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STUDIOBERICHT
STEVE BARNES Nach Jahren des Changierens zwischen innerer Resignation und kölschseliger Selbstzufriedenheit entwickelt die Kölner Musikszene derzeit fühlbar mehr Dynamik. Dazu trägt nicht zuletzt das höchst umtriebige Label-Triptychon von Jacqueline Klein und Riley Reinhold, bestehend aus My Best Friend (MBF), Traum Schallplatten (Traum) und Trapez, bei. Und wenn dann noch waschechte Briten wie Steve Barnes ihren Hauptwohnsitz an den Rhein verlagern, um hier ihre Musik zu produzieren und zu veröffentlichen, dann darf das doch als Beweis für die Lebens- und Arbeitsqualität dieser Stadt gelten. Text: Numinos Bild: Alfred Jansen
Würde Steve Barnes neben Blueshift, Cosmic Sandwich und Process noch ein weiteres Pseudonym benötigen, wäre „Relax“ ein durchaus zutreffendes, denn der sympathische Brite ist ein angenehm entspannter und gleichzeitig aufmerksamer Gesprächspartner. Barnes kann zu Recht sorgenfrei auf die letzten Jahre zurückblicken. Nachdem er sich in seiner Heimatstadt Brighton jahrelang in einem typischen Nine-to-five-Job mit Lebensversicherungen beschäftigte, nahm sein Leben eine erfreuliche Wendung: Anfang der Neunziger entließ sein Arbeitgeber massenhaft Mitarbeiter, mit noblen Abfindungen. Und wo 80 Prozent der Werktätigen ihre Welt zusammenbrechen sahen, machte Barnes den Sekt auf: „Ich meine, das ist doch völlig abstrakt, was man so im Büro macht...“ So nahm er seine Abfindung und kaufte sich etwas noch Abstrakteres: Musikequipment. Weit entfernt von spektakulären Erleuchtungsmythen anderer Musiker sagt Barnes mit angenehmem britischen Understatement: „Es war irgendwie so, als ob nicht ich die Entscheidung, Musiker zu sein, getroffen hätte, sondern sie für mich getroffen wurde, als ich aus der Firma ging.“
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HARDWARE Nach einigen Experimenten mit verschiedenen Drumcomputern und Synthesizern landete Barnes beim Kurzweil K2000-Sampler, mit dem er seine ersten Veröffentlichungen realisierte. Im neuen Jahrtausend angekommen, zu einer Zeit, in der sich fast die gesamte musikproduzierende Welt bereits mit Plug-Ins und Digitalpulten beschäftigte, kaufte sich Barnes den Yamaha RS7000 – eine der letzten (neben den MPCs von Akai) „großen“ HardwareSampler/Synthesizer-Workstations – und erlebte damit eine Potenzierung seiner Produktivität. „Eigentlich habe ich die letzten vier Jahre alles mit dieser Maschine gemacht, und es gibt nichts Besseres, als wenn du nur ein Instrument benutzen musst. Ich habe eine Arbeits-Ästhetik, die darauf ausgerichtet ist, alles in einem Gerät zu machen. Wenn ich ein RiesenEquipment hätte, würde ich mich wahrscheinlich in der Suche nach Sounds verlieren.“ Einen weiteren Vorteil der konzentrierten Arbeit mit einer einzigen Maschine sieht Barnes in der klangliche Einheitlichkeit, die dann entsteht, wenn alle Signale nur durch einen Wandler laufen: „Ich würde nicht sagen, dass meine Musik perfekt gemischt ist, aber weil ich bisher alles in einem Gerät gemacht habe, bekomme ich einen sehr homogenen Mix. Wenn ich mit Sounds davon (klopft auf die Electribe) arbeiten will, sample ich die deshalb in den Yamaha.“ Schlussendlich wandern die fertigen Stücke
»DASS ICH VOM HARDWARE-BACKGROUND KOMME, HILFT MIR, EINEN SCHLUSSSTRICH UNTER TRACKS ZU ZIEHEN UND ZU SAGEN: JETZT REICHT’S FÜR DIESEN MOTHERFUCKER.« direkt aus dem Stereo-Out des RS7000 auf CD und gehen danach zum Mastering. Auch hier ist der Mann, der mit seinen Cosmic-Sandwich-Covern der Technoszene ein heiteres Augenzwinkern zuwirft, nicht pingelig: „Ich meine, du arbeitest ja mit synthetischen Sounds aus dem Computer. Die sind im Grunde sehr berechenbar. Wenn du es zu 80 Prozent schaffst, ein homogenes Klangbild zu erreichen, dann ist das schon in Ordnung. Bei 90 Prozent meiner Tracks gibt das Mastering-Studio dann sein OK.“
Trotz dieses puristischen Umgangs mit Equipment ist der Sound von Steve Barnes weit von minimalistischer Reduktion entfernt: „Mich interessieren weniger die Strukturen von Tracks als vielmehr, die Sounds für sich sprechen zu lassen.“ Das mag der Grund sein, warum seine Stücke selten konstruiert oder geplant wirken, sondern in ihren besten Momenten die Form einer unverbauten, endlosen Improvisation erreichen, die die stilistische Einordnung ins Techno-Fach vergessen lässt. Dabei vertraut er stark auf die Interaktion mit der Maschine: „Irgendwie liegt es in meiner Persönlichkeit, dass ich die Geräte einfach anschalte und schaue, was passiert. Ich weiß aber, dass viele Leute ihre Musik im Kopf schon fertig haben, bevor sie die Maschinen anwerfen.“ ZEITENWENDE Nun, nach vier Jahren erfolgreichen Produzierens mit der RS7000, hat sich Steve Barnes doch zum Umstieg auf das rechnergestützte Arbeiten entschlossen: „Es ist ja eine grundsätzlich andere Herangehensweise, aber das ist eben auch schön, denn ich brauchte einfach eine neue Herausforderung. Ich meine, ich hatte schon immer einen Computer, aber lustigerweise habe ich mit dem Ding nie Musik gemacht.“ So ein Umstieg ist natürlich nicht an einem Wochenende zu schaffen, und auch der Technikfreund Barnes hatte damit zu kämpfen: „Die ersten Wochen waren echt schwierig und ich war mir einige Male nicht sicher, ob das das Richtige ist, aber dann machte es Klick und plötzlich war mein erster Track fertig. Und wenn ich das mit dem Yamaha vergleiche: Als ich anfing, brauchte es Monate, bis ich meinen ersten Track fertig hatte. Und manchmal dachte ich sogar, dass ich das Geld für die Kiste komplett zum Fenster rausgeworfen hätte.“ Beim Umstieg von einem kleinen Dot-Matrix-Display hin zu der komfortablen, bildschirmfüllenden Darstellung in Live entstehen dann natürlich auch Veränderungen in Bezug auf den eigenen Produktionsstil: „Ich muss sagen, dass ich, seit ich Live benutze, viel mehr an Strukturen und Arrangements arbeite. Also viel mehr als mit dem Yamaha. Man muss echt aufpassen. Wenn du Musik mit Hardware machst, kommst du schnell an den Punkt, wo du sagst, dass ein Track fertig ist. Aber am Computer kannst du eigentlich ein
ganzes Leben an einem Track arbeiten. Ich glaube, dass ich vom HardwareBackground komme, hilft mir jetzt, am Rechner einen Schlussstrich unter Tracks zu ziehen und zu sagen: Jetzt reicht‘s für diesen Motherfucker. Ich suche ja nicht nach Perfektion in meinen Tracks. Ich versuche einfach etwas zu finden, das ich gerne mag. Ich habe mit Leuten gesprochen, die mit Software angefangen haben, Musik zu machen, und die haben siebentausend unfertige Stücke auf ihrer Festplatte, und auch der siebentausendunderste wird niemals fertig werden.“ (lacht) Dass die Musik von Steve Barnes im Wesentlichen für den Dancefloor gedacht ist, erleichtert es aber offensichtlich, einen formalen Rahmen zu entwickeln: „Ich habe natürlich auch ein gewisses Maß an Funktionalität im Hinterkopf, wenn ich meine Tracks arrangiere. Du brauchst einfach diese 30 Sekunden am Anfang und Ende, wo nur wenig passiert, damit der DJ mit deinen Sachen spielen kann. Ich meine, am Ende des Tages machst du doch Musik, die auf einer Platte funktionieren soll und gleichzeitig deine Ideen transportiert.“ NOCH NAMENLOS Über die Einarbeitung in das rechnergestützte Produzierten hat es Barnes noch nicht geschafft, sich einen Titel für sein kommendes Cosmic-SandwichAlbum auszudenken. Aber beim Vorhören verschiedener Tracks direkt aus dem Notebook wird klar, dass der Wechsel zum Arbeiten mit Ableton Live musikalisch einige neue Akzente in der Arbeit von Steve Barnes setzt. Man darf sich also überraschen lassen. Sicher ist vorerst nur, dass das Album auf Traum Schallplatten erscheinen wird. Gerätepark Klangerzeuger: Yamaha RS-7000, Korg Electribe SX Controller: M-Audio Trigger Finger Wandler: Behringer FCA202 Laptop: Apple PowerBook G4 1,6 GHz Software: Ableton Live
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