Technik
Studiobericht Jazzanova
Axel Reinemer, Stefan Leisering
Vom Audioschnipsel-Verschieber zum Bigband-Leader. So könnte man die klang- und studiotechnische Evolution des DJ-/Produzenten-Kollektivs Jazzanova beschreiben, wenn man sich sein neues Album Of All The Things anhört. Die Platte liefert den hörbaren Beweis, dass Computerfrickler, die einst mit dem Sampler und dem Verwerten bestehender Aufnahmen begonnen haben, nicht in ewigen Editierschleifen verharren müssen. Stattdessen können sie sich, so denn ein innerer Forscherdrang sie treibt, durchaus die Fertigkeiten erarbeiten, ein „klassisches“ Album von vorne bis hinten zu komponieren, zu mikrofonieren und abzumischen. TEXT: Numinos FOTOS: Ragnar Schmuck
Wir treffen Stefan Leisering und Axel Reinemer, den Nukleus der Jazzanova-Studioaktivitäten, an einem sonnigen Samstagmittag in ihrem von Tageslicht durchfl uteten Studio in Berlin-Prenzlauer Berg. Ohne die Tätigkeitsfelder im Musikerkollektiv Jazzanova nun in Schräglage bringen zu wollen – es sind maßgeblich diese beiden Beteiligten, die für Jazzanovas Tracks verantwortlich sind. Und gerade
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die respektvolle Aufgabenteilung ist der Schlüssel für das nunmehr zehnjährige Bestehen des Kollektivs, von dem Stefan Leisering sagt: „Dass wir uns alle so spezialisiert haben, heißt ja auch, dass wir uns alle ein Stück weit vertrauen. Ich gehe ja auch nicht mit unseren DJs Alex und Jürgen mit, wenn die aufl egen, und schaue nach, was die spielen. Wir vertrauen ihnen genauso, wie sie uns, dass wir das als Jazzanova schon richtig machen.“ Und auf dem neuen Album haben die Jazzanovas fraglos alles richtig gemacht, denn es überzeugt mit einem absolut orchestralen, dichten und facettenreichen Sound. An dessen Anfang stand eine zeitaufwändige Mikrofonierung. Dabei haben die Produzenten alle möglichen Mikros verwendet – vom Kondensator- und Röhren- über dynamische bis zu BändchenMikrofonen. „Wir haben das komplett alles benutzt und dann jeweils erst entschieden, was das Optimale ist“, sagt Reinemer, und Leisering ergänzt: „Tatsächlich ist jeder Sound auf dem Album irgendwann mal durch ein Mikro gelaufen.“ Zum Erzeugen und Bearbeiten dieser Sounds steht Jazzanova ein Arsenal feinster Analog-Hardware zur Verfügung, das sie mit sicherem Gespür für das, was Bestand hat, gesammelt haben. Als zentrales Klang-Stellwerk dient ein Neumann-Pult, das jahrelang in einem Konzerthaus stand. In den Besitz dieses Schatzes kamen sie, wie Leisering sagt, „genau in der Zeit des Wandels, als alle nur noch an Digitalpulten produzieren wollten“.
Ein Freund arbeitete bei einer Firma, die sich auf die digitale Umrüstung spezialisiert hatte, und musste das Pult komplett zerlegen. Jetzt ist es wieder ganz und funktionsfähig. „Wir sind aber nicht so Leute, die sich etwas kaufen, einfach nur damit es im Studio steht“, betont Reinemer: „Was wir uns holen, wird auch immer direkt eingesetzt.“ Und das hört man. Das Vorgängeralbum In Between (2002) war noch eine fast komplett digitale Produktion mit Protools und Plugins, und nur ein Stück wie „No Use“ ließ darauf vielleicht erahnen, dass sich Jazzanova in Richtung Songwriter bewegen würden. Auf Of All The Things überraschen sie nun mit einem gänzlich Sample-freien Sound, der dadurch merklich an Lebendigkeit gewonnen hat – was letztlich auch schon immer das Ziel war, wie sich Leisering erinnert: „Wir kommen zwar aus der elektronischen Musik, waren aber immer auf der Suche nach Texturen, die eher von HipHop oder Soul kommen. Wir sind eben nicht glücklich, wenn unsere Tracks reduziert und minimal sind.“ Es habe zwar fraglos seinen Reiz, wenn man versucht, jeden einzelnen Sound auf den Punkt zu bringen. Aber Leisering fi ndet es nach eigener Aussage nun mal einfach toll, wenn sich alles aus einzelnen Schichten zusammensetzt. BEWUSST KLEINES ENSEMBLE Dabei haben sich Jazzanova durch das Sampling zwar schon viel Erfahrung damit erarbeitet, wie man aus vielen Einzelteilen einen Gesamtsound „komponieren“ kann. Durch das Auf-
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nehmen von Live-Instrumenten sehen sie jetzt aber ganz andere Möglichkeiten. Ein Schritt auf dem Weg zur Arbeit mit echten Instrumenten war sicherlich die Komposition des Soundtracks für das boulevardesk-erotische Theaterstück Belle Et Fou von Hans-Peter Wodarz und Arthur Castro (das in den Medien allerdings ob seiner allzu plakativen Fleischbeschau kräftig verrissen wurde). Dabei haben Jazzanova im Berliner Teldex-Studio erstmalig mit einem zwölfköpfi gen Streicherensemble aufgenommen. Auf ihrem Album haben die Produzenten jedoch bewusst mit einem kleineren Ensemble mit jeweils maximal drei Streichern gearbeitet und diese dann mehrfach gedoppelt. Das bietet laut Axel Reinemer „den entscheidenden Vorteil, dass gerade bei rhythmisch ausgeprägten Tracks die Streicher ihre Takes viel tighter einspielen, weil jeder viel genauer hört, was er gerade spielt“. Trotz aller Analogtechnik wurden neunzig Prozent der Kompositionsarbeit im Vorfeld am Rechner mit einfachen Sound-Plugins erledigt. Dabei mussten die Produzenten den Spagat vollziehen, dass die Instrumentierung eher bescheiden klang, die Drums allerdings schon in bester Qualität vorlagen. Denn bereits vor zwei Jahren hatten die Musiker angefangen, in einem großen Raum ihres Studios unzählige Drumsets aufzubauen, mit Mikros zu experimentieren und nächtelang auf alles Mögliche draufzuhauen. „So ist unsere eigene Sample Library entstanden, mit der wir das neue Album komplett produziert haben“, sagt Axel Reinemer. Bei den Aufnahmen für diese Trademark-Bibliothek wurden teilweise die Toms von Drumsets einfach nur dazugestellt, obwohl sie nicht gespielt wurden – damit sie bei der Aufnahme mitschwingen und den angestrebten rauen Sound erzeugen. Überhaupt haben sich Jazzanova ihren Sound weniger durch das Analysieren anderer Produktionen erarbeitet als vielmehr durch praktische Arbeit. Das erklärt auch die harte Links-/Rechts-Trennung im Stereopanorama vieler Stücke des Albums. Stefan Leisering ist überzeugt, dass sich diese Art zu mixen daraus ergibt, dass er und sein Kollege extrem viele Spuren benutzen.
FÜR UNS WAREN DIE VERSPIELER NEU – WIR HABEN JA FRÜHER ALLES PROGRAMMIERT. „Da laufen zwei Gitarren, ein Vibrafon und ein E-Piano, die alle in einem ziemlich ähnlichen Frequenzbereich liegen“, sagt er. „Du kannst das zwar noch ein bisschen EQen, aber wenn du das im Stereofeld extrem trennst, ergibt sich eine ganz andere Hör-Erfahrung.“ ABRIEB VOM BAND Man merkt, dass sich die Jazzanovas in ihrem Analogstudio wohlfühlen und einen konstruktiven Dialog mit ihrer betagten Vintage-Hardware und deren Macken eingehen. Ihre Telefunken-Bandmaschine benutzen sie beispielsweise wegen des speziellen, glockigen Klangs, den sie liefert, fast wie einen Equalizer. Axel Reinemer möchte sogar deren mechanische Ausfälle nicht mehr missen: Am Ende der Produktion hatten die Produzenten einen ziemlichen Abrieb auf dem Band, was sie auch nicht reparieren konnten. Bei dem Track „Morning Scapes“ höre man deutlich, dass da schon die Emulsion vom Band gefressen wurde: Die Frequenzen gehen plötzlich weg, erholen sich dann aber wieder. „Das Lustige ist ja, dass man so etwas mit viel Mühe auch mit Filtern und Verzerrungen im Sampler nachbauen kann“, sagt Reinemer, „und hier passiert das einfach von alleine.“ Nachdem die Produzenten schon die Fehler ihrer Hardware produktiv nutzten, war der Weg nicht mehr weit, auch den Faktor Mensch nicht mehr in der Audio-Software mühselig tot zu editieren, wie Leisering anmerkt: „Für uns waren auch die Verspieler der Musiker neu. Wir haben früher ja alles programmiert – da gab es keine falschen Noten. Und da dann loszulassen und zu sagen: ‚Nee, wir lassen das einfach drin’, das war schon eine neue Erfahrung.“ Of All The Things ist bei Verve/Universal erschienen.
EQUIPMENT (auszugsweise):
Mixing und Summing: Neumann 32/10/3 Console, Neumann W492 Equalizer (32), Neumann U 473A Compressor/Limiter (6), Neumann V 476B Mic Pre (30), RFZ MP 4084 Mixer, Soundcraft Ghost 32/8/2 Console Midi, Brent Averill Neve 10 x 2 Class A Mixer Outboard: Chandler Germanium Mic Pre (2), Chandler LTD-1 1073 Style Mic Pre/EQ (2), Chandler TG Channel MK 2 Mic Pre/EQ, Chandler TG1 Limiter Abbey Road Special Edition, D.W. Fearn VT-2 Mic Pre, Eckmiller W86a Passive Equalizer, Orban 622B Parametric Equalizer, Orban 516EC De-Esser, Retro Instruments StaLevel, Spectra Sonics Model 610 Complimiter, SPL Transient Designer (2 Channel), Telefunken V76/120 Mic Pre (2), Tube Tech CL 2A, Tube Tech PE 1B, Universal Audio LA-2A, Universal Audio 1176, Vac Rac TEQ-1 Equalizer Recorder und AD/DA-Converter: Apple Macintosh G4 Dual, Digidesign Pro Tools HD 7.3 (4 Accel Cards), Studer A 820 2 Inch 24 Track Tape Recorder, Telefunken M10 Tube 1/4 Inch 2 Track Tape Recorder, Revox PR99 MK3 1/4 Inch 2 Track Tape Recorder, Lavry Blue AD/ DA Converter (2 In/6 Out), Lavry Blue DA Converter (8 Out), Digidesign 192 I/O (8 In/16 Out), Digidesign 192 Digital, Apogee DA-16X Microfone: AEG D-11, AKG Solid Tube, Microtech Gefell M92.1S, Neumann KM 84 (2), Neumann U47 Vf14 Long Body, Neumann U67 (2), Royer R-122 (2), Sennheiser MD 421 (2), Shure SM 57 (2), T.Bone RB 500 (Ribbon) Effekte: Eventide Orville, Eventide DSP 4000, eOwave Space Bug, EMT 240 Gold Foil, Lexicon LXP-1, Lexicon PCM-91, Roland Dimension D SDD-320 Klangerzeuger: 360 Systems Digital, Elektron SPS-1 Machine Drum UW, Elektron Monomachine, Elektron Sid Station Fender Rhodes MK2 E-Piano (2), E-MU 1820m Digital Sampler, E-MU e4xT Ultra, E-MU e6400, Fender Twin Reverb, G.Grosskopf Upright Piano, Hohner Electra-Piano, Korg Trident Mk-2, Roland SH3A, Studio Electronics SE-1, Yamaha YC30
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