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Studiobericht Bomb The Bass
Produzenten von Popmusik hatten es früher nicht leicht. Oft wurde ihnen der Lohn für ihre Glanzleistungen nur in pekuniärer Form zuteil. Glanz und Gloria gingen dagegen an die Person, die mit ihrer Musik auf der Bühne stand. Der Wandel dazu, dass heute auch Produzenten Stars sein können, nahm seinen Anfang mit der Sampling-Kultur des vorigen Jahrhunderts. Eine der ersten Lichtgestalten dieser neuen Ära war der Brite Tim Simenon alias Bomb The Bass, der mit „Beat Dis“ den Prototypen aller Samplebasierten Dancefloor-Kracher ablieferte. Und auch wenn Simenon heute den Sampler gegen einen Rechner getauscht hat, lassen wir uns die Gelegenheit nicht entgehen, den Altmeister in seinem Schaffensraum zu treffen. 74
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TEXT & FOTOS: Numinos
Im Jahr 2000 war Tim Simenon der Liebe wegen von Großbritannien nach Amsterdam gezogen. Und zeitgleich vollzog er einen sowohl pragmatisch motivierten wie auch radikalen Paradigmenwechsel – und verkaufte sein komplettes Analog-Equipment. Platzmangel spielte dabei zwar auch eine Rolle. Wichtiger war ihm aber eine grundsätzliche Veränderung. „Von einer Minute auf die andere bin ich von einem Dasein als besessener EquipmentSammler dazu umgeschwenkt, alles auf das Nötigste zu reduzieren und nur noch am Rechner zu arbeiten – das war ein Zeichen der Zeit“, erinnert er sich. Wenn man erfährt, dass Simenon sich seit mehr als zehn Jahren mit dem jetzt erscheinenden, vierten Bomb The BassAlbum Future Chaos beschäftigt, ja teilweise gequält hat, dann wird klar, warum er im Wortsinn „Ballast abwerfen“ musste. Über den langen Zeitraum hatten sich so viele verschiedene Tracks mit unterschiedlichen Sounds und Mixen angesammelt, dass ihm das Ergebnis zu
inhomogen erschien. An diesem Punkt zeigte sich die ganze Meisterschaft eines begnadeten Produzenten wie Tim Simenon: Er konnte ein nahezu fertiges Album in die Tonne kloppen und der ganzen Sachen eine völlig neue Richtung geben. KEIN BOMBAST, KEINE TRICKSEREIEN Was dann folgte, war das Gegenteil von aufwändigen Sample-Orgien, Klangbombast und Studiotricksereien, wie man sie bei Bomb The Bass vielleicht erwartet hätte. Stattdessen vertiefte sich Simenon vollständig in die klanglichen Möglichkeiten eines (geliehenen!) Minimoog-Synthesizers und schraubte sich, in seiner akustisch weit vom Optimum entfternten, aber höchst heimeligen Dach-Kemenate über den Dächern von Amsterdam, das gesamte Klangarsenal seines Albums zurecht. „Der Moog ist das, was die ganze Sache jetzt zusammen hält“, erzählt er. „Mit ihm habe ich die klangliche Homogenität erreicht, die mir bei allen früheren Versionen des Albums fehlte.“ Zur weiteren Klangveredlung kamen denn auch nur ein paar externe Geräte zum
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Einsatz: „Der Fatso ist wunderbar, um unangenehme Frequenzen einfach auszuradieren, ohne stundenlang rumschrauben zu müssen. Und der Eventide erzeugt grandiose Hall- und Reverb-Effekte. Damit und mit einer Handvoll Pedale bin ich absolut glücklich.“ Als wir Simenon bitten, uns eins seiner Arrangements in Logic zu zeigen, überrascht seine sparsame Plug-In-Auswahl: Zwei Instanzen von Izotope Ozone sind die einzigen Klangverbieger im Summensignal. Die allerdings hat Simenon ganz bewusst gewählt: „Ich mag Sachen, die man in einen Kanal zieht und bei denen man sofort ein Ergebnis hören kann. Und wenn es gut ist, ist es gut und wenn nicht, dann nicht. Aber selbst dann will ich das auf Anhieb hören und nicht ewig daran rumschrauben müssen, bis sich irgendein kaum wahrnehmbarer Effekt einstellt.“ Den finalen Mixdown aber wollte Simenon zu keinem Zeitpunkt in Heimarbeit erledigen. Stattdessen flog er mit einigen DVDs, auf die er die jeweils circa zwanzig Spuren pro Track gebrannt hatte, zu seinem Homie Junk Scientist nach London. „Diese Arbeitsweise geht auf die Zeit zurück, in der ich angefangen habe, Musik zu produzieren“, erzählt Simenon. „Damals hatte einfach jeder seine spezielle Aufgabe: da war der Produzent, dann der Tontechniker, der Assistent des Tontechnikers, die Musiker und jemand, der den Tee macht.“ Der Rechner gebe einem zwar die Möglichkeit, alles in Eigenregie zu erledigen. „Aber am Ende einer Produktion ist es wichtig, jemanden zu haben, dem man vertraut und bei dem man sich im Studio einfach mal auf das Sofa setzt, die Klappe hält und den Menschen seine Arbeit machen lässt.“
ICH MAG SACHEN, DIE MAN IN EINEN KANAL ZIEHT UND BEI DENEN MAN SOFORT EIN ERGEBNIS HÖRT.
EQUIPMENT (auszugsweise): Klangerzeuger:
Moog Minimoog Monitoring:
Tannoy Reveal Active Outboard:
tung an einen weiteren, langjährigen Weggefährten ab: Kein geringerer als Mike Marsh vom Exchange Studio ist seit den ersten BombThe-Bass-Veröffentlichungen auf Vinyl, also seit zwanzig Jahren, Simenons erste Wahl. „Mastering ist eine Kunst“, betont der Musiker. Da gebe es Leute wie Mike Marsh, die Jahre damit verbracht hätten, ein Meister darin zu werden. Heutzutage versprächen einem die Softwarefirmen, ganz schnell Meister von allem zu werden. „Das wird nicht funktionieren“, sagt Simenon. „Ich persönlich beginne zum Beispiel gerade erst, Stereofonie zu verstehen – was soll ich da mit Dolby 5.1?“ Überhaupt ist Simenon ein angenehm unangestrengter Zeitgenosse, der die Dinge mit einem gehörigen Maß an britischem Humor sieht. Angesprochen auf den andauernden LautstärkeKrieg beim Mastering sagt er beispielsweise: „Das ist schon irgendwie lustig – geh doch zum Beispiel mal auf bleep.com und sieh dir da die Wellenformen der neuen Veröffentlichungen an: Neunzig Prozent davon sind einfach gequetschte schwarze Blöcke mit Audio. Ich frag mich immer, wo darin wohl die Dynamik versteckt sein könnte.“
Empirical Labs Fatso Eventide Eclipse Frostwave Funk-Duck Frostwave The Resonator Lovetone Ring Stinger TFPro P3 Moogerfooger Ring Modulator Moogerfooger Phaser Audio-Wandler:
Mackie Big Knob Motu Traveller Software:
Logic Pro 7 Izotope Ozone & Trash Arturia ARP2600 V
Future Chaos erscheint am 12. September bei K7/Alive.
„MASTERING IST EINE KUNST“ Einen ähnlichen Ansatz verfolgte Simenon auch beim Mastering und gab die Verantwor-
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