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ARIANE BERNARD Ehemalige Leiterin Digitalisierung bei Le Parisien
Doppelleben für intelligente Nachrichten
ARIANE BERNARD
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EHEMALIGE LEITERIN FÜR DIGITALISIERUNG BEI LE PARISIEN
185.000 KILOMETER IST ARIANE BERNARD 2017 und 2018 weltweit gereist – vor allem zwischen Paris und New York, ihren beiden Ankerpunkten in der Welt. Die Planung ihrer Reisen ist so zu ihrer Gewohnheit geworden, dass sie die exakte chronologische Abfolge ihrer Veranstaltungen bis auf die letzte Minute meistert, um in Rekordzeit wieder nach Hause zu kommen. Sie g i bt zu, dass sie in gewisser Weise stolz darauf ist. Zwar ist sie hin- und hergerissen zwischen zwei Wohnungen und zwei Leben, organisiert dies aber mit einer solchen Effizienz, dass sie möglichst viel Zeit an beiden Orten verbringen kann.
Ich traf Bernard zum ersten Mal, als sie noch Chief Digital Officer für Le Parisien war, bei einer Geburtstagsfeier eines gemeinsamen Freundes, einem Verleger bei der New York Times und Bernards ehemaliger Kollege in den vierzehn Jahren, die sie für die Times arbeitete. In diesen ersten paar Stunden unseres Treffens nahm ich sie als Frau mit hoher Bildung und scharfem Ver stand wahr, eine einfühlsame und sowohl selbstbewusste als auch zugängliche Geschichtenerzählerin. Und mit diesen Eigenschaften ist sie ein wirklicher Trumpf für die Medienwelt. Das machte sie neben ihren herausragenden Sprachkenntnissen (Ist sie Französin oder Amerikanerin oder beides?) zu einer faszinierenden Frau mit einem Hauch von Machtgehabe. »Wenn du Ariane nicht kennst und dich eine Stunde mit ihr unterhältst, erstaunt es dich
nicht, dass sie höhere Führungspositionen besetzt«, bestätigte mein Freund Jake, der sie an diesem Abend auch zum ersten Mal traf. »Sie ist eine Frau, die die großen Jobs inne hat, aber lieber über Theater, Reisen und Kultur spricht.« Die ultimative Pariserin – sie spricht lieber über das Leben als über die Arbeit. Eine Frau, die das Geschäftsumfeld kennt und sich darin bewegen kann, aber sich nicht von ihm vereinnahmen lässt. Auch bei unseren späteren Treffen kommt diese Eigen schaft immer wieder ans Tageslicht und wir diskutieren über alles Mögliche von den Spannungen eines Doppellebens bis zum unguten Gefühl bei der Bestellung eines Tisches im Restaurant.
Du hast in Amerika studiert und hast auch dort deine Karriere gestartet. Wie hat das dein Gefühl als Pariserin geformt oder verändert? Wenn ich das siebzehnjährige Mädchen analysieren soll, dass 3.500 Kilometer von zu Hause entfernt studierte, dann ging es bei mir wohl eher um den Wunsch, etwas ganz anderes zu tun, als d a rum, eine andere Person zu sein. Ich wollte mich nie entwickeln, insbesondere weil mir immer
bewusst war, dass ich mich von allen meinen Bekannten schon deutlich unterschied. Aber durch
das Studium in den USA bin ich optimistischer geworden. Ich arbeite mit der Grundeinstellung »Ja, wenn« und nicht mit nach dem Prinzip »Nein, weil«, das in Frankreich gang und gäbe ist. Im Rückblick kann ich das hybride Ergebnis meiner langjährigen Abwesenheit aus Frankreich erkennen. Auf der einen Seite war ich überrascht, dass die Grundannahmen meines erwachsenen
Ichs recht amerikanisch sind. Daher würde ich sagen, ich bin eine amerikanische Erwachsene, die eine französische Kindheit hatte. Auf der anderen Seite habe ich viele Züge und Überzeu gungen, die ich als sehr französisch erkenne und wahrscheinlich auch nicht ablegen werde. Die wichtigste Überzeugung ist dabei wohl die zur Beziehung zwischen dem Bürger und dem Staat. Meiner Meinung nach sind die Belange einer Gesellschaft in einem Wohlfahrtsstaat, in dem sich die Kosten und Risiken der ungerechtesten und unfairsten Umstände der Herkunft (Gesundheit, Wohlergehen und weitere Einflüsse auf den Zugang zu Bildung) verteilen, von grundlegender Bedeutung.
Welche Schwierigkeiten hast du mit deinem Doppelleben? Irgendetwas fehlt immer. Außerdem steht eine Person, die fast, aber eben nicht ganz an einem Ort beheimatet ist, immer unter einer gewissen Spannung. Und dann muss ich bestimmte Nachteile akzeptieren, denn ich bin vollständig und akzentfrei zweisprachig. So kann ich mich in keiner Sprache unterscheiden und kann nirgendwo den Vorteil genießen, weiß zu sein. Ich bin überall willkommen. Beide Länder sehen mich ganz als ihre Tochter an. Sie korrigieren sich nicht, um mir den Weg durch das Leben zu erleichtern. Meine französischen Teams hatten tatsächlich keine Vorstellung von dem Heimweh, das ich jeden Tag bei meiner Arbeit in Frankreich fühlte, und sie konnten wahrscheinlich nicht verstehen, wie schwer es ist, sich anzupassen. Meine ameri kanischen Freunde können wohl nicht wissen, dass ich viele Dinge in Amerika mit den offenen, u n gläubigen und manchmal verständnislosen Augen einer Einwanderin betrachte. Im Gegensatz zu einem Gast aus dem Ausland, der sich anpassen muss und dem seine Fehler und Ungeschicklichkeiten verziehen werden, bekomme ich in keinem Land eine Extrabehandlung. Natürlich bitte ich n i cht darum, denn ich bin unglaublich glücklich, dass beide Länder meine Heimat sind. Aber da keines der Länder mein »anderes« Ich wirklich wahrnimmt, muss ich die Last alleine tragen; das macht manchmal einsam.
Du hast den Großteil deines Berufslebens in den USA verbracht. Welches sind die größten Unterschiede und Vorteile der beiden Arbeitskulturen?
In v ielerlei Hinsicht fühle ich mich für die Arbeit mit einem französischen Team schlecht ausgestattet. Der größte Unterschied besteht darin, wie die jeweiligen Arbeitsgruppen einzelne und gemeinsame Risiken angehen. In beiden Ländern werden die gleichen Risiken erkannt, aber die Reaktion darauf ist unterschiedlich. Die Franzosen glauben, dass »die Gruppe« (das Unternehmen, die Gesellschaft als Ganzes) dafür verantwortlich ist, Risiken zu minimieren, bevor eine Entscheidung gefällt wird. Die Amerikaner denken sicher in gewisser Weise auch so, setzen es aber nicht genauso um. Zwischen Angst und Risiko besteht ein großer Unterschied. Ein Risiko ist da und die Angst bewirkt etwas. Aber wenn man nicht gewöhnt ist, auf Risiken zu stoßen, dann wird es schwer, zwischen Risiko und Angst zu unterscheiden. Genau das ist meiner Ansicht nach für die Franzosen schwer.
Wie wirkt sich Paris als Stadt auf eine Frau in einer Führungsposition aus? Eine Frau in Paris zu sein, bringt Vorteile, aber auch Zwänge mit sich. So dürfen z. B. soziale und ästhetische Codes auch am Arbeitsplatz auf keinen Fall verletzt werden. Diese Herausforderung stellt sich auch in New York, aber Paris ist so vornehm und elegant, dass es schwer ist, diese Codes zu vernachlässigen, also z. B. vorlaut zu sein und zu sagen: »Das bin ich!«, das zu fordern, was man möchte und verdient hat. Um also ein Störenfried zu sein, musst du dir einen bestimmten Platz in der Gesellschaft erobern. Die Voreingenommenheit der Franzosen ist eine sich selbst erfüllende Prophezeiung: Du wagst es nicht, deine Meinung zu sagen, wenn sie nicht richtig scheint, aber dann wird sie auch nicht gehört. Und du kannst dich nicht weiterentwickeln. Wenn du deine eigenen Ziele verfolgen willst, muss du erst einmal akzeptieren, dass du ein Individuum bist, das genauso viel wert ist und genauso viele Rechte hat wie andere. Aber Paris ist so stark und so schön, dass man das Gefühl hat: Ja klar, ich bin ein Individuum, aber Paris legt die Regeln fest. Wenn du also dieses Gefühl hast und dich gelegentlich unangemessen verhältst oder die Regeln missachtest, dann hat die Tatsache, dass man in Paris »schön« ist, wahrscheinlich mehr Gewicht.
Was tust du dagegen? Ich sage mir immer wieder, dass der moralische Grund für meine Position in der Gesellschaft darin liegt, dass ich von dem Ziel oder Projekt, das ich wirklich anstrebe, so überzeugt bin. Damit kann ich sicherstellen, dass ich etwas tue, an das ich glaube. Wenn mir der gesellschaftliche Zugang zu in telligenten und aussagekräftigen Nachrichten wichtig ist, dann darf es mich nicht kümmern, wie ich aussehe, während ich mein Ziel verfolge. Die Frage ist nicht, ob es hübsch ist, seine Hand zu heben oder sich zu erheben, sondern es geht darum, was du erreichen kannst und wie du Probleme und Ungerechtigkeiten beseitigen kannst. Und jeder, wenn auch nur geringe Vorteil, den ich habe, bedeutet, dass ich meine Meinung sagen und denen helfen kann, die ihre Stimme aus welchem Gru nd auch immer nicht erheben.
Vom Sammeln und Schreiben von Nachrichten bist du in das Management des Nachrichtengeschäfts gewechselt. Wie lässt sich das mit deinem Ziel vereinbaren, den Zugang zu Informationen si cherzustellen?
Zuerst dachte ich, dass ich Reporterin sein möchte, weil ich Nachrichten mag. Aber im Laufe der Zeit habe ich andere Funktionen kennengelernt, die dazu beitragen, dass Nachrichten in der Gesellschaft bereitgestellt werden. Glücklicherweise bin ich in diesem Bereich gelandet, weil digitale Nachrichten die traditionellen Verteilungswege übernommen haben. Damit haben sich die Systeme der Nachrichtendistribution drastisch entwickelt. Ich bin schon immer eine Anhän gerin der Kunst, liebe aber auch Systeme und deren Struktur. Und hier bin ich wieder dankbar für m e ine amerikanische Ausbildung, die mich ermutigt hat, mehrere Interesse und Ziele zu verfolgen. Das französische Bildungssystem sieht Bildung als eine Serie enger werdender Optionen und als Selektion von Spezialgebieten (dabei werden Alternativen verworfen). Bei meiner Arbeit im Bereich Digitalisierung bei der Times (ich war für das Produktmanagement von Veröffentlichungswerkzeu gen und Distributionssystemen verantwortlich) habe ich verstanden, dass es genauso darum geht, Na chrichten bereitzustellen wie darum, was der Reporter vor Ort macht. Das sind natürlich zwei Paar Schuhe, aber beide Jobs sind wichtig. Bei Le Parisien habe ich ein Team in allen Bereichen des digitalen Geschäfts geleitet (Engineering, Design, Daten und Innovation usw.). Ziel war es, unseren Zielgruppen interessante, nutzerorientierte und ansprechende Nachrichten-Websites und unseren Reportern und Redakteuren intelligente Tools bereitzustellen.
Und wohin könnte es dich als Nächstes verschlagen? Über diese Frage denke ich häufig nach, auf jeden Fall möchte ich die Ideen, die mir lieb und teuer sind, weiter nähren. Wenn ich denke, dass die Diversität und die Gesundheit des Nachrich ten-Ökosystems wichtig [sind], bin ich dann auch wirklich an den Stellen präsent, wo die Zukunft di eses Ökosystems gestaltet wird? Ich verbringe viel Zeit auf Konferenzen. Außerdem gehöre ich verschiedenen Arbeitsgruppen von Google und Facebook für die Produktentwicklung und für strategische Partnerschaften an, denn unabhängig davon, was man in der Branche über diese b e iden großen Mitglieder unseres Ökosystems denkt, werde ich mich selbst niemals aus Diskussionen heraushalten, solange Diskussionen geführt werden. Aber ich habe keine Ahnung vom rechtlichen Rahmen meiner Branche. Ich würde meinen Horizont in dieser Hinsicht gern erweitern u n d mit meiner eigenen Perspektive und meinen Erfahrungen zu zukünftigen Entscheidungen beitragen – von wo aus auch immer.
Zuhause in Paris
W O H I N G E H S T D U ( A U S S E R N A C H H A U S E ), W E N N D U V O N E I N E R D E I N E R ZAHLREICHEN REISEN ZURÜCKKEHRST?
Zum Beispiel in die Tuilerien (siehe oben) oder einfach zu Marks & Spencer am Charles-deGaulle-Flughafen Terminal 2E in Paris. Dort kaufe ich immer schnell ein, wenn ich aus dem Flugzeug gestiegen bin.
AN WELCHEM ORT BIST DU GLÜCKLICH?
Im Parc Monceau – den mag ich wirklich sehr. Es gibt ein Foto von der vierjährigen Ariane, die an einem dämmrigen Herbsttag an der Hand ihres Vaters über die Alleen des Parks spazieren geht. Diesen Tag vergesse ich nie.
WELCHER STADTTEIL HAT EINE BESONDERE BEDEUTUNG FÜR DICH?
Das 9. Arrondissement. Hier habe ich einen Großteil meiner Kindheit verbracht. Meine Eltern haben einunddreißig Jahre im gleichen Block gelebt, an nur zwei verschiedenen Adressen!