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SARAH OURAHMOUNE Olympia-Boxerin und Unternehmerin

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FUSSNOTEN

FUSSNOTEN

Ausdauernd und kampfeslustig für Gleichberechtigung im Sport

S A R A H OURAHMOUNE

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B O X E R I N , G E W I N N E R I N V O N O LY M P I S C H E M S I L B E R U N D U N T E R N E H M E R I N

FÜR SPORTFANS IST SARAH OURAHMOUNE die hartnäckige Athletin, die nie aufgibt. Sie ist eine Frau, die immer gewinnt, die nach einem Karriereknick, einer Auszeit und der Geburt ihres ersten Kindes zurückkommt, neue Kraft gewinnt und sich bis zur Silbermedaille bei den Olympischen Sommerspielen 2016 in Rio hochboxt.

Heute steigt Ourahmoune im Boxer Inside, der von ihr gegründeten Boxhalle im 13. A rron dissement, nur noch in den Ring, um Hobbysportlerinnen und Amateure jeglichen Alters und mit je glichem Hintergrund zu trainieren. Sie nutzt ihre geschäftlichen Fähigkeiten und ihren Ruf als die am höchsten ausgezeichnete Boxerin Frankreichs für ihren Kampf für Geschlechtergleichstellung in allen Sportarten und möchte sicherstellen, dass auch benachteiligte Franzosen bei den g ep lanten Sommerspielen 2024 in Paris berücksichtigt werden. Vor einer Führung durch die Boxhalle sprechen wir über ihre sportliche Karriere, über die Pessimisten, denen sie in ihrer Laufbahn be gegnet ist und das Gegenteil bewiesen hat, und darüber, wie viel noch getan werden muss, um die Bedingungen für Frauen im Sport zu verbessern.

Wie bist du zum Boxen gekommen? Ich war immer ein sportliches Kind und habe alle Sportarten ausprobiert. Mein älterer Bruder und ich waren die einzigen muslimischen Kinder in einer katholischen Schule und durften mittwochs statt zum Religions- zum Sportunterricht gehen. Zuerst habe ich Taekwondo für mich entdeckt, da lebten wir noch in Clichy. Aber in Aubervilliers, wo meine Familie später hinzog, war der lokale Club durch ein Feuer zerstört. Stattdessen gab es eine schöne Boxhalle, die ich aus reiner Neugier besuchte. Der Manager, Said, hatte an den Olympischen Spielen teilgenommen und wusste genau, wie er mir den Sport näher bringen konnte: Verteidigung mit den Fäusten ist eine edle Kunst, man berührt, ohne selbst berührt zu werden. Bei nur einem Training konnte er mich davon überzeugen, dass es mehr war als Schlägerei, und so ging ich dann regelmäßig zum Training.

Springen wir in die Zeit zurück, als der Sport für dich eine ernste Angelegenheit wurde. Du warst eine Jugendliche, die zur Schule ging, nebenbei boxte und für Wettkämpfe trainierte. Hast du dir damals eine Zukunft als erfolgreiche Athletin vorstellen können? Nein, ich liebte den Wettkampf, aber der Sport hatte nie Vorrang vor der Schule. Ich hätte mir auch nie gedacht, dass es möglich sei, aus dem Boxen eine Karriere zu machen – v or allem, weil französische Frauen erst 1999 das Recht bekamen, im Ring zu boxen! Vorher waren Boxwett kämpfe gesetzlich verboten. Die Frauen konnten sich einen Trainer suchen, aber auch das war eher se lten. Wenn eine Frau in den Ring stiegt, dann lediglich als Nummerngirl. So absolvierte ich erst 1999 meine ersten offiziellen Kämpfe, nahm an der ersten französischen Meisterschaft teil. Dann wurde ich mit sechzehn Mitglied der ersten französischen Frauenmannschaft und erhielt die Start berechtigung für Kämpfe im Ausland. Und als ich meine ersten Titel gewonnen hatte, bemerkte ic h, dass dieser Sport für mich zu etwas Großem werden konnte. Letztlich habe ich meinen Platz im Boxen gefunden und fühlte mich schnell in meiner Identität bestätigt.

Ist das heute immer noch so?

Boxen hat mir immer Kraft gegeben. Ohne diesen Sport wäre ich immer noch so introvertiert und zurückhaltend wie früher. Boxen hat mir die Augen geöffnet. Deshalb kann ich auch so schlecht aufhören, denn ich habe Angst, einen Teil meiner Identität zu verlieren.

Du warst drei Jahre in Folge Europameisterin, 2008 Weltmeisterin und hast 2011 die Silbermedaille bei den europäischen Meisterschaften gewonnen. Du warst also ein aufsteigender Stern, aber bitter enttäuscht, als du dich 2012 nicht zu den Olympischen Spielen in London qualifizieren konntest. Hast du damals wirklich gedacht, deine Karriere sei so schnell zuende? Das war ein riesiger Misserfolg für mich. Ich hatte vier Jahre lang auf dieses Ziel hin trainiert und fühlte mich richtig stark. Je reifer du wirst, desto besser wirst du im Boxen. Ich wollte also noch nicht wirklich aufhören. Aber ich wollte mich auch als Frau und beruflich weiterentwickeln und

dafür schien der richtige Zeitpunkt gekommen. Ich ging zurück zur Schule, machte meinen Master in Kommunikation an der Pariser Sciences Po-Universität und wollte mein eigenes Geschäft auf ziehen. 2011 gründete ich die Organisation Boxer Inside, wo ich Boxkurse für geistig behinderte Menschen und für Frauen (inklusive Kinderbetreuung) gebe. Nach meiner Zeit im Brutkasten der Sciences Po habe ich ein Jahr später ein Unternehmen gegründet, das Boxkurse in Unternehmen sowie Box-Workshops und -Seminare dazu organisiert, wie der Sport als Werkzeug für die persön liche Entwicklung dienen kann. Und im April 2018 hat sich der Kreis geschlossen, als ich die Bo xhalle Boxer Inside eröffnete.

Gegenüberliegende Seite: Zurück im Ring. Sarah Ourahmounes Boxhalle Boxer Inside im 13. Arrondissement.

Aber deine olympische Karriere war damit nicht zuende. Obwohl du vom Französischen Boxverband keine Unterstützung bekamst, stiegst du zurück in den Ring und qualifiziertest dich für Rio. Gab es einen entscheidenden Moment, in dem du wusstest, dass du gegen diesen Widerstand kämpfen wolltest? Ich war dreiunddreißig, hatte seit zwei Jahren nicht geboxt, meine Tochter war sechs Monate alt und alles sprach dagegen. Aber ich konnte meinen lang gehegten Traum nicht einfach so vergessen. Eines Tages sah ich einen Dokumentarfilm über die französische Turnerin Isabelle Severino, die sich mit achtundzwanzig Jahren und einer Größe von 1,70 Meter für die Olympischen Spiele in Peking qualifiziert hatte. Mit ihrem Alter und ihrer Größe sprengte sie alle Grenzen des Turnsports und ihre Geschichte gab mir den Mut, nach der Geburt meiner Tochter in den Ring zurückzukeh ren. Und dass mir alle sagten, dass ich nie Erfolg haben werde, spornte mich noch mehr an.

Waren dein Alter oder deine körperlichen Veränderungen der Grund dafür, dass der Verband dein Comeback weiterhin für unrealistisch hielt?

M e in Alter war sicherlich einer der Gründe. Der Verband wollte eine ausgewählte Gruppe junger Mädchen um die Zwanzig losschicken, die als wettbewerbsfähig galten. Ich sollte Leiterin dieser Gruppe sein, aber nicht selbst am Wettkampf teilnehmen. Ich hatte vielleicht eine Chance von 1:1 Mio., aber ich musste es einfach probieren. Zuerst musste ich jedoch den französischen Meis tertitel zurückgewinnen. Das klappte 2015 und ich kam wieder in die französische Mannschaft. De nnoch zweifelte man weiter an meinen Möglichkeiten. Ich musste die jungen Boxerinnen der Trainingsgruppe besiegen, um mich selbst zu beweisen. Aber auf jeden Fall haben Frauen alle Voraussetzungen, um sich im Sport zu beweisen.

Der Verband vermutete also, dass deine Schwangerschaft und deine Auszeit deine Leistung erheblich beeinträchtigt hatten. Aus Verbandssicht hatte man schon Frauen im Sport zugelassen – a ber eine Mutter? Das war zu viel verlangt. Aber ich kann nicht leugnen, dass es eine körperliche Herausforderung war. Ich brauchte fast eineinhalb Jahre, um mich von der Schwangerschaft zu erholen. Aber jeder, egal, ob Frau oder Mann, muss nach zwei Jahren ohne Training hart kämpfen. Und außerdem hatte sich der Sport in der Zwischenzeit auch entwickelt. Die Bewertungskriterien legten nicht mehr den Schwerpunkt auf Kraft und Physis des Athleten, sondern eher auf die Technik. An diese Erwar tungen musste ich mich erst einmal gewöhnen. Aber durch meine Schwangerschaft habe ich an Au sdauer und Kraft und natürlich auch an Reife und Erfahrung gewonnen. Die Mutterschaft verlieh mir eine andere Sicht auf den Sport, auf Wettkampf und sogar auf das Training. Weil meine

Gegenüberliegende Seite: Im Ring bei Boxer Inside, der Boxhalle von Sarah Ourahmoune im 13. Arrondissement.

Tochter immer bei mir war, hatte ich nur eine Stunde Zeit pro Trainingseinheit. Ich trainierte also effizienter, war aber immer froh, diese eine Stunde für mich zu haben.

Wie wir wissen, ist Sexismus auch im Sport ein großes Thema. Wie zeigt sich das beim Boxen? Was die Bekleidung angeht, hatten wir die gleiche Diskussion wie im Tennis, denn es sollten Röck chen vorgeschrieben werden. Glücklicherweise haben viele Boxerinnen sich dagegen gewehrt und wi r wurden auch von feministischen Organisationen unterstützt. Egal, was wir tragen oder wie gut wir trainieren, es muss immer ein Unterschied zwischen Männern und Frauen gemacht werden. Ich nenne mal ein Beispiel: Vor zwanzig Jahren kämpften Frauen in drei Runden à zwei Minuten und Männer in vier Runden. Auf unsere Nachfrage nach der Begründung hieß es, dass Frauen nicht die gleiche körperliche Kondition haben wie Männer. Dann gab es für Männer drei Runden à drei Minuten und für Frauen vier Runden à zwei Minuten. Der Unterschied wurde also eindeutig auf recht erhalten, um hervorzuheben, dass wir Frauen nicht die gleiche Leistung zeigen wie Männer.

W i e engagierst du dich jetzt, nachdem du dich aus dem Wettkampfsport zurückgezogen hast, neben deiner Arbeit im Boxer Inside für den Sport? Es gibt immer noch sehr viel zu tun, um gegen die allgemeine Diskriminierung von Frauen im Sport zu kämpfen. So sind zum Beispiel nach wie vor viel mehr Führungspositionen in Verbänden und olympischen Komitees von Männern besetzt. Ich arbeite mit verschiedenen Aktionen an der Demokratisierung des Sports. So bin ich zum Beispiel beim Comité National Olympique et Sportif Français (Französisches Olympisches Komitee) für den Bereich »Diversität« zuständig. In diesem Gremium arbeiten nur drei Frauen – das sind doch reine Quotenfrauen, die das Image aufpolieren sollen. Unsere Präsenz wird immer noch nicht ausreichend akzeptiert. Außerdem bin ich Vorstands mitglied bei Paris 2024, wo ich daran arbeite, dass bei den Spielen auch die Bevölkerung aus dem Dépa rtement Seine-Saint-Denis berücksichtigt wird. Hier wird das Herz aller Veranstaltungen sein, sodass die Menschen über Jobs, Vermietung, Training und die Kultur rund um die Spiele davon profitieren können.

Du hast aus Rio eine Silbermedaille nach Hause gebracht. Würdest du rückblickend sagen, dass das dein größter Erfolg war? Ja, das war sicherlich einer der größten Erfolge. Aber ich würde nicht sagen, dass die Medaille wichtiger war, als Kinder zu bekommen. Das Abenteuer Olympia war ein Familienereignis und ich habe das wegen meiner Familie geschafft. Meine Tochter sollte verstehen, was ich da tue, aber sie durfte nicht darunter leiden. Am Anfang fühlte ich mich schuldig, aber meine Abwesenheit war auch positiv für sie, weil sie viel mehr Zeit mit ihrem Vater verbrachte und die beiden so eine ganz besondere Bindung entwickelt haben. Meine Älteste ist ein sehr mutiger Mensch. Grund dafür ist sicher, dass wir ihr beigebracht haben, dass alles möglich ist.

Zuhause in Paris

DEIN VON EINER FRAU GEFÜHRTES LIEBLINGSGESCHÄFT?

Ich mag es, tolle neue Geschäfte zu entdecken, wie z. B. das Restaurant (V)ivre im 2. Arrondissement, das von Car oline Savoy geleitet wird. Ich liebe es!

WELCHEN ORT EMPFIEHLST DU FÜR SPORTLICHE BETÄTIGUNG?

Der Pool im Hotel Molitor ist herrlich. Man kann einen Vormittag lang oder den ganzen Tag bleiben oder in den Wellness-Bereich gehen und dann noch auf einen Drink bleiben. Ich liebe diese Mischung aus Sport, Street Art und Kultur an einem Ort.

WOHIN GEHST DU MIT DEINEM MANN AUS?

Zum Abendessen bei einer Bootstour auf der Seine (siehe oben). Die Fahrt dauert ungefähr zwei Stunden und wir können die Schönheit des beleuchteten Paris genießen. Ein wundervoller Moment.

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