GROOVE #122 - STUDIOBERICHT: Calyx Mastering

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Technik

ht c i r g e n b i o r i e Stu d x mast C a ly

Wohl kaum ein Bereich der Musikproduktion konnte sich in den vergangenen Jahren über ein derartig gestiegenes allgemeines Interesse freuen wie das Mastering. Und obschon sich dieser Tage Horden begeisterter Klang-Kracksler in Wellenform-Bergen und -Tälern herumtreiben, schaffen es nur die besten von ihnen in die Königsdisziplin Klangfinalisierung. Bei einem Interview mit den Machern von Calyx Mastering – allesamt erfahrene Bezwinger von Sound-Steilwänden – konnten wir einiges über Idealrouten und Holzwege zum Gipfel erfahren. Te x t N u m i no s

F o t o s R a gn a r S c h m u c k

/ Wir treffen das Calyx-Triumvirat, bestehend

aus Bo Kondren, Hannes Bieger und Hans Schaaf, in ihrem Studiohaus im Berliner Viktoriaquartier. Genauer gesagt im Hi-Fi-Hörraum des Hauses, der auch Seminarraum und Küche ist. Ungeachtet der drei Regieräume ist dies das heimliche Zentrum von Calyx Mastering. Der großzügige, akustisch wenig modifizierte Raum beherbergt eine exzellente Highend-Anlage nebst Audio-Workstation. Hier liegt der Aus­-

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gangs- und Endpunkt des Arbeitsprozesses, wie Kondren berichtet: „Der Start zu einer Mastering-Session bei uns ist es nicht, in eins der Studios zu gehen, den ersten Titel einzuladen und sofort zu schrauben, sondern vielmehr erst mal in Ruhe zu sichten, zu hören und den Ansatz zu diskutieren: Was haben wir, wo will der Kunde hin, wie können wir das erreichen?“ Hannes Bieger ergänzt, dass Kunden, die zu Calyx kommen, ihre Produktionen ja mögen und die Sachen aus gutem Grund so produziert haben, wie sie sind. „Wir sind immer gut damit gefahren, dem Material Achtung entgegenzubringen und nicht die groben Zangen auszupacken“, sagt er. „Nicht selten ist es sogar so, dass Leute zu uns kommen, die total unglücklich sind, weil zuvor eine zu starke und untransparente Bearbeitung die Musikalität ihres Stückes vernichtet hat.“ Mastering ist den Calyx-Machern zufolge ein Paradox: Es müsse dem Anspruch „Verändere nichts, aber mach es besser!“ gerecht werden. Besonders das Audio-Consulting sei – neben der Nutzung der technischen Ausstattung natürlich – der eigentliche Mehrwert, den ein Kunde bei Calyx für sein Geld erhalte, sagt Hans Schaaf. Die Beratung habe mittlerweile

fast schon denselben Stellenwert wie der Masteringprozess selbst. „Wir hatten nie den Anspruch, unser Geld einfach mit dem Überspielen von Medien von A nach B zu verdienen“, betont Schaaf. „Unsere Motivation war es von Anfang an, Klang zu bearbeiten und Ideen, die Produzenten oder Künstler in ihren Produktionen mitbringen, zum Ziel zu führen.“ Calyx bietet darum nicht nur Mastering an, sondern auch ein kombiniertes Paket aus analogem Mixdown und Mastering, bei dem die Signale von der D/A-Wandlung beim analogen Mix bis zur finalen Stufe des Masterings analog bleiben. „Auf diese Weise haben wir noch mehr Möglichkeiten zur Verfügung, um einen bestimmten Sound zu erreichen – ob beim Problemlösen oder, wichtiger noch, bei der Klanggestaltung“, weiß Hannes Bieger. Dabei sind mitgebrachte Audio-Referenzen oder ein eigener Masteringentwurf ausdrücklich erwünscht: „Wie sollte es einfacher gehen, als Musik zu haben, über die der Kunde sagt: ‚Da will ich hin’?“, sagt Bieger. „Wir hören dann seine eigene Produktion im Vergleich mit dem mitgebrachten Beispiel, dem Ideenspeicher. Denn darum geht es ja – nicht um Frequenzen, wie man meinen könnte, sondern um Ideen.“


Technik

Diese Ideen werden von uns aufgegriffen und weitergeführt und mit den entsprechenden technischen Mitteln des Masteringstudios umgesetzt“.

// E s geht da ru m, da s s ma n s ic h a m

E t wa s i n d e r S e e l e d e r M u s i k bewirken Bei Produzenten und Musikern ist Bo Kondren zufolge das Wissen darum, was beim Mastering passiert, in den vergangenen zehn Jahren stetig gewachsen. Mittlerweile habe fast jeder Kunde eine Vorstellung davon – und komme auch mit entsprechend genauen Ansprüchen und Anforderungen in ein Masteringstudio. Das Interesse der Musiker wird nicht zuletzt durch entsprechende Audio-Plug-ins für Produktionssoftware befördert, die heutzutage leicht verfügbar seien. Diese Entwicklung wird von den Calyx-Machern – allesamt undogmatische, aber überzeugte Analogfetischisten – begrüßt, in technischer Hinsicht aber kritisiert. Denn nur mit analoger Bearbeitung könne man etwas in der Seele der Musik bewirken. Beim digitalen Arbeiten gehe es dagegen immer darum, Probleme zu lösen – was aber zugegebenermaßen meist chirurgischer und minimalinvasiver möglich sei als beim analogen Arbeiten. Wenn ein Track aber unglaubwürdig ist, wenn es ihm an Dichte und Räumlichkeit und Kohärenz fehlt, dann kommt laut Kondren Analogtechnik ins Spiel: „Es geht darum, dass man sich am Ende nicht mehr die Frage stellt: Klingt die Musik nun gut oder nicht? Guter Klang ist der, der die Idee der Musik überträgt, und kein Selbstzweck.“ Hannes Bieger verdeutlicht die Schwäche der Digitaltechnik an einem Beispiel: „Viele Produzenten kennen es wahrscheinlich, wenn sie einen digitalen Mixdown machen und an den

Punkt kommen, wo es um die Lautstärke der Leadvocals geht. Man schiebt dann Fader mit der Maus oder mit dem Controller in 0,2-dBSchritten rum und kann sich nicht entscheiden, weil der Pegelbereich, in dem das Signal richtig klingt, extrem klein ist – entweder wirkt der Gesang deutlich zu leise oder aber viel zu laut. In einem analogen Mix steht hingegen ein viel breiterer Zielkorridor zur Verfügung. Die Signale genießen größere Freiheit.“ Bei DAWs, stellt Bo Kondren fest, würden unglücklicherweise die Knöpfe, die dort virtuell zur Verfügung stehen, oft gar nicht mehr als Knöpfe benutzt: „Da doppelklicken Nutzer häufig auf ein Zahlenfeld und geben eine Nummer ein oder regeln in halben dB-Schritten, anstatt wirklich mal zu drehen und zu schauen, was da eigentlich im Regelweg von hier bis dort passiert.“ Er rät dazu, einfach mal nicht auf den Bildschirm zu starren, sondern die eigenen Ohren zu benutzen und auf das eigene Bauchgefühl zu achten. „Ich nenne dies das ‚Phänomen des inkonsequenten Handelns’: Einen realen Knopf wird man, wenn einen nicht ein Rheumaleiden daran hindert, immer über den vollen Regelweg bedienen und ihn so eingestellt lassen, wie man es für richtig hält, auch wenn das ein Extremwert ist. Sobald der Knopf aber virtuell ist, entsteht eine Art Angst davor, ihn radikal zu bewegen. Es fehlt die Chuzpe, der freie Wurf, um überhaupt in die extremen Regelbereiche zu kommen.“

Ende n ic ht meh r d ie Frage s tel lt: k l i ng t d ie Mu s i k nu n g ut oder n ic ht? U n k r i t i s c h e V e rt r au e n sseligkeit Das Calyx-Team beobachtet auch eine zunehmend unkritische Vertrauensseligkeit im Umgang mit Plug-ins. Kondren mahnt, dass man insbesondere bei der digitalen Arbeit jedem Prozess, der in den Klang eingreift, kritisch gegenüberstehen und hinterfragen sollte, ob man ihn wirklich braucht. Es gibt viele Plug-ins, deren Presets einfach nur etwas lauter machen. Das komme sogar bei hochwertigen Werkzeugen vor, die solche billigen Tricks gar nicht nötig hätten. Kondren zufolge fehlt häufig die Bereitschaft beziehungsweise die Möglichkeit zum Ausgleich dieser Pegelanhebung, die für die neutrale Beurteilung eines Klangprozessors aber unverzichtbar ist. Das Zauberwort im Umgang mit Plug-ins (wie auch analogen Signalprozessoren) sei Unity Gain – also die wahrgenommene Lautstärke bei eingeschaltetem Plug-in demselben Pegel anzugleichen, der vorläge, wenn das Plug-in auf Bypass stünde. „Damit wir uns nicht falsch verstehen“, sagt Kondren, „es geht hier nicht um Klangerzeuger und Effekte. Ich rede von Signalprozessoren wie Kompressoren, EQs, Band-, Röhren- oder Psychoakustik-Simulatoren.“ Bei deren Benutzung sollte man sich selbst einer Blindtest-Situation aussetzen: den Bypass-Schalter blind betätigen (zum Beispiel mit der Maustaste), bis man nicht mehr weiß, ob der Effekt jetzt aktiv ist oder nicht. Dann wechsle man blind von „A“ nach „B“ und wähle den Status, in dem einem der Klang besser gefällt. „Nur so kann man sicher sein, mit einer Bearbeitung auch wirklich eine Verbesserung erzielt zu haben“, betont Hannes Bieger. In Bezug auf die gerade heiß geführte „Lautheitskrieg“-Diskussion vertritt Kondren übrigens den Standpunkt, dieser Diskurs gehe zum Teil am Kern der Sache vorbei: „Es gibt Produktionen, die sind vom gemessenen Pegel her gar nicht so laut, wirken aber sehr laut. Justice ist so ein populärer Fall. Andere wiederum können trotz eines sehr hohen Pegels diese Lautheit nicht vermitteln, leiden aber zugleich unter den ungünstigen Artefakten des Limitings und der zu starken Kompression.“ Die Frage sei nicht‚ wie laut man etwas mache. Sondern vielmehr, auf welchem Wege man das richtige Verhältnis zwischen Peak und Average für das entsprechende Musikstück herstelle. „Die ganze Diskussion erhitzt sich ausschließlich an den Produktionen, bei denen das falsch gemacht wurde, bei denen die Musik platt und kaputt ist, bei denen man keine Weite und Tiefe mehr spürt – und bei denen der Hörer darum letztlich keinen Zugang zur Musik mehr findet.“

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