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Bei der Formation Flanger
Bernd Friedmann
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er Wahlberliner Friedmann hat seinen Schaffensraum in einem ungefähr fünfzig Quadratmeter großen Raum einer Wohnung im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg angesiedelt. Das Zimmer war ursprünglich mal als Wohnzimmer gedacht und ist akustisch entsprechend schwierig, berichtet Friedman. Flankiert von zwei Genelec-8050A-Abhörmonitoren hat seine Konsole ihren Platz gefunden: eine Soundtracs MSeries-24, die er von einem Freund für fünfhundert Euro erworben hat und die das vormals als Hauptmischer dienende, ungleich teurere Mackie-Pult ersetzt hat. Schnell stellt sich beim Gespräch heraus, dass Friedmann sich einen feuchten Kehricht um Herstellernamen, Testberichte oder das Image von Produkten schert und einzig und allein seinen Ohren vertraut. „Trotz unendlich vieler Möglichkeiten erscheint mir heute elektronische Musik produktionstechnisch beinahe standardisiert“, analysiert er und ergänzt, dass dies für ihn die Konsequenz habe, „nicht den besten Sound zu suchen, sondern eher den unwahrscheinlichsten“. Tatsächlich seien speziell die klanglichen Eigentümlichkeiten der Instrumente, die er verwendet hat, für sein neues Album entscheidend gewesen. Dessen Titel B o k o b o k o bedeute im Japanischen so viel wie „uneben“ und „hohl klingend“, erklärt Friedman. Das Arsenal unterschiedlichster Zupf- und Schlaginstrumente, von
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zusammen mit Atom TM in die editiertechnischen Grenzregionen der Audioproduktion vorgewagt, und mit dem Pseudoensemble The Nu Dub Players hat er die authentische Emulation einer Dub-Combo inszeniert. Keine Frage also, dass er auch als Solokünstler Burnt Friedman eine musikalische Mission verfolgt. Der schöpferische Treibstoff, der ihn dabei antreibt, besteht im Wesentlichen aus den beiden Komponenten außereuropäische Rhythmen und Verschmelzung von akustischen und elektronischen Klängen, wie wir bei einem Studiobesuch erfahren konnten.
Steeldrums über diverse Trommeln, Monochord und Gongs bis zu selbstgebauten Gummiband-Gitarren, sei dafür unmittelbar ausschlaggebend gewesen. Die Klänge dieses Arsenals wurden meiste direkt mit dem Brauner VM1 eingefangen, das sich Friedmann jederzeit in die Nähe seines Mischpults ziehen kann, um unmittelbar am Ort des Geschehens Soloinstrumente einzuspielen. „Ich habe ja viele Sounds auf dem Album, die eher leise sind, wie beispielsweise die Gummigitarre oder die Steeldrums, und die sind
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beim Aufnehmen nur eine Handbreite vom Mirko entfernt“, sagt Friedmann. Gummiband-Gitarren seien überhaupt die ersten Instrumente gewesen, die er benutzt habe, als er 1979 anfing, Musik aufzunehmen: „Da habe ich das Mikrofon immer in das Innere des Schuhkartons gelegt und das Signal dann über ein Tapedeck verstärkt, um es überhaupt zu hören.“ Angesprochen auf die für westeuropäische Ohren nur schwer zu analysierenden Rhythmen gibt Friedman zu Protokoll, dass man gar nicht versuchen sollte, einen Neuner-, Elfer- oder Fünfer-Takt zu zählen, sondern dass man diese Takte f ü h l e n müsse: „Das ist sonst wie ein Fremdwort, das du zwar lesen kannst, aber dessen Bedeutung du nicht kennst – es nutzt dir ja auch nichts.“ Auch bei ihm selber habe es Jahre gebraucht, bis er den Punkt des Fühlens erreicht hatte. Es sei also eine Frage der Erfahrung, auf Anhieb einen Neuner oder Siebener zu erkennen. „Einen Vierviertel-Takt erkennt man ja auch sofort“, sagt er lachend und betont, dass es zwar unendlich viele Tempi gibt, aber eine endliche Zahl von Taktmaßen. Gerade die Dinge, die er nicht auf Anhieb begreife, faszinierten Friedmann: „Alles, was mir fremd ist, zieht mich an, und ein Rhythmus erschließt sich ja nicht immer auf Anhieb.“ Der Musiker berichtet davon, dass er das Potenzial mancher Rhythmen erst nach und nach erkenne, sie dann aber plötzlich über mehrere Platten hinweg benutze, weil sie so ergiebig seien, dass man aus ihnen zehn oder mehr Stücke machen könne. „Aus dem Viervierteltakt hat man ja auch schon unendlich viele Stücke gemacht“, sagt er und schmunzelt.
Kleinste rhythmische Einheiten Während Friedmann meist ruhig und mit Bedacht spricht, manche Sätze dabei so lakonisch in den Raum wirft, dass man nicht weiß, ob er noch auf eine leise Impulsantwort aus irgendeiner Raumecke wartet oder den Satz als abgeschlossen betrachtet, merkt man ihm an, dass im Themenkreis Rhythmus sein wahres Herzblut fließt. So erklärt er mit einem beinahe schon begeisterten Unterton, dass es ihm ja gar nicht um das Verneinen des Vierviertel-Takts an sich geht, sondern vorrangig um Spieltechniken, die im außereuropäischen Bereich nun mal anders seien. Und daraus ergäben sich dann eben andere Symmetrien und Melodieverläufe: „Der westliche Rhythmustyp ist divisiv, also in Takte aufgeteilt, während orientalische Rhythmen additiv sind, da werden Rhythmusmodule aus den kleinstmöglichen Einheiten zusammengesetzt.“ Friedmann begann seine Forschungsmission in Sachen Rhythmik bereits zu Beginn der neunziger Jahre. Dabei nutzte er vornehmlich elektronisches Schlagwerk, das er heute eher kritisch sieht: „Die Roland R8 zum Beispiel nennt sich ja ‚Human Rhythm Composer’ – um aber etwas Ungerades einzustellen, muss man sich durch Unterseiten arbeiten.“ Auch wegen solcher Komplikationen ist er über die Jahre mehr und mehr zum Aufnehmen realer Instrumente übergegangenen. „Es gibt zwei Arten, den Begriff ‚Technik’ zu verstehen: zum einen als die Soft- und Hardware, die man verwendet, und zum anderen als die Spielweisen, die man hat. Beides gehört untrennbar zusammen.“ Als Beispiel nennt er wieder seine Gummigitarre, die vorwärts und rückwärts angeschlagen wird. Diese Bewegung sei im Kern auch das, was in seinen Rhythmen stecke: „Es geht um das Gleichgewicht zwischen rechts und links, die Balance in der Bewegung, die den Rhythmus stabilisiert und die eben nicht so ist wie im Rock oder Jazz, wo die eine Hand ja oft nur dazu genutzt wird, das Metrum zu spielen, und die andere für die Akzente.“
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Akustisch oder elektronisch Das Thema Gleichgewicht in einer fast schon asiatischen Auffassung bestimmt dann auch Friedmanns Sounddesign. Er resümiert, dass die Ununterscheidbarkeit zwischen Gespieltem und Programmiertem in seiner Musik daher rühre, dass alle Perkussion etwa so gespielt wurde, wie sie programmiert wäre – und umgekehrt: „Egal, von welcher produktionstechnischen Seite man das betrachtet, alle Instrumentenspuren folgen denselben harmonikalen Regeln, wobei natürlich die gespielten Spuren eine größere Ungenauigkeit behalten.“ So gesehen sei auch die Unterscheidung von elektronischer (programmierter) und akustischer (gespielter) Musik gar nicht sinnvoll, da die Verwendung von Sequenzer-Software mit dem rhythmischen Konzept des Trommelns übereinstimme: „Die Rhythmen laufen unabhängig von ihrem Klang genau so, wie sie gemeint sind, ob vom Computer oder vom Fell.“ Das finde seine Entsprechung auch in den Instrumenten, die eine akkordische Funktion haben, sagt der Musiker. „Und wie soll man einen aus drei Saxofon-Einzelstimmen zusammengesetzten Akkord, der noch mit der Hand über das Mischpult gemischt sowie rhythmisch gefaded und verzerrt wird, denn dann bezeichnen? Als ‚akustisch’ oder als ‚elektronisch’?“ Angesprochen auf die Mischung seines neuen Albums prophezeit Friedmann, dass er sich für seine Musik das Aussterben der Bassfrequenzen vorstellen kann: „Man hört kaum Bass auf dem Album, denn bei großen Lautstärken kann man mit Bass ja eigentlich nichts anfangen. Für die musikalische Aussage sind die Bassfrequenzen völlig unnötig.“ Als der Autor entgegnet, dass es sich ja im Bereich der Subsonik nicht zuletzt auch um Spaßfrequenzen handelt, erwidert Friedmann, dass das im Wesentlichen nur eine Konditionierung sei und man sich gut daran gewöhnen könne, Musik ohne Bass zu hören: „Ich meine, wenn man jetzt im Radio auf Mittelwelle außereuropäische Musik hört, vermisst man es ja einfach nicht.“ Text: N u m i n o s Fotos: R a g n a r
Schmuck
B o k o b o k o erscheint am 3. Februar 2012 bei Nonplace.
Outboard: Base (Bedini Audio Spatial Environment), Brauner VM1, SPL Gain Station, Qure, DynaMaxx, Culture Vulture Distortion, Roland Roland Space Echo, Chorus Echo, TC Helicon Voice Prism, Rocktron Intellifex Klangerzeuger: Akai 3200XL Sampler, Elka Organ Concorde 602, Korg MS-20, DVP 1, Roland R8 Percussion-Module, Yamaha Midi-Keyboard CBX-K1-XG Monitoring: Genelec 8050A Monitore Wandler: RME Fireface 800 DAW: G5 Mac mit Logic Audio, G4 Mac mit Pro Tools