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VICTOIRE DE TAILLAC Mitbegründerin von L’Officine Universelle Buly

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FUSSNOTEN

FUSSNOTEN

Wegbereiterin für natürliche Schönheit

V I C T O I R E D E TAILLAC

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MITBEGRÜNDERIN VON L’OFFICINE UNIVERSELLE BULY

SIE IST DIE EINE HÄLFTE DES RASTLOSEN DUOS hinter dem Kosmetiklabel L’Officine

Universelle Buly. Victoire de Taillac verkörpert einen Paradigmenwechsel des Begriffs Schönheit, bei dem Normen nicht an wahrgenommene Mängel oder Fehler festgemacht werden, sondern an der reinen, individuellen Freude, die Frauen und Männer daran haben, sich selbst zu pflegen. Die junge Kultmarke setzt auf das Design alter Apotheken sowie die Qualität der Rohmaterialien und ist damit eine echte Alternative zum übertriebenen Luxus geworden. Von Öl- und Tonerdeproduk ten, Pudern und Cremes zu Mundpflegeprodukten, Duftmischungen und den ersten wasserbasierten Parfüms der Branche baut sie auf die besten Ideen der Vergangenheit und schafft Innovationen f ü r die Zukunft. Wir sprechen in ihrer Boutique in der Rue de Saintonge über ihre Karriere vor der Zeit bei Buly, ihre Vision von Schönheit auf der Grundlage von handgefertigten Produkten und über die Vorteile, mit denen sich ihr Geschäft auf einem gesättigten Markt abhebt.

Hast du dich schon immer für die Schönheitsindustrie interessiert?

Auf gar keinen Fall. Das fing sogar erst ziemlich spät an! Ich habe immer an allem gezweifelt und war mir als Jugendliche und junge Erwachsene in nichts sicher. Ich habe Gegenwartsgeschichte an der Sorbonne studiert und während meines letzten Studienjahrs hat meine Kindheitsfreundin Sarah zusammen mit ihrer Mutter das Ladenkonzept Colette eröffnet. Recht schnell boten sie ihr an, im Bereich interne Kommunikation für das Unternehmen zu arbeiten. Das war mein erster Job: Ich war zweiundzwanzig und Sarah war einundzwanzig – zwei Halbwüchsige mit Verantwortung. Das war total verrückt.

Es müssen sich riesige Chancen für dich aufgetan haben, denn Colette hat in Paris und für die internationale Design- und Modewelt eine große Bedeutung. Noch bevor ich Colette verlassen habe, habe ich in voller Überzeugung mein eigenes PR-Unterneh men gegründet. Colette hat die Marken für Pflegeprodukte Kiehl’s und Aesop (vor der Übernahme)

eröffnet und mir war klar, dass ich vor den Gründern dieser Marken viel Respekt hatte, aber auch, wie sehr ich mich für Schönheit und die Geschichten drumherum interessierte. Der grundlegende Gedanke ist: Jeder möchte sich schön fühlen, und ich glaube, dass Schönheit den Alltag verzaubert. In der Mode ist das abgehobener und elitärer. Hier gibt es mehr Vorschriften, sie ist extrem a n fi nanzielle Mittel, Status und Äußeres gebunden – d as hat mich immer weniger interessiert. Gemeinsam mit meinem Mann Ramdane, den ich bei meiner Arbeit bei Colette kennenlernte, eröffnete ich ein Kosmetikgeschäft mit dem Namen Parfumerie Générale. Wir waren damals beide fünfundzwanzig Jahre alt. In unserem modernen Geschäft im 8. Arrondissement boten wir unge fähr vierzig unterschiedliche Nischenmarken an, die in Paris bislang nicht verkauft wurden. Es wu rde ein kleines Geschäft mit unseren besten Freunden als Kunden und wir verdienten nicht viel

Geld. Und leider wurde es nach drei Jahren noch schlimmer und brach schließlich zusammen. Ich habe mein PR-Geschäft noch weitergeführt und bin dann Ramdane gefolgt, als er die Möglichkeit hatte, Cire Trudon, einen Kerzenmacher im Stil des siebzehnten Jahrhunderts zu übernehmen.

Und wann gab es die große Wende zu dem Leben, das du heute führst? Wir hatten den Auftrag, eine Marke neu zu beleben, die ein französischer Hersteller gekauft hatte, ohne zu wissen, was er damit tun sollte. Diese Marke verkörperte mit einer Fabrik, die seit dem achtzehnten Jahrhundert in Betrieb war (was extrem selten ist), ein tolles Erbe. Außerdem war dieses Unternehmen seit langer Zeit Kerzenlieferant für die Kirchen in Frankreich. Nachdem wir die Archive der Marke durchkämmt hatten, entschied Ramdane, dass wir den Schwerpunkt auf Ästhetik legen. Wir wollten eine Kerze produzieren, die nicht wie jede Kerze auf dem Markt aussieht. Sie sollte ein grünes Glas und ein goldenes Etikett haben und natürlich duften. Zwanzig Jahre lang hat jeder dem Kerzenduft von Diptyque kopiert – a lso war es an der Zeit, kreativ zu werden. Sechs Monate nach der Eröffnung haben wir einen riesigen Erfolg verzeichnet – die Marke wurde in dreißig Ländern vertrieben, nach einem Jahr waren es bereits sechzig Länder. Ich arbeitete im Bereich Kommunikation, war für Texte, Kataloge und die Presse zuständig. Wir haben sehr schnell gelernt, dass eine Traditionsmarke nur dann wertvoll wird, wenn sie gut ver waltet wird. Schließlich wurden die Rechte veräußert, was sich als eine neues großes Abenteuer her ausstellte.

Aber das Timing war perfekt für dich. Buly ist dir doch quasi in den Schoß gefallen? Zufällig zeigte uns ein befreundeter Antiquitätenhändler einen Katalog mit Produkten aus dem neunzehnten Jahrhundert. Da bekamen wir die Idee, eine alte französische Marke für Kosmetik produkte neu aufzulegen. Wir lebten damals in New York und kamen nach Frankreich, um uns alle nö tigen Informationen zu besorgen und das Geschäft von Grund auf aufziehen.

»Das Bild der Pariser Frau hat sich seit dem neunzehnten Jahrhundert nicht verändert: Sie ist weiß und schlank.«

Buly setzt sich bereits durch sein Image und den Produktschwerpunkt vom Mainstream ab. Wie spiegelt die Marke deine eigene Vorstellung von Schönheit wider? Sc hönheit ist eine seltsame Branche. Im Grunde hat alles immer nur mit Problemen zu tun: Der

Hälfte der Bevölkerung der Erde wird gesagt, sie sei zu dunkel, und der anderen, sie sei zu weiß. Und dann gibt es Produkte für diese Probleme, die die Verbraucher angeblich unbedingt beheben müssen. Aber für mich geht es bei Schönheit und Hautpflege eigentlich nur darum, sich gut zu fühlen und sich selbst zu pflegen. Ziel ist nicht, der oder die Schönste zu sein, denn es gibt immer jemanden, der schöner, jünger, intelligenter ist, und wir können nicht ständig im Wettstreit um Perfektion leben. Schönheitsrituale sollten ganz individuell sein und das Leben leichter machen. Ich konnte mich nie damit identifizieren, was vor allem in Frauenmagazinen über Schönheit und Kosmetik geschrieben wurde und die Leserinnen doch nur frustriert. Als wir Buly gegründet haben, wusste ich vom ersten Moment an, dass der Katalog ganz anders aussehen musste.

Dein Buch An Atlas of Natural Beauty (Atlas der natürlichen Schönheit) so wie auch dein illustrierter Katalog sind in einem ganz anderen Ton verfasst. Wie würdest du diesen Ton beschreiben? Informativ und gut geschrieben. Je besser die Kunden informiert sind, desto mehr kaufen sie für sich selbst. Schönheit ist eine persönliche Sache, und jeder Mensch hat seine eigenen Gewohn heiten und muss das Richtige für sich finden. Im Katalog sind alle Eigenschaften der einzelnen P r odukte vom Duftstreichholz bis zu den verschiedenen Pudern ganz detailliert beschrieben. Ich möchte eine Geschichte erzählen, aber auch einen kulturellen Hintergrund zu den Produkten vermitteln, wie sie verwendet werden, wofür sie sich eignen, wo die Pflanzen herkommen usw.

D ei ne Parfüms beinhalten keinen Alkohol, deine Verpackungen sind nachhaltig (kein Plastik!) und du konzentrierst dich neben einigen traditionellen Inhaltsstoffen auf Cremes aus Ölen, Tonerde und Pflanzen. Würdest du dich als Innovatorin der Branche bezeichnen?

Wir möchten so kreativ wie möglich sein und einen neuen Blick auf Schönheit und die Raffinesse der Pflege werfen. Unsere Marke stellt nicht nur hübsche Sachen her, sondern Produkte hoher Qualität. Die Schönheitsindustrie tendiert dazu, Gebrauchsgegenstände zu produzieren, Kunst stoffe zu nutzen, ein Massenmarkt zu sein, – aber wir sind anders. Wir haben Freude daran, dass

unsere Produkte selbst schön sind: Ein schön gestalteter Kamm oder eine schöne Tube Zahnpasta ist ästhetisch. Der Wandel der Schönheitsindustrie weg von einem Markt für Gebrauchsprodukte

vollzieht sich langsam. Aber die Herkunft von Produkten, ihre Qualität und ihre Zusammensetzung werden immer mehr an Bedeutung gewinnen. Wir sehen das schon in der Welt der kulinarischen Produkte. Es sind die kleinen Dinge, die den Unterschied machen. Wenn wir also etwas Ne ues entwickeln, denken wir nicht nur darüber nach, wie und woraus es gefertigt wird, sondern auch, wie es aussieht. Unser Produkte sind ein Stück weit Sammlerstücke. Vielleicht finden wir in dreißig Jahren eine Buly-Flasche auf dem Flohmarkt von Saint-Ouen.

Von der Inneneinrichtung deiner Läden in Paris bis hin zum Design der Verpackungen hat die Marke den Glanz des Alten – e in wichtiger Bestandteil ihrer Attraktivität. Kannst du bestätigen, dass Buly eine romantisierte Version von Paris ist?

Natürlich! Wir haben einen klassischen Laden, in dem wir eine neu interpretierte Version von Frankreich darstellen, die viel weiter geht als die Marke allein. Unser Personal pflegt einen sehr guten Service, schenkt unseren Kunden sehr viel Aufmerksamkeit und verfügt über viel Erfah rung. Ich hoffe, dass die Läden eine eigene Seele ausstrahlen und nicht aussehen, wie beliebige Ge schäfte. Nicht nur der altmodische Retro-Stil soll inspirieren, sondern das Zusammenwirken von Alt und Neu.

Du hast drei Kinder, darunter einer heranwachsende Tochter. Hoffst du, dass sie von dir lernt?

Ja, sie soll ganz viel von mir lernen, aber nicht nur von mir, sondern auch vom Leben in Marokko, Amerika, Japan und Frankreich! Aber das Wichtigste ist, dass sie immer weiß, dass sie nicht ver pflichtet ist, körperlich perfekt zu sein oder eine bestimmte Kleidung zu tragen. Es gibt so viele M ö glichkeiten, eine Frau zu sein.

Gegenüberliegende Seite: Einer der vielen Buchhändler in Saint-Germain, die Victoire de Taillac besucht, um sich zu entspannen.

Zuhause in Paris

DEIN VON EINER FRAU GEFÜHRTES LIEBLINGSGESCHÄFT?

Meine wunderbare Bäckerin bei Secco in der Rue de Varenne, wo ich jeden Morgen gegen sieben einkaufe. Sie ist der erste Mensch, mit dem ich morgens spreche. Außerdem liebe ich Floristinnen und hier besonders die Arbeit von Clarisse bei Vertumne, ein Geschäft, das genau ihren Stil widerspiegelt.

DEIN KULTURTIPP?

Buchläden. Bücher, alte und neue, sind meine Lösung für alle Probleme. Ich mag Chantelivre, eine Kinderbuchhandlung mit einer gut gepflegten Erwachsenenabteilung, L’Ecume des Pages in Saint-Germain, der abends sehr lange geöffnet hat, und La Procure im 6. Arrondissement, einen riesigen Buchladen, der sich auf Bücher über Religion, Philosophie und Kultur spezialisiert hat.

WAS TUST DU, WENN DU ALLEIN SEIN MÖCHTEST?

Über den Fluss fahren! Das erinnert mich am meisten ans Meer. Es gibt nichts Besseres als das Licht auf dem Wasser am frühen Morgen oder bei Sonnenuntergang.

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