Das Outsourcing von Finanzdienstleistungen nach der Cardpoint-Entscheidung des EuGH

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ARBEITSRECHT

4. Der Anspruch nach § 8 AngG entsteht nach Antritt des Dienstverhältnisses. Beim Übertritt vom Lehrverhältnis in das Angestelltenverhältnis beginnt er neu und unabhängig davon, ob der nach § 17 a BAG zur Verfügung stehende Entgelfortzahlungszeitraum im vorangegangenen Lehrverhältnis bereits ausgeschöpft war (ua Reissner in ZellKomm3 § 8 AngG Rz 91; vgl auch zum Arbeitsverhältnis: ARD 5992/13/2009). Weicht der Übertrittsstichtag vom Stichtag des Beginns des Lehrverhältnisses ab, resultiert für den früheren Lehrling und nunmehrigen Angestellten daraus der Vorteil, dass innerhalb eines Zwölfmonatszeitraums zweimal ein Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht. Mit dem Argument, dass der Lehrling nach § 18 Abs 1 BAG drei Monate im erlernten Beruf „weiterzuverwenden“ sei (nunmehr nach BGBl I 2020/18: „weiter zu beschäftigen“), weshalb der Stichtag des Eintritts in das Lehrverhältnis maßgeblich sein müsse, vermag die Revision nicht zu überzeugen. Mit dieser Regelung wird dem Dienstgeber für einen begrenzten Zeitraum ein Kontrahierungszwang auferlegt. Der Verweis auf

§ 14 Abs 1 oder 2 lit e BAG stellt dabei aber auch klar, dass das diesem Gesetz unterliegende Lehrverhältnis bei Beginn der Weiterbeschäftigungszeit beendet ist, ohne dass eine Anordnung über die arbeitsrechtliche Qualifikation des danach zu begründenden Vertragsverhältnisses getroffen wird. 5. Soweit die Revision sich zuletzt auf eine schlüssig getroffene Vereinbarung der Streitteile über den Stichtag 1. 9. als Beginn des nach § 8 AngG maßgeblichen Arbeitsjahrs stützt, verstößt sie gegen das Neuerungsverbot. Ein vom Arbeitsjahr abweichender Anspruchszeitraum für die Entgeltfortzahlung kann nach § 8 Abs 9 AngG auch nicht durch Einzelvertrag, sondern nur durch KV oder Betriebsvereinbarung und nur mit dem Beginn eines Kalenderjahrs festgelegt werden. 6. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass eine Anrechnung der beim selben AG absolvierten Lehrzeit als Vordienstzeit nichts daran ändert, dass das nächste Arbeitsjahr iS dieser Bestimmung jeweils mit dem Jahrestag des Eintritts in das Angestelltendienstverhältnis beginnt.

Das Outsourcing von Finanzdienstleistungen nach der Cardpoint-Entscheidung des EuGH

STEUERRECHT GELEITET VON J. SCHUCH PH. VONDRAK

Judikatur des EuGH macht umsatzsteuerbefreite Auslagerung von Finanzdienstleistungen faktisch nahezu unmöglich. NORBERT BRAMERDORFER

A. Einleitung Ist der ausgelagerte Betrieb eines Geldausgabeautomaten eine umsatzsteuerbefreite Dienstleistung im Zahlungs- und Überweisungsverkehr? Jedem Nichtjuristen würde wahrscheinlich schon die Frage absurd vorkommen. Wenn dies keine Dienstleistung im Zahlungs- und Überweisungsverkehr sei, was sollte sonst jemals eine sein? Auch das Finanzgericht Rheinland-Pfalz sah es in einer „mustergültig durchgeführten Prüfung“1) nicht anders.2) Nach einer Revision des Finanzamts war der BFH hingegen keineswegs so überzeugt wie das Finanzgericht und hat die Frage dem EuGH zu Vorabentscheidung vorgelegt.3) Der entschied, dass hier mitnichten von einer umsatzsteuerbefreiten Dienstleistung im Zahlungsverkehr auszugehen sei.4) Und dies nicht einmal überraschend, sondern in konsequenter Fortsetzung seiner bisherigen Judikatur zur Auslagerung von Finanzdienstleistungen. Obwohl weder iS des historischen Gesetzgebers noch an die moderne Finanzwirtschaft angepasst, wird sich an dieser Judikaturlinie des EuGH in absehbarer Zeit auch nichts ändern. Ein steuerfreies Outsourcing von Finanzdienstleistungen, das nach unveränderter EuGHDiktion grundsätzlich möglich sein müsste, ist für die Praxis faktisch nicht mehr erreichbar.5) Zwar

kann in Österreich derzeit noch zum Teil auf die Zusammenschlussbefreiung zurückgegriffen werden, doch ist deren Ende absehbar.

B. Entscheidung des EuGH in der Rs Cardpoint Doch soll die Geschichte der Reihe nach erzählt werden. Die deutsche Cardpoint GmbH war von ihrer Kundin, einer Bank, beauftragt, Geldausgabeautomaten aufzustellen und zu warten. Dazu installierte sie die Hardware der betreffenden Automaten sowie die für ihren ordnungsgemäßen Betrieb notwendige Software. Zudem übernahm sie den Transport des von der Bank zur Verfügung gestellten Bargelds und die BeDr. Norbert Bramerdorfer, LL. M., ist Steuerberater bei Deloitte Tax Wirtschaftsprüfungs GmbH in Wien. 1) Hahne, Zur Anwendung von Umsatzsteuer-Befreiungen für Bankund Finanzdienstleistungen bei Outsourcing-Fällen, BB 2015, 541 (543). 2) FG Rheinland-Pfalz 23. 10. 2014, 6 K 1465/12 EFG 2015, 588. 3) BFH Vorlagebeschluss 28. 9. 2017, V R 6/15 BStBl II 2018, 250 = UR 2018, 193 (mit Anm Jacobs). 4) EuGH 3. 10. 2019, C-42/18, Cardpoint GmbH, ECLI:EU: C:2019:822. 5) Wäger, Rechtsprechungsauslese 2019, UR 2020, 85 (88).

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füllung der Geldausgabeautomaten. Schließlich beriet sie zum laufenden Betrieb der Automaten. Im Grunde hatte Cardpoint damit den Betrieb des Geldausgabeautomaten vollständig übernommen.6) Die Bargeldabhebungen erfolgten konkret wie folgt: Führte ein Inhaber einer Geldkarte diese in einen Geldausgabeautomaten ein, wurden bestimmte Daten von der Karte mittels einer dafür vorgesehenen Software eingelesen. Cardpoint prüfte die Daten und leitete sie weiter, wo sie am Ende bei der Bank landeten, die die betreffende Geldkarte ausgegeben hatte. Diese Bank prüfte die Deckung des Bankkontos des Karteninhabers und leitete eine entsprechende Genehmigung oder Ablehnung der gewünschten Abhebung über dieselbe Übermittlungskette zurück. Im Genehmigungsfall führte Cardpoint die Abhebung am Geldausgabeautomaten aus und erzeugte darüber einen Datensatz für ihre Kundin, die den betreffenden Geldausgabeautomaten betreibende Bank. Dies ermöglicht es ihr, die Forderung über den abgehobenen Geldbetrag gegenüber der Bank des Kontoinhabers, der den Geldbetrag abhob, sowie die hierfür anfallenden Gebühren festzuschreiben. Der EuGH stellte fest, dass die Abhebung an einem Geldausgabeautomaten zwar ein „Zahlungsdienst“ iS des Unionsrechts darstelle. Um als „Umsätze im Zahlungsverkehr“ iSv Art 135 Abs 2 lit d MwStSystRL7) eingestuft zu werden, muss die Dienstleistung jedoch – in Anlehnung an seine ständige Judikatur zur Auslagerung von Finanzdienstleistungen – ein im Großen und Ganzen eigenständiges Ganzes sein, das die spezifischen und wesentlichen Funktionen einer Zahlung erfülle und damit bewirken, dass Gelder übertragen sowie rechtliche und finanzielle Änderungen herbeigeführt werden. Insoweit sei die steuerbefreite Dienstleistung iS der Sechsten Richtlinie von der Erbringung einer rein materiellen oder technischen Leistung zu unterscheiden.8) Das Kriterium für die Unterscheidung eines Umsatzes, der bewirkt, dass Gelder übertragen sowie rechtliche und finanzielle Änderungen herbeigeführt werden, besteht für den EuGH darin, ob durch den betreffenden Umsatz tatsächlich oder potenziell das Eigentum an den in Rede stehenden Geldern übertragen wird oder ob er die spezifischen und wesentlichen Funktionen einer solchen Übertragung erfüllt. Die Bargeldbehebung an einem Geldausgabeautomaten stelle keine solche Eigentumsübertragung an den Nutzer des Automaten dar. Vielmehr übertrug die Bank, die die Geldkarte ausgestellt hatte, mit der Genehmigung für die Bargeldabhebung und der Belastung des Bankkontos des Nutzers des Automaten mit dem entsprechenden Betrag Eigentum am Geld unmittelbar auf diesen Nutzer. Beim Geldausgabeautomatenbetreiber selbst könne folglich keine umsatzsteuerbefreite Leistung im Zahlungsverkehr vorliegen.9)

C. Zur Auslagerungsjudikatur des EuGH Die E des EuGH ist im Hinblick auf seine Vorjudikatur nicht überraschend. Der EuGH schließt hier, wie er im Urteil auch vermerkt, an eine Judikaturlinie an, die er 1997 mit der SDC-Entscheidung10) begonnen hat. In dieser E, in der es um ausgelagerte 1014 ecolex 2020

EDV-Leistungen eines Rechenzentrums von Sparkassen ging, legte er die wesentlichen Eckpfeiler dieser Judikatur erstmals fest. Ausgelagerte umsatzsteuerbefreite Leistungen müssten demnach & ein im Großen und Ganzen eigenständiges Ganzes sein, dh einen eigenständigen Charakter haben, und & die spezifischen und wesentlichen Funktionen der umsatzsteuerbefreiten Leistung erfüllen. Für einen umsatzsteuerbefreiten Umsatz im Überweisungsverkehr muss dies zu einer rechtlichen und wirtschaftlichen Änderung an den Geldern führen. Dies sei von rein materiellen und technischen Leistungen zu unterscheiden.11) An dieser Judikatur hielt der EuGH in Folgeentscheidungen bis zur gegenständlichen Cardpoint-Entscheidung fest.12)

D. Kritik Einige Punkte, mit denen der EuGH ein Abgehen von dieser Judikaturlinie rechtfertigen hätte können, sollen dann aber doch angemerkt werden. Dieses betreffen sowohl den spezifischen Sachverhalt in Cardpoint wie auch die Auslagerungsjudikatur des EuGH im Allgemeinen.

1. Bargeldbehebung bewirkt keine Vermögensänderung So ist Kern der Cardpoint-Entscheidung, mit dem der EuGH seine ablehnende Haltung eines steuerbefreiten Outsourcings rechtfertigt, dass nicht der Betreiber des Geldausgabeautomaten, sondern die Bank des Bargeldbehebers durch ihre Genehmigung den Eigentumsübergang bewirkt. Doch welches „Eigentum“ wird hier überhaupt übertragen? Das Vermögen des Kunden hat sich durch die Geldbehebung am Automaten jedenfalls weder vermehrt noch verringert. Er hat lediglich auf seinem Konto befindli6) Wischermann, Cardpoint & Co.: Das Ende vom Outsourcing durch Finanzdienstleister? UR 2020, 129. Auch das FG Rheinland-Pfalz, stimmte dem Kl Cardpoint darin zu, „faktische Betreiberin“ des Bankomats zu sein. 7) Bzw im Erk des EuGH die inhaltsgleiche Vorgängerbestimmung des Art 13 Teil B lit d Nr 3 der Sechsten Richtlinie. 8) EuGH 3. 10. 2019, C-42/18, Cardpoint GmbH, ECLI:EU: C:2019:822, Rz 21. 9) EuGH 3. 10. 2019, C-42/18, Cardpoint GmbH, ECLI:EU: C:2019:822, Rz 26. 10) EuGH 5. 6. 1997, C-2/95, Sparekassernes Datacenter (SDC), ECLI: EU:C:1997:278. 11) EuGH 5. 6. 1997, C-2/95, SDC, ECLI:EU:C:1997:278, Rz 66. 12) Vgl zur Auslagerung von Finanz- und Versicherungsdienstleistungen EuGH 8. 3. 2001, C-240/99, Skandia, ECLI:EU:C:2001:140; 13. 12. 2001, C-235/00, CSC Financial Services, ECLI:EU: C:2001:696; 3. 3. 2005, C-472/03, Arthur Andersen, ECLI:EU: C:2005:135; 4. 5. 2006, C-169/04, Abbey National, ECLI:EU: C:2006:289; 21. 6. 2007; C-453/05, Ludwig, ECLI:EU: C:2007:369; 28. 7. 2011, C-350/10, Nordea Pankki Suomi, ECLI: EU:C:2011:532; 19. 7. 2012, C-44/11, Deutsche Bank, ECLI:EU: C:2012:484; 7. 3. 2013, C-275/11, GfBk, ECLI:EU:C:2013:141; 13. 3. 2014, C-464/12, ATP PensionService, ECLI:EU:C:2014:139; 9. 12. 2015, C-595/13, Fiscale Eenheid X ECLI:EU:C:2015:801; 26. 5. 2016, C-607/14, Bookit, ECLI:EU:C:2016:355; 25. 7. 2018, C-5/17, DPAS Ltd, ECLI:EU:C:2018:592. Vgl dazu zusammenfassend jüngst die Darstellung bei Wischermann, UR 2020, 130 ff.


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ches Buchgeld in physische Banknoten umgewandelt. Weder hat der Kunde durch die Abhebung mehr Geld, noch hat die Bank weniger Geld zur Verfügung. Es besteht insoweit ein Unterschied zu einem Zahlungs- und Überweisungsverkehr, bei dem Eigentum an Geld iS von buchwertem Vermögen zwischen verschiedenen Personen übertragen wird. Es ist unklar und wird in der E auch nicht weiter ausgeführt, was der EuGH bei einer Geldbehebung von einem Geldautomaten mit einem „Eigentumsübergang“ überhaupt meint. „Eigentum“ wird bei der Bargeldbehebung nur an den Banknoten übertragen. Ein Abstellen auf das Eigentum an der Banknote kann vom EuGH aber nicht gemeint gewesen sein, denn diese gehören vor der Bargeldbehebung entweder dem Bankomatbetreiber oder der Bank, in dessen Namen der Bankomat betrieben wird. Letztere muss nicht notwendigerweise die kartenausgebende Bank sein und war es auch im streitgegenständlichen Fall nicht. Würde hierauf abgestellt, könnte nicht einmal die kartenausgebende Bank selbst die Steuerbefreiung des Zahlungs- und Überweisungsverkehrs in Anspruch nehmen, wenn fremde Kunden bei ihren eigenen Bankomaten Geld beheben.13) Ein Abstellen auf physisches Eigentum an Banknoten erscheint auch mit der wirtschaftlichen Realität von Zahlungsvorgängen wenig sinnvoll. Der EuGH macht es sich hier zu leicht, wenn er nur darauf verweist, dass Barabhebungen Zahlungsdienste iS des Unionrechts darstellen und somit die Grundsätze zum Überweisungsverkehr auch für diese gelten müssen. Dass er die Steuerbefreiung darauf zurückführt, wer den entscheidenden Impuls zum „Eigentumsübergang“ gibt, hätte einer näheren Ausführung bedurft, welches Eigentum er hier überhaupt übergeben sieht.

2. Umwandlung von Buch- in Bargeld als Leistungsinhalt des Einlagengeschäfts Tritt man in der Betrachtung des Sachverhalts einen Schritt zurück, zeigt sich, dass aus Sicht des Kunden nicht ein durchgeführter Eigentumsübergang von Banknoten, sondern etwas anderes Leistungsinhalt des Bankomatbetreibers ist. Es ist dies die Behebung von Bargeld von seinem Konto, also die Umwandlung von kontomäßigem Buchgeld in Bargeld. Hierfür zahlt er ein Entgelt an seine Bank und uU zusätzlich auch an den Bankomatbetreiber. An seine kartenausgebende (kontoführende) Bank bezahlt er für diese Leistung über sein Kontoführungsentgelt, das die Verwendung einer Bankomatkarte beinhaltet. Manche Banken sehen für bestimmte Konten sogar ein ausdrückliches Entgelt für die Bankomatkarte vor; doch selbst wenn das nicht der Fall ist, ist dieser Leistungsinhalt Teil des allgemeinen Kontoführungsentgelts. Bestimmte Bankomatbetreiber verlangen vom Benützer auch noch zusätzlich ein Entgelt für den Behebungsvorgang, worauf sie den Benützer vor der Bargeldbehebung hinweisen. Diese Bargeldbehebungsleistung ist aus Sicht des Verbrauchers – unabhängig von einer etwaigen anderen bankrechtlichen Einstufung – ein Leistungsinhalt der Bank iZm seinem Girokonto und insoweit von der Befreiung der Umsätze im Einlagengeschäft erfasst. Sie kann also solche auch

an Drittunternehmer, die Bargeldautomaten betreiben, steuerfrei outgesourct werden. Eine Einstufung als spezielle Zahlungsverkehrsleistung, wie sie der EuGH vorgenommen hat, entspricht nicht dieser Verbrauchersicht. Sie ist für eine Anwendung der Umsatzsteuerbefreiung in § 6 Abs 1 Z 8 lit e UStG weder notwendig noch sinnvoll. Sie führt im Ergebnis nur zu wirtschaftlich unverständlichen Entscheidungen wie jene des EuGH in Cardpoint.

3. „Ein im Großen und Ganzen eigenständiges Ganzes“ kein ergänzendes Outsourcing-Kriterium Doch nicht nur der spezielle Sachverhalt in Cardpoint und seine rechtliche Beurteilung durch den EuGH ist kritikwürdig. Auch die Dogmen seiner langjährigen generellen Auslagerungsjudikatur haben Anteil an diesem Ergebnis. Was etwas „ein im Großen und Ganzen eigenständiges Ganzes“ einer Leistung sein soll, ist trotz zahlreicher EuGH-E bis heute unbestimmt.14) Der EuGH meinte damit in der SDC-Entscheidung, dass die Leistung einen „eigenständigen Charakter“ haben müsse – eine Aussage, die zu keinem weiteren Erkenntnisgewinn führt.15) Das FG Rheinland-Pfalz sah in seiner Cardpoint-Entscheidung in dieser Voraussetzung nichts anderes als eine synonyme Terminologie zur Einheitlichkeit der Leistung und berief sich darin auf den BFH.16) Damit stellt dieses Kriterium aber für eine outgesourcte Leistung, trotz seiner besonderen Gewichtung durch den EuGH, keine besondere Voraussetzung, sondern nur eine im Grunde selbstverständliche, für jede umsatzsteuerbare Leistung geforderte Bestimmung ihres Leistungsinhalts dar: Diese muss, um in den Genuss der Steuerbefreiung zu kommen, als eine einheitliche, dh nicht künstlich aufgespaltene, steuerbefreite Finanzdienstleistung eingestuft werden können. 4. „Spezifische und wesentliche“ Funktionen der umsatzsteuerbefreiten Leistung als „normaler“ Subsumptionsvorgang Wichtiger ist die zweite vom EuGH aufgestellte Voraussetzung für die Umsatzsteuerbefreiung, nämlich, dass die ausgelagerte Dienstleistung die spezifischen und wesentlichen Funktionen einer umsatzsteuerbefreiten Leistung erfüllen muss. Es ist diese Vorausset13) Wischermann, UR 2020, 133. Die Steuerbefreiung könnte in diesem Fall nur dann beansprucht werden, wenn es, um als Leistung im Zahlungs- und Überweisungsverkehr gewertet zu werden, gleichgültig ist, ob fremdes oder eigenes Eigentum an Banknoten übetragen wird, wie Philipowski vertritt (Philipowski, Ist das Betreiben vom Geldausgabeautomaten namens und im Auftrag einer Bank umsatzsteuerpflichtig? UR 2018, 537). 14) Ausdrücklich FG Rheinland-Pfalz, 23. 10. 2014, 6 K 1465/12 EFG 2015, 588; Hahne, BB 2015, 542. 15) EuGH 5. 6. 1997, C-2/95, SDC, ECLI:EU:C:1997:278, Rz 67. Philipowski (in Rau/Dürrwächter, UStG § 4 Nr 8 Rz 288 [FN 2]) weist unter Hinweis auf die französische Originalfassung der E darauf hin, dass nicht ein „eigenständiges Ganzes“, sondern ein „eindeutiges, sich von anderen Handlungen deutlich abhebendes Ganzes“ gemeint sei. 16) BFH 12. 6. 2008, V R 32/06 BFHE 221, 542 = UR 2008, 731 (mit Anm Philipowski); trotz seiner Kritik an den Schlussfolgerungen des BFH dürfte dies auch Philipowski nicht anders sehen.

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zung, an der der EuGH die Steuerbefreiung ausgelagerter Finanzdienstleistungen regelmäßig scheitern lässt. Dabei wird auch hier vom EuGH im Grunde nur eine Selbstverständlichkeit juristischer Methodik festgelegt, nämlich eine Wertungsentscheidung, ob ein Sachverhalt unter einem rechtlichen Tatbestand subsumiert werden kann.17) & Dazu wird vom EuGH methodisch zunächst gefragt, welche Umsatzsteuerbefreiung für die outgesourcte Leistung zur Anwendung kommen soll (1). & Anschließend ist zu fragen, was die „spezifischen und wesentlichen“ Funktionen dieser Umsatzsteuerbefreiung ausmachen (2). & Abschließend ist festzustellen, ob die vom Outsourcing-Dienstleister übernommenen Teile des Leistungserstellungsprozesses die festgestellten Funktionen der steuerbefreiten Leistung beinhaltet (3).18) Hahne sieht in diesem Subsumptionsvorgang insoweit eine methodische Besonderheit des EuGH, als er den für die Subsumtion festzulegenden umsatzsteuerbefreiten Tatbestand nur hinsichtlich seiner „spezifischen und wesentlichen“, also nicht hinsichtlich aller seiner Funktionen umschreibt. Damit billige der EuGH steuerbefreiten Outsourcing-Leistungen nur einen „begrenzten Raum“ zu. Dies stehe im Einklang mit der stRsp des EuGH zur engen Auslegung der Umsatzsteuerbefreiungen.19) Diese Aussage erweckt den Eindruck, als würde der EuGH über zwei unterschiedliche Interpretationsmaximen zu einem korrespondierenden, sich gegenseitig rechtfertigendem Ergebnis gelangen. Tatsächlich dürfte es eher so sein, dass der EuGH, gerade weil er Umsatzsteuerbefreiungen eng auslegt, diese auf ihre spezifischen und wesentlichen Funktionen zu reduzieren sucht. Daraus ergeben sich zwei Fragestellungen. Zum einen, ob die Ansicht des EuGH zur engen Auslegung von Umsatzbefreiungen überhaupt eine rechtliche Grundlage hat, und zum zweiten, ob dieses Ziel durch eine Reduzierung auf die spezifischen und wesentlichen Funktionen einer steuerbefreiten Leistung erreicht werden kann.

5. Enge Auslegung von Ausnahmebestimmungen ohne normative Grundlage Dass Umsatzsteuerbefreiungen grundsätzlich eng auszulegen sind, ist eine vom EuGH seit Jahrzehnten vertretene Ansicht, die gefühlt, trotz vereinzelter, großzügigerer Urteile,20) in keinem Erk zu Umsatzsteuerbefreiungen der letzten Jahre zu fehlen scheint.21) Damit begrenzt er rechtsdogmatisch unnötigerweise seine Interpretationsmöglichkeiten ohne, dass er – soweit ersichtlich – je begründen würde, wo dieses Dogma außerhalb seiner eigenen Rsp im europäischen Recht festgelegt wäre. Tatsächlich kann diese vom EuGH nicht nur auf das Steuerrecht beschränkte Auslegungsmaxime, die römisch-rechtlichen Rechtsgrundsätzen entlehnt sein dürfte,22) soweit ersichtlich, keiner der vom EuGH anzuwendenden Primärnormen ausdrücklich entnommen werden.23) Doch selbst wenn eine solche Auslegungsmaxime tatsächlich autoritativ festgelegt wäre, ist fraglich, ob es für den Interpretationsprozess methodologisch eine einschränkende Wirkung hätte.24) Die der Subsump1016 ecolex 2020

tionsentscheidung vorgelagerte Definition des rechtlichen Tatbestands hat zunächst immer die vom Gesetzgeber (innerhalb des Wortlauts) gewollte, beabsichtigte Begriffsbedeutung eines Tatbestands zu erfassen. Gerichte haben interpretativ zu ermitteln, was der Gesetzgeber zB mit dem steuerbefreiten „Zahlungsverkehr“ gemeint hat. Dazu wird es notwendig sein, den Begriff zunächst hinsichtlich seiner „spezifischen und wesentliche Funktionen“ einzugrenzen, um hierdurch seinen Begriffskern zu erfassen. Der Interpretationsprozess hat aber nicht notwendigerweise bei diesem Begriffskern zu enden. Käme man etwa im Rahmen einer interpretativen Auslegung zum Ergebnis, dass der Gesetzgeber mit diesem Begriff konkret keineswegs nur eine Kernbedeutung,25) sondern auch einen spezifischen weitergehenden (im „Begriffshof“ gelegenen) Begriffsinhalt umfasst sehen wollte, so wäre auch dieser von der Steuerbefreiung umfasst. Zwar ist es mithilfe einer (objektiv-)teleologischen Auslegung möglich, zu einer dem festgestellten Willen des historischen Gesetzgebers reduzierende oder gar widersprechende Auslegung des Begriffsinhalts zu gelangen. Diese müsste aber begründen können, warum der festgestellte Begriffsinhalt des historischen Gesetzgebers dem Zweck der Regelung, zB aufgrund geänderter tatsächlicher Voraussetzungen und Wertvorstellungen, nicht gerecht wird. Eine allgemeine Interpretationsmaxime, dass Ausnahmebestimmungen eng auszulegen sind, kann eine solche teleologische Reduktion eines festgestellten Begriffsinhalts indes nicht rechtfertigen. Es steht dem EuGH schlichtweg nicht zu, einen vom europäischen Gesetzgeber in einer bestimmten Weise vorgesehenen Umsatzsteuerbefreiungstatbestand in seiner Bedeutung zu reduzieren, weil diese Begriffsbedeutung über die spezifischen und wesentlichen Funktionen einer bestimmten Leistung hinausgehen würde oder dies einer engen Auslegung von Umsatzsteuerbefreiungen widersprechen würde. Wird 17) Vgl auch Hahne, BB 2015, 542. 18) Hahne, Besteuerung von Outsourcing-Leistungen: Methodik des EuGH zur Anwendung von Steuerbefreiungen, UR 2005, 353 (355). 19) Hahne, UR 2005, 356 und bei FN 38. 20) Vgl die Nachweise bei Ruppe/Achatz, UStG5 Einf, Rz 28/3. 21) Statt vieler EuGH 15. 6. 1989, C-348/87, SUFA, ECLI:EU: C:1989:246; 20. 6. 2002, C-287/00, Kommission/Deutschland, ECLI:EU:C:2002:388. Laut Herberger, „Ausnahmen sind eng auszulegen“ (Berlin 2017) 62, handelt es sich um einen rechtsgebietsübergreifenden, dauerhaften Bestandteil des gerichtlichen Argumentationskanons; vgl auch ebd, 72 ff, eine umfassende Zusammenstellung der Dokumentenliste mit gehaltvoller Erwähnung der Formel. Die Hervorhebung der Ausnahmethematik findet sich in immerhin 209 Leitsätzen (Stand 2017); Herberger, Ausnahmebestimmungen 20. 22) „Singularia non sunt extendenda“. Wörtlich übersetzt wird damit allerdings nicht eine enge Auslegung geboten, sondern eine erweiterte Auslegung verboten. 23) ZB Müller, Wettbewerb und Unionsverfassung (Tübingen 2013) 25: Der Grundsatz lässt sich „auf keinen ausdrücklichen primären Rechtsgrundsatz stützen“; nach Herberger (Ausnahmebestimmungen 41, 59) steht eine echte Begründung der Formel noch aus. Vgl auch die Zweifel von Schlussantrag GA Geelhoed, 31. 1. 2002, C-334/00, Tacconi, Rz 34 als obiter dictum. 24) Ruppe/Achatz, UStG, Einf, Rz 28/3: „Methodisch ist diese Auslegungsmaxime nicht begründbar. Auch Ausnahme- und Befreiungsbestimmungen sind jeweils nach ihrem Wortlaut und ihrem Zweck auszulegen.“ 25) Stoll, Ermessen im Steuerrecht2 (2001) 16 ff.


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ein bestimmter, dem Gesetzeswillen entsprechender Begriffsinhalt einer umsatzsteuerbefreiten Leistung festgestellt, der aus einzelfallbezogenen Gründen teleologisch nicht reduziert werden kann, so ist der tatbestandlichen Leistung dieser Begriffsinhalt auch dann zuzugestehen, wenn sie ausgelagert wird. Lediglich dann, wenn Gerichten ein Ermessen in der Begriffsauslegung eingeräumt wäre, könnten derartige Interpretationsmaximen uU berücksichtigt werden. Ein solche Ermessensübung setzt aber voraus, & dass zunächst mithilfe der gesamten rechtswissenschaftlichen Methodik kein eindeutiges Ergebnis erzielt werden kann (1)

und diese verbleibende Mehrdeutigkeit nach dem Willen des Gesetzgebers durch richterliche Ermessensübung geschlossen werden darf (2). & Darüber hinaus müsste eine einengende Auslegung von Ausnahmebestimmungen als zusätzliche Ermessensrichtlinie ausdrücklich vorgesehen sein (3). Letzteres lässt sich für das österr Recht verneinen, denn nach der österr Bundesabgabenordnung hat sich die Ermessensübung ausschließlich nach den Grundsätzen von Billigkeit und Zweckmäßigkeit zu richten (Art 20 BAO). Und auch dem europäischen Recht kann keine solche Ermessensmaxime entnommen werden. &

SCHLUSSSTRICH

Zusammenfassend lässt sich daher feststellen, dass das EuGH-Erk in der Rs Cardpoint zwar eine wenig überraschende Fortsetzung seiner bisherigen Judikatur darstellt. Mit etwas gutem Willen hätte der EuGH aber auch ohne grundlegende Änderung seiner bisherigen Judikaturlinie zu einem der wirtschaftlichen Realität angemesseneren Ergebnis gelangen können. Er zog es stattdessen vor, in der Wohlfühlzone seiner schematischen, schablonenhaften Rechtsfindung zu verbleiben. Gefangen in diesem Kanon jahrzehntealter Leit-Erk ist er nicht mehr in der Lage, sich neu zu erfinden. Während sich die Bankenwirtschaft immer weitergehend auto-

matisiert und auf Kernfunktionen reduziert – eine Entwicklung, die sich durch die derzeitige COVID19-Pandemie noch beschleunigen wird –, lebt der EuGH noch immer in der Bankenwelt des 20. Jahrhunderts. Der europäische Gesetzgeber sollte dem EuGH aus dieser selbst gegrabenen Grube heraushelfen und diese für die europäische Bankenwirtschaft so schädliche Rsp beenden. Eine Umsatzsteuerbefreiung von Finanzdienstleistungen macht in einer fortschreitenden arbeitsteiligen Finanzwirtschaft keinen Sinn, wenn ihre Vorleistungen hiervon nicht mitumfasst sind.

RECHTSPRECHUNG DES BFG

Fremdüblichkeit konzerninterner Darlehenszinsen Bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt kann von einem grds fremdvergleichsüblichen Zinssatz auf Grund der erhöhten Mitwirkungspflicht nur mittels ausreichender Nachweise, zB in Form eines Gutachtens, abgewichen werden. Dabei ist die Rechtsansicht der ausländischen Finanzverwaltung für die österr Finanzverwaltung keinesfalls bindend.

Aus der Begründung: (. . .) Die Bf ist eine GmbH, welche im Bereich Energieerzeugung (ua Kraftwerksbau) tätig ist. Die Bf hat Darlehen an rumänische Gesellschaften begeben, an welchen sie selbst beteiligt ist (. . .). In der (. . .) vorliegenden Beschwerde begehrt die Bf (. . .) die Änderung des Zinssatzes für das Jahr 2014. Statt der verrechneten 5,5% würden 3,0% als angemessen erachtet. (. . .) Die belBeh hat diesem Begehren nicht entsprochen, da auch beim anderen Darlehen ein Zinssatz von 5,5% für das Jahr 2014 verrechnet wurde. Ein vergleichbares Darlehen vergab die Bank AG an Fa3 s.r.l. (hier besitzt die Bf eine indirekte Beteiligung) mit einem Zinssatz von 4% zuzüglich Euribor. (. . .) Die Bf argumentiert dahingehend, dass aufgrund der unterschiedlichen erwarteten Entwicklungen und individuellen Sicherheiten auch unterschiedliche Zinssätze gerechtfertigt sind. Der vereinbarte Zinssatz ist auch das Ergebnis von Verhandlungen mit den Darlehensnehmern. (. . .) Richtig ist der

Einwand der Bf, dass bei dem Darlehen der Bank allenfalls auch eine Gewinnmaximierung vorliegt, welche bei konzerninternen Darlehen nicht gegeben sein wird. Zu beachten ist allerdings auch, dass das Darlehen der Bank mit erheblichen Sicherheiten abgedeckt ist, das hier streitgegenständliche Darlehen allerdings nicht. Somit kann durchaus schlüssig unterstellt werden, dass sich die hier gegebenen Unterschiede gegenseitig „aufrechnen“. (. . .) Der Zinssatz, den die Bank verrechnet hat, ist also durchaus als „Fremdvergleichszinssatz“ zu betrachten. Im Rahmen der erhöhten Mitwirkungspflicht des § 138 BAO könne nur dann von diesem Zinssatz abgewichen werden, wenn seitens der Bf hierzu ausführliche Darstellungen und Nachweise („Gutachten“) vorgelegt werden könnten. Diese wurden allerdings seitens der Bf nicht in Aussicht gestellt. Das erkennende Gericht sieht es unter diesen Umständen als schlüssig an, einen Zinssatz von 4,00% als angemessenen Fremdvergleichszinssatz für das Jahr 2014 zu berücksichtigen. (. . .)

BEARBEITET VON M. HATZENBICHLER §6Z6 EStG 1988 BFG 23. 1. 2020, RV/5101346/ 2019

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Anmerkungen: Nach bisheriger Ansicht der österr Finanzverwaltung (ua Rz 2511 EStR 2000; Rz 503 KStR 2013) ist der Fremdvergleichsgrundsatz zur Ermittlung eines angemessenen Verrechnungspreises für grenzüberschreitende Transaktionen innerhalb eines Konzerns anzuwenden. Zinsen für ein konzerninternes Darlehen müssen daher nach herrschender Ansicht dem Fremdvergleichsgrundecolex 2020 1017


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