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SANDRA REY Biolumineszenz-Designerin und Geschäftsführerin von Glowee
Licht für eine Welt ohne Strom
SANDRA REY
G R Ü N D E R I N U N D G E S C H Ä F T S F Ü H R E R I N V O N G L O W E E
KANN DIE STADT DES LICHTS zur Stadt der Biolumineszenz werden? So lautet das ehr
geizige Ziel von Sandra Reys prämiertem Start-up Glowee. Das 2014 gegründete Unternehmen en twirft und entwickelt biologische Lichtquellen aus den gleichen chemischen Reaktionen, die das Glitzern von Unterwasserfischen auslösen (Biolumineszenz ist die Produktion und Emission von Licht durch einen lebenden Organismus). Zwar ist der Weg dorthin noch lang, aber Rey hat bereits für sehr viel Aufmerksamkeit gesorgt. 2016 wurde sie von der Zeitschrift MIT Technologie Review zum »Innovator Under 35« ernannt und die Biolumineszenz-Technologie von Glowee findet sich bereits in Installationen für Unternehmen wie LVMH, Air France und Adidas.
Wir treffen uns zum Frühstück im Hexagone Café im 14. Arrondissement und sprechen über den Aufbau eines Unternehmens, über die Hindernisse, die es zu überwinden gilt, und über die Veränderungen, die Glowee auslösen kann.
Wie bist du von deinem Studium in Industriedesign zur Biolumineszenz gekommen? Design ist eine Brücke zwischen mehreren Disziplinen. Der Designer ist selbst kein Experte, kann sich aber den Schuh der Vermarkter, der Ingenieure und der Kunden anziehen, um deren Anforderungen zu verstehen und eine Verbindung herzustellen. Mit meiner Masterarbeit über die Umstrukturierung des medizinischen Systems in Frankreich habe ich mich auf Systemdesign spezialisiert, denn hierzu musste ich mich mit Lösungen im Bereich von Produkt, Schnittstelle und Prozessoptimierung beschäftigen. Ich habe verschiedene Praktika in zukunftsweisenden Branchen absolviert: So habe ich im Bereich von Innovation und Design bei Microsoft, bei einem KI-Start-up mit dem Namen Sensory und dann für die Trendprognosenagentur Peclers in Paris gearbeitet. Hier war es meine Aufgabe, auf der Grundlage der vom Unternehmen identifizierten gesellschaftlichen Trends Konzepte zu erarbeiten. Der Übergang in einen etwas wissenschaftlicheren Bereich war damit eine ganz natürliche Entwicklung. Aber diese spezielle Idee hat sich aus einem Gruppen wettbewerb ergeben, an dem ich in meinem letzten Studienjahr an der Strate École de Design in
Sèvres teilgenommen habe. Es handelte sich um ein Studentenprojekt, unternehmerisches Denken war also weniger gefragt. Mein Team und ich haben den Wettbewerb 2013 gewonnen und daraus haben sich viele Dinge ergeben, wie zum Beispiel Glowee. Aber wir alle mussten lernen, wie wir daraus mehr machen konnten als nur eine intelligente Idee.
Gab es Biolumineszenz bereits als Designschwerpunkt in Frankreich, als du dein Unternehmen gegründet hast? Ne in, gar nicht. Biolumineszenz war bereits seit etwa dreißig Jahren als Phänomen bekannt und heute ist es ein Werkzeug zur genetischen Markierung. Wir wissen, dass Tiere, darunter etwa 80 P rozent der Meereslebewesen, Licht produzieren. Aber wir mussten eine Verbindung zwischen einem Bedarf, einer vorhandenen Technologie und einer scheinbar offensichtlichen, aber nicht einfach zu findenden Lösung herstellen. Biolumineszenz existiert im Genom bestimmter Spezies, wie zum Beispiel bei Glühwürmchen oder auf der Ebene der Bakterien. Uns interessiert jedoch die bakterielle Biolumineszenz, weil sie vervielfältigt werden kann – d as ist der Vorteil.
Zwar sind die Gründung und der Betrieb eine Start-ups in Frankreich einfacher geworden, aber für Unternehmer ist es immer noch eine Herausforderung. Die derzeitige Verwaltung betont, dass Innova tionen gefördert werden. Hast du vor diesem Hintergrund ausreichend Unterstützung bekommen, um dein Geschäft auszubauen?
In dieser Hinsicht ist Frankreich wunderbar. Natürlich gibt es behördliche oder verwaltungstechni sche Aspekte für Unternehmen, die kompliziert sein können. Aber in puncto Finanzierung haben wir hi er vor allem mit den Forschungskrediten und -stipendien von der BPI (Banque Publique d’Investissement) ein tolles Ökosystem. Auch das kleinere Pariser Netzwerk ist hilfreich: Die Wege zu den Mi nistern der Regierung sind relativ kurz und wir können offen über unsere Probleme als junge Unternehmen diskutieren. Die Regierung hat verstanden, dass innovative Start-ups die wirtschaftliche Kraft von morgen sind. Dieses Wachstumspotenzial ist in großen Unternehmen meist nicht zu finden.
Damit besteht also ein Teil deines Jobs aus Lobbyarbeit. Absolut, denn wir haben mit einigen rechtlichen Beschränkungen zu kämpfen. Wir arbeiten mit modi fizierten Mikroorganismen und diese fallen unter die Kategorie GMM [genetisch modifizierte Mikroorganismen], für die die Vorschriften strenger sind als für GMO [genetisch modifizierte Organismen]. U n d das alles unterscheidet sich wiederum von genetisch modifizierten Lebensmitteln – das ist alles sehr kompliziert. In puncto Finanzierung haben wir Mittel für ein Team aus siebzehn Mitarbeitern (die wir auch bezahlen können!) und für unsere Forschung beschafft. Aber derzeit [2018] arbeiten wir noch nicht gewinnbringend, unsere Umsätze stammen hauptsächlich aus Veranstaltungen. Daher müssen wir noch mehr Mittel beschaffen und andere Optionen finden, wie zum Beispiel den Well ness-Markt mit Entspannungsbereichen unter dem Namen »Glowee Rooms«.
Deine Technologie wurde in Installationen großer Unternehmen wie zum Beispiel LVMH eingesetzt. Sind Unternehmensveranstaltungen ein wichtiges Geschäftsfeld? Zu Beginn dachte ich, dass wir innerhalb von drei Monaten ein Produkt hätten, mit dem wir Außenbereiche illuminieren können. Aber für die Lichtintensität war eine enorme Leistung erforderlich und das dauerte. Nach einem Jahr hatten wir ein Produkt, das einige Stunden stabil Licht brachte. Dabei wurden mir drei Dinge klar: Wir mussten diese Forschung und Entwicklung zu Geld machen, nicht nur im Labor, sondern unter echten Bedingungen experimentieren und kurzfristige Meilensteine festlegen, um die Teams weiter zu motivieren. Aus diesem Grund haben wir das Produkt schließlich bei Veranstaltungen angeboten, vor allem, um seinen Wert zu zeigen. Der gesamte Gewinn aus diesen Veranstaltungen fließt zurück in die Forschung und Entwicklung; daher sind die Events extrem wichtig für unser Wachstum. Die Lichtquelle hat nun in ihrer primä ren Form eine Dauer von sechs Tagen (in flüssiger Form ist sie endlos, aber die Anwendungsgebiete si nd eingeschränkt) und wir haben die Kosten pro Einheit über die Art der Kontrolle (wir benötigen jetzt weniger Bakterien für ein besseres Ergebnis) extrem gesenkt.
Wenn du über den Tellerrand deiner Arbeit hinausschaust, welchen Nutzen kann Biolumineszenz der Welt bringen? Zunächst muss hinterfragt werden, wie die Produkte selbst produziert werden. Wir gehen davon aus, dass LED-Leuchten wenig Energie verbrauchen, aber dabei denken wir nicht daran, wie sie produziert werden. Die meisten Beleuchtungssysteme werden in China aus LEDs aus Schwarzme tallen produziert, die durch Zerstörung von chinesischem Land gewonnen werden. Eine unglaubliche Umweltverschmutzung, von der niemand spricht. Einige Metalle verschwinden bereits wenige Ja hre nach Beginn des Abbaus. Als nächstes werden die Meeresböden auf der Suche nach seltenen Metallen verwüstet. Heute können wir bereits biomimetische Verfahren nutzen und eine Produk
tionskette planen, die die Umwelt weniger zerstört. Mit Biolumineszenz haben wir eine biologische E n ergiequelle, die endlos wachsen kann und 100 Prozent organisches Rohmaterial produziert. Das ist wirklich nachhaltige Energie.
Bist du optimistisch, dass diese Technologie die Welt verändern kann? Ich denke, es ist eine Mischung aus Optimismus und Naivität. Manche Dinge liegen für mich so sehr auf der Hand, dass ich mir sage, dass sie bald für alle anderen Menschen ebenfalls klar sein müssen. Vielleicht werden wir in fünfzig Jahren die Grenzen der Biolumineszenz erkennen. Die
einzige perfekte Lösung liegt in der Natur und wir werden Milliarden in Forschung und Entwicklung investieren, um diese Lösung zu finden.
Wü rde ein durch Biolumineszenz beleuchtetes Paris die Stadt radikal verändern?
Auf jeden Fall und auf positive Art und Weise. Dabei geht es nicht darum, eine Leuchtbirne durch eine andere zu ersetzen. Wir müssen überdenken, wie wir Beleuchtung im Allgemeinen gestal ten. Der heutige Ansatz entspricht unserem aktuellen Lebensstil und unseren täglichen Sorgen. Ab er da die Innenstädte in ganz Frankreich immer mehr zu Fußgängerzonen werden, können wir auch das Thema Beleuchtung anders angehen. Natürlich wäre es einfacher, die Technologie in einer völlig neuen Stadt einzusetzen und damit sozusagen bei Null anzufangen, ohne Vorhande nes ersetzen zu müssen. In Paris würden solche Veränderungen vor allem die Stadtmöblierung, Ge bäudefassaden, die U-Bahn, Gärten betreffen. Und im Laufe der Zeit würden Straßenlampen vollständig verschwinden. Wir konzentrieren uns darauf, die städtische Landschaft insgesamt neu zu gestalten.
Inwieweit hat es in deiner Laufbahn eine Rolle gespielt, dass du eine Frau bist? Wenn ich ehrlich sein soll, glaube ich nicht, dass ich es soweit geschafft hätte, wenn ich keine Frau wäre. Es gibt so wenig Frauen in der Branche, dass es ganz leicht ist, Aufmerksamkeit zu bekommen. Allerdings kam gegen mich häufig der Einwand, ich sei zu jung für diese Aufgabe, und in gewisser Weise ist das auch richtig. Ich war eine junge Designerin, die ohne wirkliche Berufs erfahrung ein Biotechnologieunternehmen aufgebaut hat. Aber meine Glaubwürdigkeit habe ich mi r verdient, weil ich gezeigt habe, was ich kann. Ich habe ein Team aufgebaut, Produkte auf den Markt gebracht und das MIT zeigt Interesse an mir. Berge versetzen ist viel leichter, wenn man von außerhalb kommt. Ich sehe viel weniger Hindernisse als die Experten und diese Unkenntnis hilft mir sehr. Aber ich weiß, wo ich stehe und wohin ich gehe.
Ist der gleiche Anteil an Männern und Frauen im Unternehmen für dich wichtig? Im Moment haben wir je 50 Prozent Frauen und Männer im Unternehmen und ich möchte nicht, dass sich das Team vor allem aus Frauen zusammensetzt. Männer und Frauen ergänzen sich und Meinungsvielfalt ist ein wichtiger Aspekt.
Hat es in deiner Laufbahn Frauen gegeben, die dich angeleitet oder inspiriert haben? Ich tendiere dazu, alles infrage zu stellen. Deshalb kann ich mich auch nur schwer auf ein Vorbild oder eine Mentorin festlegen, aber ich weiß, wen ich um Hilfe bitten kann. Das Wichtigste für mich ist, mich mit den richtigen Leuten zu umgeben.
Zuhause in Paris
DEIN VON EINER FRAU GEFÜHRTES LIEBLINGSGESCHÄFT?
Mûre, ein Restaurant im 2. Arrondissement mit exzellenten Produkten und einem vorrangig weiblichen Personal. Ein gemütliches Lokal für ein Frühstück, zum Arbeiten, Mittagessen oder einfach nur für eine Tasse Tee.
WELCHEN DESIGN-ORT EMPFIEHLST DU BESUCHERN?
L’Atelier des Lumières (siehe oben), ein digitales Museum für bildende Kunst in einer ehemaligen Gießerei. Man kann hier richtig in die Kunst eintauchen. Eine fantastische Kunsterfahrung!
WO TRIFFST DU DICH MIT FREUNDEN?
Im La Colonie im 10. Arrondissement, einer Art modernen Agora, die täglich geöffnet ist und wo es immer Neues zu entdecken gibt. Mal ist es eine Bar, mal ein Kulturraum mit Kunstausstellungen, Debatten und Konzerten.