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ANNE RAVANONA Gründerin von Global Invest Her

Mentorin und Kreditberaterin für Unternehmerinnen auf der ganzen Welt

ANNE RAVANONA

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G R Ü N D E R I N U N D G E S C H Ä F T S F Ü H R E R I N V O N G L O B A L I N V E S T H E R

DIE KURZVERSION der Karriere von Anne Ravanona zwischen Dublin und Paris lautet wie

folgt: Als frühreife, mehrsprachige junge Frau baute sie direkt nach ihrem Studium die französische Tochtergesellschaft eines irischen Unternehmens für pharmazeutische Etikettierungen au f und leitete diese Firma. Ihre scharfer Geschäftssinn und ihre unerschütterliche Beharrlich

keit führten sie auf eine zwanzigjährige Karriere, in der sie für Start-ups und Unternehmen der Fo rtune-500-Liste mehrere Millionen mit neuen Geschäften generierte, betriebliche Abläufe überwachte und kulturelle Transformationen begleitete. 2013 gründete sie Global Invest Her, die erste On line-Plattform und Community, die exklusiv junge Unternehmerinnen in der Startphase dabei unterstützt, Finanzierungen zu finden und mit Investoren zu verhandeln.

Bei unserem Treffen erzählt sie mir die lange Fassung ihrer Entwicklung und erklärt, warum sie sich dafür einsetzt, Finanzierungslücken zu schließen.

Du hast erfolgreiche Jobs mit großer Verantwortung aufgegeben, um dein eigenes Geschäft zu gründen. Welcher Stein hat diese Idee ins Rollen gebracht? Ich war sechs Jahre lang stellvertretende Direktorin für globale Geschäftsentwicklung bei The Oxford Group, einem Schulungsunternehmen für Manager, und habe ein sechsstelliges Gehalt verdient. Das hat mir viel Spaß gemacht. Aber in dieser Zeit ist mein Bruder unter ziemlich dra matischen Bedingungen verstorben und ich habe mir eine Auszeit genommen. Kurz nachdem ich ins Büro zurückgekommen war, hatte ich einen schweren Unfall und konnte wieder acht Monate nicht arbeiten. So hatte ich wirklich viel Zeit, darüber nachzudenken, ob ich das tue, was ich wirklich möchte. Ich fing an, zu bloggen und neue Fähigkeiten zu erwerben. Schließlich verhandelte ich meinen Ausstieg aus der Firma und hatte so das Startgeld für mein eigenes Unternehmen zusammen. Ich wollte für ein wichtiges Problem eine Lösung finden und wusste, dass ich international tätig sein wollte und dass es mit Frauen und Führungspositionen zu tun haben sollte. In einem V ortrag einer Unternehmerin aus London hörte ich, dass ihre größte Herausforderung in der Finanzierung lag. Soll das etwa heißen, dass es für Frauen schwerer ist, Geld für ihr Unternehmen aufzutreiben? Ich untersuchte den Unterschied in den Finanzierungsmöglichkeiten für Männer und Frauen, den die IFC (ein Tochterunternehmen des Weltbank-Konzerns) weltweit auf etwa

300 Milliarden US-Dollar schätzt. Nur 2 Prozent des Risikokapitals gehen an Frauen, vor ein paar Jahren waren es noch 5 Prozent. Damit hatte ich ein Problem, für das ich eine Lösung finden wollte.

Welchen Grund hat dieser Unterschied in den Finanzierungsmöglichkeiten? Der Hauptgrund ist ein unbewusstes Vorurteil männlicher Investoren, das auf den bekannten Geschlechterstereotypen basiert: Frauen können keine Verpflichtungen eingehen, wenn sie heiraten und Kinder haben möchten. Diese Männer denken, dass Frauen eine Risikoinvestition sind, vielleicht auch, weil es so wenige Unternehmerinnen gibt, die Erfolg haben. Viele Investoren sind gewöhnt, in das Bekannte zu investieren: weiße, männliche Unternehmer mit einem ähn lichen Hintergrund wie sie selbst. Und damit entsteht ein ewig wiederkehrender Kreislauf. Diese De nkweise wird schon von Kindesbeinen an gelernt und daher greifen sowohl Männer als auch Frauen darauf zurück, ohne es zu bemerken. Tatsächlich erwirtschaften laut Forschungsergebnissen weibliche Gründer mit einem Drittel weniger Kapital eine höhere Kapitalrendite als männliche Gr ü nder, weil sie ihr Unternehmen besser verwalten.

Ist das auch eine Frage des Selbstverständnisses von Frauen? Definitiv. Es gibt das Vorurteil in den Köpfen der Investoren und in den Köpfen der weiblichen Gründer selbst. Sie sind kaum davon zu überzeugen, dass sie um das Geld bitten könnten, das ihnen zusteht. Häufig unterschätzen Frauen ihren Finanzierungsbedarf und ihre finanziellen Prognosen um mindestens 50 Prozent, während Männer sie tendenziell überschätzen.

Das hört sich nach dem gleichen Szenario an, bei dem Frauen um eine Gehaltserhöhung bitten oder um ihr Anfangsgehalt verhandeln. Richtig. Ich möchte, dass Firmengründerinnen wissen, dass es Werkzeuge und Tricks gibt, und wir können ihr Selbstvertrauen stärken, indem wir sie wissen lassen, dass sie nicht allein sind. Es gibt eine Community von Frauen, die mit diesem Thema Erfahrung haben.

Bevor du deine Plattform Global Invest Her mit Werkzeugen, Finanzierungs-Roadmaps und maß geschneiderten Mentorenprogrammen gestartet hast, hast du mehr als einhundert Frauen interviewt. Was war der Grund dafür? Wie haben diese Gespräche deine Vision beeinflusst? Seit ich mit acht Jahren ein Buch über Jeanne d’Arc gelesen haben, bin ich gierig nach Geschichten von weiblichen Führungskräften. Hier sah ich die Möglichkeit, selbst Geschichten zu s a mmeln, und zwar nicht wegen der Geschichten selbst, sondern um praktische Quellen für andere Frauen zusammenzutragen. Ich habe nach den Finanzierungserfahrungen der Frauen gefragt, die bisher noch nie erfasst worden sind. Es waren Frauen, die zwischen 500.000 und 200 M illionen US-Dollar aufgenommen haben und für mich war die Frage nach dem Wie wichtig: Wie ist es ihnen gelungen? Welche Herausforderungen mussten sie bewältigen? Wenn ich mich an

einige der ersten Interviewpartnerinnen erinnere, habe ich einige Gewinnerinnen erkannt, bevor sie richtig aufgeblüht waren. Einige davon haben zwischen 50 und 100 M illionen US-Dollar oder mehr eingeworben. Aber fast alle hätten sich gewünscht, die Vorstellungen der Investoren besser zu kennen. Daher ist meine Plattform teilweise von dem Feedback dieser Frauen inspiriert und hat das Ziel, Gründerinnen Werkzeuge an die Hand zu geben und den Zugang zu vorbildlichen Inves toren zu ermöglichen, damit sie sich selbstbewusst vorbereiten können.

Lo bbyarbeit macht einen großen Teil deiner Arbeit aus – d u hältst auf der ganzen Welt Vorträge. Welche Schlüsselbotschaften bringst du von diesen Reisen mit? Ich halte Vorträge auf der ganzen Welt, um das Bewusstsein der Investoren für die Herausforde rungen von weiblichen Firmengründern zu wecken. Ich möchte auf die bestehenden Vorurteile und di e großen, oft verpassten Investitionschancen aufmerksam machen. Das alles untermauere ich mit Daten. Aber mit diesen Vorträgen möchte ich auch mehr Frauen ermutigen, Investoren zu werden, denn dieser Aspekt ist ein weiterer Teil im Gesamtpuzzle. Viel zu viele Frauen denken, sie können keine Investorinnen sein, aber das ist falsch! Wir können investieren und zwar durch die Macht unseres Geldes und sei es nur, indem wir bestimmte Produkte oder Dienstleistungen kaufen, die von weiblichen Gründern produziert werden. Wir benötigen mehr Investorinnen sowohl auf Verbraucherebene als auch auf professioneller Ebene, die sozusagen als Geschäftsengel fungieren. Derzeit sind nur 8 Prozent der Risikokapitalgeber Frauen – e in unbewusstes Vorurteil, dass nur über Bildung und mehr involvierte Frauen abgebaut werden kann.

Es hört sich so an, als ob wir für die Lösung dieses Problems viele Anne Ravanovas brauchen! Meine Mission wird für den Rest meines Lebens sein, diese Lücke in den Finanzierungsmöglich keiten zu schließen. Aber es stimmt: Ich allein kann nur wenig bewegen. Wir müssen die Grundeinstellung der Menschen ändern und das ist eine langfristige Aufgabe, die mehrere Generationen üb erdauern wird. Wir müssen Vorbilder, mehr Investorinnen und erfolgreiche Gründerinnen sichtbarer machen, damit Investoren auf sie aufmerksam werden. Ich plane, eine neue Form der Finanzierung für Gründerinnen zu entwickeln. So wie der bengalische Wirtschaftswissenschaftler Muhammad Yunus Mikrokredite für Frauen in Entwicklungsländern und aufsteigenden Märkten vergibt, damit diese ein eigenes Geschäft aufbauen können, möchte ich ein neues Verfahren für das derzeit sehr gestörte Finanzierungssystem entwickeln. Die Regeln dieses System wurden vor fünfzig Jahren von einem Club alter Männer im Silicon Valley festgelegt. Wenn man bedenkt, dass die weltweite Bevölkerung zu 51 Prozent aus Frauen besteht, ist es wirklich Zeit für neue Regeln. Wir haben die Macht, das Zepter in die Hand zu nehmen.

Deine Karriere in Paris als Start-up-Knotenpunkt hat sich perfekt entwickelt. Würdest du sagen, dass die Stadt ein Treffpunkt sein könnte, an dem alle diese Ideen zusammengeführt werden?

Ich denke, Paris kann zur führenden Innovationsstadt für alle Bereiche werden. Seitdem ich mein Unternehmen gegründet habe, hat die Stadt zum Beispiel Station F aufgebaut und wir haben einen Präsidenten, der Reformen durchgesetzt hat, mit denen mehr unternehmerische Aktivitäten gefördert werden, es gibt eine Menge Coworking-Spaces, und wir haben besseren Zugang zu Stipendien u n d anderen finanziellen Quellen. Es gibt einen Pool an internationalen Forschern, Ingenieuren und Entwicklern und ein unvergleichliches Kulturangebot, das junge Menschen und intelligente Köpfe nährt. Paris ist attraktiver geworden. In Frankreich werden jedes Jahr ungefähr 30 Prozent der neuen Start-ups von Frauen gegründet, damit liegen wir an der Spitze.

Gibt es Unterschiede darin, wie französische Unternehmerinnen ihr Geschäft führen? Für den Erfolg als Unternehmerin braucht man Durchhaltevermögen, eine Vision, Führungsquali täten, Organisationstalent und Motivation. Alle erfolgreichen Firmengründerinnen müssen über di ese Eigenschaften verfügen – in Frankreich und anderswo. Amerikanische Gründerinnen haben oft mehr Selbstvertrauen, weil sie es von Kindesbeinen an beigebracht bekommen. Die Kinder müssen in den USA zum Beispiel öfter Vorträge vor der ganzen Klasse halten. So bekommen schon kleine Mädchen diesen Pioniergeist eingeimpft, der ihnen als Firmengründerin dann zugute kommt. Die französischen Gründerinnen haben dieses (gelernte) Selbstvertrauen zwar auch, aber sie haben Angst, ihr Geschäft in Englisch zu führen, obwohl sie für ein gutes Wachstum global denken müssten. Selbstvertrauen und gute Englischkenntnisse sind zwei große Hindernisse, die französische Unternehmerinnen überwinden müssen.

Du bezeichnest dich selbst als Feministin und erziehst deinen Sohn und deine Tochter zu den gleichen Werten. Wie bringst du ihnen nahe, worum es in diesem Kampf geht? Ich versuche ihnen zu vermitteln, dass es um Chancengleichheit und Respekt geht. Es geht nicht darum, dass Frauen weniger Gehalt bekommen oder bei einer Beförderung in den Hinter grund gedrängt werden. Viele der negativen Erfahrungen, die ich in meiner Berufslaufbahn erlebt ha be – sexuelle Belästigung, Unterbezahlung, unrechtmäßige Kündigung, weil ich schwanger war, männliche Vorgesetzte, die sich mir unterlegen fühlten, haben mich bei einer Beförderung einfach übersehen –, sind geschehen, weil ich eine Frau bin. Ich nehme so etwas nicht mehr hin, und meine Kinder sollten das auch nicht tun. Auch aus diesem Grund möchte ich die Veränderungen mitgestalten. Deshalb halte ich Vorträge, begleite Mädchen und Frauen und berate von Frauen geführte Start-ups. Ich stelle eine Armee für eine friedliche Revolution, die aber enorm wichtig ist. Und ich weiß, dass meine Kinder mitmachen werden.

Zuhause in Paris

DEIN VON EINER FRAU GEFÜHRTES LIEBLINGSGESCHÄFT?

MH Coiffure, meine Lieblingsfriseurin ist Tan, sie färbt erstklassig. Niemand bekommt mein Blond besser hin! Und natürlich Station F (siehe oben), das größte Start-up-Zentrum der Welt unter der Leitung von Roxanne Varza.

AN WELCHEM ORT BIST DU GLÜCKLICH?

Neben der Statue der Jeanne d’Arc am Pont Neuf. Als ich neunzehn war, hat mich mein damaliger Freund zum ersten Mal zu dieser Brücke gebracht. Als wir die Métro verließen, musste ich meine Augen schließen und ich konnte hören, wie ein Musiker »La Vie en Rose« auf seinem Akkordeon spielte. Ein echtes Klischee, aber in diesem Moment war ich total hin und weg. Ich wusste, dass es keine Alternative gab – ich musste in Paris leben.

WO GEHST DU GERN MIT DEINER FAMILIE HIN?

Ich mag die Cité des Sciences de l’Industrie, das größte Wissenschaftsmuseum in Europa. Hier gibt es immer wechselnde Ausstellungen und interaktive Exponate.

Ein Tag im Leben einer Pariserin

In diesem Kapitel lernen Sie fünf weitere Frauen kennen und erfahren, wie diese einen perfekten Tag (oder einfach einen wundervollen freien Tag) in Paris verbringen. Im Anschluss habe ich alle Lieblingsorte der Frauen in diesem Buch zusammengetragen und durch einige meiner Lieblingsorte ergänzt. Eine noch umfassendere Liste finden Sie unter thenewparisbook.com.

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