch intensiver. Jetzt fühle ich mich sehr gut angekommen.
Man spürt, dass du auch dein Café sehr magst, wie schaffst du das?
Catharina: Die Liebe zur Gastronomie liegt in der Familie. Aber so wie ich früher gearbeitet habe, könnte ich nicht
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PREMIERE AM LANDESTHEATER
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Der Zauberberg. Thomas Manns „Menschheitsbuch“ zeigt das Landestheater St. Pölten in einer Koproduktion mit dem Grand Théâtre de la Ville de Luxembourg. Regie führt die vielfach ausgezeichnete Sara Ostertag, Clara Luzia und Catharina Priemer-Humpel machen Musik und Soundästhetik – und teilen die Bühne mit den Schauspielern Tim Breyvogel, Bettina Kerl, Laura Laufenberg, Tilman Rose, Michael Scherff und Jeanne Werner. „Der Zauberberg“ erzählt die Geschichte von Hans Castorp, der als Urlauber auf den Berghof kommt und zunehmend vom dortigen Sanatorium und seiner illustren Patientenschaft „inhaliert“ wird. Er lernt dort die Liebe kennen und die Eifersucht, intellektuelle Freiheit und die Schönheit der Natur, als die Vorboten des Ersten Weltkriegs anklopfen … Premiere: 30. September; Landestheater Niederösterreich, St. Pölten, Rathausplatz 11; landestheater.net
© Alexi Pelekanos mehr. Heute habe ich ein super Team, dafür bin ich dankbar.
Was bedeutet euch die Musik?
Clara: Wenn ich schreibe, ist das für mich fast der einzige Moment, in dem ich mich ident fühle, die Welt ein bisserl verstehe und ganz gut damit kann, dass ich da bin. Das Schöne an der Musik ist, dass sie alles gleichzeitig kann. Sie entspricht viel mehr dem menschlichen Gehirn als die Sprache allein: Du kannst gleichzeitig traurig und wütend sein. Das schafft nur die Kunst oder die Natur, aber die Musik am intensivsten. Wenn ich selbst Musik mache, noch dazu mit anderen und vor Publikum, entsteht eine Energie, die dich in Räusche und Sphären bringt, die es kaum woanders gibt.
Catharina: Die Musik kommt zu den Leuten, es kommt etwas zurück, es ist wie ein Schwingen – hin und her. Wenn ich schreibe, schalte ich mich aus, dann passiert etwas Größeres. Da sind wir bei den Erfahrungen im Kloster: Das Schöne ist dieser Moment, wenn ich mich zurücknehme und schaue, was kommt. Den spüre ich in der Musik ganz oft.
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