GROOVE #123- STUDIOINTERVIEW: Four Tet

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Technik

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Kieran Hebden gehört fraglos zu den beseelteren DAW-Fricklern des neuen Jahrtausends. Was ihn vom Gros vieler Sample-Schubser unterscheidet, ist dabei nicht nur seine Fertigkeit als Produzent, sondern auch sein immenses Stil-Repertoire. Denn bislang konnte er sein Soloprojekt Four Tet durch musikalisch kluge Neuerfindungen vor allen Stil-Schubladen retten. Und da ihm der Begriff „Folktronica“ unangenehm nah gerückt schien, zieht er auf seinem neuen Album There Is Love In You nun ganz andere Saiten auf. Te x t N U M I N O S

Fotos M A DS PE R C H

/ Wir treffen Hebden in seinem gemütlichen Schlafzimmer-Studio im Nordwesten Londons, wo er in einer Seitenstraße ein typisches englisches Reihenhaus bewohnt. Und bis auf einige Effektgeräte, CD-Player und Plattenspieler

deutet nichts darauf hin, dass hier neben allen Four-Tet-Alben auch zahllose Remixe für Künstler wie Aphex Twin, Radiohead oder die Kings of Convenience entstanden sind. Ein Blick unter den Arbeitstisch offenbart, dass Hebden wider Erwarten nicht Apple- sondern PC-Anwender ist. „Vor zehn Jahren war einfach alles, was an freier Software erhältlich war, für den PC“, erklärt er: „Besonders Audiomulch war für mich unverzichtbar und seinerzeit ausschließlich als PC-Software verfügbar.“ Auch heute noch habe er keinen blassen Schimmer davon, wie beispielsweise Midi funktioniert – seine technische Entwicklung sei immer nur über das Audiorecording abgelaufen. Angesprochen auf die übersichtliche Equipment-Situation und eine Abhöranlage, deren Design verrät, dass sie ihre besten Tage in den Achtzigern hatte, gesteht Hebden, dass die Hifi-Anlage seit seinen Kindertagen unverändert ist: „Diese Sony-Lautsprecher sind höchstwahr-

scheinlich die schlechtesten Lautsprecher der Welt. Aber alle meine Alben sind damit entstanden. Es ist wie mit den NS-10 von Yamaha – klingt es auf ihnen gut, klingt es überall gut.“ Der Produzent berichtet, dass die einzige Gerätschaft, in die er bislang regelmäßig investiert habe, sein Rechner gewesen sei. Denn erst seit ein paar Jahren kommt er dabei nicht mehr an die Leistungsgrenze der Hardware. „Wenn ich nur an das Elend mit Floppys, dann mit Zip-Drives und dann mit diesen ganzen SCSI-Geschichten denke, nur um ein schnelles Audiosystem zu bauen“, erinnert er sich stöhnend. Heute bestehe sein Hauptproblem lediglich darin, dass er sich mit der unglaublichen Menge an Software, die ständig erscheint und die es wert wäre, nicht mehr eingehend beschäftigen kann. „Ich habe beispielsweise die Vorankündigungen von Melodyne gelesen und bin mir jetzt schon sicher, dass es meine Arbeitsweise

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nachhaltig verändern wird. Dennoch habe ich noch nicht die Zeit gefunden, es mir in Ruhe anzuschauen.“ Klar müsse man, je nachdem, welches Material man damit bearbeitet, mit hörbaren Artefakten rechnen. Aber die mag er ja gerade – so wie ihn an einer Software am meisten die Sachen interessieren, die entstehen, wenn man sie zweckentfremdet: „Die besten Effekte gibt es doch immer, wenn die Sachen nicht so gebraucht wurden, wie es vorgesehen war: Das beginnt mit Samplern, die ursprünglich darauf ausgelegt waren, möglichst realistische Sounds abzuliefern, und nicht darauf, James-Brown-Loops abzufeuern, und führt bis zu Autotune.“ U N U M G Ä N G L I C H E R S TA N D A R D Auf die Frage an Hebden, warum er Protools auf seinem Rechner einsetzt, was ja für PC-Nutzer eher ungewöhnlich ist, antwortet er, dass er zwar bis vor vier Jahren noch ein absoluter Cakewalk-Fan war. Dann aber habe er viel in anderen Studios gearbeitet, und insbesondere bei den Sachen, die er mit dem Jazzmusiker Steve Reid eingespielt hat, sei ihm klar geworden, dass Protools ein unumgänglicher Standard ist. Was ihm den Umstieg leichter machte, war die Tatsache, dass er die Audio engine von Protools im Vergleich zu anderen DAWs für klanglich überlegen hält. Den Unterschied habe er am deutlichsten gemerkt, als er eine bestehende Audiosession aus Cakewalk

in Protools importierte: „Ich höre da einfach mehr Klarheit, besonders wenn eine Mischung langsam voll wird. Ich habe mir mal von einem erfahrenen Tontechniker sagen lassen, dass die Programmierung der Summierungsvorgänge innerhalb der Software der Schlüssel zur Klangqualität ist und dass Protools hier einfach die cleversten Algorithmen besitzt.“ Der Ausgangspunkt von „Love Cry“, der clubbigsten Nummer des neuen Four-TetAlbums There Is Love In You, war allerdings Ableton Live, mit dem Hebden die drei Loops, die das Rhythmusfundament bilden, zusammengesetzt hat. Denn, so verrät er, das komplette Album basiert bis auf einige Gitarrenklänge, die er selber eingespielt hat, ausschließlich auf Samples aus seiner weit über fünftausend Scheiben zählenden Plattensammlung. Eine weitere Überraschung ist, dass der vermeintliche Housebass, den man auf dem Track zu hören glaubt, ein radikal equalisiertes Jazzsample ist. Sein Archiv ist für Hebden bei der Auswahl der passenden Klangschnipsel unverzichtbar: „Ich habe so etwas wie ein SampleTagebuch, das ich nun schon seit fast zehn Jahren pflege. Jeden Monat erstelle ich darin einen neuen Ordner, und alle Sounds, die ich im Laufe des Monats finde – auf Platten, im Internet oder beim Jammen – kommen da rein.“ Überhaupt ist der kreative Umgang mit Samples in seiner reinsten Form, also Schneiden, Tunen, Positionieren, Hebdens große Stärke. Denn

sieht man sich die Spuren seiner Arrangements an, finden sich dort so gut wie keine Effekte – die gesamte rhythmische Dichte und die ausgefeilten harmonischen Bewegungen sind Ergebnis stundenlanger akribischer Feinarbeit. „Während der Entwicklung von Motiven arbeite ich immer ohne Quantisierung“, erzählt er. „Nur so kann ich diese kleinen Rückungen erreichen, die am Ende die rhythmische Vielschichtigkeit ergeben.“ Und auch der typische Four-Tet-Trick, dass Sequenzen nämlich wirken, als laufen sie gleichzeitig umgekehrt und eine Oktave höher gepitcht, ist kein Modulations-Delay, sondern echte Handarbeit. Dazu transponiert er die entsprechende Datei eine Oktave nach oben und schneidet jeweils alle Achtel-Noten in Slices. Diese Slices verteilt er dann so in der Länge, dass sie mit den Sechzehntel-Noten der Ursprungsdatei zusammen erklingen und dreht sie dann um. „Das ist wirklich mein signature sound – den hört man auf jeder meiner Platten“, sagt Hebden. G E NAU E S A R R A N G I E R E N Beim Arrangieren seiner häufig epischen Tracks ist Hebden nicht weniger genau als beim Editieren, wie er zu Protokoll gibt. „Ich habe beispielsweise dieses eine Drumloop sicherlich einen Tag lang ununterbrochen laufen lassen und mit allen möglichen Elementen gespielt. Tatsächlich wollte ich auch genau wissen, wie lange ich es laufen lassen kann, ohne dass ein weiteres Element reinkommen muss. Lass mich nicht lügen, aber ich habe sicherlich vierhundert verschiedene Samples ausprobiert, um zu sehen, womit ich dieses in sich geschlossene Loop noch toppen kann. Und am Ende habe ich das für mich unorthodoxeste Mittel gewählt: Vocals!“ Die Frucht dieser Mühen will Hebden dann auch nicht mehr verändert wissen. Darum hat er sich nach einigen schlechten Erfahrungen dazu entschlossen, das Mastering seiner Platten jetzt selbst zu machen. Er versichert, dass das, was man auf dem Four-TetAlbum hört, das ist, was seinen Rechner verlassen hat: „Ich habe hier ein Jahr lang an dem Album gesessen und es rauf und runter gehört. Ich möchte nicht, dass da jemand die Stücke fünf Minuten hört, nur um dann vielleicht zehn Dezibel Höhen reinzudrehen.“ There Is Love In You ist bei Domino/Rough Trade erschienen. .........................................

SOFTWARE: Audiomulch Protools Ableton Live Arturia – Moog, Arp Spectrasonic Omnisphere

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