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AJIRI AKI Gründerin von Madame de la Maison
Das Leben ist ein Fest und ein Vermächtnis
AJIRI AKI
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G R Ü N D E R I N V O N M A D A M E D E L A M A I S O N
ZUERST SEHE ICH DIE SCHUHE von Ajiri Aki. Abgetragene braune Sandalen mit bunten Riemchen über den Zehen. Sie lehnt sich gerade über den Tresen, um ihren Kaffee zu bezahlen. Diese große Frau trägt ihr Haar hochgesteckt, sodass der Nacken frei bleibt, und dicke Ringe, die ihre schlanken Finger noch länger aussehen lassen. Sie sitzt neben mir und schaut auf ihr Note book und ich frage mich, woran sie wohl gerade arbeitet. Ich will gerade das Eis brechen und ihr ei ne Frage zu ihren Sandalen stellen, als sie mich anspricht und wir schnell in eines dieser leichten Gespräche geraten, die ich am Großstadtleben und den unverhofften Kontakten in Cafés so liebe. Ich erfahre, dass sie Texanerin ist, im 11. Arrondissement lebt, Autorin des New York Times-Best sellers Where’s Karl?, Mu tter und stolze ehemalige New Yorkerin ist. Im Laufe der Zeit finde ich heraus, dass sie eine Frau mit vielen interessanten Geschichten über Hoffnung und Durchhalte
vermögen ist.
Unter den bedrohlichen Wolken eines heranziehenden Gewitters über Paris wechseln wir in
die Bar des Hoxton-Hotels. Hier wollen wir an einem unerträglich heißen Abend Ende Juli bei einem Apéritif über ihr Leben sprechen. Ihr Mann passt zu Hause auf die Kinder Noomi und Baz auf, sodass wir ein paar Stunden Zeit haben, die Puzzleteile des jungen Mädchens Ajiri in Nigeria und der Unternehmerin Ajiri Aki in Paris zusammenzusetzen.
Aki lebte bis zu ihrem fünften Lebensjahr in Nigeria. Danach zog sie mit ihrer Mutter, deren Werte sie heute in ihrem Unternehmen fortträgt, in die USA zu ihrem Vater, der gerade seinen Doktor in Wirtschaftswissenschaften gemacht hatte. »Familien aus Nigeria wandern in das Land aus, in dem sie die besten Ausbildungs- und Arbeitschancen haben; sie gehen also nicht unbe dingt dorthin, wo sie die meisten Nigerianer treffen«, erklärt sie mir. Ihr Weg führte sie nach A u stin, Texas, wo sie eines von nur vier schwarzen Mädchen in der Schule war und immer um die Anerkennung ihre Identität kämpfen musste. Die Familie sah sich selbst als Afrikaner in Amerika, also nicht als afrikanische Amerikaner – ein wichtiger Unterschied, der sie täglich begleitete. Die
Unterschiede dieser beiden Kulturen waren wie tiefe Gräben. »In der Schule versuchte ich, mich
an die amerikanischen Mädchen anzupassen, und wenn ich nach Hause kam, stand meine Mutter am Herd, kochte nigerianisches Essen und sang amerikanische Popsongs – s ie hatte wirklich einen außergewöhnlichen Charakter. Aber erst heute kann ich das wertschätzen«, räumt sie ein.
Aki unterteilt ihr Leben in die Zeit vor und die Zeit nach dem Tod ihrer Mutter. Bis zu ihrem
zwölften Lebensjahr war sie der Typ Anführerin. Sie wurde Mitglied der African Christian Fellow ship (Afrikanischen Christlichen Gemeinde), wo sie sich jeden Samstag mit anderen Afrikanern tr af. Sie gründete Little African Voices (Kleine Stimmen Afrikas), eine Gruppe, für die sie Tänze choreografierte und aufführte und eigene Kostüme schneiderte – ganz im Sinne ihrer Mutter. Sie hatte großartige Ideen, eine grenzenlose Fantasie und sie liebte Glanz und Glamour. Mit all dem war sie genauso wie ihre Mutter – immer inspiriert und umgeben von Show und Spektakel. Als ihre Mutter 1999 an einer Herzinsuffizienz starb, legte sich ein schwarzer Nebel über ihr Leben. »Eines Tages wurde sie krank und sechs Monate später war sie tot. Das war hart. Die Ajiri, die zurückblieb, hatte Angst, dass ihre Kultur auch sterben würde«, erzählt sie. Ihr Vater hatte kein Interesse, die eigene Kultur zu pflegen.
Wie enttäuscht war sie, als ihr Vater schnell wieder heiratete und sich von der Familie
abwandte. Als sie sechzehn war, bat sie den Vater ihrer besten Freundin, ihr Vormund zu werden,
und suchte Unterstützung bei den Sportlehrern in ihrer Schule. »Die Leichtathletik hat mich emo tional gerettet«, erinnert sie sich. Der unerwartete und schmerzliche Verlust ihrer Mutter weckte b i sher ungekannte Überlebensinstinkte in ihr. »Nach ihrem Tod musste ich immer stark sein. Auf meinen Vater konnte ich ja nicht zählen. Der Kampf um mein alltägliches Leben wurde für mich zum Dauerthema«, fügt sie hinzu. Aber dank der unglaublichen Großzügigkeit bestimmter Frauen konnte sie ihr Leben immer im Griff behalten. »In meinem Leben hat es einige weibliche Engel gegeben, die mir immer dann zur Seite standen, wenn ich meine Mutter am meisten vermisst habe«, erzählt sie mit immer noch ungläubigen Staunen.
So hat Tante Louise, die kaum genug für ihren eigenen Lebensunterhalt verdiente, für Akis Platz an der Universität bezahlt, weil sie wollte, dass das Mädchen ein besseres Leben führt. Dr.
Sally Fortenberry gab Aki, obwohl sie sie kaum kannte, einen Kredit, als diese sich ihr Studium nach dem ersten Semester nicht mehr leisten konnte, und Shannon vom Costume Institute (Mode-Institut) half ihr bei einer Forschungsarbeit als Antrag zur Aufnahme am Bard College, wo sie ihren Master absolvieren wollte (sie wurde angenommen und erhielt ein Vollstipendium). Und dann gab es noch Phyllis vom Museum of the City of New York, die ihr beibrachte, wie Objekte konserviert werden, und damit eine Stelle als stellvertretende Kuratorin ermöglichte, noch bevor sie über einen Abschluss verfügte.
Die junge Aki Ajiri wurde wieder zum Leben erweckt, als sie Modegeschichte und Kunst gewerbe studierte. Mit ihrem Studium kam sie nach Paris, wo sie in den ersten drei Monaten ih re Kenntnisse in Materialkunde verbesserte und sich ein enzyklopädisches Wissen über den
»In Frankreich hatte ich nicht das Gefühl, dass alles möglich ist, aber ich habe gegen alle Widerstände gekämpft. Und auch meinen Kindern möchte ich beibringen, dass keine Hürde unüberwindbar ist.«
Modeschöpfer Jean Patou, den Konkurrenten von Coco Chanel, aneignete. Das nächste Jahr verbrachte sie in Paris und New York mit Studien der Archivare des Musée des Arts Décoratifs und
de s Palais Galliera. Aber als sie mit dem Abschluss in der Tasche wieder nach Hause zurückkehrte
und erkannte, dass Jobs im Modebereich nur spärlich gesät waren, traf sie diese Erkenntnis wie ein Schlag. »Ich hatte doch Mode studiert und dachte, dass ich damit etwas anfangen könnte. Doch das war ein ganz abgeschotteter Bereich«, erinnert sie sich. So nahm sie wieder Kontakt zu Bekannten aus der Modewelt auf und gründet eine Agentur für Modevideoproduktionen in New York City. Zu dieser Zeit lernte Sie Thomas kennen, einen schweizerdeutschen Filmproduzenten, der in Paris lebte. »Ich hatte mir geschworen, diesen Typen näher kennenzulernen«, scherzt sie.
Die beiden heirateten 2011 und zogen nach Paris, von wo aus sie ihr Unternehmen – ihr Lebenswerk – so lange wie möglich weiterführte. Aber mit der Geburt ihrer Tochter haben sich die Kontakte verändert und natürlich auch die Arbeit. Aki wurde in Paris »sesshaft« und gründete damit einen neuen Lebensmittelpunkt. »Bei mir war es anders als bei meiner Mutter, als diese nach Amerika zog. Sie hat sofort Freunde und Gleichgesinnte gefunden. Aber meine Familie war nicht in der Nähe und ich hatte auch kein Netzwerk. Als ich mit Noomi schwanger war, war ich sehr einsam«, erinnert sie sich. So stürzte sie sich in die Arbeit an dem Buch Where’s Karl?, bei
dem sie ihr Freund und Ko-Autor Stacey Caldwell unterstützte. Aber erst einige Jahre später nach Geburt ihres Sohnes erkannte sie, dass ihre Arbeit »Sinn« macht. Und damit zeigte sich wieder, wie ähnlich sie ihrer Mutter ist.
Als sie sich mit Freunden an einem Wochenende in einem Landhaus über Zukunftspläne unterhielt, wurde die Idee zu Madame de la Maison geboren, ihrer Boutique für antikes Tischge schirr und Leinentischwaren. »Ich erzählte, wie sehr ich Antiquitäten und Deko im Allgemeinen ma g. Es macht mich glücklich und so überlegte ich, ob ich nicht einfach damit meinen Lebensunterhalt verdienen könnte.« Sie liebt es einfach, etwas mithilfe von Objekten, die sie über Jahre ge sammelt hat, in Szene zu setzen, eine Geschichte dazu zu kreieren und ein Gespür für einen Ort zu entwickeln. So vergeudete sie keine Zeit und gründete ihr Geschäft. »Ich wusste, dass dieses Projekt vielversprechend war. So habe ich sofort ein richtiges Geschäft gegründet, habe also nicht erst rumprobiert oder es als Hobby gesehen. Ich wollte gleich von Anfang an nach Erfolg streben«, erklärt sie. Sie produziert nicht nur ihre eigene Kollektion mit Leinenservietten und -tischtüchern,
sondern verkauft und vermietet auch ihre Fundstücke von Antikmärkten und Hofverkäufen in
ganz Frankreich, angefangen bei festlichen, silbernen Vorlegelöffeln bis zu Suppenterrinen aus Eisensteinporzellan.
Heute gehört sie zu der neuen Generation von Antiquaren, die Traditionen mithilfe von Objekten wieder aufleben lassen, die eine Geschichte erzählen. Sie sieht sich selbst als kulturelle Br ückenbauerin: Sie gräbt die Schätze der französischen Kultur aus, poliert sie wieder auf und schenkt ihnen ein neues Zuhause. Und sie hofft, eine Quelle der Inspiration für andere Frauen zu sein, insbesondere für Frauen aus dem Ausland, die in Paris leben und ein Geschäft gründen möchten. »Es ist hart und anstrengend und manchmal muss man auch sein Kind unter dem Arm zur Arbeit mitnehmen, aber es ist möglich.«
Beim Verlassen des Hotels frage ich sie, was sie außer der sichtbaren Schönheit und der Geschichte am meisten an den Stücken liebt, die sie im ganzen Land findet. »Sie sind ein Symbol dafür, dass Familie und Freunde zusammenkommen und ein Wir-Gefühl haben«, antwortet sie.
»Die Menschen benutzen die Dinge, die ihnen Freude bringen, viel zu selten. So auch meine Mutter, die gestorben ist, bevor sie das Leben genießen konnte. Ich verstaue meine Lieblingsdinge nicht im Schrank – ich benutze sie. Mit ihnen feiere ich mein Leben«.
Zuhause in Paris
DEIN VON EINER FRAU GEFÜHRTES LIEBLINGSGESCHÄFT?
Racine Paris, ein sehr schönes Blumengeschäft (siehe oben). Als ich bei meiner Geschäftsgründung zeigen musste, was ich kann, hat mich die Inhaberin mit grandiosen Trockensträußen versorgt. Das war sehr hilfreich und gab mir das Gefühl der Solidarität unter Unternehmerinnen.
DEIN LIEBLINGSSTADTTEIL?
Das 11. Arrondissement. In diesem Teil der Stadt ist so viel los und ich freue mich, dass er mit all den Menschen, die hier Geschäfte gründen, so wächst und sich entwickelt.
WO GEHST DU GERN MIT DEN KINDERN HIN?
In das SUPER Café im 20. Arrondissement. Hier gibt es eine große Terrasse aus Kopfsteinpflaster, viele Spielplätze für Kinder und ein bequemes Café (und einen Coworking-Space!) für die Erwachsenen.