Im studio mit
Im studio mit modeselektor
M o d e s e l t o r Schon mit ihrem Debütalbum Hello Mom! bekamen Gernot Bronsert und Sebastian Szary alias Modeselektor den Pass zur musikalischen Grenzüberschreitung zwischen geraden und gebrochenen Beats ausgestellt. Wie man den musikalischen Transit von 4-to-the-Floor zu verfrickelten Dopebeats vollzieht, ohne sich von explosiven Klangkomponenten zu trennen, haben wir anlässlich ihres dritten Albums Monkeytown hoch über den Dächern Berlins erfahren.
In einem der obersten Stockwerke eines Büroturms im Ostteil der Stadt haben Gernot Bronsert und Sebastian Szary alias Modeselektor einen ebenso exklusiven wie abgeschiedenen Ort für ihr Studio gefunden. Hier konnten sie sich ganz der Fertigstellung ihres dritten Albums widmen. Die Räume haben die beiden von Daniel Bell übernommen, sie waren akustisch vollständig gedämmt. Eigentlich ideal, könnte man meinen – tatsächlich aber klanglich eher von Nachteil. „Als wir hier reinkamen, war der Raum voll mit Absorbern“, erzählt Bronsert. „Da dachten wir zuerst: Boah, das sieht ja super aus – wie in einem professionellen Studio.“ Schnell aber hätten sie gemerkt, dass das Studio totgedämmt war und einfach nicht mehr klang. Szary berichtet, dass die beiden Produzenten deshalb zunächst säckeweise Glaswolle aus den Absorbern entsorgen mussten. Nach dieser aufwendigen Arbeit sei letztlich nur noch ein kritischer Bereich zwischen 74 und 78 Hertz übrig geblieben, in dem
„ A l l e s H a n d a r b e i t : gefrickelt, automatisiert und gedreht ohne Ende.“
der Raum Frequenzen schluckt. „Das ist wirklich unglaublich, wenn man sich das auf dem Analyzer anschaut“, sagt Szary: „Wie ein extrem schmalbandiger Filter.“ Die beiden haben aber nach eigener Aussage schon ein Konzept, um diesem akustischen Phänomen mit Helmholtz-Resonatoren zu begegnen. Dass Modeselektor mit ihrem dritten Album M o n k e y t o w n an den Punkt gekommen sind, sich mit solchen klanglichen Feinheiten zu beschäftigen, spiegelt die technische Evolution der beiden wider – den Drang, sich von Album zu Album weiterzuentwickeln. „Wir haben da – leider oder zum Glück, wie man’s nimmt – einfach nicht mehr die Unbedarft heit wie früher“, sagt Bronsert. Das erste Album habe man noch auf Boxen produziert, die man bei Szary im Hausflur gefunden hat. „Die Phase, in der wir Tracks einfach so assi hingerotzt haben, hat mit Moderat ihr Ende gefunden“, berichtet Bronsert weiter: „Ab da haben wir uns viel mehr Gedanken über Outboard, Klang und Kompression gemacht.“ Als Beispiel nennt er die Abhörmonitore: „Moderat haben wir ja bei Apparat komplett auf Genelecs (1038, Anm. d. A.) gemacht. Danach konnten wir nicht mehr auf anderen Boxen arbeiten, das ging dann auf einmal nicht mehr.“ Das Streben nach klanglicher Perfektion beim aktuellen Album findet seine Fortsetzung beim Mastering. Dafür haben Modeselektor den Profi Bo Kondren von CalyxMastering für tontechnische Supervision hinzugebeten. „Das nimmt einfach total viel Druck raus, wenn man noch mit der Mischung kämpft, und es gibt jemanden, der einem sagt: ‚Mach dir keine Sorgen, ich garantiere dir, dass die Nummer am Ende gut wird’“, erzählt Bronsert. Und Szary ergänzt, dass besonders die persönliche Betreuung ein entscheidender Faktor war: „Das war schon ein geiler Service: Da kommt man völlig fertig aus dem Studio, und jemand nimmt sich die Zeit, erst mal richtig aufwendig für einen zu kochen, mit fünf Sorten Senf und frischem Parmesan. Beim Essen haben wir uns zunächst auf der Anlage von Bo eingehört und dann alle Songs bis morgens um fünf analysiert und bewertet,
Technik
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um die Richtung zu bestimmen, in die das Mastering am Ende gehen soll.“ Szary räumt ein, dass es zwar toll sei, dass man direkt aus einer Digital Audio Workstation (DAW) bei einem Onlinelabel veröffentlichen könnte. Gleichzeitig bleibe dabei aber auch viel auf der Strecke: „Bassdrum-Tuning zum Beispiel. Wenn man das Mastering auslässt, ist das eine vergebene Chance, dass einem jemand auf die Sprünge hilft und sagt, wenn da etwas nicht stimmt.“ Die Detailverliebtheit im Hause Modeselektor – der Bandname stammt übrigens vom Wahlschalter des legendären Roland Space Echos, das auch zum Inventar des Studios gehört – beginnt aber schon lange vor dem finalen Mastering. Denn auf die Frage, ob denn die typischen Mikrobreaks, Stottereffekte und Pitch-Spielereien aus dem Plug-in-Arsenal von A b l e t o n L i v e stammen, entgegnet Szary in breitem Berlinerisch: „Nee, du, dit is alles Handarbeit im L o g i c : gefrickelt, automatisiert und gedreht ohne Ende.“ Überhaupt komme die Quantisierungsfunktion nur selten zum Einsatz, ergänzt Bronsert, während er das L o g i c -Arrangement des Albumtracks „Grillwalker“ öffnet: „Hier, so ne Hi-hat zum Beispiel: Die ist komplett per Hand eingespielt. Das musst du dann über den ganzen Song machen – also wirklich stur von Anfang bis Ende durch. Damit kriegst du dann aber diesen MPC-Style Mikrogroove hin.“ Ein Blick auf die weit mehr als vierzig Spuren des Arrangements führt unweigerlich zu der Frage, ob Modeselektor beim Mischen mit Subgruppen arbeiten. Bronsert verneint entschieden: „Wir arbeiten immer nur mit Effektbussen – nie mit Drum-Gruppen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es scheiße klingt, wenn man große Drum-Gruppen über Busse schickt.“ Er sagt, das sei genau das Nadelöhr bei der internen Summierung im Rechner, bei dem die Qualität und der Druck flöten gehen können. Deshalb könne er sich gut vorstellen, in Zukunft über eine externe Analogkonsole zu summieren. Dabei wird der zentrale Rechner-Arbeitsplatz von Mode selektor bereits jetzt von einem erlesenen Gerätepark flankiert, der von den Rhythmusklassikern aus dem Hause Roland über seltene Schätze wie beispielsweise ein Yamaha DX-200 oder ein Casio CZ-1 bis zu Studiostandards wie dem Fender SeventyThree reicht. Besonders aber die 909 habe sich als unverzichtbarer Begleiter von Modeselektor erwiesen, berichtet Szary: „Ich habe sie früher ja gehasst, weil wirklich jede Technoproduktion damit ausgestattet war. Aber bei den DJ-Sets ist sie unschlagbar: Midi-out von der Native S4 rein, läuft ultratight mit, und sobald du die druntermischst, werden da plötzliche genau die Frequenzen gefüllt, die knallen. Wir resetten die tatsächlich auch immer komplett und programmieren sie dann live zu dem Track, der gerade läuft.“
Wie viel Herzblut das Duo in seine Tracks steckt, zeigt sich, als Bronsert auf die Frage, wie die beiden denn an den Punkt kommen, an dem ein Stück fertig ist, antwortet: „Wir arbeiten wirklich bis zum letzten Augenblick daran. Uns macht es eben total viel Spaß, jedes Detail bis zur Perfektion zu bringen – auch wenn es nur noch Kleinigkeiten sind, wie hier den Pegel von einer Spur um ein halbes Dezibel zu ändern oder dort noch ein bisschen an der Komprimierung zu feilen.“ Das würde zwar kein Mensch hören. Es gebe aber Veröffentlichungen von Modeselektor, bei denen sie sich für immer und ewig über eine unperfekte Feinheit ärgern werden. Das gehe nie weg, weil die Nummer ja bereits veröffentlicht ist. „Es ist wirklich ganz schlimm“, sagt Szary. „Das ist wie wenn sich eine Frau von einem trennt, und man denkt hinterher: Hätte ich ihr doch damals nur das noch gesagt und dies noch für sie getan. Man weiß, das lässt sich nie mehr beheben.“ Text : Fotos:
Numinos Ragnar Schmuck
Monkeytown erscheint am 30. September bei Monkeytown Records.
...................................................................................................... Klangerzeuger: Boss VT-1 Casio CZ-1 Clavia Nord Lead Control Synthesis Deep Bass Nine Doepfer Dark Energy Fender SeventyThree Hohner Pianet T Korg MS-10, MicroSampler MFB 502 Moog Voyager Roland Juno-106, Juno-6, JX-3P, MC-202, TB-303, TR-606, 707, 808, 909 Xoxbox Yamaha DX-200 Outboard: Allen & Heath WZ 16:2 DX Alesis Quadraverb DBX 576 Electrix Filter Factory Electro Harmonix Vocoder, Memory Man, Holy Grail Reverb MXR Pitch Transposer Moog Three Band Parametric Equalizer Roland RE-201 Monitoring: Genelec 1038, 8040 Software: Apple Logic Studio Celemony Melodyne Native Instruments Razor, Reaktor, Massive Waves Diverse Soundtoys Diverse Sonalksis Studio One Sonic Charge Synplant