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HEIDI EVANS Gründerin von Women of Paris tours

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FUSSNOTEN

FUSSNOTEN

Aufbruch zur einer Tour in das weibliche Herz der Stadt

HEIDI EVANS

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G R Ü N D E R I N V O N W O M E N O F PA R I S

ALS DIE IN LONDON GEBORENE HEIDI EVANS NACH PARIS KAM , hatte sie nicht viel mehr in der Tasche als die Liebe zur französischen Sprache, die Lust am Abenteuer und eine sehr wage Idee ihrer Zukunft. Zunächst arbeitete sie als Reiseleiterin für unterschiedliche Unternehmen. Dabei lernte sie die schönsten Wahrzeichen von Paris kennen, tauchte in die Geschichte

d e r Stadt ein und lernte neugierige Reisende kennen. Sehr schnell erkannte sie ihre Begabung als Reiseleiterin und Geschichtenerzählerin. Und gleichzeitig kam ihr eine weitere Erkenntnis, die ihr den Weg zum Unternehmertum öffnen sollte: Die meisten Rundgänge durch die Stadt vertuschten die Frauen in der Geschichte, die die Stadt geprägt haben. Tatsächlich werden Frauen in den von großen, heldenhaften Männern dominierten Geschichten über Paris lediglich als historische Fuß noten behandelt.

Ei ne entmutigende Realität, die aber auch eine wunderbare Gelegenheit bot. 2016 gründete Evans Women of Paris Tours, das erste Unternehmen, das verschiedene Themenrundgänge anbietet, die sich der Geschichte der Frauen und deren entscheidendem Einfluss auf Kunst, Theater, W i ssenschaft, Kultur, Politik und Alltag widmen. Ich nehme an der Sugar & Spice-Tour (Zuckerund-Gewürze-Tour) zu den Problemen und Errungenschaften von Schriftstellerinnen in Paris teil und treffe mich danach mit Evans, um mit ihr über die Bedeutung ausgewogener Geschichten, ihre historischen Lieblingsfiguren und die Zukunft der Femmes de Paris (Frauen von Paris) zu sprechen.

Wann hast du festgestellt, dass im Tourismus zu wenig Geschichten über die historischen Frauen von Paris erzählt werden?

Etwa zwei Monate nach meiner Ankunft in Frankreich habe ich eine kostenlose Stadtführung geleitet. Meine Tante war gerade zu Besuch bei mir und hat an meiner Tour teilgenommen. Am Ende stellte sie fest, dass es interessant sei, wie wenig über Frauen gesprochen wurde. Ab diesem Moment ging mir die Idee nicht mehr aus dem Kopf.

Und dann wurde dir an jeder Straßenecke bewusst, wie wenig Frauen wahrgenommen werden? Hast du das an einer bestimmten Stelle auch persönlich erfahren? Sogar als ich zum Beispiel die Werke im Musée d’Orsay studiert habe. Ich entdeckte zum ersten Mal die Impressionistinnen und war schockiert, dass ich in meiner ganzen liberalen Kunstausbildung, in der ich die führenden Künstler, Schriftsteller und Denker Europas kennengelernt habe, eigentlich nichts über Frauen in der Kunst gelernt habe. Alle Teilnehmer an meinen Führungen, selbst solche, die nur wenig über die Kunstgeschichte wussten, kannten Monet, Degas und Van Gogh, konnten aber keine Malerin nennen.

Warum ist es dir so wichtig, Geschichten von Frauen zu erzählen und die Reisenden damit in gewisser Weise zu erziehen?

Auf der einen Seite hatte ich erkannt, dass die Reisenden aktiv nach diesen Informationen suchten. Viele meiner Kunden erzählen mir, dass sie mich in Google unter feministische Touren Paris oder Frau entouren Paris ge funden haben. Auf der anderen Seite muss die Geschichte richtig dargestellt werden. In den meisten Rundgängen zur Einführung in Paris werden die großen Männer hervorgehoben, die die Stadt beeinflusst haben. Als Zweites werden dann die bösen, rebellischen Frauen genannt. Die meisten von ihnen haben einen sehr schlechten Ruf. Zum Beispiel Marie Antoinette und Catherine de Medici – beide wurden von den Franzosen verteufelt. Und dann gibt es Frauen wie Simone Veil, die heiß geliebt wird. Aber selbst sie kam erst zu Ruhm, als sie 2018 im Panthéon bestattet wurde.

Aber das ist für dich nicht nur problematisch, weil die Geschichten falsch dargestellt werden, sondern auch weil der Beitrag von Frauen in Wissenschaft, Politik, Medizin und Kunst größtenteils unter der Teppich gekehrt wird. Genau – S tadtführungen sollen informelle Bildung vermitteln. Auf diese Weise erfahren die Gäste ganz spielerisch mehr über die Stadt. Da ist es extrem wichtig, dass die Geschichte korrekt erzählt wird.

Warum hat die Tourismusbranche diesen Punkt deiner Ansicht nach so sehr vernachlässigt? Die Wahrzeichen der Stadt sind mit einer patriarchalischen Vergangenheit verknüpft. Wenn Touristen eine Liste der Sehenswürdigkeiten erhalten, die sie bei ihrem Besuch in Paris unbedingt anschauen sollten, dann stehen darauf nur sehr wenige Arbeiten von Frauen. Im Louvre, dem wohl berühmtes ten Museum der Welt, findet sich zum Beispiel nur eine Handvoll Werke von Frauen. Das Haus und de r Garten von Rodin ist ein Museum, das vollständig einem männlichen Künstler gewidmet ist. Es werden ein paar Werke von Camille Claudel gezeigt, seiner Studentin und Liebhaberin. Sie ist eine eigenständige Bildhauerin, der auch ein eigenes Museum gewidmet ist. Dennoch ist sie eher unbe kannt und das Museum befindet sich in einem Vorort von Paris, in den sich nur wenige Touristen verirren. Das Musée de la Vie Romantique, ein Museum über das Leben von George Sand, liegt komplett ab seits der Touristenpfade. Der Grund dafür ist, dass die Stadt, die ja schon selbst ein Museum ist,

das genaue Spiegelbild ihrer Vergangenheit ist. Leider waren Frauen in der Vergangenheit von Paris größtenteils unsichtbar. Das ist für mich, die ich aus London komme, eine interessante Beobachtung, denn in der britischen Hauptstadt ist die größte Touristenattraktion die Queen. Den Frauen, die Großbritannien mit geformt haben, wie z. B. Queen Victoria und Elizabeth I., wird größtenteils kein Hass entgegengebracht, sondern sie werden bewundert, vielleicht sogar mehr als die Männer.

Man könnte aber auch sagen, dass Paris selbst weiblich ist – d er Eiffelturm wird z. B. a ls Eiserne Lady bezeichnet.

In der französischen Seele verkörpert die Frau genau das: die verführerische eiserne Lady, die Erotik des Eiffelturms. Sicher beschreiben zahlreiche Historiker sie (die Stadt) als Muse für männliche Künstler und Schriftsteller. Und daher ist sie eher eine passive Inspiration als eine aktive Kreative.

Manche Menschen denken, dass man zuerst die Frauen aus der Geschichte ehren muss, um die Frauen von heute zu würdigen. Korrigierst du deiner Ansicht nach mit deiner Arbeit eine falsche Annahme? Ich bin der Meinung, dass wir auf der Suche nach Inspiration immer noch in der Vergangenheit danach suchen, was wir in der Zukunft machen können. Wir müssen all diese unglaublichen Dinge sehen, die diese Frauen getan haben. Wir müssen die Rolle verstehen, die sie in der Stadt gespielt haben, wenn wir uns entwickeln wollen. Vielleicht versuche ich irgendwie, Veränderungen anzu stoßen. Im französischen Curriculum stehen z. B. sehr wenige Schriftstellerinnen. Welche Botschaft wird wohl damit vermittelt?

Sprichst du dabei vom französischen Abitur? Ja, ich habe das bemerkt, als ich meinen ersten Stadtrundgang für Women in Paris vorbereitet habe. Fast jedes Jahr wurden Petitionen eingereicht, damit Schriftstellerinnen in den Abiturlehrplan (in dem die Lektüre bestimmter Texte vorgeschrieben wird) aufgenommen werden. Schließlich wurde –welch’ großer Erfolg – 2017 eine Frau (Madame de La Fayette) aufgenommen. Sie wird nun neben den zahlreichen Pflichtlektüren männlicher Schriftsteller wie Flaubert, de Balzac und Hugo gelesen. Und genau deshalb spreche ich bei meiner Tour über Schriftstellerinnen: die Tatsache, dass Werke von Frauen erst im späten zwanzigsten Jahrhundert als wichtig erachtet wurden. Zwar kannte man Colette und wenige andere, aber deren Schriften galten eher als frivole, anspruchslose Frauenliteratur. Deshalb ist der »Espace des Femmes«, zu dem ich meine Gäste gerne führe, so wichtig. Hier finden sie eine Buchhandlung, einen Verlag und eine Galerie, die sich den Schriftstellerinnen widmen.

Welche der vielen Frauen, deren Arbeiten und Leben du bei deinen Touren vorstellst, spricht dich persönlich am meisten an? I m M oment würde ich wohl sagen Mata Hari, die niederländische Kurtisane und Stripteasetänzerin. Derzeit wird sie auch in anderen Rundgängen insbesondere rund um den Eiffelturm erwähnt, weil

sie im Ersten Weltkrieg zur Arbeit als Spionin für die Deutschen überzeugt wurde. Am Turm wurden feindliche Übertragungen abgehört. Aber das ist schon alles, was man über sie hört. Doch mich interessiert viel mehr, warum und wie sie letztendlich in dieser Situation gelandet ist. Sie heiratete einen wohlhabenden, aber gewalttätigen Mann, von dem sie sich später scheiden ließ. Ihr Sohn starb und sie verlor das Sorgerecht für ihre Tochter. Sie blieb mit gar nichts zurück. So zog sie nach Paris, um sich selbst neu zu finden, und tanzte, um zu überleben. Als Kurtisane kam sie immer wieder mit hochdekorierten Militäroffizieren zusammen, die ihre Verführungskunst nutzen wollten. Ich frage mich, wie es ihr wohl in der Welt nach #MeToo ergangen wäre.

In deinem Rundgang erwähnst du die erschreckend geringe Zahl an Frauen in der Académie Française, der Sprachbehörde Frankreichs (in 385 Jahren hat es nur neun weibliche Mitglieder gegeben; derzeit sind es fünf). Welche anderen Fakten überraschen die Gäste in Bezug auf die Rolle von Frauen in der Kunst oder auf ihre Art der Einflussnahme?

Die Touristen sind immer erstaunt darüber, dass es etwa sechstausend Straßen in Paris gibt: Davon sind viertausend nach Männern benannt und nur dreihundert nach Frauen. Dann die Geschichte, dass Simone Veil erst die fünfte Frau ist, die im Panthéon bestattet wurde (davon fand eine Frau dort auch nur ihren Platz, weil ihr Mann dort bestattet wurde). Und im Allgemeinen ist immer interessant, dass Frankreich in Fragen zu gesetzlich verankerten Frauenrechten weit hinter anderen Ländern herhinkt. Aber die tollste Geschichte erzählt, wie all diese großen Frauen über die großen Männer in ihrem Leben definiert werden. So ist George Sand meist besser wegen ihrer Verbindung zu Chopin bekannt als für ihre schriftstellerischen Werke, obwohl sie die am zweitbesten ver kaufte französische Romanautorin in Frankreich ist (nach Hugo). Simone de Beauvoir wird häufig i m Z usammenhang mit Sartre genannt (und im 6. Arrondissement gibt es einen Ort, der beiden gewidmet ist). Außerdem wissen nur wenige, dass die Buchhandlung Shakespeare and Company tatsächlich nicht das Original ist. Es gab einen ersten Laden in der Rue de l’Odéon, der der ame rikanischen Auswanderin Sylvia Beach gehörte und ein wichtiger Treffpunkt für Schriftsteller wie He mingway und Joyce wurde (dessen Buch Ulysses Sylvia Beach 1922 veröffentlichte). Trotzdem ist auf dem Schild am Haus der ursprünglichen Buchhandlung nichts über Shakespeare and Company vermerkt, sondern nur über James Joyce. Sylvia Beach spielte eine wichtige Rolle in der Kunstszene der frühen zwanziger Jahre in Paris, aber sie ist in den öffentlichen Erzählungen größtenteils in Vergessenheit geraten. Dennoch war sie viel zu wichtig, als dass ich sie bei meinen Touren nicht erwähnen könnte.

Wie hat sich durch die Organisation der Touren deine eigene Wahrnehmung von Paris verändert? Ich sehe Paris so wie alle Frauen, für die die Stadt ihre Heimat ist. Und dann gibt es noch einen wichtigen Aspekt: Die Stadt kann dich nicht vereinnahmen. Es gibt so viel Pariserinnen, die nicht hier und noch nicht einmal in Frankreich geboren sind. Und heute sehe ich mich als eine von ihnen.

Zuhause in Paris

DEIN VON EINER FRAU GEFÜHRTES LIEBLINGSGESCHÄFT?

Es gibt zwei: Muscovado, ein Café, das von zwei Schwestern betrieben wird, die ein exzellentes Frühstück, Mittagessen und Abendessen servieren und gelegentlich eine Pop-up-Night organisieren. Und Combat, eine Cocktailbar im Geiste von Female-Forward (siehe Seite 233).

WELCHE STRASSE MAGST DU BESONDERS?

Die Rue Sainte-Marthe im 10. Arrondissement, eine enge Straße mit bunten Häusern, Galerien und Bars.

W O H I N G E H S T D U N A C H D E R A R B E I T, U M D I C H Z U E N T S PA N N E N O D E R M I T FREUNDEN ZU TREFFEN?

Ins Martin (siehe oben), hier fühle ich mich fast wie zu Hause. Ich treffe hier immer Menschen, die ich kenne; das ist wunderbar. Das Bier ist nicht teuer, der Wein ist gut und die Produkte stammen aus dem Vorortgarten des Besitzers Loïc Martin.

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