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MICHAEL LEHOFER „Leben vor dem Tod
„Die Welt zeigt uns, wie man jung bleibt“
Alter ist eine Illusion? Ein starkes Statement, mit dem uns Michael Lehofer in seinem neuesten Buch konfrontiert. Warum wir eine Angebergesellschaft sind, wie wir der Angst vor dem Altern die kalte Schulter zeigen und (endlich!) den Sinn des Lebens finden, erklärt uns der Grazer Professor im Talk.
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Interview: Anja Fuchs
Die Angstvor dem Altern scheintin unserer Gesellschaft allgegenwärtig. War diese Furcht immerschon so stark? Nein, ich denke, dass sie früher weniger groß war. Die durchschnittliche Anzahl an Lebensjahren war damals geringer, und ein hohes Alter zu erreichen, bedeute te einen großen Segen. Klar sind die Menschen immer schongernejunggewesen –aberderJugendkult, denwir heute haben, war sicherlich weniger ausgeprägt. Es istja einWiderspruch in sich: Alle wollen ein langes Leben haben, abergegen das Älterwerden sträubtman sich dann doch irgendwie. Ja, in unserer Gesellschaft haben die meisten kein Problem, bis sieinetwa30sind– da liegtdas Lebennochvor einem, manist noch in jederHinsichtattraktiv, es stehen einem noch alle Möglichkeiten offen. Fakt ist, dass sich diese Möglichkeiten im Laufe des Lebens einschränken. Irgendwann ist vieles schon entschieden, einige Themen sind passé. Mit spätestens 45 ist man oft in einer fixen Bindung, hat seine Beziehungen – verlässt man diese, ist das einerseits gewöhnlich mitvielemotionalemundökonomischem Aufwand verbunden. Andererseits erscheint es schwer, sich danach wieder etwas Neues aufzubauen. Altern schränkt uns vermeintlich in unserer Freiheit ein. Und, meine These lautet: Wir wollen jung bleiben, weil wir uns die Freiheit erhalten wollen. Die Freiheit kann aberniedieFreiheitvonMöglichkeitensein– dennhetzt man diesen hinterher, wird man abhängig vom Erhalten der Möglichkeiten. Die wahre große Freiheit ist für mich die Freiheit vor der Angst. Und die entsteht durch Lebenserfahrungen, durchs Durchwandern von Krisen,
Viel beschäftigt: univ.-Prof. DDr. Michael Lehofer ist ärztlicher Direktor des LKh Graz II und Leiter der Abteilungen für Psychiatrie und Psychotherapie. Der geborene Grazer ist nicht nur als Facharzt für Psychiatrie und Neurologie sowie als Psychotherapeut tätig, sondern auch Autor mehrerer Bücher, leidenschaftlicher Philosoph, Führungskräftecoach und des Weiteren Aufsichtsratspräsident des universalmuseums Joanneum.
durch die Erkenntnis, dass man auch danach wieder gut lebt. Derfreie Menschist einer, derverstandenhat: Viele Möglichkeiten zu haben, ist wunderbar – aber ich brau che sienichtunbedingt. Oft sehntmanjagerade das herbei, was man nicht hat. Dabei ist es weit schlauer, die Möglichkeiten zu nutzen, die einem zur Verfügung stehen. Und selbst, wenn einem etwas genommen wird, ergeben sich dadurch wieder andere Möglichkeiten. Wir verbringen viel zu viel Zeit damit, Möglichkeiten zu rekonstruieren, die uns verloren gegangen sind. Sind dieAngstvor dem Älterwerden unddie damitverbundene Vermeidungstaktikinklusive Selbstoptimierung, Schönheits-OPs undCo. nichtauch ein wenig Prestigesache? Definitiv. Wirsindsowiesoeine Angebergesellschaft.Angeberei istaus meinerSichtmittlerweilezurgesellschaftlichenNorm geworden.Was ichehrlich gesagt sehr bedaure, denn sie ist ja etwas, das den anderen herabwürdigt. ImVergleich zu meinenMitmenschenzeigeich ihnendamit, dass ichbesserbin.Angeberei istetwas Liebloses,das heißt, siezeugt vonmangelndemMitgefühl. Sieist unnobel, armselig und scheint trotzdem vollkommen akzeptiert. Angeber werdeninunsererGesellschaft ofteherbewundert, als dass man Mitleid mit ihnen hätte. Dabei ist esjaso: Jemand, derwirklich kompetentist, derSubstanz hat, muss nicht angeben. Wer etwa ein gutes Leben geführt hat mit einer gewissen Selbstdisziplin und Geistigkeit dahinter, schaut auch noch mit 70 gut aus. Das hingegen wird niemand als Angeberei ansehen. Hatten Sie selbsteinmal Probleme damit, Ihreigenes Älterwerden zu akzeptieren? Nein, das hatte ich nie. Aber ich muss natürlich auch sagen, ich war im Wesentlichen immer gesund und hatte bzw. habe ein sehr engagiertes Berufsleben. Ebenso ein Privatleben, das mich immersehrgefordert hat. Dadurch habe ich mich gar nie so intensiv mit dem Älterwerden befasst. Ich war stets mit dem Leben beschäftigt, nicht mitdem Alter. So sehe ich mich.
Sie spüren in Ihrem Buch derFrage nach, wie real das Alterwirklich ist, undbehaupten, es seiIllusion. Warum? Altern,nichtdas Alterals solches isteineIllusion.DieVorstellungdes Altersist eine Illusion– weil dasWesen desAlters ist, dass manversucht, sich selbst am Lebenzuerhalten.Der jungeMenschversucht, durchdieBegegnung mit der Welt ständig neu zu werden. Was einen jungen Menschen auszeichnet, ist sein Interesse an der Welt. Wer Interesse an derWelthat undsich durchdieWeltverändern lässt, kann ein Leben lang dem Wesen nach jung bleiben. Viele halten aber lieber an vorgefertigten Ideen, Vorstellungen und Meinungen fest. Sagen sich: „Jetzt bin ich 50, jetztsteht mirnichtmehrsoviel ZeitzurVerfügung, also mache ich nur mehr das, was wirklich Sinn ergibt.“ Eine exklusive Le bensweise – man konzentriert sich ausschließlich aufdas, was
Das Buch man schon kennt, schafft sich
Alter ist Michael eine Illusion Lehofer eine wied Id er entität selbst , die sich immer bestätigt. Das ist 192 Seiten, Verlag alt. Besser wäre,stattdessen im
Gräfe und Unzer mer wieder etwas zu tun, was gu.de man noch nichtkennt. Ein Satz in derEinleitung Ihres Buches lautet: „Wirleben in eineruralten Welt– die sich doch modern, hip undjung gibt undimmer wieder Neues hervorbringt.“ Ja, denn eigentlich zeigt uns die Welt doch ganz klar vor, wie manjungbleibt. Sieist ständiginVeränderung, bringt Neues hervor. Auch wir sind der Geburt in uns ständig verpflichtet. Es gibt Menschen, die sind mit 80, 90 noch so interessiert an der Welt, daran, zu lernen und sich zu entwickeln. Die wirken nichtalt. Mitsteigendem Alter wächst oftauch dieAngstvor demTod. Keine gutenVoraussetzungen, um entspannt zu altern. Die Furcht vor dem Tod kommt daher, dass wir gerne le ben. Wenn man jungist, hat man ja normalerweise nicht viel Angst davor – da erlebt man ihn ja noch nicht so nahe. Je älter man wird, desto mehr wächst gewöhnlich die Angst. Die beste Möglichkeit, sie indenGriff zu kriegen, ist, sich einer gewissen Polarität des eigenen Seins klar zu werden: Einerseits sind wir sterblich, andererseits ahnen die meisten, dass es etwas gibt, das über dieses Sterbliche hinausgeht. Eine andere Möglichkeit ist, die Lebendigkeit im jetzigen Leben vollends auszuloten. Wenn mich jemand fragt, ob es ein Leben nach dem Tod gibt, antworte ich gerne ausweichend: Vorerst glaube ich an ein Leben vor dem Tod.
Sichern Sie sich Ihr Sie sagen auch:Wenn derMensch sein Leben nicht im Griffhat, isterlebendig. Stichwortentspannte Leidenschaftlichkeit– alles andere kostet Lebendigkeit. Wennmandas Lebenwirklich berührt, dann fühltessich lebendig an. Das Theater liefert uns das beste Beispiel. Theaterdramatiker schreiben ja nie ein Stück über ein Leben, das wie ein ruhiger Fluss dahinfließt. Stattdessen gehtes auf derBühne meistumMenschen, die ihrLeben gerade nicht im Griff haben. Weil genau das das ist, was uns interessiert, was uns bewegt. Viele wünschen sich ja, beim Älterwerden endlich den Sinn des Lebens zu finden. Wie findetman diesen? DieFragenach demSinndes Lebens wird janie vonMenschengestellt, diebereits sinnlich mitdemLeben verbundensind. WeilderSinndes Lebens ganzeinfach ist, sinnlich zu leben. Alsovollends mitallenSinnenmitderWelt in Berührung zu stehen. Das mag für viele erst einmal egoistisch klingen – dabei ist genau das Gegenteil der Fall. Wer sinnlich lebt, steht in Beziehung mit sich selbst, ist mit sich und auch mit anderen „Wir wollen uns die Freiheit verbunden und spürt so der Jugend auch Nöte. deren Leiden und erhalten. Deshalb verbringen wir zu Wie siehtes denn mitder viel Zeit damit, Weisheitaus – wirdman automatisch weiser, je mehr Jahre man aufdem Möglichkeiten zu rekonstruieren, Buckel hat? die uns verloren Nein.Weisheitist einRegegangen sind, sultat dessen, seine Krisen hat. Viele Men dass man bewältigt schen bestatt die Möglichkeiten des Jetzt wältigenihre Krisen aber zu nützen.“ nicht, sondern existieren in ständiger VergegenMichael Lehofer wärtigung ihrer Verletzungen. Soll heißen: Sie leben in ständigem Bedauern darüber, dass sie verletzt worden sind. So gesehen sind leider wenige weise, sondern einfach nur verbittert. Natürlich sind Betrauern und Verzweiflung während einer Krise normal und auch notwendig – irgendwann wird aber dasThemaEigenverantwortungwichtig. Sprich,was mache ich aus dieser Situation, was habe ich daraus gelernt, wie geht es nun weiter? Denken Sie, dass es irgendwann einmal einen Gegentrend zum Jugendkultgeben wird?Was wäre notwendig, damit sich unsere Haltung zum ThemaAlterändert? Ich denke schon, dass es einen Gegentrend geben wird und dass sich die Menschen irgendwann von sinnfreien Normenlösen, die unsererGesellschaft anhaften. Das ist ja alles nicht neu–auch früher in der bürgerlichen Gesellschaft gabesimpliziteNormen,diebesagten,was man tun darf und was eben nicht. Meine Hoffnung ist, dass sich dieMenschheitirgendwannvondiesen Vorgaben befreit, jeder Einzelne zu seiner Individualität stehen kann undsich traut, Ja zu sich selbst zu sagen. Denngenau darum geht es im Leben.