GROOVE #115 - STUDIOBERICHT: JAZZANOVA

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Technik

Studiobericht Jazzanova

Axel Reinemer, Stefan Leisering

Vom Audioschnipsel-Verschieber zum Bigband-Leader. So könnte man die klang- und studiotechnische Evolution des DJ-/Produzenten-Kollektivs Jazzanova beschreiben, wenn man sich sein neues Album Of All The Things anhört. Die Platte liefert den hörbaren Beweis, dass Computerfrickler, die einst mit dem Sampler und dem Verwerten bestehender Aufnahmen begonnen haben, nicht in ewigen Editierschleifen verharren müssen. Stattdessen können sie sich, so denn ein innerer Forscherdrang sie treibt, durchaus die Fertigkeiten erarbeiten, ein „klassisches“ Album von vorne bis hinten zu komponieren, zu mikrofonieren und abzumischen. TEXT: Numinos FOTOS: Ragnar Schmuck

Wir treffen Stefan Leisering und Axel Reinemer, den Nukleus der Jazzanova-Studioaktivitäten, an einem sonnigen Samstagmittag in ihrem von Tageslicht durchfl uteten Studio in Berlin-Prenzlauer Berg. Ohne die Tätigkeitsfelder im Musikerkollektiv Jazzanova nun in Schräglage bringen zu wollen – es sind maßgeblich diese beiden Beteiligten, die für Jazzanovas Tracks verantwortlich sind. Und gerade

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die respektvolle Aufgabenteilung ist der Schlüssel für das nunmehr zehnjährige Bestehen des Kollektivs, von dem Stefan Leisering sagt: „Dass wir uns alle so spezialisiert haben, heißt ja auch, dass wir uns alle ein Stück weit vertrauen. Ich gehe ja auch nicht mit unseren DJs Alex und Jürgen mit, wenn die aufl egen, und schaue nach, was die spielen. Wir vertrauen ihnen genauso, wie sie uns, dass wir das als Jazzanova schon richtig machen.“ Und auf dem neuen Album haben die Jazzanovas fraglos alles richtig gemacht, denn es überzeugt mit einem absolut orchestralen, dichten und facettenreichen Sound. An dessen Anfang stand eine zeitaufwändige Mikrofonierung. Dabei haben die Produzenten alle möglichen Mikros verwendet – vom Kondensator- und Röhren- über dynamische bis zu BändchenMikrofonen. „Wir haben das komplett alles benutzt und dann jeweils erst entschieden, was das Optimale ist“, sagt Reinemer, und Leisering ergänzt: „Tatsächlich ist jeder Sound auf dem Album irgendwann mal durch ein Mikro gelaufen.“ Zum Erzeugen und Bearbeiten dieser Sounds steht Jazzanova ein Arsenal feinster Analog-Hardware zur Verfügung, das sie mit sicherem Gespür für das, was Bestand hat, gesammelt haben. Als zentrales Klang-Stellwerk dient ein Neumann-Pult, das jahrelang in einem Konzerthaus stand. In den Besitz dieses Schatzes kamen sie, wie Leisering sagt, „genau in der Zeit des Wandels, als alle nur noch an Digitalpulten produzieren wollten“.

Ein Freund arbeitete bei einer Firma, die sich auf die digitale Umrüstung spezialisiert hatte, und musste das Pult komplett zerlegen. Jetzt ist es wieder ganz und funktionsfähig. „Wir sind aber nicht so Leute, die sich etwas kaufen, einfach nur damit es im Studio steht“, betont Reinemer: „Was wir uns holen, wird auch immer direkt eingesetzt.“ Und das hört man. Das Vorgängeralbum In Between (2002) war noch eine fast komplett digitale Produktion mit Protools und Plugins, und nur ein Stück wie „No Use“ ließ darauf vielleicht erahnen, dass sich Jazzanova in Richtung Songwriter bewegen würden. Auf Of All The Things überraschen sie nun mit einem gänzlich Sample-freien Sound, der dadurch merklich an Lebendigkeit gewonnen hat – was letztlich auch schon immer das Ziel war, wie sich Leisering erinnert: „Wir kommen zwar aus der elektronischen Musik, waren aber immer auf der Suche nach Texturen, die eher von HipHop oder Soul kommen. Wir sind eben nicht glücklich, wenn unsere Tracks reduziert und minimal sind.“ Es habe zwar fraglos seinen Reiz, wenn man versucht, jeden einzelnen Sound auf den Punkt zu bringen. Aber Leisering fi ndet es nach eigener Aussage nun mal einfach toll, wenn sich alles aus einzelnen Schichten zusammensetzt. BEWUSST KLEINES ENSEMBLE Dabei haben sich Jazzanova durch das Sampling zwar schon viel Erfahrung damit erarbeitet, wie man aus vielen Einzelteilen einen Gesamtsound „komponieren“ kann. Durch das Auf-

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13.10.2008 16:43:47 Uhr


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