GROOVE #105 - STUDIOBERICHT: POLE

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Studiobericht

Pole Der Musiker und Label-Mitgründer von ~scape, Stefan Betke, hat es mit seinem Projekt Pole geschafft, ein musikalisches Konzept zu entwickeln, das sowohl im Hinblick auf die technische Realisation als auch bezüglich der klanglichen Gestaltung einige bemerkenswerte Alleinstellungsmerkmale aufweist. Nach mittlerweile fast drei Jahren Stille im musikalischen Output setzt er mit „Steingarten“ ein weiteres Puzzlestück in seinen einzigartigen Klangkosmos ein, über den wir uns bei einem Studiobesuch unterhielten. Text: Numinos Bild: Ragnar Schmuck

Man kann versuchen, es zu vermeiden, aber beim Gespräch über Stefan Betkes Musik landet man unweigerlich bei dem Dreisprung aus defektem Waldorf 4-Pole-Filter, der daraus resultierenden Namensgebung als „Pole“ und der „Polarisierung“, die der konsequente Einsatz einer knacksenden und rauschenden Kiste bei der Hörerschaft auslöste. „Irgendwann hab ich ihn dann noch mal rausgeholt, und er knackste, während gerade ein anderer Track lief. Wie er also zu dem Stück knackste, dachte ich mir: ,Moment mal, das ist ja gar nicht so blöd.' Ich hab damals auch gerade das ‘Diary‘ von Brian Eno gelesen und dachte, dass er ja auch mit Fehlern gearbeitet hat. [...] Ich hab es am Anfang, als ich mich noch nicht traute, diesen Fehler hundertprozentig da zu lassen, mit Noise-Gates probiert, wollte ihn also ein bisschen korrigieren. Hab aber gemerkt, dass das alles kaputtmacht, weil das Rauschen dann so komisch unnatürlich kam. Und erst bei der konzeptionellen Überlegung, sich zu trauen, einen Fehler zum Konzept zu erheben und den zuzulassen, kam die Entscheidung: Dann aber bitte auch ganz.“ Zehnfinger-Dub Gleichwohl der 4-Pole auf Betkes neuem Album nur noch selten zu hören ist, bleibt der Ansatz, das Fehlerpotenzial und die Eigenheiten aller Geräte herauszuarbeiten und das gesamte Studio als ein homogenes Instru-

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ment zu nutzen, bestimmend für den organischen Verlauf der Pole-Tracks. Denn bei der eigentlichen Grund-Komposition eines Stückes geht Betke durchaus stringent und zielgerichtet vor: „Es gibt ein Grundarrangement im Rechner – da erleichtere ich mir das Leben schon ein bisschen. Also wenn ich einfach weiß, dass ich das Intro eben so und so haben will, dann brauch ich das nicht mit der Hand machen. Aber das, was man früher Strophe genannt hätte – der volle Teil –, den lass ich dann komplett laufen und mach dann hier [zeigt auf die Fader] an und aus und guck, wie ich da gerade zu Rande komme. Das ist bei mir aber auch einfach, weil ich nie viele Spuren an habe. Ich habe das nie richtig durchgezählt, aber in der Regel sind das so sieben bis acht Instrumente, die wirklich spielen, und der Rest passiert dann über Doppelung, über Effekte und Kompressor-Spuren, die noch auf sind. Man schafft das mit zehn Fingern“, sagt Betke und lacht. mit acht Aux-Sends Die finale Gestaltung eines Pole-Tracks ist somit unmittelbar an die Techniken des Dub angelehnt, die eigentliche Fertigstellung eines Stücks erfolgt immer während des Mixdowns und nicht am Rechner: „Da passiert irre viel – weniger, dass ich dann wirklich noch die Sounds am Synthesizer verändere. Ich bin sehr puristisch, was die Frequenzbereiche jedes einzelnen Instruments betrifft. Wenn ich am Minimoog den Bass komprimiert und EQt habe, dann gehe ich beim Mixdown da nicht mehr ran. Was ich aber total viel mache, ist, am Mischpult mit Lautstärken zu arbeiten. Also die ganzen Delays und Hallräume entstehen während des Mixdowns. [...] Deswegen hab ich dieses Riesenboard da immer noch stehen [zeigt auf die Soundcraft Ghost-Konsole]. Man bräuchte es ja theoretisch nicht mehr in der heutigen Zeit, aber es hat halt acht Aux-Sends, wo an jedem ein anderes Effektgerät dranhängt. Und da wird halt viel geöffnet und geschlossen. Das macht ja dann auch Spaß, sonst wäre das Musikmachen alleine im Studio ja ein bisschen dröge, wenn man das alles die Maschine machen lässt.“


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