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NATHALIE MILTAT Galeristin
NATHALIE MILTAT
G R Ü N D E R I N D E S A P PA R T E M E N T
NATHALIE MILTAT BEZEICHNET IHRE RÄUME NUR UNGERN ALS KUNSTGALERIE im herkömmlichen Sinne. Auch sieht sie sich selbst nicht als Galeristin. Aber wenn sie einen Teil
ihres Lofts für eine Ausstellung zeitgenössischer Werke von schwarzafrikanischen Künstlern und Künstlerinnen öffnet, wird sie zu einer wichtigen Botschafterin dieser Kultur.
Seit 2011 lädt das Appartement, wie sie ihre Galerie- und Performance-Räume in einem Gebäude im Stil Gustave Eiffels des neunzehnten Jahrhunderts nennt, Gastkuratoren für Ausstel lungen ein, die im Kontext dieser privaten Räumlichkeiten ihre Wirkung entfalten können. Mit jeder erfolgreichen Ausstellungssaison wuchs ihr W unsch, aufsteigende afrikanische Talente zu unterstützen. So lobte sie 2014 den Orisha-Preis aus, den ersten Preis für zeitgenössische afrikanische Kunst, dem 2016 die Gründung von Orafica folgte, einer gemeinnützigen Organisation zur Förderung von Kunst und schwarzafrikanischer Kultur durch künstlerische und kulturelle Initiativen.
Bei unserem Treffen im Appartement sprechen wir über ihren Weg von Benin nach Paris, die Schwierigkeiten der Kunstrestitution und ihren Anspruch, zeitgenössischer afrikanischer Kunst in der örtlichen Gemeinde eine dauerhafte Heimat zu bieten.
Du bist in Benin geboren, hast in Kamerun gelebt und bist dann in deinen späten Teenagerjahren nach Paris gezogen, um hier zur Schule zu gehen. Wie haben diese Erfahrungen deine Selbstwahrnehmung geformt? Ich war neun Jahre alt, als wir nach Kamerun zogen, wo mein Vater bereits lebte. Aber ich habe mich nie zwischen den Kapiteln meines Lebens hin- und hergezogen gefühlt. Bis zum heutigen Tag bin ich sehr glücklich darüber, an Orten mit einer solch reichen Kultur gelebt zu haben. Der Umzug von Benin nach Kamerun war schon eine bedeutsame Erfahrung: Ich hatte nicht den gleichen Akzent, es war schwer für mich und einige Klassenkameraden haben mich gemobbt. Aber man muss bedenken, dass in Paris Sprache nicht der einzige Türöffner ist. Als ich dort ankam, war ich siebzehn und hatte die Grundlagen der französischen Kultur bereits gelernt, ohne einen Fuß in
das Land gesetzt zu haben. Die Franzosen, die in Kamerun lebten, spielten Pétanque, tranken Pastis und schauten ihre Kinofilme (Louis de Funès war sehr beliebt!). Ich habe eigentlich die gleichen Erfahrungen gemacht wie heute.
Was war der Auslöser für dein Kunststudium? Eine faszinierende Erfahrung aus deiner Heimat oder ein Eindruck, den du in Frankreich gewonnen hast? In Kamerun konnte ich keine Museen besuchen, aber mein Vater hatte viele Bilder zu Hause und liebte Skulpturen. Ich war einfach umgeben von schönen Dinge, die nicht unbedingt etwas mit Kultur zu tun hatten. Erst viel später, nachdem ich mein Jurastudium abgebrochen hatte (der Weg, den sich mein Vater für mich vorgestellt hatte), wollte ich sehen, wo mich die Kunst hinführt. Ich ging zur École du Louvre und entdeckte eine völlig neue Welt. Fasziniert von der Geschichte, die mir die Objekte und archäologischen Materialien erzählten, begann ich mit dem Studium der Kunstgeschichte und speziali sierte mich später auf zeitgenössische Kunst mit dem Schwerpunkt auf schwarzafrikanischen Werken. Ich habe in dieser Zeit so viele W erke entdeckt, die es nur hier gab und nicht in Afrika. Und heute fordern einige afrikanische Staaten wie zum Beispiel Benin die Restitution ihrer Kunstwerke.
Bist du auch der Meinung, dass Artefakte und Kunstwerke, die ohne Genehmigung in andere Länder gelangten, in die Ursprungsländer zurückkehren sollen? Diese Kulturstücke sind Teil eines Erbes und sichern den Fortbestand einer bestimmten Kultur.
Mithilfe dieser Werke können wir unsere Vergangenheit und unsere Wurzeln verstehen. Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, sie zurückzugeben.
Wenn alle Werke zurückgegeben würden, wäre das Musée du Quai Branly sicher leer. Vielleicht ist das keine schlechte Idee.
Ich denke, es ist Zeit, kleine Museen wie das Quai Branly auf der ganzen Welt zu eröffnen. Es ist wichtig, dass die Afrikaner Kontakt zu ihrem Erbe und ihrer Kultur aufnehmen, um sich selbst in einem neuen Licht zu sehen.
Du gehörst zu den wenigen, die schwarzafrikanische Kunst in Paris ins Rampenlicht stellen. Dein Engagement für die Künstler wurde zu Recht anerkannt. Wie fühlt sich das an? In den zeitgenössischen Galerien werden heute immer mehr afrikanische Künstler ausgestellt (zum Beispiel in der Galerie Anne de Villepoix und der Galerie Jérôme Poggie). Ein Zeichen dafür, dass die afrikanischen Kunst wertgeschätzt wird. Ich freue mich, dass ich dazu beitragen kann. Ich habe lediglich ein Problem damit, dass die Werke so sporadisch gezeigt werden. Sie werden kurz gepusht
Gegenüberliegende Seite: Im Appartement: Eine der Skulpturen, die Nathalie Miltat von ihrem Vater geerbt hat.
und dann passiert wieder gar nichts. Ich wäre froh, wenn sie zum künstlerischen Programm der Stadt gehören würden und mit den Kunstliebhabern immer gegenwärtig wären.
Mit deinem ersten Projekt, der Noire Galerie, hast du in Paris viel Aufmerksamkeit erregt. Hattest du gehofft, dass es die Lücke in der Kunstszene schließen würde? Nach meinem Abschluss an der École du Louvre gründete ich mit anderen zusammen die Noire Galerie als Fenster für zeitgenössische schwarzafrikanische Kunst. Während des Studiums wurden wenig Inhalte zu diesem Thema vermittelt und die erste große Ausstellung zeitgenössischer (nicht westlicher) Kunst fand erst 1989 statt (Les Magiciens de la Terre). Für diese Kunst gab es zu der Zeit so wenig Raum, und unsere Galerie wollte diese Künstler hervorbringen und sie der Öffentlich keit vorstellen. Wir wollten eine Art Nomadengalerie schaffen, die Veranstaltungen an unerwarteten Or ten organisierte.
Soviel ich weiß, war dieses Projekt nicht von langer Dauer. Warum hast du trotz deines Erfolgs aufgehört? Letztendlich war es nicht das richtige Format. Aber es hat mir die Idee für den Orisha Award gegeben, der zum ersten Mal 2014 ausgelobt wurde, um afrikanische Künstler auch weiterhin der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Der Preis wird alle zwei Jahre vergeben und von einer Verlei hungsfeier begleitet. Das ist eine gute Möglichkeit zu zeigen: Ja, es gibt einen Preis für moderne afrikanische Kunst! D i e Preisträger werden bei der Vorbereitung einer Ausstellung in Paris unterstützt, die ein Jahr nach der Verleihung stattfindet. Darüber hinaus gibt es neben dem Preis und der Ausstellung viel Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Viele Künstler, die ich unterstützt und ausgezeichnet habe, haben mir erzählt, dass sie wegen des Preises in der Lage sind zu arbeiten. Das ist unglaublich.
Und das alles passiert an diesem hybriden Ort, der gleichzeitig dein Zuhause ist. Richtig, aber ich zeige die Werke nur in diesem Raum. Meine Ausstellungen sind von dienstags bis samstags geöffnet. Zwischen den Ausstellungen passiert hier eigentlich nichts. Dann habe ich Zeit zum Luftholen und genieße die Leere.
Was kommt als nächstes?
Einige Künstler haben mich gebeten, sie bei der Beschaffung von Materialien zu unterstützen, und ich habe erkannt, dass sie diese Werkzeuge wirklich benötigen und Zugang dazu haben müssen, um arbeiten zu können. Ich denke darüber nach, ein Ressourcenzentrum in Afrika einzurichten, damit die Künstler Zugang zu Werkzeugen und zur Literatur über Kunsttheorie erhalten, Aufenthalte in Künstlerresidenzen absolvieren und dann zum Arbeiten nach Paris kommen können. Was das
Appartement angeht ... mal sehen!
Gegenüberliegende Seite: Blick aus dem Appartement vom Nathalie Miltat im 10. Arrondissement.
Zuhause in Paris
DEIN VON EINER FRAU GEFÜHRTES LIEBLINGSGESCHÄFT?
Da kann ich nicht nur eines nennen! Das Baratin in Belleville, eines meiner Lieblingsrestaurants. Ich mag die gleichzeitig traditionelle und innovative Küche von Raquel Carena. Außerdem liebe ich den Concept-Store Nelly Wandji, der von einer junger Franko-Kamerunerin gegründet wurde. Hier bekommst du einen tollen Eindruck vom Reichtum der zeitgenössischen afrikanischen Handwerkskunst.
DEIN LIEBLINGSSTADTTEIL?
Das 10. Arrondissement; hier lebe ich. Es ist immer noch ein sehr kosmopolitisches Viertel mit einem großen Mix vieler Kulturen. Ich bin froh, dass ich genau an der Grenze zum 19., 11. und Marais lebe, das ist toll.
AN WELCHEM ORT BIST DU GLÜCKLICH?
Im Louvre, dessen Entwicklung und Wandel ich seit meiner Studienzeit beobachte. Dort kann ich mich nach all dieser Zeit immer noch richtig verlieren und einfach durch die verschiedenen Räume und Hallen des Museums schlendern.