Groove #155 - Studiobericht

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ass Christian de Luca und Michael Fakesch nicht erst seit gestern Musik machen und bereits die vierte Dekade ihrer Lebenszeit eröffnet haben, wird spätestens in dem Moment deutlich, als der Zeitpunkt für das Treffen auf zehn Uhr morgens festgesetzt wird – die Kids pünktlich in der Tageseinrichtung abzuliefern gewinnt im Zweifel nämlich gegen nächtliches Beatfrickeln. Gleichwohl beide Produzenten im beschaulichen Rosenheim nur achthundert Meter voneinander entfernt leben, haben sie sich untereinander fast für dieselbe Online-KollaborationsHerangehensweise entschieden, wie sie es mit ihren Gastkünstlern praktiziert haben. Während Fakesch im Fall der Gastsänger glaubt, den Hauptvorteil darin auszumachen, dass Musikmachen ja etwas sehr Intimes sei und er verstehen könne, dass viele Sänger sehr gerne bei sich zu Hause arbeiten, sieht er im Fall von Funkstörung vor allem die strukturierte Arbeitsteilung als Vorteil. Denn zum einen würde man in dem Moment, wo man Dateien hochlädt ja eine Entscheidung treffen. Zum anderen könnte dann derjenige daran arbeiten, der sich in dem entsprechenden Bereich (Komposition/Mixdown) am wohlsten fühlt und das vor allen Dingen dann, wenn er Lust darauf hat und nicht wenn das Studio gebucht ist.

Technik

Dongle weg, Cubase weg Er selbst ist – im Gegensatz zu seinem Kumpel Fakesch, der mit Cubase arbeitet – vor Jahren notgedrungen zu Ableton Live gewechselt: „Als ich ein halbes Jahr in Detroit war, hatte ich meinen Cubase-Dongle vergessen – da bin ich dann einfach auf Live umgestiegen und seitdem dabei geblieben“, sagt de Luca und gleichwohl die Summierungsengine von Cubase in Studiokreisen nach wie vor einen besseren Ruf hat als die von Ableton, war er es auch, der den Job des finalen Mixdowns der Funkstörung-Tracks übernommen hat. Dem aktuell omnipräsenten Sidechain-Effekt, der auch auf einigen Stücken des Albums hörbar ist, gewinnt er, neben der dynamischen Komponente, auch eine stilistische Ebene ab: „Es bringt ja auch eine Bewegung in die Musik, die früher in dieser Form nicht vorhanden war. Da war dann ein Sound und der war fett und konkurrierte dann oft so aufdringlich mit dem Beat – das ist durch Sidechain-Kompression schon alles viel luftiger und irgendwie auch unterhaltsamer geworden“.

Studiobericht

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Technik

Fokus wichtiger als Tools Besonders dem Fällen von Entscheidungen kommt – bei der Arbeit am Rechner besonders, wie Fakesch meint – eine spezielle Bedeutung zu. Es sei gut, wenn einem zu Beginn eines Projekts alle Möglichkeiten offenstehen, es sei aber eher kontraproduktiv, sich bis zum Ende alle Möglichkeiten offenzuhalten. Entsprechend sind die Plugin-Ordner der beiden Musiker bis zum Bersten mit allen bekannten und unbekannten Klangverbiegern gefüllt, die der Markt zu bieten hat. Gerade die eher auf das rhythmische Geschehen spezialisierten Plugins haben in der Musik von Funkstörung (der Name ist hier Programm) eine besondere Bedeutung.

„Wir arbeiten oft mit relativ einfachen Grundbeats, die vom Microtonic oder auch aus Battery stammen können, wo dann alles draufkommt, was geht: Alles von Sugar Bytes, Sonic Charge, Soundtoys, Izotope, Illformed – um nur einige zu nennen“, sagt Fakesch. Damit würden sie dann total wahllos arbeiten, die Ergebnisse dann allerdings sehr schnell als Audiodateien exportieren, um an den Punkt zu kommen, sich auf bestimmte Abläufe und Breaks festlegen zu müssen. Genau an dem Punkt des präzisen, detailgenauen Editings läge dann eine der unverkennbaren Stärken ihres Projekts, glaubt Christian de Luca: „Man muss schon sagen, dass die Tools, die man verwendet, egal ob jetzt Rechner oder Hardware, für das Endergebnis irgendwo auch irrelevant sind. Entscheidend ist vielmehr, worauf du den Fokus legst – wo du viel Zeit und Energie verwendest, um Ideen und Sounds auszuarbeiten. Das passiert glaube ich ganz unterbewusst, macht aber am Ende die musikalische Handschrift aus.“

Michael Fakesch, Christian de Luca

Funkstörung

Hinter Funkstörung stecken die beiden Elektronik-Produzenten Christian de Luca und Michael Fakesch, die sich bereits im vergangenen Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts einen hervorragenden Namen im Segment der ausgefeilten IDM-Frickeltracks machen konnten. Auf ihrem Comeback-Album Funkstörung zeigen die beiden Großmeister des songdienenden Sounddesigns wieder, was echtes Studio-Kungfu ist: Denn vom ersten bis zum letzten Ton ihrer LP ist auch noch das winzigste Audio-Event nicht nur handprogrammiert und bis zur Perfektion ausproduziert – nein, es wirkt immer auch so, es müsse so und nicht anders in den Song eingebettet sein.


Studiotipp: Audio für Frickeltracks

Making-of

Funkstörung benutzen so ziemlich alles, was es an Audio-Dekonstruktionsplugins am Markt gibt - von „Glitch“ (Illformed) über „Effectrix“ (Sugar Bytes) bis hin zu „Stutter Edit“ (Izotope). Zwar bieten alle diese Plugins umfangreiche Möglichkeiten, sie via Midi zu automatisieren, Christian de Luca und Michael Fakesch gehen aber der Übersichtlichkeit halber den Weg, solche Frickelorgien sehr früh als Audiospur zu bouncen und dann im Audiomaterial zu arbeiten. Michael Fakesch glaubt, dass sich so zumindest ein Teil der Gefahr, sich in den Möglichkeiten und Optionen zu verlieren, gebannt sei und es ihrer Arbeitsweise am nächsten kommt: „Wir stammen ja aus der Loop- und Sample-SchubserEcke – dem kommt es einfach sehr entgegen, wenn wir mit Audio und nicht mit Midi arbeiten“.

Nozinja

ü b e r „ N y a m s o r o“

Text: Numinos

Equipment (Auswahl) Computer: Apple Macbook Pro i7 2,8gHz, 16GB Ram, 1TB SSD mit 2 Apple Thunderbolt Displays DAW’s: Steinberg Cubase Pro 8, Nuendo 5, Ableton Live 9 Suite Software Recording & Mastering: Steinberg Wavelab 6, Celemony Melodyne, UAD (diverse), Waves Diamond Bundle, Voxengo Curve EQ, HarmoniEQ, Elephant, Gliss EQ, Diverse Plugins von Plug-In Alliance (Brainworx BX XL V2, BX, dynEQ V2, Digital V2, Mäag, SPL Transient Designer, Vertigo VSC-2, etc), Fabfilter Pro-Q 2, Wavearts Mastering Bundle, diverse Plugins von DMG (Equality, Pitchfunk, etc), Dada Sausage Fattener, Tokyo Dawn TDR-Feedback Compressor, Sonalksis Überkompressor Software Soundmanipulation: alles von Sugar Bytes, Sonic Charge, Soundtoys, Twisted Tools, Kammerl Kaske, Ohm Force, Smartelectronix, GRM Tools, Illformed DBlue Glitch2, Izotope Breaktweaker, Stutter, Iris2, Trash2, Glitchmachines Fracture Software Synths: Native Instruments Komplete 10 ultimate, Korg Legacy Collection, G-Force Minimonsta, ReFX Quadrasid, Novation V-Station, u-he Diva, Audiorealism Bassline Hardware: Elektron Machinedrum SPS-1UW, Monomachine, Roland TR 606, RE-201, VT 3, TB 303, Juno106, JD800, Oberheim DX (Midi Sync), Casio RZ-1 Clavia Nord Rack 2, Micro Modular, Korg Electribe MX, Kaosspad 2, Microkorg, Poly800, Moog Voyager Signature, Native Instruments Maschine, Acidlab Miami, Boss DR110 , Kawai R100, Simmons SDE, Alesis Bitrman, Electro Harmonix Big Muff, Melos Echo Chamber, Yamaha DX 200, AN 200, RME Fireface400, Genelec 8050A, Yamaha NS10M, Universal Audio LA 610 MKII, M-Audio Fast Track Pro, Alesis I/O Dock (w/ IPad Animog), UAD-2 Satellite

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ie Arbeit an Nozinja Lodge hat ungefähr fünf oder sechs Monate gedauert. Ich habe insgesamt dreißig Tracks dafür gemacht und Warp gegeben, damit sie daraus diejenigen für das Album aussuchen. Ich selbst wollte nicht an der Auswahl teilhaben, weil mir alle Stücke wichtig sind. Also habe ich sie ihnen überlassen und erklärt, dass ich zufrieden bin, welche Tracks auch immer sie nehmen werden. „Nyamsoro“ war einer davon. Das erste Mal habe ich über den Song nachgedacht, als mich einer meiner Freunde besucht und ihn gesungen hat. Es ist ein Lied, das man singt, wenn man in Feierstimmung ist. Zu ihm klatschen und tanzen die Leute. Ich fange bei meiner Musik immer mit den Drums an. Bei Shangaan Electro kann man nicht mit einer Melodie oder was auch immer anfangen. Die Tracks sind Tracks zum Tanzen. Zuerst widmet man sich den Drums und dann kümmert man sich um die erste Melodie des Songs, dann geht es weiter zum Bass und dann kann man die anderen Melodien dazwischen einfügen. Man muss es fließen lassen. Bei „Nyamsoro“ hat es eine Weile gedauert, es zu produzieren. Das ging nicht über Nacht. Ich hatte die Drums mit ihrer Melodie, dann habe ich es erst einmal liegen lassen. Dann habe ich den Bass eingespielt und es wieder liegen lassen. Dann fügt man den Gesang ein, bis man weiß, wo die anderen Melodien hinkommen. Das Ganze hat zwei bis drei Wochen gedauert. Vocals sind sehr, sehr wichtig bei Shangaan und insbesondere bei „Nyamsoro“. Für den Track braucht man die Vocals, man kann ihn nicht ohne Gesang machen. In dem Song geht es darum, dass man zu einem Medizinmann [„Nyamsoro“ ist in der Sprache Shangaan ein Begriff für einen Medizinmann oder Schamanen – Anmerk. d. A.] geht. Er gibt dir irgendetwas, das dir helfen soll. Du kommst wieder nach Hause und nach zwei oder drei Wochen hat sich nichts geändert. Du hast immer noch das Gleiche, du bist immer noch krank. Also gehst du zurück und bittest den Medizinmann, dir dein Geld zurückzugeben, weil das, was er dir gegeben hat, nicht geholfen hat. Davon handelt der Text, den Shineto Chauke von den Tshe-Tsha Boys für das Stück eingesungen hat.

Ich habe außerdem nach einem Song gesucht, der ein bisschen langsamer als 189 BPM sein konnte, ein bisschen langsamer, als Shangaan Electro-Tracks normalerweise sind. Und bei „Nyamsoro“ habe ich gedacht, dass es funktionieren könnte. Der Grund, warum das Stück so langsam ist, ist, dass „Nyamsoro“ oft von Älteren gesungen wird, wenn sie zusammensitzen, Bier trinken und fröhlich sind. Ich habe gedacht, dass der Klang von Donner gut zum Rest passt. Wenn ein Blitz einschlägt und der Donner erklingt, sehen sich alle um, darum geht es. Der Sound weckt Aufmerksamkeit und ich denke, dass ich eine gute Wahl damit getroffen habe (lacht)! Ich habe außerdem viele Klänge benutzt, die ich mit einem Synthesizer eingespielt habe. Dazu kommen Marimba und die Toms, wie sie oft bei Shangaan benutzt werden. Manche Klänge, die zum Tanzen bringen, benutze ich öfter, aber es kommt immer darauf an, welche Stimmung der Song hat. Danach wähle ich die Klänge aus. Es ist sehr wichtig, die Tänzerinnen und Tänzer im Kopf zu haben. Wenn man sie nicht erreicht, kann man niemals Shangaan machen, niemals! Man muss sie sich vorstellen, ihre Bewegungen. Die Instrumente, die Musik gestaltet man dann zu dieser Vorstellung, die man zu diesem bestimmten Zeitpunkt hatte. Ohne diesen Prozess werden die Leute nie zu der Musik tanzen, nicht wenn man sie sich nicht tanzend vorgestellt hat. Shangaan ist eine Sprache, eine Kultur. Es ist die Kultur, aus der ich komme, in der ich geboren wurde [Nozinja lebt in der Provinz Limpopo im Norden Südafrikas, in der eine Gesellschaft der Shangaan lebt – Anmerk. d. A.]. Mein Vater ist ein Shangaan, meine Mutter ist eine Shangaan, mein Großvater ist ein Shangaan, meine Großmutter ist eine Shangaan und deren Eltern waren Shangaan. Daraus kommt auch meine Musik und es scheint, als ob ich mit ihr einen Nerv treffe. Den Leuten gefällt es! Protokoll: Philipp Weichenrieder

Nozinja Lodge von Nozinja ist bei Warp Records erschienen.

Technik

Hübsches Möbel Beim Sounddesign greift Kollege Fakesch bevorzugt zu den Plugins von Native Instruments. Vor seinem Moog Voyager sitzend, den er vor allem für ein hübsches Möbel hält, verrät er, dass Massive sein absoluter Lieblings-Synth ist: „Ich finde den so logisch und übersichtlich in der Bearbeitung. Klar hört man den oft raus, aber das muss ja gar nicht schlimm sein – ich meine, viele Leute kaufen sich einen Moog, eben weil sie wollen , dass man ihn heraushört, weil er Charakter hat und den hat der Massive eben auch.“ Wie schon bei den Drums kommt auch bei den tonalen Instrumenten im Anschluss jedes mögliche (und unmögliche) Plugin zum Einsatz, wobei Fakesch hier gerne in Extrembereiche geht: „Wir machen ja keine hochwertigen Akustikproduktionen, wo der Zuhörer eine genaue Vorstellung davon hat, wie ein Instrument zu klingen hat. Für die Sounds bei uns gibt es ja im engeren Sinne kein akustisches Vorbild – da darf es auch mal kratzen und scheppern.“ Angesprochen auf die anstehende Live-Umsetzung ihrer Stücke, äußert Fakesch zunächst den Gedanken, dass es sich bei der Musik von Funkstörung im Kern ja um Computermusik handelt, die – wenn man es genau nehmen würde – auch nur mit dem Computer, Keyboard und Maus vorgetragen werden sollte, wenn man dem Anspruch genügen möchte, möglichst originalgetreu zu sein. „Unsere Sachen sind ja alle extrem durchgecheckt – da sitzt jedes Break und jeder Sound an der Stelle, wo er hin muss. Das ist in dem Sinne ja kein Songmaterial, was sich live verjammen lässt und dabei in irgendeiner Weise gewinnt“. In einem zweiten Satz räumt der Musiker allerdings ein, dass die Befriedigung beim Live-Vortrag proportional zur Anzahl der Interaktionsmöglichkeiten und der möglichen Fallhöhe steige. Einig sind sich beide Musiker darin, dass sie auf gar keinen Fall komplette VocalPassagen aus dem Off einfliegen lassen wollen. Gut also, dass Gastsänger Anothr, der auf vielen der Albumtracks zu hören ist, ebenfalls direkt um die Ecke – in Rosenheim - wohnt.

Wie entsteht eigentlich ein Stück Musik? Was war die Anfangsidee und welche Veränderungen durchläuft es, bis es fertig ist? In dieser Rubrik lassen wir ProduzentInnen die Entstehungsgeschichte zu einem ihrer Tracks erzählen. Nozinja über „Nyamsoro“ vom Album Nozinja Lodge.

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Technik

„Für die Sounds bei uns gibt es ja im engeren Sinne kein akustisches Vorbild – da darf es auch mal kratzen und scheppern.“


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