GROOVE #110 - STUDIOBERICHT VLADISLAV DELAY

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Technik

Studiobericht / Sasu Ripatti

„Habt einen schönen Tag“, ruft Sasu Ripatti seiner Partnerin Antye Greie und der gemeinsamen Tochter hinterher, als die beiden in einen grauen Berliner Sonntag verschwinden, um Papa Sasu und einige seiner Alter Egos wie Vladislav Delay, Luomo und Uusitalo für einige Stunden mit dem Autor allein zu lassen. Es scheint harmonisch zuzugehen im Hause AGF. Aber was will man auch anderes erwarten in einer Kleinfamilie, in der die Aufmerksamkeit aller Akteure (sogar der Nachwuchs hat schon entdeckt, wie viel Spaß man mit Patchkabeln haben kann) unmittelbar mit Musik und Klang zu tun hat und die gesamte Wohnung, wie wir bei unserem Besuch erfahren, als Studio genutzt wird. TEXT: Numinos FOTO: Ragnar Schmuck

Selbst dem abgeklärten Autor, der schon so manches Studio gesehen und gehört hat, verschlägt es beim Betreten des Reichs von Sasu Ripatti alias Vladislav Delay, Luomo und Uusitalo zunächst einmal die Sprache: Hier hat der Akustikbauer Ripatti, der bereits das Studio Richie Hawtins optimiert hat, im Dachgeschoß eines Berliner Altbaus einen Raum erschaffen, der konzeptionell, ästhetisch und akustisch zum Besten gehört, was mit den Mitteln des Trockenausbaus errichtet werden kann. Insbesondere die Umsetzung des so genannten LEDE-Konzept (Live End Dead End) haben wir in dieser trickreichen Form noch

nicht gesehen: Gegenüber der Seite, zu der die Abhörmonitore ihren Schall aussenden, wurde ein Dreieck gebaut, das wie ein Schiffsbug den Schall zu beiden Seiten ablenkt. Dort trifft der Klang dann auf vertikal angeordnete Absorber, die ihn diffus reflektieren. Aber selbst ein klanglich nahezu perfekter Raum ersetzt nicht das bewusste Hören und das aktive Interagieren mit der Akustik, wie Ripatti weiß: „Ich verbringe viel Zeit damit, hier einfach nur Musik zu hören, um mein Ohr in diesem Raum zu trainieren. Je genauer ich in der Lage bin, Dinge im Klanggeschehen zu hören, desto mehr bekomme ich eine plastische Vorstellung von Klängen.“ Dadurch benutze er immer weniger Kompression, die dem Sound häufig viel an Dynamik nehme. Ripatti beginnt seine Arbeit dabei immer auf den PMC-Monitoren (TB2S-A), die er wirklich sehr mag. „Ihr Klang ist zwar nicht besonders schön“, sagt er, „aber in Verbindung mit diesem Raum sind sie einfach absolut entlarvend.“ Auf der Yoga-Matte Ripattis Arbeitsposition befindet sich innerhalb eines Rings aus feinster Analoghardware, wo er auf einer großen Yoga-Matte im Schneidersitz seine Stücke konstruiert. „Die etwas ungewöhnliche Arbeitsposition habe ich für mich entdeckt, als ich mit Yoga angefangen habe“, erklärt Ripatti. „Ein weiterer Grund ist, dass ich so nah wie möglich an die Maschinen heran möchte.“ Dem Problem, dass er, wenn er sich seinem Rack mit Synthesizern zuwendet, die optimale Abhörposition

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verlässt, begegnet er mit kreativer Pragmatik: „Ich habe versucht, das in einen Vorteil umzukehren: Ich arbeite jetzt erst mal an den Synthesizern und drehe mich dann um, um bewusst zu hören, wie es klingt. Wenn es mir nicht gefällt, versuche ich mir zunächst darüber klar zu werden, was ich klanglich eigentlich verändern will, bevor ich mich wieder den Geräten zuwende.“ Diese bewusste und stringente Arbeitsweise ist bezeichnend für Ripatti, und anders wären seine vielfältigen Projekte wohl auch kaum realisierbar. Dieser Umstand findet sich dann auch in der Konzeption seiner Stücke wieder: „Auch wenn ich mit vielen unterschiedlichen musikalischen Stilen arbeite, weiß ich meist bereits im Vorfeld, welche Art von Klang ich erreichen möchte. Selbst bei den eher experimentelleren Sachen, die ich als Vladislav Delay mache, entwickle ich schon sehr früh ein rhythmisches Fundament, worüber ich dann sehr zielgerichtet verschiedene Schichten aufbaue. Das entsteht alles aus funktionalen Zusammenhängen und weniger aus irgendwelchen Jam-Situationen.“ Dabei sollte man nicht vorschnell annehmen, dass Ripatti in Bezug auf Sounds und Arrangements einem redundanten Schema folgen würde – die tragfähige Grundkonzeption seiner Tracks dient nur dazu, den fein-texturierten Klangschichten, die er am liebsten selber mikrofoniert und einspielt, eine verbindliche Form zu geben. Und gerade in den vielen sublimen Athmosphäre- und Perkussion-Spuren stecken das Herzblut und auch der Forschergeist von Ripatti: „Ich mache


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❞ ICH MÖCHTE SO NAH WIE MÖGLICH AN DIE MASCHINEN HERAN.❝ dazu manchmal einfach in der Aufnahmkabine oder im großen Raum das Fenster auf und schneide Klänge mit, die von draußen reinkommen. Das benutze ich dann unter den Stücken, was ihnen ein gewisses Zufalls-Element gibt.“ Regelmäßiger Synthie-Tausch Auch im Bereich der synthetischen Klangerzeuger bindet Ripatti das Element Zufall gerne ein und sucht die Veränderung: „Ich tendiere dazu, die Synthesizer regelmäßig zu tauschen. Vor ungefähr einem Jahr stand hier noch ein völlig anderes Klangerzeuger-Setup.“ Damals hatte er unter anderem einen Prophet 5 und einen Oscar. Nachdem er die allerdings für einige Alben verwendet hatte, wollte er andere Synthesizer und Sounds benutzen. „Auch wenn jedes Gerät für sich genommen einen nahezu unendlichen Soundvorrat erzeugen kann, so haben sie doch jeweils einen eindeutigen Grundcharakter“, sagt Ripatti. „Das hat natürlich den Nachteil, dass man sich immer wieder neu in eine Maschine einarbeiten muss. Was aber auch ein Vorteil sein kann, denn wenn man das Gerät noch nicht kennt, bekommt man manchmal die interessantesten Ergebnisse.“ Anders sieht es im Bereich der Effekt-

und Dynamik-Prozessoren aus. Von seinem Ensemble feinster Analogboliden sagt Ripatti: „Einige Sachen würde ich niemals hergeben, zum Beispiel den Helios 1R, den API EQ oder den Manley-Kompressor. Es ist ein Klischee, dass alles, was man durch diese Kiste laufen lässt, besser klingt – aber es stimmt. Das sind sehr kleine Dinge, die da passieren und die man eigentlich erst später merkt. Nimm einen Song mit dreißig Spuren, misch ihn mit oder ohne diese Geräte, und du wirst, wenn du nach einigen Wochen oder Monaten die bearbeitete Version hörst, ein stärkeres Pulsieren, eine größere Lebhaftigkeit im Klang feststellen.“ Wenn man Ripatti in diesem einzigartigen Raum, voll gepackt mit einigen der besten Klangveredelungs-Maschinen, die es auf der Erde für Geld zu kaufen gibt, in entspannter Yoga-Haltung und mit ruhiger, ernsthafter Stimme über Musik und Klang sprechen hört, bekommt man das Gefühl, sich mitten in einem Klang-Utopia zu befinden. Dort erforscht Ripatti, losgelöst von allen weltlichen Zwängen, die Klangtechnologie des späten zwanzigsten Jahrhunderts. Achtet man auf die feinen und vielschichtigen Klangelemente in seinen Stücken, scheinen sie auf seltsame Weise ihre Entsprechung zu den komplexen Signalwegen seiner Geräte zu finden. Und dann wird diese Utopie plötzlich tatsächlich hörbar.

Karhunainen von Uusitalo und Whistleblower von Vladislav Delay sind auf Huume/MDM erschienen.

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EQUIPMENT (auszugsweise): Outboard: Manley Slam Pre/Limiter, Manley Vari-Mu Compressor, Manley Massive Passive EQ, Weiss EQ-1mk2 EQ, Weiss DS-1mk2 Limiter, Crane Song Hedd192, SPL Transient Designer4, API 560b2 EQ, Helios 1R2 Pre/EQ, Chandler Germanium EQ, Drawmer 3-Sum, Drawmer DS501 Power Gate, Joe Meek Sc2 Compressor, TLA C1 Pre/Compressor

Midi/Sounds: Drumkat Pro, Cwejman S1mk2, Studio Electronics Omega8 mit CS-80 Filter, Moog Mini Moog Voyager, Moog VX352 CV Expander, Moog VX351 CV Expander, SND SAM16, Blacet Modular System, Korg Pad Kontrol, Kenton Control Freak, Jomox MBase01, MFB Kult, Vermona DRM1mk2, Doepfer Modular System, Doepfer Step Sequencer System, Korg Prophecy, Roland Juno 106, Clavia Nord Lead, Emagic AMT8mk2 Effects: Roland RE-201 Space Echo, Fulltone Tube Tape Echo, Moog CP251 CV Processor2, Moog MoogerFooger Ring Modulator, Moog MoogerFooger Analog Delay, Moog MoogerFooger 12-Stage Phaser, Roland SDE-330 Delay, Vermona Retroverb, Eventide 2016 Reverb, Eventide H8000 + EVE/NET, Korg Kaospad3, TC Electronics D-Two Delay, Seven Woods Ursa Major Space Station, Elektro-Harmonix MemoryMan/Holy Grail/Holier Grail/Poly Chorus/POG, Moog MoogerFooger Lowpass-Filter, Sherman Filterbank2


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